When two become three von einfach_Antonia ================================================================================ Prolog: Different ----------------- When two become three Prolog: Different Mit sanfter Musik wurde er geweckt. Lächelnd atmete er ruhig aus und streckte sich. Er gähnte herzhaft, drehte sich um und schaltete den Wecker aus. Es war sieben Uhr und Will stand in aller Ruhe auf. Er schnappte sich seine Klamotten und ging barfuss über den beheizten Boden in sein eigenes kleines Badezimmer mit Badewanne und Dusche. Er hatte alle Zeit der Welt, er hatte keine Verpflichtungen. Will musste nur aufstehen, frühstücken und zur Schule fahren. Während er sich fertig machte blickte er in den Spiegel. Blickte seine blonden Haare an und sah sich selbst in die blauen Augen. Er sah ausgeruht aus. Es war kein Wunder, er ging jeden Abend rechtzeitig ins Bett und schlief lange genug. Während er sich seine Tasche nahm und runter ins Esszimmer ging dachte er über sein Leben nach. Sein Leben war so ziemlich perfekt. Er war ein Einzelkind und hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern. Er war gut in der Schule und bekam alles was er wollte. „Guten Morgen, mein Schatz. Wie hast du geschlafen?“ William James Hastings blickte seine Mutter an und antwortete lächelnd: „Guten Morgen. Ich hab gut geschlafen, wie immer.“ Er lächelte seinen Dad an und setzte sich an den Tisch, dann begann er zu frühstücken. Während des Frühstückes unterhielten sich Will und seine Eltern über alles Mögliche. Um viertel vor Acht verabschiedete Will sich von seinen Eltern, nahm sich seine Schultasche und stieg in sein neues Auto. Seine Schule war nur fünf Minuten von seinem Zuhause entfernt. Lächelnd fuhr er zur Schule. Ja, sein Leben war perfekt. Will fuhr auf den Schulparkplatz und parkte sein Auto. Dort traf er auch auf seinen besten Freund Logan. „Hey Will, alles klar?“ „Morgen Logan, na klar und bei dir?“ „Immer doch“, antwortete Logan. Grinsend gingen sie zu ihren Spints und holten ihre Bücher. „Wir haben jetzt Englisch, oder?“, fragte Logan. „Ja, Logan. So wie immer.“ Logan und Will kannten sich seit dem Kindergarten und waren seitdem beste Freunde. Gemeinsam gingen sie zu ihrem Englischunterricht und setzten sich auf ihre Plätze. Nach und nach füllte sich der Klassenraum und um punkt Acht Uhr betrat ihr Englischlehrer den Raum und begann mit dem Unterricht. Will schlug sein Notizheft auf und sah nach vorn. Dabei bemerkte er, dass der Platz vor ihm leer war. Mit gerunzelter Stirn überlegte er wer dort für gewöhnlich saß. Irgendein Mädchen… Mit braunen, langen Haaren. Mit einem lauten Geräusch wurde die Tür aufgestoßen und eben besagtes Mädchen trat ein. Sie keuchte und war verschwitzt und ihre rechte Wange war stark gerötet. Wie war doch gleich ihr Name? Katy… Kate… Nein… Kenny. Genau, sie hieß Kenny. Und das als Mädchen. Will rümpfte die Nase. Kenny sah immer ein wenig müde und gestresst aus. So als würde sie viel zu tun haben. „Tut mir Leid, Sir. Ich…“ Kenny atmete einmal tief durch und begann dann von vorne. „Ich hatte einige Probleme zuhause. Es tut mir wirklich leid, Sir…“ Probleme Zuhause? Will blickte wieder auf seine Notizen. Erst kam sie zu spät und dann auch noch mit so einer plumpen Entschuldigung. Aber was interessierte ihn das, er hatte besseres zu tun als sich um seine Mitschüler zu kümmern. „Ist schon in Ordnung, Kenny. Setz dich“, sagte ihr Lehrer und fuhr mit dem Unterricht fort. Will beobachtete wie Kenny dem Lehrer einen dankbaren Blick zuwarf und sich dann auf ihren Platz setzte. Ihre Klassenkameraden würdigte sie mit keinem Blick. Will unterdrückte ein Seufzen, es gab schon komische Leute in seinem Jahrgang. Das nervtötende Piepsen ihres Weckers holte sie unsanft aus dem Schlaf. Stöhnend drehte Kenny sich um und schaltete den Wecker aus. In rot leuchtenden Ziffern stand dort: 5 Uhr 30. Wieder einmal stöhnend fuhr sie sich mit beiden Händen über das Gesicht. Wie gerne würde sie länger liegen bleiben, doch das konnte sie sich nicht leisten. Sie schlug die Decke zurück und stand auf. Ihre nackten Füße machten tapsende Geräusche auf dem kalten Fußboden. Jede andere 17-Jährige wäre um diese Uhrzeit noch im Halbschlaf. Doch Kenny nicht. Sie war es gewohnt um halb sechs aufzustehen. Ehe sie sich ins Badezimmer begab ging sie schnellen Schrittes die Treppe hinunter. Bereits auf halbem Wege hörte sie den Fernseher. Sie stöhnte. Wie hätte es auch anders sein können. Am Fuß der Treppe stieß sie einige Bierflaschen um, die polternd über den Fußboden rollten. Kenny fluchte. Sie trat ins Wohnzimmer und fand ihren Vater. Er saß in seinem Sessel, im Fernseher lief irgendein Shoppingsender, in seiner Hand eine halbvolle Flasche Bier und um ihn herum standen mindestens ein dutzend leere Bierflaschen… Und so manches andere. Ein trauriger Glanz trat in Kennys Augen als sie zu ihrem Vater trat. „Hey Dad. Komm, ich bring dich ins Bett“, sagte sie und stemmte ihren halbwachen Vater hoch. „Lee? Bist du das?“, leierte John. Kendra Marie Rivers seufzte tief. Es war jeden Morgen dasselbe Spiel. „Nein, Dad. Ich bins Kendra“, antwortete sie. „Ah, Kenny… Ich dachte, deine gottverdammte Mutter sei wieder da… Aber das bist nur du…“ “Ja, Dad. Nur ich“, murmelte Kenny und führte ihren Vater zur Treppe. Kenny trug ihren Vater mehr als das er selbst ging. Er bekam seine Füße kaum vom Boden und stieß durchgehend gegen die leeren Flaschen. „Weißt du Kenny, ich wollte euch nie haben… Ich wollte immer Jungs… Und was hab ich bekommen?“ Kenny biss die Zähne zusammen. „Mädchen“, knurrte sie, während sie ihren Dad die Treppe hoch hievte. „Genau, nur Mädchen. Gottverdammte Drecksgören. Eure Mutter hätte euch abtreiben sollen!“ Ihr Vater schrie. „Halt die Klappe, Dad. Die Kleinen schlafen noch!“ „Die Kleinen interessieren mich einen Dreck!“ Endlich hatten sie es geschafft. Sie hatten das Schlafzimmer erreicht. Mit einem lauten Ächzen ließ John Rivers sich auf sein Bett fallen. Kenny machte sich schon lange nicht mehr die Mühe ihrem Vater die Schuhe auszuziehen und ihn zu zudecken. Es brachte ja doch nichts. Sie drehte sich um und schloss die Tür hinter sich. Mit schnellen Schritten ging sie in das einzige Badezimmer des Hauses und machte sich hastig fertig. Waschen, Haare kämen und anziehen. Für mehr blieb keine Zeit. Kenny war nicht wie andere Mädchen, aber so wollte sie auch gar nicht sein. Während sie sich daran machte die leeren Flaschen wegzuräumen dachte sie über ihr Leben nach. Sie war 17 Jahre alt und lebte mit ihren beiden kleinen Schwester bei ihrem alkoholabhängigen Vater, der sich nicht einen Deut um seine Töchter kümmerte. Ihre Mum hatte sie kurz nach der Geburt ihrer jüngsten Schwester verlassen und sich seitdem nicht wieder gemeldet. Zehn Jahre war das jetzt her, zehn Jahre in denen sich ihr Vater jeden Tag betrank. Zehn Jahre und an jedem einzelnen Tag hatte Kenny die Mutterrolle übernommen. Sie hatte keine Kindheit und keine wirklich Jugend gehabt. Sie hatte sich immer um ihre Schwestern gekümmert, hatte sie erzogen und ihnen Essen gekocht und das Haus geputzt. Hatte all die Aufgaben übernommen, die eigentlich ihr Vater hätte übernehmen sollen. Jeden Morgen stand sie um halb sechs auf, brachte ihren Vater in sein Zimmer und räumte das Wohnzimmer auf, dann machte sie Frühstück und weckte ihre Schwestern, brachte diese zur Schule und ging dann selbst in den Unterricht. Nach der Schule holte sie ihre jüngste Schwester aus der Schule und machte Mittagessen, machte mit den Schwestern Hausaufgaben und brachte sie dann zu ihren Nachmittagsbeschäftigungen. Sie selbst ging kellnern. Irgendwo musste das Geld ja herkommen. Abends holte sie ihre Schwestern wieder ab, machte Abendbrot und brachte die Kleine ins Bett. Danach ging sie wieder arbeiten. Oft arbeitete sie bis halb elf und war erst um elf wieder zuhause und dann wartete der Haushalt auf sie. Ihr Vater saß den ganzen Tag nur in seinem Sessel, sah Fernsehen und trank ein Bier nach dem Anderen. Oh ja, Kennys Leben war alles andere als perfekt. Um viertel vor Sieben war sie mit allem fertig. Das Wohnzimmer sah wieder in Ordnung aus und das Frühstück war auch fertig. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe hoch und ins Zimmer der Zweitältesten. „Aufstehen, Kyle! Es ist bald Sieben“, sagte sie und öffnete das Fenster ihrer Schwester. Kyle stöhnte. Sie war 14 und mitten in der Pubertät. „Wieso kann ich nicht wie jeder andere um sieben aufstehen?“ Kenny lächelte leicht. Das war typisch ihre Schwester, noch nicht ganz wach, aber schon am meckern. „Ich seh dich in einer Viertelstunde in der Küche“, sagte Kenny und wollte das Zimmer verlassen. „Hast du das Wohnzimmer wieder aufgeräumt?“, fragte Kyle und setzte sich auf. Kenny blieb ruckartig in der Tür stehen und antwortete nicht. „Wieso tust du das noch, Kenny? Ich bin alt genug und weiß was Dad den ganzen Tag treibt.“ Bedrückt blickte Kenny auf den Boden. „Du, Kyle. Aber Dru ist noch zu jung dafür. Ich will euch nur beschützen. Und jetzt mach dich fertig. Das Frühstück wartet.“ Kenny ging in das Zimmer ihrer jüngsten Schwester. „Guten Morgen, Süße. Zeit aufzustehen.“ Drusilla war zehn und ein aufgewecktes und fröhliches Mädchen. Sie bemerkte nichts von alldem was hier im Haus vor sich ging. „Guten Morgen, Kenny“, sagte sie fröhlich. „Zieh dich an, Dru, ja? Und komm dann runter in die Küche.“ „Ist in Ordnung.“ Kenny ging noch einmal in ihr Zimmer und blickte in den Spiegel. Sie kam selten vor ein Uhr Morgens ins Bett und um halb sechs stand sie wieder auf. Sie hatte Augenringe und man sah ihr an, dass sie viel Stress durchlebte. Kenny blickte sich selbst in die braunen Augen. Ihre Augen riefen geradezu, dass sie zu viel Stress, zu viel Verantwortung und zu wenig Schlaf bekam. Sie ging wieder in die Küche, anscheinend hatte sie länger vorm Spiegel gestanden als gedacht, denn ihre Schwestern saßen bereits am Tisch und frühstückten. „Wo ist Dad?“, fragte Dru. „Er schläft“, antwortete Kenny. „Warum schläft Dad so viel? Warum kümmert er sich nicht um uns?“, fragte die Jüngste weiter. „Ja, Kenny, warum kümmert sich Dad nicht um uns?“, fragte Kyle spitz. Kenny warf ihrer Schwester einen bösen Blick zu, dann sagte sie: „Hol deine Tasche und steig ins Auto, Dru. Es ist spät.“ „Aber…“, begann Dru. „Geh ins Auto!“ So Böse guckend wie sie konnte nahm Dru sich ihre Tasche und verließ das Haus. „Kenny!“ Kenny und Kyle blickten auf. Laut polternd kam John Rivers die Treppe hinunter gestolpert. „Geh ins Auto, Kyle“, sagte Kenny und drücke ihrer Schwester ihre Schultasche in den Arm. „Nein, ich bleib hier.“ „Kyle, bitte. Sei später aufmüpfig und geh jetzt ins Auto.“ „Kenny!“ Ihr Vater stand jetzt in der Küche. „Du dreckiges, kleines Miststück!“ „Geh verdammt noch mal ins Auto, Kyle!“, schrie Kenny und endlich setzte Kyle sich in Bewegung. „Okay, Dad. Es ist alles in Ordnung. Warum legst du dich nicht noch ein wenig schlafen?“, versuchte Kenny ihren Vater zu beruhigen. „Sag mir nicht was ich tun soll!“, schrie John und holte aus. Mit einem lauten Knall schlug John zu. Die Wucht des Schlages riss Kenny von den Füßen. Unsanft landete sie auf den Boden, und blickte ihren Vater geschockt an. Das war noch nie passiert. Er hatte sie zum aller ersten Mal geschlagen. „Verschwinde aus meinem Haus, du Schlampe!“ Mit Tränen in den Augen rappelte Kenny sich auf und lief schnell aus dem Haus und ins Auto. Ihre rechte Wange brannte wie Feuer und sie musste mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen. Ihre Schwestern durften nicht sehen, was passiert war. Schniefend setzte sie sich auf den Fahrersitz. Erwartungsvoll wurde sie von ihren Schwestern angesehen. „Was ist passiert?“, wollte Kyle wissen. „Nichts. Es ist alles in Ordnung.“ „Kenny!“ „Halt die Klappe, Kyle!“, schrie Kenny fast schon hysterisch und startete das Auto. Es herrschte eine unangenehme Stille in dem Auto, während Kenny ihre Schwestern zur Schule fuhr. Endlich erreichten sie Drus Schule. Kenny schluchzte noch einmal und drehte sich dann zu ihrer Schwester um und sagte: „Machs gut, Süße und sei brav. Ich hol dich nachher ab.“ „Bis nachher“, grinste Dru und stieg aus. Kenny warf einen Blick auf die Uhr. „Scheiße“, fluchte sie und startete das Auto neu. Es war bereits zehn vor Acht und Kenny musste Kyle noch wegbringen und selbst zur Schule fahren. Wo war die Zeit geblieben? Kenny fuhr so schnell sie konnte. „Was ist passiert?“, fragte Kyle. Ihre große Schwester warf ihr einen Blick zu. „Wir sind zu spät dran, das ist passiert“, antwortete sie. „Das meine ich nicht. Zuhause, die Sache mit Dad…“ „Gar nichts. Ich hab ihn wieder ins Bett gebracht und gut wars“, sagte Kenny und würdigte Kyle keines Blickes mehr. Um genau drei Minuten vor Acht erreichten sie Kyles Schule. „Beeil dich, dann schaffst du es noch“, sagte Kenny und sah ihre Schwester erwartungsvoll an. Kyle sah ihre Schwester noch einmal an, dann stieg sie vor Wut schnaubend aus dem Auto aus. Kenny seufzte und während sie wieder losfuhr hielt sie sich die rechte Wange. Der Schlag ihres Vaters tat noch immer weh, Kenny hatte nie damit gerechnet, dass ihr Vater eines Tages zu schlagen würde. Mit fünf Minuten Verspätung erreichte sie ihre Schule. Hastig warf sie sich ihre Tasche über und rannte zum Englischraum. Kenny klopfte nicht an, sondern stieß die Tür einfach auf und blickte ihren Englischlehrer verzeihend an. „Tut mir Leid, Sir. Ich…“, begann sie. Sie war ganz außer Atem und die brennende Wange trieb ihr immer wieder Tränen in die Augen. Kenny atmete einmal tief durch und begann dann von vorne. „Ich hatte einige Probleme zuhause. Es tut mir wirklich leid, Sir…“ Ihr Lehrer nickte und sagte: „Ist schon in Ordnung, Kenny. Setz dich.“ Dann fuhr er mit dem Unterricht fort. Tief durchatmend ging Kenny zu ihrem Platz. Aus dem Augenwinkel nahm sie den Jungen, der hinter ihr saß, wahr. Als sie sich setzte spürte sie seinen Blick in ihrem Nacken. Wieso glotzte er sie an? Sie kannten sich doch gar nicht. Kenny kannte ja noch nicht einmal seinen Namen. Sie wusste, dass sie einige Kurse zusammen hatten, doch mehr auch nicht. Ein Seufzen unterdrückend widmete Kenny ihre Aufmerksamkeit dem Unterricht. „Hey Ken, wieso warst du heute zu spät?“ Kenny blickte auf. Der Englischunterricht war beendet und die Schüler verließen den Klassenraum, um zu ihren Spints zu gehen. „Ich weiß auch nicht, irgendwie hat heute Morgen alles länger gedauert“, antwortete Kenny ihrer Freundin Megan. „Ist irgendwas passiert?“, fragte Megan. Kenny blickte ihre Freundin an. Megan war die Einzige, die wirklich Alles über Kennys Leben außerhalb der Schule wusste. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich bin wohl einfach nur müde.“ Plötzlich wurde Kenny von hinten angerempelt. Verwundert blickte sie sich um und sah David St. James. „Oh, das tut mir aber leid“, sagte er spöttisch. Kenny stöhnte. David hatte es seit der High School auf sie abgesehen, von Megan wusste sie, dass er auf sie stand und deswegen immer auf ihr rumhackte. Kenny reagierte nicht auf Davids Spott. Das hatte sie nicht nötig, sie hatte schon genug Probleme. Doch David hatte wohl eine Antwort erwartet, denn beleidigt fuhr er fort: „Warum warst du denn zu spät, Kenny? Musstest du wieder deinen besoffenen Vater zu Bett bringen?“ Wütend wirbelte Kenny herum und funkelte ihn an. „Halt bloß die Klappe, David. Du hast keine Ahnung wovon du redest“, zischte sie. Besorgt blickte Megan dem Schauspiel zu und legte Kenny beruhigend die Hand auf die Schulter. „Ach nein? Die ganze Schule weiß doch, dass dein Vater ein Säufer ist und sich nicht um seine Kinder kümmert“, sagte David aggressiv. Kennys Schultern bebten. Will, der zusammen mit Logan hinter David stand, zog erstaunt die Augenbrauen zusammen. So war das also. Ihr Vater war trunksüchtig und vernachlässigte seine Kinder, deswegen sah sie immer so gestresst und müde aus. Ohne lange nachzudenken sagte er: „Lass sie in Ruhe, David. Sie kann doch nichts dafür.“ Er meinte es gut, er wollte Kenny helfen. Kenny blickte ihn an. Der Junge, der in Englisch hinter ihr saß und sie diese Stunde beobachtet hatte. Was mischte er sich ein? „Halt dich da raus!“, schrie sie ihn an. Mittlerweile hatte sich eine große Menschenmasse um Kenny und die beiden Jungen gesammelt und auch die Lehrer wurden langsam aufmerksam. Beleidigt blickte Will Kenny an. „Ich wollte dir nur helfen“, begann er. „Ich brauche deine Hilfe nicht, klar?“, unterbrach Kenny ihn und funkelte ihn an. Eigentlich war sie nicht so leicht aus der Ruhe zubringen, doch wenn es um ihre Familie ging und sich irgendwer in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen, konnte Kenny nicht ruhig bleiben. „Gut, dann leb doch weiter mit dem Spott der Anderen!“, schrie Will zurück. Irgendwo in Kenny brannte eine Sicherung durch. Genau wie ihr Vater heute Morgen holte sie aus und verpasste dem Jungen, dessen Namen sie nicht kannte, eine Ohrfeige. Sie war nicht halb so heftig wie Kenny es sich gewünscht hatte, doch es reichte aus um einen roten Abdruck auf seiner Wange zu hinterlassen. „Will Hastings und Kenny Rivers! Was geht hier vor sich?“ Ihr Englischlehrer trat aus seinem Klassenraum und sah die Teenager abwartend an. Die Jugendlichen waren viel zu geschockt um zu antworten. Will, weil er nicht glauben konnte, dass Kenny ihm eine Ohrfeige verpasst hatte und Kenny, weil sie nicht glauben konnte, dass sie wohl mehr von ihrem Vater geerbt hatte als die Augenfarbe. „Ich… Es… Will… Ich…“, stotterte sie leise. Sie hatte das nicht gewollt, das wollte sie Will sagen, doch die Worte kamen einfach nicht über ihre Lippen. „Ich warte!“, sagte der Lehrer mit Nachdruck in der Stimme, doch noch immer antwortete ihm keiner. Gleichzeitig blicken Kenny und Will auf. Blickten sich an. Braun zu Blau. Keiner sagte etwas… Stille Verzweiflung lag in Kennys Blick und Will war noch immer fassungslos. „Gut, ihr werdet beide Nachsitzen und zwar noch heute.“ „Was?“ Zeitgleich überwanden Will und Kenny ihre Fassungslosigkeit und starrten den Lehrer an. „Aber das geht nicht!“, rief Kenny. „Und wieso nicht?“ „Wegen meinen Schwestern. Ich muss sie doch nach der Schule abholen und… Bitte Sir, ich kann heute nicht nachsitzen“, erklärte Kenny panisch. Wenn sie länger in der Schule bleiben musste konnte sie Dru und Kyle nicht abholen und wenn sie das nicht tat, dann… „Das ist mir egal. Du wirst heute nachsitzen, zusammen mit Will und jetzt geht in den Unterricht. Ihr anderen auch!“ Mit diesen Worten drehte der Lehrer sich um und ging zurück in seinen Klassenraum. Langsam aber sicher, begann sich die Schülermasse aufzulösen. Nur Logan, Will, Kenny und Megan standen noch auf dem Gang. Nach nur kurzem Zögern zog Logan den noch immer fassungslosen Will mit sich. „Komm, Alter. Es bringt doch eh nichts“, sagte er. Als sie einige Meter von den Mädchen entfernt waren sagte Will: „Ich kann nicht fassen, dass ich wegen ihr nachsitzen muss. Ich wollte ihr doch nur helfen!“, regte Will sich auf und knallte die Tür seines Spints lautstark zu. „Kenny ist einfach nicht zu helfen. Sie… ist halt sehr selbstständig und lässt sich nicht gerne helfen.“ Will blickte Logan an. „Das klingt so als würdest du sie kennen“, sagte er. Logan zuckte mit den Achseln. „Meine Mum war mit ihrer Mum in derselben Schwangerschaftsgymnastikgruppe als sie mit meiner kleinen Schwester schwanger war. Kennys Mum war damals mit ihrer jüngsten Schwester schwanger, nach der Geburt ist sie einfach verschwunden und seitdem hat Kenny die Mutterrolle übernommen.“ “Ist es wahr, dass ihr Dad sich nicht um sie kümmert?“, fragte Will auf dem Weg zum nächsten Unterricht. Logan nickte. „Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur das, was in der Schule rumerzählt wird, aber es stimmt wohl. Er soll wohl nur den ganzen Tag rum sitzen und sich betrinken, während Kenny ihre kleinen Schwestern großzieht und sich um den Haushalt kümmert.“ Will schwieg. Er hatte nicht gewusst, was für ein Leben dieses Mädchen führte. Sie hatte es wirklich nicht einfach. Da konnte er verstehen, dass sie so ausrastete bei diesem Thema. „Kenny, komm jetzt. Wir sind zu spät dran“, sagte Megan und zog Kenny hinter sich her. Das braunhaarige Mädchen war in stilles Grübeln übergegangen. Sie musste nachsitzen, was machte sie jetzt mit ihren Schwestern? „Meg, geh schon mal vor, ich muss noch was klären“, sagte Kenny hastig und drückte Megan ihre Tasche in den Arm und lief los. „Kenny! Du kannst doch nicht ständig zu spät kommen!“, rief Megan ihr hinter her. Doch Kenny war schon am Ende des Ganges abgebogen. Seufzend schulterte Megan Kennys Tasche und sah zu, dass sie in den Unterricht kam. Atemlos kam Kenny im Zimmer der Sekretärin an. „Guten Morgen, Miss Rivers. Sollten Sie nicht im Unterricht sitzen?“, fragte Mrs. Morgan lächelnd. Kenny lächelte zurück. Mrs. Morgan war zu allen Schülern freundlich und steckte jeden mit ihrer guten Laune an. „Guten Morgan, schon, aber ich muss heute Nachsitzen und muss erstmal klären wo meine Schwestern bleiben. Dürfte ich mal telefonieren?“, fragte Kenny lächelnd. „Nachsitzen? Was haben Sie angestellt?“ Mrs. Morgan stellte Kenny das Telefon hin und blickte das Mädchen fragend an. „Nichts schwerwiegendes“, antwortete Kenny während sie die Nummer ihrer Tante wählte. „Rivers“, ertönte es von der anderen Leitung. „Hallo, Tante Claire. Ich bins Kenny.“ „Kenny, bist du nicht in der Schule? Ist irgendwas passiert?“ Die Stimme ihrer Tante klang verwundert. „Doch, doch. Ich bin in der Schule und Zuhause ist auch alles in Ordnung, hör mal, du musst mir einen Gefallen tun“, erklärte Kenny. „Alles was du willst, Süße“, antwortete Claire. „Ich muss heute länger in der Schule bleiben. Könntest du Dru und Kyle von der Schule abholen und mit zu dir nehmen?“ „Ähm… Ja, na klar. Ich hab ja heute frei. Muss ich sie sonst noch irgendwo hinfahren?“ Kenny überlegte kurz. „Ja, Kyle hat um fünf Fußballtraining… Dru hat heute nichts weiter vor… Wenn ich in der Schule fertig bin, würd ich Dru dann bei dir abholen und vielleicht schaff ich es auch Kyle zum Training zu fahren“, sagte Kenny. „Mach alles in Ruhe, Kenny. Ich kümmere mich schon um deine Schwestern“, sagte Claire und Kenny hörte an ihrer Stimme, dass die Schwester ihres Vaters lächelte. „Vielen Dank, Tante Claire. Ich schulde dir was.“ „Das ist doch selbstverständlich, Kenny. Wir sehen uns dann heute Abend.“ „Bis dann.“ Erleichtert legte Kenny auf. Gut, das war geklärt. Ihre Schwestern waren in guten Händen. „Vielen Dank, Mrs. Morgan“, sagte Kenny und ging in ihren nächsten Unterricht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)