A Totally Normal Story von -juujun- ================================================================================ Kapitel 7: 7. Kapitel --------------------- Tief atmete ich die frische Sommerluft ein. Unsere Prüfungen waren beendet, die letzte lag gerade hinter uns. Tora legte einen Arm um meine Schulter. „Na, hättest du dir vor einem halben Jahr vorstellen können heute hier zu stehen?“, fragte er grinsend. Wieder atmete ich tief durch und schloss die Augen, während ich mich an ihn lehnte. Das gefiel ihm, denn ich spürte seine Lippen, die er auf meinen Scheitel setzte. In den letzten Monaten hatte er das sehr oft getan. Nachdem ich an jenem Nachmittag so einfach verschwunden war, dachte ich erst Tora hätte verstanden und würde mich ab sofort in Ruhe lassen. Da hatte ich mich sozusagen zu früh gefreut. Eine Weile, vielleicht zwei Wochen, war es ruhig geblieben zwischen uns. Wir verbrachten immer noch die Pausen zusammen und er traute sich sogar wieder, mich ganz normal anzusprechen. Ich habe diese Zeit genossen. Es wurde langsam wieder zur Routine, dass ich nach der Schule immer mit zu ihm ging und wir zusammen Hausaufgaben machten. Inzwischen hatte ich sogar seine schulischen Schwachstellen entdeckt. Japanisch fiel ihm ganz besonders schwer und so half ich ihm immer öfter. An einem Nachmittag saß ich über einem seiner Aufsätze und verbesserte den Ausdruck. Lange konnte ich mich jedoch nicht darauf konzentrieren, denn ich spürte Toras Blick auf mir. Als ich den Kopf anhob bemerkte ich, dass er mich ansah. Seine Augen waren ungewöhnlich groß und sein Blick ruhte auf meinem Gesicht. Gerade wollte ich dazu ansetzen, etwas zu sagen, da erhob er seine Hand und strich über meine Wange. Am liebsten hätte ich dem nachgegeben und bei dieser Zärtlichkeit fiel es mir schwer noch stark zu bleiben. Allerdings konnte und wollte ich mir das nicht erlauben. „Hast du es dir überlegt, mir doch eine Chance zu geben?“, flüsterte er und die Art, wie er es sagte, machte es mir unmöglich zu antworten. Obwohl seine Stimme so leise war, hörte ich den Schmerz und die Ehrlichkeit darin, oder meinte sie zumindest zu hören. Was sollte ich auch darauf antworten? Es ging weder ein Ja noch ein Nein. Also blieb ich still und versuchte ihn nicht anzusehen indem ich meinen Kopf wieder senkte, vorgab seinen Text zu kontrollieren. Ich unterstrich sogar ein paar Schriftzeichen, konnte im Nachhinein aber nicht sagen, ob diese nun wirklich falsch waren. Ich gab an diesem Tag keine Antwort, hob den Kopf aber noch einmal, nachdem ich unkonzentriert seinen Text korrigiert hatte. Wir sahen uns einen Moment einfach nur an, doch für Tora schien mein Blick zu bedeuten, das er wohl warten wollte. Dies war unsere stumme Übereinkunft. Tora blieb an meiner Seite und gab mir das Gefühl, ein vollwertiger Mensch zu sein. Dank ihm ging es mir wieder gut, er gab mir sogar Kraft die schwere Zeit zu überstehen, die wir gerade durchmachten. Und doch gestand ich mir meine Gefühle noch nicht ein. Ich redete mir ein das alles nur Mitleid war. Denn das hatte ich auch, immerhin schien er mich ja wirklich so dringend haben zu wollen. Aber nur aus Mitleid nachgeben? Das hörte sich irgendwie falsch an... Es gab nichts mehr zu lernen und nach Feiern war mir nicht zumute, eigentlich hätte ich mich am liebsten sofort in mein Bett gelegt und erst einmal zwei Tage durch geschlafen, denn so müde fühlte ich. Und doch ging ich mit Tora zu sich nach Hause, wie fast schon jeden Tag. Tora kochte, wie immer. Nur das er heute überraschenderweise ein paar Beilagen mehr im Kühlschrank hatte. Er deckte den Tisch und wir aßen stumm. Und dennoch genoss ich die Stille. Tora aber wirkte nervös. Ich genoss das essen und konnte gar nicht mehr so richtig aufhören, musste mich fast schon etwas zwingen, die Stäbchen weg zu legen. Um Tora zu zeigen, das es mir geschmeckt hatte, lächelte ich ihn an. Er aber ergriff mein Kinn und hob meinen Kopf noch weiter an. Ganz sanft. Dann legte er seine Lippen auf meine. Ich wusste in diesem Moment nicht genau, was ich dachte, was ich fühlte. Vermutlich war mein Kopf auch einfach nur vollkommen leer gefegt und ich dachte erst einmal gar nichts mehr. Der Kuss war ganz sanft, die Lippen ganz vorsichtig und doch spürte ich, das Tora noch ganz anders küssen konnte. Ganz sanft tastete seine Zunge meine Lippen entlang, zog sich zurück, als ich ihm den Zugang verwehrte. Und ganz plötzlich spürte ich seine Arme um mich. Einer schlang sich um meinen Rücken, der andere unter meine Kniekehlen. Er hob mich einfach so hoch und ich quiekte erschrocken auf. „Tora!“, fiebte ich, doch er antwortete nicht. Sein grinsen wurde nur noch breiter und er drückte mich etwas an sich. Sein Gesicht näherte sich meinem erneut. Diesmal küsste er allerdings meine Augenlider, zwang mich so dazu sie zu schließen. „Lass sie zu, ja?“, flüsterte er rau. Irgendwie schaffte er es so, das ich gar nicht wagte, die Augen zu öffnen. „Was?-“ „Schhhh...“ Ich konnte hören, das wir nun durch seine Wohnungstür traten und in den Fahrstuhl stiegen. Es ging aufwärts. Einfach die Augen öffnen konnte ich nicht, zumal ich glaubte, seinen Blick auf mir zu spüren. Dann war der Fahrstuhl offensichtlich da, wo Tora hin wollte und wir stiegen aus – beziehungsweise nur er stieg aus, ich hatte ja keinen Kontakt zum Boden. Doch dann stiegen wir noch einmal eine Treppe herauf, Tora öffnete umständlich eine Tür und schon spürte ich frische Luft, die mir um die Nase wehte. Wieder wollte ich die Augen öffnen und konnte es doch nicht. Er hatte gesagt ich solle sie zulassen, allein deswegen konnte ich es nicht tun. Mein Herzschlag beschleunigte sich noch weiter, was hatte Tora hier vor? Wir waren doch auf dem Dach, oder etwa nicht? Hatte ich mich doch in ihm getäuscht und er war ein kranker Psychopath der mich jetzt hier herunter werfen würde? Ich hatte Angst und versuchte mich augenblicklich aus seinen Armen zu befreien. „Tora!“, schrie ich leicht verzweifelt, diese Vorstellung, jetzt von diesem Dach zu fallen, setzte sich in meinem Kopf fest und ich konnte einfach nicht mehr ruhig bleiben. Angesprochener lachte aber nur leicht, was meinen Verdacht nur bestätigte. Dann jedoch wurde ich wirklich wieder auf meine eigenen Beine gelassen. Vorsichtig stellte ich mich auf und musste zu meinem Glück feststellen, das da immer noch Boden unter meinen Füßen war. Meine Augenlider waren allerdings immer noch geschlossen. Tora hielt sie nun mit beiden Händen zu. „Ehe ich dich gucken lasse, möchte ich dir noch sagen, das du hier ran ganz alleine Schuld bist. Eigentlich bin ich überhaupt nicht so, aber du hast mir viel zu viel Zeit zum Nachdenken gegeben, also lebe damit.“ Nach dieser kleinen Ansprache, die meinen bösen Verdacht noch weiter schürte, nahm er die Hände aus meinem Gesicht und ich konnte meine Augen wieder öffnen, was ich jedoch nicht sofort tat. Was wenn wir doch am Abgrund standen und er mich herunter stoßen würde sobald ich die Augen wirklich öffnete? Allerdings... von der Tür aus gesehen waren wir nur wenige Schritte gegangen, höchstens zwei oder drei, ich hatte genau darauf gehört und aufgepasst. Dann konnte man bei der Größe des Wohnkomplexes doch noch gar nicht an einer Häuserschlucht angekommen sein oder hatte ich doch nicht richtig aufgepasst? „Na los, mach die Augen auf, es beißt dich auch nichts, außer du bittest mich lieb drum!“, hörte ich es hinter mir und es war wirklich nicht zu überhören, das Tora bei seinen Worten breit grinste. Mit immer noch gesenkten Kopf öffnete ich die Augen. Schon mal gut, weit und breit kein Abgrund. Schön. Vorsichtig hob ich den Kopf … was meine Augen erblickten, konnte ich gar nicht so recht glauben und ich rieb mir erst einmal verwundert die Augen. Tora lachte wieder hinter mir. „Ich sag doch du hast mir viel zu viel Zeit gegeben, um drüber nachzudenken.“, rechtfertigte er sich noch einmal und als ich mich umdrehte, bemerkte ich das Tora rot geworden war. Vor uns lag eine große Picknick-decke, darunter eine Matratze, weil der Boden hart war, eine Kühltasche und – was es fast noch unglaublicher machte – eine ganze Hecke von exotischen Zimmerpflanzen, alle in strahlenden Grüntönen und so dicht gewachsen, das sie gegen fremde Blicke abschirmten. Nur der Eingang lag offen, und die Seite zum Ende des Daches war nicht so hoch bedeckt, sodass man noch eine Aussicht auf die Stadt hatte. Tora führte mich genau hier her, brachte mich dazu mich zu setzen und als ich ihn ansah, bemerkte ich das er nicht mehr rot war. Er wirkte selbstsicher und grinste etwas, während er die Kühltasche öffnete und eine Flasche Orangensaft und Gläser zu Tage förderte. Er sagte vorerst nichts, sondern goss den Saft ein und reichte mir ein Glas. Ich selbst wäre im Moment auch nicht in der Lage gewesen, etwas zu sagen. In meinem Hinterkopf war es mir immer bewusst gewesen, das Tora wahrscheinlich mehr von mir wollte als einfach nur mal mit mir zu schlafen, doch all dies nun zu sehen, machte es mir fast unmöglich zu atmen, oder zu denken. Meine Hand, die das Glas hielt, zitterte. Leise hauchte ich seinen Namen und als ich ihm in die Augen sah, wusste ich das, egal wie viel ich mich noch wehren würde, ich verloren hatte. Ich und Tora, das würde passieren. Ohne den Blick abzuwenden trank ich einen Schluck. Der Saft war kühl, sogar mit Fruchtfleisch und Toras Blick sagte mir eindeutig, dass er diesen selbst gepresst hatte. „Tora...“, quängelte ich trotzdem noch und stellte das Glas weg. „Das ist schön... das hast du toll gemacht...aber...“, ich kam nicht weiter, er seufzte und rutschte näher an mich heran. Es fühlte sich nicht mehr so schlimm an wie früher. „Ich habe gewartet, ich habe dir gezeigt das ich anders bin. Wir haben einen der schwersten Momente unseres Lebens zusammen durchgestanden und alles war gut. Es bringt doch nichts das du dich wehrst. Ich weiß das du es auch willst, ich merke doch wie du reagierst wenn du dich mal nicht darauf konzentrierst mich abzuwehren. Also hör auf mir etwas vorzuspielen!“ Tora war laut geworden, etwas was ich so noch nie vom ihm erlebt hatte. Selbst in seinen Augen sah ich noch die fast schon flammende Wut. Seine Worte setzten mich unter Druck, etwas, was er mir noch nie gegeben hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen, schon wieder Druck, von dem ich mich doch gerade erst für ein paar Monate befreit hatte. Allerdings war dieser Gefühlsausbruch genau das was ich jetzt brauchte. Es war kein Spiel und ich konnte auch nicht ewig Toras Gefühle ignorieren und ihn damit verletzen. Die Tür stand offen und ich musste nun durch sie hindurch. Ich musste auch einmal auf ihn zu gehen, ganz gleich welche schlechten Erfahrungen ich gemacht hatte. Auch Tora mussten in seinem Leben schon Dinge passiert sein, die ihn dazu hätten veranlassen müssen den Menschen nicht mehr zu trauen und doch tat er es bei mir, selbst wenn ich ihm so wenig zurück gab. „Du hast Recht.“, sagte ich leise, wagte es noch nicht, ihn anzusehen. Er rückte eine Stück auf, schob sich so in mein Sichtfeld und hob meinem Kopf an. Mein Herz schlug mit einem mal ganz schnell. „Du hast gewonnen...“, meine Stimme versiegte fast als ich die Worte aussprach, doch Tora verstand und lächelte. Es war nicht nur ein Grinsen, es war ein richtiges Lächeln. Unsere Lippen trafen sich. Ganz vorsichtig, ganz schüchtern und langsam bewegte sie sich. Es war nicht unser erster Kuss, es war jedoch unser erster, den ich auch wollte. Und in dem Kuss spürte ich noch etwas anderes, etwas, was Tora wohl von Anfang an gespürt hatte. Das wir zusammen gehörten. Der Wind zerzauste unsere Haare und ließ uns grinsen. Vorsichtig berührte ich seine Wange und sah, wie er selbst diese Berührung genoss und musste selbst darüber lächeln. Endlich war es wieder da, dieses schöne Gefühl, dass etwas richtig war. Jedoch war ich noch immer viel zu melancholisch, weshalb ich Tora erneut küsste, ihn ganz neben mich zog. Er legte seine Arme um mich und war glücklich. Der Himmel war noch immer blau, dazu ein paar Schäfchenwolken und ich wusste, das ich diesen Tag nie vergessen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)