Vergiss-mein-nicht von Switch (Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich.) ================================================================================ Kapitel 2: Die (un)wichtigen Dinge im Leben ------------------------------------------- Bisher bloß mit dem Namen „Raven“, den mir vier Goth verpasst hatten, lief ich durch die Straße der Kleinstadt South Park. Mittlerweile war mir so kalt, dass ich die Kälte um mich herum gar nicht mehr spürte. Ich hatte eine Gänsehaut, zitterte etwas, aber wirklich kalt war mir nicht mehr. Na ja. Durchs Gehen war ich ja auch ständig in Bewegung. Allerdings zweifle ich daran, dass mir gerade dadurch so warm wird. Wie auch immer. Ich musste jemanden finden, zu dem ich gehörte. Freunde, Familie, Bekannte. Irgendetwas in der Art. Bloß hatte ich weder Anhaltspunkt noch andere Hinweise. Ich wusste ja nicht einmal die Uhrzeit. Planlos wie ich also war, schlenderte ich durch den knöchelhohen Schnee. In Gedanken war ich gerade im Krankenhaus und bei meiner Familie. Ich hatte vergessen, wie sie aussahen, aber ich wusste noch ihre Namen und wie sie sich verhielten. Mein lebensmüder Großvater, meine zickige Schwester, meine fürsorgliche Mutter und mein… Vater. Mein überaus peinlicher Vater. Und sie verschwimmen alle vor meinem geistigen Auge. „Stan! Hey Stan!“ Kaum hörte ich diese Worte, wurde ich von einem Jungen umgerannt, der mich freudig in seine Arme schloss. Er hatte eine grüne Mütze auf, trug eine orange Jacke und ließ auch gleich wieder von mir ab. Perplex wie ich war, starrte ich ihn an und blinzelte fragend. „Kenn ich dich?“, fragte ich patzig. Die Antwort war so klar und ich konnte mir meine Art momentan auch nicht erklären. Natürlich kannte er mich! Wie hatte er mich genannt? Stan? „Eh… ja. Ich bin’s, Kyle! Hallo? Erde an Stan!“ Kyle hieß er. Ich hatte keine gute Menschenkenntnis, also konnte ich ihn nicht unterordnen. Ich wusste nur, dass er mich kannte. Sicherlich – und das schien am logischsten – war ich auch mit ihm befreundet. „Was ist denn los mit dir?“, fragte er mit plötzlich in einem gerade zu peinlich besorgtem Ton. „Wenn ich das wüsste, Mann.“ Ich klang gerade zu verzweifelt, rieb mir die Stirn und blickte mit großen, bemitleidenswerten Augen zu dem Jungen namens Kyle rüber. Er konnte mir sicher weiterhelfen. Also fiel ich ihm so dramatisch ich konnte um den Hals, seufzte so laut, dass es selbst ein Tauber mitbekommen hätte und kniff die Augen zu. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Und mir ehrlich gesagt auch. Kein ‚Kannst du mir helfen?’ und kein ‚Alter, hilf mir’. Stattdessen ließ ich ihn wieder los, sah ihn kurz an und sah dann verlegen und peinlich berührt zur Seite weg. Doch er verurteilte mich nicht, lachte nur kurz und klopfte mir dann auf die Schulter. „Ich helf’ dir“, meinte er nickend, als hätte er meine Gedanken gelesen. Langsam aber sicher kam ich der Sache näher. Denn dieser Kerl war ganz bestimmt in meinem Freundeskreis. „Danke. Fang am besten gleich mit deiner Rolle an.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und er sich anscheinend auch nicht. Also grinsten wir erst einmal freudig um die Wette, bis Kyle hörbar aufatmete und begann, mir alles zu erzählen, angefangen mit der Tatsache, dass er sich meinen besten Freund nennen durfte. „Also…“ Und er erzählte mir alles. Alles, was ich wissen musste. Sein Name war Kyle, er war ein Jahr jünger als ich und Jude. Zu uns gehörte noch ein Kerl, sein Name war Eric Cartman – oft nur Cartman genannt – der fettleibig und ein ziemliches Arschloch war. Und zu guter letzt Kenny. Ein unglücklicher Pechvogel, dessen Eltern Alkoholiker sind und der in Armut lebt. Na super Gemeinde. Außerdem erzählte er mir, wo ich wohnte, auf welche Schule ich ging. Und dann erzählte er mir – und ich wunderte mich nach dieser Sache echt, warum er das tat – von meiner Freundin. Von meiner Ex-Freundin, um genau zu sein. Ihr Name war Wendy und allein ihr Name war Musik in meinen Ohren. Hm… selbst nach einer Amnesie lebte Liebe also weiter. Aber ich musste mich doch noch mal selbst davon überzeugen, ob ich wirklich noch in ein Mädchen verliebt war, dass ich theoretisch gar nicht mehr kannte. „Na ja, den Rest wirst du ja dann selbst sehen“, versicherte er mir, klopfte mir noch mal auf die Schulter und wand sich ab. Er ging einfach los und ließ mich, immer noch im T-Shirt herumstehend, zurück. „Stan?“ Puh. Sein Kopf drehte sich zu mir und er zog seine Augenbrauen zusammen. Sofort erkannte ich das Zeichen, beeilte mich etwas, um ihn einzuholen und lief letztendlich neben ihm her. Sein aufmerksamer Blick musterte mich und er wusste sofort, dass ich fror. Binnen Sekunden hatte er seine orange Jacke ausgezogen und mir über die Schultern geworfen. Er hatte noch einen Pulli in einer ähnlichen Farbe an, lächelte und ich schlüpfte in die Jacke, die mir wie angegossen passte. „Danke…Kyle.“ Es dauerte nicht lange, da rief eine unausstehliche Stimme meinen Namen. Sie schmerzte in meinen Ohren und als ich mich umdrehte sah ich den Fettsack, von dem mir Kyle erzählt hatte. „Cartman“, zischte ich, doch Kyle schüttelte mit dem Kopf. Eigentlich waren wir ja Freunde. Ich verstand das gerade alles nicht. Wieso waren wir mit dem befreundet, wenn er doch so ein rassistisches Nazi-Arschloch war? Irgendwas lief doch schief in dieser Stadt. „Hey! Jude!“, rief Cartman zu Kyle gewand und stieß mich von der Seite an, als er sich zu uns gesellte. „Rate mal, was ich bekommen hab´.“ „Was weiß ich“, entgegnete Kyle seine Augen rollend. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass es immer so lief. „Ich hab die neue Playstation bekommen! Haha! Und weißt du was? Kleine Juden dürfen mit so hochentwickelter Technologie nicht spielen, hä-hä-hä-hä-hä, nä-nä-nä-nä.“ „Super Cartman.“ „Wo is’ eigentlich Kenny?“ Und plötzlich war alles wieder okay. So schnell? Zuerst fielen ein paar Beleidigungen, der eine wurde fertiggemacht und im nächsten Moment war das anscheinend alles wieder vergessen und wir lachten wieder zusammen? Daran müsste ich mich erst mal gewöhnen. Das war echt scheiße. „Keine Ahnung“, entgegnete ich mit Kyle zeitgleich. Als ob ich ahnen könnte, wo der Junge war. Aber ich konnte es nicht. Beziehungsweise vermutete ich, dass er bei sich zu Hause war und – nach dem was Kyle mir erzählt hatte – sich irgendwelche Schmuddelhefte ansah. Aber jeder dem seine. Die Schule war meinem Wissen nach mittlerweile aus, also schien das das Logischste. „Aber wen intressierts?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)