Eine Nacht des Unlebens von Trollfrau (Die Reisende) ================================================================================ Kapitel 5: *-...-*5*-...-* -------------------------- Als ich erwachte, war die Dämmerung in vollem Gange. Ich konnte das zwar nicht sehen, da es hier in diesem Zimmer so dunkel war, wie in einer Gruft, doch ich konnte es ganz deutlich spüren. Ich setzte die Beine auf dem Boden ab und streckte mich, dass meine Wirbel nur so knackten. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Knacken jedes Jahr schlimmer wurde, aber ich konnte mich auch täuschen. Schließlich erhob ich mich und lief, so nackt, wie ich war, über den Flur. Hier fühlte ich mich sicher. Seit ich diese Behausung gefunden hatte, wagte ich mich das wieder. Als ich noch ständig unhergezogen war, war das natürlich nicht möglich gewesen. Ich war stets auf den Straßen unterwegs und heilfroh, wenn ich einmal ein ruhiges Plätzchen für mich selbst gefunden hatte. Jedes Mal war das so. Jedes Mal, wenn ich gezwungen war, weiterzuziehen. Wenn es irgend eine Unannehmlichkeit gegeben hatte, von der ich mich lieber Meilenweit weg befinden sollte, weil sie mich vielleicht sonst weggesperrt oder gleich ganz getötet hätten. Schön, dann hätte mein Leiden ein Ende gefunden, doch ich war auf der Suche gewesen. Auf der Suche nach Wesen wie mir. Damals jedenfalls noch. Allerdings mit wesendlich mehr Elan, als es jetzt noch der Fall war. Hatte ich eine solche Begegnung vielleicht längst aufgegeben? Ich trat ins Wohnzimmer, doch ich verharrte in der Bewegung, als das knarren einer Diele meine ganze Aufmerksamkeit weckte. Hinter mir stand ein Mann. Er war ziemlich groß, schmale Schultern. Sein schwarzes Haar, welches ihm bis an die Brust reichte, trug er offen. Gekleidet war er mit einer schwarzen Hose, einem roten Rollkragenpullover und einem ziemlich langen, schwarzen Ledermantel. Ich ging sofort in Angriffsstellung. „Wie bist du hier herein gekommen?!“, fauchte ich ihn an. Mein Gegenüber grinste nur und trat einen weiteren Schritt auf mich zu, so dass die Dielen erneut knarrten. „Ich habe dich beobachtet... Schon eine ganze Weile...“ Ein Knurren entfuhr mir, doch ich musste mich zusammenreisen. Einem Menschen gegenüber sollte ich nicht sofort mein hin und wieder auftretendes, recht tierisches Verhalten an den Tag – oder den Abend – legen. Normalerweise spielte ich zunächst noch die Unschuldige, Schüchterne, doch in diesem Augenblick fühlte ich mich bedroht. „Du machst mir keine Angst, Schätzchen!“ Seine eisblauen Augen funkelten böse. Er trat noch näher an mich heran und packte mein Handgelenk, sobald er zu greifen bekam. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer nackt war, doch beim Griff seiner Hand, fuhr mir etwas durch den Leib, was mich erschaudern ließ. Es fühlte sich so fremd an und doch wieder vertraut. Als ich zu ihm aufblickte, War mir plötzlich klar, was mich jetzt so verwirrt hatte. „Ein Vampir“, flüsterte ich. „Du bist wie ich...“ „Ganz Recht.“ Sein Lächeln begann mich zu beruhigen. „Mein Name ist Sebestyén Kertész.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten die Worte. Konnte das wirklich sein? Er war nicht der, den ich so lange bereits gesucht hatte, doch sein Anblick übertraf meine Erwartungen. Meine Gedanken waren der Welt einrückt, als mich der dunkelhaarige Vampir erneut ansprach. „Nicht, dass es mich stören würde, aber Du bist nackt!“ Ich erschrak fürchterlich, doch ich hatte seine Worte verstanden. Schnell verschwand ich wieder im Schlafzimmer, doch Sebestyén war mir sofort auf den Fersen. Als ich gerade meinen Pulli überziehen wollte, packte er mich an der Hüfte und schob mich unsanft in Richtung des Bettes. Was sollte das denn werden? Ich war erschüttert über sein dreistes Verhalten. Das konnte doch nicht wahr sein! „Lass mich los, verdammt!“ Ich schlug nach ihm. Um nach ihm zu treten, stand er zu nah hinter mir. „Du sollst mich loslassen!“ Er lachte dieses seltsame Lachen, als er mich endlich freigab und ich mir schnell den Pullover endlich überzog, wobei ich den Unbekannten jedoch genau im Auge behielt. „Solche Frechheiten kannst du gleich stecken lassen. Ganz egal was du bist!“ Er musste ja nicht wissen, dass er, neben meiner Erschafferin, der einzige andere Vampir war, den ich bis jetzt kannte. „Aus welchem Jahrhundert kommst du, das du dich einer Dame gegenüber so verhältst?“ Ich zog meine Jeans fest und starrte ihn weiterhin verächtlich an. Wenn er ein Mensch wäre, hätte ich womöglich mit ihm kurzen Prozess gemacht, doch so hatte ich wohl kaum eine Chance gegen ihn. „Eine so willensstarke Frau habe ich lange nicht gesehen. Entschuldige meine Barschheit.“ Er verneigte sich kurz und die Arroganz in seinen Augen legte sich etwas. „Ich habe schon einige Vampire kennergelernt und wie viele von ihnen waren einfach nur geistig verwirrt, oder so willensschwach, dass ich mit ihnen alles hätte tun können. Du gefällst mir.“ Ich gefiel ihm also? Ein Lächeln zog sich über mein Gesicht, doch mit einem Mal musste ich wieder an Corvin denken. Ich hatte doch versprochen, ihn zu begleiten, doch dieser Sebestyén, den ich jetzt hier hatte? Was sollte ich jetzt mit ihm anstellen? Ihn wegschicken? Er war doch der einzige, in meiner Gegenwart, der so war wie ich. Das konnte ich nicht tun. Er brachte meinen Plan völlig durcheinander. Plan? Eigentlich hatte ich doch gar keinen Plan. „Wie spät ist es?“ Fragend blickte ich zu ihm auf und wartete auf eine Antwort. Sein abschätzender Blick hing noch einige Augenblicke an mir, bevor er auf die Uhr schaute. „18:12Uhr“ Ein zucken durchfuhr mich. Ich war bereits zu spät. Was sollte ich nur tun? Eigentlich wollte ich dort ja nicht hin, aber Corvin war doch so unwissendlich freundlich zu mir gewesen. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, ihm diesen Gefallen zu tun. Eine Ausrede musste her. „Ich muss leider weg“, tat ich geschäftig und zog meinen Mantel über. „Was? Wo willst du denn hin?“ Abermals trat er sehr nah neben mich und packte mich grob am Arm. „Du kannst jetzt nicht gehen! Ich wollte doch...“ „Ich habe eine Verabredung!“ Dabei wand Ich mich aus seinem Griff. „Eine Verabredung? Womöglich mit einem Mensch?“ Ich senkte ertappt den Blick und schwieg. „Du ziehst einen Menschen mir vor? Jetzt wo du Deinesgleichen bei dir hast?“ Ich seufzte und wand mich ganz von ihm ab. Was spielte der sich denn jetzt so auf? Mimte er etwa den Eifersüchtigen? Ich kannte ihn doch gar nicht. Er war hier einfach hereingeplatzt und... Sein anfängliches Verhalten mir gegenüber fand ich zudem mehr als unangebracht. „Es wird nicht lange dauern.“ Mein hinterhältiges Grinsen zu diesen Worten, führte ihn hoffentlich hinters Licht. Schnellen Schrittes steuerte ich den Keller an. Auf der ersten Stufe angekommen, wand ich mich noch einmal zu Sebestyén um. „Du kannst gerne so lange hier bleiben. Ich werde mich beeilen.“ Ich war erleichtert, als ich endlich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Ob ich ihn wirklich täuschen konnte? Ich war mir dabei nicht im geringsten sicher. Vielleicht hatte er mich aber auch längst durchschaut. Ich verließ das Haus auf die gleiche Art wie immer, sprang über den Zaun und wechselte sofort die Straßenseite. In die erstbeste Nebenstraße bog ich ein. Das konnte ja heiter werden. Wenn mir dieser Vampir folgen würde, wäre Corvin in echten Schwierigkeiten. Ich wollte sein Leben aber nicht aufs Spiel setzen. Ich konnte nur hoffen, Sebestyén war wirklich der Meinung, ich würde hier nur schnell ein kleines Blutbad anrichten und dann sofort wieder nach Hause kommen. Warum eigentlich? Warum beließ ich es nicht tatsächlich bei einem Blutbad? Vielleicht weil es auf jeden Fall schlechtere Menschen gab, wie Corvin? Ja, ich denke, diese Worte konnte ich mir ruhig erst einmal einreden, bis mir etwas besseres einfallen würde. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich das Kleid gar nicht angezogen hatte und stattdessen mit einem Pullover, mit hohem Kragen und einer Jeans bekleidet war. Doch wieder zurück gehen? Dann würde er ganz bestimmt Verdacht schöpfen. Es musste also auch so gehen. Geraume Zeit später, war ich endlich an seinem Zuhause angelangt. Durch meine ständigen Streifzüge hatte ich mir eine recht gute Ortskenntnis eingeholt, auch wenn diese Stadt an so einigen Stellen scheinbar planlos errichtet worden war. Die Villa, in der Corvin lebte, strahlte Geld aus. Er war ganz sicher keiner der ärmsten, aber sein Geld war keineswegs mein Ziel. An der Eingangstür standen vier Namen. Ich musste kurz überlegen, doch dann drückte ich die richtige Klingel. Einige Augenblicke vergingen, bis sich eine Stimme meldete: „Ja?“ Corvin klang, als wäre er völlig aufgeregt. „Ich bin es, Francesca. Ich bin leider zu spät. Entschuldige bitte.“ „Aber das macht doch nichts. Komm rein.“ Keine Sekunde später summte die Tür. Reflexartig drückte ich sie auf, bevor sie wieder zufallen konnte. Er hatte mich hier jetzt bereits hereingebeten, aber würde das ausreichen? Ich war mir nicht sicher. Ich würde es einfach drauf ankommen lassen müssen. Die breiten Stufen rochen angenehm nach altem Holz. Gemächlich schritt ich hinauf. Dieses Treppenhaus strahlte etwas aus, dass ich vor sehr langer Zeit schon einmal gespürt hatte. Diese Villa schien so alt zu sein, wie ich es wohl auch längst war. Ich war so in Gedanken versunken, dass mir die Füße, am Treppenabsatz erst auffielen, als ich unmittelbar davor stand. Erschrocken zuckte ich leicht zurück, doch als mein Blick Corvins Strahlelächeln wahrnahm, war das Wohlbefinden sofort wieder in mich eingekehrt. „Hi. Ich freue mich so, dich zu sehen“, begrüßte er mich und ich merkte sofort, dass seine Worte wohl kaum aufrichtiger sein konnten. Sebestyéns Auftreten von Anfang an, war barsch und ungehobelt und... Ich erwischte mich dabei, dass ich bereits begann, Vergleiche zu ziehen. Er reichte mir die Hand und zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass auch er eiskalte Finger hatte. Seine Wohnungstür stand offen und die Luft, daraus, die den Flur durchströmte, war angenehm kühl. Ich warf einen zaghaften Blick hinein und Corvin trat an die Seite. Mit einer Einladenden Geste bat er mich einzutreten, aber sollte ich dem bereits nachkommen? Bis jetzt hatte das eintreten in eine Wohnung immer reibungslos geklappt, auch wenn derartige Worte nur so nebenbei gefallen waren. Aber jetzt? In diesem Augenblick fürchtete ich mich davor. Ich schloss die Augen und fasste nach dem Türrahmen und ... ja, ich war willkommen. Zügig trat ich ein und lief einige Schritte vor. Seine Wohnung war aufgeräumt. Modern und schnörkellos. Nicht gerade das, was mir vorschweben würde, da ich ja aus einer ganz anderen Zeit kam, aber es hatte Stil. Stil, wie seine ganze Erscheinung es mir bereits verraten hatte. Zaghaft blickte ich mich weiterhin um. Überall helle Räume. Am Tage war diese Wohnung ganz sicher eine Todesfalle für mich. Corvin war mir gefolgt und als ich mich erneut zu ihm umwand, fiel mir auf, dass er auch jetzt wieder ziemlich Formell wirkte. Auch jetzt trug er wieder ein Hemd mit Krawatte über einer schwarzen Bundfaltenhose. Wie es schien, beinhaltete sein Schrank nur edlen Zwirn. Was im Grunde eine recht passende Überleitung zu meiner eigenen Art, bekleidet gekommen zu sein, war. „Eigentlich wollte ich mich ja in Schale werfen, aber ... ich habe da ... unerwarteten Besuch bekommen und gesehen, dass ich weg kam.“ Seine Brauen rutschen sofort tiefer, als er mir fest in die Augen blickte „Etwa Unliebsamen?“, schlussfolgerte er. Mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken. „Er hat sich nicht abwimmeln lassen, da bin ich einfach gegangen.“ Corvins Blick wurde immer ratloser. „Ist er jetzt etwa noch bei dir in der Wohnung?“ „Ja, das ist er, aber das ist in Ordnung. Er wird mir meine Wohnung schon nicht anzünden.“ Ich versuchte, zuversichtlich auszusehen, aber wirklich sicher war ich mir dabei selbst nicht. Corvin räusperte sich und fasste nach seiner Krawatte, um diese zu lockern. „Das macht nichts“, griff er meine zuvor gesagten Worte erneut auf. „Du siehst auch so umwerfend aus. Ehrlich.“ Dieser Kerl war so charmant. Seine Worte taten mir gut. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Warum musste er nur ein Mensch sein... Als ich ihn abermals ansah, hatte er seine Krawatte wieder in der Hand. Ganz sicher wollte er sie bei dieser Veranstaltung tragen, obwohl er nur seine Tochter holen wollte. Doch er wollte eben etwas her machen und jetzt war ich es, die ihn davon abbrachte. Noch während er seine Krawatte in der Hand hielt, streckte er zaghaft die Finger nach meinem Gesicht aus. Behutsam strich er mir über die Wange und ich schloss sofort wieder die Augen. Seine kaum wärmer gewordene Hand fühlte sich dennoch gut an. „Ich werde nichts tun, was du nicht willst, hörst du?“, flüsterte er. Ich nickte nur und genoss weiterhin seine Berührung. Sein Puls wurde schneller. Ich spürte es. Ich konnte ihn hören. Sofort riss ich wieder die Augen auf, weil ich mit einem Mal das Bedürfnis verspürte, mich versichernd umzuschauen, dass ich auch nicht in der Nähe eines Spiegels stand, doch ich konnte von meinem augenblicklichen Standpunkt nichts ausmachen. Während ich mich angestrengt umsah, bemerkte ich erst im letzten Moment, dass sich seine Lippen meiner Wange näherten und er mich schließlich küsste. Es war eine so zaghafte Berührung, dass ich sie kaum wahrnahm, doch ich nahm sie war. Weiche, warme Lippen. Er hatte sich rasiert. Seine Haut fühlte sich so glatt an. „Wir sollten los“, flüsterte ich plötzlich und brachte ihn sofort von seinem Tun ab. Nichts zulassen, was vielleicht zu weit gehen könnte, ermahnte ich mich selbst, auch wenn ich mich dabei gleichermaßen selbst hasste. Wie gerne würde ich es zulassen... Schweigend nicke er und ich folgte ihm schließlich aus der Wohnung, die Treppe hinunter und hinters Haus. Dort befanden sich zwei Garagen. Ob Corvin beide gehörten, konnte ich nicht beurteilen. Er ließ ein Tor nach oben schnellen und was dahinter zum Vorschein kam war groß und sah ungemein teuer aus. Ich kannte mich mit den ganzen verschiedenen Marken nicht aus und um ehrlich zu sein, interessierte mich das auch recht wenig. Der Wagen war silbermetallic und spiegelte dadurch nicht ganz so stark, wie manch anderes Auto. „Nicht schlecht“, flüsterte ich, doch er hatte meine Worte verstanden. „Genaugenommen handelt es sich bei diesem Wagen um ein Firmenauto. Ich benutze ihn sehr selten, da ich nicht mehr sehr oft hier bin. Unsere Firma selbst, hat zwar Parkplätze, aber keine Möglichkeit, ihn über längere Zeit anständig unterzubringen.“ Warum erzählte er mir das nur? Hatte er so viel Vertrauen? „Hast du keine Angst, dass er dir von hier aus gestohlen werden könnte, wenn du auf Reisen bist?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Nein. Da bin ich mir sicher. Ein ausgeklügeltes Überwachungssystem hält Einbrecher mittlerweile fern. Nur zweimal hatten sie insgesamt versucht, hier herein zu gelangen. Unsichtbar angebrachte Kameras, eine sofortige Alarmierung bei der hiesigen Polizei. Mein Chef lässt sich das schon etwas kosten. Mehr brauche ich denke ich nicht sagen und jetzt steig doch bitte ein. Unsere Fahrt dauerte eine reichliche halbe Stunde auf der Bundesstraße und als er schließlich in eine zwar breite, dennoch recht wenig befahrene Straße einfuhr und vor dem zweiten Haus stehen blieb, musste ich für einen Augenblick meine Gedanken ordnen. „Dieses Haus gehörte einst Romina und mir. Nun, viel mehr gehörte es Ihren Eltern. Sie wohnten zwar nicht mit hier, doch ihr Vater hatte wohl so gut wie alles finanziert. Mir blieb also nicht viel, als ich ging. Sie haben mich gerupft, wie eine Gans.“ Während ich aus dem Fenster starrte und mich Augenblicklich in einem Vergleich, mit seinem jetzigen Wohnsitz wiederfand, spürte ich plötzlich seine Hand auf meiner Schulter und fuhr sofort herum. „Kann es losgehen?“, fragte er unruhig. „Etwa jetzt gleich?“ Ich warf sofort wieder einen Blick zurück zum Haus. An der Eingangstür erkannte ich eine Frauengestalt. Ganz bestimmt war sie das. Als ich Corvin erneut anblickte, hingen seine Augen auch an der Person in der Tür. Ich lag also richtig und im selben Moment hielt mich nicht länger davon ab, ihm einen anständigen Kuss auf die Lippen zu geben. Ich bemerkte seine Überraschung und doch lag in seinen Augen Dankbarkeit. Das Spiel konnte also beginnen. Rasch war er aus dem Wagen gestiegen, um mir die Tür zu öffnen. Langsam wagte ich mich heraus. „Das ist sie“, flüsterte er, als er ihr den Rücken zugewandt, die Wagentür wieder schloss. Ich nickte und richtete meinen Mantel. Corvin war unruhig. Sehr unruhig sogar. Hatte er vielleicht Angst? Um ihn etwas abzulenken, griff ich nach seiner Hand, während er neben mir lief. Mein Blick hing sofort fest an der schlanken, blonden Frau. Das war also die Mutter seiner Tochter. Die Frau, die ihm sein eigenes Kind vorenthielt. Ihr schmal geschnittenes Kleid war in einem dezenten altrosa gehalten. Ihre Schuhe mit einem Absatz, auf dem ich mich selbst kaum zu laufen wagte, unterstrich ihre Größe noch um einiges. Mit diesem Schuhen überragte sie meinen Begleiter wenige Zentimeter. „Hallo Corvin“, sagte sie lächelnd, reichte ihm die Hand und bestrafte mich mit Missachtung. Ganz deutlich spürte ich sofort Antipathie für diese Person in mir aufkommen, doch anstatt dass Corvin ihre Hand griff, legte er seinen Arm um mich. „Darf ich dir zuerst Francesca vorstellen?“ Romina verdrehte genervt die Augen und blickte schließlich mit einem mehr als falschen Grinsen auf mich herab. „Sicher.“ Ohne umschweife reichte ich ihr die Hand. Unwillig fasste sie schließlich nach einigem zögern danach und ich gab ihr einen ersten Geschmack meiner nichterahnten Kraft. „Sehr erfreut“, gab ich ihr genauso zynisch zu verstehen. Zügig schüttelte sie sich von meinem Griff frei. Die Erschütterung in ihren Augen machte mir Spaß. Wie konnte Corvin mit dieser Person nur zusammengewesen sein? Glücklich war er ganz sicher nicht gewesen. Und wenn doch? War es sicherlich nicht von all zu langer Dauer. In früheren Zeiten wären Weibsbilder wie sie ganz sicher als Hexe bezeichnet und verbrannt worden. Stimmengewirr im Hintergrund wurde gut hörbar. Romina wand sich ab und lief zurück ins Haus. „Wo ist Adriana?“ Corvin hatte, wie es schien, nicht vor, hier länger als nötig zu verweilen. „Kommt doch erst einmal mit rein“, bekamen wir jedoch als Antwort. Corvin warf mir einen ratlosen Blick zu, doch er kam ihrer Bitte, welche mich ebenfalls beinhaltete, nach. Hier herein zu gelangen, war also einfacher gewesen, als ich es angenommen hatte. Der große Vorraum, gab über eine doppelflügelige Tür den Blick frei, in einen Raum, in dem sich so einige Menschen aufhielten. Leise Musik dudelte im Hintergrund. Dort standen ganz bestimmt die Bilder. „Was ist nun mit Adriana?“ Die blonde Frau gluckste herum und wand sich schließlich von uns ab, um wieder bei ihren Gästen unterzutauchen. „Sie ist bei meiner Mutter. Du kannst aber gerne noch bleiben.“ Mit diesen Worten war sie in den Nebenraum verschwunden. Du? War ich jetzt also bereits wieder Luft... Corvin entfuhr ein Knurren. Eine Sache, die ich eigentlich nur von mir kannte. Ich griff sofort wieder seine Hand, um ihn zu beruhigen. „Dann lass uns dahin fahren und sie von dort holen. Wo ist denn das Problem?“ „Das Problem ist, dass ich auf diesem Gelände Hausverbot habe. Ihr Mutter würde sofort die Polizei alarmieren und außerdem sind ihre drei Hunde auf mich abgerichtet. Vor Chihuahuas oder Zwergpudeln hätte ich ganz sicher keine Angst aber wir sprechen hier von drei ausgewachsenen Bulldoggen.“ Mein Mund blieb offen stehen, als er mir diese Worte offenbarte. Das konnte ich einfach nicht glauben. Erst bestellte uns diese Peron hier her und dann so etwas? „Das ist jetzt hoffentlich ein Scherz!?“ „Nein. Sie scherzt für gewöhnlich nicht.“ Bedrückt senkte er den Blick. „Was mache ich denn jetzt?“ Corvins mehr als zerknirschter Blick wurde schließlich ganz von mir abgefangen. Ich überlegte, was ich ihm sagen sollte. Ich würde ihn gern etwas aufbauen, aber wie. „Lass uns noch ein bisschen hier bleiben“, schlug ich schließlich vor. „Vielleicht hat sie uns angelogen und die Kleine ist doch irgendwo.“ „Das denke ich nicht“, gab er prompt zurück. „Wäre sie hier, hätte sie mich längst begrüßt. Da hätte sie auch Romina nicht aufhalten können.“ Gedankenverloren strich er mir übers Haar. Ich stellte mich näher zu ihm und schloss ihn in die Arme. Noch immer standen wir in der Halle und hier waren wir allein. Hin und wieder fiel einer der Blicke, der sich dort befindlichen Personen auf uns, doch im Grunde waren wir unbeobachtet. „Könnten wir uns dann wenigstens noch ihre ach so tollen Bilder ansehen?“ Kritisch verzog ich das Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Von hier aus konnte man jedenfalls noch nicht viel erkennen. Corvin seufzte. Viel lieber wäre er sicherlich sofort wieder gegangen, was natürlich völlig verständlich war, doch mir zuliebe schien er diesen Aufbruch noch etwas zu verschieben. „Na schön. Wir bleiben noch ein bisschen, wenn wir schon einmal hier sind.“ Er hakte sich bei mir ein, als wir den großen Raum betraten. Hier wimmelte es nur so von Menschen. Zu meinem Entsetzen fühlte ich mich augenblicklich überfordert. Hatte ich mich doch schon so lange nicht mehr an derartige Menschenmassen herangewagt. Der Raum schien brechend voll. Tische, Statuen, Bilder an Wänden und auf diesen Holzständern. Und natürlich jede Menge fremde Personen. Ich begann mich an Corvins Arm festzuklammern. Eine Sache die er sofort bemerkte. „Willst du vielleicht doch lieber wieder gehen?“ Ich schüttelte sofort den Kopf , doch dann geriet Romina wieder in mein Blickfeld. Sie unterhielt sich gerade angeregt mit einigen anderen Damen, doch als sie meinen Blick bemerkte, gab sie noch ein paar abschließende Worte von sich und verschwand schließlich an uns Beiden vorbei, wieder in der Halle. War das jetzt ihr Plan? Corvin mit Missachtung strafen? Was war das nur für eine Person? Sie kam auf ihren Stöckelschuhen dahergestakst wie ein Hahn und machte auf mich einen alles andere als sympathischen Eindruck. In mir stieg augenblicklich Groll auf diese Person auf und ich erstarrte in der Bewegung. Was ging nur jetzt schon wieder in mir vor? Ein solches Verhalten kannte ich gar nicht mehr von mir. Versuchte ich Corvin gerade in Schutz zu nehmen? Auf seiner Seite zu stehen? Um mich abzulenken, sah ich mich im Zimmer genauer um. Die Gestecke hier auf den Tischen erinnerten mich eher an Grabschmuck, als an eine Aufmunterung an eine festlichen Veranstaltung. Und ohne, dass ich es verhindern konnte, musste ich an den klischeehaften Glauben der Menschen denken: Friedhöfe, Särge, Grüfte... Ein Schmunzeln lag mir sofort auf den Lippen. So falsch konnte ich hier also gar nicht sein. Ich befreite mich von seinem Arm und betrachtete mir schließlich ein paar ihrer Bilder genauer. Was ich darauf sah, überraschte mich, denn ich konnte es nicht im geringsten deuten. Für mich waren diese Leinwände für diese Schmierereien völlig verschwendet worden. Schulterzuckend lief ich weiter, um mir das nächste, nicht minder hässliche Bild anzusehen. Sollte das wirklich Kunst sein? Vielleicht war ich einfach viel zu alt und zu altmodisch, um das zu verstehen. Mein Begleiter hielt mir plötzlich ein Glas Champagner entgegen, doch ich lehnte mit einem Lächeln ab. „Danke, ich brauche nichts. Mein Magen ist irgendwie immer noch etwas angegriffen, von gestern“, log ich. Um seiner Nettigkeit aus dem Weg zu gehen, entschloss ich mich zu Plan B. „Ich denke, ich werde erst einmal die Toilette aufsuchen. Kann ich dich hier allein lassen?“ Auf irgend eine Art fühlte ich mich nicht wohl dabei. „Aber klar“, gab er mir zuversichtlich zu verstehen. „Das hier war doch auch einmal mein Haus. Ich komme schon zurecht.“ Die Tatsache, dass er hier selbst einst lebte, war mir dabei gar nicht in den Sinn gekommen. Viel mehr die Tatsache, dass er hier unter argwöhnischen Augen, einer Missgunst ausgesetzt war, die mich wütend machte. „Ich beeile mich.“ Mit diesem Worten ließ ich mich abermals zu einem Kuss hinreißen, bevor ich verschwand. Ich begab mich auf der breiten Treppe sofort nach oben, doch auf halber Höhe hielt ich bereits wieder an und lauschte. „Sieh dir dieses Mädchen an“, vernahm ich eine Stimme aus der Küche. „Was hat er sich denn dabei gedacht? Die ist doch bestimmt noch nicht einmal zwanzig. Vielleicht noch nicht einmal volljährig.“ Dann gab sie ein angewidertes Schnauben von sich. Ihre Gesprächspartnerin jedoch kicherte. „Das habe ich dir doch gleich gesagt. Er rennt dem nächsten Rock hinterher, habe ich gesagt.“ Dann waren Geräusche von sich öffnenden und wieder schließenden Schranktüren. Kurz darauf hörte ich Schritte. Ich trat vollends auf die nächste Etage und verbarg mich schnellstens hinter einem der zahlreichen Vorhänge. Es war nicht Romina, die mit einem weiteren Tablett beladen, an mir vorbeistöckelte. Diese war also noch in der Küche. Das war meine Chance. Mit zügigen Schritten trat ich ein. „Oh“, gab ich mich überrascht und blickte sie mit großen Augen an. „Ich wollte eigentlich zur Toilette...“ Romina sah überheblich von oben auf mich herab, was bei ihrer Größe kein sonderliches Talent erforderte. „Da hättest du zwei Türen früher rechts abbiegen müssen, Mädchen.“ Mit diesen Worten wand sie sich von mir ab. Sie konnte wohl meinen Anblick nicht ertragen. Sah ich wirklich so jung aus? Kam sie sich vielleicht in meiner Gegenwart alt vor? „Warum haben Sie Adriana eigentlich gerade heute zu ihrer Großmutter gebracht? War nicht eigentlich abgemacht, dass Corvin sie hier abholen kommt?“ Ich erahnte ihr hämisches Grinsen, auf meine Worte hin nur, da sie mir auch jetzt noch den Rücken zuwand. „Ich finde, dass geht dich nichts an.“ Romina strafte mich mit einem finsteren Blick. Ich spielte die Unschuld vom Lande. Längst wusste ich, dass sie ihm nur wieder eins auswischen wollte. „Hat er nicht das gleiche Recht, sie zu sehen? Erst recht, wenn es Gerichtlich festgelegt wurde?“ „Mädchen...“ „Francesca!“ ,unterbrach ich sie barsch. „Wie dem auch sei. Die Kleine hat hier nur das Treiben verrückt gemacht und meine Mutter bot sich eben kurzfristig an, sie zu sich zu nehmen.“ Na klar, dachte ich mir. Für wie dumm hielt mich diese Person? „Na schön. Ich denke, dass hat keinen Sinn...“ Ich verließ die Küche und blickte in die breite Halle hinunter. Ich konnte an dieser Frau einfach nichts gutes finden. Wenn ihre Mutter so war wie sie, konnte ich verstehen, dass Corvin dort nicht mehr hinwollte. Hinter mir hörte ich Schritte. Romina hatte wie es schien, das nächste Tablett mit Kanapees zurecht gemacht. Absichtlich bog ich in die falsche Richtung ab. Ich hatte einen Plan und den würde ich jetzt versuchen, umzusetzen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)