Eine Nacht des Unlebens von Trollfrau (Die Reisende) ================================================================================ Kapitel 1: *-...-*1*-...-* -------------------------- Die Sonne versinkt am westlichen Horizont. Dunkelheit legt sich über das Land, doch umso heller erstrahlt der Abendstern. Es ist die Zeit, um die sich Menschen für gewöhnlich schlafen legen. Doch um diese Zeit fängt mein Tag erst an... Gelangweilt schaute ich über die Stadt. Es war wieder derselbe Ort. Ein altes Fabrikgebäude. In diesem Teil des Hauses mussten sich die Büroräume befunden haben. Ein großes Fenster in diesem Zimmer, welches aus vielen einzelnen, kleinen Glasscheiben bestand – und zu einem großen Teil tatsächlich noch vollzählig war – ließ hier sicherlich am Tage genug Sonnenlicht herein. Es gab auch noch einige Schränke hier. Einen Schreibtisch, Papier lag auf dem Boden, Rattendreck, es sah aus wie Sau. In den unteren Räumen, wo sich einst die Produktionshallen befanden, hielten sich hin und wieder Jugendliche illegal auf. Sie benutzten dieses Gebäude wohl als Gang-Treff. Aber das hier war ganz sicher nicht mein Unterschlupf. Ich kam nur her um die Aussicht zu genießen. Wenn es Tag war, verkroch ich mich in einem nicht weit entfernen, verlassenen Wohnhaus. Die zweite Etage hatte zwar schon an einigen Stellen morsche Dielen, aber in den unteren Räumen war es noch recht gemütlich. Die Möbel wurden nie ausgeräumt, auch wenn sie jetzt nicht mehr die besten waren. Zudem funktionierte hier auch noch das Wasser hin und wieder. Es war wohl auch nie abgedreht worden. Ansonsten war die Straße, wo sich dieses Haus befand, nahezu menschenleer. Außer einem alten Ehepaar und noch einer alten Dame, zwei Häuser weiter, lebte hier keiner mehr. Ein totes Viertel. Wie geschaffen, für ein Wesen wie mich. Hier konnte ich ungestört leben. Obwohl Leben nun wirklich das falsche Wort dafür war. Ich vegetierte vor mich hin. Warum ich das tat? Da gab es nur einen vernünftigen Grund. Obwohl auch vernünftig in diesen Zusammenhang nicht das richtige Wort war. Wohl eher hing ich einer Sage nach. Nur aus einem einzigen Grund war ich schließlich nach einer unmöglichen Pilgerfahrt nach Rumänien gekommen. Ich wollte ihm endlich einmal gegenüber stehen. Dem Grafen höchst persönlich. Aber wahrscheinlich war das Bild seiner Existenz von zu vielen falschen Eindrücken getrübt worden. Vielleicht gab es ihn auch gar nicht. Hatte es ihn nie gegeben... Ich hob den Blick und ließ ihn abermals schweifen. Ich kam immer wieder hier her. Auch wenn ich das Licht scheuen musste, waren es doch die letzten roten Farbtöne, welche ich stets noch zu erhaschen versuchte. Dabei stand ich immer an der Schattenseite des verwüsteten Büros und lugte nur ganz vorsichtig um die Ecke. Zum großen Teil wurde in diese Richtung um diese Tageszeit das letzte Licht noch von einem recht breiten Schornstein verdeckt. Auf diese Weise ging ich keine Gefahr ein. Ich kann mir selbst nicht erklären, warum ich immer noch diesem Farbspiel nachhing, doch das allerletzte rot, bevor die Sonne ganz verschwand, gab mir das Gefühl, hier her zugehören. Ich hatte die Hände tief in den Taschen meines nachtschwarzen Mantels. Für wenig Geld hatte ich ihn mir vor langer Zeit in Ungarn zugelegt. Woher ich das Geld hatte? Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht. Es war mir wohl irgendwie zufällig in die Finger geraten... Ich seufzte. Und mit einem mal fühlte ich mich einsam, aber wie konnte das sein? Ich hatte zwar hin und wieder das Verlangen nach der Nähe eines warmen Menschen aber diese Einsamkeit? Die war mir völlig unbekannt. Zudem brachte meine Nähe den Menschen ohnehin stets den Tot. Ja, ich bin ein Vampir. Ich kann mich nicht erinnern, wie lange schon, aber ich denke dass es mehr als vierzig Jahrzehnte sind. Und mein Name? Als ich noch lebte, war dieser Francesca Maurizio. Dennoch benutze ich diesen Namen auch jetzt noch. Irgend einen musste ich den Menschen schließlich geben, welche vergebens versuchten, mit mir in Kontakt zu treten. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Warum ich das tat? Auch das kann ich nicht so recht erklären. Ganz bestimmt nicht, weil ich diesen Sauerstoff benötigte. Aber es beruhigte mich irgendwie. Ein brennen in der Brust machte mir klar, dass es Zeit wurde, für mich zu gehen. Ganz dringend brachte ich jetzt etwas, um meine innere Gier zu stillen. Auch wenn mich dieses Tun so einige Male selbst bereits anwiderte, blieb mir nichts anderes übrig. Mit einem knarren öffnete sich die Bürotür und ich trat auf einen schmalen Absatz, an welchem die schmale und recht lange Treppe anschloss. Das Murmeln der Jugendlichen, welche sich auch jetzt wieder hier versammelt hatten, verstummte sofort. „Na Süße?“, klang nach einer kurzen Pause eine der mit Stimmenbruch versetzten Stimmen zu mir herüber. Ich kannte diese Stimme. Er war immer mit hier, dennoch hatte es keiner von ihnen je gewagt, mir zu nahe zu kommen. „Wieder die Aussicht genossen?“ Hatte er heute tatsächlich mehr zu sagen? Ich blieb stehen und musterte den jungen Mann. Augenblicklich stand er Kerzengerade. Und was kam jetzt? Das ich mich auf ihn stürzte und tötete? Vor aller Augen? Soweit ich sehen konnte, waren es mindestens sieben. Das war nun wirklich zu viel. Ich schenkte ihm ein knappes Lächeln. Etwas zu erwidern war nicht in meinem Sinne. Ohne die Gruppe erneut zu beachten, schritt ich geradewegs an ihnen vorbei auf das breite Tor zu. Sie würden mir nicht folgen, da war ich mir sicher. Irgend etwas, im permanenten Schweigen der anderen, verriet mir, dass sie sich fürchteten. Vom Optischen her unterschied ich mich nicht sonderlich von dieser wilden, viel zu hemmungslosen, Generation. Auch ich musste wohl das optische Alter einer höchstens zwanzigjährigen haben. Genau konnte ich das jedoch nicht sagen. Auch ich war nicht im Besitz eines Spiegelbildes. Ohne eine große Kraftanstrengung hatte ich das Tor geöffnet, hinter mir wieder geschossen und doch vernahm ich Stimmen, aus der Halle sehr deutlich. „Musstest du sie unberingt ansprechen?“ Eine Frauenstimme war es. Sie klang merklich empört. „Du weißt doch, dass mir diese Mädchen unheimlich ist. Warum musst du sie jedes Mal anquatschen?!“ Als Antwort bekam sie nur ein unwilliges Murren und in meinem faltenlosen und doch betagten Gesicht machte sich ein Grinsen breit. Gleich links neben dem Fabrikgebäude führte eine schmale Straße zu einem wesentlich belebteren Teil dieser Stadt. In dieser nächtlichen Gasse gab es nicht eine einzige Straßenlaterne. Doch eine solche war für mich auch gar nicht von Nöten. Mein Blick bei völliger Finsternis war bemerkenswert. Eine der wenigen Dinge, die ich noch an mir mochte. Das einzige, was es hier gab, war Abfall. Die Leute hatten diesen schmalen Weg wohl zu einer Art Müllkippe auserkoren. Mich störte dieser Geruch sehr, dennoch war es der kürzeste Weg, um auf die andere Straße zu gelangen. Aufgeplatzte Müllsäcke mit Bioabfällen säumten meinen Weg und stanken zum Himmel. Auch wenn ich nicht atmen musste, nahm ich diesen Gestank sehr wohl war. Ich beschleunigte meine Schritte, bevor ich es nicht mehr aushalten konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)