Color of Twilight von Flordelis (Time of Death and Rebirth) ================================================================================ Kapitel 20: Überläufer ---------------------- Während er die dunkelgrauen Gefängnismauern anstarrte, fragte er sich immer wieder, was geschehen war. Alles war nach Azars Plan verlaufen, bis zu dem Punkt, als er eine der Schlüsselkarten für den Aufzug benutzen sollte – niemand hatte ihn gewarnt, dass sich Tränengas in diesem Aufzug befinden würde. Soviel zu „Wir sind auf alles vorbereitet“, offenbar waren die Pläne der Rebellen veraltet. Nun saß er in dieser Zelle und wartete darauf, dass jemand ihn dort herausholte. Immerhin galt er immer noch als deren Anführer. Azar hatte es für eine gute Idee befunden, die anderen Rebellen im Glauben zu lassen, dass er Jacob war, auch gegen Zetsus Willen. Aus irgendeinem Grund stellte er sich vor, dass die Loyalität gegenüber Jacob so weit ging, dass seine Anhänger sich für ihn auch in den sicheren Tod stürzen würden. Aber möglicherweise war das nur Wunschdenken. Da offensichtlich niemand kam und es zu nichts führte, sich darauf zu konzentrieren, dass jemand kommen sollte, wanderten seine Gedanken wieder zu dem Traum, den er vor seinem Erwachen im Rebellenhauptquartier gehabt hatte. „Jiruol ist nämlich richtig stark! Ich habe gesehen, wie er Yaharagi, Sejital und Shumin getötet hat! Einfach so!“ Diese Worte von Alnine gingen ihm immer wieder durch den Kopf. Wenn er Jiruols Macht in sich aufnehmen könnte, würde ihm nichts und niemand mehr im Weg stehen und er hätte sich nicht auf diesen Deal mit Azar einlassen müssen. Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er würde es ohne Jiruols Hilfe schaffen, niemals würde er dessen Macht in Anspruch nehmen, solange er sich nicht die Zähne an jemandem ausbiss. Und bislang sah es ganz und gar nicht danach aus – wenn man von diesem Umweg über die Zelle absah. Nanashi saß neben ihm auf der metallenen Pritsche, die als Bett dienen sollte. In unregelmäßigen Abständen entfuhr ihr ein Seufzen. „Meister, was denkt Ihr, wie lange wir hier noch rumsitzen müssen?“ „Vielleicht vergessen sie uns ja“, spottete er. „Das würde doch passen.“ „Sagt doch so etwas nicht“, bat sie entsetzt. Lächelnd sah er sie an, um sich dafür zu entschuldigen, doch ein helles Kichern hielt ihn davon ab. Er warf einen Blick umher. Dieses Geräusch kam ihm bekannt vor, er hatte es schon einmal gehört – und zwar im Spirit Corridor! Es gehörte zu der Person, die ihn in Cains Welt geworfen hatte! „Wer ist da!?“, rief er in den leeren Raum hinein. Das Kichern erklang noch einmal, dann erschien eine kleine Fee, die er auch bereits zuvor gesehen hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen, doch dieses Wesen war in sein Gehirn gebrannt. Es war das Shinjuu, das zu Jinmus Mörder gehörte – wenn es auch zu Bahadur gehörte, war er endlich in der richtigen Welt angelangt. Sie musterte Zetsu eingehend, er hatte Mühe, sich zurückzuhalten. Am Liebsten hätte er sie sich geschnappt und so lange durchgeschüttelt, bis sie ihm Bahadurs Aufenthaltsort verraten würde. Doch er musste taktisch vorgehen, wenn er zu dem Meister des Shinjuu gelangen wollte. „Du bist also Akatsuki“, stellte sie schließlich fest. „Mhm, du siehst gar nicht mal schlecht aus.“ Empört schnaubend schwebte Nanashi vor Zetsu. „Lass gefälligst meinen Meister in Ruhe!“ „Halt die Klappe, Zwerg!“, erwiderte das fremde Shinjuu. „Ich rede mit dem gutaussehenden Mann.“ Sie fegte die perplexe Nanashi beiseite. Zetsu schmunzelte. Sie war selbst um einiges kleiner als Nanashi und bezeichnete diese als Zwerg, das hatte was Ironisches. „Also, Schatz, ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich gegen Cain ankommst.“ „Dann warst es also wirklich, die mich in diese andere Welt geschleudert hat.“ Sie nickte begeistert über sich selbst. „Oh ja! Cainilein war auch meine Kreation. Er sollte nicht nur dich testen, sondern auch unsere Verluste ausgleichen und unseren Plan vorantreiben. Ich glaubte, er wäre perfekt, aber du hast mich glücklicherweise auf meinen Fehler hingewiesen.“ Nichts in ihrer Stimme ließ darauf schließen, dass sie wütend auf ihn war, nein, es klang wirklich wirklich dankbar. „Aber ich habe schon eine neue Idee“, sagte sie fröhlich. „Cain war vielleicht nicht perfekt, aber du bist da schon näher dran, mein lieber Gary Stu.“ „Was ist ein Gary Stu?“, fragte Zetsu verwirrt. Es klang wie ein Name, aber irgendwie auch nach einem Etwas. Er konnte es jedenfalls nicht einordnen oder sich daran erinnern, es zuvor gehört zu haben. „Oh, nichts weiter“, wehrte sie kichernd ab. „Das fiel mir nur so ein. Ach ja, da fällt mir auf, wie unhöflich ich doch bin. Mein Name ist Paget, ich bin das großartige Shugo Shinjuu des großartigen Bahadur, von den Bringern des Lichts.“ Nanashi schnaubte. „Arrogante Kuh...“ „Redest du von dir?“, fragte Paget amüsiert. „Jedenfalls, Akatsuki, bin ich hier, um dir ein großartiges Angebot zu machen. Mein Meister hat dich seit deiner Zeit bei Jinmu beobachtet und ist außerordentlich glücklich mit deiner Entwicklung.“ Also war Bahadur wirklich Jinmus Mörder. Nun hieß es, vorsichtig zu sein und taktisch klug vorzugehen. „Was bedeutet das?“, hakte Zetsu nach. Paget lächelte. „Meister Bahadur wusste schon damals, dass in deinem Herzen viel Dunkelheit existiert. Du hast gelitten, genau wie er und deswegen wäre es das Beste, wenn du dich uns anschließen würdest. Deine Kräfte sind viel zu gut, um sie für die Brigade zu verschwenden und die Finsternis in deinem Herzen sehnt sich nach mehr, ich weiß es.“ Die Brigade war neu für Zetsu, aber im Moment interessierte ihn das nicht. „Ich habe fast alle eure Verbündeten getötet, wie sieht das denn aus, wenn ich euch beitrete?“ Paget lachte. „Die anderen waren doch alles Versager. Du bist viel mehr wert als sie alle zusammen.“ Es kam für Zetsu absolut nicht in Frage, sich den Lichtbringern anzuschließen. Sie arbeiteten für die Götter, die für den Untergang seiner Welt verantwortlich waren und sollten damit demselben Schicksal zugeführt werden, wie eben diese. Aber für den Moment wäre es vielleicht sinnvoll, zumindest so zu tun als ob. Immerhin würde er dann wieder aus der Gefängniszelle raus und problemlos in Bahadurs Nähe kommen können. „Du schmeichelst mir“, bemerkte Zetsu gespielt verlegen. „Aber nein, ganz und gar nicht“, erwiderte Paget entschieden. „Du würdest unsere Kampfkraft um ein Vielfaches erhöhen und wir können so alte Welten erhalten.“ „Was?“, fragte er irritiert. Paget griff sich an die Wange und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. „Weißt du das nicht? Die Bringer des Lichts zerstören Welten – um alte Welten zu erhalten. So wie deine, die für eine neue zerstört wurde.“ Für einen kurzen Moment geriet seine Entschlossenheit ins Wanken. Sie wollten also die alten Welten schützen, damit sie nicht wie seine Heimat zerstört wurden. Das Ziel der Gruppe schien egoistisch wie edel, doch die Umsetzung behagte ihm gar nicht. Für das alte Leben wurde neues zerstört – und das war auch nicht der richtige Weg. Außerdem galt sein Vorsatz der Rache immer noch, da war es völlig egal, was Ziel und Motivation der Lichtbringer waren. Er erhob sich von der Pritsche. „In Ordnung, ich schließe mich euch an.“ Nanashi sah ihn verdutzt an. „Meister?“ Er ignorierte sein Shinjuu, sein Blick blieb auf Paget gerichtet. Die Elfe lächelte zufrieden. „Ich wusste doch, dass du die richtige Entscheidung treffen würdest. Dann bringe ich dich mal zu meinem Meister, damit ihr das gebührend feiern könnt.“ Die Zellentür öffnete sich. Paget gab ihm mit mit einem Wink zu verstehen, dass er ihr folgen sollte, dann flog sie voraus. Während Zetsu ihr durch den Gang hinterherlief, verschwand Nanashi wieder. „Ich verstehe das nicht, Meister. Was habt Ihr vor?“ Vertrau mir einfach. Ich weiß, was ich tue. „Seid Ihr sicher?“ Ganz sicher. Sie schwieg wieder, aber überzeugt schien sie nicht zu sein. Paget führte ihn nicht in einen Raum, sondern direkt auf das Dach. Der scharfe Wind zerzauste sein Haar und spielte mit seiner Kleidung. Sein Blick blieb an einem schwarzhaarigen Mann hängen. Alles an ihm war genau wie damals, er war eindeutig der Mann, der Jinmu getötet hatte. Zetsu sah ihn wieder vor sich, mit dem Bogen und dem angelegten Pfeil über dem Gefallenen stehend. Mit aller Macht hielt er sich selbst davon ab, sein Shinken zu ziehen und auf den Lichtbringer zuzustürmen. Er durfte seine Taktik noch nicht aufgeben, deswegen drängte er die Wellen des Hasses zurück. Paget flog zu dem Mann hinüber und sagte etwas zu ihm. Es war wirklich Bahadur. Er fuhr herum und musterte Zetsu, der langsam näherkam. „Du bist Akatsuki?“ Der Angesprochene nickte. „Und du Bahadur.“ In seinem Fall war es eine Feststellung, dennoch nickte der Lichtbringer. „Du kennst meinen Namen also schon. Gut, das erspart mir eine Vorstellung.“ Sein Blick ging an Zetsu hoch und runter. „Aus dir ist ja richtig was geworden. Mein Gefühl hat mich damals also nicht getäuscht.“ „Schön für dich“, sagte Zetsu trocken. „Na na na, ist man etwa so unhöflich zu seinem Kollegen?“ Der Silberhaarige knirschte mit den Zähnen. „Tut mir Leid.“ Bahadur winkte ab. „Schon gut, wir haben immerhin noch etwas anderes zu tun als Höflichkeitsfloskeln auszutauschen.“ Zetsu wollte gerade fragen, was das sein könnte, als plötzlich Schritte erklangen. Er wandte den Kopf und entdeckte Azar, die von mehreren Wachen begleitet wurde. Keiner von ihnen hielt sie fest, aber alle behielten sie genau im Auge als ob sie nur auf eine falsche Bewegung warten würden. Azar erblickte Zetsu, ein fragender Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Wie kommst du hierher?“ „War das nicht Teil des Plans?“, erwiderte er. Auf Bahadurs Wink verließen die Soldaten das Dach wieder. Azar schluckte leicht. „Nun, irgendwie schon, aber... ich habe gehört, du wärst gefasst worden.“ „Tränengas schadet auch einem Shinkenträger.“ Bedrückt sah sie ihn an. „Ich fass es nicht!“, klagte Zetsu. „Ihr habt davon gewusst und mich ins offene Messer laufen lassen!“ „Das war die einzige Möglichkeit, hier hoch zu kommen!“, verteidigte Azar sich. Er schnaubte. „Ja, ich sehe ja, wie gut es geklappt hat.“ „Warum? Ich bin hier, oder!?“ Bahadur unterbrach ihren Streit mit einem herzhaften Gähnen. „Ich störe ja nur ungern, aber ihr beide werdet langsam langweilig. Akatsuki, wie wäre es, wenn du den Bringern des Lichts deine Treue demonstrierst und Azar tötest?“ Schockiert sah sie den Silberhaarigen an. „Du bist denen beigetreten!? Hast du sie noch alle!?“ Seufzend zog Zetsu sein Shinken. „Nerv mich nicht. Meine Pläne gehen dich nichts an.“ „Aber Jacob hätte so etwas nie getan...“ Enttäuscht ließ sie den Kopf hängen. „Ich bin aber nicht Jacob“, erwiderte er gereizt. „Es wird Zeit, dass du das einsiehst.“ Die Worte schienen nicht zu ihr durchzudringen, ihr Blick blieb gesenkt. Bahadur lachte leise. „Nun verpass ihr den letzten Schlag, Akatsuki, während sie sich noch in diesem Zustand befindet.“ Es widerstrebte Zetsu. Zwar konnte er Azar nicht wirklich leiden, doch er hegte ihr gegenüber auch keinerlei Groll. Deswegen hoffte er, dass ihr Shinjuu etwas tun würde, wenn er sie angriff. Zu einem solchen kam es aber nicht mehr. Sati erschien, noch bevor er irgend etwas tun konnte. Sie schleuderte ihm Flammen entgegen, die ihn zurückwarfen. Doch bevor er schmerzhaft Kontakt mit dem Boden machen konnte, schaffte er es, sich wieder zu fangen und geschmeidig wie eine Katze auf den Füßen zu landen. Azar hob schließlich den Kopf wieder. Ihr Shinken erschien und nun verstand Zetsu, weswegen die Ärmel an ihren Unterarmen zerrissen waren: Sie trug zwei leicht gekrümmte kurze Klingen in ihren Händen, an den Enden der Griffe waren Ketten befestigt, die um ihre Unterarme geschlungen waren. Zetsu stellte es sich schmerzhaft vor, wenn die Ketten auf der bloßen Haut rieben, doch er machte sich keine weiteren Gedanken darum. Nun da Azars Shinken erschienen war, konnte er gegen sie kämpfen – zumindest bis er ihr seinen Plan begreiflich gemacht hatte. Er hoffte nur, dass das nicht allzu lange dauern würde. Mit einem wütenden Schrei griff sie ihn an. Zetsu wich ihr aus und wehrte den direkt darauf folgenden Angriff ab. Sie ließ nicht von ihm ab, versuchte stattdessen ihn zurückzudrängen, an den Rand des Daches, um ihn dort hinunterzustürzen. Allerdings war er um einiges stärker als sie, weswegen erfolglos gegen ihn anlief. Es wirkte fast wie eine Satire auf einen richtigen Kampf. Azar grummelte. Da sie mit beiden Klingen gegen ihn anlief und es gerade so schaffte, ihn unter Kontrolle zu halten, konnte sie es nicht riskieren, mit dem Druck nachzulassen und ihn anders anzugreifen. Zetsu neigte den Kopf ein wenig zu ihr, um ihr etwas zuzuflüstern: „Hör zu, wenn wir zusammen gegen ihn antreten, können wir ihn töten.“ Irritiert hielt sie inne. „Was?“ „Du hast mich schon richtig verstanden. Ich wollte nur aus dieser Zelle raus. Also?“ Für einen Moment schien es, als hätte sie ihn nicht verstanden oder würde ihm nicht glauben, doch dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Ja!“ Sie ließ von ihm ab und wandte sich gemeinsam mit Zetsu Bahadur zu. Der Blick des Lichtbringers ging zwischen beiden hin und her. „Was soll das bedeuten?“ „Na, was wohl?“, fragte der Silberhaarige schmunzelnd. „Denkst du wirklich, ich würde mich denen anschließen, die für den Untergang meiner Heimat verantwortlich sind und demjenigen, der meinen Lehrmeister getötet hat?“ „Du machst einen großen Fehler“, erwiderte Bahadur. „Ich bin nicht umsonst ein Eternal, du wirst durch meine Hand sterben!“ Der Bogen erschien in seiner Hand. Doch weder Zetsu noch Azar ließen sich dadurch entmutigen, beide wollten nur Rache an ihm nehmen und würden sich durch nichts davon abhalten lassen, selbst wenn sie dafür sterben mussten. „Dann legen wir los!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)