Color of Twilight von Flordelis (Time of Death and Rebirth) ================================================================================ Kapitel 16: Die dunkle Seite ---------------------------- Zetsu ging in Abwehrhaltung. „Was meinst du damit?“ Cain stand auf und schritt elegant um den Tisch herum. Seine Hand lag dabei locker auf dem Griff seines Schwertes. Selbst die Waffe schien eine Kopie von Zetsus Shinken zu sein. Das kalte Lächeln auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen erlosch nicht. „Du hast keinerlei Ahnung, wer ich bin, oder?“ „Nein“, antwortete Zetsu. Nanashi schüttelte ebenfalls mit dem Kopf. „Also warum sagst du es uns nicht einfach?“ Cain lachte humorlos. „Fein.“ Er blieb wieder vor dem Silberhaarigen stehen. „Ich war einmal ein Teil von dir.“ Die Stimme, mit der er das sagte, war vollkommen tonlos als ob er nur über das Wetter plaudern würde, weswegen es eine Weile dauerte, bis die Informationen bei seinem Gegenüber ankamen. Überrascht hob Zetsu eine Augenbraue. „Was?“ Davon müsste ich doch etwas wissen, oder? „Nun, genauer gesagt war ich ein Teil von Rutsuruji. Du weißt schon, dem netten Gott, dessen Wiedergeburt du bist. Dummerweise ist er nach seinem Tod... zersplittert.“ Das Wort hallte in Zetsus Innerem nach. Zersplittert... wie hatte das geschehen können? War es eine Vorsichtsmaßnahme gewesen? Eine freiwillige Handlung des Gottes? Eine Handlung von außen, die auch Rutsuruji ein Dorn im Auge gewesen war? „Er lügt!“, zischte eine Stimme in seinem Inneren, doch er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. „Weswegen?“, hakte Zetsu nach. Cain runzelte seine Stirn als ob er erst darüber nachdenken müsste. Der Silberhaarige war sich allerdings vollkommen sicher, dass er die Antwort bereits wusste und ihn nur zappeln lassen wollte. „Eine gute Frage“, sprach er schließlich weiter. „Ich kann es dir auch nicht erklären, aber er zersprang in drei Teile. Körper, Macht und Wille. Du, mein Kleiner, bist sein Körper. Der Rutsuruji in dir ist sein Wille, so konnte dein Orichalcum-Namen erwachen – und ich bin die Macht.“ Das Konzept verwirrte Zetsu und warf ihn aus der Bahn. Er war also nur ein unvollständiges Fragment von etwas Größerem? Und... dieser Todesengel gehörte ebenfalls dazu? Aber da war noch etwas, was nicht stimmig war. „Warum hast du dann aber einen eigenen Körper?“, fragte Zetsu weiter. „Wenn du nur die Macht bist, dürftest du doch gar keinen Körper haben.“ Cain schmunzelte. „Gar nicht mal so dumm, mein Kleiner. Es stimmt, ich dürfte eigentlich keinen eigenen Körper haben – aber dieser hier gehört auch gar nicht mir.“ Er lachte schallend. „Ich habe mir diesen Körper genommen, da sein vormaliger Besitzer ihn ohnehin nicht mehr brauchte. Jahrelang bin ich ohne jede Form umher geirrt – bis ich diesen sterbenden Jungen traf. Ich nahm mir seinen nutzlos gewordenen Körper und formte ihn nach meinen Vorstellungen.“ Sein zufriedenes Grinsen enthüllte eine Reihe schneeweißer, scharfer Zähne. „Ich nehme an, dass Rutsurujis Wille dasselbe mit dir getan hat, sonst könnte er nicht in dir sein.“ „Lügner!“, zischte die Stimme noch einmal. Zetsu dachte an seine Albträume zurück. Waren dies nur ein Zeichen des Willens gewesen, dass er nun da war? Wollte er damit seinen Körper übernehmen? Aber warum hatte es dann so lange gedauert, bis es zu einem tatsächlichen Versuch gekommen war? Je mehr er darüber nachdachte desto komplizierter und verworrener wurde die Sache für Zetsu. Doch die Verwirrung wich schnell einer Erkenntnis: Wenn er Cain in sich aufnehmen würde, wäre er wieder vollständig und könnte so mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Rache vollführen. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Und was willst du nun tun, Cain?“ „Dasselbe, was du vorhast“, antwortete der Schwarzhaarige. „Ich werde wieder eins mit dir werden. Aber nicht so wie du es dir wünschst.“ Er zog sein Schwert, Zetsu imitierte die Bewegung. „Es läuft wohl auf einen Kampf hinaus.“ Nanashi schwebte von der Schulter des Silberhaarigen. Nervös blickte sie zwischen den beiden hin und her. Cains Klinge gab ein leicht violettes Glühen von sich, aber es schien kein Shinken zu sein, lediglich ein mit Magie verstärktes Schwert. „Ihr wollt hier drinnen kämpfen?“, fragte das Shinjuu. „Besseren Vorschlag, Zwerg?“, erwiderte Cain abfällig. Er hatte noch nicht einmal seinen Mund geschlossen, als Zetsu sich bereits auf ihn stürzte. Mit einem überraschten Aufschrei sprang Cain zurück, gleichzeitig riss er sein Schwert hoch. 'Gyouten' prallte direkt darauf, schaffte es aber nicht, die fremde Klinge zu zerbrechen. Begleitet von einem irren Lachen, warf Cain seinen Angreifer zurück. Zetsu prallte mit dem Rücken gegen die Aufzugtüren, die Luft wurde schlagartig aus seinen Lungen gepresst. Panisch schnappte er nach Sauerstoff, ohne Zeit dafür zu haben. Cain setzte ihm bereits nach, Zetsu wich aus. Wie ein Messer durch weiche Butter, ging das Schwert durch das Metall, einen tiefen Riss hinterlassend. Nanashi wollte sich gar nicht ausmalen, wie es aussehen würde, wenn die Klinge ihren Meister aufspießte. Noch während Cain seine Waffe wieder aus der Tür zog, griff Zetsu ihn erneut an. Um 'Gyouten' auszuweichen, sprang Cain aus dem Stand heraus in die Luft. Er landete auf der Klinge und holte mit dem Fuß aus, um seinem Gegner ins Gesicht zu treten. Zetsu reagierte schneller. Schlagartig senkte er die Klinge um neunzig Grad, worauf Cain unsanft zu Boden fiel. Der Schwarzhaarige fluchte lautstark. Der Shinkenträger ging einige Schritte rückwärts, sein Gegner sprang mühelos wieder auf die Füße. „Gar nicht schlecht“, urteilte Cain, während er sich imaginären Dreck von der Schulter wischte. „Du überlebst bislang länger als meine bisherigen Opfer.“ „Was macht dich so sicher, dass ich dein Opfer werde?“ Statt einer Antwort griff Cain ihn wieder an. Zetsu hob sein Shinken vor sich, sein Angreifer prallte direkt gegen das aufgebaute Schutzschild, ein hässliches Knacken erklang. Nanashi lief ein Schauer über den Rücken, als sie das Blut aus Cains Nase fließen sah. Der Verletzte lachte nur. „Interessant. Ich habe ganz vergessen, wie viel Macht in so einem Shinken steckt. Aber kann es dich auch davor retten?“ Zetsu hörte gerade noch das letzte Wort, als er plötzlich von einer Druckwelle erfasst und nach hinten geschleudert wurde. Bei seinem Zusammenstoß mit der Fensterfront, entstand nicht nur ein verdächtiges Knirschen, sondern auch ein langer Riss in der Mitte des Glases, der sich fein verästelt über die ganze Scheibe zog. Cain hob eine Hand und ballte diese zur Faust. „Dies ist nur ein kleiner Teil von Rutsurujis Macht. Sobald alle drei Fragmente wieder vereint sind, wird diese Macht um ein Vielfaches anwachsen und ich werde in der Lage sein, endlich über diese ganze, lächerliche Welt zu herrschen.“ „Ist das alles, was du willst?“, fragte Zetsu, während er sich wieder aufrichtete. Das leichte Schmunzeln in seinem Gesicht, verriet Nanashi, dass er im Moment nicht ganz bei sich war. „Wie erbärmlich. Du willst die Fähigkeiten eines Gottes nur dafür verwenden, über eine unbedeutende Welt zu herrschen, wenn du den ganzen Zeitbaum haben könntest?“ Cains Entschlossenheit geriet ins Wanken. Er war die Macht, er sehnte sich offensichtlich danach, diese auch auszuüben, falls nötig mit Gewalt. Je mehr desto besser. Die Aussicht, den gesamten Zeitbaum zu beherrschen und damit zu zeigen, dass man das machtvollste Wesen in eben diesem war, war so verlockend, dass er für einen Moment sogar vergaß, dass sein aktueller Kampf noch nicht vorbei war. Zetsu nutzte die Gelegenheit. Er preschte vor, seine Konturen verschwammen, bis er schließlich im Nichts verschwand. Diese Aktion holte Cain wieder in die Realität zurück. Hektisch sah er sich um. „Verdammt! Wo bist du hin!? Das ist ein mieser Trick!“ Der Silberhaarige erschien hinter ihm wieder. Gerade rechtzeitig fuhr Cain wieder herum, um dem Angriff auszuweichen. Doch die nachträgliche Schockwelle schleuderte diesmal ihn in Richtung Fenster – das unter dem zweiten Zusammenprall nachgab und zersplitterte. Zetsu lockerte seine Haltung, er schmunzelte wieder. „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt.“ Erleichtert schwebte Nanashi zu ihm hinüber. „Das war großartig, Meister! Ich bin von Euren Fähigkeiten überwältigt!“ Gespielt verlegen winkte er ab. „Das war doch gar nichts...“ Er wollte noch etwas sagen, hielt aber inne. „Wie seltsam...“ „Was ist, Meister?“ Nachdenklich sah Zetsu auf das ehemalige Fenster. Die kalte Nachtluft erfüllte das Büro, Windstöße brachten die Unterlagen auf dem Tisch durcheinander und spielten mit Zetsus Haar. „Ich habe diesen Kerl getötet, also müsste er ein Teil von mir werden, oder?“ Nanashis Augen weiteten sich. „Ja, das müsste so sein.“ Beide zogen gleichzeitig denselben Schluss. Vorsichtig trat Zetsu an den Rand des Raumes und sah hinunter. Er fluchte leise, als er seinen Verdacht bestätigt fand. Unzählige Meter unter ihm, gab es ein lädiert aussehendes Vordach, auf dem ein erschöpfter Cain saß und atemlos nach oben sah. Zetsu wusste nicht, woher er so genau wusste, in welcher Verfassung sein fehlendes Fragment war, aber er machte sich auch keine weiteren Gedanken darum. Kurzentschlossen stürzte er sich ebenfalls hinunter. Sein Kopf war wie leergefegt, sein Körper handelte von allein, als seine Füße sich der Außenfassade anpassten und er an dieser hinunterrannte. Bislang kannte er solche Aktionen nur aus Filmen, die in den von ihm besuchten Welten gezeigt wurden, er hätte nie gedacht, dass es wirklich funktionieren würde – doch im Moment tat es das, wenngleich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nur durch die Unterstützung des Shinken, das immer heller glühte, je mehr Macht er davon für sich zu Hilfe zog. Binne weniger Sekunden war er unten angekommen, schlitternd kam er auf dem Vordach zum Stehen. Der Schwung seiner wagemutigen Aktion beförderte ihn fast über den Rand hinaus. Cain richtete sich wieder auf. „Das war nicht schlecht. Du bist eine größere Herausforderung als ich dachte. Aber kannst du wirklich mit mir mithalten?“ Er stürmte auf Zetsu zu, der mit einem einfachen Schritt zur Seite auswich. Der Silberhaarige konnte entsetzte Schreie hören, als Cain über den Rand stürzte. Die Explosion verriet ihm, dass sein Gegenstück auch diesen Sturz überlebt hatte – und das nur durch die Macht in seinem Inneren. Zetsu folgte ihm mit einem beherzten Sprung auf die Straße. Die Menschen rannten panisch davon und ließen ihre Autos einfach stehen. Cain seufzte theatralisch. „Du bist wirklich einmalig – nein, nicht wirklich. Mich gibt es immerhin auch noch.“ Sein folgender Angriff traf zwar nur die Luft, doch die daraus resultierenden Schockwellen, schossen direkt auf Zetsu zu. Der Silberhaarige hob sein Shinken, die Wellen wurden von dem Schild zurückgeworfen und trafen dafür Gebäude und Fahrzeuge. Zetsu ließ sein Schutzschild fallen und preschte auf Cain zu. Erneut trafen die Klingen aufeinander, 'Gyouten' brach dabei ein kleines Stück aus dem gegnerischen Schwert. Die beiden Rivalen sprangen wieder auseinander und begannen, sich zu umkreisen. Ich kann nicht mehr viel Energie aus meinem Shinken ziehen. Ich muss diesen Kampf bald beenden, sonst wird mein Leben beendet. Da auch Cain keine Anstalten für einen Angriff machte, erwachte in Zetsu der Verdacht, dass sein Gegenstück genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Also musste Zetsu den nächsten Schritt machen, wenn er lebend herauskommen wollte. Er musste nur zusehen, dass es schnell gehen würde. Mit diesem Entschluss griff Zetsu ihn wieder an. Cain wehrte den Angriff ab, sein Arm zitterte bereits, so dass er den anderen zur Unterstützung nahm. Zetsu nutzte die Gelegenheit, er holte noch einmal aus. Der Schwarzhaarige ging ächzend in die Knie, gleichzeitig wurde eine Art Schockwelle aktiviert, die Zetsu wieder zurückwarf, so dass er direkt in die Windschutzscheibe eines herumstehenden Autos geschleudert wurde. Die Scherben bohrten sich in seine Hände, während er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Doch die Schmerzen blieben aus. Ob es am Adrenalin lag oder an 'Gyouten', er fühlte absolut nichts – was ihm in diesem Moment äußerst gelegen kam. Er wischte sich die großen Scherben an seiner Hose ab, dann fasste er sein Shinken wieder fester. Cain atmete heftig. „Wenn du die Macht von Rutsuruji bist, ist da aber nicht viel dran“, meinte Zetsu schmunzelnd. „Du schwächelst ja schon.“ „Du verdammter...!“ Der Schwarzhaarige ging in die Knie. „Wie kann das sein? Ich muss... nur noch ein wenig...“ Zetsus Blick fiel auf das beschädigte Schwert seines Feindes. Das schwarze Glühen schien langsam nachzulassen, Mana-Partikel schwebten von der Klinge und verloren sich in der schwarzen Nacht. Er dachte an die zischende Stimme von vorhin zurück. Lügner, hm? Dann ist dieser Kerl gar kein Teil von mir? Aber warum hat er das dann behauptet? Und wer oder was ist er wirklich? Cain versuchte, sich wieder aufzurichten. Zetsu stellte sich direkt vor ihn. „Ich weiß nicht, wer oder was du bist und ich glaube nicht, dass du wirklich ein Teil von Rutsuruji warst. Aber ich werde dich trotzdem töten müssen. Hoffentlich stört dich das nicht.“ Cain hob den Kopf, seine Stimme überschlug sich fast vor Panik: „Nein, warte! Tu das nicht, bitte!“ Ohne jeden Funken Mitgefühl zerteilte Zetsu seinen Gegenüber. Als der Körper auf den Boden aufschlug, erzeugte er kein klatschendes Geräusch, sondern ein hölzernes. Nanashi schwebte wieder zu ihm. „Er hatte nichts mit Rutsuruji zu tun, nicht?“ Zetsu schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht.“ Er kniete sich neben den Körper und untersuchte ihn genauer. Es war lediglich eine Art Puppe, die irgendwie eine Gestalt ähnlich seiner hatte annehmen können. Das erklärte, warum Cain dermaßen rücksichtslos gewesen war: Ihm hatten einfach Gewissen und Moralvorstellungen gefehlt. Dann war die treibende Kraft... Zetsu sah zum Schwert hinüber, das im Asphalt steckte. Je mehr Mana es verlor desto mehr wurde es zu Stein – bis es schließlich vor seinen Augen zerbröckelte. „Ich habs doch gesagt.“ Die Stimme in seinem Inneren klang eindeutig wie die von Rutsuruji. Vielleicht hätte Zetsu wirklich früher auf ihn hören sollen. Nanashis Blick ging immer wieder zwischen beidem hin und her. „Wer hat diese Puppe nur geschickt?“ Zetsu lachte durch die Nase. „Na, wer wohl? Ich wette mit dir, dass das die Bringer des Lichts waren. Immerhin habe ich ihre Reihen ganz schön dezimiert.“ Er richtete sich wieder auf. „Das bedeutet, sie haben Angst vor mir.“ „Oder sie wollten eure genaue Kampfkraft austesten.“ „Das kann auch sein.“ Desinteressiert zuckte er mit den Schultern. „Nun gut, Nanashi. Lass uns in die Welt gehen, die wir ursprünglich besuchen wollten. Hier gibt es nichts mehr zu holen – und wir können auch nicht hier bleiben.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in ihm eine Gefahr sah, die man eliminieren musste, war ihm zu hoch, weswegen er nur noch weg wollte. Nanashi nickte zustimmend. „Ja, lasst uns gehen, Meister.“ Sie sah noch einmal auf den hölzernen Körper und den Haufen Steine neben diesem, dann öffnete sie einen neuen Spirit Corridor. Nanashi setzte sich auf seine Schulter, worauf er lächelnd durch das Portal schritt. Zurück ließ er nur eine verwüstete Straße, die Überreste seines Gegners und einige verwirrte Beobachter, die nicht verstanden, was eben geschehen war und schon bald die wunderlichsten Geschichten darüber erzählen würden, die Zetsu unwissentlich zu einem Helden machten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)