Color of Twilight von Flordelis (Time of Death and Rebirth) ================================================================================ Kapitel 15: Der Todesengel -------------------------- Mit dem Erwachen kam auch der Schmerz wieder. Jeder einzelne Muskel schrie geradezu, als ob sein ganzer Körper in Flammen stehen würde. Stöhnend öffnete er seine Augen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er solche Schmerzen, bislang hatte er nicht einmal gewusst, dass so etwas überhaupt möglich war. Schritte erklangen. Kurz danach beugte sich jemand über ihn. „Du scheinst wieder wach zu sein.“ „Leider.“ Sein Blick war noch verschwommen, weswegen er das Gesicht nicht erkennen konnte. Allerdings konnte er sehen, dass sich ein Grinsen darauf ausbreitete. „Besser lebendig mit Schmerzen als tot, mhm?“ „Darüber lässt sich streiten.“ Mit zusammengebissenen Zähnen richtete er sich auf. Der Mann neben ihm schmunzelte. „Scheinst ja ein ganz zäher Bursche zu sein.“ Zetsu warf einen Blick umher, als sich dieser wieder klärte. Offenbar befand er sich in einer Hütte, die mit allerlei Utensilien zum Fischen vollgestellt war. Das einzige Licht wurde von einer trüben Öllampe gespendet. „Wo bin ich?“ „In meinem Zuhause.“ Es war ein älterer Mann, dessen Haare und Bart bereits grau geworden waren. Zetsu schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich meine, in welcher Stadt.“ Der Mann nannte ihm einen Namen, der ihm gänzlich unbekannt war. Dennoch ließ er sich nichts anmerken. „Verstehe, danke. Was ist... geschehen?“ Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste. Ich habe dich leblos im Fluss treibend gesehen. Dachte schon, du überlebst das nicht. Aber wie gesagt: Bist ein zäher Bursche.“ Zetsu nickte zustimmend. „Ja, das war ich schon immer.“ Der Blick des Mannes blieb fest auf ihm fixiert, selbst als Zetsu sein Gesicht wieder abwandte und woanders hinsah. Der Silberhaarige sah den Mann wieder an. „Was ist los?“ Er schüttelte den Kopf. „Oh, gar nichts.“ Für eine Weile wurde die Hütte von Schweigen erfüllt, bevor der Mann weitersprach: „Es mag sich unhöflich anhören, aber ich möchte, dass du meine Hütte sofort verlässt, wenn es dir wieder besser geht.“ Zetsu nickte. Einen anderen Plan hatte er ohnehin nicht gehabt. Immerhin bestand die Gefahr, dass der gesuchte Lichtbringer sich immer weiter von ihm entfernte, je länger er irgendwo blieb. Der Mann nickte ebenfalls, deutlich zufrieden mit der Antwort. Der Silberhaarige schwang seine Beine über die Bettkante und ließ sich seine inzwischen getrockneten Sachen geben. Er hatte zwar nicht geplant, in diese Welt zu kommen, aber wenn er schon hier war, konnte er auch nach Spuren eines Lichtbringers suchen. Vielleicht hatte er ausnahmsweise Glück. Kaum war Zetsu angezogen, verließ er die Hütten nach einem letzten Dank und einem knappen Gruß. Er konnte gerade noch die Tür hinter sich schließen, als diese auch schon abgeschlossen wurde, was er mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte. „Ein sehr seltsames Verhalten“, kommentierte die erscheinende Nanashi. Zetsu wandte sich ihr zu. „Weißt du, was geschehen ist?“ „Etwas hat uns aus dem Spirit Corridor geschleudert“, erklärte sie sofort. „Hier seid Ihr direkt aus dem Himmel in einen Fluss gestürzt. Ihr konntet überleben, weil Ihr ein Shinken habt. Es wundert mich ein wenig, dass die Schmerzen so schnell verflogen sind.“ Erst bei ihrem letzten Satz fiel ihm das wieder ein. Probeweise bewegte er seine Arme, aber seine Muskeln schmerzten tatsächlich nicht mehr. „Das wundert mich jetzt auch ein wenig... aber es ist auch gut, nicht?“ Sie nickte bestätigend. Er lächelte kalt. „Gut, dann wollen wir uns mal umsehen.“ Direkt vor der Hütte verlief ein mehrere Meter breiter Fluss, über den eine massive Brücke aus Beton führte. Auf beiden Seiten des Gewässers waren riesige Wolkenkratzer mit Werbebotschaften zu sehen, genau wie in der Welt zuvor. Nur wenige Schritte vom Fluss entfernt, fuhren Autos auf belebten Straßen, Menschen liefen umher, teilweise geschäftig, teilweise gelassen, jeder mit einem mehr oder weniger festem Ziel vor den Augen. Zumindest in dieser Welt brauchte er sich nicht großartig anzupassen, so schien es ihm. Zetsu beschloss, sich unter die Menschen zu mischen. Durch Klatsch und Tratsch erfuhr man oft das meiste über die Lichtbringer. Doch kaum setzte er einen Fuß zwischen die anderen, wechselten die sorglosen Gesichter zu besorgten Grimassen, jeder versuchte einen möglichst großen Bogen um ihn zu machen. Zetsu blieb stehen und beobachtete diese Entwicklung verwirrt. Nanashi neigte den Kopf. „Wie seltsam. Es sieht so aus als ob die anderen Angst vor Euch hätten.“ „So kommt es mir auch vor... dabei war ich hier noch nie zuvor. Meinst du, es hat etwas mit Rutsuruji zu tun?“ „Möglich wäre es“, stimmte sie zu. „Gehen wir weiter?“ Er nickte und lief weiter. Ohne dass er etwas tun musste, teilte sich die Menge vor ihm, so dass er bequem hindurchspazieren konnte. Allerdings blieben seine Gedanken bei der Frage, weswegen die Leute ihn so sehr mieden. Auch wenn er mit dem Gott als Ausrede gekommen war, so glaubte er nicht wirklich daran. Rutsuruji war seit vielen Jahren tot, aber hier wichen ihm alle ohne jeden Unterschied, egal welchen Alters aus. Er war sich sicher, dass einige das nicht tun würden, wenn er nur Teil einer Legende oder eines Glaubens wäre. Also musste die Bedrohung durch ihn um einiges realer und vor allem allgegenwärtig sein. Ein Mann, der scheinbar mit seinem Handy beschäftigt war, wich ihm nicht aus, sondern lief direkt in ihn hinein. Bei dem Zusammenprall fiel dem Mann das Handy allerdings aus der Hand. Wütend sah er Zetsu an – und wich ängstlich zurück. Untertänig verneigte der Mann sich. „Oh, bitte, verzeiht. Ich wollte nicht Euren Zorn erregen.“ Der Silberhaarige neigte den Kopf. „Meinen Zorn?“ Inzwischen waren die Menschen um sie herum in einem Kreis stehengeblieben und beobachteten diese Begegnung interessiert und mit Furcht in den Gesichtern. Sich langsam nach hinten bewegend, verneigte der Mann sich immer wieder. „Die neue Haarfarbe steht Euch ausgezeichnet. Und die Kontaktlinsen lassen Euch gar nicht mehr so blutrünstig erscheinen. Eine gute Entscheidung, mein Herr.“ „Wovon redest du?“, fragte Zetsu genervt. „Oh, bitte, bringt mich nicht um! Ich habe Frau und Kinder!“ Der Silberhaarige hob die Hand, um ihn zu beruhigen, doch stattdessen fuhr der Mann herum und rannte panisch schreiend davon. „A-aber ich wollte doch nur...“ Zetsu wandte seine Aufmerksamkeit auf die Umstehenden zu, die sich ängstlich sofort wieder in Bewegung setzten und hastig weitergingen als wäre nichts geschehen. „Verstehst du das, Nanashi?“ Sie schüttelte langsam ihren Kopf. „Nicht im Geringsten. Das einzige, was ich verstehe ist, dass Ihr einem blutrünstigen Mann dieser Welt ähnlich seht.“ Das erklärte immerhin auch, warum sein Retter ihn so schnell aus seiner Hütte haben wollte. Er musste gewusst haben, dass Zetsu nicht der richtige Böse war, hatte sich aber vor eben diesem gefürchtet. Wer wusste schon, was der Kerl tun würde, wenn er mitbekam, dass irgendwo in dieser Welt ein Doppelgänger von ihm herumspazierte? „Nett“, bemerkte er trocken. „Denkst du, das kann ich ausnutzen, um etwas zu essen zu bekommen?“ „Meister!“, empörte sein Shinjuu sich. Er lachte. „Schon gut, das war ein Witz. Mich interessiert allerdings, wer dieser Kerl ist. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der aussieht wie ich.“ Nanashi lächelte. „Mich interessiert es allerdings auch, wenn ich ehrlich bin. Wir sollten herausfinden, wo er ist und ihn uns mal ansehen.“ „Dann machen wir das“, sagte er lächelnd. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich wieder richtig enthusiastisch und neugierig wie ein Kind. Auch wenn eine Begegnung mit diesem Mann nicht sonderlich erfreulich sein dürfte, wenn er wirklich so blutrünstig war wie dieser Fremde eben gesagt hatte. Allerdings fürchtete Zetsu sich nicht davor, im Gegenteil: Diese Nachricht sorgte nur dafür, dass er noch mehr darauf brannte, seinem Doppelgänger persönlich zu begegnen. Nur wie sollte er herausfinden, wo dieser lebte, wenn ihm jeder bei seinem Anblick bereits auswich und nicht einmal bereit war, auf seine Fragen einzugehen? So lief er ziellos weiter, erhoffte sich, Gesprächsfetzen aufzufangen, die ihm einen Hinweis auf den Aufenthaltsort dieses Mannes gaben. Doch jeder wisperte nur ängstlich über die neue Haarfarbe und die Kontaktlinsen – wenngleich Zetsu nicht einmal wusste, was das überhaupt sein sollte. Es schien ihm als würde er stundenlang im Kreis laufen, bis er schließlich auf einen Mann in Uniform traf, der hastig salutierte. „Sir, alles ruhig, Sir!“ „Ähm... okay?“ Zetsu sah ihn unschlüssig an. Der Soldat schluckte schwer. „Eure neue Frisur sieht wirklich gut aus, Herr und die Kontaktlinsen unterstreichen Euren neuen Stil perfekt – wenn ich das sagen darf.“ „Danke...“ Der Silberhaarige zögerte einen Moment. „Ich scheine heute nicht ganz bei mir zu sein. Wo lebe ich nochmal?“ Entgegen Zetsus Befürchtung schöpfte der Soldat keinerlei Verdacht, sondern deutete in eine bestimmte Richtung. „Einfach dort hinüber, über die Hauptstraße und Ihr werdet es sofort sehen. Es ist das größte Gebäude in dem Viertel.“ „Vielen Dank.“ Zetsu ging weiter. Dabei hörte er hinter sich, wie der Soldat sich mit einem Kameraden darüber unterhielt, dass der Chef seinen neuen Stil wohl mit einem neuerlichen Umtrunk gefeiert hätte. Ich bin gespannt darauf, diesen Kerl mal zu treffen. „Und ich erst.“ Er folgte den Anweisungen des Soldaten, bis er tatsächlich ein protziges Gebäude vorfand, das bis hoch in den Himmel ragte. Im Vergleich zu den Hochhäusern in einem anderen Viertel der Stadt war es zwar eher mickrig, aber es schien extra in einer Gegend mit ansonsten kleineren Gebäuden gebaut worden zu sein, um dennoch hervorzustechen. Nicht zuletzt durch ein großes leuchtendes Schild, auf dem Zeichen zu sehen waren, die in vielen Welten als asiatisch bezeichnet wurden. Zetsu neigte den Kopf. Er deutete auf die Zeichen, die auf dem Haus zu sehen waren. „Was bedeuten die?“ Nanashi runzelte ihre Stirn. „Nun, ähm...“ „Aber das lernt doch jeder“, bemerkte eine Stimme neben Zetsu plötzlich. Erschrocken wandte er den Kopf und entdeckte einen kleinen Jungen, der ihn mit großen Augen ansah. Als einziger in dieser Welt schien er keinerlei Furcht vor ihm zu haben. Zetsu kniete sich vor den Jungen. „Kannst du mir dann sagen, was sie bedeuten?“, fragte er lächelnd. Der Junge nickte, sein Gesicht strahlte geradezu. „Da steht Akatsuki Cain. Er ist ein furchterregender Mann, dem dieses Haus gehört.“ „Warum ist er so furchterregend?“, fragte Zetsu neugierig. Akatsuki? Genau wie mein Name. Lediglich sein Vorname ist anders. Nachdenklich legte der Junge einen Finger an seinen Mund. „Nun, meine Mama sagt, er lässt Leute verschwinden, die er nicht mag. Deswegen nennen ihn alle Engel.“ Nanashi sog erschrocken die Luft ein. „Das bedeutet ja...!“ Der Junge sah das Shinjuu an, sofort strahlte sein Gesicht wieder. „Wo kriege ich so eine Puppe her? Die ist ja toll!“ Zetsu musste nichts mehr darauf antworten, denn plötzlich tauchte eine verhuscht aussehende Frau auf, die den Jungen hastig mit sich zog. Dabei schärfte sie ihm ein, nicht mehr mit Fremden zu sprechen oder einfach davonzulaufen. Fast schon betrübt sah Zetsu ihm hinterher, bis er sich Nanashi zuwandte. „Was würde das bedeuten?“ „Sie hat dem kleinen Jungen erzählt, dass er Menschen verschwinden lässt, was bedeutet, dass er diese umbringt. Darum haben alle Angst vor ihm. Er ist ein richtiger Todesengel.“ Der Enthusiasmus machte Nachdenklichkeit Platz. Aber sein Entschluss, diesen Mann zu treffen, geriet nicht im Mindesten ins Wanken. Sogar im Gegenteil. Nun wollte er ihn umso mehr treffen, um sich nicht nur selbst ein Bild von ihm zu machen, sondern ihn womöglich sogar aufzuhalten, wenn es sein musste. Nanashi merkte, was in ihm vorging und lächelte. „Wollen wir gehen, Meister?“ Er nickte zustimmend und überquerte die Straße. Als er die Eingangstür hinter sich ließ, entdeckte er mehrere Kameras, die ihn von der Decke aus beobachteten. Mit Mühe kämpfte er den Drang nieder, zu winken, stattdessen trat er an den Empfangsschalter, der genau wie der Boden und die Wände aus massivem Granit zu sein schien. Die Frau hinter dem Schalter – eine wahnsinnig junge Frau mit strohblondem Haar – lächelte nervös. „Wie kann ich helfen?“ „Ich hätte gern einen Termin bei Akatsuki-sama“, sagte er lächelnd. Da sie als bislang einzige zu wissen schien, dass er nicht der sogenannte Engel war, versuchte er es einfach mal auf diese Art und Weise. Vielleicht würde sein Charme ja wirken. Sie senkte den Blick als ob sie auf den Bildschirm ihres Computers sehen würde und druckste um die Antwort herum. Zetsu schien es eine Ewigkeit, bis schließlich das Telefon klingelte und der Empfangsdame so die Antwort abnahm. Sie sagte nichts, sondern lauschte der Stimme am anderen Ende nur. Grußlos legte sie wieder auf, ihr Blick um einiges gefestigter. „Akatsuki-sama erwartet Euch bereits. Nehmt bitte den Aufzug in den dreißigsten Stock.“ Zetsu nickte und begab sich in die Richtung, die ihm von der Frau gewiesen worden war. Aufzüge hatte er bislang immer nur beobachtet, noch nie war er mit einem gefahren. Bislang war ihm die Möglichkeit nicht vergönnt gewesen, so dass er die Maschinen nur argwöhnisch von außen betrachten konnte. Dies würde das erste Mal sein, dass er wirklich mit einem solchen Ding fahren würde. Es machte ihn ein wenig nervös, aber er versuchte wie üblich, sich nichts anmerken zu lassen. Dafür war nun immerhin keine Zeit. Als er wieder an den Mann dachte, der ihn oben erwarten würde, wurde seine Nervosität erneut von Neugierde verdrängt. Er wurde also von ihm erwartet... hoffentlich war das keine Falle, in die er gerade blind hineintappte. Nanashi klopfte ihm zuversichtlich auf die Schulter. „Nur keine Sorge, Meister, Ihr schafft das schon. Habt keine Angst.“ Er nickte zustimmend. Mit einem leisen Klingeln öffneten sich die Aufzugtüren. Der Boden war mit Marmorplatten, passend zum Eingangsbereich, ausgelegt, die Wände bestanden aus Spiegeln. Es war Zetsu als könne er einen dunklen Schatten hinter sich schweben sehen. Doch als er den Kopf wandte, war nichts zu sehen. Er zuckte mit den Schultern und betrat die kleine Kabine. Auf einem Display neben der Tür war eine lächerlich große Anzahl an Knöpfen befestigt. Warum brauchte dieser Kerl so viele Etagen? Was gab es in diesem Gebäude? Schließlich drückte er den Knopf für das dreißigste und höchste Stockwerk. Lautlos schlossen sich die Türen wieder, der Aufzug setzte sich in Bewegung. Zetsu spürte einen leichten Druck auf seinem Ohr, während er auf einem Display oberhalb der Tür beobachtete, wie sich die Ziffern veränderten – bis sie schließlich bei 30 stehenblieben, begleitet von einem erneuten Klingeln. Zetsu atmete noch einmal tief durch. Die Türen fuhren auseinander und gaben den Blick auf ein riesiges Büro frei. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst von der riesigen Glasfront hinter einem ausladenden Schreibtisch angezogen. Von hier aus schien man die ganze Stadt überblicken zu können. Wie hypnotisiert trat Zetsu aus dem Aufzug, hinter ihm schlossen sich die Türen wieder. Zuletzt fiel sein Blick auf die Person hinter dem Tisch. Abgesehen von den schwarzen Haaren und den roten Augen schien er eine exakte Kopie von ihm selbst zu sein. Unwillkürlich fuhr ihm ein Schauer über den Rücken. Der Schwarzhaarige lächelte kalt. „Herzlich Willkommen in meinem Reich, Zetsu Akatsuki. Mein Name ist Cain Akatsuki, wie schön, dass du mich besuchen kommst. Lass uns etwas Spaß haben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)