Color of Twilight von Flordelis (Time of Death and Rebirth) ================================================================================ Kapitel 9: Der weiße Fuchs und sein Meister ------------------------------------------- Nachdenklich saß Zetsu auf der Kaimauer und knabberte gedankenverloren an einem Brötchen, das er geschenkt bekommen hatte. Dabei starrte er auf das Meer und auf das verloren wirkende Segelschiff am Horizont, das immer kleiner wurde. Diese Welt erinnerte ihn von der Mentalität der Menschen und deren Kleidung sehr an seine Welt – nur gab es hier sehr viele Leute, eine große Städte und eben auch das Meer. Der Ozean war das erste gewesen, was er in dieser Welt erblickt hatte und an dem er sich immer noch nicht satt sehen konnte. So war die erste Erkundung der Stadt und ihrer Leute sehr kurz ausgefallen, stattdessen war er wieder an den Hafen zurückgekehrt, um weiter zu staunen. Seine Gedanken kreisten allerdings immer noch um das Mädchen aus der Welt zuvor. Er fragte sich, ob es ihr gut ging oder ob sie stark verletzt worden war. Sein Shinken hatte von alleine gehandelt und ihm keinerlei Fragen darüber gestellt, ob er das überhaupt wollte. Dabei war sein eigentliches Ziel doch die Götter, die für den Untergang seiner Welt verantwortlich waren und nicht irgendwelche anderen Shinken-Träger. Auch wenn er sich immer noch wunderte, warum sie den Namen des Gottes, der er mal gewesen war, gekannt hatte und weswegen sie ihn den Boten des Unglücks genannt hatte. Und wer war nur Jiruol? Wenn er Nanashi auf das Thema ansprach, blockte sie immerzu ab. Er wusste, dass sie um einiges mehr wusste als er und doch sagte sie ihm nichts. Fürchtete sie, dass die Wahrheit so schlimm für ihn war oder gab es einen anderen Grund, weswegen sie darauf bestand, dass er es selbst herausfinden musste? Eine Möwe näherte sich ihm, während er noch an seinem Brötchen kaute. Interessiert blickte er den weißen Vogel an, dieser musterte ihn wiederum ebenfalls als ob er das erste Mal einen seiner Art sehen würde. Schließlich reichte Zetsu der Möwe das letzte Stück, das sie gierig schnappte und dann in sichere Entfernung watschelte, um die Beute gefahrlos verschlingen zu können. Der Junge lächelte. Nanashi, die wie üblich auf seiner Schulter saß, seufzte leise. „Meister, wir sollten uns langsam überlegen, wie es nun weitergeht. Oder habt Ihr Eure Rache schon vergessen?“ Wie sollte er so etwas Wichtiges vergessen? Nur deswegen hatte er seine Welt überhaupt verlassen. „Nein, natürlich nicht. Was schlägst du vor?“ Nachdenklich runzelte sie ihre Stirn. Nach einigen Minuten des Schweigens stand Zetsu auf. „Sehen wir uns einfach noch eine Weile in der Stadt um. Vielleicht kommt uns dann eine Idee.! Erleichtert über diesen Vorschlag nickte sie. Der Hafen war eine äußerst belebte Gegend. Matrosen liefen geschäftig umher, brachten Kisten von hier nach dort und wieder zurück, riefen sich gegenseitig Befehle zu oder lachten über gelungene Scherze. Es war alles viel lauter als Zetsu es gewohnt war und genau deswegen liebte er es. Er trat auf die Hauptstraße, die vom Hafen zum Stadtausgang führte, doch der Lärm brach nicht ab, sondern schien im Gegenteil nur noch lauter zu werden. Marktstände säumten die Straße, Händler priesen lautstark ihre Ware an, feilschten mit ihren Kunden, kleinere Gruppen von Menschen standen in unregelmäßigen Abständen beisammen und tratschten über die neuesten Ereignisse, die vorgefallen waren. Es war alles so lebendig, dass Zetsu sich wünschte, ein Teil davon sein zu können. Doch es ging einfach nicht weiter. Über kurz oder lang müsste er diese Welt wieder verlassen und weiterziehen und er wusste nicht, ob er jemals wieder hierher zurückkehren oder gar überleben würde. Mehrere Gruppen, an denen er vorbeikam, unterhielten sich über einen „süßen Fuchs“, der öfter zwischen den Ständen zu sehen war. Nanashi lauschte interessiert, während Zetsu einfach an ihnen vorbeilief ohne die Leute zu beachten. Am Ende der Hauptstraße angekommen, bog er nach rechts ab. Ihm stand nicht der Sinn danach, die Stadt zu verlassen, also ging er in eine der Seitenstraßen, um sich dort umzusehen. Dabei strich er über die Wände der Häuser. Genau wie in seiner Welt waren sie völlig aus Stein, möglicherweise hatte seine Heimat auch einmal so ausgesehen und war so belebt gewesen. Der Gedanke tröstete ihn ein wenig, stimmte ihn auf der anderen Seite aber auch traurig. Auch diese Welt würde irgendwann vor dem Ende stehen und nur noch aus Sand bestehen, so wie seine Heimat. Würde es dann auch jemanden geben, der ausziehen würde, um den Untergang zu rächen? Oder würden diese Bewohner es widerstandslos über sich ergehen lassen? Noch während er darüber nachdachte, lenkte etwas seine Aufmerksamkeit auf sich. Etwas Weißes verschwand in einer Seitengasse. Nicht lange danach folgten ihm mehrere Personen hinein. Zetsu erkannte in diesen Personen die Lakaien. Aber was taten sie hier? Neugierig ging er näher, um einen Blick in die Gasse zu werfen. Gegenüber den Lakaien stand ein Tier, das Nanashi als Fuchs bezeichnete. Das Fell war schneeweiß, es besaß vier buschige Schweife, die bedrohlich in die Luft gestreckt waren, die blauen Augen glühten regelrecht. Gebannt starrte Zetsu das Tier an. Noch nie hatte er so etwas Reines und Wunderschönes gesehen, zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Die Lakaien näherten sich dem Fuchs, der ein warnendes Knurren ausstieß. Die Frauen ließen sich nicht davon beeindrucken und kamen näher. Das Tier schloss darauf die Augen, eine sanfte Melodie erklang, visuell begleitet von Musiknoten, die Zetsu staunend betrachtete. Die bunten Noten tanzten um den Fuchs herum, hüllten ihn komplett in einen glitzernden Schleier von goldenem Mana ein. Gerade als die Lakaien sich wieder auf ihn stürzen wollten, riss der Fuchs seine Augen auf. Funken sprühten von seinem Schweif, im nächsten Moment wurden die Lakaien von einer unsichtbaren Macht zurückgeschleudert, noch in der Luft lösten sie sich in Mana auf. Von dem Geschehen beeindruckt, starrte Zetsu solange auf die Funken, bis diese sich vollständig aufgelöst hatten. Es war auf jeden Fall kein normaler Fuchs, nein, er schätzte, dass es ein Shinjuu war, was Nanashi ihm auch bestätigte. Der Fuchs lief auf Zetsu zu und blieb vor ihm stehen. Das Tier hob den Blick, betrachtete seinen Gegenüber eindringlich. Der Junge erwiderte den Blick völlig gelassen. In den Augen des Fuchses glaubte er, unendliche Weisheit zu sehen, Wissen, von dem niemand sonst auch nur ahnte. Ganz anders als der Blick in die Augen von Nanashi. Schließlich wandte sich das Tier von ihm ab und lief davon. Ein wenig enttäuscht sah Zetsu ihm hinterher, nur um zu sehen, wie der Fuchs wieder stehenblieb und ihn auffordernd ansah. Sollen wir ihm folgen?, fragte Zetsu. Nanashi legte den Kopf schräg. „Ich bin mir nicht sicher. Wer weiß schon, wo er uns hinführen wird? Andererseits können wir vielleicht etwas lernen. Also folgen wir ihm lieber.“ Aufgeregt tat der Junge, was Nanashi vorschlug und folgte dem Fuchs. Mit seinen vier Beinen war das Tier um einiges schneller als er, aber jedesmal, wenn er kurz davor war, es aus den Augen zu verlieren, blieb es stehen und wartete wieder auf ihn. Der Fuchs führte ihn aus der Stadt hinaus in den Wald, der Zetsu schon um einiges weniger mystisch erschien als der auf der Welt zuvor. Zwischen den Bäumen tauchte eine kleine Hütte auf. In den Bäumen um die Hütte herum waren kleine Metallstückchen an Fäden aufgereiht. Bei der kleinsten Berührung begannen diese Stückchen zu klingen. Wofür diese Vorrichtung wohl diente? Zetsu konnte es sich nicht vorstellen, besonders weil allein schon der Wind das Klingeln auslöste. Vor der Hütte stand eine hölzerne Bank, die nur grob bearbeitet worden war, um als Sitzmöbel dienen zu können. Auf der Bank saß ein jung aussehender Mann mit kurzem, hellblauen Haar. Als er den Kopf hob, bemerkte Zetsu auch den müden Blick des Mannes. Der Junge blieb stehen, als die Stücke erneut klimperten. Der Mann sah wieder in eine andere Richtung, Zetsu folgte dem Blick. Mehrere Lakaien traten aus dem Wald, sie traten auf den Unbekannten zu. Der Junge trat ängstlich zurück. Was wollten die Wesen nun auch noch hier? Mit Bewegungen, die wirkten als wäre der Mann gerade eben erst aufgewacht, erhob er sich. Gelangweilt blickte er die Lakaien an. Ohne etwas zu sagen, zog er aus dem Nichts ein Schwert, das Zetsu sehr an sein Shinken erinnerte. Die Augen des Jungen konnten den Bewegungen des Mannes gar nicht folgen. Schon nach wenigen Sekunden gehörten die aufgetauchten Lakaien der Vergangenheit an, das Schwert verschwand wieder. Die Bewegungen waren so routiniert gewesen, dass Zetsu den Eindruck bekam, dass dieser Mann das öfter machte. Der Fuchs trottete zu dem Mann hinüber, der inzwischen zu Zetsu blickte. „Wer bist du?“, fragte der Mann. Der Junge schluckte schwer. „I-ich bin Zetsu Akatsuki.“ Der Blick des Fremden ging zu dem Shinken an der Hüfte des Jungen. „Du bist... ein Träger. Aber du gehörst nicht zu ihnen, oder?“ „Zu wem?“ Das schien dem Mann Antwort genug zu sein, denn er fragte nicht weiter. „Ich möchte, dass du gehst. Du hast hier nichts verloren.“ Doch Zetsu ging nicht. Stattdessen sah er immer noch den Mann an. „Wie heißt du denn?“ Er zögerte für einen Moment, doch dann antwortete er doch: „Mein Name ist Jinmu.“ „Du hast ein Shinken“, fuhr Zetsu fort. „Und du kannst so toll damit umgehen...“ Bewunderung schwang in seiner Stimme, doch Jinmu ließ das kalt. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Möglich. Du solltest gehen, hier ist kein Platz für dich.“ Er machte Anstalten, in seine Hütte zurück zu kehren, doch der Fuchs stellte sich ihm in den Weg. Beide lieferten sich ein Blickduell, das Zetsu angespannt verfolgte. Reden sie über ihre Gedanken? „Ja, ich denke schon. Ich frage mich, was dieser Fuchs ihm sagt.“ Schließlich seufzte Jinmu. „Ich verstehe. Dennoch, Kitsuya... ich kann nicht, nein.“ Der Mann sah Zetsu wieder an. „Geh endlich, Junge. Ich werde dir nicht helfen.“ Damit trat der Fuchs beiseite und ließ Jinmu die Hütte betreten. Enttäuscht sah Zetsu ihm hinterher. Dieser Mann verkörperte genau das, was er erreichen wollte. Er wollte nicht nur so spielerisch leicht mit seinem Shinken umgehen können, er wollte die Kraft haben, sogar einen Gott zu schlagen. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass Jinmu ihm genau zu dieser Kraft verhelfen könnte, woher auch immer diese Gewissheit kam. Aber wie sollte er den Mann dazu überreden, ihm zu helfen? Er wollte offensichtlich doch nicht einmal mit ihm sprechen. Mit einem Seufzen ließ sich Zetsu auf die Bank vor der Hütte fallen. Nachdenklich starrte er in die Umgebung und dachte dabei über diesen Mann nach. Warum waren die Lakaien hinter ihm her, so sehr, dass sie sogar sein Shinjuu verfolgten? Der Fuchs setzte sich neben die Bank und hob den Kopf, um Zetsu anzusehen. Der Junge erwiderte den Blick. Es schien ihm als würde das Tier mit ihm reden und ihm sagen, dass er nicht einfach aufgeben sollte. „Er hat recht, Meister. Ihr könnt nicht aufgeben, Ihr müsst Jinmu überreden, Euch zu helfen, egal wie.“ Zetsu nickte zustimmend. Außerdem sah ihm Aufgeben gar nicht ähnlich. Nur wie das mit dem Überreden funktionieren sollte, wusste er noch nicht. Doch der Fuchs Kitsuya wusste auch darauf eine Antwort. Er gab ihm zu verstehen, dass er einfach hier warten sollte. Es würde nicht lange dauern, bis Jinmu nachgeben und ihm seinen Wunsch erfüllen würde. Der Junge nickte noch einmal, worauf der Fuchs zufrieden ebenfalls in die Hütte hineinging. Nanashi, die immer noch auf seiner Schulter saß, seufzte leise. „Dann warten wir jetzt.“ Die Stunden vergingen, langsam wurde es Abend, ohne dass etwas geschah. Zetsu und Nanashi starrten schweigend in den Wald, während sie darauf warteten, dass Jinmu endlich nachgab. Je mehr Zeit verging desto hoffnungsloser wurde Zetsu. Was, wenn Kitsuya sich irrte? Dieser Mann wäre der perfekte Lehrmeister, schon allein weil sie dieselbe Art von Shinken führten, außerdem wollte Zetsu noch so viel mehr von diesem Mann wissen. Warum lebte er in diesem Wald? Warum wurden er und sein Shinjuu von Lakaien verfolgt? Und warum sah er so traurig aus? Die Dämmerung setzte ein, aber von Jinmu war immer noch nichts zu sehen, aus der Hütte drangen auch keine Geräusche, die darauf schließen ließen, dass er vorhatte, wieder herauszukommen. Zetsu seufzte leise. Nanashi tätschelte ihm den Kopf. „Nur Mut, Meister, das wird schon. Er wird uns bestimmt nicht über Nacht hier sitzen lassen.“ Ihre aufmunternden Worte verliehen ihm wieder neue Zuversicht. Eine weitere Stunde verging und es war bereits dunkel geworden, als Schritte im Inneren der Hütte erklangen. Im nächsten Moment stand Jinmu bereits in der offenen Tür, helles Licht fiel auf den Waldboden. Zetsu sah ihn gespannt an. Der Mann setzte sich schweigend neben ihn. Beide starrten stumm vor sich hin, bis Jinmu schließlich das Schweigen brach: „Es ist dir also ernst?“ Der Junge stutzte. Wusste der Mann etwa von seinen Plänen? „Für was kämpfst du?“, fragte Jinmu weiter. „Rache“, antwortete er prompt. „Ich will die Götter töten, die für den Untergang meiner Welt verantwortlich sind. Nein, ich muss sie töten.“ Jinmu sah ihn prüfend an, der Blick immer noch müde und traurig. „Rache ist keine gute Motivation zu kämpfen. Du solltest dich von diesem Weg abwenden, solange es geht.“ Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, schüttelte Zetsu heftig seinen Kopf. „Nein, niemals! Ich muss das tun!“ Er war selbst überrascht über die Leidenschaft, die plötzlich in seiner Stimme mitschwang. Auch Jinmus Blick änderte sich – allerdings zum Negativen, denn er erhärtete sich. „Dann kann ich dir nicht helfen, es tut mir Leid.“ Er stand wieder auf, um hineinzugehen. In einem Anfall von Verzweiflung sprang Zetsu auf, er stellte sich vor Jinmu. „Bitte! Du musst mir helfen! Ich muss Isbel und die verwaltenden Götter töten! Es ist meine Pflicht!“ Bei der Erwähnung von Isbel zuckte Jinmu zusammen. Sein Blick wandelte sich zu Überraschung. „Hast du Isbel gesagt?“ Der Junge nickte. Der Name schien etwas in dem Mann auszulösen, Zetsu hoffte nun, dass die richtige Reaktion darauf folgen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte Jinmu schwer. „In Ordnung, ich werde dir helfen. Aber es wird nicht leicht werden. Bist du sicher, dass du das über dich ergehen lassen willst?“ Zetsu nickte ohne nachzudenken. Was immer es kosten würde, Rache zu nehmen, er würde den Preis bezahlen – denn dies war sein letzter Liebesbeweis für alle, die er je gekannt hätte. „Gut“, sagte Jinmu. „Wir werden morgen anfangen und zwar direkt bei Tagesanbruch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)