Color of Twilight von Flordelis (Time of Death and Rebirth) ================================================================================ Kapitel 1: Eine Welt voll Sand ------------------------------ Die Zeit verging und aus dem kleinen Baby, das die letzte Hoffnung einer verlorenen Welt war, wurde ein neugieriger Junge mit silberweißem Haar und stahlblauen Augen. Auch wenn er nicht verstand, weswegen, wurde er von allen Leuten, die er kannte, wie ein Schatz behandelt und von vielen wie ein Gott verehrt. Er genoss es sichtlich und sah jedem neuen Tag mit mehr Optimismus entgegen. Sein Glaube an die Zukunft gab den Menschen um ihn herum diesen vergessen geglaubten Glauben ebenfalls zurück. Zwar schien sich die Wüste immer mehr auszubreiten und mit jedem Tag mehr von der einstmals blühenden Landschaft zu zerstören, doch kümmerte das kaum noch jemanden. Die gesamte Welt aller Menschen drehte sich nur noch Zetsu, das letzte Kind ihrer geliebten Heimat. Doch je älter Zetsu wurde desto öfter stellte er sich selbst die Frage, was für die Entstehung dieser Wüste verantwortlich war. Immer häufiger verbrachte er seine Zeit damit, vor seinem Haus zu sitzen und auf das endlos erscheinende Sandmeer zu starren, ungeachtet der Sonne, die ihn zu blenden drohte. Zehn Jahre nach seiner Geburt war er wieder einmal damit beschäftigt. Grübelnd sah er an den Horizont, wo er einen Turm in den Himmel ragen sehen konnte – zumindest glaubte er das. Die Sonne machte es schwer, etwas in der Entfernung zu erkennen. Allerdings hatte seine Tante Hinome ihm auch bereits erklärt, dass es am anderen Ende der Welt einen Turm gab, der den Himmel berührte und einen Gott beherbergte. Doch warum sollte ein Gott in einer sterbenden Welt voller Sterblichen leben? Warum befand er sich nicht einfach dort, wo sich Götter sonst aufhielten? Wo auch immer das war... Als er Schritte hörte, wandte er den Kopf. Yoruna stand da und sah ihn lächelnd an. Zetsu liebte seine Mutter, sie war ein warmherziger und liebevoller Mensch und auch wenn alle anderen ihn schon wie einen Schatz behandelten, so hatte er doch das Gefühl, dass er für seine Mutter noch wertvoller war als ein Schatz. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und legte einen Arm um seine Schulter. Lächelnd schmiegte er sich an sie. „Was tust du, mein kleiner Liebling?“, fragte sie sanft. Er deutete zum Turm hinüber. „Ich habe über Gott nachgedacht. Warum lebt er hier?“ Yoruna lächelte warm. „Du stellst interessante Fragen für dein Alter, genau wie dein Vater.“ Ihr Blick schweifte ebenfalls zum Horizont, ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. „Ich weiß auch nicht, warum dieser Gott hier wohnt. Ich war auch nicht dabei, als dieser Welt der Untergang angekündigt wurde, immerhin ist es schon einige hundert Jahre her. Weißt du...“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr: „Früher war dies eine fruchtbare Welt. Es gab keine Wüste, dafür unendlich erscheinende Weiden, Wälder und unzählige Tiere.“ Für einen Moment versank sie in ihre eigenen Gedanken. Es schien als versuchte sie sich das Bild vor Augen zu führen, auch wenn sie es nie selbst gesehen hatte. Zetsu betrachtete seine Mutter interessiert. Er wusste nicht, wie er sich das vorstellen sollte, all die Dinge, die sie aufgezählt hatte, waren ihm völlig unbekannt. Schließlich fuhr sie mit ihrer Erzählung fort: „Wie du dir vorstellen kannst war es eine Welt, reich an Mana. Aber dann kam eines Tages ein Gott. Er verkündete den Untergang dieser Welt und fortan nahm das Mana immer mehr ab.“ „Mana... was ist das?“ Sie sah wieder ihn an und lachte leise. „Alles besteht aus Mana, diese Welt lebt davon. Selbst du bist aus Mana.“ Spielerisch kniff sie ihm in die Wange, was er mit einem empörten Ausdruck quittierte. Doch plötzlich fiel ihm etwas auf: „Bin ich deswegen das letzte Kind dieser Welt?“ Auch wenn er so viel Aufmerksamkeit von den Erwachsenen bekam, fühlte er sich manchmal doch einsam, so ganz ohne gleichaltrige Freunde. Yoruna nickte. „Das ist richtig. Es ist fast schon ein Wunder, dass du geboren wurdest. Umso glücklicher sind wir alle darüber, denn du hast uns gezeigt, dass Hoffnung nicht immer vergeblich ist.“ Lächelnd schmiegte er sich noch dichter an sie, wurde dann aber wieder ernst: „Was geschieht, wenn das Mana vollkommen alle ist?“ „Dann wird diese Welt sterben.“ „Aber warum?“ Ein bitterer Zug huschte über Yorunas Gesicht. „Das ist der Lauf aller Dinge. Auch Menschen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Das ist Schicksal.“ Er seufzte. „Schicksal ist blöd.“ Sie lachte amüsiert. „Kindermund tut Wahrheit kund, hm? Leider kann man gegen das Schicksal nicht ankämpfen, so sehr man das auch möchte.“ Mit gerunzelter Stirn sah er wieder zum Turm hinüber. Er wusste nun, weswegen es in dieser Welt so viel Sand und außer ihm keine Kinder gab. Aber seine Frage, warum ein Gott in einem Turm lebte, war immer noch nicht geklärt. „Wofür gibt es diesen Turm denn?“, fragte er weiter. Yoruna kam nicht zum Antworten. Jemand setzte sich auf Zetsus andere Seite und lachte leise. „Du bist auf alle Fälle mein Sohn.“ Hidaka lächelte beide an, seine goldenen Augen glitzerten leicht. Er lächelte selten, aber wenn, dann war es ein durchaus ehrliches Lächeln und hauptsächlich galt es seiner Frau oder seinem Sohn. „Hast du daran etwa gezweifelt?“, fragte Yoruna schmunzelnd. „Bei einer so wundervollen Frau muss man doch zweifeln. Es ist doch immerhin kaum zu glauben, dass du nur mir gehörst.“ Leise kichernd wandte sie ihren Blick ab, um ihr verlegenes Gesicht nicht zeigen zu müssen. Mit leuchtenden Augen blickte Zetsu seinen Vater an. Hidaka war immer so vernünftig und gelassen und manchmal so unbeschwert, genau wie er wollte der Junge auch sein, wenn er älter war, für ihn gab es kein besseres Vorbild. „Also wofür ist denn nun der Turm?“, fragte Zetsu erneut. Hidaka fuhr ihm durch das Haar. „Bislang wissen wir das selbst noch nicht. Aber deine Eltern werden das herausfinden.“ Verwirrt blickte er zwischen beiden hin und her. Yoruna nickte zustimmend. „Dein Vater und ich werden mit einigen Freunden den Turm erkunden. Wir sind genauso neugierig wie du.“ „Ist das nicht gefährlich?“, fragte Zetsu ehrfürchtig. „Vielleicht“, meinte Hidaka. „Aber wir sind nicht umsonst abenteuerlustig.“ „Kann ich mitgehen?“ Die Erwachsenen lachten leise, was ihm Antwort genug war. Er seufzte traurig. „Aber seid vorsichtig. Vielleicht wird der Gott wütend, wenn ihr sein Heim besucht.“ „Nur keine Sorge“, versuchte Hidaka ihn zu beruhigen. „Wir werden auf jeden Fall zu dir zurückkommen.“ „Wann geht ihr denn?“, fragte der Junge weiter. Die beiden Erwachsenen standen auf und klopften sich den Staub von den Sachen. Fragend stand Zetsu ebenfalls auf. Als Gekkyu und Hinome ebenfalls dazukamen, runzelte Zetsu seine Stirn. „Dann geht ihr jetzt schon?“ Yoruna nickte. Sie umarmte ihren Sohn noch einmal innig. „Keine Sorge, wir sind bald wieder da. Solange werden dein Onkel und deine Tante auf dich aufpassen. Sei brav und stell keinen Unsinn an.“ Hinome lachte leise. „Wir werden schon miteinander auskommen. Stimmts, Zetsu?“ Der Junge nickte zustimmend. „Ganz bestimmt.“ „Also macht euch keine Sorgen“, meinte Gekkyu. „Seht lieber zu, dass ihr keinen Schwachsinn anstellt.“ Nicht lange nach dem Abschied waren Zetsus Eltern und die Freunde, die mit ihnen losgezogen waren, nicht mehr zu sehen, egal wie angestrengt er an den Horizont starrte. Mit einem sanften Lächeln zog Hinome ihn schließlich ins Haus hinein. „Du solltest nicht zu sehr auf die Wüste starren. Irgendwann wirst du sonst noch blind.“ Hinome war die Schwägerin von Hidaka. Sie war ein wenig älter als Yoruna, aber dennoch lebhaft und innerlich jung geblieben. Zetsu liebte sie sehr, weil er bereits viele unbeschwerte Stunden mit ihr verbracht hatte und sie ihm immer wieder Süßigkeiten zusteckte, selbst wenn seine Eltern ihm welche verboten hatte. Sie selbst betrachtete ihn als ihren Sohn, den sie nie bekommen hatte und verbrachte außerordentlich gern Zeit mit ihm. Gekkyu, der Mann von Hinome, war jünger als sein Bruder Hidaka. Zetsu mochte die Ruhe, die sein Onkel jederzeit ausstrahlte, besonders wenn dieser im Schatten eines Baumes saß und dort rauchte. Oft setzte Zetsu sich dann neben ihn und schlief dort gemeinsam mit ihm ein. Das war der einzige Schlaf, bei dem er keine seltsame Albträume hatte. An diesem Tag allerdings rauchte der Mann lieber im Haus. Zetsu setzte sich neben ihn auf das Sofa. Er atmete den süßlichen Geruch des Tabaks ein, der im all den Jahren so vertraut geworden war. „Onkel Gekkyu, warum bist du eigentlich nicht mitgegangen?“ Amüsiert schob der Mann seine Brille zurecht. „Ach, du kennst mich. Ich mache mir nur ungern die Hände schmutzig. Lieber verbringe ich ein wenig Zeit mit dir.“ Zetsu lächelte. „Wirklich? Ich verbringe auch gern Zeit mit dir.“ Schmunzelnd fuhr Gekkyu ihm durch das Haar. „Das will ich doch hoffen. Bei wem sonst kannst du so gut schlafen?“ Der Junge lachte. Hinome reichte ihm eine Tafel Schokolade. „Bevor du uns noch einschläfst, solltest du etwas Süßes essen. Du willst doch wach sein, wenn deine Eltern wiederkommen, oder?“ Nickend nahm er ihr die Schokolade ab und begann diese zu essen. Manchmal fragte er sich, woher er Hinome die Süßigkeiten bekam, sie waren immerhin äußerst selten. Aber es störte ihn trotzdem nicht, diese zu essen, wenn er sie schon geschenkt bekam. „Wie lange wird es dauern, bis sie wieder da sind?“, fragte er kauend. Noch nie war er so lange von seinen Eltern getrennt gewesen, er vermisste sie bereits. Gekkyu hob die Schultern. „Wer weiß? Der Turm ist ziemlich weit entfernt und niemand weiß, wie es im Inneren aussieht. Wenn sie Glück haben, kommen sie gar nicht erst rein.“ „Warum sagst du das?“, fragte Hinome. „Willst du nicht wissen, was drin ist?“ „Ganz und gar nicht. Ich bin kein neugieriger Mensch. Außerdem sehe ich nicht, was es bringen soll. Unsere Welt wird untergehen, egal was sie in diesem Turm entdecken.“ Hinome zischte etwas, was Zetsu nicht verstehen konnte. Gekkyu zog sofort den Kopf zwischen die Schultern. „Schon gut, ich habe nichts gesagt.“ Seit Jahren fand der Junge es erstaunlich, dass Gekkyu sich so von seiner Frau herumkommandieren ließ. Er selbst würde das mit Sicherheit niemals mit sich machen lassen, egal welche Frau daherkommen würde. Wenn der Verfall sich in dem Ausmaß allerdings fortsetzte, würde er auch nie eine Frau haben, also musste er sich keine Gedanken darum machen. Außerdem fühlte er sich mit gerade einmal zehn Jahren auch noch viel zu jung für so etwas. Gekkyu schmunzelte. „Gut, Zetsu, was wollen wir dann machen? Du hast wie üblich die freie Auswahl.“ Der Junge strahlte. „Dann spielen wir Karten, ja?“ Hinome lachte und legte bereits ein komplettes Deck auf den Tisch. „Dann mal los, Männer.“ Die Stunden vergingen und das ausgezogene Erkundungsteam kam nicht zurück. Spät in der Nacht brachte Hinome Zetsu schließlich gegen dessen Willen ins Bett. Er wehrte sich erfolglos dagegen, als sie ihn zudeckte. „Komm schon“, sagte sie leise. „Du musst doch auch mal schlafen. Bestimmt kommen sie morgen wieder, wenn du ausgeschlafen bist.“ „Ja, bestimmt...“ Er zog sich die Decke bis an die Nase und senkte den Blick. Hinome sah ihn fragend an. „Bedrückt dich denn etwas, dass du nicht schlafen willst?“ Sie bemerkte sein Zögern, so dass sie ihm beruhigend über das Haar strich. Das schien tatsächlich zu wirken, denn plötzlich seufzte er leise. „Ich habe Angst vor diesem Albtraum.“ „Was für ein Albtraum?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn. Mit stockender Stimme erzählte er ihr von einem furchterregenden Ort, der mit Wurzeln durchzogen war und blaues Licht vorherrschte. Doch was ihn mehr verstörte war die schneidend kalte Stimme des Mannes durch dessen Augen er alles sah. Er verstand die genauen Worte nicht, aber sein Gegenüber anscheinend schon, denn nur wenig später kam es bereits zu einem Kampf, der immer damit endete, dass er sich selbst das Schwert in den Magen rammte. „Das ist ja furchtbar“, sagte Hinome. Er nickte, ohne das zu erwähnen, was ihm noch mehr Angst einjagte: Die kalten blauen Augen und die bösartige Aura des Mannes, der ihm im Traum gegenüberstand. „Warum träume ich so etwas?“, fragte er leise. Seine Tante hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber mach dir keine Gedanken, das hat bestimmt nichts zu bedeuten.“ Noch einmal strich sie ihm über das Haar, dann gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Versuch trotzdem ein wenig zu schlafen. Wenn du ihn diese Nacht wieder hast, werde ich schauen, was ich tun kann, damit du den Traum vergisst, ja?“ Er nickte und schloss die Augen. Trotz seiner Furcht dauerte es nicht lange, bis er tatsächlich eingeschlafen war. Als sie seine gleichmäßigen Atemzüge bemerkte, stand sie auf und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Gekkyu hatte sich inzwischen eine neue Pfeife gestopft und zog bereits daran. „Schläft er?“ Hinome nickte. Nach einem kurzen Moment des Zögerns erzählte sie ihrem Mann von dem Traum, den Zetsu ihr gerade geschildert hatte. Während dieser Erzählung wurde sein Blick ernst und nachdenklich. „Ein sehr seltsamer Traum.“ „Ich glaube, das war mehr als nur ein Traum. Ich bin davon überzeugt, dass Zetsu mehr ist als er zu sein scheint.“ Das sagte sie bereits seit Jahren, auch wenn sie bislang nur dafür belächelt worden war. Aber dieser Traum zeigte ihr, dass sie im Recht war. Kein normales Kind träumte solche Dinge. Gekkyu neigte den Kopf. „Es wäre möglich. Aber möglicherweise werden wir das nie erfahren.“ „Eigentlich schade.“ Hinome trat ans Fenster und sah hinaus. Selbst in der Dunkelheit konnte man in der Ferne noch die Umrisse des Turms erkennen, von dem Erkundungstrupp war allerdings immer noch nichts zu sehen. Gekkyu seufzte plötzlich. „Wir sollten langsam auch ins Bett gehen. Ich glaube nicht, dass sie heute noch zurückkommen.“ Seine Frau nickte ihm lächelnd zu, ihrem Gesicht war deutlich die Müdigkeit anzusehen. „Gute Idee.“ Er löschte seine Pfeife und legte diese an ihren Platz zurück, bevor er den Raum verließ, um in sein Schlafzimmer zu gehen. Hinome löschte derweil das Licht und zog die Vorhänge richtig zu, bevor sie ihrem Mann folgte, ohne zu wissen, dass Zetsu sich gerade wieder in seinem Bett vor Albträumen wand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)