Küss mich doch! von CuteAngel (Der zweite Band von der Liebesreihe 'Lächel doch mal') ================================================================================ Kapitel 10: Kriegserklärung --------------------------- Es war eine der schlimmsten Situationen, die ich mir in meinem Leben vorstellen konnte. Oder besser gesagt, es war die schlimmste Situation. Der gravierende Grund, weswegen ich aus meiner Stadt geflohen war, saß direkt gegenüber meinem anderen Alptraum. Obwohl beide sich anlächelten, verrieten ihre Augen etwas ganz anders. Im Geiste führten sie einen Machtkampf aus und ihre verschränkten Arme vor der Brust tat noch ihr dazu bei, um das Lächeln lüge zu strafen. Jeder, der die beiden zusammen sah, machte einen Bogen und sah mich mit einem fragenden und gleichzeitig mitleidigen Blick an. Ich dagegen versuchte die anderen Menschen in der Kantine auszublenden. Der einzige Vorteil an diesem Ort war, dass sie sich nicht die Köpfe einschlagen würde. Zumindest glaubte ich daran; aber ein Gefühl in meinem Inneren sagte klar was anderes. Es war nicht einmal annähernd ein Grund. Minutenlang saßen wir einfach schweigend da. Ich wäre nicht der Dumme, der einen Ton von sich geben würde. Gekonnt ignorierte ich Olivers Blicke, der mich mit einem Lächeln bat, das Wort zu erheben, was verschwand als Leonardo knurrte. »Und sie sind?«, sprach Leonardo ruhig, gleichwohl entging mir der scharfe Unterton nicht, der so etwas sagte wie: ‚Wie kannst du es wagen in mein Revier aufzutauchen.’ Innerlich seufzte ich. »Oliver McBeck.« Leonardo nickte. Er dachte wohl nicht daran, sich selber vorzustellen. Nun musste ich mich doch einschalten, ob ich wollte oder nicht. Ich hob meine Hand und deutete auf Leonardo: »Leonardo Andrews, mein Chef.« Dann zeigte ich auf Oliver: »Oliver McBeck, Freund meines Bruder.« ,Und mein Ex’, dachte ich weiter, biss mir jedoch auf die Lippen, dass diese unerhörten Worte meine Lippen nicht verließen. Allerdings musste ich es nicht aussprechen, irgendwie musste es Leonardo wissen. Wiederum verfielen wir in ein tiefes Schweigen, und ich betete, dass genau in diesem Moment neben unserem Haus eine Meteorit einschlug, ein Erdbeben ausbrach oder irgendetwas anderes, um aus dieser Situation heile hinauszukommen. Das würde noch ein Nachspiel für mich haben. Ich schluckte meinen Klos runter und versuchte ihn mit Kaffee noch etwas schneller herunter zu spülen. »Immer noch so vernarrt in das Zeug?«, fragte Oliver, was eher nach einer Aussage war, als eine Frage. »Das ist kein Geheimnis«, antwortete ich. Oliver lachte auf. Ich hatte vergessen wie voluminös sein Lachen war. Einige Frauen drehten sich neugierig zu uns um. ‚Kann sich der Boden auftun und mich verschlucken?’ Ich drückte mich mehr in den Sitz. Es gefiel mir nicht, ihn wieder zu sehen. Er hatte sich kaum verändert. Noch immer dieses kupferrote Haare, diese grünen Augen, die an einen Wald erinnerten. Allerdings sein Gesicht war kantiger geworden. Bevor ich fuhr, hatte er noch einige jungenhafte Züge, die nun vollkommen männlichen Zügen gewichen waren. Wäre ich alleine gewesen, hätte ich bestimmt etwas Dummes getan oder etwas Dummes gesagt. Tausend Mal hatte ich mir ausgemalt, wie ich reagieren würde. Ich dachte, ich könnte ihn eiskalt abblitzen lassen. Leider war das nicht der Fall. »Wie ist es dir so ergangen?«, weckte mich Olivers Stimme, die zusätzlich einen sanfter Ton einschlug, was ich gar nicht vermutet hätte. Nicht im Beisein von Leonardo. Außerdem keimten so Erinnerungen in mir auf, die ich tief vergraben hatte. »G- Gut«, stammelte ich und setzte rasch die Tasse an meine Lippen. »Sie wohnt jetzt bei mir«, beantwortete Leonarde mit einem süffisanten Grinsen. Ich wusste genau, dass er damit nicht sorgen wollte, dass Oliver sich beruhigt fühlte, sondern es sollte ein Anschlag auf seinen Stolz sein. Natürlich verfehlte es nicht seine Wirkung. Für einen Moment blitzten Olivers Augen eiskalt auf, wandelten sich jedoch in ein aufgesetzte charmantes Lächeln, welches er an mich richtete und soviel bedeutete wie: ‚Das klären wir noch.’ ‚Lass einen Blitz hier einschlagen! Jetzt sofort! Irgendwas...’, schrie ich gen Himmel, ‚Ich muss hier raus!’ »Was macht mein Bruder?«, lenkte ich ab und dankte mir innerlich für meine Ruhe in den Worten. »Du kannst ihn selber fragen«, meine Augen weiteten sich, »Er wird in einer Stunde in New York landen.« Verdattert setzte ich mehrmals an zu sprechen, aber meine Stimme weigerte sich auch nur einen Ton von sich zu geben. »Wir dachten, wir bleiben ein wenig in New York.« Meine Hände umklammerten die Tasse, um das Zittern zu unterdrücken. Ich hatte ganz und gar vergessen, wie tief ihr Beschützerinstinkt in ihnen saß. Ich zwang mich zu antworten. Ich musste antworten. Nur was? Bevor ich mir eine Antwort ausdenken konnte, kam mir Leonardo zuvor: »Wir müssen los. Wir haben ein Meeting.« Ich nickte. Mit einem Lächeln – ich hoffte, dass es eines war – verabschiedete ich mich von Oliver, und Leonardo und ich liefen durch die Kantine zum Ausgang. Ich kam mir vor, wie auf einem Präsentierteller. Man würde sich das Maul zerreißen. Ich war das Gesprächsthema Nummer eins. In meinem Kopf malte ich mir bereits aus, was sie sich sagen würde: ‚Wer ist dieser andere Mann? Kennst du denn? Interessant, anscheinend hat sie gleich zwei.’ Erleichtert atmete ich auf, als ich die Tür zum Flur passiert hatte. Doch diese Erleichterung wich erneuert Angst, beim Anblick von Leonardos Gesicht. Er presste seine Lippen fest aufeinander. Er war sauer. Was konnte ich dafür, dass mein E... ähm der Freund meines Bruders und mein Bruder nach New York kamen. Auf dem ganzen Flur redeten wir kein Wort. Wir stoppten bei den Aufzügen und ich ließ es nur zu mit so einem Teil zu fahren, weil ich wusste, diese Kabine bestand nicht aus Fensterscheiben. Und weil ich mir nicht noch mehr unbegründeten Zorn auferlegen wollte. Allerdings war der Gedanke, der mir kam, als wir die Kabine betraten – ich alleine mit ihm – kein schöner. Es war ein schrecklicher. Er drückte den Knopf zum Erdgeschoss. Nur zwei Etagen unter uns. Wir würden in Null Komma nichts da sein. Die Türen schlossen sich; der Aufzug bewegte sich. Mein Blick fiel auf die Anzeigetafel: Wir waren gerade zwischen dem ersten Stock und dem Erdgeschoss, da stoppte der Aufzug. Entsetzt registrierte ich, dass er die Stopp-Taste vom Aufzug betätigt hatte. Reflexartig wich ich vor ihm zurück und stieß gegen die Metallwand. Obwohl es eiskalt war, verlieh es mir nicht annähernd die Kühle, die hoffte, die ich wünschte, die ich brauchte. »So«, schallte seine Stimme von den Wänden und sie klang schlaf wie ein Messer. Bestimmt würde ich mich daran schneiden. »Das war also dein Ex.« »W- Wer hat das gesagt?«, brabbelte ich. »Du musst es nicht sagen. Dein Gesicht verrät es.« Schockiert blickte ich in das Metall und sah ein verzerrtes Gesicht, welches meinem überhaupt nicht ähnlich sah. Lediglich die panischen Augen eines Rehs, die ich vermutete, glichen denen von meinen. Ein Schatten legte sich über mir. Ich schluckte und zwang mich weiter die Metallwand anzustarren. Link und rechts stützte sich Arme an der Wand ab. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. »War er der Grund, weswegen du unbedingt nach New York wolltest?« Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte zaghaft den Kopf. Er war ein Grund, aber nicht der. Zumindest redete ich mir das ein. »Verstehe.« ‚Was versteht er?’ Ich blieb weiterhin starr wie eine Marmorstatue stehen. Leonardo löste sich aus seiner Pose und ich spürte Minuten später, dass sich der Aufzug wieder bewegte. ‚Gott sei dank’, atmete ich auf, als sich die Tür zu den Seiten öffneten und folgte Leonardo stillschweigend. Sein Gesicht war nicht mehr so verbissen, aber etwas gefiel mir gar nicht daran. Wir erreichten die Eingangshalle, wo er stehen blieb. Ein Mann reichte ihm eine Akte, die er sich unter den Arm klemmte. Mit einer neutralen Miene wandte er sich mir zu: »Das Meeting kann ich alleine klären. In meinem Büro sind noch einige Unterlagen, die sortiert werden müssen.« Dann war er auch schon durch die Eingangstür verschwunden und ließ mich zurück. Verlegend lächelte der Mann mich an. Ehe er etwas sagen konnte – was vermutlich höchstens ein ‚Tut mir leid’ war -, drehte ich auf dem Punkt um und stampfte wütend zurück zu den Aufzügen, daran vorbei und nahm die Treppe. Wenn ich nicht mit sollte, hätte er es gleich sagen können! Aber nein, er musste absichtlich diese Show abziehen. Lautstark stampfte ich die Treppen rauf und erreichte erschöpft die vierte Etage. Ich gab mir keine Mühe leise zu sein. Sollte es jeder hören, dass ich sauer war. Ich riss die Tür auf und knallte sie geräuschvoll hinter mir zu. Dann ließ ich mich stöhnend in seinen Sessel fallen und betrachtete den Stapel an Akten. ‚Wie hat er es geschafft so viele innerhalb so kurzer Zeit hier abzulegen?’ Genervt nahm ich die erste Akte und betrachtete sie, in der Hoffnung, sie löste sich in Luft auf. Eigentlich sollte ich mich freuen, endlich mal Arbeit erledigen zu dürfen. Jedoch trübte der Beigeschmack die Freude, denn ich bekam diese bloß, weil Mr. Perfekt meinte mir eine Art Lektion verpassen zu müssen. Es hätte eh keinen Sinn, weil er bestimmte etwas fand, weswegen ich meine Arbeit nicht gut gemacht hätte. Also schmiss ich die Akte zurück auf den Haufen und drehte mich mit dem Stuhl zum großen Fenster. Eines der Fenster, die vom Boden bis zur Decke gingen, und betrachtete New York. Ich hatte einen perfekten Blick auf den Central Park. Damit konnte ich mich den ganzen Vormittag und Nachmittag beschäftigen. Schnaufend klemmte er sich die Akte unter seinem Arm und stürmte aus der Vordertür. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Wagte es doch tatsächlich ihr Ex bei ihr aufzutauchen. Zwar war es nicht das erste Mal, dass er gegen einen Konkurrenten antreten musste; doch dieses Mal ärgerte es ihn. Es regte ihn regelrecht auf. Sonst hatte es ihm immer gefallen. Er wünschte sich sogar manches Mal einen Konkurrenten, damit das Spiel mehr Spaß machte. Aber jetzt? Jetzt verfluchte er diesen Mann, der es gewagt hatte, einen Fuß in New York zu setzen. Und damit es für ihn - diesen Oliver - leichter fiel, holte er sich noch ihren Bruder her. Pah, damit würde der Kerl nicht durchkommen. Er würde sich nicht so leicht geschlagen geben, wo er jetzt schon soweit gekommen war. Es hatte bloß noch ein Stück gefehlt, dem war sich Leonardo sicher, und Amanda hätte ihm voll und ganz vertraut. Nun, da diese Pest aufgetaucht war, war seine Arbeit, seine Bemühungen, vollkommen umsonst. Er rannte die Stufen vom Haupteingang beinahe runter und setzte sich in die Limousine, die bereits auf ihn wartete. Knurrend ließ er sich auf den Sitz fallen, worauf Alessandro ihn mit einem Stirnrunzeln begrüßte: »Was ist denn dir für eine Laus über die Leber gelaufen?« »Frag nicht!« Alessandro nickte stumm und rief dem Fahrer etwas zu, bevor er die Kabinen durch eine getönte Trennwand voneinander trennte. »Geht es um das Geschäft?«, hakte Alessandro nach, denn der Anblick den Leonardo bot, war nicht der Beste. Die Akten litten in seinem Griff und hielten wohl nur deswegen stand, da es sich um einen Stapel von Papier handelte. »Das läuft bestens!«, fauchte er zurück. »Es geht um sie.« »Nein!« ‚Getroffen’, schmunzelte Alessandro in sich hinein und beschloss erst einmal nicht weiter zu fragen. Der Wagen hielt und beide Männer stiegen vor dem Gebäude aus, an dem seit einigen Monaten gebaut wurde. Mittlerweile machte die Außenfassade schon einiges her. Im Eingangsbereich war mehr und mehr die Rezeption zu erkennen. Der schwarz weiße Marmor, der ebenfalls in der Theke eingearbeitet war, zierte den Fußboden. Drei Fahrstühle, dessen Metalltüren noch unberührt glänzten und aus Sicherheit vor Farbkleckse mit Planen abgedeckt waren, waren direkt vom Eingang aus zu sehen. Leonardo suchte auf der Theke nach einem Platz, wo die Plane nicht mit Farbe bespritz war, und legte die Akten darauf. »Wie ich sehe, kommt ihr gut voran«, kommentierte er das Gesehene nüchtern. »Hast du was anderes erwartet?« »Nein«, murmelte Leonardo und suchte in dem Stapel etwas, während er sich ermahnen musste, ruhig zu bleiben, »Kann ich die oberen Stockwerke schon inspizieren?« Alessandro nickte und deutete auf das Treppenhaus. Beide liefen die Rezeption entlang vorbei an den Fahrstühlen zu einer großen Glastür. Das Treppenhaus war soweit fertig und brauchte nur noch den ersehnten anstrich. Von oben hörten beide die Maler, die zu lauter Musik sich auf Spanisch unterhielten. Leonardo ignorierte sie und verließ das Treppenhaus im zweiten Stock. Ein langer Flur, der lediglich durch drei einfache Glühbirnen erhellt wurde, spendete gerade genügend Licht, um zu erahnen, wo sich was befand. »Ihr hinkt ein wenig hinter her.« »Nicht direkt. Roland war der Meinung, die Lampen passten nicht zum Flur, woraufhin Neue bestellt wurden.« »Ein Fehlkauf.« »Wenn du es sagst«, antwortete Alessandro grinsend. »Frag endlich«, knurrte Leonardo und blieb im Flur stehen, dass beide im Schatten standen. Doch bevor Alessandro auch nur ein Wort sagen konnte, kam ihm Leonardo zuvor: »Ihr Ex-Freund ist aufgetaucht. Heute. Und ihr Bruder kommt auch noch. Der Mistkerl hat die Frechheit - « »Klingt irgendwie nach deinen Methoden«, lachte Alessandro und musste dafür eine kräftige Rüge einstecken. Das musste sich Leonardo nun wirklich nicht bieten lassen. Wütend stampfte er weiter und durchschritt die Türschwelle eine der offenen stehenden Apartments. Die im Gegensatz zum Flur und der Rezeption schon fertig gestrichen waren. Lediglich die Elektronik musste noch geprüft werden. »Ich hatte sie schon soweit. Und nun? Garantiert zieht sie dann bei ihrem Brüderchen ein. Und rate mal, wer da genau wohnen wird. Die Pest!« »Das weißt du doch gar nicht«, meinte Alessandro und lehnte sich lässig an der Türschwelle. »Wen versuchst du zu belügen?« Seufzend ließ Alessandro die Schultern hängen. »Wo ist sie denn jetzt?« »In meinem Büro. Unsinnige Akten sortieren«, erzählte er. »Sicher?« »Natürlich. Glaubst du sie wäre so blöd und – «, mitten im Satz brach er ab, denn er wusste zu gut, sein Rotfuchs würde und hat vermutlich das Büro verlassen. Ehe Alessandro reagieren konnte, zischte Leonardo an ihm vorbei und stürmte die Stufen runter. Die letzten Worte, die Alessandro vernahm, waren »Ich muss weg...« Nach einer Weile war ich eingeschlafen. Ich hatte die Füße an mich gezogen und mich in dem riesigen Ledersessel eingemurmelt. Die gleichmäßigen Geräusche von draußen wirkten so hypnotisch, dass meine Augenlieder schwerer und schwerer wurden. Wer hätte gedacht, dass man in einem Stuhl bequem schlafen konnte? Allerdings war das kein Wunder, bei so einem gepolstert wie das Ding hier. Erst als etwas Lautes zu Boden knallte, schreckte ich erschrocken hoch und blinzelte verzweifelt ins Licht. Meine Augen suchten nach der Quelle, während ich meine Hände schützend vor dem Licht über meine Stirn hielt. Nach und nach nahm ich die Konturen wahr und erkannte in dem Schatten bei den Vorhängen eine Gestalt. Vor deren Füßen lag ein Stapel mit Papier verteilt, wo sich vereinzelt einige Blätter gelöst hatten. Mein Blick folgte den Füßen hoch, weiter zu einer Brust und zu einem Gesicht, welches mich mit seltsamen Augen musterte. Ich kniff meine Augen zu schmalen Schlitzen und war auf einen Schlag sauer, auf die unsinnige Strafarbeit, die er mir verpasst hatte. »Solltest du nicht Akten sortieren?«, fragte er, schien jedoch nicht böse zu sein, über die Tatsache, dass ich Nichts gemacht hatte. Ich zuckte mit meinen Schultern. Dann drehte ich den Stuhl zum Schreibtisch, warf einen flüchtigen Blick drüber und antwortete in einem viel zu sarkastischen Ton: »Erledigte Fälle von vor zehn Jahren sollten auch unbedingt sortiert werden, da die Firmen sich noch an uns wenden könnten. Ich denke, – das kann warten.« Ich hörte es hinter mir rascheln, und dann leise Schritte, die direkt auf mich zukamen. Meine Vernunft sagte mir, ich sollte verdammt noch mal aufspringen und abhauen, aber mich hatte die Wut gepackt, ihn dafür bluten zu lassen. Ich wollte ihm so richtig die Stirn bieten, weil ich wütend über sein Verhalten war. Und wenn ich damals ehrlich zu mir gewesen wäre, weil es mir gefiel. Allerdings würde das bedeutet, dass ich ihn mochte, und das war etwas, was ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingestehen wollte. Ein Arm ging knapp über meine Schulter und eine Hand griff nach einer der Akten, während eine Stimme säuselte: »Sind die tatsächlich schon über zehn Jahre alt?« Ich sparte mir die Antwort, da er es wusste. Sein anderer Arm ging ebenfalls knapp über meine andere Schulter, dass ich nun eingekesselt war. Dreist wie er war, legte er seine Arme auf meine Schultern ab, sowie sein Kinn auf meinen Kopf, und tat als studierte die Akte. Er wusste erstens sehr gut, was darin stand, und zweitens, glaubte ich nicht, dass er überhaupt eine der Zeilen las. »Tatsächlich. Zehn Jahre. Diese ist sogar schon dreizehn Jahre alt.« Ich hielt meine Klappe. Er schmiss die Akte zurück auf den Stapel, blieb jedoch in seiner Position. »Mhm... Wie konnte das passieren?« ‚Gott, war das schlechtes Schauspiel!’, fluchte ich und nach den Bewegungen zu urteilen, vermutete ich, ein breites Grinsen auf seinen Lippen. Ich wettete, er wusste selbst, wie gestellt das Ganze klang. Plötzlich spürte ich seinen Atem direkt an meinem Ohr. Seine Lippen waren kaum wenige Zentimeter davon entfernt, beinahe konnte ich sie schon auf meiner Haut spüren. Der gestellte Ton war verschwunden, als ich seine Worte vernahm: »Du kannst deinem Freund ausrichten, dass ich den Krieg nicht verlieren werden. Egal, zu welchen Mittel er auch greift.« Schlagartig ließ er von mir ab und wich zurück. »Übrigens, geh nach Hause. Nach dem ganzen Stress gebe ich dir frei.« Noch völlig fertig von seinen Worten, zwang ich mich aufzustehen und so gelassen, wie es mir möglich war, zur Tür zu gehen. Zu sprechen, war ich nicht in der Lage, da ich an dem Inhalt zu knabbern hatte. Er hatte Oliver den Krieg erklärt und ich sollte ihm das übermitteln. Dachte er etwa, ich würde mich mit ihm treffen? Und wie stellte er sich das vor? Sollte ich einfach so zu Oliver gehen und beiläufig im Gespräch erwähnen ‚Ach übrigens, mein Chef will dich töten’? Wieso sollte ich die Drecksarbeit machen? Ich hatte die Tür gerade erreicht - erleichtert, darüber nicht mit meinen Schuhen über den Teppich gestolpert zu sein - da hörte ich meinen Namen. Fragend drehte ich mich mit dem Kopf zu ihm und starrte direkt in sein Gesicht. War er mir gefolgt? Hatte ich durch das Rauschen meines Blutes in den Ohren – nicht zu vergessen das Pochen und Hämmern meines Herzens – ihn nicht bemerkt. Er stand direkt neben mir. Meine Hand lag bereits auf der Klinke und ich musste bloß runter drücken, stattdessen hörte ich mich selber krächzen: »J- Ja?« »Ach, Nichts«, sagte er mit einem Grinsen, in das ich am liebsten hineingeschlagen hätte, wäre ich nicht völlig durch den Wind gewesen. So ließ ich es über mich ergehen, dass er es war, der mir die Tür öffnete, und wartete, dass ich sein – mein - Büro verließ. Die Tür schloss sich geräuschlos und ich stand Minuten lang einfach nur dar und versuchte mit meinem wenigem Hirn zu erfassen, was sich da gerade abgespielt hatte. Allerdings gelangte ich zu gar keinem Entschluss, außer dem: Ich brauchte Kaffee! Schnurstracks machte ich mich auf dem Weg zu dem Ort, wo ich mich immer beruhigte: Starbucks. Dort kaufte ich mir erst einmal einen riesigen Becher Latte Macchiato, ließ mir noch einen dicken fetten Schokobrownie einpacken und suchte meine Wohnung auf. Beinahe wäre ich den üblichen Weg gefahren, erinnerte mich jedoch noch rechtzeitig daran, dass wir gestern meine Wohnung gekündigt hatten. Also machte ich kehrt und kam in Leonardos – beziehungsweise mein – Apartment an, schloss auf und schmiss mich auf die Couch. Dort ließ ich mich von den dümmsten Programmen beschallen, die ich im Fernseher finden konnte. _____________________________________________________ Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal. © Jessica Monse 2010 http://www.jessicamonse.de/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)