Shadowwalkers von FaithNova (Licht und Schatten) ================================================================================ Prolog: -------- Durch das Fenster kamen die letzten kraftlosen Sonnenstrahlen eines wunderschönen Sommertages. Sengende Hitze schwebte in der Luft und trieb so manche Schweißperle auf die Stirn jener, welche draußen vorbeiliefen. Auch die Luft in der Wohnung war kaum anders. Es war sogar noch ein paar Grad wärmer als vor dem Fenster. Der Fernseher lief, doch der Ton war aus. Stumm huschten Bilder vorbei, doch wahrgenommen wurden sie kaum. In der Mitte des Raumes saß auf einem einzelnen Stuhl, die Knie angezogen und zusammengekauert, eine Gestalt. Noch vor wenigen Momenten hätte man das Schluchzen vernehmen können und die Tränen der Verzweiflung und Trauer zu tausenden fallen sehen können. Doch nun war da Stille. Kein Laut entkam den zersprungenen Lippen und der Tränenstrom war endgültig versiegt. Was geblieben war, war nur noch die Verzweiflung. Eine Verzweiflung für die jeder Trost und jedes kleine Fünkchen Hoffnung wohl unwiederbringlich erloschen war. Verquollene, leere Augen blickten zur Seite in den kleinen Spiegel auf der Kommode. Abscheu schlug diesem Anblick entgegen. Dann wanderte der Blick zu einem Stück Papier in der Hand. Zerknittert aber immer noch lesbar standen da die Worte: Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist. Ich trage nicht die Last der Welt. Ich weiß auch, dass ich es wohl kaum verhindern hätte können, denn manches liegt einfach nicht in meiner Macht. Und mir ist klar, dass ich nicht alle retten kann. Für manche von ihnen ist es einfach Schicksal bei dessen Auftreten wir nur den Kopf schütteln und bedauern können. Doch es waren schon zu viele, und es ist kein Ende in Sicht. Warum musste es gerade sie sein? Warum konnte ich sie nicht beschützen? Was bin ich für ein Mensch, dass alles, was ich berühre nur zu Asche zerfällt? Ich will diesen Fluch der auf meinem Leben lastet beenden und deshalb gehe ich den einzigen Weg, um das zu erreichen, obwohl ich weiß, dass ich dadurch die ewige Verdammnis zu spüren bekomme. Aber so hat es einfach keinen Sinn mehr. Das Papierknäuel fiel auf den Boden. Fast schon unbeachtet lag es dort und wurde nicht mehr aufgehoben. Es war bedeutungslos und doch meinte es so vieles und versuchte alles zu erklären. Das Telefon klingelte, aber niemand nahm ab. Der Anrufbeantworter kümmerte sich nach zwei schrillen Klingeltönen um den Anrufer. Eine vertraute Stimme sprach, doch wirkliche Beachtung fand sie nicht. Die Gestalt hob die eine Hand und schloss die Augen. Ein Atemzug vor dem Sprung ins Ungewisse. Immer noch sprach der Anrufer auf das Band. Den lauten Knall in der Wohnung hörten jedoch nur all jene Leute, die nichts ahnend und fröhlich an diesem heißen Sommerabend ihren Spaziergang machten. Doch auch sie ignorierten was sie hörten, nachdem Stille eingekehrt war und am Horizont die Sonne ihren Kampf gegen eine finstere Nacht verlor. Kapitel 1: Novembermorgen ------------------------- Das Licht eines trüben Novembermorgens weckte Ashley. Die Gardinen waren zur Seite gezogen und das Fenster stand einen Spalt weit offen. Eisige Luft strömte wie durch ein Gasleck in das kleine Zimmer hinein. Mit der Hand tastete Ashley die rechte Seite des Bettes ab. Doch wie erwartet war sie leer. Trotzig wickelte sie sich erneut in ihre Decke und kniff die Augen zusammen, so als ob es, dadurch dass es ja keiner gesehen hatte, nicht nötig war, auf zu stehen. Doch einige Minuten später gab sie es auf, gähnte herzhaft und schwang sich aus dem Bett. Die irgendwo auf dem Boden liegende Pyjamahose und das dazu gehörige Oberteil striff sie sich schnell über, bevor sie nach Nebenan in das zweite Zimmer ihrer kläglichen Wohnung kam. Der Wohnraum mit einer kleinen Küchennische war alles andere als ordentlich aufgeräumt. Der Mülleimer in der Ecke quoll über vor alten Pizzaschachteln und Tüten vom Bürgerstand an der nächsten Straßenecke. ‚Vielleicht sollte ich doch mal irgendwann lernen, selber zu kochen.’ Schoß es ihr durch den Kopf. Doch ein sanftes Lächeln und ein Kopfschütteln entledigten sich dieses Gedanken im nächsten Moment wieder. Müde schlürfte Ashley zu der Küchenzeile und goss den alten Kaffee von gestern aus der Kanne und setzte Neuen auf. Während die Kaffeemaschine ratterte schwang sie sich unter die Dusche. Da das Wasser die meiste Zeit über eiskalt war, schlüpfte sie danach heftig zitternd in eine bequeme Jogginghose und einen warmen Kapuzenpullover. Mit der Kaffeetasse in der Hand schwang sie sich wenig später auf die alte zerschlissene Couch, wickelte sich in eine warme Decke und schaltete den Fernseher an. Nachdem sie 10 Minuten durch alle Programme gezapt hatte, aber trotzdem nichts fand, was sie auch nur annähernd interessierte, klingelte ihr Telefon. Etwas lustlos schaltete sie den Fernseher aus, warf die Fernbedienung in die Ecke und kramte unter einem Berg bestehend aus Klamotten, Zeitungen, Zeitschriften, alten Briefen und einer halbvollen Chipstüte das Telefon auf dem kleinen Beistelltisch neben der Couch hervor, bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete. Gelangweilt meldete sie sich. Zuerst war am anderen Ende nur ein leichtes Rauschen zu hören. Dann sprach die vertraute Stimme einer wohlbekannten Person. „Guten Morgen Ashley. Da du eine halbe Ewigkeit gebraucht hast, um ans Telefon zu gehen, nehme ich an, dass du deine Wohnung immer noch nicht aufgeräumt hast?“ Ashley verzog das Gesicht, wohl wissend, dass ihr Gesprächspartner das nicht sehen konnte. „Ich wüsste nicht, dass es dich was angeht, wie meine Wohnung aussieht, Duncan.“ Ein aufgesetztes Lachen tönte durch den Hörer „Nein, natürlich ist es deine Sache, wenn du im Müll versinkst und eines Tages in einer Talkshow auftrittst als Beispiel für einen Messie, aber ich war eigentlich der Meinung, dass du in deinem Alter wenigstens ein bisschen für Ordnung sorgen kannst.“ Ashley lies ein verärgertes Schnauben los und strich sich mit dem Finger über die Wange. Sie hasste es, wenn Duncan begann ihr darüber Vorhaltungen zu machen, was man nicht alles mit 21 Jahren können muss. Doch sie hatte jetzt auch keine Lust mit ihm zu diskutierten. Stattdessen wechselte sie einfach das Thema. „Warum rufst du an?“ war ihre einzige Antwort auf seine Aussage. Duncan entging nicht, dass Ashley äußerst kurz angebunden war. Deshalb kam er zum eigentlichen Grund seines Anrufes. „Heute Nachmittag findet ein Treffen statt. Ich will, dass du dabei bist. Es ist wirklich wichtig.“ Ashley verdrehte die Augen. „Ich hab was vor.“ War ihre knappe Antwort. Duncan schlug nun einen härteren Ton an, denn er merkte, dass Ashley log. „Nein, hast du nicht. Schließlich sitzt du seit vollen drei Monaten zu Hause rum und gehst nur vor die Tür, um was zu Essen zu holen, sofern es dir Luigi nicht bis an die Wohnungstür bringt. Ich verlange von dir, dass du heute da bist.“ „Ich habe aber nicht die geringste Lust, mich wieder von jedem dumm anreden zu lassen, wegen…, du weißt schon. Ich habe mir eine Auszeit genommen und du warst einverstanden.“ Ashleys Worte klangen traurig und bei so manchem hätte sie dadurch Mitleid erregt, jedoch nicht bei Duncan, der sie und ihre Tricks einfach zu gut kannte. „Ich erwarte dich um 15.00 Uhr beim Portal. Solltest du nicht pünktlich sein, schicke ich Mike und Delia. Und da sie dich nicht leiden können, werden sie nicht zimperlich sein, wenn sie dich verschnürt wie ein Paket hier her tragen müssen. Haben wir uns verstanden?“ Ashley atmete tief aus. Sie brauchte einen Moment, um sich mit ihrem unvermeidlichen Schicksal an zu freunden. Dann, nach einer halben Ewigkeit in Duncans Augen lies sie sich zu einem kaum hörbaren „Na schön“ hinreißen. „Bis später dann. Vergiss nicht, dein Werkzeug mit zu nehmen.“ Mit diesen Worten legte Duncan auf. Ashley saß noch ein paar Minuten da und lauschte dem Tuten in ihrem Hörer. Dann fiel auch der auf das Telefon und in der ganzen Wohnung war es totenstill. Kapitel 2: Überwachung ---------------------- Lässig lehnte Emma gegen Mittag an der Hauswand eines kleinen Supermarktes. Obwohl es Temperaturen um den Gefrierpunkt hatte, trug sie über ihrem Trägerlosen Top nur eine dünne Jeansjacke. Jeder der an ihr vorbei ging, schüttelte sich kurz und fragte sich, wie das bloß auszuhalten war. Aber Emma frierte nicht. Im Gegenteil, sie war ziemlich verschwitzt. Der Schweiß, der ihr über die Stirn rann, fing an, leicht zu gefrieren. ‚Manchmal ist es echt ein Fluch, wenn man Pyrokinet ist.’, dachte sie sich. Doch im Moment konnte sie sich diesem Gedanken kaum widmen. Sie war bei der Arbeit. Seit nun mehr einer halben Stunde hatte sie einen Mann, der ungefähr zwei Zentner wog und etwa zwei Meter groß war, dabei beobachtet, wie er ein paar schwere Kisten auf einen Kleinlaster verlud. Immer wieder ging er in den Supermarkt hinein, nur um wenig später mit einer neuen Kiste raus zu kommen. Das Verwunderliche war aber, dass der Markt seit einer Stunde geschlossen war. Der Besitzer hatte für die Mittagspause wie jeden Tag um diese Zeit üblich geschlossen. Üblich war aber auch, dass er eine halbe Stunde später sonst auch wieder öffnete. Wenn sich aber jetzt der eine oder andere Kunde dem Ladeneingang näherte wurde er von einer Frau, die zwar nicht so breit, aber mindestens genauso groß war wie der Kerl, der die Kisten auf den Laster lud, ziemlich unhöflich angeschnauzt und weggescheucht. Ein bedeutendes Merkmal jedoch war ihre ziemlich auffällige Hakennase, welche die größte Fläche ihres Gesichtes einnahm. Und noch etwas war Emma aufgefallen, was sie beunruhigte: die Frau mit der Hakennase hatte offenbar bemerkt, dass Emma das Treiben vor dem Supermarkt beobachtete. Die Augen musterten eindringlich jede Bewegung die Emma machte. Eine Weile hatte sie so getan, als würde sie mit dem Handy SMS schreiben und deshalb so untätig rum stehen. Doch inzwischen wirkte auch das nicht mehr überzeugend. Nervös blickte Emma auf ihre schwarze Armbanduhr. Wo zur Hölle steckte er? Wie in aller Welt sollte sie noch länger als unscheinbare Passantin gelten? Sie fluchte innerlich und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn Connor nicht bald auftauchte, musste sie sich wohl oder übel alleine mit diesen Typen anlegen. Dann ging alles sehr schnell. Als der Zwei-Zentner Kerl dieses Mal aus der Türe kam, sprang die Hakennase blitzschnell hinter das Lenkrad. Emma hatte nur einmal geblinzelt als es geschah. Es half nichts. Jetzt oder nie. Sie setzte zum Spurt an und packte den Zwei-Zentner Kerl. Er sah sie erst zu spät kommen und fluchte, als er durch einen Tritt in die Kniekehle einknickte. Nur eine Sekunde später hatte er einen silbern glänzenden Dolch an seiner Kehle. „Hat dir deine Mama nicht beigebracht, wie du artig mit den Menschen umgehst?“ Alles weitere was ihr noch auf den Lippen lag, erstickte im nächsten Moment. Die Hakennase war aufgetaucht und verpasse Emma einen üblen Ellenbogenschlag mitten ins Gesicht. Sie taumelte zwei Meter nach hinten und lies von dem Zentner Typen ab, der sich wieder aufrappelte. Ihr Messer fiel ihr aus den Händen und für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen. Sie hörte ein höhnisches Lachen und konnte nur erahnen, dass die Frau sie auslachte, während ihr Gehirn gegen den Drang, ohnmächtig zu werden, ankämpfte. Als Emma sich wieder fing, erkannte sie, dass die Frau nun mit einem Baseballschläger und der Kerl mit ihrem Messer in der Hand vor dem offenen Lieferwagen stand. Das sah gar nicht gut aus. Zwei gegen einen. Doch dann grinste Emma. Waren ihre Gegner bis dahin noch eher siegesgewiss, so huschte nun der Schatten eines Zweifels über ihre Gesichter. Doch genauso schnell verschwand der auch wieder. „Was kannst du wohl so lustig finden du widerlicher Shadowwalker?“ mit bedrohlich schwingendem Schläger presste die Hakennase diese Worte hervor. Emma brauchte nicht zu antworten. Ein leises Sirren rauschte an ihren Ohren vorbei. Die Hakennase erschrak, als ihr Kumpan plötzlich vor Schmerzen schreiend zusammen fuhr. In seiner Brust steckte ein schwarzgoldener Pfeil. Während er noch versuchte den Pfeil raus zu ziehen, begann die Hautfläche um den Pfeil sich zu verfärben und verkohlte zu Asche. Der Kerl brüllte und schrie, die Hakennase stand mit aufgerissenen Augen neben ihm und war wie versteinert. Emmas Messer in der Hand stürzte sich der Zentner Kerl, während er sich auflöste noch mal auf Emma. Die gab ihm aber einen Tritt, der ihn zurück gegen die Kisten schleuderte. Eine davon brach auf und mehrere Plastikbeutel mit einer roten Flüssigkeit fielen heraus. Ein paar davon platzten auf und begossen die Straße mit Blut. Wenige Sekunden später war der Kerl in einem letzten lauten Schrei für immer verschwunden. Alles was von ihm blieb war ein Häufchen Asche. Connor, der den Pfeil geschossen hatte, tauchte grinsend hinter der Hausecke hervor, wo Emma noch vor wenigen Minuten auf ihn gewartet hatte. In der Hand hielt er seine Armbrust, die mit dutzenden von Runen und anderen Zeichen verziert war. Anders als Emma hatte er einen dicken Mantel an und eine etwas lächerlich aussehende Wollmütze mit Katzenohren. Emma ertappte sich dabei, bei seinem Anblick die Augen zu verdrehen. ‚Ein Beispiel an Unauffälligkeit’ war ihr Gedanke. Doch dann widmeten sich die beiden Shadowwalker der Hakennase. Emma hob ihr Messer wieder auf und Connor kam, die Armbrust im Anschlag, langsam näher. „Was ich echt nicht raffe ist, warum ihr blöden Halbdämonen einfach immer so gierig seid. Ihr wollt die Vampire ausnehmen, welche sich gegen den Angriff auf Menschen entschieden haben. Was verlangt ihr eigentlich für den Liter? Fünfzig oder gleich hundert Mäuse?“ Die Hakennase verzog bei Connors Worten das Gesicht. „Wieso sollen wir diese Verräter nicht dafür bezahlen lassen, dass sie sich gegen ihre Natur wenden. Sie leben von eurem Blut! Warum bezahlen sie für diese minderwertige Kopie, die ihr synthetisch herstellt? Idioten!“ Emmas Gesicht verfinsterte sich. „So ein elendes Pack wie du hat nicht das Recht zu urteilen!“ Noch bevor die Hakennase darauf reagieren konnte, mischte sich Connor wieder ein. „Genug geplaudert. Uns ist klar, dass ihr zwei Leuchten das nicht allein ausgetüftelt habt. Wenn du schlau bist, sagst du uns, wer dein Boss ist und wir schicken dich nicht da hin, wo wir deinen Kumpel grade hin entsorgt haben.“ Für einen Moment schien Hakennase diese Idee tatsächlich in Betracht zu ziehen. Doch dann füllten Angst ihre Augen. „Dafür werde ich sterben. Wenn nicht durch eure Hand dann durch seine.“ „Wir können dir Schutz gewähren.“ Meinte Emma. Doch das Kopfschütteln der Dämonin zeigte ihre Meinung deutlich. „Nicht vor ihm. Ihr seid nur kriechende Würmer im Gegensatz zu ihm.“ Connor konnte sich den Hohn nicht verkneifen. „Och, da nimmt aber jemand den Mund sehr voll. Hat wohl einer von den ach so mächtigen Erzdämonen die Finger im Spiel oder gar der Namenlose selbst?“ Die Augen der Hakennase waren weit aufgerissen. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. „Du… du wagst es ihn zu verhöhnen?“ Connor grinste „Ich respektiere keinen von diesen feigen Kerlen. Genauso wenig wie dich“ Die Augen zu Schlitzen verengt fand die Hakennase wieder ihr Rückrat und gab zurück „Dein Hochmut wird dein Ende sein, Shadowwalker!“ Und im nächsten Moment stürzte sie sich auf Emma. Connor reagierte und schoß auch auf sie einen Pfeil ab. Der traf sie am Kopf und nur Augenblicke später blieb auch von ihr nur Asche übrig. Emma sah Connor zornig an. „Was sollte das, du Idiot! Sie hat uns nichts gesagt und du erledigst sie einfach!“ Connor versuchte sie zu beschwichtigen. „Hey, ich hab dich immerhin heute zweimal davor gerettet, von einem Zwischenweltler gekillt zu werden. Wo bleibt da die Dankbarkeit?“ Emma trat ihn gegen das Schienbein. „Wenn du lahme Ente auch nur einmal pünktlich wärst, dann hättest du das auch nicht tun müssen!“ Connor rieb sich theatralisch die verletzte Stelle und verkniff das Gesicht. „Ich wusste ja, dass du das gerne alleine erledigst.“ Mit funkelnden Augen, aber etwas besänftigt gab Emma zurück: „Connor, du bist einfach nur ein Arsch!“ Kapitel 3: Zusammenkunft ------------------------ Vor einer Stunde hatte es zu schneien angefangen. Angespannt und mit Falten die so tief waren, als hätte jemand sie eingeritzt, stand Duncan am Fenster der großen Bibliothek. Durch das dichte Schneetreiben versuchte er zum steinernen Klosterportal zu spähen, dass etwa 200 Meter entfernt war. Doch alles was er sah, waren tausende und abertausende Flocken, die wie eine dicke, weiße Wand seinen Blick trübten. Es war 15 Minuten nach drei und er wartete immer noch. Ashley war nicht aufgetaucht und ihn lies das Gefühl nicht los, dass er dieses Mal seiner Drohung auch Taten folgen lassen musste und sie wohl mit Gewalt hier her bringen musste. Erst jetzt nahm er das unruhige Gemurmel im Hintergrund wahr. Der große Tisch in der Mitte der Bibliothek war bis auf wenige Plätze gefüllt. Ein seltener Anblick, der sich nur zu solchen Zusammenkünften bot. Über 50 Shadowwalker, deren Laune immer schlechter wurde, saßen auf alten, unbequemen Holzstühlen und warteten. Sie alle warteten darauf, dass Duncan ihr Treffen endlich eröffnete und ihnen mitteilte, warum sie eigentlich hier waren. Doch er wollte nicht beginnen, solange Ashley nicht hier war. Es war wichtig, dass auch sie hörte, was er zu sagen hatte. Am hinteren Tischende stand eine große, schlanke Frau auf. Sie warf ihr langes, schwarz gefärbtes Haar in den Rücken und marschierte nach vorne zu Duncan. Er drehte sich zu ihr um und blickte sie streng an. Nur einen kurzen Augenblick hielt sie inne, doch dann schüttelte sie ihre Furcht vor seiner Reaktion wieder ab. „Duncan… sie kommt nicht. Das weißt du ganz genau. Wenn du darauf bestehst, dass sie hier ist, dann werden Mike und ich sie hier her schleifen. Aber lass die anderen nicht warten.“ Duncan funkelte sie an „Delia, ich weiß, dass du sie nicht leiden kannst, aber ich habe großes Vertrauen in sie.“ Nun war Delia etwas vor den Kopf gestoßen „Dein Vertrauen in sie ist schon immer fehl am Platz gewesen. Sie war nie wirklich eine von uns und sie wird es nie sein. Sie spioniert uns doch nur aus für …“ „Genug jetzt!“ unterbrach Duncan sie „Ich kenne deine Meinung zu diesem Thema. Und sie kennt sie auch. Ich finde es wird Zeit, dass du aufhörst sie für etwas zu verurteilen, dass sie aus jugendlicher Dummheit getan hat. Sie ist fähig und willig. Und…“ „…obwohl du sie gebeten hast, hier auf zu tauchen, ist sie nicht da.“ Delia verschränkte die Arme vor der Brust, um ihren Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Duncan schenkte ihr ein vernichtendes Lächeln „Schön das dir das nicht entgangen ist.“ Delia wollte ihm gerade antworten, als die Tür zur Bibliothek aufging und eine über und über mit Schnee bedeckte Person herein huschte. Mit einem Mal verstummte der ganze Saal. Ashley nahm ihre Kapuze ab, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte und entledigte sich einer Wollmütze auf ihrem Kopf. Sie strich sich kurz durch das widerspenstige Haar und schritt voran durch den Saal auf Duncan zu. Dabei ignorierte sie die bohrenden Blicke der meisten Anderen. Delias Blick verfinsterte sich, je näher Ashley ihr kam. Duncan verschränkte die Arme vor der Brust. „Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ Ashley verzog kein Gesicht bei dem vorwurfsvollen Blick, den Delia ihr mit diesen Worten zuwarf. „Und weißt du eigentlich, dass man von der Stadt hier her zu Fuß bei diesem Wetter fast zwei Stunden braucht?“ Einige der anderen Shadowwalker fingen wieder an zu murmeln. Duncan zog die Augenbrauen zusammen. „Und warum fährst du nicht mit dem Bus?“ Ashley lächelte mild und deutete aus dem Fenster, wo draußen immer noch dichtes Schneetreiben herrschte. „Der hatte wohl keine Lust bei diesem Wetter auch nur einen Millimeter weit zu fahren.“ Bevor Delia noch weiter auf Ashley einreden wollte, gebot ihr Duncan mit einer Handbewegung zu schweigen. Mit der anderen Hand wies er Ashley auf ihren Platz. Nachdem Delia wieder an das Tischende zu ihrem Stuhl zurückgekehrt war, nahm Duncan am Kopfende Platz. Im selben Moment verstummten alle und richteten ihren Blick zu ihm. Der lies einige Augenblicke schweigsam vergehen, ehe er die Stimme erhob und die Stille durchbrach. „Ich weiß, dass ihr euch alle fragt, warum ich euch heute hier her gebeten habe. Und auch warum es mir so wichtig war, dass ihr alle dabei seid.“ Er gab einen kleinen Seitenblick auf Ashley, die nur mit den Augen rollte, allerdings darauf bedacht, dass er das nicht sehen konnte. Duncan fuhr fort „Vor zwei Tagen hat mich eine Nachricht vom Konklave erreicht. Darin heißt es, dass ein Sucher eine Spur entdeckt hat, die auf einen Teil des Manuskriptes hindeutet.“ Als Duncan geendet hatte, war die Luft im Raum zum Schneiden dick. Mit Erwähnung des Manuskriptes stieg vielen die Blässe ins Gesicht. Kaum einer wagte es zu atmen. Duncan ignorierte diese Reaktion aber, er hatte schließlich auf die eine oder andere Weise damit gerechnet. Stattdessen erzählte er weiter. „Diese Spur führt zu uns. Genauer gesagt in die Stadt. Der Hinweis deutet an, dass irgendwo hier in der Stadt ein Teil des Manuskriptes versteckt wurde. Und nun müssen wir uns bemühen, ihn schnell zu finden.“ Aus den Reihen der Shadowwalker erhob nun Connor seine Stimme „Wieso? Ist es nicht klüger, wenn wir besonnen an die Suche herangehen.“ Duncan lächelte gequält. „Gewiss ist es klüger, jedoch – und das ist ebenfalls Teil der Nachricht – hat wohl die andere Seite ebenfalls von diesem Hinweis erfahren. Und das ist der Grund warum ihr alle hier seid. Ich will, dass ihr ab sofort nur noch zu dritt eure Aufträge erledigt. Patroliert wird nun doppelt so oft. Wir müssen damit rechnen, dass die Dämonen und Zwischenweltler nun umso häufiger hier auf den Plan treten werden.“ Wieder erhob sich ein kurzes Murmeln, dieses Mal aber schien es weniger unruhiger als viel mehr zustimmender Natur zu sein. Duncan wartete wieder einen Moment „Ich möchte euch zur Vorsicht ermahnen. Es ist wichtig, dass ihr unbedingt auf der Hut seid und euch zu keinen unüberlegten Taten hinreißen lasst. Jedes eurer Leben ist wertvoll. Werft es nicht achtlos davon! Dann seid ihr hiermit entlassen. Ich danke euch für eure Zeit und eure Geduld.“ Damit erhoben sich alle von ihren Stühlen. Ashley blieb sitzen. Bevor sich die allgemeine Masse auf die Tür hinzu bewegte, erhob Duncan noch einmal die Stimme. „Delia, Mike und Ashley bleiben noch ein paar Minuten hier.“ Delia und Mike, ein großer kräftiger Teenager mit kurz rasierten Haaren blieben kurz wie angewurzelt stehen. Dann setzten sie sich gegen den Strom der anderen Shadowwalker in Bewegung auf Duncan zu. Ashley reagierte nur mit einem erschrockenen Blick auf Duncan. Der nahm davon keine Notiz. Dann wanderten ihre Augen in Richtung der Beiden, die sich auf sie zu bewegten. Kurz blieben sie an Emma hängen, aus deren Gesicht Mitleid sprach. Doch auch sie setzte ihren Weg zum Ausgang der Bibliothek fort. Als Delia und Mike vor ihm standen, deutete Duncan auf zwei Stühle neben ihm und bat sie sich hin zu setzen. „Ich habe einen besonderen Auftrag für euch drei.“ Flüsterte Duncan. Mike unterbrach ihn rüde „Wieso muss die da mit dabei sein.“ Fauchte er mit seiner heiseren Stimme und deutete abschätzig auf Ashley, die ihn keines Blickes würdigte, sondern nur starr die hölzerne Tischplatte anstarrte. „Unterbrich mich bitte nicht!“ gebot ihm Duncan mit scharfem Ton, woraufhin Mike etwas eingeschnappt wirkte. „Ich habe meine Gründe.“ Diese Aussage erntete skeptische Blicke sowohl von Ashley als auch von Mike und Delia. Duncan lies sich aber nicht beirren „Ich möchte, dass ihr drei als ein Team euch direkt auf die Suche nach dem Manuskript begebt.“ Das verächtliche Schnauben von Delia ignorierend fuhr er fort „Ashley kann die Sprache der Unterweltler lesen und kann somit den Hinweis, den wir gefunden haben, genau übersetzen. Das wird euch dabei helfen, zu finden, was ihr sucht.“ Allein an der Stimmlage erkannten die drei, dass diese Entscheidung endgültig war und jegliche Diskussion vollkommen sinnlos. „Ich werde Ashley alles geben, was sie braucht. Wenn sie soweit ist, dann beginnt ihr die Suche. Ich werde euch informieren.“ Als Duncan geendet hatte, erhoben sich die beiden und verließen ohne ein weiteres Wort den Raum. Ashley saß immer noch auf ihrem Platz, wie ein schmollendes Kind hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt. Duncan lächelte sie milde an. „Ich weiß du willst mir den Kopf abreißen, aber ich habe meine Gründe, warum ihr drei das gemeinsam erledigen sollt.“ „Warum tust du mir das an. Du hattest versprochen, dass ich eine Weile von all dem verschont bleibe. Und dann steckst du mich mit diesen Volltrotteln zusammen.“ Ashley wirkte verletzt, Duncan legte ihr den Arm über die Schulter. „Ich habe dich für diesen Auftrag ausgewählt, weil du genau das kannst, was dafür nötig ist. Und um ehrlich zu sein, finde ich es nicht gut, wenn du alleine bist. So hab ich dich besser im Auge.“ Ashley richtete sich auf. „Ach, daher kommt dein Sinneswandel. Du willst nur nicht, dass sie mich…“ sie verstummte und sah zur Seite. Duncan der den Arm von ihrer Schulter genommen hatte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wann war sie das letzte Mal bei dir?“ Ashley konnte ihn nicht ansehen. Sie schwieg. Duncan sagte nichts, er sah sie nur an. Schließlich flüsterte sie „Gestern.“ Zu mehr fehlte ihr die Kraft. Duncan atmete laut hörbar ein. Aber er sagte nichts dazu. Warum auch. Ashley kannte seine Meinung. Und er wusste das auch. „Ich mache mir Sorgen um dich. Und ich will, dass all jene die glauben, dass du nicht loyal bist, das sehen, was ich sehe.“ Ashley verzog das Gesicht zur Grimasse. „Und was siehst du?“ Duncan lachte schallend „Einen guten Menschen, der alles dafür tun würde, um die ihm zugeteilte Aufgabe zu erfüllen! Und das gleicht alle anderen kleinen menschlichen Schwächen sofort wieder aus.“ Sich zu einem Lächeln zwingend meinte Ashley „Ja, aber eine dieser Schwächen ist nun mal, dass ich nicht nein sagen kann.“ „Weshalb ich dich ebenfalls als perfekt für diesen Job sehe.“ Duncan lachte wieder, als Ashley die Stirn beleidigt in Falten legte. Kapitel 4: Emma --------------- Emma saß auf einer alten Holzbank im Flur gegenüber von der Tür zur Bibliothek. Sie wartete nun schon eine halbe Stunde darauf, dass Duncan Ashley endlich entließ. ‚Wenn ich nicht immer soviel Zeit mit Warten verschwenden müsste!’ dachte sie. Aus Langweile hatte sie begonnen den purpurnen Wandteppich zu mustern, der ihr schräg gegenüber an der Wand des alten Klostergemäuers hing. In seiner Mitte war kunstvoll eine goldene Sonne eingewebt, die gerade hinter dem Horizont hervor brach. Darunter stand mit schwarzer, mittelalterlicher Schrift ORDEN DES MORGENGRAUENS. Viel zu oft hatte sie schon dieses Wappen studiert. Das Wappen der Shadowwalker und ihrer geistigen Führer, dem Konklave des Ordens. Duncan, der einer von sieben Mitgliedern im Konklave war, stand an der Spitze dieses Klosters, welches außerhalb von Huntington lag, umgeben von einem kleinen Wald. Für Außenstehende war dies nur ein Mönchskloster, deren Mitglieder zurückgezogen lebten und sich dem Studium religiöser Schriften hingaben. Wenn immer wieder mal seltsame Gestalten in dunklen Mänteln, mit schweren Verletzungen und gar mit Schwertern am Gürtel ein und aus gingen störte dies keinen. Denn normale Menschen waren nicht fähig etwas zu sehen, was eines eher unnatürlichen Ursprunges war. Shadowwalker konnten zu Hauf an ihnen vorbei gehen und sie würden ihn ihnen nichts anderes als irgendwelche Passanten sehen. Selbst viele Zwischenwelter – mit dämonischem Blut infizierte Halbwesen – erkannten ihre Feinde meist zu spät. Shadowwalker wussten allerdings sofort, wenn sie jemanden vor sich hatten, der kein Mensch war. Einzige Ausnahme waren alle reinen Dämonen in Menschengestalt. Auch hier wurden diese meist erkannt, wenn es schon fast zu spät war und das traf auch auf die Shadowwalker zu. Emma selbst war noch nie einem reinblütigen Dämon begegnet. Sie war auch nicht sonderlich erpicht darauf, da ihr klar war, dass dieser Kampf wohl kaum zu ihren Gunsten ausgehen würde. Sie bewunderte viele der älteren und erfahrenen Shadowwalkern, die eine solche Konfrontation lebend überstanden hatten. Doch jetzt saß sie hier im Kloster, ihrer Heimat seit sie sechs Jahre alt war, und wartet auf Ashley. Die beiden hatten sich vor fünf Jahren kennen gelernt, als Ashley von Duncan ins Kloster gebracht wurde. Es war ungewöhnlich gewesen, dass jemand mit den Fähigkeiten eines Shadowwalkers erst so spät entdeckt wurde. Ashley hatte gleich eine gewisse Berühmtheit erlangt, welche sie nicht im Mindesten verstand. Und nur wenig später, als sich herumsprach, warum man sie erst so spät entdeckte, war sie erneut das Gesprächsthema Nummer eins. Doch dieses Mal war es keine Begeisterung, sondern Ablehnung, die die Runde machte. Emma hatte Ashley aber in der Zwischenzeit befreundet. Duncan hatte sie gebeten, sich um sie zu kümmern, da beide etwa im selben Alter waren. Und ihr war es damals wie heute egal gewesen, was die Anderen über Ashley redeten. Sie wusste es besser und sie wusste auch einige Dinge, welche selbst Duncan nie von ihr erfahren hatte. Doch jetzt sorgte sie sich einfach nur um ihre beste Freundin. Als kurz nach dem Ende der Besprechung Mike und Delia die Bibliothek verließen, hatte Emma sie gefragt, was gewesen wäre. Ihre Antwort waren abschätzige Blicke und ein schnippisches „Das geht dich einen Dreck an“ von Delia. Und je länger sie nun hier saß, desto mulmiger wurde ihr dabei. Duncan hatte Ashley immer verteidigt. Er hatte ihr sogar vor ein paar Monaten erlaubt, sich eine Auszeit zu nehmen und in eine kleine Wohnung in der Stadt zu ziehen. Aber nun war sie sich nicht sicher, ob er ihr nicht doch in irgendeiner Form eine Strafe aufbrummen würde. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus und fing an, auf und ab zu gehen, lies jedoch den Blick nun nicht mehr von der Türe abschweifen. Es quälte sie immer mehr nicht zu wissen, was da drinnen vorging. Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit wie ihr schien, öffnete sich die Tür und Ashley schlüpfte heraus. Hinter ihr kam Duncan kurz zum Vorschein und wandte sich kurz an Emma. „Und ich dachte, du hättest etwas zu tun bekommen, anstatt hier dumm rum zu stehen.“ Emma schenkte ihm ein ziemlich abschätzendes Lächeln, welches er erwiderte und sich wieder in die Bibliothek zurück zog. Ashley kam auf Emma zu, die sie mit einer freundschaftlichen Umarmung empfing. „Er hat Recht, du hättest wirklich nicht auf mich warten müssen.“ Emma schenkte ihr ein gequältes Lächeln. „Weißt du eigentlich, wie viele Sorgen ich mir um dich gemacht habe? Du hast dich seit Monaten nicht bei mir gemeldet. Und dann wirst du auch noch zu Duncan zitiert und solche Idioten wie Delia und Mike sollen jetzt mit dir abhängen. Hast du irgendetwas angestellt, dass er dich so bestrafen will?“ Ashley senkte den Blick. In ihren Augen schien die Erinnerung an einen schrecklichen Augenblick wiederzukehren. „Nur das Übliche, wie du wissen solltest.“ Emma verstand den Wink nicht weiter darauf ein zu gehen. Jedoch war sie neugierig auf das, was Duncan mit ihr und den beiden Anderen zu besprechen gehabt hatte. „Und um was ging es dann jetzt da drinnen?“ Nun lächelte Ashley süffisant. „Tut mir leid, dass darf ich dir nicht sagen.“ Emma war einen Moment lang beleidigt. Allerdings flaute dieses Gefühl schnell wieder ab. „Wie auch immer. Ich beneide dich nicht, schließlich darfst du wohl eine Menge Zeit mit Delia verbringen.“ Sie lachte auf, nachdem Ashley ihr beleidigt gegen die Schulter boxte. „Wie witzig!“ war Ashleys einzige Reaktion darauf. Die beiden setzten sich in Bewegung Richtung Ausgang. „Ich bring dich nach Hause, Ashley.“ Sagte Emma und legt den Arm um die Schulter ihrer Freundin. Kapitel 5: Lucas ---------------- Während der Schnee gegen Abend hin langsam nachließ, wollte der Wind sich von diesem Umstand nicht beirren lassen. Heftige Böen peitschten in der Stadt um die Häuser und bliesen so manch einem, der sich noch traute bei diesem Wetter vor die Tür zu gehen die eine oder andere Schneeflocke vom Boden aufgewirbelt ins Gesicht. Im menschenleersten Viertel der Stadt, dem Industriegebiet stand eingeschlossen von hohen Mauern und Zäunen ein großes Bürogebäude, dass die umliegenden Hallen und Häuser um mindestens zwei Stockwerke überragte. Am großen Tor welches auf das großzügige Gelände führte hing ein Schild, das jedem, der er es las erklärte, dass der Komplex dahinter leer stand. Doch dass trotz dieser Aussage dort dennoch täglich mehrere Dutzend Leute ein und aus gingen, schien niemandem aufzufallen geschweige zu interessieren. Wenige Meter vom nördlichen Ende des Grundstücks waren mehrere Straßenlampen ausgefallen und der Gehweg lag ein ganzes Stück im Dunkeln. Aus diesem Dunkel erschien nun eine in einen schwarzen Ledermantel gekleidete Person. Eine Kapuze hatte sie tief ins Gesicht gezogen, doch unter dem Rand lugten wachsam ihre Augen hervor und nahmen alles war, was um sie herum geschah. Als die dunkle Gestalt das Tor erreicht hatte, sprang es wie durch Zauberhand auf und gewährte ihr Einlass. Zielgerichtet ging sie auf das Bürogebäude zu, dessen Eingang im Dunkeln lag. Im Näher kommen erkannte sie zwei groß gewachsene Männer, welche die Eingangstür flankierten. Die Gestalt nahm die Kapuze ab und zum Vorschein kamen lange dunkle Haare, die ein wenig ins Gesicht der Frau fielen. Ihre eisblauen Augen schienen in der Dunkelheit zu leuchten und fixierten die beiden Männer. Einer der beiden nickte schwach, während der andere den Griff der Tür nahm und sie für die Frau aufhielt. Sie huschte an den beiden ohne eine Geste oder ein Wort der Begrüßung vorbei und folgte dem Korridor bis zum Ende, wo ein Aufzug mit schwarzen Metalltüren war. Sofort nachdem sie den Knopf gedrückt hatte, sprang die Tür auf. Sie trat ein. Doch anstatt auf eine der Zahlen zu tippen, fuhr sie mit der Hand etwas weiter oben über ein silbernes Schild, auf dem das zulässige Transportgewicht des Aufzuges stand. Ein piepsendes Signal zeigte, dass der Befehl verstand wurde. Der Aufzug setzte sich in Bewegung, fuhr jedoch nicht nach oben in eines der Stockwerke, sondern trotz der Tatsache, dass das Gebäude augenscheinlich keinen Keller hatte nach unten. Nach einigen Sekunden blieb er stehen und seine Türen öffneten sich. Ein dunkles Mauerwerk dessen einzige Beleuchtung mittelalterliche Fackeln an der Wand waren. Ein langer Gang wand sich vor ihr ohne in sichtbarer Nähe so etwas wie eine Tür an zu kündigen. Die Frau trat aus dem Fahrstuhl, der sich gleich danach wieder schloss. Sie folgte dem Gang, der schier endlos und ohne Abzweigung weiter führte. Nach einigen Minuten erreichte sie endlich eine große Holztür, die aussah als sei sie aus einem mittelalterlichen Schloss entwendet worden. Der Türgriff war aus glänzendem Silber und die Türbeschläge glitzerten, wenn das flackernde Licht der Fackeln darauf fiel. Ohne zu Zögern drückte sie den Griff runter und schwang die schwere Tür mit einer Leichtigkeit auf, als wäre sie aus Papier. Der Raum dahinter war ein groß und Gewölbeartig. So manch einer hätte sich an eine Kirche erinnert gefühlt. Doch es gab keine Fenster. Und anstatt Bänken war ein großer runder Holztisch in der Mitte aufgestellt. Drum herum standen mehrere Stühle aus Holz, deren Sitzfläche mit rotem Samt überzogen waren. Über dem Tisch hing ein goldener Kronleuchter mit unzähligen Kerzen. Er war die einzige Lichtquelle in dem düsteren Raum, wo sich dicht um den Tisch viele Menschen drängten, die ähnlich gekleidet waren, wie die Frau. Manche warfen ihr einen Blick zu und nickten, während sie sich weiter flüsternd mit anderen unterhielten. Andere wiederum nahmen nicht im Mindesten Notiz davon. Lediglich einer schien von ihrer Ankunft etwas mehr angerührt zu sein. Er bahnte sich einen Weg durch die anderen Personen im Raum und ging schnurgerade auf sie zu. „Gehe ich recht in der Annahme, dass es dich nicht schert, dass du während der Besprechung nicht dabei warst.“ Sagte er zu ihr. Einen Moment lang schien es so, als hätte sie ihn nicht gehört, weil sie zwar stehen blieb, aber in die andere Richtung starrte, doch dann wandte sie sich zu ihm um. „Wie du weißt, bin ich in der Position zu kommen und zu gehen, wann auch immer es mir passt. Und außerdem interessiert es mich tatsächlich nicht im Geringsten, was ihr hier alles zu diskutieren hattet.“ Sie wandte sich wieder ab. Er schien beleidigt, lies aber nicht locker. „Es ist nicht unter deiner Würde, dich mit uns ab zu geben. Und außerdem gibt es auch eine Instanz, der selbst du dich beugen musst.“ Ein böses Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. „Nein, natürlich nicht. Aber du wirst mir sicher irgendwann lang und breit erklären, was ihr besprochen habt, Charon.“ Er starrte sie finster an. „Ich wage, mich nicht daran erinnern zu können, dass du mich zu deinem Nachrichtendienst degradiert hast. Vor allem, da es dich ja sowieso nicht interessiert, was der Rest deiner Brüder und Schwestern zu sagen hat.“ Das Grinsen verflüchtigte sich etwas aus ihrem Gesicht, an dessen Stelle trat ein Ausdruck, der so manch einem Angst einflößend vorkommen musste. „Ich bezeichne niemand hier als meinen Bruder oder meine Schwester. Jeder macht doch hier sowieso nur das, was er für richtig hält und warum sollte ich es nicht genauso machen. Die Menschen interessieren mich nicht. Die vernichten sich auch ohne mein Zutun.“ Charon nickte zwar, doch er war noch nicht am Ende. „Das mag sein. Aber gerade du hast in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle zu spielen, Lily. Es ist vorherbestimmt. Das war es immer. Das weiß jeder einzelne Dämon hier im Raum.“ Lily legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr. „Dann ist es ja völlig egal, ob ich hier bin oder nicht, wenn ja eh alles vorherbestimmt ist, mein Lieber.“ Obwohl Charon darauf noch etwas erwidern wollte, ignorierte Lily das diesmal. Sie lies ihn einfach stehen, ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen und bahnte sich ihren Weg durch die Menge um den Tisch herum zu einem Mann mit einer roten Samtrobe, der als einziger auf seinem Stuhl saß und mit niemandem redete. Er hatte eine Glatze und einen eher rundlichen Kopf. Seine Augen waren zusammengezogen und fixierten das Geschehen im Raum. Als Lily nur noch wenige Meter entfernt war, sprach er zu ihr, ohne seine Augen auf sie zu richten. „Was verschafft mir die Ehre deines äußerst seltenen Besuches?“ Lily blieb einen Moment stehen, jedoch nicht aus Angst sondern eher aus Respekt. „Du sparst dir wie immer die üblichen Begrüssungsfloskeln, wie ich sehe.“ Sie stand nun neben ihm und erst jetzt hielt er es wohl für nötig, sie an zu sehen. „Ich würde es vorziehen, wenn auch du gleich zur Sache kommst, meine Zeit ist kostbar.“ Seine kalten Augen starrten sie durchdringend an. Der goldene Schimmer, den sie in diesem Licht verbreiteten, hätte so manchen bei diesem Anblick zusammensinken lassen. Doch Lily kannte ihn schon viel zu lange. Sie hatte keine Angst vor ihm, sie hatte auch keinen Grund dazu. „Wie du willst, Lucas.“ Sagte sie schließlich milde lächelnd und lies sich auf einem Stuhl neben ihm nieder, ehe sie fortfuhr. „Ich habe Gerüchte gehört und ich will wissen, ob etwas Wahres dran ist.“ Einen Moment lang verweilte Lucas mit seinem Blick auf Lily, dann wandte er ihn ab. „Das kommt auf die Art des Gerüchtes an.“ Lilys Augen blitzten auf. Sie wusste genau, dass er etwas verbarg und sie war nicht gewillt, auf sein Spielchen ein zu gehen. „Du weißt sehr genau, was ich damit meine. Und du willst sicher nicht, dass ich es hier vor allen Leuten raus posaune oder? Denn es scheint mir so zu sein, als wolltest du nicht, dass sie es erfahren, andernfalls hättest du während dem Treffen die Gelegenheit gehabt alle ein zu weihen.“ Lucas Blick kehrte zu Lily zurück. Seine Augen leuchteten und es war nicht schwer zu erraten, dass er ziemlich sauer auf sie war. Doch sie lies sich nicht beirren und starrte ihm weiter starr ins Gesicht. „Ich habe es nicht bekannt gegeben, weil unsereins nicht die einzigen sind, die davon wissen. Und um es so aussehen zu lassen, als würden wir keine Ahnung haben, habe ich nur eine Handvoll Leute eingeweiht, die sich auf die Suche nach dem Manuskript machen sollen.“ Er hatte den letzten Satz geflüstert und sich danach ganz schnell umgesehen, ob jemand der Umherstehenden im Raum eine Reaktion zeigte, die darauf hin deutete, dass er oder sie etwas verstanden hätten. Doch nichts war zu erkennen. „Wie haben die Schattengänger davon erfahren?“ war Lilys knappe Reaktion darauf. Auch sie beobachtete unauffällig alle am Gespräch nicht Beteiligten im Raum. „Wie ist letztlich nicht relevant. Fest steht, dass einer unserer Bluthunde es bei der Folter einem von ihnen entlockt hat. Eigentlich war es Schade. Mit seinem letzten Atemzug hat er seine Sippe verraten. So eine schwache Kreatur!“ „Heißt das nicht eigentlich, dass die Shadowwalker sich sicher sein können, dass wir es wissen? Was nützt dann die Geheimniskrämerei?“ Lucas zuckte kaum merklich mit den Achseln. „Nun, sie wissen nicht mit Sicherheit, dass wir es wissen, genauso wenig wie wir wissen, was sie jetzt vorhaben. Und wenn sie es zu wissen glauben, dann rechnen sie mit einer starken Reaktion. Und ich bin nicht geneigt, sie ihnen zu geben. Nach einer Weile werden sie überdenken, was sie für so unumstößlich gehalten haben und dann werden sie nicht mehr so vorsichtig sein. Das ist der Moment, in dem wir zuschlagen!“ Mit einem Hämmern auf den Tisch verlieh er seinen letzten Worten Ausdruck. Einige wenige, die dies bemerkt hatten, wandten sich erstaunt zu ihm um, doch ein durchdringender Blick von ihm, lies sie erschaudern und sie wandten sich augenblicklich wieder ab. „Ich glaube nicht so ganz, dass Duncan darauf reinfallen wird. Ich denke er wird alles dafür tun, um zuerst ran zu kommen. Und in dem Moment, in dem es ihnen in die Hände gefallen ist, wird es schwer sein, es ihnen wieder weg zu nehmen.“ Ein grimmiges Lächeln umspielte Lucas Gesicht. „Vielleicht solltest du deine Quelle nutzen, um mehr darüber raus zu finden.“ Lilys Reaktion verriet, dass Lucas zum ersten Mal einen Nerv getroffen hatte. Ihre Blicke durchbohrten ihn fast und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du weißt sehr genau, dass ich das nicht mache. Und ich dachte, dir schon vor einer Weile mitgeteilt zu haben, dass diese Quelle mir sowieso nicht mehr besonders viel nützen könnte.“ Er hob beschwichtigend die Hände und grinste nun von Ohr zu Ohr. „Schon gut, ich hab schon verstanden. Mich interessieren deine Vergnügungen nicht. Wir finden schon einen Weg uns die gewünschten Informationen zu beschaffen, ohne dein privates Vergnügen darunter leiden zu lassen. Deine Projekte sind deine Projekte.“ Lily beruhigte sich wieder und lehnte sich entspannt im Stuhl zurück. „Genau. Und deshalb werde ich mich auch wieder meinen Projekten widmen. Und bei deiner Schnitzeljagd wünsche ich dir viel Spass.“ Mit diesen Worten stand sie schließlich auf und verlies den Raum. Kapitel 6: Angel Dust --------------------- Delia saß nun schon seit einer Stunde vor ihrem Bier an der Bar. Das ‚Angel Dust’ erschien vielen wohl als die herunter gekommenste Spielunke der ganzen Stadt. Die Fenster waren klein und aus grünem Glas. Innen gab es nur spärliche Beleuchtung. Eine lange Bar erstreckte sich über die komplette Seite gegenüber vom Eingang. Über die restliche Fläche waren wackelige Holztische und noch wackligere Stühle verteilt. Einzig zwei Billard Tische bei den Fenstern zur Straße waren noch als zusätzliche Einrichtung vorhanden. Allerdings sahen die genauso wie die Stühle und Tische aus, als hätten sie ihre besten Jahre schon hinter sich. Die Wände waren dunkel gestrichen und auch Boden und Decke waren schwarz. Alles in allem gab es einem das Gefühl sich in eine Höhle verirrt zu haben. Doch die übliche Kundschaft hatte dagegen nichts ein zu wenden. Und das lag einfach daran, dass diese Bar die Stammkneipe der Shadowwalker war. Und nur in den aller seltensten Fällen verirrten sich „Außenstehende“ hier her. Und wenn, dann gingen sie meist nach ein paar Minuten, in denen sie mit bohrenden Blicken gequält wurden, wieder und schworen sich, hier nie wieder auf zu tauchen. Genauso wie Delia kamen die meisten nur hier her, um Dampf ab zu lassen. Obwohl die Shadowwalker bei ihren Einsätzen sehr diszipliniert waren, so ließen sie hier meist jede Form von Selbstbeherrschung einfach vor der Eingangstür liegen. Der Alkohol floss in Strömen, es wurden unflätige Witze gemacht. Manchmal gab es die eine oder andere Rangelei oder jemand hatte einfach zu viel getrunken und sank irgendwo in einer Ecke schnarchend zusammen. Während Delia Mike vor einer Stunde bei ein paar gleichaltrigen Kumpels abgestellt hatte, mit denen er jetzt lautstark am Billardtisch über irgendwelche Frauengeschichten, die größtenteils von allen sowieso erfunden waren, lachte, saß sie alleine an der Bar. Der Schaum von ihrem Bier hatte sich schon lange verflüchtigt. Von Zeit zu Zeit ertappte sie sich dabei, wie sie den Blasen der Kohlensäure dabei zu sah, nach oben zu steigen und zu verschwinden, aber inzwischen waren auch davon kaum mehr welche übrig. Obwohl es nun schon einige Stunden her war, seit Duncan sie mit ihrem „Babysitterjob“, wie Mike es nannte, beauftragt hatte, war ihre Wut darüber noch nicht annähernd verraucht. Sie hatte niemals einen Hehl daraus gemacht, dass sie Ashley abgrundtief verabscheute und ihr das Allerschlimmste wünschte. Der einzige Grund, warum sie sich dieser „Verräterin“ nicht schon lange vorher erledigt hatte, war Duncan gewesen. Sein Vertrauen in sie hatte Delia nie verstanden. Und so wie ihr ging es den meisten. Doch jetzt musste sie wohl oder übel mit ihr zusammen arbeiten. Schließlich hielt Delia es nicht mehr aus und nahm einen Schluck von dem inzwischen schalen Bier. Als sie nach dem Schluck angewidert das Gesicht verzog, setzte sich ein groß gewachsener Mann neben sie hin und bestellte sich etwas zu trinken. Delia schob das Bier weg und wandte sich dann an ihn. „Was willst du, Shane? Ich bin nicht in Stimmung von dir voll gelabert zu werden.“ Der Barkeeper stellte vor Shane zwei frische Bier hin. Er zog seine Jacke aus und warf sie auf den Hocker neben sich. An seinem linken Arm ging eine lange, weiße Narbe vom Ellenbogen bis fast zur Schulter rauf. Er schob ein Bier zu Delia. „Ich habe nicht wirklich vor, dich voll zu labern. Ich wollte dich wegen deinem Klotz am Bein bemitleiden. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob man sie nicht auch bemitleiden sollte, dafür, dass sie mit dir gestraft wurde.“ Delia nahm einen Schluck und fügte dem dann trocken hinzu: „Deinen Spott kannst du dir sonst wo hin schieben!“ Shane lächelte. Sein kantiges Gesicht gab dem ganzen einen grotesquen Anblick. „Es ist kein Spott, Delia. Ich denke, dass ihr alle beide es als genauso schlimm anseht, dass ihr euch gegenseitig Händchen halten dürft. Was sicherlich nicht das einzige ist, was ihr gemeinsam habt.“ Delias Wut rauchte erneut wieder aus der glühenden Asche von dem auf, was es noch vor ein paar Minuten gewesen war. „Was bitte sollte ich mit dieser kleinen Schlampe gemein haben?“ Shane drehte sich nun zu ihr um. Sein Blick war eisern, seine dunkelbraunen Augen waren in diesem Licht nur zwei schwarze Punkte. „Hast du sie schon mal in Aktion gesehen? Sie ist eine sehr starke Kämpferin und ich bin mir sicher, dass sie dir jederzeit das Wasser reichen könnte.“, einen Moment schwieg er, dann zeigte er auf einen weitere, dicke Narbe auf seinem Hals, „Siehst du das? Wenn Ashley nicht gewesen wäre, dann hätte mich dieser schleimige, Innereien fressende, stinkende Zwischenweltler umgelegt. Ich schulde ihr mein Leben und selbst wenn ich nicht ganz einverstanden mit manchen Dingen bin, die sie tut, so bin ich dennoch überzeugt, dass sie im Zweifelsfall auf unserer Seite steht.“ Delia lachte abschätzig über seinen Kommentar. „Nun, ich bin mir da nicht so sicher. Ich meine, sieh sie dir doch an, sie wohnt nicht mal mehr bei uns im Kloster. Sie hatte irgendwann keinen Bock mehr und Duncan sorgt dafür, dass sie alleine irgendwo in der Stadt unterkommt. Sie sitzt alleine da rum und macht, was ihr so passt.“ Shane rollte mit den Augen. „Das war alles Duncans Idee und nicht ihre. Er ist der Meinung, in dem er sie vom Rest trennt und ihr verbietet, sich mal so richtig aus zu toben, würde er sie schützen.“ Delia zog die Stirn kraus und nippte noch mal an ihrem Bier. „Was soll das bitte heißen, er verbietet ihr, sich so richtig aus zu toben?“ Shane schaute sie von der Seite her an und überlegte einen Moment. Dann schob er seinen Stuhl etwas näher und senkte seine Stimme. „Ist dir nie aufgefallen, dass sie noch kein einziges Mal hier gewesen ist? Duncan hat es ihr verboten. Ich habe manchmal das Gefühl, wenn jemand daran schuld ist, dass sie so eigenbrötlerisch geworden ist, dann ist es er. Ihr einziges Problem ist, dass sie einfach nicht nein sagen kann. Und das zu niemandem.“ Delia sah ihn an, als würde er ihr die größte Lügengeschichte der Welt erzählen. Aber auch sie senkte nun die Stimme. „Ich dachte immer, dass sie sowieso nichts anderes macht, als die ganze Zeit mit ihren speziellen Freunden zu treffen.“ Shane schüttelte den Kopf. „Sie ist wie Rapunzel im Turm eingesperrt und hin und wieder schaut mal ein Prinz vorbei und verbringt Zeit mit ihr. Wer würde da nicht sein Haar runterlassen? Ich denke sie muss einfach mal von selbst darauf kommen, ein bisschen zu revoltieren. Aber Duncan hat so die Hand drauf, dass sie es schon gar nicht versuchen will. Vielleicht muss man sie zu ihrem Glück zwingen.“ Mit diesen Worten leerte er den Rest seines Glases au, tippte ihr kurz auf die Schulter und verlies die Bar in Richtung Ausgang. Delia nahm ihr Glas und ging zu Mike und seinen Kumpels. Sie wollte sich ablenken von dem Gespräch, das sie grade geführt hatte, doch in ihr rumorte es gewaltig. Und den ganzen Abend lies sie ein Gedanke nicht los: „Du musst etwas unternehmen.“ Kapitel 7: Schneegestöber ------------------------- Ashley hatte anfangs heftig protestiert, als Emma sie zu ihrer Wohnung begleiten wollte. Doch die hatte keinen Widerspruch geduldet. Und so stapften die Beiden nun durch die schneebedeckten Straßen der Stadt. Vor einer Weile hatte es aufgehört zu schneien und deshalb war der Himmel nun sternenklar. Immer wieder hielten die beiden an, um nach dem einen oder anderen Sternenbild Ausschau zu halten. Dabei lachten und kicherten sie wie kleine Mädchen. Emma freute sich, dass sie ihre Freundin auch mal wieder so lächeln sah. Es war ein starker Kontrast zu der Ashley, die am Nachmittag vor versammelter Mannschaft zu spät in die Zusammenkunft geplatzt war. Doch Emma kannte Ashley viel zu gut, sie wusste, dass sie kaum Grund zum Lachen hatte und dass es ihr, ganz gleich wie oft sie es auch betonte, nicht gut ging. Als sie etwas später vor dem kleinen Wohnhaus ankamen, klopfte Ashley sich die Schuhe ab. Als Emma es ihr gleich tun wollte, hielt Ashley sie zurück. „Na schön, du hast mich den ganzen Weg vom Kloster bis hier her begleitet, aber du musst nicht auch noch meine Wohnung inspizieren.“ Emma tat beleidigt bei diesen Worten und meinte „Man könnte meinen, du willst mich nicht in deiner Wohnung haben. Hast du Angst, dass sich jemand da drinnen versteckt, der mir wehtun könnte?“ Ashleys Mundwinkel umspielte ein aufgesetztes Lächeln. Sie wusste, dass sie nicht wirklich verbergen konnte, wie sehr Emma bei diesen Worten ins Schwarze getroffen hatte. Doch sie überging diese Tatsache einfach „Ich möchte schlichtweg nicht, dass du in meinen Müllbergen erstickst, das ist alles!“ Emma grinste „Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es da drinnen aussieht. Ich meine, das eine Mal, als ich bei dir war, war eindringlich genug. Und wenn ich mir vorstelle, dass du seitdem wahrscheinlich nicht aufgeräumt hast, …nun es stellt mir ganz schön die Nackenhaare dabei auf.“ Ashley gab ihr einen leichten Schulterknuff „Hey! Ich hab den Müll auch schon mal raus gebracht!“ Emma brach daraufhin in schallendes Gelächter aus, woraufhin Ashley verwirrt wie ein begossener Pudel dastand und sich buchstäblich wegen dem Verhalten ihrer Freundin am Kopf kratzte. Als Emma wieder zur Ruhe kam, meinte sie nach Luft japsend „Ja genau. Und wann bitte war das letzte Mal?“ Als Ashley daraufhin rot anlief und irgendeine unverständliche Antwort von sich gab, hielt es Emma nicht mehr aus und verfiel in einen neuerlichen Lachanfall, der damit endete, dass ihr die Lachtränen in Sturzbächen über die Wangen liefen und sie sich am Ende röchelnd die Seite hielt und mit jedem Mal, wo sie Ashleys immer mehr gelangweilteres Gesicht sah, musste sie noch mal anfangen zu lachen. Eine halbe Ewigkeit später hatte sie sich endlich wieder komplett beruhigt und meinte, dass sie sich jetzt auf den Weg zurück machen würde. Ashley umarmte Emma zum Abschied und blieb im Eingang zum Treppenhaus stehen, bis Emmas Gestalt um die nächste Straßenecke gebogen und schließlich verschwunden war. Danach ging sie die Treppe hoch zum 1. Stock und sperrte die Tür zu ihrer Wohnung auf. Nachdem die Tür hinter ihr wieder ins Schloss gefallen war, entledigte sich Ashley erst ihrer Mütze, dann ihres dicken Mantels. Beides landete nur achtlos in einer Ecke im kleinen Flur. Kurz danach landeten auch ihre Stiefel irgendwo dort daneben. Mehr aus Neugierde als aus Hunger schlurfte sie zum Kühlschrank hinüber und öffnete die Türe. Bis auf einen fast leeren Karton Milch und einen vor ein paar Tagen abgelaufenen Joghurt schlug ihr nur gähnende Leere entgegen, sodass sie der Tür wieder einen Schubs gab und sie zumachte. Ein frustriertes Stöhnen entkam ihren Lippen und sie machte sich gedanklich eine Notiz, dass sie morgen dringend einkaufen sollte. Sie schwang sich auf die Couch und schnappte sich einen Papierstapel, der auf dem Boden vor der Couch lag und durchforstete die Angebote von diversen Lieferservices, aber nichts von alledem sprach sie wirklich an. Nach etwa zehn Minuten warf sie den ganzen Stapel wieder achtlos genau auf die Stelle am Boden, wo sie vorher auch gelegen hatten. Schnaubend sank sie einen Moment in die Couch zurück und schloss die Augen. „Womit hab ich das nur verdient?“ dachte sie sich. Sie gab es zwar ungern zu, aber in den letzten Wochen von den Anderen in Ruhe gelassen zu werden, hatte sie sehr genossen. Sie war das Getuschel und die verurteilenden Blicke leid gewesen, doch jetzt musste sie sich all dem wieder stellen. Und was noch viel schlimmer war: sie würde sehr viel Zeit mit Delia und Mike verbringen, denen es am allermeisten Spass machte, sie genau spüren zu lassen, wie sehr sie sie verabscheuten. Schließlich verabschiedete sie sich von diesen traurigen Gedanken, stand auf und ging zum Fenster. Außen war ein Teil der Scheibe zugefroren und winzige Eiskristalle zierten die Ränder. Innen war ein Großteil der Scheibe angelaufen. Instinktiv nahm Ashley einen Ärmel ihres Pullovers zu Hilfe und wischte darüber, um eine bessere Sicht nach draußen auf die Straße zu haben. In dem Moment, als die Sicht der Scheibe wieder klar wurde, schreckte Ashley auf: in der Scheibe spiegelte sich das Gesicht einer anderen Person hinter ihr. Wie vom Blitz getroffen fuhr Ashley herum und starrte einen Moment erschrocken in das lächelnde Gesicht einer hoch gewachsenen Frau mit langen, pechschwarzen Haaren und eisblau funkelnden Augen. Ashley schloss die Augen und sog tief Luft ein. Danach atmete sie aus und meinte: „Ich dachte wir waren uns einig, dass du das in Zukunft bitte lässt. Ich bin zu jung, um an einem Herzinfarkt zu sterben.“ Als Ashley wieder die Augen öffnete fuhr ihr Lily mit den Fingern sanft durch die Haare. Ihre Augen fixierten immer noch Ashley, als ob sie sie gefangen nehmen wollten. Ihr Lächeln wurde zu einem süffisanten Grinsen. „Ich hatte mir eigentlich eine ganz andere Begrüßung gewünscht.“ Meinte die Dämonenfürstin, immer noch grinsend und den Blick nicht abwendend. Ashley gab schließlich den Blickkontakt auf und fixierte einen Moment die Tür zur Diele, wohin Lily den Rücken zugewandt hatte. Dann gab sie kleinlaut zur Antwort: „Und was genau hattest du da im Sinn?“ Aber Ashley kannte die Antwort bereits und Lily enttäuschte sie nicht. Sie streichelte über Ashleys Wange, und kam dann näher und küsste Ashley sanft auf die Lippen und schließlich noch mal auf die Stirn. Wobei dieser Kuss kaum mehr als ein Atemhauch war. „Guten Abend, meine Geliebte.“ Flüsterte sie ihr ins Ohr, bevor Ashley den Kuss von eben erwiderte und in eine leidenschaftliche Umarmung sank. Kapitel 8: Nachforschung ------------------------ Das Aufstehen war wie an jedem Morgen gewesen, wenn Lily bei ihr gewesen war. Dort wo sie gelegen hatte, als Ashley eingeschlafen war, war nur gähnende Leere und die Wohnung war totenstill. Obwohl sie genau wusste, dass Lily nie bis zum nächsten Morgen bei ihr bleiben würde, hoffte sie jedes Mal wieder darauf. Innerlich flehte sie jedes Mal, dass es doch nur heute, nur zu diesem Zeitpunkt nicht so wäre, wie es sonst immer war. Und auch heute Morgen war Ashley aufgewacht, hatte noch schlaftrunken das Bett neben ihr abgetastet, aber niemanden gefunden. Und wieder war ein kleines Stück in ihr zusammen gebrochen. Sie wurde wütend auf sich selbst, weil sie sich jedes Mal wieder dieser Illusion auslieferte. Auf Lily konnte sie nicht wütend sein, denn die machte eigentlich immer unmissverständlich klar, dass sie nicht die geringste Absicht hegte, länger zu bleiben, als „nötig“. Und dennoch gab es einen kleinen Teil in Ashley, der einfach nicht aufhören wollte zu glauben, dass sich diese Einstellung irgendwann änderte. Jetzt war es schon später Nachmittag und Ashley saß in der großen Bibliothek des Klosters. Als sie vor ein paar Jahren „entdeckt“ wurde, stieg die Bibliothek schnell zu ihrem Lieblingsplatz auf. Es war nur selten jemand dort und es wurde streng darauf geachtet, dass jeder sich leise mit seinen Studien beschäftigte. Das hatte den Vorteil, dass die meisten Leute, welche Ashley mordlustige Blicke zuwarfen, sie einfach zufrieden ließen. Hier hatte sie kaum etwas von ihnen zu befürchten. Denn schon von Anfang an, war ihr Ruf unter den Schattengängern ruiniert gewesen. Nachdem Duncan sie zu sich geholt hatte, war ihre Geschichte innerhalb weniger Tage wie ein Lauffeuer verbreitet worden. Und so wurde sie zu einer traurigen Berühmtheit. Alle Schattengänger wollten das Mädchen sehen, welche sich mit einer Dämonin, schlimmer noch – einer der Fürstinnen – eingelassen hatte. Nicht wenige forderten schon damals, dass Duncan sie einfach wegsperren sollte. Andere wiederum wollten sich gar nicht lange mit der Geschichte behelligen lassen und meinten, man müsse sich Ashleys so bald wie möglich entledigen. Aber da waren auch andere, allen voran Emma, die ganz anders reagierten. Emma verurteilte sich nicht und sie bemitleidete sie nicht, wie sie es bei Duncan oft im Verdacht hatte. Die paar wenigen, die sich keine Meinung bildeten, waren allerdings schnell von den Anderen so weit eingeschüchtert worden, dass sie sich ganz raus hielten. Nur Emma nicht. Und sie hielt auch nach wie vor zu ihr, obwohl sie, wie auch die meisten Schattengänger, genau wusste, dass Lily Ashley nach wie vor mal öfter, mal seltener „besuchte“. Warum sie das tat, war Ashley immer noch ein Rätsel, aber sie war ihr dafür ungleich dankbar. Nun brütete sie über alten dämonischen Schriftzeichen und zermarterte sich seit Stunden schon den Kopf darüber, was sie denn bedeuteten. Ashley konnte die Sprache problemlos lesen – ein kleiner Vorteil, den ihr die Bekanntschaft mit Lily eingebracht hatte – allerdings war das ganze ein verworrenes Knäuel aus kryptischen Andeutungen und anderem Geschwätz. Es könnte noch ewig dauern, bis sie sich endlichen einen Reim darauf gemacht hatte. Sie begann die Reinübersetzung in ein kleines, in Leder gebundenes und schon ziemlich mitgenommenes Notizbuch zu kritzeln. Vielleicht konnte sie sich ja abends zu Hause noch mal daran setzen und mehr Sinn darin verstehen. Gerade als sie den letzten Satz schrieb, ging die Tür knarrend auf und Delia streckte ihren Kopf herein. Ashley nahm sie aus den Augenwinkeln war, beschloss aber, sie zu ignorieren und widmete sich weiter ihrem Notizbuch. Delia stapfte geräuschvoll auf sie zu und Ashley fragte sich, ob sie wohl Ärger dafür kriegen würde. Da aber außer ihr selbst sonst niemand in der Bibliothek gewesen war, hielt sie es für äußerst unwahrscheinlich. Als Delia sich in einen Stuhl neben Ashley fallen lies, hob diese den Kopf und tat so, als hätte sie gerade erst bemerkt, dass da jemand vor ihr stand. Ein paar Sekunden starrten sich die Beiden schweigend an, dann zog Ashley die Stirn kraus und meinte: „Wenn du mir was sagen willst, dann spuck es aus. Wenn nicht, dann lass mich in Ruhe.“ Delia verzog das Gesicht zu einer komischen Grimasse. Sie wirkte, als ob sie nicht genau wusste, was sie denn darauf sagen sollte. Ashley wartete geduldig ein paar Augenblicke auf eine Antwort, dann schnappte sie sich seufzend ihre Stifte und das Notizbuch und steckte es in eine kleine Tasche. Sie rollte das Pergament zusammen, welches sie zu übersetzen versucht hatte und sagte dann: „Wie auch immer, ich wollte sowieso grade gehen.“ Sie wandte sich ab und wollte zur Tür gehen, als Delia ihren Arm packte und sie festhielt. „Warte mal, wo willst du hin?“ Ashley drehte sich zu ihr um und versuchte ihren Arm frei zu bekommen, aber es gelang ihr nicht, da Delia den Griff nur noch verstärkte. Sie versuchte ihren Ärger zu unterdrücken und presste hervor: „Nach Hause, was dachtest du denn?“ Delia lockerte den Halt etwas und fing an zu grinsen: „Das wirst du bestimmt nicht.“ Ashley zuckte kaum merklich mit den Mundwinkeln. „Und warum werde ich das nicht?“ Delia lies los und verschränkte die Arme vor der Brust. „Weil ich und Mike den Job haben auf dich auf zu passen. Und das geht nicht, wenn du zu Hause in deinem Loch sitzt und was weiß ich was treibst.“ „Soll das heißen, dass ich hier bleiben soll?“ Ashley war genervt. Delia schien das vollkommen kalt zu lassen. Ihr Grinsen wurde nur noch breiter. „Nein, das heißt, dass du heute einen kleinen Ausflug machst.“ Nun verschränkte Ashley die Arme vor der Brust. „Und wohin bitte?“ Delia schwang einen Arm um ihre Schulter und zog sie zur Tür. „Das, meine kleine Intelligenzbestie ist eine Überraschung.“ Kapitel 9: Eine Aufgabe ----------------------- Während am Horizont die schwache Wintersonne gerade ihre letzen Sonnenstrahlen verteilte, lehnte Lily im obersten Stock des Stützpunktes im Flur neben einer ziemlich ausgeblichenen Tür. Sie zog gelangweilt an einer Zigarette und beäugte missmutig eine Uhr, die ihr gegenüber hing. Vor einer Stunde hatte Lucas sie her bestellt. Zuerst wollte sie ihm sagen, dass er sie mal kreuzweise könne, doch er hatte die Angelegenheit als äußerst wichtig beschrieben. Also war sie mit einer ziemlich üblen Laune hier aufgetaucht. Aber Lucas lies sie warten. Und sie ahnte auch, was der Grund war, warum er ausgerechnet sie mit dieser äußerst wichtigen Angelegenheit betrauen wollte. Doch sie wollte sich nichts anmerken lassen. Sie gab schon lange nichts mehr auf seine Bedenken bezüglich Ashley. Vor Jahren bereits hatte sie unmissverständlich klar gemacht, dass sie es schlichtweg genoss, dass die junge Frau – trotz ihrer Zugehörigkeit zu den Schattengängern – sie begehrte. Und Lily begehrte sie auch. Und schließlich war sie definitiv nicht die einzige, die sich unter den Sterblichen diverse Bettgefährten suchte. Gerade Lucas war in dieser Sache ein ziemlich leuchtendes Beispiel. Ihm war wohl nur ein Dorn im Auge, dass es Lily gelungen war, sich eine Schattengängerin unter den Nagel zu reißen und sogar ziemlich lange vor ihresgleichen zu verbergen. Das Geräusch der Fahrstuhltüren riss sie jäh aus ihren Gedanken. Sie stieß sich von der Wand ab und trat ihre Zigarette aus. Die Arme vor der Brust verschränkt, wartete sie, bis schließlich Lucas um die Ecke kam und auf sie zu schritt. Lily wusste, dass er übergehen würde, dass sie sauer auf ihn war, also versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. „Weih mich ein, was so wichtig war, dass ich umgehend hier her zitiert wurde.“ Lucas schloss die Bürotür auf und gebot Lily ein zutreten. Drinnen war es bis auf eine kleine Lampe an der Wand, die nur spärliches Licht spendete, dunkel. Lucas nahm hinter einem massiven Holzschreibtisch Platz, ehe er sich herabließ, Lily zu antworten. „Ein paar unserer Greifer ist es heute Nachmittag gelungen, etwas sehr wertvolles in unseren Besitz zu bringen.“ Lily lies sich faul in einen ramponierten alten Sessel gegenüber fallen, legte die Beine auf den Tisch und meinte „Und was soll dieses sehr wertvolle Ding sein?“ Lucas warf ihr einen finsteren Blick zu, stand auf, ging um den Tisch herum und lehnte sich an die Tischkante, genau neben Lilys Füßen. „Es handelt sich um einen Schattengänger.“ Die Reaktion, welche Lucas erwartet hatte, blieb nicht aus. Blitzschnell hatte Lily die Füße vom Tisch genommen und stand vor Lucas. Ihre Augen funkelten „Wen?“ war alles, was sie hervor brachte, ohne noch mehr Gefühlsregungen preis zu geben. Lucas lächelte böse. „Keine Sorge, es handelt sich nicht um deine kleine Gespielin. Es ist ein enger Vertrauter von Duncan, sein Name ist Randolph.“ Lily schloss die Augen und atmete tief durch. Innerhalb ein paar Augenblicken hatte sie sich wieder beruhigt. Innerlich verfluchte sie sich dafür, dass sie auf das Spielchen von Lucas rein gefallen war. „Und warum erzählst du mir das?“ war ihre Antwort und sie hatte große Mühe nun zu verbergen, wie sehr er sie zur Weißglut trieb. Lucas Lächeln wurde nur noch breiter. „Nun, wir wollen ihn natürlich verhören, um zu erfahren, was die Schattengänger planen. Und wer wäre dafür besser geeignet, als du?“ Lily verschränkte die Arme wieder vor der Brust und dachte einen Moment darüber nach. „Du willst, dass keiner merkt, dass er ausgequetscht wurde? Wieso?“ Lucas ging wieder zurück hinter den Schreibtisch und setzte sich erneut. Er lies sich Zeit damit, zu antworten. „Damit die nicht wissen, dass wir ihnen einen Schritt voraus sind und ihnen einen Falle stellen können, das ist doch wohl klar, oder?“ Lily erhob sich mit einem einfachen „Verstehe.“ Sie ging zur Tür, hielt aber bevor sie diese öffnete noch einmal inne „Wo ist er?“ war ihre einfache Frage. Lucas lehnte sich entspannt zurück. „In den Kerkern neben der Folterkammer.“ Nach der Antwort ging Lily ohne Lucas noch eines Blickes zu würdigen oder noch irgendetwas zu sagen, nach draußen und machte sich auf den Weg Richtung Fahrstuhl. Kapitel 10: Verhör ------------------ Zehn Minuten später bahnte sich Lily mit einer Fackel in der Hand den Weg durch einen ansonsten unbeleuchteten, modrigen und übel riechenden Gang. Dass es hier nicht eine einzige Lichtquelle gab, war durchaus so gewollt. Die Gefangenen lies man oftmals Tage lang in völliger Dunkelheit sitzen und so mancher hatte darüber hinaus den Verstand verloren. Hinzu kam, dass es hier unten auch ziemlich kalt war, weshalb Lily nicht im Traum daran dachte, ihren Mantel abzulegen. Zügig schritt sie den Gang entlang, bis sie schließlich an eine Abzweigung kam und rechts in einen niedrigen stollenartigen Gang abbog. Nach wenigen Metern kam sie an einen massive Holztür mit einem großen silbernen Schloss. Sowohl das Schloss als auch die Tür selbst waren mit unzähligen magischen Runen beschriftet. Lily nestelte in ihrer Manteltasche und zog schließlich einen silbernen Schlüssel – ebenfalls mit Runen beschriftet – hervor und steckte ihn in das eiserne Schloss. Die Tür sprang auf und Lily trat herein. Sie steckte die Fackel in einen Halter gleich neben der Tür und zog diese wieder zu. Das spärliche Licht der Fackel enthüllte eine in einem Stuhl kauernde Gestalt in der Mitte des Raumes. Schwere Ketten und mehrere dicke Seile fesselten den Mann an den Stuhl. Er blickte auf, als Lily sich geräuschvoll einen Hocker aus der Ecke schnappte ihn vor den Mann stellte und sich niederließ. Lily schob die Ärmel ihres Mantels zurück und kurzzeitig blitzte eine Tattowierung auf der Innenseite ihres rechten Unterarms auf. Randolph, der Gefangene, beobachtete sie genau, als sie die Ellbogen auf ihre Knie stellte und den Kopf auf ihren Fäusten anlehnte. Eine Weile musterten sich beide und keiner sagte ein Wort. Schließlich setzte Lily ein Grinsen auf und meinte „Nun, wir wurden einander zwar nicht vorgestellt, aber das ist an sich nicht wichtig. Ich weiß, was du bist und du weißt, was ich bin. Und in ein paar Minuten wirst du mir ein paar Fragen beantworten. Und wenn ich damit zufrieden bin, dann werde ich wieder gehen. So einfach ist das.“ Randolph lehnte sich so weit nach vorne, wie es seine Fesseln zuließen. „Ich werde dir kein Wort verraten, du Schlampe. Eher werde ich zu Grunde gehen, als das zu verraten woran ich glaube.“ Lily lächelte nur noch breiter. Sie stand auf und zog einen Ring hervor, den sie an ihren linken Zeigefinger steckte. Sie ging um Randolph herum und blieb genau hinter ihm stehen. „Siehst du, ich glaube dir, dass das deine Überzeugung ist und ich bin mir sicher, dass es egal ist, was ich dir androhe oder wie viele Körperteile ich verunstalten würde, du würdest mir nichts verraten. Aber das ist genau das, was ich nicht vor habe zu tun. Du kannst dich immerhin mit dem Gedanken trösten, dass es nicht deine Schuld ist.“ Bevor Randolph antwortete hatte Lily seinen Kopf mit beiden Händen gepackt. Der Ring an ihrem Finger war mit der Oberseite nach innen gedreht und drückte nun genau hinter dem Ohr an den Schädel. Während sie einige Beschwörungen in der Dämonensprache murmelte, fing der Ring an, zu glühen und Randolph schrie auf vor Schmerzen. Er versuchte sich gegen den Griff von Lilly zu wehren, aber sie hielt ihn eisern fest. Schließlich hatte sie ihre Beschwörung beendet und lies ihn los. Der Ring hatte eine kreisrunde Wunde hinterlassen, die aber kaum blutete. Das Symbol, welches der Ring in die Haut gebrannt hatte, war aber kaum zu erkennen. Lily lies den Ring wieder in der Tasche verschwinden, ging um Randolph herum und setzte sich erneut auf den kleinen Hocker. Sie ließ einige Minuten vergehen, in denen Randolph den Anschein machte, als würde er sich gegen eine aufkommende Müdigkeit wehren. Sein Kopf nickte von der einen zur anderen Seite und seine Augen wurden glasig. Dann, nachdem sie sich sicher war, dass ihr Zauber gewirkt hatte, lehnte sie sich vor und sah ihm in die verschwommenen Augen. „Und jetzt mein Lieber, werden wir uns in aller Ruhe unterhalten.“ Randolph begann seltsam mit den Augen zu rollen und sein Kopf kippte nach vorne. Ein kaum merkliches Grinsen umspielte Lilys Lippen und sie neigte sich weiter nach vorne und flüsterte ihm ins Ohr. „Erzähl mir, was dein Freund Duncan in nächster Zeit geplant hat.“ Randolph atmete schwer ein und aus. Er wehrte sich gegen den Drang, sofort alles preis zu geben, was Lily hören wollte. Doch schließlich gab er nach. „Er… er hat die Patrolien verstärkt. Er rechnet mit vielen Dämonen innerhalb der Stadt.“ Lily verzog das Gesicht und fluchte innerlich bei dem Gedanken auf, dass Lucas Vorhersage, Duncan würde eine starke Reaktion seitens der Unterweltler befürchten, tatsächlich eingetroffen war. Sie schüttelte diese Gedanken ab und flüsterte erneut „Was hat er noch vor?“ Randolph zuckte nach hinten. Er schüttelte sich wie bei einem Krampf, doch es half alles nichts, auch diese Information gab er preis. „Er lässt eine Schriftrolle übersetzten. Darin… darin… darin steht, wo das Manuskript zu finden ist. Und danach werden sie es holen.“ Lily lehnte sich zurück. Gänsehaut bildete sich auf ihrem Rücken. Eine dunkle Ahnung beschlich sie. Ihre Stimme war heiser, als sie die nächste Frage stellte „Wer soll die Schriftrolle übersetzten?“ Randolph sah sie genau an. Tränen liefen über seine Wangen. Seine Augen rollten in den Höhlen. Lily flehte innerlich, dass sich ihre Ahnung nicht bestätigte. Randolph rang mit sich und kämpfte ein letztes Mal dagegen an. Lily dauerte das alles viel zu lange. Ungeduldig packte sie das Häufchen Elend, welches der Shadowwalker noch da stellte an den Schultern und schüttelte ihn leicht. „Wen lässt Duncan die Rolle übersetzten?“ Randolph zitterte am ganzen Körper als er kaum merklich die Antwort von sich gab. „A…Ashley B…“ Lily wurde kreidebleich und unterbrach ihn mit einer Ohrfeige. Er sackte im Stuhl erneut zusammen und gab keinen Mucks mehr von sich. Lily stand auf und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Warum bin ich so überrascht? Dachte sie. Wer außer ihr kann die alte Sprache lesen. Hätte ich sie ihr bloß nie beigebracht! Lily wartete ein paar Augenblicke, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie zog den Mantel um sich herum enger und öffnete die Tür nach draußen mit dem Schlüssel. Die Fackel von drinnen in der Hand trat sie wieder auf den kalten modrigen Gang. Sie ging ein paar Schritte Richtung Ausgang und bemerkte dann, dass ihr eine andere Gestalt mit einer Fackel entgegen kam. Es war Lucas, der wohl nicht erwarten konnte, zu erfahren, was Randolph alles an Informationen geliefert hatte. „Na, hat der Vogel ein schönes Liedchen gesungen?“ Lily rollte mit den Augen. „Natürlich. Hattest du denn etwa Zweifel daran?“ Lucas verzog sein Gesicht zu einer Fratze, die er immer aufsetzte, wenn er sich überlegen fühlte. „Dann schieß mal los.“ Lily holte tief Luft. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass sich nicht wirklich mit dem Inhalt des Gespräches zufrieden war. „Du hattest recht damit, dass Duncan seine Leute verstärkt. Er rechnet wohl wirklich damit, dass wir die Stadt überschwemmen.“ Das Grinsen auf Lucas Gesicht deutete an, wie zufrieden er damit war. „Wie vorhersehbar die Sterblichen sind! Dann war es ja doppeltes Glück, dass dieser unglückselige Kerl uns in die Hände fiel.“ Lily setzte ein Lächeln auf. „Ja in der Tat.“ Lucas lachte so laut auf, dass es von den kahlen Wänden widerhallte. „Was hat er uns denn noch so alles erzählt?“ „Sie sind dabei, einen direkten Hinweis zu entschlüsseln, der sie zu dem Teilstück des Manuskriptes führen kann.“ Lucas fuhr sich über seine Glatze. „Interessant. Wissen wir auch, wer das entschlüsseln soll? Jemand, den wir kennen?“ Lily zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort „Nicht, dass ich wüsste.“ Log sie. „Dann werden wir sie einfach besser im Auge behalten, die ganze Bande.“ Meinte er. Lily ging an ihm vorbei, in dem Wissen, dass ihre Arbeit nun erledigt sei. Doch sie war kaum fünf Schritte gegangen, da rief Lucas sie noch mal. „Hey, warte mal!“ Lily schreckte innerlich auf. Hatte er bemerkt, dass sie gelogen hatte? Sie drehte sich um, bemüht, sich nichts von ihrer Befürchtung anmerken zu lassen. „Was willst du?“ entgegnete sie schnippisch. „Sag mir eines, warum hast du dich seiner nicht entledigt, nachdem du fertig warst?“ Erleichterung machte sich in ihr breit, als sie sich umdrehte und ihm zurief. „Mach deine Drecksarbeit doch selber, Lucas.“ Während Lily alsbald um die Ecke verschwand, zog er einen silbernen Dolch unter seinem Mantel hervor und öffnete grinsend die Kerkertür. Kapitel 11: Eine Frage des Vertrauens ------------------------------------- Gerade als die Dämmerung über das Kloster hereinbrach, durchquerte Emma stapfend das Portal. Die Kapuze ihrer Jacke hatte sie tief ins Gesicht gezogen. Es schneite zwar nicht mehr, dafür fegte ein eisiger, schneidender Wind über das Gelände. Als sie die Eingangshalle durch eine kleine Holztüre betrat schlug ihr behagliche Wärme entgegen. Ihre von der Kälte geröteten Wangen legten noch einiges an Farbe zu. Emma entledigte sich ihrer Kapuze und öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke. Sie bog nach rechts in einen schmalen Gang ab, der zu einer Treppe führte. Sie folgte dieser bis in den dritten Stock, wo ihr Zimmer untergebracht war. Sie stieß die Tür kurz auf und warf ihre Jacke in die Ecke. Der Raum war gerade mal 12 Quadratmeter groß und beherbergte neben dem Bett einen Schreibtisch mit einem Fernseher und einen massigen Schrank. An der Wand hingen nur ein paar wenige Fotos, die größtenteils mit Tesa befestigt waren. Die Fotos zeigte Emma und ein paar ihrer Kollegen, darunter auch Ashley bei einer kleinen Feier anlässlich von Emmas Geburtstag vor ein paar Jahren. Lediglich eines, welches schon ziemlich ramponiert aussah zeigte Emma als kleines Kind zusammen mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester. Ein paar Augenblicke blieb ihr Blick an diesem Bild hängen. Emma hatte seit ihrem siebten Lebensjahr keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie gehabt. Und an manchen Tagen war es nicht leicht, zu akzeptieren, dass ein Shadowwalker außer seinen Kameraden keine andere Familie haben durfte. Als sich ihr Blick von dem Bild gelöst hatte fiel ihr auf, dass auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett ein Zettel lag. Emma griff danach und erkannte Duncans Handschrift darauf. „Ich warte in meinem Büro auf dich.“ Stand in großen Lettern darauf geschrieben. Sie zog die Stirn kraus und fragte sich, was um alles in der Welt sie nun schon wieder angestellt hatte, um zu Duncan zitiert zu werden. Mit einem Seufzer machte sie kehrt und verlies ihr Zimmer wieder. Über die Eingangshalle kam sie schließlich in den Gang, welcher auch zur Bibliothek führte. Duncans Büro war am anderen Ende des Ganges und fünf Minuten später klopfte sie an die Holztür, welche vom Aussehen her, jener zur Bibliothek ähnelte. Einzig in der Größe unterschieden sie sich, denn diese Tür hier war wesentlich kleiner. Einen Augenblick später trat sie ein. Duncans Büro hatte das Aussehen von einem kleinen Keller. Kathedralenartige Fenster an zwei Seiten spendeten aufgrund des Buntglases nur spärliches Licht. Stattdessen war der Raum gesäumt mit mehreren Kerzen und Laternen. Elektrisches Licht gab es nicht. Duncan bevorzugte es „traditionell“, wie er es nannte. Er blickte kurz auf und wies Emma dann einen Sessel seinem massigen Eichenholzschreibtisch gegenüber zu. Emma nahm Platz. Sie fühlte sich jedes Mal in diesem Raum wie ein Schulmädchen, welches zum Direktor zitiert wurde, weil sie im Unterricht mit Papierkügelchen geworfen hatte. Einige Minuten voller eisigem Schweigen vergingen, in denen Duncan tief über einige Papiere gebeugt Emma keines Blickes würdigte. Dann setzte er sich urplötzlich auf und wandte sich seinem Besuch zu. „Ich danke dir, dass du gekommen bist. Ich weiß, dass du seit heute Morgen unterwegs warst, deshalb werde ich mich so kurz wie möglich fassen.“ Emma, die nicht damit gerechnet hatte, dass Duncan zu reden anfing, war wie vom Donner gerührt in ihrem Sessel erschrocken. Er überging diese Reaktion jedoch und sprach weiter. „Ich muss dir leider zu deinen normalen Pflichten noch einen zusätzlichen Auftrag erteilen.“ Er machte kurz Pause und fuhr dann fort. „Ich will dass du ein Auge auf Ashley hast und auf das, was Mike und Delia mit ihr anstellen.“ Emma konnte ihr Erstaunen nicht verbergen und ehe sie nachdachte, platze ein „Wieso?“ heraus. Duncan gab ihr einen finsteren Blick zur Antwort, was Emma sofort wieder verstummen lies. Er konnte es ganz und gar nicht leiden, wenn man seine Befehle in Frage stellte. Immer noch finster drein blickend fuhr Duncan schließlich fort. „Nicht, dass es von Bedeutung wäre, aber ich bin besorgt um sie.“ Emma wägte seinen Blick ab und entschied, dass sie dieses mal gefahrlos antworten konnte. „Warum hast du sie dann mit Delia und Mike zusammengewürfelt, wenn es dir Kopfzerbrechen bereitet?“ Duncan faltete die Hände zusammen und wartete einen Moment, ehe er antwortete. „Delia und Mike sind das Geringste der Probleme. Sie könnten Ashley lediglich auf dumme Gedanken bringen, das ist alles.“ Emma grinste schief und dachte sich „es wäre ja vollkommen undenkbar, dass sie ihr ein paar reinhauen, wenn sie irgendwas macht, was ihnen nicht gefällt.“ Duncan schien ihren Gesichtsausdruck nicht bemerkt zu haben und fuhr fort. „Ich halte Ashleys… Besucher… für wesentlich problematischer.“ Emma gefiel diese Aussage ganz und gar nicht. „Warum das auf einmal?“ war ihre schlichte Antwort darauf. Duncan stand auf und wandte sich von Emma ab. Er spähte aus dem Fenster durch das milchige Glas hinaus auf den Hof. „Laut meinen Beobachtungen sind diese Besuche häufiger geworden. Es gibt kaum einen Tag, an dem Ashley alleine ist und ich fürchte, sie könnte irgendwelche Informationen preisgeben.“ Einen Moment lang herrschte drückende Stille in Duncans Büro. Emma suchte nach Worten und erst nach einer Weile fand sie die Stimme wieder. „Das war früher auch kein Problem, als Ashley nächtelang weggeblieben ist und sich mit ihr in irgendeinem schäbigen Hotel getroffen hat. Ich dachte du hättest Vertrauen zu ihr?“ Duncan sank den Kopf. Ein heiseres Lachen entfuhr seiner Kehle. Er wandte sich wieder um. „Oh, versteh mich nicht falsch. Ich habe nach wie vor Vertrauen zu Ashley, aber zu Lily habe ich es definitiv nicht. Und deshalb möchte ich, dass du nach ihr siehst. Je weniger Zeit die beiden miteinander verbringen, desto besser.“ So ganz überzeugt war Emma von diesen Beweggründen nicht, aber sie hütete sich davor, Duncan auch nur im Ansatz zu widersprechen. Mit einem Nicken stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Tür. Davor blieb sie stehen und wandte sich noch einmal an Duncan. „Wo ist Ashley eigentlich? Wollte sie nicht heute hier arbeiten?“ Duncan nahm wieder in seinem Stuhl Platz und lächelte milde. „Sie ist vor ungefähr einer Stunde von Mike und Delia mitgenommen worden. Wo sie hin sind, weiß ich allerdings nicht.“ Emma drehte sich um, so dass Duncan nicht mehr sehen konnte, dass sie mit den Augen rollte. Dann trat sie hinaus auf den Flur. Na gut. Dachte sie. Dann fragen wir uns mal durch, bis wir die drei finden. Kapitel 12: Kontakte -------------------- Ashley saß auf einem unbequemen Barhocker im Angel Dust und nippte an einer Flasche Bier. In den 20 Minuten, die sie hier war, hatte sie noch kaum etwas davon getrunken. Während Mike, der neben ihr saß und sich mit einem anderen Shadowwalker namens Ryan unterhielt, bereits seine zweite Flasche leerte. Nachdem Delia sie aus der Bibliothek „entführt“ hatte, waren sie stundenlang durch die halbe Stadt gewandert und waren dem einen oder anderen Kollegen begegnet – die allesamt ziemlich wenig von Ashleys Anwesenheit begeistert waren und sich nicht die Mühe machten, dass zu verbergen. Dann endlich gegen halb neun hatten sie das Angel Dust angepeilt und waren eine halbe Stunden später dort angekommen. Ashley war noch nie hier gewesen, obwohl ihr die Bar und ihr „Zweck“ wohl bekannt waren. Aber aufgrund der Tatsache, dass die meisten Leute, die hier ein und aus gingen, sie sowieso nicht leiden konnten und Duncan auch nicht gerade begeistert war, wenn sie sich hier aufhalten würde, hatte sie nie sonderlich Interesse gezeigt, hier her zu kommen. Und jetzt da sie hier war, wünschte sie sich eigentlich nur, so schnell wie möglich wieder zu gehen. Neben der Tatsache, dass die Beleuchtung sowieso nur schäbig war, stand dicker Rauch vom Qualm diverser Zigaretten in der Luft. Es war so trüb, dass Ashley kaum Delia erkennen konnte, die neben ihr saß und sie seit ungefähr fünf Minuten musternd anstarrte. Dann griff Delia nach Ashleys Bierflasche hielt sie gegen das Licht und prüfte den Inhalt. „Stimmt irgendwas damit nicht oder gefällt es dir, die volle Flasche in der Hand zu haben?“ Ashley nahm ihr die Flasche wieder ab, nippte erneut daran und antwortete „Ich bin nicht wirklich durstig, das ist alles.“ Delia lachte auf „Seit wann trinkt man Bier, weil man durstig ist? Das trinkt man, um betrunken zu werden.“ Ashley zog eine Augenbraue hoch „Ach wirklich? Das ist mir neu.“ Delia seufzte gequält auf. „Wann hörst du endlich auf, so ein Gott verdammter Langweiler zu sein?“ Beleidigt verzog Ashley das Gesicht. „Ich kann auch ohne betrunken zu sein, gut drauf sein.“ Meinte sie. Delia setzte ein vernichtendes Grinsen auf. „Tatsächlich? Das sieht man dir im Moment voll an!“ Ashley blickte zur Seite und rollte mit den Augen. „Na schön, im Moment bin ich nicht wirklich gut drauf. Es war einfach ein anstrengender Tag!“ Delia winkte dem Barkeeper und bestellte sich eine weitere Flasche, danach wandte sie sich wieder Ashley zu. „Um so mehr Grund, jetzt die Sau raus zu lassen. Ich meine, wann kommst du schon mal aus deiner Höhle raus und hängst mit anderen Leuten ab? So gut wie nie, hab ich nicht Recht?? Seit du eine von uns bist, hast du immer den Eindruck vermittelt, als würdest du mit keinem was zu tun haben wollen.“ Ashley verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist doch gar nicht wahr. Ich bin nur… nicht der Typ für so was, das ist alles.“ Delia nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer neuen Flasche und beugte sich dann näher. „Da haben dich deine Leute ja echt ziemlich kleingeistig erzogen. Oder hatte da jemand anderes die Finger im Spiel?“ Obwohl Ashley sehr genau wusste, worauf Delia hinaus wollte, entschied sie sich, das Spielchen mit zu spielen und die letzte Äußerung zu ignorieren. „Es hat auch seine Vorteile, wenn man für sich bleibt.“ Delia gab nicht auf und meinte „Ich sehe da nur eine einzige Person die einen Vorteil davon hat, du nicht?“ Dieses Mal beließ es Ashley dabei und beschloss, sich nicht noch tiefer in diese Diskussion zu stürzen. Delia war garantiert die aller Letzte auf der Welt, mit der sie darüber reden wollte. Dass Ashley aber so plötzlich verstummt war, schien Delia dann auch wieder nicht recht zu sein und sie setzte hinzu. „Auch, wenn ich nicht verstehe, Duncan wird schon seine Gründe haben, warum er diese Geschichte duldet.“ Bei dem Wort „duldet“ zuckte Ashleys rechtes Augenlid. Langsam aber sicher wurde sie richtig wütend und Delia merkte nicht oder ignorierte, wie sehr sie sie auf die Palme brachte. Doch Ashley musste sich eingestehen, dass Delia genau den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Duncan war keinesfalls damit einverstanden, dass Lily und sie sich näher standen – wenn auch nicht so nah, wie die meisten dachten – er duldete lediglich die Tatsache, dass es keinen Sinn machte, Ashley 24 Stunden lang im Kloster ein zu sperren und auf Biegen und Brechen von der Erzdämonin fern zu halten. Und diese Tatsache versetzte ihr einen kleinen Stich. Duncan mochte Vertrauen zu ihr haben, bezüglich der Tatsache, dass sie Lily keine geheimen Informationen verriet, aber für ihn war sie dennoch „beschädigte Ware“. Immerhin war sie seit frühester Kindheit mehr oder weniger unter Lilys Fuchtel gestanden, der es schließlich auch gelungen war, Ashley über Jahre vor den Shadowwalkern zu verstecken. Duncan machte ihr keinen Vorwurf deswegen. Er führte alles auf Lily zurück. Allerdings – und das zehrte stets an Ashley – war das nicht ganz korrekt. Doch inwieweit auch Ashley Schuld an dieser Tatsache hatte, behielt sie für sich. Nicht einmal Emma kannte dieses Geheimnis und Ashley sah keinen Grund etwas an dieser Tatsache zu ändern, aus Angst, Emma würde es Duncan sagen. Während sie noch darüber sinnierte, wurde sie jäh aus ihren Gedanken gerissen, als Mike, der neben ihr gerade über einen besonders derben Witz von Ryan in markerschütterndes Gelächter ausgebrochen war, im Eifer des Gefechts Ashley anrempelte, die daraufhin an ihre Flasche auf dem Tresen anstieß und sich selbst den Inhalt über den linken Arm und ihre Oberschenkel goss. Mike, der nichts von seiner Unachtsamkeit bemerkt hatte, riss weiter seine Witze. Ashley fluchte leise und setzte einen Blick auf, der Töten konnte. Delia, die das Ganze beobachtet hatte, musste sich aufs heftigste zusammen reißen, um nicht auch in schallendes Gelächter aus zu brechen. Als sie Ashleys Blick bemerkte wies sie mit der Hand zu einer Tür am gegenüberliegenden Ende der Bar und meinte knapp: „Da hinten ist die Toilette, da kannst du dich sauber machen.“ Ashley rutschte vom Hocker und machte sich auf den Weg nach hinten. Sie bemerkte nicht, wie Delia Mike einen Klaps auf den Hinterkopf gab und ihn wegen seiner Spinnerei anfauchte. Ashley bahnte sich durch andere Gäste und teils beißenden Rauch einen Weg zur Tür. Dahinter atmete sie erstmal tief durch. Hier war die Luft wesentlich angenehmer, als drinnen, was wohl hauptsächlich daran lag, dass hier keine Rauchschwaden in der Luft hingen. Eine einzelne, nackte Glühbirne spendete in dem kleinen Gang Licht. Etwa zehn Meter gegenüber der Tür, wodurch sie gerade gekommen war, war eine massive Metalltür, die wohl als Notausgang diente. Ashley fragte sich, ob sie überhaupt offen war, dann wandte sie sich nach rechts zu einer Tür auf der eine ziemlich lächerlich aussehende Frau abgebildet war. Als sie durch die Tür trat und sie sich umsah, kam sie zu dem Eindruck, dass die Putzfrau diese Woche wohl frei hatte. Vielleicht hatte es auch noch nie eine gegeben, wenn man nach den Spinnweben unter dem Waschbecken und oben an der Decke ging. Ashley zog ein paar Papierhandtücher aus dem Spender – was ein Zeichen dafür war, dass sich irgendjemand wohl doch um die Toiletten kümmerte – und versuchte ihren Ärmel und das Hosenbein zu trocknen. Schon nach ein paar Versuchen merkte sie, dass dieses Unterfangen nicht gerade von viel Erfolg gekrönt war und warf die benutzten Papierfetzen in den Mülleimer. Dann musterte sie sich kurz in einem ziemlich dreckigen Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Einige ziemlich anzügliche Slogans zierten seine Ränder. Für ein paar Augenblicke starrte Ashley sich selbst in die Augen. Die dicken Augenringe in ihrem Gesicht überging sie. Sie fuhr sich ein paar Mal durch die Haare und strich einige Strähnen hinter ihren Ohren zurück, wobei sie hinter ihrem rechten Ohr über eine kleine, kreisförmige Narbe strich. Dann atmete sie mehrmals tief durch und beschloss, dass sie wieder zurückgehen musste. Sie trat durch die Tür in den Gang hinter der Bar hinaus. Keine Sekunde nachdem sie die Tür geschlossen hatte, spürte sie, wie sich von hinten zwei Arme um ihre Hüften schlangen und sie von jemandem, der größer war als sie, eng herangezogen wurde. Noch ehe die Panik sie übermannte, hörte sie an ihrem Ohr eine vertraute Stimme flüstern. „Weißt du, ich hätte dich überall erwartet, aber gewiss nicht hier. Ist ja was ganz was neues, dass du mit deinen Leuten einen Saufen gehst.“ Ashley stieß sich von der anderen Person ab und wandte sich ihr zu. Ungläubig starrte sie direkt in das Gesicht von Lily. Die wartete mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen darauf, dass Ashley reagierte. Die stand aber einige Augenblicke nur wie angewurzelt da. In ihrem Kopf ratterte es. Das war ganz und gar nicht gut. Schließlich wurde Lily ungeduldig und kam wieder näher auf Ashley zu. Das sorgte dann schließlich dafür, dass Ashley sich wieder regte. „Bist du übergeschnappt? Was zum Teufel machst du hier? Weißt du eigentlich, was für Ärger du uns beiden einhandelst?“ Lily ignorierte den angedeuteten Tobsuchtsanfall von Ashley. Sie war ja immer so süß, wenn sie wütend wurde. Statt ihr eine vernünftige Antwort zu geben, kam sie noch näher und versuchte Ashley zu küssen. Die drückte sie aber weg und meinte nun mit wesentlich mehr Wut in der Stimme. „Lass das gefälligst.“ Kaum merklich wich nun auch Lily zurück und tat so, als sei sie wegen ihrem Verhalten beschämt. „Ich hatte doch nur Sehnsucht nach dir. Und als ich gemerkt habe, dass du nicht zu Hause bist, da hab ich mich auf die Suche gemacht.“ Ashley lies sich von ihr nicht einwickeln. Immer noch ziemlich sauer meinte sie „Und es kommt dir nicht im Mindesten in den Sinn, dass du dich von diesem Ort hier fernhalten sollst? Hinter dieser Tür sind mindestens 30 Shadowwalker und keiner von denen kann dich besonders gut ausstehen.“ Lilys Grinsen wurde nur noch breiter. „Ich bitte dich, und wenn es 100 von denen wären. Die hätten keine Chance gegen mich.“ Lily kam wieder näher und fing an, ein paar von den Haarsträhnen, die Ashley noch vor Minuten so sorgfältig hinter ihre Ohren geklemmt hatte, wieder nach vorne zu ziehen. Aber Ashley war keinesfalls besänftigt. Im Gegenteil, Lilys Aussage machte all das nur noch schlimmer. Sie sank den Kopf und flüsterte „Denkst du denn keine einzige Sekunde auch mal an mich? Ist es dir denn so egal, wie die mich behandeln?“ Das Grinsen auf Lilys Gesicht verflog. Jetzt schien sie zu verstehen, warum Ashley sich so aufregte. Wahrscheinlich war es wirklich nicht die klügste Idee gewesen, hier auf zu tauchen. Lily kam wieder näher und schlang ihre Arme erneut um ihre Hüften. Dann hauchte sie ihr einen Kuss auf die Stirn. „Nichts von alledem ist mir egal. Wenn dem so wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier.“ Ashley sah wieder auf und fixierte Lilys Augen. „Du bringst mich in verdammt große Schwierigkeiten, wenn die falschen Leute dich hier sehen.“ Ohne zu antworten, presste Lily ihre Lippen auf Ashleys. Dieses Mal wehrte sie sich nicht. Sie lies zu, dass die Dämonin zuerst sanft und zärtlich und dann fordernd ihre Lippen liebkoste. Doch dieser Moment dauerte nicht an. Gerade als Ashley dabei, gänzlich jede Vernunft über Bord zu werfen, ging die Tür zur Bar auf und Delia betrat den Gang. Hatte Lily das Geräusch der geöffneten Tür noch ignoriert, so war Ashley lange nicht so kaltschnäuzig. Sie unterbrach die Zärtlichkeiten und stellte zwischen sich und Lily wieder einen weniger zu beanstandenden Abstand her. Delia rümpfte die Nase „Ich schätze wohl, dass ich grade störe.“ Während Ashley nur schuldbewusst drein schaute, ergriff Lily das Wort. „Allerdings, das tust du.“ Das allerdings hatte zur Folge, dass Ashley ihr einen Tritt gegen das Schienbein gab und meinte „Benimm dich gefälligst.“ Delia, die zwar sehr genau wusste, wer ihr da gegenüberstand, aber der es offenbar auch ziemlich egal war, zog mit „Ja, benimm dich gefälligst und lass deine dreckigen Fingern von ihr.“ Lilys Augen verengten sich zu Schlitzen, was im Allgemeinen kein gutes Zeichen war. Von ihresgleichen lies sie sich nicht verbieten, was sie tat, also hatte diese peinliche Gestalt vor ihr auch nicht das Recht dazu. Sie kam Rasch zwei Schritte auf Delia zu und funkelte sie böse an „Das hier geht dich nichts an. Also warum verziehst du dich nicht wieder und sorgst dafür, dass deine Kumpels die nächste halbe Stunde diesen Ort hier meiden.“ Ashley, die grade noch ziemlich hilflos daneben gestanden hatte, traute ihren Ohren nicht. Sie kam nach vorne und stellte sich zwischen Delia und Lily. Lily bekam einen Schubs nach hinten von ihr. Dem verlieh Ashley mit einem ziemlich bösen „Was bitte heißt hier halbe Stunde?“ Delia hatte Ashley ignoriert. Sie sprach wieder zu Lily „Wenn du es so nötig hast, warum holst du dir dann nicht die nächst beste Nutte von der Straße. Die würde zu Abschaum wie dir passen.“ Das war dann doch zu viel des Guten, denn Lily, die sich bisher extrem zurück gehalten hatte, war dran und drauf auf Delia los zu gehen. Diesmal aber ging Ashley rechtzeitig dazwischen und hielt sie zurück. Das hielt Lily aber nicht davon ab, verbal zurück zu schießen. „Was fällt dir eigentlich ein, du feige kleine Made! Weißt du denn nicht, wen du vor dir hast? Ich zerquetsche dir wie eine Fliege!“ Ashley hatte gewaltige Mühe damit, Lily zurück zu halten, die schließlich nicht nur größer, sondern auch um einiges stärker als sie war. Delia aber, welche die ganze Szenerie anscheinend endlos komisch fand, setzte aber noch einen drauf. „Wie willst du das machen? Anscheinend hat deine Geliebte bei euch im Bett die Hosen an und du hast eh nichts zu melden.“ Ashley, die von dieser Aussage überrumpelt wurde, war einen kleinen Moment unachtsam, den Lily nutzte, um an ihr vorbei zu ziehen. Zentimeter, bevor sie mit Delia zusammenstoßen konnte, hielt Ashley sie aber wieder fest und zog sie zurück. Das ganze Theater ging ihr allmählich gehörig auf die Nerven. „Haltet doch beide Mal den Rand. Was soll das bitte werden?“ Ashley zog und zerrte an Lily, die schließlich nachgab und sich nach hinten schubsen lies. „Es reicht jetzt, verstanden.“ Gab Ashley beiden zu verstehen. Delia verschränkte die Arme vor der Brust, während Ashley auf Lily zukam und sie sanft immer weiter nach hinten Richtung Ausgang schob, während sie ihr von Delia ungehört leise ins Ohr flüsterte. „Okay, wenn du jetzt einfach gehst, wäre ich dir sehr dankbar.“ Lily sträubte sich kurz „Warum bitte sollte ich, die mach ich fertig.“ Ashleys Bitten wurde eindringlicher. Mit den Worten „Wenn du gehst und zu Hause auf mich wartest, komm ich später nach.“ Lily schmunzelte böse „Was hab ich davon?“ Ashley war dran und drauf, nicht nur die Geduld zu verlieren, sondern endgültig erneut in Panik aus zu brechen. „Ich mach, was auch immer du willst, okay? Aber bitte geh jetzt.“ Lily grinste breit „Wirklich alles?“ Bei der Tür angekommen trat Ashley ein paar Schritte zurück. „Meinetwegen.“ War ihre ziemlich genervte Antwort. Lily huschte durch die Tür und flüsterte noch ein „Ich nehme dich beim Wort.“ Hinterher. Als sie verschwunden war, fuhr sich Ashley mit beiden Händen durch die Haare und dachte kurz darüber nach, was sie da eigentlich gerade versprochen hatte. Sie drehte sich um und ihr entfuhr ein „Notgeiles Miststück.“ Erst jetzt hatte sie bemerkt, dass Delia immer noch da stand und sie mit einem noch breiteren Grinsen als je zuvor musterte. Ashley stand wie angewurzelt da. „Ich hoffe für dich, dass sie im Bett mehr drauf hat, als diese erbärmliche Vorstellung.“ Mit diesen Worten wandte sich Delia um und öffnete die Tür. Einen Moment war Ashley überzeugt, dass sie die Tür einfach wieder zufallen lassen würde, aber Delia blieb stehen und hielt die Tür auf. Ihr Grinsen war noch nicht verflogen. Ashley setzte sich in Bewegung in Richtung Tür und dachte: Du hast ja keine Ahnung. Wenn du wüsstest, was sie alles drauf hat. Und auch ihr entkam ein Lächeln, das Erste an diesem Abend. Kapitel 13: Was wirklich dahinter steckt? ----------------------------------------- In den letzten Stunden hatte sich Emma bei fast jedem Schattengänger nach Ashley, Delia und Mike erkundigt, den sie im Kloster auftreiben konnte. Aber keiner konnte oder wollte ihr so recht sagen, wo die drei waren. Vor allem jedes Mal wenn Ashleys Name zur Sprache kam, verzogen die meisten das Gesicht und meinte, dass es ihnen egal war, wo sie sich aufhielt. Von ihrer fruchtlosen Suche mehr als frustriert, beschloss sie schließlich einen Ort auf zu suchen, von dem sie wusste, dass Delia und Mike dort ihren Abend verbrachten. Es war schon weit nach Mitternacht, als Emma das Angel Dust betrat. Für eine so kleine Bar, hatte erstaunlich viele Menschen darin Platz und jetzt gerade war der kleine Raum brechend voll. Es herrschte eine Lautstärke wie bei einem Rockkonzert. Kaum einer verstand sein eigenes Wort, doch daran war keineswegs die Musik Schuld. Im Gegenteil, man hörte davon nicht das Geringste. Der Grund für die enorme Lautstärke waren die Massen an Schattengängern, die – teilweise schon ziemlich angeheitert – in minutenlanges schallendes Gelächter ausbrachen oder sich von einem Ende des Raumes zum anderen irgendetwas zubrüllten, was der Adressat sowieso nicht verstand. Emma brauchte einige Minuten, um in der dicken Rauchwand und den Massen an Leuten ausfindig zu machen, wen sie suchte. Schließlich hatte sie Delia am Tresen ausgemacht, die lässig an einer Zigarette zog und an einer Flasche Bier nippt. Mike saß neben ihr, allerdings hatte er den Kopf auf dem Tresen abgelegt und rührte sich kaum. „Der hat wohl ein paar zuviel gehabt.“ Dachte Emma, als sie sich durch die Menge drückte und schließlich neben Delia stand. Sie tippte ihr auf die Schulter und Delia wandte sich um. Für einen Moment schien sie gar nicht zu wissen, wen sie vor sich hatte. Dann aber rollte sie mit den Augen und wandte sich wieder ab. Emma wusste genau, dass das bedeutete, dass sie verschwinden sollte, aber sie ließ nicht locker. „Wohin hast du Ashley gezerrt? Was hast du mit ihr angestellt?“ obwohl Emma Delia förmlich anschrie, verstand sie selbst kaum, was sie da sagte. Delia aber hatte sie klar und deutlich gehört. Schließlich war es ihre Fähigkeit, dass sie besser hören konnte als alle anderen Schattengänger. „Deine Freundin ist vor einer halben Stunde gegangen. Ihr haben wohl die Leute hier nicht gepasst. Oder vielleicht hatte sie es einfach nur eilig zu ihrer Geliebten zu kommen.“ Delia drückte den Zigarettenstummel mitten auf dem Tresen aus, als sie fertig war. Für ein paar Momente konnte Emma erstmal nicht glauben, was Delia gerade von sich gegeben hatte. Dann aber fand sie ihre Sprache wieder. „Warum musst du ihr da immer eins reinwürgen. Das weißt du doch gar nicht.“ Delia setzte eine ziemlich verächtliche Grimasse auf und nippte an ihrer Flasche, bevor sie antwortete. „Und ob ich das weiß, sie hat es vor ein paar Stunden mit ihr ausgemacht.“ Emma schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Jedoch war ihr nicht ganz klar, was Delia ihr damit sagen wollte. „Was soll das heißen, sie hat es mit ihr ausgemacht?“ Delias Grimasse verschwand und sie lachte kurz auf. „Das heißt, dass ihre dämonische Geliebte vor ein paar Stunden hier war und sie fast besprungen hat. Aber die brave Ashley hat sie auf später vertröstet und weg geschickt. Und letztlich hat sie es wohl nicht mehr ausgehalten ohne sie zu sein.“ Ihre letzten Worte sagte Delia in einem dermaßen herablassenden Ton, dass Emma wütend wurde. Aber ihre Wut verrauchte in dem Moment, als sie verstanden hatte, was Delia ihr da gerade erzählt hatte. „Du meinst…, dass Lily hier war? Hier im Angel Dust?“ Delia legte die Stirn in Falten und gab ihre Antwort in einem Ton, als wäre Emma ein Kleinkind. „Hab ich das nicht grade so gesagt? Kaum lässt du die Kleine fünf Minuten aus den Augen steckt ihr dieses Miststück schon die Zunge in den Hals. Also ehrlich, wie schafft sie es nur sich dabei nicht zu übergeben?“ Emma setzte sich kurz und atmete tief ein. „Wer hat das noch mitgekriegt?“ Delia nippte wieder an ihrer Flasche. „Außer mir keiner und ich sag es auch keinem. Spielt doch eh keine Rolle. Duncan erlaubt es ihr ja ohne irgendeinen Einspruch.“ Emma legte den Kopf schief. „Das glaub ich nicht.“ Zum ersten Mal schien Delia wirklich interessiert „Was glaubst du nicht?“ Emma verzog das Gesicht. Sie war sich nicht wirklich sicher, ob sie dieses Thema mit jemandem wie Delia besprechen wollte. Aber sie wusste genau, dass die nicht locker lassen würde, also ergab sie sich dem fragenden Blick der anderen Schattengängerin. „Ich glaube, dass Duncan seine Gründe dafür hat und dass nicht um Ashleys Willen tut.“ Tatsächlich schien Delia nun um einiges mehr hellhörig zu werden, Sie stellte das Bier ab und wandte sich zu Emma. So leise wie möglich, aber so, dass Emma sie noch verstand sagte sie: „Und welche Gründe sollen das sein?“ Emma lächelte „Nun offensichtlich hast du Bekanntschaft mit Lily gemacht, also dürftest du wisse wie wahnsinnig Besitz ergreifend sie ist, wenn es um Ashley geht. Ich meine, sie hat sie sogar mit ihrem Zeichen markiert.“ Delia zog die Augenbrauen nach oben, eine Geste die ehrliches Erstaunen ausdrückte. „Tatsächlich, das wusste ich gar nicht.“ Emma sah sie argwöhnisch an, denn das schien ihr unwahrscheinlich. Nachdem Ashley dieses Zeichen erhalten hatte, war der Tratsch so schnell durch die Reihen der Shadowwalker gewandert, dass man meinte, er sei auf eine Rakete geschnallt worden, jedoch entschloss sie sich ihre Skepsis für sich zu behalten. „Sie hat eine Tattowierung am linken Innenarm. Das ist das Zeichen von Lily. Es identifiziert sie bei anderen Dämonen als ihr Besitz. Deswegen lassen die meisten Unterweltler und der andere Abschaum Ashley auch zufrieden, weil sie sich nicht mit Lily anlegen wollen.“ Delia nickte verständnisvoll. „Und was hat das mit Duncan zu tun?“ Emma zögerte wieder einen Moment. Nicht einmal mit Ashley hatte sie diesen Gedanken geteilt, aber sie war sich so sicher, dass sie damit richtig lag, dass es ihr egal war, dass es ausgerechnet Delia sein sollte, die jetzt davon erfahren sollte. „Ich denke, dass Duncan sich in die Sache nicht einmischt, weil er eine Konfrontation mit Lily vermeiden will. Solange er ihr… Zugang zu Ashley ermöglicht, ist sie zufrieden und größtenteils auch damit beschäftigt alles mit ihr zu tun nur nicht irgendetwas Böses.“ Delias Blick wurde düster, was Emma im ersten Moment als ein Warnsignal verstand, doch als Delia antwortete, wurde sie vom Gegenteil überzeugt. „Du glaubst also, dass er Ashley dazu benutzt um eine Erzdämonin im Zaum zu halten? Das klingt als würde er sie verheizen.“ Emma antwortete ihr nicht, sondern sah ihr direkt in die Augen, was Delia als Zustimmung verstand. Also fuhr sie fort. „Weiß Ashley das? Oder besser gesagt, glaubt sie das auch?“ Emma schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das denke ich nicht. Ich denke, dass auch Lily das nicht so ganz geschnallt hat. Aber der ist das auch wohl egal, solange sie bekommt, was sie will.“ Delia nahm den letzten Schluck aus ihrer Flasche. „Mich würde interessieren, was die Erzdämonin macht, wenn irgendwann jemand sich doch noch entschließt Ashley weg zu sperren.“ Emma schnaubte „Wahrscheinlich gar nichts. Denkst du wirklich, dass die anderen Erzdämonen zulassen würden, dass sie sich wegen einer Schattengängerin, für die sie eine Schwäche hat, mit Duncan und uns anlegt. Das glaube ich ja wohl nicht.“ „Nun, ich bin allerdings nicht wirklich scharf darauf es raus zu finden,“ meinte Delia. „soll sie die kleine Ashley doch haben, wenn sie dadurch von anderen Dingen abgelenkt wird. Und so wie ich das sehe, ist Ashley dabei nicht wirklich unglücklich.“ Emma blickte zu Boden, als sie antwortete. Ohne ihre Fähigkeiten hätte Delia sie wohl kaum gehört, als sie ein „Das würde ich mir sehr wünschen.“ Murmelte sie. Kapitel 14: Zu Hause -------------------- Als Ashley endlich wieder in ihrer Wohnung angekommen war, war sie halb erfroren. Nach Mitternacht waren die Temperaturen weit unter null Grad gefallen und trotz ihres dicken Mantels, einer Mütze und warmen Handschuhen, schüttelte es sie am ganzen Leib, als sie die Tür hinter sich schloss. Fast schon automatisch entledigte sie sich ihrer Winterkluft und warf sie wieder in den gewohnten Platz in der Ecke. Auch die Schuhe landeten irgendwo in einer Ecke des Wohnraumes. Gähnend ging sie ins Badezimmer und zog sich ihren warmen Pyjama an, ehe sie in ihr Schlafzimmer ging. Einen Moment lang erschrak sie, als sie eine Gestalt in ihrem Bett liegen sah, doch dann erinnerte sie sich wieder, dass sie vor ein paar Stunden mit Lily vereinbart hatte, dass sie hier warten sollte. Offenbar war der Dämonin das Warten irgendwann zu lange geworden und nun schlief sie fast schon friedlich in Ashleys Bett. Ein paar Minuten war Ashley von diesem Anblick wie gefangen. Schon seit Ewigkeiten hatte sie Lily nicht mehr schlafend gesehen. Meistens wartete sie, bis Ashley eingeschlafen war und ging dann. Aber nun lag sie zusammengekauert auf dem Bett und schien fest zu schlafen. Ashleys Mund umspielte ein Grinsen. Langsam setzte sie sich neben Lily aufs Bett und legte sich vorsichtig zu ihr. Nachdem sie sich an sie geschmiegt hatte und einen Arm um ihre Hüften gelegt hatte, begann sie sanft die langen Haare aus Lilys Gesicht zu streichen. Es dauerte nur ein paar Minuten bis Lily sich regte und aus dem Tiefschlaf erwachte. Ashley begrüßte sie mit einem Lächeln. „Aufwecken wollte ich dich aber nicht.“ Flüsterte sie. Lily hatte die Augen nur halb offen und schien einen Moment nicht zu wissen, wo sie eigentlich war. Dann aber schien es ihr klar zu werden und mit ein klein wenig Wut in der vom Schlaf noch belegten Stimme meinte sie: „Wo zum Teufel hast du so lange gesteckt? Hast du mich vergessen?“ Ashley antwortete nicht gleich. Sie gab Lily einen sanften Kuss, der jeden Anflug eines Wutausbruches sofort im Keim erstickte. Dann meinte sie: „Ich hab dich nicht vergessen, du weißt doch, dass ich das niemals könnte.“ Lily hatte die Augen wieder geschlossen und für ein paar Sekunden schien es so, als sei sie wieder eingeschlafen. Dann aber zogen ihre Hände Ashley sanft zu ihr und die beiden küssten sich wieder. Doch Lily war teils noch so schlaftrunken, dass sie immer wieder zu vergessen schien, was sie eigentlich wollte. Also brach Ashley schließlich den Kuss ab. Lily raunte beleidigt „Komm schon, du hast es mir versprochen.“ Ashley lächelte wieder und flüsterte Lily dann ins Ohr „Du bist müde, Lily. Du solltest schlafen. Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten.“ Ashley wusste genau, dass Lily davon nicht begeistert war und sie wurde nicht enttäuscht, als Lily darauf antwortete „Ich kann nicht hier bleiben…“ Ashley unterbrach ihre Antwort mit einem weiteren Kuss. „Doch das kannst du. Du weißt, dass genügend Platz da ist.“ Lily war damit aber immer noch nicht besänftigt und grummelte weiter. „Was ist mit… deinem Versprechen.“ Ashley legte ihren Kopf sanft auf Lilys Brust ab und schloss die Augen. „Dafür ist morgen früh auch noch Zeit.“ Lilys Brustkorb hob und senkte sich einige Male, bis sie antwortete „Ganz sicher?“ Ashley suchte Lilys Hand und nahm sie in ihre. „Ganz sicher. Ich habe nicht vor, irgendwo hin zu gehen und solange du das nicht hast…“ Einige Minuten herrschte Stille und das einzige Geräusch, das Ashley war nahm war das Schlagen von Lilys Herz. Doch dann murmelte Lily noch einmal ihren Namen und Ashley hob leicht den Kopf „Was ist?“ flüsterte sie. Lily atmete zweimal tief durch und Ashley war sich nicht sicher, ob sie nicht wieder eingeschlafen war und einfach nur ihren Namen dahin gesagt hatte. Doch dann flüsterte Lily „Du… du gehörst mir, das weißt du doch, oder? Keiner… keiner sonst darf dich haben. Das könnte ich nicht ertragen.“ Ashley schmiegte sich wieder an sie und drückte Lilys Hand sanft. „Ich weiß, Lily.“ Und als sie nach einigen Minuten spürte, dass Lilys Atmung wieder flacher geworden war, fügte sie leise flüsternd hinzu: „Ich glaube auch nicht, dass ich das ertragen könnte.“ Noch einige Minuten konzentrierte Ashley sich genau auf den Rhythmus des Herzschlages der Dämonen, an die sie nun eng geschmiegt war und die sie inzwischen zärtlich in den Arm genommen hatte. Dann übermannte auch sie der Schlaf und sie versank in ihre Träume. Kapitel 15: Gegangen -------------------- Durch die Vorhänge kämpften sich die Strahlen einer starken Morgensonne, als Ashley die Augen aufschlug. Für einen Moment musste sie ihre Gedanken sammeln, um die Ereignisse von letzter Nacht ein zu ordnen. Dann fuhr sie mit ihrer Hand das leere Bett neben sich ab. Sie setzte sich auf und sah sich im Zimmer um. Sie war wieder alleine… Die Tatsache, dass dieser Umstand sie so traurig machte, lies sie wieder in die Kissen sinken. Lily hatte sie erneut mitten in der Nacht zurück gelassen. Ashley ärgerte es, dass sie sich wieder einmal Hoffnungen darauf gemacht hatte, dass es diesmal anders sein würde. Einige Minuten kämpfte sie gegen den Drang an, sich erneut in ihre Decke zu hüllen und den Rest des Tages schmollend liegen zu bleiben. Aber sie wusste schließlich, dass das nichts bringen würde. Lily konnte es ja nicht sehen und es würde sie wahrscheinlich sowieso nicht stören. Nach langem Hadern mit sich, schwang sie sich doch aus dem Bett und machte sich auf den Weg in die Küche. Und ein paar Augenblicke später bemerkte sie, dass sie doch nicht ganz alleine in der Wohnung war. Auf der Lehne ihres Sofas saß, die Zeitung von vor ein paar Tagen lesend, niemand anderer als Lily. Als sie Ashley bemerkt hatte, warf sie die Zeitung auf den Tisch und sah Ashley milde lächelnd an. „Hallo mein Engel, schläfst du immer so lange?“ Ashley widerstand dem Drang, sich zu kneifen, denn so ganz konnte sie es nicht glauben. Lily war hier, sie war geblieben. Und bei diesem Gedanken machte ihr Herz innerlich einen Sprung. Lily indes war etwas ungeduldig anlässlich des etwas ungläubigen Blickes, den Ashley ihr schenkte. Schließlich meinte sie: „Ist dir eigentlich bewusst, dass du in einer Mülltonne lebst?“ Diese Aussage reizte Ashley zu einem Lächeln und sie wachte aus ihrem Schock auf und ging auf Lily zu. „Ist dir bewusst, dass dir das seit Monaten zum ersten Mal auffällt, obwohl du ziemlich oft hier bist?“ Lily grinste. Sie genoss diese kleinen Spielchen, auch wenn sie sich selten die Zeit dafür nahm. „Nun das liegt daran, dass ich sonst nur Augen für dich habe, wenn ich hier bin.“ Ashley legte den Kopf schief und ihr Lächeln versiegte kurz. „Und du kannst es meistens kaum erwarten, hier wieder zu verschwinden.“ Lily antwortete ihr nicht, sondern küsste sie zärtlich auf die Wange. Ashley wusste, dass dies eigentlich bedeuten sollte, dieses Thema sein zu lassen, aber sie dachte nicht daran. Es lag ihr schon so lange auf dem Herzen und jetzt war die Gelegenheit, es aus zu sprechen. „Warum bist dieses Mal geblieben?“ Lily schien etwas beleidigt darüber, dass Ashley ihre Ablenkungsversuche schlichtweg ignorierte. Doch sie stellte sich der Frage. Warum auch nicht, sie brauchte sich nicht zu rechtfertigen. „Weil du mir etwas versprochen hast. Und du weißt, dass ich bei so was immer beim Wort nehme.“ Ashleys Reaktion war eine andere, als Lily sich das vorgestellt hatte. Sie sank den Kopf und blickte betreten zur Seite. Doch sie sparte sich weitere Bemerkungen und verkniff sich jede Meinungsäußerung. Lily streichelte mit ihren Fingern sanft über ihre Wange, um sie wieder etwas zu besänftigen. Als Ashley ihr wieder in die Augen sehen konnte, erkannte Lily Tränen in den dunklen Augen glitzern. Sie kam näher und wendete den Blick nicht eine Sekunde von ihren Augen ab. Ihre Finger streichten inzwischen durch Ashleys schulterlanges Haar. Und im nächsten Moment berührten sich die Lippen der beiden. Lily lies sich Zeit. Zuerst war der Kontakt nur sehr zart, dann wurde sie fordernder und zog Ashley näher an sich. Die wehrte sich nicht dagegen – im Gegenteil, sie schlang die Arme um Lilys Schultern und lies sich im Gegenzug von Lilys Armen ganz nah an ihren Körper pressen. Lily brach den Kuss erst wieder ab, als aus Ashleys Kehle ein sanftes Stöhnen drang. Doch sie wagte es nicht sich weiter als nur ein paar Zentimeter von ihr zu entfernen. Ihre Arme waren inzwischen schon um Ashleys Hüften geschlungen. Ashley selbst hatte die Augen geschlossen und atmete schwer. Lily wusste, dass sie innerlich gerade einen ziemlich harten Kampf gegen ihre Vernunft führte. Doch sie wusste auch, dass Ashley noch nie auf ihre Vernunft gehört hatte, wenn es um sie ging. Lily legte ihre Stirn an die von Ashley, die daraufhin die Augen öffnete. Lily flüsterte kaum hörbar: „Sag mir woran du denkst.“ Ashley blickte ihr lange intensiv in die Augen. Lily nutzte ihr Schweigen, um sie langsam in Richtung Schlafzimmertür zu bugsieren. Die Chancen standen gut, dass Ashley letztlich nichts mehr sagen würde und es einfach zulassen würde. Doch noch bevor sie in den Türrahmen geschoben wurde, wandte Ashley sich ab und löste sich aus der festen Umarmung von Lily. Die protestierte nicht, lediglich ihre rechte Hand hielt sie fest. Sie wollte auf keinen Fall zulassen, dass sich Ashley ihr komplett entzog. Die sah sich in ihrer Wohnung um und musterte das übliche Chaos. Alles, nur um nicht Lily in die Augen zu sehen. Einige Augenblicke später hatte Lily sie wieder in eine Umarmung genommen. Die Hand mit der sie immer noch Ashleys rechte Hand hielt, war um ihre Hüfte geschlungen. Die andere, lag sanft um ihre Schultern. Lily zog Ashley langsam wieder zu sich. Die spürte an ihrem Rücken die Wärme, die von Lilys Körper ausging. „Ich bin wegen dir hier, Ashley. Ich war immer nur wegen dir hier. Auch, wenn ich nicht das sein kann, was du dir wünschst… nichts könnte mich daran hindern, wieder hier her zu kommen.“ Sie küsste Ashley sanft auf die Wange, dann auf den Hals. Während sie sich mit ihren Zärtlichkeiten weiter vor arbeitete, kamen Ashley ein paar Worte in den Sinn, die Lily erst gestern von sich gegeben hatte: Ich könnte es nicht ertragen… Ashley wandte sich wieder zu Lily um, die nun inne hielt. Sie fuhr der Dämonin durch die dunklen Haare „Ich weiß.“ War alles, was sie von sich gab, bevor sie Lily küsste. Nur wenige Augenblicke später ließ sich Ashley schließlich von Lily in das Schlafzimmer schieben. * Ein paar Stunden später erhob sich Lily aus dem Bett und zog sich an. Sie versuchte leise zu sein, um Ashley nicht aufzuwecken. Doch die war noch gar nicht eingeschlafen. Gerade als Lily aus dem Zimmer verschwinden wollte, setzte sich Ashley auf. „Warte…“ Lily drehte sich erschrocken um, damit hatte sie nicht gerechnet. „Du solltest doch eigentlich schlafen.“ Sie kam wieder zu Ashley und setzte sich auf die Bettkante. „Ich hab letzte Nacht erst geschlafen. Ich will nicht, dass du gehst.“ Lily setzte ein mildes Lächeln auf und streichelte Ashleys Wange. „Das weiß ich, aber du weißt auch, dass ich nicht bleiben kann. Also leg dich hin und schlaf.“ Sie wandte sich wieder zum Gehen, doch Ashley griff nach ihrer Hand. „Ich… es ist mir egal, was du mit mir machst, aber bitte, lass mich nicht wieder allein.“ Lily wusste genau, was sie damit bezweckte, und es war vollkommen klar, dass sie das nicht zulassen durfte. „Du musst aufhören, dich von der Illusion verführen zu lassen, dass du nicht bist was du bist und ich nicht bin, was ich bin. Und ich werde nie etwas anderes sein, als eine Ezrdämonin, die dich als Kind verführt hat und seitdem nicht mehr von dir lässt.“ Sie küsste Ashley auf die Stirn und wand sich aus ihrem Griff. Ashley senkte den Kopf „Dann sag mir, was bitte ich tun soll…“ Bevor sie die Tür durchschritt, drehte Lily sich noch mal um und lächelte „Wie wäre es, wenn du anfängst zu leben. Niemand hier kann dich hindern, das zu tun, was du gerne tun willst.“ Dann ging sie hinaus und lies Ashley, die den Tränen nahe war, allein zurück. „Niemand außer dir.“ Flüsterte sie und sank traurig wieder in die Kissen. Kapitel 16: Der verschwundene Schattengänger -------------------------------------------- Duncan stand am Fenster der großen Bibliothek. Er starrte hinaus in die Dunkelheit. An der hohen Klostermauer hingen lediglich ein paar schwache Lampen, denen es aber kaum gelang, das Dunkel zu vertreiben. Es reichte gerade noch dazu, den Schnee am Boden in Licht zu tauchen, doch ein paar Meter weiter konnte man mit Sicherheit nicht einmal mehr sehen, wohin man trat. Das Schneegestöber vor einem Monat hatte fast einen ganzen Meter Schnee gebracht. Danach hatte es keine einzige Flocke mehr vom Himmel gewirbelt. Allerdings blieb es immer noch sehr kalt, weshalb der Schnee immer noch lag, inzwischen jedoch hart und festgefroren war, so dass jeder, der einen Schneeball auf einen anderen werfen wollte, befürchten musste, ihm oder ihr den Schädel ein zu schlagen. Aus den Augenwinkeln blickte Duncan auf die Uhr an seinem Handgelenk. Er wartete nun schon eine halbe Stunde und er war wahrlich nicht für seine Geduld bekannt. Also begann er damit, ziemlich ungeduldig im Raum auf und ab zu gehen. Endlich, nach einer halben Ewigkeit wie ihm schien, öffnete sich die große Tür und hastig trat Emma ein. Sie schnaufte und japste nach Luft, als ob sie den ganzen Weg von der Stadt her gerannt war – was wohl auf die eine oder andere Art und Weise nicht ganz falsch war. Duncan blickte verärgert, doch wollte er ihre Verspätung nicht zum Thema machen, es gab wichtigeres, wahrlich wichtigeres als ihre Unpünktlichkeit. Er zeigte auf einen Stuhl am großen Tisch und sie lies sich wortlos nieder. Sein Blick allein bedeutete, dass sie im Moment lieber nichts sagen sollte. Es vergingen ein paar Sekunden bis auch er sich in einem Sessel niederließ. Dann beugte er sich vor und flüsterte „Was ich dir jetzt sage, darf diesen Raum niemals und unter keinen Umständen verlassen.“ Er wartete kurz, bis Emma nickte. Dann lehnte er sich wieder zurück und holte tief Luft „Ich habe einen speziellen Auftrag für dich, der wichtiger ist, als alles andere, womit du im Moment beschäftigt bist.“ Er machte eine Pause und wieder nickte Emma. Dann fuhr Duncan fort. „Ich habe seit Wochen nichts mehr von Randolph gehört. Er war nach unserer Zusammenkunft vor einem Monat mit dem Auftrag, Informationen an Sebastian weiter zu geben weggeschickt worden.“ Wieder machte er eine Pause, doch er wartete nicht auf Emmas bestätigendes Nicken. Dieses Mal stand er auf und ging ein paar Schritte. Er wandte Emma schließlich den Rücken zu, als er weiter sprach. „Das Problem ist, dass er dort nie angekommen ist. Es gibt auch keine Nachricht von ihm. Und da auch sonst niemand mehr etwas von ihm gehört hat, müssen wir das Schlimmste annehmen.“ Emma holte tief Luft. So ganz war ihr nicht klar, was Duncan von ihr wollte. Sie war eigentlich nicht dafür zuständig, verschwundene Shadowwalker ausfindig zu machen, dafür gab es andere Leute, die Sucher zum Beispiel. Duncan drehte sich wieder um. „Das größte Problem ist zu meinem Leidwesen nicht einmal, dass er vielleicht getötet wurde, … es ist weitaus schlimmer.“ Emma runzelte die Stirn, erst jetzt wagte sie es, zu sprechen „Was in Gottes Namen könnte schlimmer sein?“ Duncan schaute grimmig drein. „Randolph wusste sehr viel. Wenn er in die Hand der Dämonen gefallen ist und denen klar war, was sie an ihm hatten, dann müssen wir davon ausgehen, dass er ihnen früher oder später alles verraten hat, was er weiß und das wäre… nicht akzeptabel.“ Emma sah ihn finster an aufgrund seiner Wortwahl. Manchmal hatte Duncan schlichtweg nicht die Fähigkeit, die Sicherheit seiner Leute über die Sicherheit der Mission zu stellen. In einer feuchtfröhlichen Nacht hatte Emma ihn sogar mal als Verheizer beschimpft und seine Untergebenen waren das Kanonenfutter. Nüchtern und schon gar nicht in seiner Gegenwart würde sie niemals daran denken, ihm so etwas an den Kopf zu werfen. Niemand würde das wagen. „Was willst du dann, dass ich mache?“ sagte sie, nachdem sie sich einigermaßen wieder auf das Thema konzentrierte. Duncan setzte sich wieder, bevor er antwortete „Ich will, dass du entweder ihn findest oder in Erfahrung bringst, was mit ihm geschehen ist und das so bald wie möglich, damit wir entsprechend reagieren können.“ Emma nickte, sie wollte gar nicht wissen, was für eine Art von Reaktion das ganze nach sich ziehen sollte. Für Duncan war diese Unterhaltung damit beendet, jedoch nicht für Emma. „Was ist mit Ashley?“ Duncan antwortete erst nicht. Es schien so, als ob er sich genau überlegte, was er jetzt sagen wollte. „Was soll mit ihr sein?“ war schließlich alles was er sagte. „Du hattest mich beauftragt, sie im Auge zu behalten und die Sache zwischen ihr und Lily etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Was wird aus diesem Auftrag?“ Duncan spitzte die Lippen. Er wollte dieses Thema tunlichst vermeiden und hatte eigentlich gehofft, dass Emma nicht nachfragte. „Nun, du hast mir berichtet, dass Ashley und Lily das letzte Mal vor vier Wochen miteinander… Kontakt… hatten. Also denke ich, dass es nicht nötig ist, dem noch länger mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nötig.“ Emma wollte das aber nicht hinnehmen. „Wer passt dann bitte auf sie auf? Ich meine seit sie mit Mike und Delia rumhängt, muss sie fast jeden Abend jemand sturzbesoffen aus dem Angel Dust nach Hause bringen.“ Duncan ignorierte diese Aussage. Er sagte gar nichts, er wollte nicht darüber diskutieren. Doch Emma schon. Und es war ihr völlig egal, ob sie ihn damit sauer machte. Dieses Mal gab sie nicht klein bei. „Und es ist wohl auch nicht so wichtig, dass sie tagsüber immer wieder mal für ein paar Stunden aus der Stadt verschwindet und keiner weiß, wo zum Teufel sie gewesen ist. Macht dir das keine Sorgen, Duncan?“ Dass sie ihn direkt ansprach, gab wohl den Ausschlag dafür, dass Duncan die Nase voll davon hatte, sie zu ignorieren. „Schluss jetzt damit. Du hast deine Befehle und Ashley hat die ihren und ich erwarte, dass ihr beide sie befolgt. Und was ihr ansonsten in eurem Privatleben anstellt ist mir ziemlich egal. Vielleicht tut sie das, was sie tut, weil es Teil ihres Auftrages ist. Was auch immer, du hast deine Anweisungen und ich erwarte, dass du sie befolgst.“ Allein der scharfe Ton, in dem Duncan zu Emma sprach, zeigte ihr, dass sie jetzt wohl lieber gehen sollte. Ohne ein weiteres Wort machte sie auf dem Absatz kehrt und verlies die Bibliothek. Duncan blieb alleine zurück. Und nachdem er in einem anderen bequemen Sessel in der Ecke Platz genommen hatte, widmete er sich einem seiner Tagebücher. Er blätterte durch das alte, in Leder eingebundene Werk, bis er schließlich die Seite fand, die er gesucht hatte. Als Überschrift stand dort nur ein Datum vor etwa sechs Jahren und ein Name: Ashley. Kapitel 17: Erste Begegnung --------------------------- Anmerkung: Dieses Kapitel ist ein Rückblick, deshalb ist alles in Kursiv! An jenem Frühlingstag vor sechs Jahren hatte Duncan alleine auf einer Bank bei einer Bushaltestelle gegenüber einer Schule gesessen. Stundenlang ohne eine Miene zu verziehen hatte er den Eingang zum Schulgelände im Auge behalten. Allein die Tatsache, dass er ein Schattengänger war hatte dafür gesorgt, dass Passanten ihn nicht verdächtigten, ein perverser Spanner oder ähnliches zu sein. Doch selbst wenn sie es getan hatten, er hätte sich nicht abbringen lassen. Er wartete auf jemand besonderen und er wusste, dass sich die Mühe lohnen würde. Nachdem schließlich die Schulglocke geläutet hatte und Unmengen von Schülern herausströmten, hatte er sich erhoben. Er blickte jedem einzelnen Schüler, der sich der Bushaltestelle näherte ins Gesicht, doch keiner schien ihn zu bemerken. Doch dann sah er ein ziemlich unscheinbares Mädchen. Sie trug einen dicken Pulli und eine Jeans, die sie bis zu den Knien hochgekrempelt hatte. Duncan spürte instinktiv, dass sie anderes war, als der Rest. Er fixierte sie und wartete darauf, dass sie sich ihm zuwandte, doch sie ignorierte ihn. Sie IGNORIERTE ihn. Das bedeutete, dass sie ihn bemerkt hatte und auch bemerkt hatte, dass er sie beobachtete. Als sie schließlich in den Bus einstieg, folgte er ihr so unauffällig wie möglich. Doch er wusste längst, dass sie ihn auf jeden Fall bemerken würde. Und unglücklicherweise hatte sie das auch, was sie dazu veranlasste an einer der nächsten Stationen hastig aus dem Bus zu springen und schnell in einen Park zu sprinten. Duncan lächelte. Sie war zumindest nicht dumm. Doch er war es auch nicht und nur ein paar Minuten später stand er vor ihr, als sie sich keuchend die Seite hielt und auf einer Parkbank Platz nehmen wollte. Als sie ihn bemerkte sprang sie auf und zog einen dicken Schlüsselbund aus der Tasche hervor und hielt ihn als Waffe in der Hand. „Okay du kleiner perverser Mistkerl, was auch immer du willst, kriegst du nicht so einfach. Vorher gebe ich dir noch ein paar aufs Maul und kratz so viel DNS wie möglich aus dir raus.“ Sie hatte sich vor ihm aufgebaut und schien jeden Moment ihren Worten Taten folgen zu lassen. Duncan lächelte und lies sich schließlich auf der Parkbank nieder. Er lächelte sie an. „Setzt dich Ashley. Wir haben so einiges zu besprechen.“ Doch anstatt, dass diese Worte sie beruhigten, war Ashley noch mehr alarmiert. Sie wich ein paar Schritte zurück. „Woher wissen sie wer ich bin? Wie lange haben sie mich schon ausspioniert?“ Duncan lächelte weiter. „Meine liebe, ich weiß nicht nur wer du bist, sondern auch WAS du bist! Und alleine aus diesem Grund bin ich hier.“ Ashley lies die Hand mit dem Schlüsselbund sinken. „Sie sind einer von denen, oder?“ Zum ersten Mal verschwand das Lächeln aus Duncans Gesicht. Er sah sich in seinen Ahnungen bestätigt. „Sieht wohl so aus. Wer hat dir beigebracht, dich so zu verteidigen? Gehst du in einen Kurs.“ Es war ein Versuch, dass Gespräch wieder auf Ashley zu lenken, doch der versagte kläglich. Ashley ließ sich neben ihm nieder, jedoch mit einigem Abstand. „Nein, das war meine Freundin.“ Duncan nickte, ignorierte aber ansonsten die Aussage. „Nun, mein Kind, ich denke du weißt warum ich hier bin. Unglücklicherweise ist es ein paar Jahre später als üblich, aber wie sagt man so schön lieber zu spät als nie.“ Ashley senkte den Kopf. „Bin ich dafür nicht schon zu alt?“ In ihrer Frage lag etwas flehendes, etwas verzweifeltes, wofür Duncan schlichtweg kein Verständnis hatte. „Man ist niemals zu alt dafür seiner Bestimmung zu folgen.“ Ashley sah ihn direkt an. „Was wenn ich das nicht will. Ich meine, mir fehlt doch so einiges an Training, oder nicht?“ Duncan schnaufte kurz auf „Training kann man aufholen, diese Sache hat nichts mit deinem Einverständnis zu tun. Es ist deine Bestimmung und du kannst dich doch nicht deiner Bestimmung in den Weg stellen.“ Ashley stand auf und ging weiter, nach ein paar Schritten drehte sie sich um „Das werden wir ja sehen.“ Doch weit kam sie nicht, denn als Duncan ihr nachrief „Es liegt in deiner Macht für das Gute und Richtige einzutreten. Willst du das denn nicht? Dafür sorgen, dass die Menschen in Frieden leben können?“ Ashley blieb stehen. „Es gibt viele Wege, um das sicher zu stellen.“ Duncan stand auf. „Mag sein. Aber ich biete dir den einzigen, den du gehen kannst, Ashley.“ Sie rührte sich nicht von der Stelle und Duncan wusste, dass sie darüber nachdachte. Also beschloss er ihren Zweifeln den Todesstoß zu geben, indem er ein Thema anschnitt, was er eigentlich vermeiden wollte. „Deine Freundin, weißt du eigentlich, was sie ist?“ Ashley sah ihn kurz auf eine ziemlich merkwürdige Weise an, Duncan wusste nicht genau, wie er diesen Blick einordnen sollte. Dann aber meinte sie. „Was meinen sie damit?“ Duncan lächelte und er wusste, dass er gewonnen hatte. Kapitel 18: So wie ich ---------------------- Mittlerweile neigte sich der Februar bereits seinem Ende zu und der Schnee war schon längst wieder dahin geschmolzen. Die Stimmung bei den Shadowwalkern war inzwischen wesentlich entspannter. Es hatte in den vergangenen Monaten kaum ernsthafte Zusammenstöße gegeben. Es war geradezu langweilig geworden. Doch Duncan mahnte immer wieder dazu, wachsam zu sein und drohte, die Freizeitaktivitäten der Zweifler drastisch einzuschränken. Emma war auch seit einiger Zeit immer wieder sehr kurz angebunden und zuweilen auch tagelang nicht erreichbar. Duncans Drohungen hatten auch zur Folge, dass Delia und Mike sich ziemlich am Riemen rissen und Ashley weitest gehend ihre Arbeit allein machen ließen. So hatten sie auch nicht mitbekommen, wie Ashley gestern Abend in einen Bus gestiegen war und in Richtung eines der Vororte der Großstadt aufgebrochen war. In den letzten Wochen war sie aufgrund diverser Aufträge immer wieder mal für ein paar Stunden sonst wo hin gefahren und keinen hatte es irgendwie gestört. Im Laufe der Zeit hatte sie bei den Schattengängern gelernt, nicht auf zu fallen. Viel musste sie dafür nicht tun. Ihre Fähigkeiten erlaubten ihr, so unsichtbar zu sein wie der Wind, wenn es nötig war. Lediglich Dämonen mit etwas besser ausgeprägten Fähigkeiten hätten sie noch erkennen können. Aber glücklicherweise war es in letzter Zeit ziemlich selten, dass man auf einen von denen traf und so hatte sie es erstmals seit sechs Jahren geschafft, sich wesentlich weiter von den Schattengängern zu entfernen, als erlaubt war, ohne dass die es bemerkten. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Die Nacht und den Vormittag hatte sie damit verbracht, durch die Straßen zu streifen und all jene Orte zu besuchen, die sie so schmerzlich vermisst hatte. Jetzt stand sie an einem Zaun und beobachte eine Horde Kinder auf einem Spielplatz. Das Geschrei und Gekreische klang erstmals wie die himmlischste Musik in ihren Ohren und sie konnte sich einfach nicht verkneifen unentwegt zu lächeln. Schließlich fiel ihr Blick auf ein kleines Mädchen im Sandkasten, welches mit ein paar anderen Kindern gerade einen Graben aushob. Sie hatte Sand in den braunen Haaren, die zu zwei Zöpfen zusammen geflochten waren. Ihre Augen waren grau und leuchteten jedes Mal wenn sie den Blick zu einer Bank warf, wo ihre Mutter in einem Buch lesend saß. Doch ihre Mutter saß nicht mehr auf der Bank und das Mädchen suchte den Spielplatz nach ihr ab. Ashley suchte ebenfalls nach ihr und musste schließlich feststellen, dass sie auf sie zukam. Ashley spannte sich an und versuchte sich aufzubauen. Als die Frau zu ihr gekommen war, starrte sie sie ein paar Minuten an. Dann lächelte sie. „Was zum Teufel machst du hier?“ Ashley erwiderte das Lächeln, sagte aber nichts. „Ich dachte, du bist irgendwo auf der Welt unterwegs, um die Menschheit zu retten. Wie kommst du hier her?“ Noch bevor sie eine Antwort bekam, hatte die Frau sie in eine Umarmung genommen. Als sie die Umarmung gelöst hatte, fand Ashley endlich die Sprache wieder. „Ich wollte euch sehen, Andy. Ich meine, ich… wollte sehen, ob alles okay ist.“ Andy lächelte „Ach und seit wann, lässt die Geheimpolizei dich einfach so hier her abhauen?“ Bei dieser Frage verfinsterte sich Ashleys Miene und Andy fügte flüsternd hinzu „Du bist doch nicht etwa abgehauen?“ Ashley nickte leicht, fügte aber dann hinzu „Schon okay, ich werd zurück sein, bevor sie was merken. Und wenn sie fragen, dann hab ich einen Auftrag ausgeführt, also mach dir keine Sorgen. Ich wollte dich und Kacey sehen.“ Andy lächelte. „Na dann komm mal, Schwägerin.“ Sie nahm Ashley bei der Hand und führte sie zur Bank. Dort angekommen rief sie ihre Tochter zu sich. „Kacey, komm mal her. Hier ist jemand der dich sehen will.“ Das kleine Mädchen erhob sich aus dem Sandkasten und putzte sich den Sand von der Hose. Sie kam auf die beiden zu, nach ein paar Metern hatte sie erkannt, wer da neben ihrer Mutter stand und sie lief strahlend auf sie zu. „Tante Ashley, was machst du denn hier?“ Ashley ging in die Knie und fing ihre Nichte auf, die sie fest umarmte. „Ich wollte dich kurz besuchen, Engelchen.“ Kacey ließ sie los und gab ihr einen Schmatz auf die Backe. „Das ist aber lieb von dir.“ Ashley lächelte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Für dich mach ich doch alles, meine Süße.“ Schließlich meinte Andy „Was hältst du davon Kacey, wenn du mich und deine Tante ein paar Minuten tratschen lässt, und nachher gehen wir eine heiße Schokolade trinken.“ Kacey nickte und ging zurück in den Sandkasten zu ihrer inzwischen stattlichen Grube. Andy setzte sich wieder auf die Bank und Ashley lies sich neben ihr nieder. „Geht’s ihr gut soweit, ich meine…“ Andy blickte zu Kacey „Mach dir keine Sorgen, es geht ihr gut, ihre Lehrer sagen, dass sie in der Schule ziemlich gut mitkommt. Sie hat Freunde. Alles ist in Ordnung.“ Ashley lächelte kurz auf. „Und was ist mit Chris?“ Andy wandte sich an sie. „Deinem Bruder geht es gut. Er hat viel Arbeit, aber er nimmt sich Zeit für uns und für… eure Mum.“ Ashley senkte den Kopf und flüsterte „Wie geht es ihr?“. Andy holte tief Luft. „Sie vermisst dich. Sie hat dein Zimmer nicht angerührt, seit du weg bist. Alles, was sie macht ist sauber zu machen. Es ist fast wie ein Schrein.“ Sie machte kurz Pause. „Mich wundert, dass du sie nicht besuchst. In einer halben Stunde bist du mit dem Bus da.“ Ashley wischte sich eine Träne aus den Augen „Ich kann nicht… wenn ich zu ihr gehe, dann… ich kann ihr einfach nicht in die Augen sehen, verstehst du.“ Andy legte den Arm um sie. „Ja, ich denke ich verstehe dich.“ Eine Weile schwiegen beide. Dann setzte Andy hinzu. „Wie hast du uns eigentlich gefunden? Woher wusstest du, dass wir genau hier waren?“ Ashleys Blick wurde finster. „Das willst du nicht wissen.“ Andy schloss die Augen. „Sag mir, dass das nicht wahr ist, bitte.“ Ashley sah weg. „Ich fürchte doch.“ Andy war verärgert und sprang auf. „Bist du deshalb hier? Willst du sie mitnehmen oder so was.“ Ashley versuchte sie zu beschwichtigen. „Nein. Ich würde das niemals machen, Andy. Sie gehört hier her und ich werde nicht zulassen, dass sie euch weggenommen wird.“ Andy beruhigte sich wieder, setzte sich aber nicht. „Sag mir, was ich tun soll, um sie zu beschützen. Was kann ich tun, um zu verhindern, dass man sie uns für immer wegnimmt?“ Ashley lächelte „Das, was alle Eltern tun sollten. Lass dein Kind nicht aus den Augen. Nicht mal für eine Sekunde. Und soweit ich es kann, werde ich das auch nicht, okay?“ Andy lächelte und nahm Ashley wieder in den Arm. „Ich will nicht auch eine Tochter verlieren, so wie deine Mum.“ Ashley lächelte grimmig. „Und ich will nicht, dass sie ihre Familie verliert, so wie ich.“ Kapitel 19: Neuigkeiten? ------------------------ Delia bahnte sich einen Weg durch die schlammigen Feldwege, die in den letzten zwei Wochen durch einen nicht enden wollenden Regen ziemlich aufgeweicht wurden. Sie war auf dem Weg ins Kloster und da Duncan sie angerufen hatte, während sie schon auf halbem Wege aus der Stadt raus war, schaffte sie es nicht mehr, in einen Bus zu steigen. Sie wusste genau, dass er damit nicht gerade glücklich sein würde, denn immerhin würde sie bei diesem Wetter gut und gerne eine Stunde brauchen, bis sie endlich da ankam, wo sie wollte, denn zu dem Regen hatte sich in den letzten Stunden ein geradezu orkanartiger Wind gesellt, der ihr das Vorankommen nicht gerade leichter machte. Sie kochte innerlich, weil sie sich hier alleine durch die Wildnis schlagen musste, während Mike wohl seelenruhig in einem Lagerhaus saß und mit drei anderen Schattengängern eine simple Beobachtungsmission durchführte, um festzustellen, ob sich ein Clan niederer Unterweltler an die Vereinbarungen hielt, die mit ihnen getroffen wurden. Aber Duncan hatte das Ganze so gewünscht. Seit einer Weile war sie immer wieder ganz alleine durch die Gegend gezogen. Hin und wieder stattet sie Ashley unangemeldete Besuche ab, um – wie von Duncan angeordnet – zu überprüfen, ob sie immer noch an ihrer Aufgabe arbeitete. Doch das verlor seinen Reiz spätestens wenn sie feststellte, dass Ashley das tatsächlich machte. Vor sich hin sinnierend kam sie schließlich halb erfroren und klatschnass auf dem Klostergelände an. Sie widerstand dem Drang, sich erst etwas Trockenes anzuziehen und dann zu Duncan zu gehen, da sie wusste, dass er ohnehin schon ziemlich sauer war und auf sie wartete. Also machte sie sich schnurstracks auf den Weg zu seinem Büro und ignorierte alles und jeden anderen um sich herum. Als sie vor der großen Bürotüre ankam, atmete sie erstmal tief durch, um sich darauf vor zu bereiten, dass Duncan sie mit einem gehörigen Wutanfall erwarten würde. Doch der blieb aus. Nachdem sie angeklopft hatte und eintrat, sah sie Duncan ziemlich betreten in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch sitzen. So zerknirscht hatte sie ihn selten gesehen und sie hoffte inständig, dass er keine schlechten Nachrichten für sie hatte. Er wies ihr einen Stuhl zu und sie setzte sich, nachdem sie kaum verständlich murmelte: „Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber das Wetter…“ mit einer Handbewegung, die soviel heißen sollte wie „Schon gut!“ würgte er sie ab. Doch er lies sich Zeit, um selbst das Wort zu ergreifen und ihr mitzuteilen, warum er ihre Anwesenheit erbeten hatte. Nach einer halben Ewigkeit, in der Delia wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl saß und Duncan sie auf eigenartige Weise gemustert hatte, brach er endlich sein Schweigen. „Ich würde gerne wissen, wie weit Ashley schon mit der Übersetzung ist.“ Einen Moment lang fühlte sie sich von dieser Frage ziemlich vor den Kopf gestoßen. Wenn er etwas über Ashley wissen wollte, warum hatte er sie dann nicht hier her geholt, anstatt ihr. Aber Delia fing sich schnell wieder und meinte „Als ich vorgestern bei ihr war, meinte sie, dass sie wohl kurz davor wäre, die Sache zu Ende zu bringen. Aber sie war ziemlich kurz angebunden.“ Duncan erhob sich und ging um den Stuhl herum. Er wandte sich zum Fenster und starrte hinaus. „Verstehe.“ War erstmal alles, was er darauf erwiderte. Dann fügte er einige Augenblicke später hinzu „Ich fürchte nur, dass die Zeit drängt.“ Delia war schon versucht zu fragen, warum, doch sie ahnte, dass Duncan es ihr nicht sagen wollte. Und diese Ahnung wurde bestätigt, da er nichts weiter darauf dazu sagte. Stattdessen drehte er sich um und mit einem Mal schien er seine sorgenvolle, zerknirschte Miene abgelegt zu haben und meinte in einem wesentlich geschäftsmäßigeren Ton „Ich werde Ashley für heute Nachmittag zu mir bestellen. Dann werden wir das klären. Ich lasse dich dann holen, wenn ich mit ihr gesprochen habe, also bleib im Kloster.“ Delia nickte nur, während sie sich dachte: Mich kriegen heute keine zehn Pferde mehr nach draußen bei diesem elendigem Wetter! Da Duncan sich danach wieder abwandte, war ihr klar, dass das Gespräch nun beendet war. Sie erhob sich und verlies das Büro. Danach machte sie sich sofort auf den Weg in ihr Zimmer. Doch kaum war sie ein paar Meter von der Tür entfernt, hörte sie ein Kichern hinter sich. Als sie sich umdrehte, sah sie Shane in der Ecke stehen. Einen Moment blieb sie argwöhnisch stehen, dann meinte sie: „Was bitte ist so komisch?“ Shane stieß sich von der Wand ab und wandte sich zum Gehen. Delia folgte seinem Schritt und er antwortete schließlich: „Hat dich der alte Mann so fertig gemacht, dass du gar nichts mehr zustande bringst?“ Delia gab ihm beleidigt einen Knuff in die Seite, sagte aber nichts, worauf er fortfuhr. „Mach dir nichts draus, es sieht so aus, als hätte man ihm grade vorher schlechte Nachrichten überbracht.“ Delia zog die Stirn kraus „Was für schlechte Nachrichten?“ Shane zuckte nur mit den Schultern „Keine Ahnung, aber vor einer halben Stunde kam ein Bote mit einer Nachricht von Emma. Nachdem er sie gelesen hat, ist er ziemlich miesepetrig geworden und hat sich ins Büro verkrochen.“ Delias sorgenfaltige Stirn wurde nun noch runzliger. Sie sagte aber nichts, sondern ging stumm weiter. Das hörte sich ganz und gar nicht gut an. Innerlich hoffte sie, dass Ashley ihm gute Nachrichten liefern konnte, auch wenn das wohl bedeutete, dass sie wieder hinaus in den Regen musste. Kapitel 20: Schlechte Nachricht ------------------------------- Am späten Nachmittag hatte der Regen erstmals etwas nachgelassen. Allerdings hatte wohl der Wind daraufhin beschlossen, noch einmal ordentlich an Stärke zu zulegen. Emma interessierte das herzlich wenig, als sie mit hängenden Schultern die Gänge auf dem Weg zur Bibliothek entlang schlurfte. Sie hasste es so sehr, dass sie die Überbringerin schlechter Nachrichten war. Eigentlich wollte sie Duncan nicht persönlich gegenübertreten, weshalb sie ihm heute Vormittag nur eine kurze Nachricht hatte zukommen lassen. Doch er machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Kaum war sie durch das Tor gekommen, hatte man ihr schon mitgeteilt, dass Duncan sie unbedingt sehen wollte. Also würde sie wohl doch nicht daran vorbei kommen, ihm von Angesicht zu Angesicht zu sagen, was er nicht hören wollte, und was – da war sie sich ganz sicher – in den nächsten Wochen alles verändern würde. Duncan würde das Ganze nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Als sie die Bibliothek endlich erreicht hatte, marschierte sie – ohne einen Gedanken ans Anklopfen zu verschwenden – schnurstracks hinein. Duncan, der auf seinem gewohnten Platz am Ende des langen Holztisches und hatte den Kopf auf einer Hand aufgestützt. Im selben Moment, als er sie bemerkte, raunte er „Du kommst spät.“ Emma lies sich dadurch nicht beirren „Ich wollte gründlich sein.“ Duncan nickte grimmig. „Was hast du für mich?“ Daraufhin zog Emma einen kleinen braunen Umschlag aus ihrer Jackentasche und überreichte ihn Duncan. Der musterte den Umschlag einige Augenblicke, ehe er ihn öffnete. Darin befand sich ein Stoß Fotos. Langsam und bedächtig führte er sich jedes einzelne davon zu Gemüte. Danach klatschte er die Bilder auf den Tisch, so dass sie sich einige Meter über den Tisch verteilten und Emma erhaschte erneut einen Blick darauf. Zwar hatte sie sowohl die Bilder als auch das, was darauf abgebildet war, schon eingehend betrachtet, aber sie war wie gefangen von dem Anblick. Die Bilder zeigten verschiedene Ansichten einer menschlichen Leiche und auch einige detailiertere Aufnahmen einzelner Besonderheiten der Leiche. Diese Fotos hatte ein Gerichtsmediziner vor fast drei Monaten gemacht. Und jetzt lagen sie hier als Beweis dafür, dass sich ein schrecklicher Verdacht erhärtet hatte. „Warum hat es so lange gedauert, ihn zu finden?“ flüsterte Duncan. Er konnte seine Erschütterung nicht verbergen. Emma lies sich auf einem Stuhl auf der rechten Seite des Tisches nieder, ehe sie antwortete: „Weil er in einer anderen Stadt gefunden wurde. Und die Polizei hielt ihn für einen Landstreicher, weil er keinen Ausweis hatte. Es ist ein Glück, dass sie ihn überhaupt so lange… konserviert haben, dass wir ihn überhaupt noch gefunden haben.“ Duncan lehnte sich zurück „Erzähl mir von der Untersuchung, was genau hat sie ergeben.“ Emma holte tief Luft „Nun, wie du auf den Fotos siehst, scheint er bis auf die Stichwunde im Herzen keinerlei Wunden zu haben, die auf gewalttätiges Einwirken oder sonstige Foltermethoden hinweisen.“ Duncan stand auf und ging um den Stuhl herum, er sah zum Fenster hinaus. Emma fügte noch hinzu: „Aufgrund der Tatsache, dass er auch nicht hier gefunden wurde, denke ich, dass ihn vielleicht jemand getötet hat, der von unserer Situation keine Ahnung hat.“ Duncan wandte sich kurz zu ihr um „Du meinst, wir hatten Glück im Unglück?“ Emma nickte und er fuhr fort „Das ist ein schwacher Trost für Randolph.“ Danach herrschte einige Minuten lang Schweigen, bis Emma schließlich wieder das Wort ergriff. „Was sollen wir jetzt tun.“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. Bevor er jedoch antworten konnte, ging die Tür zur Bibliothek auf. Ashley trat herein, fast genauso unbedarft was ein höfliches Klopfen anging, wie Emma es vor kurzem erst getan hatte. Doch Ashleys Gemütszustand war ein anderer, als Emmas. Sie sah zwar ziemlich blass aus und wirkte müde, jedoch schien sie – was nicht gerade häufig vorkam – gute Laune zu haben. Als Emma sie sah, griff sie instinktiv nach den Fotos und wischte die meisten wieder auf einen großen Haufen, nur einige wenige lagen noch einzeln verstreut auf dem Tisch. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie das vor Ashley verbergen musste, doch Duncan griff ihre Schulter, schüttelte den Kopf und meinte: „Das hat keinen Sinn. Es müssen sowieso alle davon erfahren.“ Als Ashley hörte, was er gesagt hatte, blieb sie abrupt stehen. Sie schaute einen Moment von Duncan zu Emma, dann sagte sie: „Wovon müssen alle erfahren?“ Duncan schenkte ihr ein mildes Lächeln, er hatte die Besorgnis in ihrer Stimme durchaus verstanden. Er zeigte auf den Stuhl neben Emma und meinte „Setz dich, bitte.“ Etwas argwöhnisch und mit einem fragenden Blick an Emma nahm sie auf dem Stuhl Platz und stellte einen großen braunen Rucksack neben sich ab. Duncan ging wieder zu seinem Platz, setzte sich aber nicht. Ashley schaute ihn besorgt an. „Leider muss ich dir und bald auch den Anderen mitteilen, dass wir einen Mitstreiter verloren haben.“ Duncan hatte eine dermaßen geschäftsmäßige Stimme aufgesetzt, dass es Emma eiskalt über den Rücken lief. Ashley schien es weniger zu stören. Sie brachte ein einfaches „Wen?“ zustande. „Es ist Randolph. Er wurde wohl überrascht, als er auf dem Weg zu Sebastian war, um ihm über unsere Situation Bericht zu erstatten.“ Er machte eine Pause und lies seine Worte wirken. Ashley wandte den Blick von ihm ab. Dieser wanderte über den Tisch und die Fotos, die dort lagen. Emma entschloss sich fort zufahren, da Duncan nicht die Anstalten machte, weiter zu reden „Die haben kurzen Prozess mit ihm gemacht, es gibt keine Anzeichen dafür, dass man ihn gefoltert hat. Er hat außer der tödlichen Stichwunde keine sonstigen Verletzungen.“ Ashley schien auf einmal sehr abwesend. Sie fixierte ein Foto. Duncan ignorierte das und fuhr fort. „Was sehr gut für dich ist. Er wusste von deinem…“ er sah Emma an, die gerade ziemlich hellhörig geworden war und fuhr dann fort „…von deinem Geheimauftrag. Und so können wir davon ausgehen, dass er niemandem etwas verraten konnte.“ Ashley hatte ihm kaum zugehört, sie war wie gebannt von einem der Fotos, die nicht in dem Haufen verschwunden waren. Es lag nur wenige Zentimeter von ihr entfernt und schließlich griff sie geistesabwesend danach und schaute es sich genauer an. Duncan schien über diese Reaktion erstaunt zu sein, vor allem darüber, dass sie ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Emma meinte noch „Er ist in Nachbarstadt gefunden worden, also kannte die Unterweltler dort ihn wohl auch nicht.“ Mit einem Mal war Ashley wieder aufmerksam bei der Sache, doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie dazu etwas sagen wollte, jedoch nicht wusste, wie genau sie das anstellen sollte. Emma runzelte schließlich die Stirn „Was ist?“ entfuhr ihr, bevor Duncan etwas sagen konnte. Ashley umklammerte das Foto und schluckte schwer. Dann endlich äußerte sie sich: „Ich glaube nicht, dass das so stimmt.“ Nun hatte Duncan in Stirn in Falten gelegt und stieß überrascht hervor: „Und warum nicht?“ Ashley gab ihm das Foto. Darauf war eine detaillierte Aufnahme einer Stelle an Randolphs Kopf abgebildet. Über seinem Ohr war eine kleine, kreisrunde Wunde. Duncan sah sie fragend an „Was ist damit?“ Ashley blickte zur Seite. Wieder schien es so, dass sie nicht genau wusste, was sie jetzt sagen sollte. Doch dann fasste sie sich doch erneut ein Herz „Ich weiß sogar ziemlich sicher, dass er… befragt wurde und demnach wahrscheinlich hier getötet wurde.“ Duncan kniff die Augen zusammen, Emma starrte sie nur ungläubig an. „Wieso?“ zischte er hervor. Ashley blickte auf den Berg Fotos, als sie antwortete, sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Weil ich weiß, wer ihn befragt hat und wie.“ Einen Moment war die Luft zum Schneiden dick. Duncan schien kurz vor einem Wutanfall zu stehen. Das einzige, was er noch in einem halbwegs vernünftigen Ton hervorbrachte war „Wer?“, doch selbst Emma wusste diese Antwort schon längst und Ashley sah ihn nur bedeutungsvoll an. Das war in der Tat Antwort genug. Duncan schlug mit der Faust auf den Tisch. „Erklär das, was hat das mit dem hier zu tun.“ Er warf ihr das Foto hin, wie man einem Hund einen Knochen hinwarf, um ihn endlich ruhig zu stellen. Ashley beachtete das Foto nicht. Sie drehte sich auf die Seite und strich das Haar über ihrem rechten Ohr zurück. Dort war nun, für Emma und Duncan deutlich sichtbar, eine kleine, kreisrunde Narbe, die der Wunde auf dem Foto deutlich ähnlich sah. Alles was Ashley dann noch sagen konnte war: „Sie hat das selbe auch mal mit mir gemacht.“ Duncan stieg die Zornesröte ins Gesicht, er machte sich nicht mehr die geringste Mühe seine Wut zu verbergen. „Wann hat sie das getan.“ Ashley wusste, dass er Angst hatte, sie könnte Lily gesagt haben, dass sie die Schriftrolle übersetzte und was sie dort gefunden hatte, also hob sie beschwichtigend die Hände. „Das ist schon ewig her. Es war kurz nachdem ich hier her kam. Sie wollte vermeiden, dass einer der… ein anderer Unterweltler eine ähnliche Methode benutzt. Wenn sie einmal angewandt wurde, kann sie nie wieder angewendet werden. Es ist ein Zauber, der zudem auch zeitlich begrenzt ist.“ Offenbar hatte sie die richtigen Worte gefunden, denn Duncan beruhigte sich wieder. Emma, in der Hoffnung die Spannung noch mehr zu senken, meinte schließlich „Wenn sie es nicht getan hätte, dann hättest du das nie erkannt und wir würden noch immer denken, dass die nichts raus gefunden haben.“ Duncan fixierte Emma einen Moment, dann nickte er zustimmend. Nach ein paar weiteren Minuten, welche die drei schweigend am Tisch saßen, meinte Duncan schließlich „Das bedeutet wohl, dass wir die Sache ganz anders angehen müssen.“ Er machte eine Pause und meinte dann „Ich danke dir für deine Dienste, Emma, auch wenn das Ergebnis leider nicht das war, was wir uns erhofft hatten. Du darfst dich entfernen. Ich habe noch etwas sehr Wichtiges mit Ashley zu besprechen.“ Emma stand langsam auf, Ashley sah sie nicht an, sie starrte immer noch auf das Foto. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, ging sie zur Tür hinaus und lies Ashley und Duncan allein. Kapitel 21: Eine heiße Spur --------------------------- Nachdem Emma die Bibliothek verlassen hatte, herrschte wieder Stille. Keiner von beiden, weder Ashley noch Duncan sagten etwas. Ashley fixierte immer noch das Bild mit der kreisrunden Wunde über dem Ohr von Randolph und Duncan musterte Ashley eingehend. Schließlich griff Duncan nach dem Foto und zog es Ashley aus der Hand. Er warf es achtlos auf den Stapel auf dem Tisch vor ihm. „Ich will mich jetzt nicht über dieses Thema unterhalten, es gibt Wichtigeres.“ Doch Ashley hörte nicht darauf. „Du glaubst, dass sie ihn umgebracht hat, nicht wahr?“ Duncan zog die Augenbraue hoch „Du glaubst das nicht?“ Ashley sah zur Seite. Sie machte den Eindruck, als hätte man sie ziemlich übel zusammen geschlagen. „Hör mal, “ meinte Duncan, „mir ist durchaus klar, dass du durch deine… Schwäche für sie nicht immer das in ihr sehen kann, was sie ist.“ Ashley biss die Zähne zusammen. In ihrem Hals steckte ein ziemlich dicker Kloß. Aber sie schwieg weiter. Duncan fuhr fort: „Sie mag dich etwas anders behandeln, aber sie ist eine Erzdämonin und damit eine eiskalte Killerin mit nicht einem einzigen Funken Güte in ihr. Je mehr du das leugnest, desto mehr wirst du darunter leiden.“ Ashley wusste, dass er Recht hatte. Lily selbst hatte ja schließlich auch niemals behauptet, dass sie irgendetwas anderes war. Sie sagte ihr auch immer wieder, dass sie aufhören sollte, etwas zu glauben, was schlichtweg nicht wahr war. Und schließlich hatte Ashley auch schon mehr als einmal erlebt, wie Lily sein konnte. Ihr Auftritt im Angel Dust, als Delia sie so provozierte war gar nichts dagegen. Aber Lily konnte nun mal auch ganz anders sein. So wie sie eben war, wenn sie mit ihr alleine war. Duncan, der sich ja eigentlich gar nicht damit beschäftigen wollte, hielt es auch nicht mehr für angebracht noch weiter über die Natur der Erzdämonin zu diskutieren. Deswegen wechselte er nun endgültig das Thema, um die Sache zu besprechen, für die er Ashley letztlich auch hergeholt hatte. „Ich will von dir wissen, wie weit du mit der Übersetzung bist. In den letzten Wochen warst du viel unterwegs, woraus ich schließe, dass du mir ein Ergebnis mitteilen kannst.“ Ashley sinnierte noch einige Minuten über Lily nach, dann schließlich gab sie es auf, da sie wusste, dass Duncan diese Sache herzlich wenig interessierte. Sie hob ihre Tasche auf den Tisch und zog ein ziemlich in Mitleidenschaft gezogenes Notizbuch hervor. „Ich bin ein paar Anekdoten auf der Schriftrolle gefolgt. Du musst wissen, dass es da hauptsächlich um… na um alles mögliche geht. Das Manuskript wird aber kaum erwähnt. Es ist lediglich die Rede von einem wertvollen Gegenstand, so eine Art Heiligtum, dass die Dämonen verehrt haben.“ Duncan setzte sich nun endlich wieder „Das hört sich doch genau nach dem an, wonach wir suchen.“ Ashley nickte kurz „Schon, aber es könnte auch irgendein altes verschimmeltes Schwert sein oder so was in der Art.“ Duncan entkam ein Lächeln „Vielleicht. …Trotzdem, sprich weiter.“ Ashley zog eine alte Karte au dem Rucksack. Duncan runzelte die Stirn. Sie meinte „Die hab ich mir aus dem Stadtarchiv ausgeliehen.“ Wieder lächelte er, diesmal jedoch um einiges breiter. Ashley fuhr fort „Laut der Schriftrolle hat es vor tausend Jahren hier einen Tempel gegeben, der aus irgend einem Grund, den ich nicht nachvollziehen kann, ein Heiligtum für Dämonen und Menschen war.“ Duncans Blick verfinsterte sich kurz, was Ashley aber nicht bemerkte. Sie sprach unvermittelt weiter „Ist ja auch nicht wichtig. Jedenfalls soll es dort eine Krypta gegeben haben, zu der nur einige Hohepriester der Dämonen Zugang hatten. Dort soll dieses Heiligtum versteckt worden sein. Das Problem aber ist, dass der Tempel dann während eines Konfliktes zerstört wurde, die Krypta davor versiegelt und niemand mehr daran interessiert war den Tempel auf zubauen oder die Krypta wieder zu öffnen.“ Enttäuscht lehnte sich Duncan zurück, doch Ashley war noch nicht fertig. „Ich habe die Angaben auf der Schriftrolle mit ein paar Karten aus den Archiven verglichen. Und wenn man die Angaben vergleicht, und meine – zugegeben etwas tollkühnen – Vermutungen abgleicht, dann musste der Tempel genau dort gestanden haben.“ Sie zeigte auf eine Karte des großen Stadtgebietes, mit all seinen Vororten und sogar dem Gebiet, das noch weit jenseits des Klosters stand. Am anderen Ende der Stadt stand ein großer Forst, der sich bekanntermaßen über einige Hektar verbreitete. Etwa zwei Kilometer vom Stadtrand entfernt war dort auf der Karte eine Ruine eingezeichnet. Und genau auf diese Ruine deutete Ashley nun. Duncan blickte auf. „Bist du dir sicher?“ Ashley schüttelte kaum merklich den Kopf „Nun, wie gesagt, es ist auch ein bisschen Mutmaßung dabei. Ich wollte noch mehr Informationen über die Ruine einholen. Ich kann mich zwar daran erinnern, dass ich in der Schule mal was gelesen habe, dass dort eine Kirche gestanden haben soll, aber ich war mir nicht mehr sicher. Deswegen habe ich in deinem Namen einen Antrag bei der hiesigen Behörde für Heimatgeschichte gestellt, um mehr über den Forst und über die Ruine zu erfahren, aber bis jetzt habe ich von denen noch nichts gehört.“ Duncan zog die Karte näher zu sich „Ich glaube nicht, dass wir darauf noch warten sollen. Ich bin mir sicher, dass du damit richtig liegst. Also wirst du dich da umsehen.“ Ashley wirkte ehrlich überrascht. „Wieso ich?“ Duncan sah sie von der Seite an „Weil ich denke, dass nur du, aufgrund deines Wissens über den Inhalt der Schriftrolle, die Krypta finden kannst.“ Ashley schnitt eine Grimasse, die eindeutig signalisierte, dass sie überhaupt nicht dieser Meinung war. Duncan, der genau wusste, dass sie das dachte, fügte schließlich hinzu: „Keine Sorge, ich lasse dich natürlich nicht alleine gehen. Delia wird dich begleiten.“ Ein Aufstöhnen entkam Ashley. Es machte keinen Sinn zu verstecken, dass sie darüber nicht gerade glücklich war. Aber sie wusste auch, dass es keine Diskussion gab. Also murmelte sie „Wann willst du, dass wir da hin gehen?“ Duncan stand auf. „Morgen früh. Ich werde Delia Bescheid geben. Ich will, dass du heute nach hier bleibst und dich darum kümmerst, dass ihr gut vorbereitet seid. Wer weiß, in wie weit ihr den Dämonen auffallt.“ Ashley nickte mit wenig Zustimmung. Es gefiel ihr noch weniger heute nach nicht nach Hause zu kommen. Zumal sie hier gar kein Zimmer mehr hatte. Und sie hasste den großen Schlafraum im zweiten Stock, wo vorwiegend alle Kinder unter 14 Jahren untergebracht waren und Ashley wusste, dass sich momentan eine regelrechte Horde von Kindern im Kloster befand. Duncan, dem ihre „Freude“ über seine Anweisung nicht entgangen war, fügte schließlich hinzu „Ich bin sicher, es wird Emma eine Freude sein, wenn du bei ihr übernachtest.“ Er hatte ein für ihn untypisches und auf irgendeine Art und Weise schauriges Grinsen aufgesetzt. Doch Ashley wollte nicht mehr weiter bohren. Ich nehme, was ich kriegen kann, dachte sie und verlies schließlich, nachdem sie ihre Sachen zusammen gepackt hatte, die Bibliothek. Kapitel 22: Charons Plan ------------------------ Im Versammlungsraum der Dämonen herrschte eine aufgeregte Stimmung. Lucas hatte sie alle relativ kurzfristig zusammengerufen aber den Grund für das Treffen hatte er nicht nennen wollen. Alles, was sie erfahren hatte, war, dass es sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit handle, welche die Anwesenheit aller ranghöheren Dämonen erforderte. Und so saß Lily nun etwas missmutig in ihrem Stuhl am kreisrunden Tisch wartete darauf, dass sich Lucas endlich blicken lies. Um sie herum herrschte ein Gesumme wie in einem Bienenstock. Keiner traute sich wirklich laut zu sprechen, allerdings bildeten die halblauten Gespräche inzwischen doch eine ziemliche Geräuschkulisse. Einige standen zurückgezogen in irgendwelchen Ecken und tuschelten miteinander, während einige schon ihren Platz eingenommen hatten. So mancher wirkte ziemlich angespannte. Solche Zusammentreffen endeten nicht selten darin, dass ein Dämon, der sich einen Fehltritt erlaubt hatte vor versammelter Mannschaft gedemütigt und bestraft wurde. Im Moment aber war es die größte Strafe, dass Lucas sie alle so warten lies. Lily hatte wahrlich keine Lust, hier noch länger zu warten, sie wusste Besseres mit ihrer Zeit an zu fangen. Dennoch machte sie keine Anstalten zu gehen. Es war den Ärger nicht wert, den es verursachen würde, wenn sie jetzt ginge. Nach etwa zehn weiteren Minuten des Wartens betrat Lucas endlich den Raum. Im Schlepptau hatte er Charon. Als die Anwesenden die Ankunft ihres Anführers bemerkten, suchten sich alle ihren Platz und verfielen in augenblickliches Schweigen. Charon nahm neben Lily seinen angestammten Platz ein. Lucas lies sich Zeit, ging einmal um den Tisch herum und nickte allen Anwesenden zu. Dann erst nahm er gemächlich auf seinem Stuhl Platz. „Liebe Freunde…“ fing er mit bedeutungsschwangerer Stimme seine Rede an. Lily rollte mit den Augen, es war jedes Mal das Gleiche. „… uns ist ein entscheidender Hinweis in die Hände gefallen, der einen Vorteil gegenüber den Schattengängern ermöglichen wird.“ Er hielt kurz inne, um die Reaktionen der Dämonen ab zu warten. Einige grinsten, andere ballten die Fäuste und wieder andere – zu denen auch Lily gehörte – schienen gänzlich uninteressiert. „Unser Bruder Charon hat durch geschickte Bestechung der Menschen eine interessante Information aufgetan.“ Er nickte Charon zu und bedeutete ihm, fort zufahren. Der verneigte sich unterwürfig, nachdem er sich erhoben hatte – was Lily zu einem erneuten Augenrollen hinriss. „Einer meiner getreuen Diener hat erfahren, dass Duncan bei einer der städtischen Behörden eine Anfrage über den Wald im Norden des Stadtgebietes gestellt hat. Genauer gesagt scheint er sich für die dortige Ruine zu interessieren. Ich denke, dass er dies nicht ohne Grund getan hat. Er vermutet dort etwas.“ Charon grinste breit und deutete an, dass er noch einiges zu sagen hatte. Doch Lucas bedeutete ihm, dass er sich wieder setzten sollte. Wieder folgte eine tiefe Verneigung, durch die Charon mit der Nase fast den Tisch berührte. Lily verkniff sich ein Lachen. Sie fand es geradezu widerlich, wie sehr er seine Unterwerfung zur Schau stellte. Er würde das wohl nie bei mir machen, dachte sie sich. Lucas sah in die Runde und die meisten starrten ihn erwartungsvoll an. Schließlich brach er das erneute Schweigen „Da ich ebenfalls der Meinung bin, dass die Schattengänger dort…“ er unterbrach kurz und grinste Lily breit an, was diese aufhorchen lies. „… etwas sehr Wichtiges suchen.“ Nun war Lily aus ihrer Langeweile gerissen. Die Betonung auf dem Wort „Wichtiges“ gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie ahnte, um was es ihm ging. Er vermutete, dass die Schattengänger, das Manuskript gefunden hatten. Doch sie sagte nichts. Sie wusste, dass er es seinen Leuten nicht sagen wollte. Warum auch. Dämonen waren selten wirklich loyal, wenn sie einen Machtvorteil besaßen. „Aus diesem Grund habe ich angeordnet, dass sich ein paar unserer Attentäter Dämonen im Wald und bei der Ruine aufhalten sollen. Sie sollen nach eventuellen Aktivitäten der Schattengänger Ausschau halten und wenn nötig jeden einzelnen von ihnen liquidieren.“ Als Lucas mit seiner Rede geendet hatte, erntete er von den meisten am Tisch Beifall. Nur Lily blieb gänzlich ruhig. Das entwickelte sich gar nicht so, wie sie es gehofft hatte. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie in den letzten Monaten nicht gerade viel darüber nachgedacht hatte. Weder das Manuskript, noch die Tatsache, dass Duncan Ashley einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort übersetzten lies, hatte sie beschäftigt. Und nun schien es sie wieder ein zuholen. Vor allem die Tatsache, dass sie ihm nichts davon erzählt hatte. Nie im Leben hatte sie daran gedacht, dass ihr Verschweigen nun ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Allerdings nicht für sie. Es würde wohl eher Ashley treffen. Lucas, der den Beifall und den Jubel seiner „Untertanen“ genoss, bemerkte nichts von ihrer Reaktion. Niemand tat das, niemand außer Charon, der schließlich direkt neben ihr saß. Als Lucas 10 Minuten später, in denen jeder, der was auf sich gab zu den Entwicklungen und dem anstehenden Tod von ein paar Schattengängern mehr seinen Kommentar abgab, das Treffen für beendet erklärte, schlich sich Lily heimlich aus dem Sitzungsraum. Doch Charon folgte ihr. Kurz vor dem Fahrstuhl nach oben hatte er sie schließlich eingeholt. „Bleib stehen!“ rief er in einem ziemlich harschen Ton, der ihm einen äußerst wütenden Blick von Lily einbrachte. Nur weil er von Lucas zum Held des Tages ernannt wurde, hatte er noch lange nicht das Recht sie – eine der sieben Erzdämonen und Fürstin über die Dunkelheit – so anzusprechen. „Was willst du?“ fauchte sie ihn an und in ihren Augen flackerte ein bedrohliches Funkeln auf. Charon blieb auf Abstand, er hatte erkannt, dass ihre Stimmung alles andere als ungefährlich war. „Wo willst du hin?“ fragte er vorsichtig. Lily antwortete ihm nicht. Sie starrte ihn nur einige Augenblicke an. Was wollte er eigentlich von ihr? Doch schließlich entschied sie sich, dass sie vorsichtig sein müsste. Charon würde nicht zögern, sie an Lucas zu verraten. Also entschloss sie sich, ruhig zu bleiben. „Das Treffen ist vorbei und habe nicht das geringste Interesse mich noch weiter inmitten dieser… Umgebung auf zu halten.“ Sie wandte sich wieder zum gehen, doch Charon, gab sich damit nicht zufrieden. „Angesichts der Tatsache, dass wir den Schattengängern bei der Suche nach dem Manuskript zuvorkommen, solltest du etwas mehr Interesse zeigen.“ Lily verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso, das ganze hat mich noch nie interessiert. Warum soll ich heute damit anfangen, Interesse zu heucheln?“ Charon musterte sie von oben bis unten. Offensichtlich wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte. Langsam wandte sich Lily von ihm ab und stieg in den Fahrstuhl. Bevor die Tür sich wieder schloss, setzte Lily noch mal einen drauf. „Seit wann bestimmst du überhaupt über mein Kommen und Gehen?“ Charon starrte sie an, dann schlossen sich die Türen und Charon meinte flüsternd „Nein, über dein Kommen habe ich definitiv schon lange nicht mehr bestimmt.“ Dann drehte er sich um und ging zurück in den Versammlungsraum. Kapitel 23: Die Ruine --------------------- In den frühen Morgenstunden lieferte sich der Nebel mit einer unerbittlichen Sonne einen Kampf um die Vorherrschaft. In der Stadt hatte die Sonne größtenteils schon gesiegt, doch hier im Wald krochen noch dichte Nebelschwaden zwischen dem Geäst der Bäume hindurch. Delia und Ashley stapften nun schon fast eine geschlagene Stunde durch den Forst und es schien fast so, als hätten sie jegliche Orientierung verloren. Dem wäre wohl auch so gewesen, wenn sich nicht ein steiniger Weg durch das Dickicht schlang, der laut Ashleys Karte direkt zu der Ruine führen sollte. Seit etwa 15 Minuten herrschte zwischen beiden eisiges Schweigen. Grund dafür war Delias Vorwurf gewesen, dass das ganze hier eindeutige Zeitverschwendung gewesen war. Ashley wollte sich nicht wirklich mit ihrem Gemecker befassen und verwies schlichtweg darauf, dass Duncan wollte, dass sie zur Ruine gingen. Doch das Schweigen der beiden lag nun drückend über ihren Köpfen und nur die durch den Nebel gedämpften Geräusche des Waldes brachen hin und wieder hindurch. Ashley fühlte sich äußerst unwohl. Der Nebel beeinträchtigte nicht nur ihre normale Wahrnehmung, auch ihre natürlichen Fähigkeiten, als Schattengänger, andere Lebewesen anhand ihrer Aura zu spüren, war erheblich eingeschränkt. Hätte sie nicht gewusst, dass Delia etwa fünf Meter hinter ihr ging, so hätte sie sie nicht wahrgenommen. Und je länger diese unfreiwillige Wanderung ging, desto unguter wurde dieses Gefühl. Ashley hatte schon mehrere Male erlebt, dass ihre Fähigkeiten aufgrund der wettertechnischen Gegebenheiten beeinflusst wurden, aber das hier war ihr einfach nicht geheuer. Bevor sie noch länger über ihre Sorgen nachdenken konnte, öffnete sich vor ihr das dicke Meer der Bäume und ein großes, nicht mehr ganz so Nebel verhangenes Feld wurde erkennbar. Etwa 100 Meter von ihr entfernt erkannt sie so einige Stücke von altem Mauerwerk, welches darauf schließen lies, dass sie endlich am Ziel angekommen waren. Delia hatte zu spät bemerkt, dass Ashley stehen geblieben war und wäre fast in sie hinein gerannt. Mit einer Beleidigung auf der Zunge gab sie Ashley einen leichten Schubs nach vorne. Als sie aber dann erkannte, warum Ashley stehen blieb, verkniff sie sich ihre Bemerkung und ging einfach schnurstracks an ihr vorbei auf die Ruine zu. Wenige Augenblicke später folgte Ashley ihr. Die beiden gingen durch eine Lücke in der moosüberwucherten Mauer genau in die Mitte der Ruine. Dort blieb Delia stehen und wandte sich an Ashley: „Also, wonach genau sollen wir jetzt hier suchen.“ Ashley warf ihren Rucksack zwischen zwei Felsen und meinte: „Es müsste ein Symbol irgendwo auf einem Stück Mauer oder auf dem Boden sein.“ Delia verzog das Gesicht. „Und wie soll dieses Symbol bitte aussehen?“. Ashley zog einen dicken Filzstift aus der Tasche und nahm Delias Hand. Auf ihren Handrücken zeichnete sie etwas, dass aussah wie ein Dreieck, in dem zwei Kreise waren. „Ungefähr so. Es kann sich natürlich leicht geändert haben, aber das sollte in etwa das Symbol sein.“ Delia nickte und begann die Mauern und den gefliesten Boden zu untersuchen. Ashley steckte den Stift zurück und machte sich ebenfalls daran, das Moos von den uralten Steinen zu kratzen. Etwa eine halbe Stunde lang suchten beide jeden noch so erdenklichen Zentimeter der Ruine ab. Doch keiner von beiden fand auch nur die leiseste Spur. Ashley war gerade mit einem Felsen etwas abseits vom Zentrum beschäftigt, als Delia zu ihr kam. Sie kickte frustriert mit einem kleinen Stein gegen den Felsen an dem Ashley grade zugange war. „Das hier ist doch die reinste Zeitverschwendung! Wie sollen wir zwei alleine bei diesem verdammten Nebel hier irgendetwas finden?“ Delia lies sich auf die nasse Wiese fallen. Ashley erhob sich aus der Hocke und meinte. „Duncan wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen, deswegen nur wir beide.“ Delia schnaubte „Schon klar, aber warum schickt er mich mit dir mit. Ich hab mit der ganzen Sache doch nichts am Hut. Er könnte ja einen von unseren gebildeten Forschern mit dir gehen lassen, warum also ich.“ Ashley schenkte ihr ein Lächeln „Weil du die einzige bist, die – außer ihm selbst – weiß, warum wir hier sind. Und solange wir nichts finden, wird er es auch dabei belassen.“ Delia rieb sich müde die Augen. „Ja, wahrscheinlich.“ Ashley beobachtete sie einen Moment lang, dann meinte sie leise „Ich wünschte, wir müssten beide nicht hier sein.“ Delia sah auf und starrte sie an. Es schien fast so, als wüsste sie nicht wirklich, was sie sagen sollte. Doch dann lächelte sie und stand auf. „Na los, suchen wir weiter, wenn schon, dann sollten wir es gründlich machen.“ Ashley nickte und ihr Blick fiel wieder zu den Steinen der Ruine und dem einzigen Baum, der dort wuchs. Ein knorriges, vertrocknetes Gewächs, das wohl schon lange vor sich hin vegetierte. Delia hatte sich gerade umgedreht, als ein ziemlich lautes Knacken beide Schattengänger aufhorchen lies. Beiden fuhren herum und starrte zurück zu dem Weg, den sie her gekommen waren, doch im Nebel war nichts zu erkennen. Aber irgendetwas war anders. Ashley konnte es nicht sehen, aber sie wusste, dass dort im Nebel, wahrscheinlich näher als ihr lieb war, etwas lauerte. Delia kam näher und flüsterte „Wie gut war dein Kampftraining?“ Ashley hatte das Gefühl, dass ihre Beine ihr den Dienst versagten. Es war schon ewig her gewesen, seit sie in einem offenen Kampf gekämpft hatte. Mit großer Überwindung antwortete sie „Angesichts der Tatsache, dass sich die Fähigkeit, durch Wände zu gehen nicht sehr gut im Kampf einsetzen lässt, wohl eher nicht so gut wie deines.“ Delia rümpfte die Nase. „Dann konzentrier dich umso mehr auf das, was du tust.“ Delia zog ein mittellanges Schwert aus ihrem Gürtel und reichte Ashley einen Dolch. Langsam gingen die beiden Rücken an Rücken auf das Dickicht zu. Einige Meter schien es wieder totenstill zu sein, doch dann brach ein wahres Gewitter über die beiden herein. Plötzlich tauchten aus dem Nebel weiß schimmernde Kreaturen auf, die sich auf die beiden stürzten. Während sich Delia ihrem Angreifer entgegen warf, reagierte Ashley instinktiv und nutzte ihre Kräfte. Der Dämon hatte mit seinen riesigen Klauen zum Schlag ausgeholt, der jedoch durch Ashley hindurch ging wie durch Luft. Einen Moment lang war er ziemlich verwirrt, doch dann fing er sich und griff erneut an. Delia schlug mit ihrem Schwert auf ihren Angreifer ein und wich gekonnt dessen Hiebe aus, doch es gelang ihr nicht, einen Treffer zu setzten, der den Dämon außer Gefecht gesetzt hätte. Ashley hingegen war mit ihrem Dolch wesentlich schlechter dran. Zwar schien der Dämon aus der Tatsache, dass er sie bis jetzt nicht treffen konnte, nicht schlau zu werden, doch auf diese Art und Weise konnte sie ihn nicht besiegen und ihr Gefühl sagte ihr, dass er und sein Kumpan nicht alleine war. Und damit sollte sie leider auch Recht behalten. Sie hörte wie Delia nach ihr rief, doch was genau es war, konnte sie nicht mehr verstehen. Zwar war sie erneut dem Dämon ausgewichen, doch hatte sie nicht gesehen, dass hinter ihm, aus dem Nebel noch ein weiterer Angreifer kam. Auf ihn war sie nicht vorbereitet gewesen. Sein Hieb traf sie am Bauch und Ashley spürte ein stechendes Reißen. Wie in Zeitlupe blickte Ashley an sich runter. Ihre Hände hatte sie nachdem sie von dem Hieb getroffen wurde, instinktiv an ihren Bauch gepresst. Jetzt nahm sie ihre linke Hand wieder weg und starrte sie an. Sie war voller Blut. Ashley wurde schwindlig und ihre Beine knickten weg. Sie spürte kaum, wie sie auf dem Boden aufschlug. Ihre Ohren rauschten. Was auch immer um sie herum geschah, es war wie durch den Nebel so verschleiert, dass sie es nicht mehr war nahm. Sie spürte den Schmerz und röchelte nach Luft. Vor ihren Augen verschwamm alles. Jetzt ist es gleich vorbei. Dachte sie, als sich langsam ihr Bewusstsein von ihr verabschiedete und die Kälte in ihre hoch kroch. Doch dann spürte sie, wie jemand sie packte und hoch hob. Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch sie schaffte es nicht. Etwas presste sich gegen die Wunde, aus der immer noch einiges an Blut floss. Dann konnte Ashley hören wie ihr jemand ins Ohr flüsterte. „Halte durch, meine Liebe.“ Innerhalb dem Bruchteil einer Sekunde kehrte die Wärme in sie zurück und Ashley fand die Kraft, ihre Augen erneut wieder aufschlagen zu können. Verschwommen erkannte sie die Umrisse eines wohlbekannten Gesichts. Es war Lily. Mit ihrer linken Hand, die immer noch blutverschmiert war, reichte Ashley an Lilys Gesicht. Die war kreidebleich, angesichts des fast schon leblosen Körpers, der in ihren Armen lag. „Du… du bist hier.“ röchelte Ashley. Sie hatte Lilys Gesicht fixiert und die schenkte ihr ein gequältes Lächeln. „Ja, das bin ich.“ Ashley versuchte, sich umzusehen, doch ihre Wunde und Lilys Griff ließen das nicht zu. „Delia… wo…“ zu mehr war Ashley nicht mehr im Stande. Ihre Augen flatterten erneut und sie drohte nun endgültig ohnmächtig zu werden. Lily drückte sie fest an sich und flüsterte „Für sie kannst du jetzt nichts mehr tun.“ Doch nun wand sich Ashley mit einer, angesichts ihres Zustandes, immensen Kraft und versuchte Lily abzuschütteln. „Lass… lass mich los. Ich muss… ihr… muss ihr helfen.“ Aber ihre Anstrengungen waren vergeblich, Lily hielt sie weiterhin fest im Arm und hob sie hoch. Selbst als Ashley verzweifelt anfing zu schreien, mit allem, was ihre Lungen noch hergaben, Lily lies sie nicht los. Sie trug sie einige Schritte und dann verschwanden die beiden im Nebel und im Wald und in der Ruine wurde es totenstill. Kapitel 24: Erste Hilfe ----------------------- Etwas außerhalb der Stadt stand am Ende einer Straße, die von hohen Zäunen und hochragenden Villen gesäumt war, ein fast schon unscheinbar wirkendes Haus. Es war nicht wie alle anderen von dicken Mauern und noch höheren Gittertoren eingezäunt, sondern es umgab ein schlichter brauner Holzlattenzaun und die Einfahrt zum Grundstück war gänzlich ohne eine Zaun oder ein Tor getrennt. Die weiße Wand war an vielen Stellen schon von mehreren Ranken umwuchert, so dass man den Eindruck hatte, in einigen Jahren würde das Haus gänzlich vom Pflanzenwuchs eingeschlossen sein. Zu der Tatsache, dass dieses Haus merkwürdig war, gesellte sich auch noch der Umstand, dass das Haus auf einer kleinen Anhöhe lag und etwas auf die anderen Villen hinab sah. Alles in allem, konnte man sich der Meinung nicht erwähnen, dass es hier und in Gesellschaft seiner Nachbarn völlig fehl am Platz war. Doch dieser Behauptung stellte sich die Tatsache entgegen, dass vor dem Garagentor ein ziemlich auffälliger und definitiv teuerer roter Sportwagen stand. Zumindest dieser passte in diese Gegend. Doch er war nicht das einzige sonderbare. Hin und Wieder konnten die Nachbarn mehrere Personen um das Haus schleichen sehen, wenn sie lange genug Zeit hatten, sich damit auseinander zu setzten. Und wenn sie es taten, beschlossen sie meist, dass es wohl besser wäre, nicht zu genau über jemanden nach zu denken, der einen privaten Sicherheitsdienst bei sich zu Hause beschäftigt. Und aus diesem Grund bemerkte auch keiner, wie urplötzlich vor der großen Eingangstür eine Frau auftauchte, in deren Armen eine Blut überströmte, zweite Person lag. Im Bruchteil einer Sekunde war sie auch schon ins Innere des Hauses verschwunden. Im der großen Eingangshalle war es kaum beleuchtet, obwohl der Morgen ziemlich trüb war. In der Mitte stand ein großer Abstelltisch mit einer riesigen blauroten Blumenvase. Lily stürmte auf den Tisch zu und fegte die Vase vom Tisch, die mit lautem Geschepper in tausend Teile zerbrach. Doch es kümmerte sie nicht. Sie legte Ashley auf den Tisch, die inzwischen kreidebleich aussah und nur noch sehr schwer atmete. Immer noch floss das Blut aus den tiefen Wunden an ihrem Körper. Lily, deren Hände inzwischen auch blutgetränkt waren, riss einen Teil von Ashleys Pullover ab, um die Wunden besser untersuchen zu können. Eine dunkle Türe am hinteren Ende der Halle wurde aufgerissen und Charon stürmte in die Halle. Er marschierte auf Lily zu, mit einem ziemlich wütenden Gesicht. Doch dann bemerkte er, wer da auf dem Tisch lag und dabei war, in den nächsten Minuten zu verbluten. Er blieb wie angewurzelt stehen. „Was in aller Welt soll das hier werden?“ war alles, was er hervor brachte. Lily blickte auf, als hätte sie ihn erst jetzt bemerkt. „Beweg dich her!“ Charon reagierte aber nicht. Seinem Gesichtsausdruck zufolge schien er das Ganze für einen schlechten Witz zu halten. Als Lily dann aber ein wütendes „Sofort, Charon!“ hinterher fauchte, setzte er sich wieder in Bewegung. Er ging auf den Tisch zu und hatte Ashley fixiert. Ihr Atem war kaum mehr ein Röcheln und ihre Augen flatterten. Er erkannte, dass sie zu sprechen versuchte, aber dafür schlichtweg zu kraftlos war. Lilys Versuche, die Blutungen zu stillen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Charon starrte schließlich Lily ungläubig an: „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich ihr helfe?“ Lily funkelte ihn an. In ihren Augen war ein dunkelroter Schimmer, der zum ersten Mal seit langem auf ihre wahre Natur schließen lies. „Und ob du das wirst. Du wirst sie heilen und zwar augenblicklich!“ Charon schien kaum eingeschüchtert zu sein, er war nun ebenfalls wütend. „Ich denke nicht daran, deine… deine kleine Hure wieder zusammen zu flicken!“ mit diesen Worten baute er sich vor ihr auf, doch seine Zuversicht würde jäh zerstört, als Lily blitzschnell nach seinem Hals schnappte. Sie zog ihn näher zu sich und flüsterte mit tiefer Stimme: „Das war keine Bitte, Charon!“ Charon war verstummt, er konnte nichts erwidern. Lily ließ ihn nicht los. Erst, als Ashley endlich anstatt ihres schwachen Röchelns ein verständliches Wort herausbrachte, lies Lily von ihm ab. Sie wandte sich zu Ashley und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „Hab keine Angst, es wird alles wieder gut!“ flüsterte sie ihr ins Ohr. Charon beobachtete die Szene angewidert, doch er hütete sich davor, Lily noch einmal in Rage zu bringen. Stattdessen wählte er einen vermeintlich neutraleren Ton „Ich kann sie nicht heilen, das weißt du. Sie ist kein Dämon. Das was ich für sie tun kann ist nur minimal.“ Lily wandte den Blick nicht von Ashley ab. „Was du tun kannst, wird ihr erst mal das Leben retten. Um den Rest brauchst du dich nicht zu kümmern.“ Charon wog ab, ob es das tatsächlich wert wäre. Als Lily ungeduldig wurde und ihn wieder mit einem ziemlich düsteren Blick strafte meinte er kleinlaut „Was ist mit dem Rat? Die werden nicht gerade in Freudentränen ausbrechen, wenn sie davon erfahren – und das werden sie bestimmt.“ Lily lächelte ein ziemlich zynisches Lächeln „Den Rat lass meine Sorge sein. Du hast einen Befehl erhalten, jetzt befolg ihn auch.“ Charon sah noch einmal von Ashley zu Lily und wieder zurück. Dann seufzte er laut und mit den Worten „Wenn es dich glücklich macht.“ Legte er beide Hände über Ashleys Bauchwunde. Einige Sekunden später fingen die Hände an zu leuchten und Ashley, die gerade zuvor ziemlich wenig Leben in sich hatte, schien sich unter Schmerzen zu winden. Sie fing an zu zucken und wollte sich Charons Wirken entziehen. „Halt sie fest.“ Murmelte er kurz und Lily drückte mit beiden Armen Ashleys Oberkörper auf den Tisch. Charons Hände wurden immer heller, bis das Licht so gleißend hell war, dass man nichts mehr sehen konnte. Ashley entkam ein einziger markerschütternder Schmerzensschrei, nach welchem sie schließlich leblos zusammensackte. Charon ließ schließlich von ihr ab. Lily fühlte Ashleys Puls, doch Charon meinte: „Sie ist nur bewusstlos. Der Blutverlust war ziemlich hoch.“ Lily untersuchte ihre Wunden, nur um festzustellen, dass die Blutungen vorerst aufgehört hatten. Alles was jetzt noch nötig war, war jemand der die Wunden nähte und versorgte. Charon trat einige Schritte vom Tisch zurück. Er hatte seinen angewiderten Blick zurückerlangt. „Na bitte, so gut wie neu. Du wirst zwar eine Weile die Matratzengymnastik bleiben lassen müssen, aber in ein paar Wochen, kann sie wieder ihrer Profession nachgehen.“ Wäre die Tür, durch die Charon kurz vorher gekommen war nicht erneut auf gegangen und eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren hereingestürzt, wäre Lily wohl auf Charon losgegangen. Aus ihren Augen sprach der blanke Hass, als die Frau zwischen den beiden zum Stehen kam und die drei anderen Personen im Raum musterte. „Was geht hier vor?“ flüsterte sie. Es dauerte eine Weile, bis Lily sich beruhigt hatte und sich an sie wandte. „Versorg sie so schnell wie möglich. Sie hat sehr viel Blut verloren. Wenn du das getan hast, dann… bring sie in mein Zimmer und sorg dafür, dass sie bekommt, was immer sie auch braucht.“ Die Frau nickte und hob Ashley hoch. Sie schritt auf die große Treppe zu. Bevor sie die Stufen erreichte, rief Lily ihr nach. „Trinity, warte!“ Die Frau drehte sich um. „Was noch?” meinte sie höflich. Lily fixierte Charon als sie antwortete: „Lass niemanden außer mir zu ihr, verstanden?” Obwohl Lily ihr zustimmendes Nicken nicht sehen konnte, war sie sich sicher, dass Trinity verstanden hatte. Charon strafte Lily mit einem vernichtenden Blick „Was hat es für einen Zweck sie in dein Zimmer zu bringen. Sie wird die nächsten Wochen so groggy sein, dass du nur davon träumen darfst, dich mit ihr zu vergnügen.“ Lily ging an ihm vorbei „Das ist nicht der Grund, warum ich sie dort hin bringen lasse.“ Als sie schon fast bei einer anderen Tür rechts vom Eingang war, fügte sie hinzu „Das ist der einzige Raum, bei dem ich sicher bin, dass du ihn definitiv nicht betreten wirst, mein werter Gatte.“ Nachdem Lily durch die Tür verschwunden war, wandte sich auch Charon zum gehen. Kapitel 25: Schlechte Stimmung ------------------------------ Zwei Tage später war von dem trüben Wetter der vergangenen Tage nichts mehr zu spüren. Die Sonne schien und für Anfang März war es ungewöhnlich warm. Duncan stand wie so oft am Fenster der Bibliothek und starrte nach draußen. Er betrachtete dieses Wetter fast schon als Hohn. Denn in der Bibliothek war die Stimmung eine gänzlich andere, als das Wetter vermuten lies. Um den großen Tisch waren die meisten Schattengänger erneut versammelt. Nur ein paar wenige Plätze waren nicht besetzt. Doch trotz der vielen Leute herrschte eine Grabesstille im Raum, die so manchem einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Niemand wagte, etwas zu sagen. Gedrückte Mienen umringten den Tisch und Duncan wandte ihnen schon eine geschlagene halbe Stunde den Rücken zu. Es war fast als würde er sie mit Schweigen strafen. Doch es war keine Bestrafung, vielmehr ein Ausdruck der Machtlosigkeit, der sie alle ausgesetzt waren. Endlich wurde die Stille unterbrochen, als die große Eingangstür aufgerissen wurde und Shane hereinstürzte. Augenblicklich wandte sich Duncan um und starrte ihn erwartungsvoll an. Shane blieb sofort stehen, als er dem Blick seines Anführers begegnete. Ein paar Sekunden schien er nicht wissen, was er tun wollte. Dann schüttelte er schlicht und einfach den Kopf. Duncan sog laut hörbar die Luft ein. Einige Schattengänger ließen sich enttäuscht in ihre Stühle zurück fallen. Emma legte den Kopf in ihre Hände und wandte sich ab. Connor, der neben ihr saß, bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte und legte ihr tröstend den Arm um die Schulter. Keiner konnte sich dazu hinreißen, die Stille zu durchbrechen, auch Duncan schien nicht in der Lage etwas zu den schlechten Neuigkeiten zu sagen. Es vergingen weitere zehn Minuten, bis sich schließlich eine Schattengängerin namens Alice erhob und sich Duncan näherte. Er starrte sie nur ungläubig an, als könne er nicht fassen, dass sie es tatsächlich wagen konnte, ihn jetzt in dieser Situation an zu sprechen. Doch Alice schien sich nicht beirren zu lassen und blieb nur wenige Zentimeter vor ihm stehen. Er flüsterte schließlich „Was gibt es, Alice?“ Erleichtert ergriff sie das Wort, wagte es aber nicht, lauter als zuvor Duncan selbst zu sprechen. „Ich weiß, dass wir im Moment in einer sehr schwierigen und verlustreichen Situation stecken, doch ich denke, es sei umso mehr ein Grund, unsere Reihen wieder zu stärken.“ Duncan musterte sie kurz. „Was hast du im Sinn?“ meinte er. Alice trat nun noch näher heran, so als fürchtete sie, Duncan würde sie nicht verstehen. „Die Sucher haben die Spur einer jungen Kandidatin aufgenommen, die offensichtlich außergewöhnlich großes Potenzial besitzt. Vielleicht würde ihre Aufnahme in unsere Gemeinschaft die Lücken wieder schließen.“ Ohne zu antworten wandte Duncan sich wieder ab. Alice stand einfach nur da und wartete auf eine Reaktion seinerseits, ganz egal welche es auch war. Einige Schattengänger hatten die beiden in den letzten Minuten beobachtet. Und je länger Duncan Alice ignorierte, desto lauter wurde das Getuschel und Gemurmel und wilde Spekulationen, über was die beiden eben noch sprachen, machte die Runde um den Tisch. Offensichtlich war Duncan das Durchbrechen des Schweigens irgendwann zu sehr respektlos, denn er erlöste Alice von ihrem Warten und strafte jene, die nicht still gewesen waren mit einer erbosten Miene. „Findet sie, egal was dafür nötig ist. Ich denke, dass es wohl wieder einigen Widerstand geben sollte, also seit dafür vorbereitet.“ Alice nickte und entfernte sich. Duncan sah zu, wie sie wieder Platz nahm, dann rief er über den Tisch „Ich denke, dass Connor und Mike dir dabei behilflich sein können. Weise sie ein.“ Alice nickte und sah zu den beiden Aufgerufenen hinüber. Beide starrten sie nur ungläubig an und schienen nicht im Mindesten zu verstehen, warum in aller Welt, gerade sie Alice unterstützen sollten. Duncan blickte in die Runde. Keiner strahlte in irgendeiner Form Optimismus oder Zuversicht aus. Er ließ sich in seinem Stuhl nieder und erhob die Stimme. „Ich weiß, dass diese Zeit nicht einfach für euch alle ist. Wir haben mit Verlusten zu kämpfen. Erst Randolph und jetzt…“ er brachte den Satz nicht zu Ende. Einige Augenblicke vergingen, bis er fortfuhr. „Wir ehren die Toten nicht, wenn wir uns hier her zurückziehen und sie betrauern. Wir ehren sie, indem wir in ihrem Namen den Kampf gegen Unterweltler und Dämonen unablässig fortführen. Zum Andenken.“ Als er geendet hatte, erhoben sich restlos alle Anwesenden und riefen im Chor „Zum Andenken.“ Danach leerte sich der Raum, jedoch ohne, dass ein einziges Wort gesprochen wurde. Und letztlich war Duncan alleine. Er blickte auf den Tisch vor sich, wo noch ein Stadtplan lag, den Ashley einige Tage zuvor genutzt hatte, um ihm von der Ruine zu erzählen. „Vielleicht sind sie mir dieses Mal zuvor gekommen, aber ein weiteres Mal passiert das nicht.“ Nun stand auch er auf und verlies den Raum. Kapitel 26: Erwachen -------------------- Bereits seit einigen Minuten kämpfte Ashley gegen die Bewusstlosigkeit an. Sie war sich sicher, dass sie irgendwo lag, doch sie konnte weder ihre Arme noch Beine bewegen. Das einzige, was ihre Ohren wahrnahmen war ein seltsames Rauschen, welches sie nicht zuordnen konnte. Und doch wusste sie, dass sie noch am Leben war. Je mehr ihr das Erlebnis an der Ruine und Lilys Rettung wieder bewusst wurde, umso stärker kämpfte sie gegen ihren Zustand an. Und langsam kehrte auch das Gefühl in ihr zurück. Die Kälte, welche sie vorher umgeben hatte, wich nun langsam einer angenehmen Wärme. Schließlich nach einem scheinbar unendlichen Kampf gelang es ihr die Augen auf zuschlagen. Einen Moment lang war alles verschwommen und kaum erkennbar. Doch dann erkannte sie ein großes Zimmer mit einer hohen Zimmerdecke. Die Fenster hatten große Flügeltüren und reichten fast bis ganz zur Decke. Bis auf eines hatten alle die dicken Vorhänge zu gezogen. Im Raum standen neben einer kleinen schwarzen Ledercouch und einem Sessel noch eine Kommode und ein ziemlich großer, alter Holzschreibtisch. Ashley selbst lag in einem ziemlich großen Himmelbett. Sie hatte diesen Raum noch nie gesehen und sie konnte sich auch nicht erinnern, wie sie hier her gekommen war. Langsam hob sie ihre Arme an und erkannte, dass sie im Ellenbogen ihres linken Armes ein ziemlich großes Pflaster hatte. Doch als sie sich schließlich versuchte, auf zu setzten, durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Ein heiseres Stöhnen entkam ihr, als sie sich wieder in die Kissen zurück fallen lies. Sie fuhr sich mit der rechten Hand über ihren Bauch und spürte einen dicken Verband, den sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Dennoch versuchte sie noch ein weiteres Mal auf zu stehen, doch erneut war der Schmerz so unerträglich, dass sie wieder auf das Bett zurück sank. „Du solltest dich besser schonen. Sonst reißen deine Nähte wieder auf!“ Ashley blickte erschrocken zur großen weißen Holztür rechts von ihr. Dort stand eine junge Frau, die nicht viel älter war als sie selbst. Sie hatte kurze, schwarze Haare und trug eine blaue Jeans und eine schwarze Bluse. Sie lächelte, angesichts der Tatsache, dass Ashley sie mit einem derart erschrockenen Blick musterte. „Keine Angst, du bist hier in Sicherheit.“ Sie kam näher und nahm auf einem kleinen Hocker neben dem Bett Platz. Ashley wich ein paar Zentimeter vor ihr zurück, sie kannte sie nicht, jedoch hatte sie etwas an sich, das ihr bekannt vorkam. Was es war, konnte sie nicht sagen. Nach einigen Augenblicken des Schweigens legte die Frau den Kopf schief und lächelte noch breiter. „Ich bin Trinity. Ich habe mich um deine Wunden gekümmert. Du wurdest ganz schön zugerichtet.“ So langsam konnte Ashley wieder einige Erinnerungen zusammen setzten und ihr dämmerte, was genau hier vor sich ging. „Wo ist Lily?“ war alles was sie mit heiserer Stimme hervorbrachte. Trinitys Lächeln verlor etwas an Intensität, doch es blieb erhalten. „Ich habe sie bereits rufen lassen. Sie wird gleich hier sein.“ Ashley nickte ziemlich abwesend. „Wo bin ich hier?“ flüsterte sie. Trinity beugte sich vor und zog untersuchte Ashleys Verband unter dem Hemd, das sie trug. „Das ist das Anwesen, welches seit mehreren Jahrzehnten in ihrem Besitz ist. Sie hat dich hier her gebracht, nachdem du angegriffen wurdest. Ashley starrte sie ungläubig an. Lily hatte ihr nie erzählt, dass sie ein Haus besaß. Sicherlich hatte sie während einer früheren „Inkarnation“ auch Häuser besessen, aber sie wusste nicht, dass es dieses eine immer noch gab. Trinity schien ihren Gedankenganz erkannt zu haben und meinte „Kaum jemand weiß, dass es dieses Haus gibt. Nur wenige sind eingeweiht.“ Ashley wusste, dass sie sie damit besänftigen wollte. Doch das gelang ganz und gar nicht. Allerdings wollte sie das nicht mit Trinity besprechen. Stattdessen stellte sie eine ganz andere Frage. „Wie lange bin ich schon hier?“ Zum ersten Mal wurde Trinitys Miene düster und es dauerte eine Weile bis sie antwortete. „Hier bist du seit drei Tagen. Aber vorher warst du einen Monat in der Privatklinik eines… befreundeten Arztes.“ Ashley zögerte einen Moment, bis sie sich schließlich dazu entschloss nicht noch weiter nach zu bohren, warum sie in einer Klinik behandelt wurde. Ihr Schweigen veranlasste Trinity einfach munter weiter zu reden. „Sie war jeden Tag bei dir, weißt du. Ich musste sie schon förmlich zwingen, mal für ein paar Stunden woanders hin zu gehen. Gerade, als sie aufstand, ging die Tür zum Zimmer erneut auf und Lily trat herein. Sie machte einen ziemlich gehetzten Eindruck und keuchte wie ein Rennpferd. Ohne ein weiteres Wort stürzte sie auf das Bett zu und kniete sich davor hin. Sie nahm Ashley in eine sanfte Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Allerdings war Ashley nicht grade so überschäumend vor Freude. Kaum merklich wandte sie sich von Lily ab. Doch Lily spürte instinktiv, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie löste die Umarmung und setzte sich auf das Bett neben Ashley. „Du hast mir ganz schön Sorgen gemacht, meine Liebe.“ Lily verlieh ihren Worten Nachdruck, als sie mit dem Finger über Ashleys Wange strich. Doch anstatt sie damit zu besänftigen, schien sie Ashley nur noch wütender gemacht zu haben, denn die fegte die Hand weg. Trinity hatte die Situation schnell erkannt und schlich langsam Richtung Tür. „Ich glaub ich hole Ashley ein Glas Wasser.“ Doch keiner der anderen Beiden hatte sie gehört. Lily sah Ashley mit einer ziemlich verletzten Miene an, doch die schien das kaum zu stören. „Ashley…“ setzte Lily an, doch sie wurde unterbrochen. „Lass es einfach okay. Ich hab keine Lust darauf…“ Sie sah sie nicht an, blickte nur zur Seite und verzog eine ziemlich wütende Miene. Lily wusste eine ganze Weile nicht, was sie sagen sollte. Schließlich wagte sie die Flucht nach vorne „Sag mir, was los ist, warum bist du so wütend?“ Nun sah Ashley ihr endlich in die Augen. Lily konnte genau sehen, wie verletzt sie war, als sie antwortete: „Warum hast du das getan?“ Einen Augenblick lang schien Lily über diese Frage ehrlich überrascht und es entfuhr ihr ein ziemlich beleidigtes „Ich habe dir das Leben gerettet!“, welches sie aber im selben Moment wieder bereute, als Ashleys Miene sich noch mehr verfinsterte. „Und du hast Delia… einfach so zurückgelassen. Sie hätte auch Hilfe gebraucht!“ als Lily das hörte, musste sie sich ziemlich zusammenreißen, um nicht aus der Haut zu fahren. Schließlich hatte sie sich innerlich so weit beruhigt, dass sie Ashley eine normale Antwort geben konnte. „Du zählst für mich mehr, als sie das getan hat. Und euch beide konnte ich nicht retten.“ In Ashleys Augen funkelten Tränen „Das glaube ich dir aber nicht.“ Flüsterte sie. Lily griff nach ihrer Hand, welche Ashley aber sofort zurückzog, dann flüsterte auch sie: „Ich hätte dich beinahe nicht retten können. Ich musste mich entscheiden, wem ich helfe. Und die Wahl zwischen dir und einer Schattengängerin ist nicht gerade sehr kompliziert.“ Doch diese Worte waren kaum ein Trost für Ashley. „Ich bin auch ein Schattengänger und mich hast du gerettet. Für mich gibt es da keinen Unterschied.“ Lily atmete schwer aus, sie sah ein, dass es jetzt keinen Sinn machte mit Ashley darüber zu diskutieren. Sie striff die Bettdecke glatt und erhob sich. „Ruh dich aus, Schatz. Du brauchst deine Ruhe.“ Sie beugte sich vor und wollte Ashley kurz einen Kuss auf die Wange geben, doch die drehte sich weg und fauchte „Lass das.“ Beleidigt drehte sich Lily um und schlurfte aus dem Zimmer. Ashley blieb alleine zurück und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken, so lange, bis ihr vor Erschöpfung erneut die Augen zu fielen. Kapitel 27: Trinity ------------------- In den nächsten Tagen hatte Lily mehrmals versucht, mit Ashley ein halbwegs vernünftiges Gespräch zu führen. Jedoch war dieses Unterfangen kaum von Erfolg gekrönt. Und je mehr Ashley Lily abwies, desto launischer wurde diese und machte damit alles kaum viel besser. Inzwischen kam Lily immer seltener vorbei und wenn, dann beschränkte sie die Konversation auf ein Minimum. Trinity hingegen war fast jede Minute in Ashleys Nähe und die vermutete, dass Lily aus irgendeinem Grund diese Rund-um-die-Uhr-Bewachung arrangiert hatte. Trinity versorgte Ashleys Wunde, die trotz der Tatsache, dass die Verletzung an sich schon fast zwei Monate her war, noch immer ziemlich wüst aussah. Während einer der wenigen unbeschwerten Plaudereien zwischen Ashley und Lily – Trinity hatte diese angeleiert – war Lily die Tatsache rausgerutscht, dass ein Dämon ihre Wunden zumindest soweit geheilt hatte, dass sie nicht verblutete. Ashley fragte aber nicht weiter nach, zumal Lily nicht verstecken konnte, dass sie Ashley gar nicht davon erzählen wollte. Auch Trinity ging nicht auf Fragen ein, welche in diese Richtung zielten. Also hatte Ashley es aufgegeben. Soweit es ihr möglich war, ging Ashley jeden Tag ein paar Schritte im Zimmer umher. Anfangs musste Trinity sie bereits nach jedem Schritt wieder festhalten, doch inzwischen klappte das Ganze schon sehr gut. Für ihre Gehübungen hatte Ashley ja nur das Zimmer zur Verfügung. Denn Trinity lies nicht zu, dass sie das Zimmer verlies. Jetzt saß Ashley auf der Couch im Zimmer und starrte auf ein Schachbrett, welches zwischen ihr und Trinity auf einem kleinen Tisch stand. Obwohl Ashley Schach nicht ausstehen konnte und die meiste Zeit sowieso verlor, nahm sie die Gelegenheit gerne wahr, denn während sie so tat, als würde sie nachdenken, redete Trinity am wenigsten mit ihr. Über kurz oder lang kamen sie ja doch nur bei einem einzigen Thema an: Lily. „Ich glaube, dass du den Rekord bald knacken wirst.“ Riss Trinity sie aus ihren Gedanken. Ashley blickte auf und meinte „Den Rekord von was?“ Trinity grinste breit „Für die längste Bedenkzeit im Schach.“ Ashley sah sie finster an, verstand aber, dass es ein Scherz sein sollte. Mit einem ziemlich aufgesetzten Lächeln machte sie ihren Zug. Da Trinity aber kaum mehr als drei Sekunden brauchte um ihrerseits den nächsten zu machen, war Ashley nun gleich wieder an der Reihe. „Ich stoppe schon mal die Zeit.“ Meinte sie scherzhaft. Ashley blickte stur auf das Brett vor sich „Wozu, du siehst sowieso alle zwei Minuten auf die Uhr. Da kannst du dir sicher merken, wie lange ich brauche.“ Ashley bemerkte erst nicht, dass sich Trinitys Miene verfinsterte. Doch, als sie nach einer Weile keine Antwort bekam, fiel ihr auf, dass sich etwas an ihr verändert hatte. „Was ist?“ meinte sie schließlich, aber Trinity gab erst keine Antwort. Dann seufzte sie „Ich glaube, dass du das sowieso nicht wissen willst.“ Ashley starrte sie irritiert an „Ach ja? Und warum?“ Trinity druckste herum, schließlich meinte sie nur „Lily ist noch nicht zurück.“ Beinahe wäre Ashley als Antwort ein „Und warum soll das so schlimm sein?“ rausgerutscht, aber sie konnte sich gerade noch zurück halten. Schließlich meinte sie: „Ach, ist sie denn weg?“ Trinity aber schien zu ahnen, was sie eigentlich hatte sagen wollen und meinte ziemlich trocken: „Ja, das ist sie. Und sie sollte eigentlich schon wieder hier sein.“ Obwohl Ashleys Bedürfnis, dieses Thema zu vertiefen eigentlich verschwindend gering war, so folgte sie doch dem Impuls, nach zu fragen. „Und wo steckt sie?“ Wahrscheinlich hatte Trinity nicht damit gerechnet, dass Ashley tatsächlich danach fragte, weshalb sie nun wieder sehr still wurde und ihre Antwort genau ab zu wägen versuchte. Es vergingen einige Minuten bis sie schließlich, halb flüsternd eine Antwort zustande brachte: „Sie ist bei Lucas. Sie muss sich wegen… wegen… wegen dir verantworten.“ Zum ersten Mal, seit sie hier aufgewacht war, schien sich Ashley ernsthaft dafür zu interessieren, was mit Lily war. Und noch viel mehr, ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie besorgt war. „Was soll das heißen?“ Trinity sah zur Seite. „Lucas ist ein wenig sauer darüber, dass du noch am Leben bist, das soll es heißen.“ Ashley merkte, dass Trinity langsam ziemlich gereizt wurde. Sie lehnte sich in der Couch zurück und meinte schließlich ziemlich kleinlaut: „Du hältst mich für Undankbar deswegen, oder?“ Über Trinitys Gesicht huschte ein kaum merkliches Lächeln „Nein, das tu ich nicht.“ Ashley legte die Stirn in Falten. „Wirklich nicht? Was denn dann?“ Trinity sah sie auf eine etwas mitleidige Art und Weise an. „Ich halte euch beide wirklich für ziemlich dumm.“ Etwas vor den Kopf gestoßen meinte Ashley „Okay… wieso das bitte?“ „Ich denke, dass ihr beide eine einzige Sache habt, die ihr dem anderen sagen wollt, aber weil ihr das nicht tut, werdet ihr euch bis ans Ende der Zeit angiften, glaub mir. Und was noch viel schlimmer ist: es ist ein und dieselbe Sache.“ Trinity machte innerhalb von Sekunden ihren Zug. „Schach matt.“ Meinte sie dann nüchtern. Ashley fixierte ungläubig das Schachbrett, mit den Gedanken war sie aber woanders. „Woran glaubst du das zu erkennen?“ fragte Ashley vorsichtig, ohne auf zu blicken. Trinity stand auf und schenkte ihr ein, fröhliches, breites Lächeln. „Ich habe zugesehen.“ Sie wandte sich zum Gehen, doch bevor sie das Zimmer verlies meinte Ashley. „Ich glaube, dass es viel zu viele Dinge gibt, die sie mir nicht sagen will. Und ich denke, dass sie mir nicht vertraut. Ich könnte es ja weiter tratschen.“ Ashley sah etwas traurig drein, doch Trinity lächelte unbeirrt weiter, als sie antwortete: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dir vertraut.“ „Ach ja, und was ist es dann?“ meinte Ashley leise. Trinitys Antwort war so einfach „Das, meine Gute, soll sie dir doch lieber selber sagen.“ Trinity kam noch mal zu ihr und half ihr beim Aufstehen, als sie sah, dass Ashley sich dabei nicht so leicht tat. Als die beiden sich gegenüberstanden sah Ashley Trinity direkt in die Augen, als wolle sie anhand dieser prüfen, ob sie auch die Wahrheit gesagt hatte. Dann meinte sie schließlich halb abwesend. „Ihr beide habt die gleichen Augen.“ Trinity grinste breit „Das liegt nur an den Sorgenfalten, die wir wegen dir bekommen.“ Sie wandte sich zur Tür. Bevor sie diese hinter sich schloss, hörte sie Ashley noch sagen „Wahrscheinlich ist es das.“ Dann ging sie den Flur weiter und lies Ashley eine Weile alleine. Kapitel 28: Begründung ---------------------- Schon seit Stunden saß Lily in einem kleinen Büro im Hauptquartier der Dämonen und wartete darauf, dass Lucas sich endlich dazu herabließ, ihr gehörig in den Hintern zu treten. Er hatte sie schon vor Stunden hier her bestellt, doch da er vorher noch unter anderem mit Charon über die Sache reden wollte, wartete sie schon eine Ewigkeit. Allerdings vermutete Lily, dass Lucas sie natürlich auch mit Absicht dort schmoren lies. Eigentlich war es verwunderlich, wie lange es gedauert hatte, bis Lucas von dem Vorfall erfahren hatte. Zwar hatte sich Lily keine wirklich große Mühe gegeben, zu verbergen, dass sie sie vor den Attentätern gerettet hatte, aber nur sehr wenige hatte die Sache überhaupt mitbekommen. Was sie letztlich zu der Vermutung brachte, dass Charon letztlich der Mistkerl war, der das Ganze irgendwann doch an Lucas weitergegeben hatte. Und wenn er es tatsächlich war, dann würde sie es ihm auch entsprechend danken. Zwar hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie diesmal auch so ungeschoren davon kam wie die vergangenen Jahre, in denen sie vor allen stets behauptete, dass sie sich Ashley lediglich als Gespielin „hielt“ und sie aufgrund ihrer eher schwachen Fähigkeiten sowieso nie wirklich zu einer Gefahr werden würde. Es hatte Zeiten gegeben, da war ihr bewusst, dass zumindest Charon kein einziges Wort von dem glaubte. Er schwieg sich darüber jedoch aus, denn bisher hatte er ihr nicht das Gegenteil beweisen können. Doch nun sah das anders aus. Lily hatte um Ashleys Willen in eine Angelegenheit eingegriffen, die nicht die ihre war und dann auch noch dafür gesorgt, dass Ashley die Sache überlebte. Lucas war geduldig mit ihr, das war er schon seit Jahrhunderten, weil sie so wie er ein Erzdämon war und im Rat der Dämonen einen Sitz hatte. Doch das bedeutete nicht, dass sie bei ihm Narrenfreiheit genoss. Denn irgendwann musste er reagieren, schon allein um sein Gesicht zu waren, weil er hier zumindest in gewisser Weise die Verantwortung für sie trug. Und nun saß sie hier und erwartete seine Standpauke und sein Urteil. Lily hatte wahrlich besseres mit ihrer Zeit anzufangen gewusst, doch im Moment lies es sich nicht ändern. Das viele Warten hatte auch den Nebeneffekt, dass sie fast ständig an Ashley denken musste, die in ihrem privaten Haus saß und immer noch ziemlich wütend auf sie war. Zu einem gewissen Grad konnte Lily verstehen, dass die Tatsache, dass sie diese andere Schattengängerin zurück lies, Ashley ziemlich an die Nieren ging, denn ihr war es schon früher ziemlich schwer gefallen, solche Dinge zu verkraften. Doch warum konnte oder wollte sie nicht verstehen, dass Lily das alles nur getan hatte, um ihr das Leben zu retten und dass sie ihr wesentlich mehr bedeute als diese Delia es je tun würde. Müde legte Lily den Kopf in die Hände und versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Es war schon schlimm genug, dass die meisten Konversationen, die sie mit Ashley führte einsilbige und nichts sagende Sätze waren. Und jetzt saß sie hier und zerbrach sich den Kopf über etwas, dass sie jetzt nicht wirklich ändern konnte. Aus dem einzigen Fenster blickend erkannte Lily, dass die Sonne langsam unterging. Es war bereits Ende Mai und draußen war herrliches Wetter. Es war einer jener Abende, die man gerne für Spaziergänge nutzte oder im Park verbrachte. Oder auch um am Meer einen wunderbaren Sonnenuntergang zu genießen. Gerade als Lily sich vorstellte, wie sie mit Ashley nach langer Zeit mal wieder abends durch die Straßen zog, ging die Tür auf und Lucas schlüpfte herein. Mit einem breiten Grinsen beschwor er einen ziemlich großen Ledersessel aus dem Nichts hervor und setzte sich. Er starrte Lily minutenlang an, ohne etwas zu sagen. Es schien, als wolle er testen, wie lange es dauerte, bis sie die Geduld verlor. Doch Lily spielte das Spiel mit. Auch sie starrte ihn einfach nur an. Schließlich war es ihn wohl zu dumm, diese Kindereien durch zu ziehen und er seufzte. „Da hast du ja was Feines angestellt, meine Liebe.“ Lily rollte mit den Augen „Komm zur Sache Lucas. Ich sitze hier schon lange genug, ich glaube, dass es allmählich doch reicht oder?“ Lucas grinste breit. „Ich habe ausgiebig mit Charon gesprochen. Er hat mir den ganzen Sachverhalt in allen Einzelheiten geschildert.“ Lilys Miene verfinsterte sich „Und was bitte hat er in so vielen Einzelheiten gesagt, dass es sich stundenlang hin gezogen hat?“ Lucas lachte kehlig und lies sich in die Lehne fallen. „Dass es im Moment nicht so gut zwischen euch läuft.“ Lily ahnte, dass er sie provozieren wollte, deshalb wog sie ihre Antwort sorgfältig ab „Charon und ich sind schon seit einer Weile nicht mehr gut aufeinander zu sprechen, aber ich wüsste nicht, was das mit dieser Situation zu tun hat?“ Lucas grinste, er hatte sie durchschaut, lies sich das aber nicht anmerken. „Ich rede nicht von dir und Charon und ich bin mir sicher, dass du das wusstest.“ Lily lies es bleiben, weiter auf seine Spielchen einzugehen „Ich glaube nicht, dass du gut drauf wärst, wenn man dir deinen Bauch aufgerissen hätte. Und selbst wenn, was spielt das für eine Rolle?“ Lucas Grinsen verschwand nach einigen Augenblicken von seinem Gesicht. „Na schön, lassen wir das und kommen zur Sache. Was sollte diese Aktion werden, kannst du mir das verraten?“ Den Kopf schief legend antwortete Lily schließlich: „Ich mag es nicht, wenn andere etwas kaputt machen, dass mir gehört.“ Lucas zischte hervor „Lass diese Ausreden, ich glaube dir nämlich inzwischen kein einziges Wort mehr, wenn es um diese kleine Hure geht.“ Lily lehnte sich auch zurück, innerlich kochte sie vor Wut, aber es gelang ihr, dies zu verbergen. „Was willst du von mir hören, Lucas?“ Wie vom Blitz getroffen stand er auf und ging um Lily herum, dann blieb er neben seinem Sessel wieder stehen. „Die Wahrheit verdammt noch mal. Warum zum Teufel hast du dich in diese Sache eingemischt?“ Er machte eine Pause, in der Lily klar war, dass er keine Antwort erwartete, dann fuhr er fort. „Weißt du, anfangs fanden alle diese Geschichte bewundernswert, du hast es geschafft, Duncan eine Schattengängerin vor zu enthalten und hattest sie völlig in deiner Hand. Aber dann hat er sie doch gefunden und du hast nichts unternommen. Das ist der Moment in dem du sie hättest loswerden sollen. Aber das hast du nicht. Und jetzt hast du in eine Sache eingegriffen und uns gehen langsam die Ausreden für dich und deine Spielereien aus.“ Lily stand auf und sah ihm direkt in die Augen „Erklär mir bitte, vor wem ich mich dafür rechtfertigen muss, meinen Besitz zu beschützen? Die Attentäter sind hirnlose Vollidioten, die sich einen Dreck darum scheren, dass sie mein Zeichen trägt. Du magst vielleicht nicht verstehen, warum ich so viel wert darauf lege, dass andere die Finger von meinen Sachen und meinen Leuten lassen, aber du weißt ja auch nicht, was es heißt, sich die Loyalität seiner Leute gesichert zu haben.“ Lucas schnaubte abschätzig „Als ob sie dir gegenüber so etwas wie Loyalität empfindet, ich bitte dich. Das ist etwas ganz anderes.“ Lily kam auf ihn zu, langsam reichte es ihr mit seinen abschätzigen Anspielungen. In ihr brodelte es und es fehlte nicht mehr viel und sie würde explodieren. „Bis jetzt hat sie sich noch nie in meine Sachen eingemischt, oder? Sie hat keinen großen Stellenwert für die Schattengänger und sie würde es niemals wagen, mir wissentlich in die Quere zu kommen. Aus welchem Grund auch immer, ist doch völlig bedeutungslos.“ Lucas fixierte ihren Blick „Hast du sie gefragt, weshalb sie bei der Ruine war?“ Lily zuckte kaum merklich zurück, sie hatte geahnt, dass er sie das fragen würde. Und für einen kurzen Moment wusste sie nicht, wie sie darauf antworten sollte, aber sie fing sich wieder, bevor Lucas Verdacht schöpfen konnte. „Sie war mit dieser anderen dort. Anscheinend hat Duncan versucht sie besser in seine große, glückliche Familie zu integrieren. Aber ansonsten hatte sie keine Ahnung. Wieso, denkst du, sie ist so wichtig, dass sie mehr weiß, als wir? Ich bitte dich.“ Lucas Gesichtsausdruck verriet, dass er ihr zumindest einen Teil dieser Geschichte abkaufte. Doch wenn er herausfand, weshalb Ashley – vermutlicherweise – wirklich dort gewesen war, dann würde er darauf bestehen, dass sie verhört wurde. Und Lily war klar, dass Lucas dann nicht im Sinn hatte, dass sie das Ganze überlebte. Um Lucas die Gelegenheit zu nehmen, noch länger über ihre Worte nach zu denken, fügte sie hinzu: „Kannst du mir endlich sagen, wie du mich bestrafen willst? Ich bin es leid hier rum zu sitzen.“ Lucas ließ sich wieder in ihrem Sessel nieder. „Ich werde dich noch mal davon kommen lassen. Ich denke, ich kann es dem Rat und den anderen Dämonen gut verkaufen. Aber ich warne dich: Falls du wegen ihr noch einmal über die Stränge schlägst, werde nicht ich, sondern der gesamte Rat über dich entscheiden. Und du weißt, dass die keine deiner Mätzchen tolerieren werden.“ Lily wandte sich zur Tür und noch ehe sie „Soll mir recht sein.“ zu Lucas gerufen hatte, war sie auch schon nach draußen verschwunden. Er stand auf und lies den Sessel wieder verschwinden und ging auch hinaus auf den Gang. Auf dem Weg zu seinem Büro kam ihm Charon entgegen. „Sag mir nicht, dass du sie hast gehen lassen.“ Lucas ging an ihm vorbei. Ein paar Meter weiter meinte er schließlich beiläufig: „Ich glaube, dass ich das zu entscheiden habe und nicht du, Charon. Ich weiß, dass du diese Schattengängerin loswerden willst, weil deine Frau dir wegen ihr Hörner aufsetzt, aber das ist eine Sache zwischen euch und interessiert mich nicht.“ Charon war sichtlich wütend wegen dieser Aussage, jedoch konnte er vor Lucas nicht einfach vor Wut ausflippen. Er war schließlich in einer wesentlich höheren Stellung als er. Lucas schien seinen Zorn aber bemerkt zu haben. Er blieb stehen und meinte: „Lass Lily meine Sorge sein und kümmere dich um deine Aufgaben.“ Er ging weiter und lies Charon einfach stehen. Der meinte aber schließlich „Wo wir gerade davon reden… ein paar Unterweltler haben uns darüber informiert, dass nicht weit von hier ein kleines Kind die Fähigkeiten eines Schattengängers besitzt.“ Er zog einen kleinen Aktenordner hervor und gab ihn Lucas. In dem Ordner waren auf ein Blatt Papier einige Notizen und gemacht worden und ein Foto angeheftet. Lucas sah erstaunt auf: „Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?“ Charon grinste diabolisch „Oh doch, das ist es. Ein… angenehmer Zufall.“ Lucas legte alles in den Ordner zurück und gab es Charon und sagte: „Kümmere dich persönlich darum und sorg für die nötige Diskretion, hast du verstanden.“ Charons Grinsen wurde breiter: „Voll und ganz, mein Lord. Ich werde mich unverzüglich darum kümmern.“ Und dann ging er in die andere Richtung zum Fahrstuhl, während Lucas zu seinem Büro ging. Kapitel 29: Bittere Erkenntnis ------------------------------ Nur das spärliche Licht der Nachttischlampe erleuchtete das Schlafzimmer noch. Es war bereits nach Mitternacht, als Lily leise herein geschlichen kam. Ashley schlief auf dem Bett. Auf ihrem Gesicht lag ein ziemlich dickes Buch. Lily kam leise näher und nahm das Buch weg und legte es auf das kleine Tischchen neben dem Bett. Als sie nach der Bettdecke griff und Ashley richtig zudecken wollte, zuckte sie wie nach einem Stromschlag auf und öffnete die Augen. Für ein paar Sekunden schien sie nicht zu begreifen, was gerade geschah, aber dann fixierte sie Lily und meinte ziemlich abschätzig: „Was machst du da?“ Lily hob abwehrend die Hände „Ich wollte dich nur zudecken. Du bist schon wieder beim Lesen eingeschlafen.“ Ashley rieb sich die Augen und setzte sich auf. „Du hast keinen Fernseher, sag mir was ich bitte sonst machen soll?“ Lily musste kurz auflachen, sie setzte sich auf die Bettkante und meinte: „Wenn du darauf bestehst, dann besorg ich dir einen, allerdings glaube ich, dass der Fernseher zur Verblödung der Menschheit erheblich beigetragen hat.“ Jetzt musste auch Ashley lachen. Seit Wochen hatte Lily sie nicht so lachen hören und es tat gut, zu sehen, dass sie es wieder gefunden hatte. Lily strich eine Haarsträhne aus Ashleys Gesicht, angesichts wovon sich Ashleys Blick etwas verfinsterte. Lily zog schnell die Hand wieder zurück und murmelte „Entschuldigung.“ Ashley ignorierte das völlig und meinte dann schlicht: „Ich habe gehört, du musstest heute bei deinem Boss vorsprechen. Wie ist es gelaufen?“ Lily runzelte die Stirn: „Wer hat dir das gesagt?“ Ashley legte den Kopf schief und hob beide Augenbrauen in einer Art und Weise, die sagen sollte: „Was glaubst du?“ und schließlich nickte Lily verstehend. Sie sagte: „Ganz okay.“ Allerdings gelang es ihr nicht, Ashley dabei an zu sehen, was diese so auslegte, als dass Lily ihr etwas verschwieg. „Das hört sich nicht so an.“ meinte sie ziemlich nüchtern. Lily sah sie an und ergriff sanft ihre Hand. „Es ist nicht ganz einfach Lucas einen verständlichen Grund zu liefern, warum ich dich nicht einfach habe sterben lassen.“ Ashley legte den Kopf schief „Wieso? Reicht es etwa nicht mehr, dass du territoriale Ansprüche auf mich stellst?“ Lily drückte Ashleys Hand. „Warum glaubst du immer noch, dass das der einzige Grund ist?“ Als ihr Ashley antwortete war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern „Weil du mir nie einen anderen genannt hast.“ Lily starrte sie an und langsam dämmerte es ihr, warum Ashley in den vergangen Tagen so wütend war. „Du bist mein Grund und ohne dich… wäre das alles einfach nicht mehr erträglich.“ Lily nahm Ashley sanft in den Arm und diesmal – zum ersten Mal, seit sie hier war – lies sie es zu. Die Umarmung schien sich eine Ewigkeit hin zu ziehen. Schließlich gab Lily Ashley einen sanften Kuss auf die Wange. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von Ashleys entfernt. Ashley schloss die Augen „Warum machst du es mir so schwer?“ Lily antwortete mit einem sanften Kuss und anfangs befürchtete sie, dass Ashley sie wieder wegstoßen würde, doch genau das Gegenteil war der Fall. Sie lehnte sich zurück und schien jede Sekunde zu genießen und je länger der Kuss dauerte, desto fordernder war Lily. Alles um sie herum schien zu verschwinden, die beiden hatten nur noch Aufmerksamkeit für den anderen und es schien, als seien die Streitereien der letzten Wochen niemals da gewesen. Doch dieser Moment wurde jäh von einem ziemlich hämischen Lachen einer dritten Person unterbrochen. Wutentbrannt unterbrach Lily den Kuss und wandte sich zur Zimmertür. Im Türrahmen stand niemand anderer als Duncan, der ein ziemlich übles Grinsen aufgesetzt hatte. Es kostete Lily einiges an Beherrschung nicht wie ein wilder Berserker auf ihn los zu gehen. Einzig Ashleys Anwesenheit hielt sie davon ab. Doch der Ausdruck in ihren Augen war mehr als nur zum Fürchten. Schließlich fauchte sie ihn an: „Was zum Teufel machst du hier? Ich dachte, ich hatte dir den Befehl gegeben nicht einmal in die Nähe dieses Zimmers oder ihr zu kommen!“ Charons Grinsen wurde breiter, was Lilys Wut nur noch mehr anheizte. „Ich wollte dir lediglich gratulieren, dass du deinen und ihren Hals da wieder mal aus der Schlinge gezogen hast, meine Liebe. Es tut mir leid, dass ich euch bei eurer trauten Zweisamkeit unterbrochen habe. … Nein, eigentlich tut mir das nicht leid.“ Lily stand auf. Ashley konnte nichts weiter tun, als von einem zum anderen zu blicken. Ihr war nicht wirklich klar, was genau hier ablief. Allerdings konnte sie spüren, wie wütend Lily war. So sehr, dass es Ashley kalt über den Rücken lief. Als Lily Charon noch einmal anfachte, war die kalte Wut in ihren Worten zum Greifen nah. „Verschwinde von hier und zwar sofort!“ Doch er schien nicht einmal daran zu denken, ihren Worten Folge zu leisten. Er kam langsam näher und stand schließlich gerade mal einen Meter vom Bett entfernt. Als er die Hand in Ashleys Richtung ausstreckte, hielt sich Lily nicht mehr zurück. Sie packte ihn am Hals und schleuderte ihn gegen die Wand. „Wage es ja nicht, Charon!“ Obwohl sie ihn würgte, grinste er immer noch breit. Er triumphierte mit jedem Moment, in dem Lily wütender wurde. Und er würde ihr noch mehr Grund dazu liefern. „Da ist es ja wieder, dieses Feuer in dir. Irgendwie hat es mir gefehlt. Vor allem immer dann, wenn wir beide uns in deinem Bett gewälzt haben. Ich frage mich, ob du es bei ihr auch so rauslassen kannst, wie einst bei mir.“ Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Lily schleuderte ihn Richtung Tür, so dass das Holz etwas zu splittern anfing. Doch nicht nur Lily brachten sie aus der Fassung, auch Ashley starrte die beiden ungläubig an. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte. In ihr schien etwas so unwiederbringlich zu zerbrechen, dass sie für einen Augenblick das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Doch davon merkte Lily nichts. Sie war so auf Charon fixiert, der sich nun wieder hochrappelte. „Also wirklich, behandelt man so seinen Ehemann? Vor allem, wenn er dafür gesorgt hat, dass deine kleine Schlampe hier ihre Ausweidung überlebt hat?“ Lily ballte die Fäuste. Um diese herum entstanden blaue Flammen, die in Sekunden im Zimmer eine fast unerträgliche Hitze entstehen ließen. Doch bevor sie damit auf Charon losgehen konnte, wurde die Tür ein weiteres Mal aufgerissen und Trinity stand hinter Charon und beobachtete entsetzt, was gerade hier vor sich ging. Ihre Anwesenheit schien Lily so überrascht zu haben, dass die Flammen wieder verschwanden. Einen Augenblick lang war es totenstill und die Luft zum Schneiden dick. Bis Trinity schließlich sprach: „Was bitte geht hier vor?“ Lily antwortete nicht. Sie hatte Charon fixiert mit Mordlust in den Augen. Er war es schließlich, der sich an Trinity wandte. „Was geht dich das an du Halbblutbastard? Du hast dich in die Angelegenheiten von Dämonen gar nicht ein zu mischen. Das ist etwas zwischen mir und…“ er lies sich Zeit und schien seine Worte regelrecht zu genießen „… deiner Mutter.“ Trinity aber machte kurzen Prozess mit ihm, sie sah den Blick in Lilys Augen und reagierte sofort. Sie zog Charon an den Ohren zur Tür hinaus. Das ganze hatte eine geradezu ironisch komische Szene gebildet. Charon schrie wie ein kleiner Schuljunge und Trinity war wie eine unbarmherzige Oberlehrerin. Als die Tür hinter den beiden wieder zufiel, stand Lily schnell atmend mitten im Raum. Sie brauchte eine ganze Weile bis sie sich wieder beruhigen konnte. Dann wandte sie sich schließlich zu Ashley, der die eine oder andere Träne übers Gesicht lief. Keiner von beiden ertrug es, den Anderen direkt an zu sehen. Lily aus Schuldgefühlen, Ashley aus tiefster Enttäuschung. Schließlich war alles was Lily noch sagen konnte: „Es tut mir leid. Ich hatte nie gewollt, dass du das erfährst.“ Ashley legte ihren Kopf in beiden Hände, sie sagte aber nichts. Lily kam schließlich näher und meinte: „Ich kann es dir erklären, es ist nicht so, wie es sich angehört hat.“ Doch Ashley fuhr auf und sah Lily direkt an. In ihren Augen war keine Spur Wut zu sehen. Sie schienen seltsam ausdruckslos und leer. Leise flüsterte sie „Ich will es aber jetzt nicht hören.“ Lily wich zurück und nickte. „Ich sollte dann wohl gehen.“ Doch von Ashley kam keine Antwort, sie starrte Lily nur an, wie jemanden, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und noch lange, nachdem sie das Zimmer durch die ziemlich ramponierte Tür verlassen hatte, starrte Ashley ihr nach. Bis sie schließlich kraftlos in die Kissen sank und irgendwann von einem unruhigen Schlaf übermannt wurde. Kapitel 30: Verlassen --------------------- In den frühen Morgenstunden schien eine trügerische Ruhe die Geschehnisse der letzten Nacht zu übermanteln. Angesichts des Frühsommers stand die Sonne schon um diese Zeit sehr hoch am Himmel. Doch einige wenige Regenwolken trübten ihren Einfluss bereits und würden ihn spätestens am Mittag wohl gebrochen haben. Ashley hatte kaum schlafen können. Immer wieder ging ihr die Begegnung zwischen Charon und Lily durch den Kopf und was sie dadurch erfahren hatte. Am liebsten hätte sie Lily einfach zur Rede gestellt, wegen all den Dingen, die sie ihr die ganze Zeit verschwiegen hatte, doch dafür hatte sie schlichtweg keine Kraft mehr. Sie hatte es satt, ständig von allen Seiten ausgenutzt zu werden und die Wahrheit immer wieder von irgendwelchen anderen Leuten auf diese Art und Weise serviert zu bekommen. Es würde zumindest nicht halb so sehr wehtun. Und aus eben diesem Grund hatte Ashley nachdem sie vor einer halben Stunde aufgewacht war, eine Entscheidung getroffen. Nachdem sie sich angezogen hatte, war sie so leise wie möglich aus dem Schlafzimmer verschwunden, in welchem sie die letzten Wochen verbracht hatte. Erfreut hatte sie festgestellt, dass Lily offensichtlich niemanden vor der Tür Wache schieben lies. Allerdings stand sie vor dem Problem, dass sie sich nicht im Haus auskannte und deswegen nicht wusste wo der Ausgang war. Von ihrem Zimmerfenster aus hatte sie gesehen, dass sie sich im zweiten Stock befinden müsste. Allerdings wand sich der Gang lang und fensterlos immer weiter, ohne dass man feststellen konnte, wo das Ende war und der Anfang. Jede Tür schien der vorherigen bis aufs kleinste Detail zu gleichen. Ashley war schon kurz davor, aufzugeben, als sie endlich an eine große, breite Treppe kam, die hinabführte. Ein Stockwerk tiefer musste sie allerdings feststellen, dass die Treppe hier schon zu Ende war und sie machte sich nun wieder auf die Suche nach einer Treppe, welche sie endlich ganz nach unten führen würde. Der Gang in diesem Stockwerk war wesentlich dunkler gestaltet als der im zweiten Stock. Hier waren die Wände nicht pfirsichfarbig gestrichen, sondern eher gräulich und die Beleuchtung war auch sehr spärlich. Lediglich etwa alle fünf Meter hing ein Kerzenhalter an der Wand und eine bereits ziemlich herunter gebrannte Kerze spendete kaum mehr genügend Licht. Auffällig war auch, dass es deutlich weniger Türen gab und die Türen von einem dunklen Braun waren. Alles in allem beschlich Ashley mit jedem weiteren Schritt das Gefühl, in einer Gruft umher zu schleichen und sie wurde nur noch darin bestärkt, hier so schnell wie irgendwie möglich zu verschwinden. Aufgrund des spärlichen Lichts hatte Ashley auch nicht bemerkt, dass in einem der Türrahmen jemand stand und sie beobachtete. Als sie an der Gestalt vorbeihuschte, wartete diese einige Sekunden, ehe sie aus dem Dunkel hervortrat und Ashley von hinten packte. Noch bevor Ashley überhaupt reagieren konnte oder einen Hilfeschrei loswerden konnte, legte sich eine eiskalte Hand über ihren Mund. Eine heisere Flüsterstimme sprach zu ihr: „Nana, wer wird denn hier das ganze Haus aufwecken, zu dieser unchristlichen Zeit.“ Ashley wusste sofort, wer er war. Doch innerhalb von dem Bruchteil einer Sekunde ließ er sie los und stieß sie mit dem Rücken unsanft gegen die Wand. Sie keuchte laut, sagte aber ansonsten nichts. Ihre Augen fixierten Charon, der mit einem diabolischen Grinsen einen halben Meter von ihr weg stand. Sie rechnete damit, dass er jeden Moment angreifen würde, doch er stand einfach nur da und grinste sie an. Als Ashley schließlich Anstalten machte, einfach weiter zu gehen, schnellten seine Arme blitzschnell hervor und drückten ihre Schultern fest gegen die Wand. Sie wusste genau, dass sie nicht die geringste Chance gegen ihn hatte, vor allem nicht, da sie nicht hundertprozentig fit war. Und er wusste das erst recht. „Wo willst du denn so früh schon hin, mein Zuckerpüppchen? Solltest du nicht in deinem kleinen Zimmerchen bleiben, wie man es dir aufgetragen hat?“ Mit einer Hand versuchte er, Ashley über die Wange zu strechen. Als sie ihn wegstieß, packte er sie am Hals. Zwar drückte er nicht zu, aber sobald er sich doch dazu entschließen sollte, würden Ashley ziemlich schnell alle Lichter ausgehen. Er schien es zu genießen, dass ihr sehr genau bewusst war, dass sie ihm nicht viel entgegen zu setzten hatte. Sein Grinsen war verflogen und seine Augen funkelten. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, wo willst du hin?“ Ashley schnappte kurz nach Luft, als er für einen Moment den Griff um ihren Hals verstärkt hatte. Dann röchelte sie „Nach Hause.“ Charon unterdrückte ein Lachen. Er war zweifelsohne darum bemüht, so leise wie möglich zu sein, was Ashley auf eine Idee brachte. Mit allem, was ihre Stimme im Moment hergab, fauchte sie: „Wenn du mir etwas antust, wird sie ziemlich sauer werden.“ Einen Augenblick lang schien Charon tatsächlich geschockt über diese Aussage, Ashley hatte ihn erwischt. Er konterte „Denkst du sie ist glücklich, wenn sie erfährt, dass du sie verlassen willst?“ Doch Ashleys Reaktion war eine andere als Charon sie erhofft hatte: „Ich denke, dass du etwas mehr zu befürchten hast, als ich.“ Sein Gesichtsausdruck zeigte ihr deutlich, dass sie damit goldrichtig lag. Und deswegen änderte Charon auch seine Strategie. Er lockerte den Griff um ihren Hals und fing stattdessen an, mit seinen Fingern langsam den Hals hinab zu streichen und hielt schließlich an ihrem Schlüsselbein inne. Seine Augen verfolgten jede Bewegung seiner Finger. Also sah er sie auch nicht an, als er leise flüsterte: „Verrat mir, was bitte du an ihr findest?“ Ashley kochte innerlich und sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht auf ihn los zu gehen. „Ich glaube ja nicht, dass dich das was angeht, du Widerling.“ Fauchte sie zurück. Jetzt sah er sie an. Seine Augen funkelten und seine Hand ruhte auf ihrem Brustbein. Er grinste verwegen. „Ich meine doch nur, mit mir hättest du unendlich viel mehr Spass als mit ihr. Sie kann dir nie und nimmer geben, was ich dir geben kann.“ Ashley zog die Augenbrauchen hoch. „Ich denke, dass ich verzichte.“ Er starrte sie durchdringend an „Wenn du dich schon zu einem Betthäschen degradieren lässt, dann doch wenigstens von jemandem, der es zu einem Erlebnis macht, dass du nie mehr vergisst.“ Ashley wollte ihm so sehr eine Reinhauen. Sie konnte es nicht fassen, dass sie von ihm auf diese Art und Weise angegraben wurde. Aber sie entschied sich für einen anderen Weg und antwortete kühl: „Vielleicht, aber ich sehe hier keinen, der das zustande bringen könnte.“ Ein paar Augenblicke schien es so, als hätte Charon nicht ganz verstanden, was sie damit sagen wollte. Ashley nutzte dies und entwand sich seinem Griff. Doch weit kam sie nicht. Bereits nach ein paar Schritten packte er sie wieder von hinten. „Du solltest dich ein kleines bisschen zusammenreißen, meine Liebe!“ Während die linke Hand von hinten um ihren Hals geschlungen war, wanderte die rechte Hand über ihr T-Shirt zu der Stelle, an welcher Ashley verletzt worden war und welche nun dicke Narben zierten. Im nächsten Moment blieb Ashley die Luft weg. Doch das hatte nichts mit dem Würgegriff zu tun, in den Charon sie gezwungen hatte. Es fühlte sich an, als würde er mit seiner rechten Hand aus ihrer Verletzung das Leben aus ihr heraussaugen. Mit allerletzter Kraft versuchte sie sich von ihm zu lösen, doch je mehr sie nach Luft schnappte, desto schwächer wurde sie. Vor ihren Augen wurde es schwarz und sie war kurz davor das Bewusstsein ganz zu verlieren, als er plötzlich aufhörte. Sie konnte wieder ganz normal atmen. Einige Augenblicke später hörte sie seine Stimme ganz nah an ihrem linken Ohr: „Merk dir eines, Schattengängerin. Was ich dir gegeben habe, kann ich dir auch ohne weiteres wieder nehmen. Also sei ein bisschen respektvoller!“ Dann ließ er sie plötzlich los und machte nicht die geringsten Anstalten, sie weiter fest zu halten. „Sieh zu, dass du verschwindest!“ fauchte er ihr nach. Sie drehte sich um und starrte ihn ungläubig an. Mit heiserer Stimme presste sie hervor: „Wieso lässt du mich jetzt gehen?“ Er lachte ein leises, hämisches Lachen und meinte dann: „Weil ich zu gerne sehen will, wie sie reagiert, wenn sie erfährt, dass du abgehauen bist.“ Dann drehte er sich um und verschwand ohne ein weiteres Wort in einem der Zimmer auf dem Stockwerk. Einige Minuten lang stand Ashley dort, ohne sich zu bewegen. Seine Aussage hatte Zweifel in ihr gesät und sie war versucht, wieder zurück in ihr Zimmer zu gehen. Doch dann siegte ihre Wut über Lilys Verhalten und sie folgte dem Flur in die andere Richtung bis sich schließlich die Treppe erreichte, die in die Eingangshalle führte. Und nur wenige Augenblicke verschwand Ashley unbehelligt durch die Eingangstür nach draußen und verlies das Grundstück der eindrucksvollen Villa. Kapitel 31: Was es wirklich heißt... ------------------------------------ Emma schlenderte fast schon gelangweilt am späten Vormittag durch die Straßen der Stadt. Jeder, der sie genauer beobachtete, würde meinen, dass sie einen Einkaufsbummel ohne ein bestimmtes Ziel hatte. Doch der Eindruck trog. Obwohl ihr bewusst war, dass normale Menschen ihr sowieso keine große Aufmerksamkeit schenken würden, wählte sie diese Form der Täuschung. Sie hatte nämlich ein Ziel. Am Ende der Straße, in die sie gerade bog, befand sich eine kleine, ziemlich abgewrackte Pfandleihe. Langsam schlenderte sie an den anderen Geschäften in der Straße entlang, die mindestens genauso herunter gekommen aussahen wie die Pfandleihe. Auf diese steuerte Emma nun zu. Das Schild, auf dem „Geschlossen“ stand, ignorierend, marschierte sie in den Laden hinein. Hinter einer ziemlich schmierigen Theke stand ein dürrer, hochgewachsener, glatzköpfiger Mann, der sie kurz musterte, nachdem sie eingetreten war. Er neigte den Kopf nach rechts und blickte zu einer halb offenen Tür. Emma verstand den Wink, nickte ihm kurz zu und ging dann an ihm vorbei und durch die Tür hindurch. Durch einen dunklen Flur gelang Emma schließlich in ein Büro. Hinter einem Picknicktisch, der als Schreibtisch fungierte, saß auf einem ebenso wackeligen Stuhl Alice. Die Schattengängerin schien erfreut ihn zu sehen, jedenfalls lächelte sie breit als sie Emma durch die Tür kommen sah. „Ah, da bist du ja endlich. Komm herein und schließ die Tür hinter dir!“ sie weiß Emma einen kleinen, staubigen Hocker zu, auf dem diese sogleich Platz nahm. Ohne zu zögern fragte sie frei heraus „Warum bin ich hier?“ Alice lächelte weiter. „Du verlierst keine Zeit, was? Das ist nicht unbedingt schlecht, denke ich.“ Emma legte den Kopf schief, was Alice als Aufforderung verstand, zum Thema zu kommen. „Nun, wie du weißt, untersteht mir eine Gruppe Sucher im Auftrag von Duncan und den anderen Anführern. Wie ich Duncan schon vor einer Weile mitgeteilt habe, konnten die Sucher hier in der Nähe ein Kind ausmachen, welches wohl die Fähigkeiten eines Schattengängers besitzt.“ Emma zog die Stirn kraus. „Und wozu brauchst du bitte mich?“ Alice Lächeln verlor etwas an Intensität, verflog aber nicht „Nun ich hatte bereits Hilfe von Connor und Mike. Jedoch scheinen die beiden nicht gerade Erfolg gehabt haben. Sie sind offenbar auf Widerstand gestoßen.“ Emma wirkte ungläubig „Was heißt hier Widerstand?“ Nun war das Lächeln ganz aus dem Gesicht von Alice verschwunden. „Nun, die Eltern des Kindes haben wohl irgendwie spitz gekriegt, dass jemand nach ihrem Kind sucht und sind verschwunden. Jetzt suchen wir nach ihnen.“ Emma verschränkte die Arme vor der Brust. „Na schön, warum erzählst du mir das Ganze?“ Alice nahm einen Umschlag von einer Ablage auf dem Tisch und reichte ihn ihr. Emma nahm ihn zwar an, aber öffnete ihn nicht. Sie wartete auf eine Erklärung. Und schließlich gab Alice ihr nach. „Nun es ist wichtig sie zu finden und zwar noch bevor sie von den Unterweltlern gefunden werden. Und ich denke, dass du etwas sensibler mit den Eltern umgehen kannst, als es Connor, Mike oder einer der Sucher können.“ Emma stand auf. „Das ist aber doch nicht alles, oder?“ Alice lächelte wieder, doch ihr Lächeln wirkte diesmal extrem aufgesetzt. „Nein, du hast Recht, das ist nicht alles.“ Sie machte eine Pause, so als ob sie nach den richtigen Worten suchen würde, doch Emma hatte irgendwie das Gefühl, dass es das definitiv nicht war. Als Alice antwortete, war ihre Stimme klar und bestimmt: „Falls es dir nicht geling, Überzeugungsarbeit zu leisten, dann schaffst du sie aus der Welt.“ Emma hatte zwar gehofft, dass Alice das nicht sagen würde, doch sie hatte es geahnt. „Wieso… wieso gibst du mir diese Aufgabe? Warum muss das überhaupt sein, ich meine…“ Alice stand blitzschnell auf und fauchte „Wage es nicht, deine Anweisung in Frage zu stellen!“ Emma verstummte. Angesichts dieser Reaktion schien die zornige Alice wieder etwas besänftigt. „Ich habe dich für diesen Auftrag angefordert, weil es Zeit wird, dass du mit diesem Teil unserer Arbeit vertraut gemacht wirst.“ Emma schwieg. In ihr jagte ein Gedanke den anderen. Sie hatte, so wie alle anderen, immer wieder Gerüchte gehört, wie die Sucher mit Kandidaten verfuhren, die sich nicht überzeugen ließen, oder nicht anderweitig zu rekrutieren waren. Doch das waren immer nur Gerüchte gewesen. Aber jetzt war es bitterer Ernst. Was Alice da von ihr verlangte, war geradezu abstoßend. Allerdings war Emma auch klar, dass Alice einen solchen Befehl nicht geben würde, wenn Duncan nicht dahinter stehen würde. Alice schien ihre Gedanken gelesen zu haben. Sie kam auf Emma zu und legte mütterlich den Arm um ihre Schultern. „Sieh mal, ich habe vollstes Vertrauen, dass du es schaffen wirst, ohne dass es notwendig wird, zu solch extremen Maßnahmen zu greifen. Du mußt nur überzeugend genug sein, Emma. Das ist alles!“ Doch Emma waren diese Worte nicht der geringste Trost. „Warum muss es so enden, wenn sie es ablehnen, zu uns zu kommen?“ Alice sah ihr tief in die Augen. „Wenn wir es nicht tun, tun es die Unterweltler auf jeden Fall. Und was die diesen armen Leuten antun werden… wir machen es auf eine wesentlich humanere Weise.“ Sie hatte erneut ein aufgesetztes Lächeln im Gesicht. Emma empfand es als blanken Hohn. Sie wollte einfach nur weg von hier. Weg von Alice und weg von dem, was sie von ihr verlangte. Alice klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter, was wohl soviel bedeuten sollte wie „Du schaffst das schon.“, aber Emma konnte nicht das Geringste damit anfangen. Wie ein Zombie ging sie aus der Tür hinaus und durch den Flur zurück in den Raum der Pfandleihe. Sie beachtete den dürren Kerl gar nicht, als sie hinaus auf die Straße trat. Nach ein paar Schritten musste sie sich an der Hauswand anlehnen, um nicht umzukippen. Ihr war anfangs nicht klar, dass nur wenige Schritte von ihr weg eine wohlbekannte Gestalt gewartet hatte. Als sie ihr schließlich an die Schulter griff, fuhr Emma herum, angriffsbereit, mit einem Feuerball in der Hand starrte sie schließlich in Connors Gesicht. Der hatte sein übliches, dämliches, nichtssagendes Grinsen im Gesicht. Doch diesmal wirkte es so seltsam unwirklich. Als sie ihn nach einigen Augenblicken immer noch ungläubig anstarrte, verflog das Grinsen und sein Blick wurde sorgenvoll. „Ist alles okay?“ meinte er schließlich. Emma sah zu Boden, sie war kreidebleich geworden. Sie lies ihre Schultern hängen und nicht im Stande, ihm zu antworten. Connor nahm sie freundlich in die Arme und flüsterte: „Welche Laus ist dir über den Weg gelaufen?“ Als sie endlich wieder die Kraft gefunden hatte, zu sprechen, glitzerten Tränen in ihren Augen. „Ich glaube, dass ich jetzt endlich begreife.“ Connor lies sie los und starrte sie ungläubig an „Was soll das bitte heißen?“ Emma suchte seinen Blick. Neben den Tränen war da auch eine riesige Portion Wut in ihren Augen und ihre Worte verdeutlichten die Hilflosigkeit, die sie fühlte. „Ich habe begriffen, was es wirklich heißt, ein Schattengänger zu sein.“ Connor schien immer noch nicht zu begreifen. Aber Emma schien sich nicht länger mit ihm befassen zu wollen. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und stapfte ohne ein weiteres Wort wieder die Straße entlang, in die Richtung, aus der sie kurz zuvor gekommen war. Connor starrte ihr nur verwirrt nach und er machte nicht die geringsten Anstalten, ihr zu folgen. Und als sie schließlich um die Ecke bog, verlor er sie ganz aus den Augen. Kapitel 32: Die Kapelle ----------------------- Es war ein seltener Anblick, den Duncan bot, als er wie von der Tarantel gestochen durch das Kloster eilte. Er konnte es einfach nicht glauben. Sein Gesicht war eine Mischung aus Wut und Sorgen. Köpfe wandten sich um, als er an ihnen vorbeizog. Und obwohl einige ihm nachriefen, drehte er sich nicht um. Er hatte keine Zeit für Erklärungen. Er wollte selbst eine haben. Als er vor wenigen Minuten die Nachricht erhielt, war er aus allen Wolken gefallen. Er hatte damit nicht gerechnet. Und da es selten Gelegenheiten gab, die ihn überraschten, wollte er diese nun augenblicklich ergründen. Und deshalb eilte er in Richtung Kapelle, welche hinter dem großen Klostergebäude inmitten eines kleinen Wäldchens auf dem Grundstück lag. Schon von weitem erkannte er, dass vor der Tür ein paar Leute standen und sich aufgeregt unterhielten. Es war schon ziemlich dunkel, aber der Weg zur Kapelle war mit Lampen erleuchtet, so dass auch die Leute vor der Kapelle erkannten, dass Duncan sich ihnen schnellen Schrittes näherte. Es war Shane, der ihm entgegen lief. Duncan ließ ihm nicht die Zeit zu sprechen. Als er ihn Hörweite war, rief er ihm gleich zu „Wie lange ist sie schon da drin?“ Shane japste einen Moment nach Luft. In sekundenschnelle war Duncan auf gleicher Höhe und Shane folgte ihm weiter auf seinem Weg zur Kapelle. Schließlich antwortete er: „Sie ist vor etwa einer halben Stunden entdeckt worden. Aber wie lange sie tatsächlich da drinnen war, weiß ich leider nicht.“ Duncan blieb ein paar Meter vor dem Eingang zur Kapelle stehen. Noch drei weitere Schattengänger standen dort, waren nun aber verstummt. Es schien als warteten sie auf eine Anweisung von Duncan. Doch er wandte sich an Shane „Was hat sie gesagt?“ Shane schüttelte den Kopf „Nichts. Sie hat nur nach dir gefragt. Ansonsten hat sie kein Wort von sich gegeben. Sie sitzt einfach nur da.“ Duncan nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er schaute die Gesichter der anderen drei an. Dann wandte er sich wieder an Shane. „Ich will, dass du niemanden da rein läßt. Unter keinen Umständen. Und ich will auch nicht, dass du selber reingehst, solange ich dich nicht rufe!“ Shane nickte. Duncan ging zur Tür. Bevor er sie öffnete wandte er sich an die anderen Drei und fauchte: „Das selbe gilt auch für euch, ist das klar?“ Als die drei nickten, trat Duncan ein. In der Kapelle war es noch dunkler als draußen. Nur ein paar Öllampen an der Wand und einige Kerzen spendeten dem kalten Raum etwas Licht. Also musste sich Duncan sehr anstrengen, um in der Dunkelheit die zusammengekauerte Gestalt aus zumachen, die in der ersten Reihe der Holzbänke saß und nicht einmal reagierte, als Duncan über den Marmorboden auf sie zuging. Nicht einmal, als Duncan sich neben sie setzte, blickte sie auf. Sie hatte die Knie ans Kinn gezogen und den Kopf hinter ihren verschränkten Armen vergraben. Duncan saß da und starrte sie eine Weile lang stumm an. Ihr Schweigen machte ihn fast wahnsinnig, denn er wußte sehr genau, dass sie ihn längst bemerkt hatte. Schließlich war es ihm wohl zu dumm noch länger zu warten, denn er flüsterte in die Stille hinein: „Du bist mir eine Erklärung schuldig, Ashley.“ Erst jetzt sah sie auf und blickte ihn an. Duncan erkannte, dass sie wohl in den letzten Stunden geweint hatte. Und ihre heisere Stimme untermalte diese Erkenntnis. „Was ist mit Delia passiert?“ Duncan starrte sie einen Moment lang an. Er hatte nicht mit dieser Frage gerechnet. „Wo warst du die letzten zwei Monate?“ Ashley starrte ihn an, als hätte sie erwartet, dass er ihrer Frage ausweichen würde. Deswegen antwortete sie ihm nicht. Und das war wohl Antwort genug, denn Duncan schien die Wahrheit bereits zu erahnen. „Du warst bei ihr, oder?“ Ashley antwortete auch wieder nicht und Duncan war verärgert darüber, dass er sich die ganze Sache zusammenreimen musste. Doch er wollte sie nicht durch einen Ausbruch dazu bringen, wieder zu verschwinden. Immerhin hatte sie wohl ihre Fähigkeiten genutzt, um unbemerkt auf das Grundstück zu gelangen. Schließlich, wie aus heiterem Himmel flüsterte sie: „Was spielt es für eine Rolle, dass ich bei ihr war?“ Duncan hob eine Augenbraue und beschloß auf diese Frage nicht einzugehen. Stattdessen stellte er ihr die Frage, welche ihn schon seit zwei Monaten beschäftigte. „Was ist bei der Ruine passiert?“ Ashley wandte den Blick von ihm ab und die Zeit, die sie brauchte, um zu antworten, lies Duncan schon daran zweifeln, dass sie ihm überhaupt antworten würde. Doch dann meinte sie: „Wir wurden angegriffen. Ich weiß nicht mehr genau wie viele es waren.“ Angesichts der Tatsache, dass er nun endlich erfahren würde, was er bis jetzt nicht rausfinden konnte, übermannte Duncan die Ungeduld und ihm entfuhr ein etwas schroffes „Weiter!“ Doch Ashley schien den Unterton nicht registriert zu haben. Ihre Stimme war so leise, dass er sich anstrengen musste, um sie zu verstehen, obwohl er genau neben ihr saß. „Ich wurde verletzt.“ Um ihren Worten den nötigen Ausdruck zu verleihen, setzte sie ihre Beine von der Bank auf den Boden und hob ihr Shirt leicht. Duncan konnte die Narben betrachten, welche inzwischen an die Stellen getreten waren, wo der Dämon sie so schwer verletzt hat. Ashley fuhr fort. „Ich bekam nichts mehr um mich herum mit. Ich wußte, ich würde sterben. Es tat so weh, ich bekam keine Luft mehr.“ Die Tränen, welche ihr über die Wangen liefen stoppten ihren Erzählfluß für einen Augenblick. Doch sie fuhr trotz tränenerstickter Stimme fort. „Dann war sie da. Sie hat mich mitgenommen. Und das nächste was ich weiß, ist, dass ich vor zwei Wochen wieder zu mir gekommen bin. Sie hat mir das Leben gerettet.“ Duncans einzige Antwort war ein kaum merkliches Nicken. Er sagte erstmal nichts. Ashley versank wieder in ihre Arme und weinte stumm vor sich hin. Er hatte kein Wort des Trostes für sie übrig, denn ihn interessierte etwas gänzlich anderes. „Was ist mit dem Manuskript? Konntet ihr es finden?“ Ashley wand sich schließlich schniefend wieder hervor und sah Duncan ungläubig an, so als könnte sie nicht begreifen, warum ihm das jetzt so wichtig war. Schließlich sah sie zur Seite und meinte: „Nein, wir haben alles abgesucht, aber es nirgends gefunden. Und dann sind diese… Bestien aufgetaucht.“ Duncan konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen. Er hatte so sehr darauf gehofft, dass Ashley das Manuskript gefunden hatte. Doch so war er sich wenigstens sicher, dass es nicht Lily in die Hände gefallen war. Ashley musterte ihn mit einem unergründlichen Blick. Es war der Selbe, den sie vor Jahren aufgesetzt hatte, als er sie zum ersten Mal getroffen hatte und ihr die alles entscheidende Frage gestellt hatte. „Delia?“ fragte sie schließlich und Duncan sah ein, dass er ihr die Wahrheit sowieso nicht verheimlichen konnte. „Sie ist tot. Wir haben ihre Leiche im Wald gefunden. Sie war… ziemlich übel zugerichtet.“ Ashley presste die Augen zusammen aus denen neuerliche Tränen quollen. „Das ist meine Schuld. Ich hätte an ihrer Stelle sterben sollen.“ Duncan starrte sie an. „Wie meinst du das?“ Ashley vergrub den Kopf in ihren Händen und gab zur Antwort „Ich wäre auch tot, wenn Lily nicht gewesen wäre. Delia hat das nicht verdient.“ Duncan verzog den Mundwinkel. „Natürlich nicht. Und dass du gerettet wurdest ist eine glückliche Fügung.“ Ashley wandte sich blitzschnell zu ihm „Glück? Wir wissen beide, dass es nichts mit Glück zu tun hat!“ Duncan nickte, wechselte aber blitzschnell das Thema „Warum hat sie dich gehen lassen, nachdem sie sich all diese Mühe gemacht hat, dein Leben zu erhalten?“ Ashleys Miene wurde düster „Das hat sie nicht. Ich… ich bin abgehauen.“ Duncans Gesichtsausdruck verriet, dass er das nicht gerade hören wollte. Ashley sah ihn an, als versuche sie in ihm zu lesen, was er dachte. Aber er wußte sehr genau, dass sie das nicht konnte. „Damit hast du bewiesen, auf wessen Seite du stehst. Ich bin sehr stolz auf dich.“ Ashley lehnte sich zurück und schwieg. Minutenlang gab es nicht ein einziges Geräusch in der Kapelle außer den Atemzügen der beiden Schattengänger. Bis Ashley ihr Schweigen brach. „Duncan, ich will, dass du mir die Beichte abnimmst.“ Diese Bitte versetzte Duncan ins Erstaunen. „Du weißt, dass ich kein Priester bin. Also kann ich das nicht direkt tun.“ Ashley sah ihn mit kummervollem Blick an. „Aber du kannst indirekt darüber schweigen, was ich dir dann sagen werde.“ Er lächelte ein mildes Lächeln. „Wenn das dein Wunsch ist, natürlich gerne.“ Ashley setzte sich auf. Zum ersten Mal erschien sie nicht wie eine zusammengesunkene Elendsgestalt. „Ich… ich…“ mehr brachte sie nicht hervor. Ihre Stimme war gebrochen. Duncan versuchte sie zu ermutigen und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Was willst du mir anvertrauen, Ashley?“ Sie sah ihn erneut auf diese Art und Weise an, die er nicht einordnen konnte. Innerlich verfluchte er sie für diesen Blick, dessen Bedeutung er bis heute nicht gelernt hatte, zu lesen. Sie versuchte Tränen zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. Als sie ihm endlich antworten konnte, war ihre Stimme so undeutlich, wie noch nie zuvor. Aber Duncan verstand sie so hell und klar, als hätte ein ganzer Chor es für ihn vorgesungen. „Ich… ich glaube, ich liebe sie.“ Kapitel 33: Bessere Zeiten -------------------------- Es hatte seit über zwei Monaten nicht mehr geregnet und die Sonne brannte an diesem Sommertag erbarmungslos vom Himmel. Jeder Schritt, egal wie unwichtig oder klein er war, den man im Freien tat, trieb einem Schweißperlen auf die Stirn. Aus diesem Grund war Ashley froh, dass letzte Woche die Ferien angefangen hatten. Die nächsten Wochen konnte sie sich endlich von dem ganzen Stress und dem Ärger, den die Schule und in dem Zusammenhang auch ihre Mutter ihr gemacht hatten, erholen. Gerade war sie auf dem Weg zu einem kleinen Spielplatz im Vorort, hinter dem ein nicht mehr genutzter Steinbruch lag und der als Treffpunkt für Jugendliche des Ortes fungierte. Sie hatte ihrer Mutter nicht gesagt, wo sie hinging, denn sie wusste genau, dass die nicht gerade begeistert wäre, wenn sich ihre zwölfjährige Tochter hier herumtrieb. Trotz des Wetters – oder vielleicht gerade deswegen – war der Spielplatz wie ausgestorben. Wahrscheinlich ging man bei diesem Wetter wirklich lieber ins Freibad anstatt die Kinder so lange toben zu lassen, bis sie einen Sonnenstich bekamen. Ashley kämpfte sich durch einige verdorrte Büsche hinter dem Spielplatz und folgte einem Trampelpfad zum Steinbruch. Schon von weitem konnte sie im Schatten eines Felsvorsprunges die Person sitzen sehen, mit der sie hier verabredet war. Lily hatte eine große Sonnenbrille aufgesetzt, die ihrem Gesicht das Aussehen einer braungebrannten Schmeißfliege gab. Dann fiel Ashley auf, dass sie – wie so oft – eine lange Jeans und einen dicken Pullover trug. Wie auch immer sie das bei dieser Affenhitze aushielt, war Ashley schlichtweg ein Rätsel. Und jedes Mal wenn sie darauf angesprochen wurde, zuckte Lily schlichtweg mit den Achseln. Vor ein paar Jahren hatte Lily Ashley das erste Mal hier her mitgenommen. Es war ihr anscheinend zu langweilig geworden in der Nachbarschaft abzuhängen, also hatte sie einen Platz gesucht, wo nur wenige Leute, vor allem keine Erwachsenen herkamen. Seit Ashley letztes Jahr auf eine andere Schule gewechselt hatte, als die, welche Lily besuchte, sahen sich die beiden nur noch selten. Im Gegensatz zu Ashley nahm Lily die Schule auch nicht wirklich ernst, zeigte aber immer vollstes Verständnis dafür, wenn Ashley wegen ihren Hausaufgaben stundenlang zu Hause saß und lernte. Doch jetzt, da die Ferien angefangen hatten, hatte auch Ashley wieder viel Zeit für ihre Nachbarin, mit der sie schon seit Jahren befreundet war. Die vergangenen Tage waren die beiden stundenlang hier im Schatten gesessen und hatten über Gott und die Welt geredet, so als ob sie sich monatelang nicht gesehen hatten. Aber heute sollte das nicht so sein. Lily hatte bereits vor einer Stunde am Telefon angekündigt, dass sie Ashley etwas zu erzählen hatte. An sich war das nichts ungewöhnliches, allerdings war die Art und Weise, auf die Lily ihr das gesagt hatte seltsam gewesen und Ashley konnte sich nicht im Entferntesten ausmalen, was genau so wichtig war, dass Lily es ihr schon eine Stunde vorher ankündigen musste. Ashley lies sich neben Lily im Schatten nieder, anstatt einer Begrüßung murmelte die nur „Du kommst aber reichlich spät.“ Ashley beschloss, zu ignorieren, dass Lily ihr nicht einmal ein Hallo geschenkt hatte und meinte kurz angebunden: „Ich hatte noch was zu erledigen.“ Lily nahm die Sonnenbrille ab und starrte sie an. „Ach wirklich?“ Ashley lächelte nur, sonst sagte sie nichts. Lily verstand, dass sie sie nur ärgern wollte und legte den Arm um Ashleys Schultern. „Ich muss mit dir etwas Wichtiges besprechen.“ Flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr. Ashley schmiegte sich an Lily und antwortete: „Ist es wichtiger als das, was du mir sonst so erzählst?“ Lily nickte, obwohl sie wusste, dass Ashley es nicht sehen konnte. Deswegen fügte sie hinzu: „Wesentlich wichtiger!“ doch dann schwieg sie eine Weile. Erst als Ashley etwas ungeduldig wurde und sich aus ihrer Umarmung löste, fuhr sie fort: „Es geht um das Thema, über das wir beschlossen haben, nicht mehr zu reden.“ Ashley runzelte die Stirn, der Ausdruck in ihrem Gesicht verriet, dass sie darüber auch nicht reden wollte. Aber Lily ließ das kalt. „Es muss sein, Ashley.“ Nach ein paar Augenblicken seufzte Ashley und murmelte ein kaum verständliches „Na schön.“ Lily schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Ich mache mir sorgen, darüber, dass sie dich entdecken könnten. In letzter Zeit ist es etwas schwierig, dich zu verstecken. Vor allem, weil ich dich so selten sehe. Und je älter du wirst, desto schwieriger wird es, dass du deine Kräfte kontrollierst und natürlich auch, dass ich sie kontrolliere.“ Ashley schnaubte verächtlich. „Was kann ich denn dafür? Ich habe mir das doch nicht ausgesucht.“ Lily tätschelte ihr liebevoll die Schulter „Das weiß ich doch. Und ich will doch nicht, dass du von den Schattengängern von deiner Familie weggeholt wirst.“ Mit grimmiger Miene erwiderte Ashley „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich weiß doch nicht, wie ich mir die vom Hals halten kann.“ Ihre Stimme klang verzweifelt und Lily wusste genau, dass sie das im Grunde genommen auch nicht konnte. Es lag an ihr, dafür zu sorgen, dass Ashleys Kräfte nicht so stark wurden, dass sie diese nicht mehr verbergen konnte. „Das wichtigste ist, dass du nirgendwohin alleine gehst. Sorg dafür, dass immer jemand bei dir ist. Vorzugsweise natürlich ist.“ Ashley konnte nicht anders, als bei diesen Worten zu lächeln. „Du weißt, dass meine Möglichkeiten, die in die Irre zu führen begrenzt sind. Ich kenne nicht alle Methoden, die sie benutzen, um ihren Nachwuchs zu finden.“ Die einzige Antwort, die Lily bekam war ein stummes Nicken von Ashley. Weswegen Lily fortfuhr: „Wir können uns leider nicht darauf verlassen, dass sie sagen, du bist ihnen zu alt. Ich weiß leider aus Erfahrung, dass die jene, die sie nicht in die Finger bekommen, auch nicht frei rum laufen lassen. Ganz im Gegenteil.“ Ashley sah sie finster an „Was denkst du, würden die mit mir machen, wenn sie mich finden? Vor allem wenn sie raus finden, dass ich es gewusst habe.“ Lilys Stimme wurde ernst „Ganz egal was passiert, du darfst es ihnen nie und nimmer sagen. Nichts von allem, was ich dir erzählt habe und auch nicht das, was ich dir bis jetzt beigebracht habe.“ Ashley nickte erneut „Wie lange kannst du meine Kräfte noch unterdrücken?“ Lily schüttelte energisch den Kopf „Nicht mehr lange. Wie ich schon sagte, je älter du wirst, desto schwieriger wird es werden. Und deswegen müssen wir anfangen, dafür zu sorgen, dass du langsam lernst, das selber zu tun.“ Ashley legte die Stirn in Falten „Sagtest du nicht, dass das gar nicht geht?“ Lily legte den Kopf schief und meinte: „Solange du nicht ein gewisses Level erreicht hast, nicht, nein. Aber ich glaube, dass du nicht mehr weit davon entfernt bist. Das Problem allerdings ist, dass es dich auch nicht für immer schützen wird. Je nachdem wie schnell deine Kräfte wachsen, besteht auch weiterhin ein Risiko, dass sie dich finden.“ Ashley stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. „Na schön, das war es mit den Schattengängern, wie sieht es mit den Dämonen und Unterweltlern aus. Wie halte ich mir die vom Leib?“ Lily grinste schelmisch: „Keine Sorge, darum werde ich mich schon kümmern.“ Nun lächelte auch Ashley „Ach und was mache ich, wenn doch mal einer vor meiner Haustüre steht und vorhat, mich in tausend Stücke zu reißen?“ Obwohl sie noch immer grinste, war die Ernsthaftigkeit in Lilys Stimme deutlich zu hören. „Das wird nicht passieren.“ Aber Ashley lies nicht locker „Und warum nicht?“ Dafür erntete sie einen ziemlich bösen Blick seitens Lily. „Weil ich das nicht zulassen werde!“ Ashley kniete sich wieder in den Staub, noch gab sie nicht auf. „Und wie kommt das?“ Ein mildes Lächeln umspielte Lilys Mund. Sie wusste, dass Ashley sie nur ärgern wollte. Sie griff nach ihrer rechten Hand und drückte sie. Dann sah sie ihr in die Augen und meinte: „Der einzige Dämon, der dir nahe kommen darf, das bin ich.“ Und Ashley lächelte. Kapitel 34: Zur Rede gestellt ----------------------------- Lily tobte vor Wut. Sie konnte es einfach nicht fassen. Nachdem sie Ashley gestern Nacht allein gelassen hatte, hatte sie es für besser empfunden, wenn sie während der Nacht nicht in der Villa blieb. Glücklicherweise mangelte es ihr als Erzdämonin weder an feucht fröhlichen Ablenkungen noch an auswärtigen Unterkünften. Doch dann war sie aus allen Wolken gefallen, als Trinity sie am späten Vormittag angerufen hatte und ihr aufgelöst mitgeteilt hatte, Ashley sei nicht mehr da. In Windeseile war sie nach Hause geeilt und hatte sich jeden einzelnen der Hausangestellten zur Brust genommen. Sogar Trinity bekam eine gehörige Standpauke ab. Doch es half alles nichts. Keiner wusste etwas oder hatte in irgendeiner Form mitbekommen, wie Ashley aus dem zweiten Stock durch das ganze Haus gewandert war und schließlich das Grundstück verlassen hatte. Damit gab sich Lily aber nicht zufrieden. Sie verdächtigte zumindest einen Bewohner des Hauses direkt oder indirekt mit Ashleys Verschwinden zu tun zu haben. Aber Charon hatte am Morgen die Villa aufgrund eines „wichtigen Auftrages mit Priorität“ verlassen. Lily war das ziemlich egal. Sie setzte den halben Tag Himmel und Hölle in Bewegung, um Charon irgendwie ausfindig zumachen und ihn hier her zu zitieren. Jetzt war es bereits nach Mitternacht und er war immer noch nicht aufgetaucht. Lily marschierte das bequeme Wohnzimmer der Villa auf und ab und zermarterte sich das Gehirn darüber, ob Charon wirklich in irgendeiner Form zu tun hatte, oder ob er sich nur verspätete, um sie zur Weißglut zu treiben. Sie verabscheute ihn und sein Speichel leckendes Gehabe zutiefst. Sie waren vor etwa 600 Jahren miteinander verheiratet worden. Es war eine jener Ehen, zu denen Erzdämonen angehalten wurden, um ihre Stellung zu waren. Sie war zweckdienlich und bestenfalls als notwendiges Übel zu bezeichnen. Sie war nicht die einzige, welche dieser arrangierten Beziehung herzlich wenig Bedeutung beimaß. Auch Charon suchte sich seit langem schon seine Vergnügungen bei anderen. Ihm war es ziemlich egal, ob Dämon oder Mensch, Hauptsache, seine Wünsche wurden erfüllt. Und Lily gab zu, dass sie es genauso gemacht hatte. Ashley war nicht die Einzige. Aber in diesem Leben und seit langem war sie die Einzige gewesen. Aber sie hatte niemals auch nur im Traum daran gedacht, ihr das irgendwann mal genau zu erklären. Auch, dass Trinity eine Halbdämonin war und ihre Tochter, wollte sie ihr vorenthalten. Die „Beziehung“ zu Trinitys Vater war in ihrer letzten menschlichen Reinkarnation gewesen. Nicht einmal Trinity kannte ihn wirklich. Sie war bei Pflegeeltern – Menschen, die eingeweiht waren – aufgewachsen und hatte zu ihrer Mutter persönlich kaum Kontakt gehabt. Lily verfluchte sich selbst dafür, dass sie Ashley nicht einfach schon vor langem davon erzählt hätte. Es wäre nicht mal halb so schlimm gewesen. Sie hätte es nach einer Weile schon akzeptiert. Vor allem mit Trinity schien sie gut aus zu kommen. Aber die Chance, das wieder gut zu machen, schien durch ihr Verschwinden dahin. Und Lily brannte darauf, irgendjemanden deswegen gehörig zu bestrafen. Und ihre Bitte wurde offensichtlich erhört, denn in eben diesem Moment ging die Flügeltür zum Wohnzimmer auf und Charon trat mit einem breiten, nervtötenden Grinsen herein. Trinity folgte ihm. Doch Lily wies sie mit einer Handbewegung an, sich vom Kern des Gespräches fern zu halten. Deswegen nahm sie in einem Sessel neben der Tür Platz, während Charon sich auf einer bequemen Couch am Kamin niederließ. Sein Gesichtsausdruck machte Lily so rasend, dass sie am Liebsten einfach so auf ihn eingeschlagen hätte. Aber sie wusste sehr genau, dass ihr das nichts bringen würde. Es gelang ihr sogar einen ziemlich ruhigen Ton auf zu setzten. „Anhand deines hässlichen Grinsens kannst du dir wahrscheinlich denken, warum ich dich hier her zitiert habe.“ Charon sagte nichts, er nickte nicht mal, was Lily noch mehr anstachelte. „Wo ist sie, Charon?“ Mit einem provozierenden Lächeln auf den Lippen meinte er „Wer, dein Spielzeug? Woher soll ich das wissen? Ich kann nichts dafür, dass sie sich aus dem Staub gemacht hat.“ Er wollte wieder aufstehen und gehen, aber Lily war noch lange nicht mit ihm fertig. „Wag es ja nicht, jetzt schon zu verschwinden. Du wirst mir jetzt sehr genau sagen, was du angestellt hast!“ Charon rollte mit den Augen „Ich habe ihr doch gar nichts getan. Ich bin nicht schuld, dass sie gegangen ist. Im Gegenteil, ich habe versucht, sie davon ab zuhalten.“ Nun wurde Lily durchaus hellhörig „Das heißt, du wusstest, dass sie gegangen ist?“ „Vielleicht.“ Meinte er unschuldig, aber durch Lilys funkelnden Blick animiert, fügte er hinzu: „Ich hab sie heute morgen im ersten Stock aufgegabelt und mich ein bisschen mit ihr unterhalten.“ Lily stürzte ein paar Schritte auf ihn zu und packte ihn am Kragen: „Was hast du gemacht, verdammt noch mal!“ Beschwichtigend hob Charon die Hände „Ich hab ihr nichts getan, das schwöre ich!“ Es dauerte eine Weile, bis Lily wieder von ihm abließ und er fortfuhr: „Ich hab versucht, sie zum Bleiben zu bringen, aber da du mir ja verboten hast, etwas grob zu ihr zu werden, haben meine Argumente nicht ausgereicht und sie hat sich verzogen.“ Lily hob die Augenbrauen und musterte ihn einen Moment, dann warf sie Trinity bei der Tür einen Blick zu. Die zuckte kaum merklich mit den Schultern. Lily wandte sich wieder Charon zu. „Hat sie etwas gesagt, wohin sie wollte?“ Nun zuckte er mit den Schultern, jedoch wesentlich auffälliger, als Trinity es vorher getan hatte. „Nicht, dass ich wüsste. Wahrscheinlich ist sie zu ihrem scheinheiligen Pack zurück gekrochen.“ Wieder funkelte Lily ihn böse an „Warum hast du mir oder Trinity nicht sofort Bescheid gesagt?“ Das Leuchten in Charons Augen verriet, dass er genau auf diese Frage gewartet hatte. „Nun, ich hatte erstens nicht die geringste Ahnung, wo du dich rumgetrieben hast und zweitens war ich schon weg, bevor… die da…“ er blickte abschätzig zu Trinity und fuhr dann fort „… verfügbar war.“ Nun mischte sich Trinity ein „Du hättest eine Nachricht hinterlassen können, oder etwa nicht?“ Abfällig murmelte Charon „Mit dir redet hier doch keiner du elendes Halbblut.“ Aber Lily lies ihm das nicht durchgehen „Antworte auf die Frage.“ Er sah sie entgeistert an: „Was hätte ich den Schreiben sollen? Sie hätte mich sofort verdächtigt, das arme, wehrlose Ding entführt zu haben!“ Die Lippen schürzend entgegnete Lily „Was in aller Welt war so wichtig, dass du dich zu so früher Stunde schon aus dem Bett bewegst und von hier verschwindest?“ Wieder umspielten seine Augen ein seltsames Leuchten „Ist ein diskreter Spezialauftrag von Lucas. Also geht es dich nicht das Geringste an, meine Liebe!“ Einen Moment überlegte Lily, ob sie wirklich weiter nachfragen wollte, oder ob sie es einfach sein ließ. Denn eigentlich interessierte es sie herzlich wenig, warum er wann wohin gegangen war. Und es war ihr auch ziemlich egal, ob er aufgrund eines ach so wichtigen Auftrages unterwegs war oder wegen seinem Privatvergnügen. Sie entschied sich, es dabei zu belassen. „Na schön, du kannst gehen.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Ich warne dich,“ rief ihm Lily nach, „wenn du dir in irgend einer Form etwas zu Schulden kommen gelassen hast oder noch wirst, was mit Ashley zu tun hat, dann werde ich dich auseinander nehmen!“ Charon rollte mit den Augen, nickte aber zum Zeichen, dass er es verstanden hatte. Dann verließ er das Wohnzimmer. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, stand Trinity auf und ging auf ihre Mutter zu. „Was willst du jetzt machen?“ Lily lies sich in einen Sessel fallen und grübelte vor sich hin. Erst als auch Trinity erneut Platz nahm, antwortete sie: „Ich werde mit ihr reden, versuchen, die Sache zu klären. Und du wirst Charon im Auge behalten. Nur für den Fall, dass er doch etwas verborgen hat.“ Trinity hob die Brauen „Wie willst du das anstellen? Wir haben doch keine Ahnung wo sie ist.“ Lily sah sie aus den Augenwinkeln an „Ich befürchte, ich weiß ganz genau, wo sie ist. Und deshalb werde ich ihr jetzt einen Besuch abstatten.“ Lily erhob sich und ging zur Tür, auch Trinity stand auf und versuchte noch etwas zu sagen, aber Lily war schon verschwunden. Ich hoffe, dass das gut geht! dachte Trinity. Kapitel 35: Lily vor dem Kloster -------------------------------- Es dämmerte bereits, als Lily vor den Klostermauern aufgetaucht war. Zwar hatte sie das Hauptquartier des Ordens nie betreten, doch wusste sie selbstverständlich, wo es war. Es war einer der Vorteile, welchen die Dämonen gegenüber den Schattengängern hatten: sie wussten, wo ihr Hauptquartier war. Allerdings war es ihr nicht möglich, dort einfach so hinein zu spazieren. Natürlich hatte der Orden das Kloster nicht ohne Schutz gelassen, wenn es schon allgemein bekannt war, wo es lag. Mehrere magische Barrieren hinderten Lily und ihresgleichen daran, ohne Erlaubnis dort einzutreten. Dennoch hatte sie es gewagt, hier aufzutauchen. Wenige Minuten nachdem sie sich hier aufgebaut hatte, war eine Wache aufgetaucht und hatte sie gefragt, was sie wollte. Und Lily hat ihm so freundlich wie möglich klar gemacht, warum sie hier war. Er hatte sie zuerst ziemlich verdutzt angeschaut, doch dann hatte er mit den Achseln gezuckt und gemeint: „Ich werde es weitergeben.“ Nun wartete Lily schon fast eine halbe Stunde. Doch es machte ihr nichts aus. Wenn es sein musste, würde sie den ganzen Tag hier stehen. Sie konnte sich nur vorstellen, was hinter den Mauern und innerhalb des Klosters nun vor sich ging. Wer wem alles über ihre Anwesenheit in Kenntnis setzte. Aber auch das war Lily herzlich egal. Sie wollte nur, dass eine einzige, bestimmte Person davon erfuhr. Und das war Ashley. Die ersten Sonnenstrahlen lugten bereits hinter den Bäumen rund um das Kloster hervor. Es war bereits sehr schwül und es kündigten sich bereits erste Gewitter an. Der Sommer hatte endlich Einzug gehalten. Lily hatte den Sommer immer am Liebsten gemocht. Es gab viel mehr Grund unterwegs zu sein als während des restlichen Jahres. Viel mehr Möglichkeiten, sich vor seinen Pflichten zu drücken. Doch im Moment sah es nicht so aus, als ob sie den Sommer dieses Jahr dafür nutzten konnte. Eigentlich wusste sie gar nicht, warum genau sie jetzt hier war. Ashley war sauer, das war ihr klar, aber das war sie nicht zum ersten Mal. Lily konnte sich aber des Gefühls nicht erwehren, dass sie es diesmal nicht so einfach irgendwann vergessen würde und ignorieren, was vorgefallen war. Und der einzige Weg, die Sache wieder ein zu renken, war mit ihr zu reden. Lily hatte keine Lust darauf, dass sich die Schattengänger ihr in den Weg stellten. Sie fing an, ungeduldig auf und ab zu marschieren. Tatsächlich wurde sie ein paar Minuten später für ihre Geduld belohnt. Das Tor in der großen Klostermauer schwang auf und jemand trat nach draußen auf sie zu. Aber es war nicht die Person, nach der Lily verlangt hatte. Anstatt Ashley stand Duncan nun vor ihr, mit einem abschätzigen Blick und verschränkten Armen. Lily schüttelte energisch den Kopf: „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, mit wem ich sprechen will.“ Duncan veränderte seine Position keinen Millimeter, es war, als wäre er zur Salzsäule erstarrt. „Diesen Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen.“ Lily stieg die Zornesröte ins Gesicht: „Ich will mit ihr sprechen und wenn es sein muss, dann nehme ich jeden einzelnen von euch auseinander, der sich mir in den Weg stellt.“ Ein mildes, fast schon bemitleidendes Lächeln umspielte Duncans Gesicht. „Das glaube ich weniger, selbst du kannst diese Mauern nicht überwinden.“ Langsam verlor Lily die Geduld. Sie war nicht hier um sich mit Duncan zu unterhalten. Sie wollte zu Ashley, sie wollte diese Sache klären. Und er stand ihr im Weg. „Wütend presste sie hervor: „Lass mich zu ihr. Alles, was ich will, ist mit ihr zu reden.“ Duncan schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht zulassen, dass du sie noch länger verdirbst.“ Lily schaute ihn ungläubig an „Ich verderbe sie nicht. Im Gegensatz zu dir und deinesgleichen habe ich mich immer um sie gekümmert und sie beschützt. Sie wäre nicht mehr hier, wenn ich nicht wäre. Und alles was du machst, ist sie auszunutzen.“ Duncan nickte, jedoch weniger, weil er ihr zustimmte. „Ich bin mir sicher, dass du das glaubst, aber genauso sicher bin ich mir, dass Ashley diese Meinung nicht teilt. Zumindest nicht mehr.“ Lily stürmte auf ihn zu und blieb nur Zentimeter vor seinem Gesicht stehen. Duncan rührte sich nicht. Er schien nicht im Geringsten Angst vor ihr zu haben. „Was hast du mit ihr gemacht, du widerlicher, kleiner Mistkerl?“ Duncan lächelte wieder „Gar nichts. Immerhin ist sie ja zu mir gekommen. Und so weit ich weiß, aus deiner Obhut abgehauen. Das ist doch eine klare Aussage, oder etwa nicht?“ Lily wich einige Zentimeter zurück und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. „Schön, dann kann sie mir das doch selber sagen, oder? Ich will das aus ihrem Mund hören.“ Wieder schüttelte Duncan den Kopf „Sie wird nicht hier raus kommen. Und du wirst nicht die Chance kriegen, sie noch einmal mit zu nehmen. Damit wirst du dich wohl abfinden müssen.“ Lily fauchte ihn wütend an: „Das glaube ich ja nicht!“ Nun endlich bewegte Duncan sich von der Stelle, er kam auf Lily zu, kramte in einer Tasche und zog ein Stück Papier heraus. „Ich denke, das sollte reichen.“ Er reichte Lily das Stück Papier, die es verdutzt annahm. Sie entfaltete das kleine Blatt und erkannte in einer bekannten Handschrift einen einzigen Satz: „Bitte geh, es ist besser so.“ Mehr war nicht drauf, keine Erklärung und auch sonst nichts. Doch Lily wusste, dass es Ashleys Handschrift war. Und sie wusste, dass nichts in der Welt sie dazu hätte bringen können, diese Worte zu schreiben, wenn sie es auch nicht so gemeint hatte. Duncan hatte sie beobachtet, als sie den „Brief“ gelesen hatte. Er drehte sich um und schritt auf das Tor zu. „Ich denke, damit ist alles gesagt.“ Die großen, hölzernen Flügeltüren wurden geöffnet und Duncan schritt hindurch. Lily, die endlich registriert hatte, dass er ging, rief ihm nach: „Es ist noch nicht vorbei!“ Duncan wandte sich ein letztes Mal um und meinte: „Oh doch, das ist. Dafür werde ich schon sorgen!“ Und mit diesen Worten wies er die Wachen an, das Tor zu schließen. Lily stand alleine und betreten vor den Klostermauern, die sie nicht überwinden konnte. Sie konnte nur erahnen, dass Ashley irgendwo in dem Gemäuer am Fenster stand und sie beobachtet. Aber sie hatte ihre Entscheidung getroffen und zumindest für den Moment würde Lily sie akzeptieren. Es blieb ihr einfach nichts anderes übrig. Kapitel 36: "Neuanwärter" ------------------------- Etwa eine Woche lang hatte Emma gebraucht, um das Ziel ihres Auftrages ausfindig zu machen. Zum einen hatte sie sich immer wieder um Ashley gekümmert, die wie aus heiterem Himmel quicklebendig wieder aufgetaucht war, nachdem jeder glaubte, sie sei mit Delia bei der Ruine getötet worden. Zum anderen hatte es ihr die Familie des Kindes nicht gerade einfach gemacht. Sie waren offensichtlich durch Connor und Mike und deren etwas unsensibles Vorgehen gewarnt worden und hatten sich abgesetzt. Also musste Emma sich erst einmal darum bemühen, sie wieder zu finden. Und das war kein leichtes Unterfangen gewesen, da ihr irgendwie niemand so recht helfen wollte. Egal ob sie Nachbarn, Verwandte, Arbeitskollegen oder Freunde fragte, niemand konnte oder wollte ihr weiterhelfen. Als sie schon kurz davor war, aufzugeben und Alice von ihrem Versagen zu berichten, hatte sie doch noch einen Hinweis gefunden. Und der kam von eher ungewöhnlicher Seite. Ihr war klar gewesen, dass auch die Dämonen nach dem Kind suchten, doch dass die sich auch ziemlich schwer taten, kam Emma nicht in den Sinn. Durch einen Zufall hatte Connor, der in letzter Zeit viel mit Mike unterwegs war, einen Unterweltler geschnappt, der gegen eine Vereinbarung verstoßen hatten. Um nicht bestraft zu werden oder schlimmeres hatte er Informationen angeboten. Einer seiner Herren habe ein begabtes Kind ausfindig gemacht, dass sich vor ihm und den Schattengängern bisher versteckt gehalten hatte. Und er kannte den Aufenthaltsort des Kindes. Sofort nachdem Connor ihr davon berichtet hatte, nahm sich Emma ein Auto – von einem freundlichen Bürger ausgeliehen – und war in die etwa drei Stunden entfernte Kleinstadt St. Claire gefahren. Etwas abgelegen, in einem Wald standen mehrere Hütten. Und laut dem Unterweltler war die Familie dorthin gefahren und untergetaucht. Deshalb fuhr Emma nun eine unbefestigte Straße zu einer der Blockhütten im Wald. Den Vermieter hatte sie vorher gefragt und er hatte ihr die Nummer der Hütte genannt, wo gerade eine junge Familie mit einem kleinen Mädchen abgestiegen war. In etwa einem halben Kilometer Entfernung tat sich eine kleine Lichtung auf und Emma erkannte bereits die Hütte. Doch sie sah noch viel mehr. Bereits vom Auto aus, erkannte sie, dass die Eingangstür zertrümmert war. Wie genau, konnte sie nicht ausmachen. Sie trat auf das Gaspedal und kam Sekunden später schlitternd vor dem Eingang zum Stehen. Sie ließ den Zündschlüssel stecken und sprang aus dem Auto. Sofort untersuchte sie die Eingangstüre und erkannte, dass sie wohl nicht eingetreten, sondern regelrecht in die Luft gesprengt wurde. Langsam und leise betrat sie das Innere der Hütte. Der Anblick war grauenhaft. Der Innenraum war in ein Schlachtfeld verwandelt worden. Möbel waren umgestoßen oder sogar zerstört, Geschirr und Besteck lag verstreut am Boden und teilweise zerbrochen, Müll und Papier war ausgekippt worden und zierte nun dieses Chaos. Aber nirgendwo war auch nur eine einzige Menschenseele auszumachen. Emma fand zwar genügend Spuren eines Kampfes, aber sie konnte nicht feststellen, ob irgendjemand verletzt war. Sie begann die Hütte zu durchsuchen, um auf irgendeine Weise nachvollziehen zu können, was hier genau passiert war. Doch anstatt fündig zu werden, passierte etwas völlig unerwartetes. In dem Durcheinander war ihr nicht aufgefallen, dass es eine Falltür im Boden unweit vom Eingang gab. Und während sie in den anderen Zimmern gesucht hatte, öffnete sich die Falltür und ein Mann kam herauf. Emma hatte auch nicht gemerkt, dass er sich an sie herangeschlichen hatte. Und als Emma aus dem Schlafzimmer wieder in den Hauptraum trat stand er plötzlich vor ihr mit einem Messer in der Hand. „Keine Bewegung!“ presste er hervor. Emma war nur einen Moment von seinem Auftauchen irritiert. Dann fing sie sich wieder. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er fort „Was soll die Leichenfledderei, habt ihr nicht schon das was ihr wolltet?“ Mit ehrlicher Verwunderung starrte Emma ihn an. „Was, wie bitte?“ Der Mann kam näher, immer noch mit dem Messer drohend, aber Emma zeigte keine Furcht. Wieso auch? Er war ein Mensch und sie konnte mit ihren Händen Feuer entstehen lassen. Wenn es darauf ankam, war sie auf jeden Fall im Vorteil. Dessen war er sich aber nicht bewusst. „Meine Tochter ist nicht mehr hier. Deine Freunde habe sie heute Nacht hier weggeholt.“ Emma schüttelte den Kopf. „Wer hat sie geholt?“ Angesichts der Tatsache, dass sie sich hier ziemlich dumm anstellte schien der Mann langsam die Fassung zu verlieren. „Deine Freunde, vier von denen sind wie aus dem Nichts hier aufgetaucht und haben alles auseinander genommen. Ich habe versucht, meine Tochter zu beschützen, aber…“ seine Stimme brach ab. Etwas in ihm schien zu zerbrechen, als die Erinnerungen wieder hochkamen. Emma verstand langsam, was hier passiert war. Sie war zu spät gekommen. Sie hatte das kleine Mädchen nicht rechtzeitig erreicht. Die Dämonen waren vor ihr hier gewesen. Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte sich der Mann wieder gefangen. Aber jetzt stand ihm der Zorn ins Gesicht geschrieben. Er packte Emma mit der einen Hand und hielt ihr mit der anderen das Messer an den Hals. Beinahe schon hysterisch brüllte er sie an: „Wo ist sie? Sag mir, wo du sie hingebracht hast? Gib sie mir wieder!“ Emma stand genau einen Augenblick davor, sich zu wehren. Doch das blieb ihr erspart. Der Mann wurde sanft von einer Frau, die wohl hinter ihm aus der Falltür gekommen war von Emma weggezogen. „Nicht, Chris, lass sie. Sie ist keine von denen.“ Chris lies von Emma ab und wurde von seiner Frau zu dem einzigen intakten Stuhl im Raum geleitet, worauf er wie ein Häufchen Elend zusammensank. Emma bemitleidete ihn. Sie würde wohl genauso reagieren wie er. Doch sie wusste einfach nicht was sie ihm sagen sollte. Also konnte sie sich nur zu einem „Tut mir leid.“ Überwinden. Doch diese Geste traf nicht auf Verständnis. Die Frau baute sich vor Emma auf. „Ach wirklich?“ meinte sie sarkastisch „Du bist doch sicher auch hier gewesen, weil du sie mitnehmen willst, hab ich nicht recht?“ Emma blickte betreten zu Boden. Was sollte sie darauf entgegnen. Es war doch alles wahr! Doch die Frau wartete sowieso keine Antwort ab. „Du wolltest Kacey doch auch von uns wegholen und in deinen kleinen Verein mit aufnehmen!“ Emma nickte. „Im Gegensatz zu denen, wäre sie bei uns sicher gewesen. Wir hätten sie beschützt und uns um sie gekümmert.“ Chris stand nun auf, er hatte zumindest für den Moment zu neuer Stärke gefunden „Das macht keinen Unterschied. So oder so, wir hätten sie nie wieder gesehen. Und erzähl mir nicht, dass das was ihr mit ihr vorhabt nicht auch gefährlich ist!“ Emma sagte nicht. Irgendwie konnte sie sich nicht zusammenreimen, woher die beiden so genau Bescheid wussten. Und irgendetwas hielt sie davon ab, sie zu fragen. Schließlich gab Chris ihr ungewollt die Antwort auf ihre Fragen. „Ich hoffe, ihr seid jetzt glücklich. Zuerst nehmt ihr mir meine kleine Schwester und jetzt meine Tochter!“ Nun war Emma noch mal eine Spur verwirrter als vorher. Und dazu gesellte sich ein Entsetzen, welches sie nur noch unzusammenhängende Worte heraus pressen lies. „Wie… Schwester… wer?“ Die Frau neigte den Kopf leicht. „Ihr Name ist Ashley.“ Und in dem Moment brach ein Gewitter an Gedankengängen über Emma herein. Jetzt ergab zumindest ein Teil der Sache einen Sinn. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass Alice und Duncan nicht gewusst hatte, dass das kleine Mädchen, welches die Begabung besaß, Ashleys Nichte war. Und je mehr sie sich dessen sicher war, desto düsterer wurden ihre Gedanken. Sie verstand die Welt nicht mehr. Wie sollte sie das erklären? Wie sollte sie das rechtfertigen? Noch in Gedanken versunken, merkte Emma nicht, dass sie so kreidebleich angelaufen war, dass die Frau besorgt auf sie zukam. „Hey, alles okay?“ Emma starrte sie an, wie in Trance und nicht wirklich begreifend, was sie von ihr wollte. Doch die Frau schien es verstanden zu haben. „Du kennst Ashley, nicht wahr?“ Erst jetzt verstand Emma und sie nickte stumm. Wenige Sekunden später ging sie langsam zur Tür, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Die beiden anderen starrten sie misstrauisch an, so als erwarteten sie jeden Moment einen Angriff ihrerseits. Doch Emma ging einfach, sie sagte nichts mehr und konnte auch sonst nichts anderes tun, als draußen in das Auto einzusteigen und zu fahren, während ihr die hilflosen Eltern eines entführten, kleinen Mädchens nachschauten. Kapitel 37: Kein Weg zurück --------------------------- Als Emma am Abend zurückkam führte ihr erster Weg nicht zu Alice oder Duncan. Es erschien ihr nicht richtig, einem von den Beiden zu erzählen, was passiert war. Ihrer Meinung nach hatten sie dazu schlichtweg kein Recht. Also führte ihr erster Weg, als sie das Kloster erreicht hatte, nicht zu Duncans Büro oder in die Bibliothek, sondern hinauf in ihr Zimmer. Sie wusste, dass Ashley dort sein würde, denn die Gesellschaft der anderen Schattengänger mied sie jetzt mehr als zuvor. Es gab nicht wenige die ihr die Schuld an Delias Tod gaben oder anderweitige Verdächtigungen ausstießen, welche sie umso mehr zu einer Geächteten unter den Schattengängern machten. Aus diesem Grund hatte sie Emmas Zimmer, welches sie jetzt mithilfe eines Feldbettes mit Ashley teilte, nur in ihrer Begleitung verlassen oder wenn Duncan sie sprechen wollte, was in den letzten Tagen ungewöhnlich oft der Fall gewesen war. Ashley meinte, dass er einfach nur in allen Details wissen wollte, was genau in den letzten Wochen mit ihr geschehen war und sie nicht wirklich bereit war, es ihm zu sagen. Mit jedem Schritt, den sie näher kam, versuchte sie sich die richtigen Worte zurecht zu legen. Doch wie schon auf der Fahrt hier her, gelang es ihr einfach nicht in irgendeiner Art und Weise, welche nicht so schlimm klang, zu formulieren, was sie Ashley sagen musste. So trat sie in das Zimmer ein und fand Ashley lesend und auf dem Feldbett liegend vor. Sie hatte das Buch weggelegt, als Emma eingetreten war. Stirnrunzelnd sah sie Emma an. „Was ist denn mit dir los, du siehst aus, als hättest du dich den ganzen Tag lang übergeben.“ Emma lachte nicht. Sie wusste, es war als Scherz gemeint, doch sie konnte nicht lachen. Es war einfach nicht lustig. Sie setzt sich auf das Bett gegenüber von Ashley, die sich aufgerichtet hatte und nun an der Wand lehnend auf dem Feldbett saß. Emma blickte betreten zu Boden. Sie konnte ihr einfach nicht ins Gesicht sehen. Doch sie merkte auch, dass Ashley angesichts ihres Verhaltens unruhig wurde. „Sag mir, was los ist. Du siehst aus, als wäre jemand gestorben.“ Dieses Mal war es kein Witz gewesen, dass war Emma klar. Ashley hatte nicht geahnt, wie nahe sie der Wahrheit mit dieser Aussage kam. Emma sah sie an und flüsterte „Noch nicht, aber bald… wird es soweit sein.“ Ashleys Miene wurde düster. „Was ist los?“ der besorgte Unterton in ihrer Stimme gab Emma schließlich die Kraft, das zu sagen, was sie sagen musste. „Der Auftrag von dem ich dir erzählt habe, die Neuanwerbung. Es ging um ein Mädchen. Und… ich… ich bin zu spät gekommen. Die Dämonen haben sie jetzt.“ Ashley sah betreten zur Seite. „Oh, das ist…“ mehr sagte sie nicht. Und Emma wusste, dass sie ihr gleich das Herz brechen würde, aber es musste gesagt werden, es war besser, wenn sie es jetzt von ihr hörte, als später von jemand anderem. „Ihr Name… ihr Name war… Kacey.“ Ashleys Kopf schnellte wie ein Gummiband zurück und sie starrte Emma an. Ihre Augen waren aufgerissen und voller Entsetzten. Sie sagte nichts und konnte nur fragend in Emmas trauriges Gesicht blicken. Emmas Antwort war ein Nicken und Ashley lies den Kopf in ihre Hände sinken. Genauso hatte Emma sich vorgestellt, wie sie reagieren würde. Nach allem, was in der letzten Zeit passiert war, versetzte ihr diese Nachricht sicherlich den allerletzten Stoß ins Herz. Als Ashley jedoch wieder aufblickte und aufstand, war der Ausdruck in ihrem Gesicht ein gänzlich anderer. Emma hatte damit gerechnet, dass sie sich die Augen ausweinen würde und ihrer Verzweiflung freien Lauf lassen würde, doch in ihren Augen funkelte der blanke Hass und ihre geballten Fäuste waren ein deutliches Zeichen für ehrlichen Zorn. Verdutzt starrte Emma sie an. Ashley sah aus, als wolle sie jemanden umbringen. Und ihre kalte, fauchende Stimme untermauerte diese Vermutung. „Wusste Duncan davon?“ Im ersten Moment hatte Emma keine Ahnung, warum sie danach fragte und nickte einfach nur. Als Ashley dann aber wie der geölte Blitz zur Tür hinaus stürzte, dämmerte ihr, was da vor sich ging. Sie rief ihr noch etwas nach, aber Ashley hörte sie nicht mehr. Binnen von Sekundenbruchteilen wie es schien war sie die Treppen hinunter gerannt und kam nur kurze Zeit später vor der großen Bibliothekstür stehen. Ohne Rücksicht riss sie die Türen auf und stürmte hinein. Duncan, der an einem kleinen Tisch in der Ecke saß, bemerkte sie als erster. „Ashley was soll das?“ meinte Shane, der gerade ein paar Bücher einräumte. Sie funkelte ihn und noch drei andere, die in der Bibliothek waren bedrohlich an. „Verschwindet von hier. Ich habe mit ihm zu reden.“ Fassungslos starrten die vier Schattengänger Duncan an. Doch der nickte ihnen nur zu und bedeutete ihnen damit, dass sie Ashleys „Bitte“ Folge leisten sollten. Kaum waren sie zur Tür hinaus, stürzte Ashley auf ihn zu und packte ihn unsanft am Kragen seines Hemdes. „Du verdammter Bastard. Du hast mir versprochen, dass du meine Familie zufrieden lässt!“ Duncan blinzelte pikiert, als ob er nicht wusste, wovon sie da sprach, aber Ashley wusste es besser. Er war nicht so dumm, wie er sich hier anstellte. Schließlich schien es ihm wohl zu dumm, dass Ashley ihn so am Hals packte und er lies sich zu einer Antwort herab: „Ich habe nicht wirklich verstanden, wovon du redest.“ Doch das war ganz und gar nicht, was Ashley von ihm hören wollte. Sie schubste ihn wütend von sich weg. „Stell dich nicht so dumm, Duncan. Du weißt es sehr genau. Ich rede von meiner Nichte.“ Duncan starrte sie ziemlich herablassend an und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ich wüsste nicht, warum ich dir gegenüber über unsere Neulinge Rechenschaft schuldig bin.“ Ashley schlug mit der Faust auf die Tischplatte. „Wir hatten eine Abmachung! Du hast gesagt, wenn ich mich den Schattengängern anschließe und dafür sorge, dass meine Familie den Mund hält, würdest du sie zufrieden lassen.“ Duncan nickte zustimmend. „Das habe ich auch getan. Aber das hat nichts mit den Talenten deiner Nichte zu tun. Sie ist eine von uns und deswegen ist es unser Recht, dafür zu sorgen, dass sie in unsere Reihen aufgenommen wird.“ Mit funkelnden Augen meinte Ashley: „Das denke ich nicht.“ Duncan lächelte milde, jedoch war es kein Lächeln, welches ihr seine freundliche Gesinnung vermitteln sollte. „Du wirst das nicht verhindern können, Ashley.“ Ein trotziges Lächeln zierte ihr Gesicht und Wut sprach aus ihrer Stimme „Unglücklicherweise muss ich das gar nicht mehr.“ Duncans Gesichtszüge entgleisten und Ashley wusste, dass er verstand, was sie damit meinte. „Das ist bedauerlich.“ Sagte er. Ashley entgegnete sarkastisch: „Ach wirklich? Ist es das?“ sie machte einige Atemzüge Pause und fuhr fort: „Dir sollte klar sein, dass mein Bruder sie niemals aufgegeben hätte. Ihr hättet Kacey ihnen mit Gewalt wegnehmen müssen und ich denke nicht, dass es für euch die Mühe Wert gewesen wäre.“ Duncan starrte sie finster an und sie wusste, dass er nicht wollte, dass das Gespräch in diese Richtung ging. Aber Ashley ließ das kalt. „Sag mir eines, Duncan, wann wäre es dir zu blöd geworden und du hättest den Tod meiner Nichte und ihrer Eltern befohlen?“ und nun war es gesagt. Ashley war klar, dass sie niemals hätte davon erfahren dürfen, dass dies eine Möglichkeit war, von der die Schattengänger Gebrauch machten, aber sie wusste es nunmal. Bevor man sie frei rum laufen ließ oder den Dämonen überließ – die allerdings auch die jeweiligen Kandidaten nicht gerade lange am Leben lassen würden – legte man lieber selbst Hand an und verschwieg, dass es jemals einen Kandidaten gegeben hatte. Und Ashley hätte davon eigentlich gar nichts wissen dürfen. „Wie kommst du auf so etwas?“ fragte er mit gespielter Empörung, die Ashley aber mit Leichtigkeit durchschaute. Allerdings wartete Duncan nicht mal auf eine Antwort. Er gab sie sich selbst. „Lily hat dir wirklich einige hässliche Unwahrheiten über uns erzählt. Vielleicht hat sie dich doch mehr verdorben als ich annahm. Und dabei dachte ich mir, dass sie dich einfach nur dazu braucht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“ Ashley legte den Kopf schief und meinte: „Wie gut, dass du alles auf sie schieben kannst, um von dem eigentlichen Thema abzulenken. Aber diesmal funktioniert das nicht.“ Duncan merkte wohl, dass sie mit ihrer Aussage recht hatte und setzte mit einem ziemlich geschäftsmäßigem Ton hinzu: „Wie ich schon sagte, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“ Und damit war für Ashley das Maß endgültig voll. „Gut, dann bin ich es nämlich auch nicht mehr.“ Jetzt wurde er so richtig hellhörig „Was soll das heißen?“ Ashley, die sich schon zum Gehen gewandt hatte, drehte sich wieder zu ihm. Aus ihr sprach die blanke Verabscheuung gegenüber ihm und allem was er ihr in den letzten Minuten vorgesetzt hatte. „Das heißt, dass du mich jetzt zum letzten Mal gesehen hast. Ich werde von hier verschwinden und künftig einen großen Bogen um dich und deinesgleichen machen.“ Duncan schien wie vor den Kopf gestoßen, damit hatte er wirklich nicht gerechnet. „Das kannst du nicht machen.“ Ashley grinste hämisch „Und ob ich das kann!“ Und mit diesen Worten steuerte Ashley auf den Ausgang zu. Und zum ersten Mal zeigte Duncan eine unerwartete Reaktion. „Warte!“ brüllte er, so von Wut gebeutelt, wie Ashley ihn noch nie gesehen hatte. Sie blieb zwar stehen, zeigte aber kein bisschen Furcht. Und das schien ihn noch mehr zu reizen. Niemand hatte es je gewagt, sich ihm dermaßen zu widersetzten. „Du wirst es nicht wagen, einfach so von hier zu verschwinden. Du hast meinen Befehlen Folge zu leisten. Und ich befehle dir, dass du dich augenblicklich für dein Verhalten entschuldigst.“ Aber Ashley reagierte trotzig. „Oder was?“ schleuderte sie ihm entgegen und er war so perplex, dass er nichts mehr sagen konnte. Sie fuhr fort ohne ihm Zeit zu lassen, diesen Schock zu verdauen. „Was willst du mir dann antun? Was bitte kannst du mir jetzt noch wegnehmen? Ich habe nichts mehr, was mir irgendetwas bedeutet. Dafür hast du ja gesorgt. Bitte, töte mich, sperr mich ein. Tu dir keinen Zwang an. Aber du solltest dich fragen: Wie begründest du das? Und auch wenn du noch so viele Befehle erteilst, dass darüber nicht gesprochen werden darf, so weißt du ganz genau, dass sie es hinter vorgehaltener Hand doch tun werden. Entweder du lässt mich gehen, oder – und das schwöre ich dir – ich werde dir, wenn auch nicht persönlich – den Rest deiner Tage zur Hölle machen.“ Duncan starrte sie wie vom Donner gerührt an. Und Ashley erkannte, dass er mit sich haderte, er wusste, sie hatte Recht. Um ihn endlich den letzten Schlag zu verpassen fuhr sie fort. „Und was dein heiß geliebtes Manuskript betrifft, solltest du dir über eines klar sein: Bevor du oder einer von deinen Leuten es findet, habe ich es schon lange gefunden. Und wenn mir einer von euch je wieder zu Nahe kommt, weißt du, was die Stunde geschlagen hat! Du jedenfalls wirst es niemals in die Hände bekommen, dafür werde ich sorgen.“ Und mit diesen Worten verschwand Ashley zur Tür hinaus. Duncan hielt sie nicht auf. Er war in den Stuhl zurückgesunken und dachte nach. Ashley verließ das Kloster ohne Umweg. Nicht einmal von Emma verabschiedete sie sich. Sie konnte es einfach nicht mehr länger hier aushalten. Und so machte sie sich auf den Weg in die Stadt, allein und immer noch voller Wut und Trauer über das Schicksal ihrer Nichte, an dem sie aber leider nichts mehr ändern konnte. Kapitel 38: Auswegslos ---------------------- Es waren bereits mehrere Stunden vergangen, in denen Ashley durch die Stadt gezogen war und nicht wußte, wohin. Sie mied all die Orte, wo viele Schattengänger sich üblicherweise aufhielten. Und doch hatte sie dein wirkliches Ziel vor Augen. Schließlich, nachdem sie die ganze Nacht von einem Ende der Stadt zum anderen und in den Parks und Wäldern herumgestreift war, kam sie am frühen Vormittag wieder zu ihrer Wohnung. Einen Schlüssel hatte sie in ihrem Rucksack gehabt, den sie vor so langer Zeit bei der Ruine liegen gelassen hatte und um den sich weder die Dämonen, noch die Schattengänger gekümmert hatten. Auf ihrer wirren Odyssee durch die Stadt war sie letztlich auch dort aufgetaucht. Die Erinnerungen an das, was vorher lediglich verschwommen noch vorhanden war – teils weil Ashley zu viele Schuldgefühle hatte, um sich daran zu erinnern – kamen nun, da sie wieder an diesem Ort gewesen war, zum Vorschein. Und es dauerte eine ganze Weile, genauer gesagt drei Stunden, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte und die Kraft gefunden hatte, zu gehen. Jetzt saß sie in ihrer Wohnung an dem winzigen Eßtisch und durchblätterte ein Fotoalbum mit Bildern aus der Zeit, bevor sie von Duncan gefunden wurde und er sie überredet hatte, zu den Schattengängern zu gehen. Allerdings wußte sie, dass „überredet“ der falsche Ausdruck dafür war. Sie hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt, nachdem er sie letztlich gefunden hatte. Und Lily hatte auch nicht wirklich geholfen. Also hatte Ashley eine Entscheidung getroffen, welche sie in den letzten Jahren mehr als einmal bereut hatte. Aber sie wußte, solange sie mitspielte, würde Duncan ihre Familie in Ruhe lassen. Alles, was ihr geblieben war, waren diese Bilder. Bilder aus Zeiten, in denen sie nicht für jedes Lächeln einen Preis zahlen musste. Auf der letzten Seite waren Ashleys Lieblingsbilder. Eines war etwa zwei Monate vor ihrem Weggang aufgenommen worden. Es war eine Familienfeier gewesen. Der Geburtstag von ihrer Mutter zu dem auch Lily eingeladen war. Auf dem Foto war eine glückliche Runde zu sehen. Ashley und Lily, die gemeinsam auf einer Gartenbank saßen, ihr Bruder Chris und seine damalige Freundin Andy. Und Ashleys Mutter, die gerade eines ihrer Geschenke aufmachte. Ashley liebte dieses Bild, weil darauf die Menschen zu sehen waren, die ihr soviel bedeuteten. Und auch auf dem zweiten Bild war jemand zu sehen, der ihr mehr als alles andere bedeutete. Es war ein Bild von Kaceys Taufe. Ashley saß auf der Couch und hatte sie im Arm. Lily war es gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass Ashley für ein paar Stunden von der Bildfläche verschwinden konnte, um ihre Nichte zu sehen. Und Duncan hatte niemals rausgefunden, wo sie gewesen war. Er hatte schlichtweg angenommen, sie wäre mit Lily beschäftigt gewesen. Im Laufe der Jahre hatte Lily ihr immer wieder den Wunsch erfüllt, dass sie ihre Nichte sehen konnte. Und auch ihren Bruder und Andy. Doch die einzige Person, die sie niemals seit dem Tag, an dem sie zu den Schattengängern ging, gesehen hatte, war ihre Mutter. Und jedesmal, wenn Lily es ihr angeboten hatte, hatte sie abgelehnt. Und jetzt gab es keinen Grund mehr zu ihrer Familie zurück zu kehren. Jetzt hatte sie sich endlich von Duncan losgesagt und dennoch gab es keinen Ort, wohin sie wirklich gehen konnte. Sie war nun alleine. Und nicht nur Dämonen trachteten ihr nach dem Leben. Duncan würde das alles nicht auf sich sitzen lassen. Während sie so vor sich hin sinnierte, hatte sie nicht bemerkt, dass jemand in die Wohnung gekommen war. Erst als die Person nur wenige Meter von ihr entfernt stand, bemerkte Ashley ihren Besuch. Und sie war alles andere als glücklich darüber. „Was willst du hier?“ schnauzte sie sie an. Trinity, war davon weitestgehend unberührt und nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz. „Ich war besorgt um dich.“ Ashley blickte sie ungläubig an und der Sarkasmus in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Ich brauche deine Besorgnis nicht.“ „Sie sorgt sich auch um dich.“ Ashley setzte ein sarkastisches Grinsen angesichts von Trinitys Aussage auf. Dann meinte sie schlicht: „Warum ist sie dann nicht hier? Warum versucht sie mir nicht mit irgendeiner neuen Lüge Honig um den Bart zu schmieren.“ Trinity wartete, bis Ashley sich wieder abwandte, dann flüsterte sie: „Weil sie sehr genau weiß, dass du das denkst.“ Ashley strich langsam über das Foto auf dem ihre Familie versammelt war „Wenn du das sagst.“ Trinity lehnte sich im Stuhl zurück. Ashley konnte ihr ansehen, das sie es ernst meinte, allerdings war ihr das auch egal und Trinity wiederum wußte das. „Ja, das ist mir klar. Aber du siehst nicht gut aus.“ Ashley starrte sie finster an. Die dunklen Ringe um ihre Augen untermalten ihren bösen Blick noch zusätzlich. „Hat sie dich geschickt?“ war ihre ziemlich wütende Antwort. Trinity ließ sich immer noch nicht auf ihr Spielchen ein. „Nicht direkt. Sie wollte nur, dass ich dich beobachte. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass du hier bist. Eigentlich solltest du doch im Kloster sein, wo die dich beschützen.“ Ashley legte die Stirn in Falten. Der Ausdruck in ihren Augen war dunkel. „Die haben mich noch nie beschützt.“ War ihr schlichter Kommentar zu Trinitys Aussage. Trinity konterte „Warum haben sie dich jetzt auf einmal gehen lassen?“ Ashley wandte den Blick ab und flüsterte: „Das haben sie nicht.“ Trinity legte den Kopf schief, schwieg aber ein paar Minuten. „Hast du Schwierigkeiten?“ Ashley rollte mit den Augen. „Das geht dich gar nichts an. Und sie erst recht nicht.“ Trinity lehnte sich nun nach vorne. „Ashley, sie macht sich auch Sorgen und es tut ihr leid.“ Ashleys Antwort war eine deutliche „Ich glaube ja, dass es mich nicht im Geringsten interessiert, ob es ihr leid tut oder nicht.“ Argwöhnisch wog Trinity ab, was sie als nächstes sagen sollte. Schließlich fiel ihr Blick auf das Foto mit Ashley und Kacey. Trinity deutete darauf. „Ist das deine Nichte?“ fragte sie. Ashley nickte nur. Zu mehr war sie nicht im Stande. Trinity bemerkte, dass sich etwas in ihrem Ausdruck veränderte. „Was ist?“ Ashley konnte sie nicht ansehen. Sie wollte nicht mit ihr darüber reden. Sie wollte mit keinem mehr über irgendetwas reden. Doch Trinity konnte sie inzwischen zu gut lesen. Sie wußte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. „Ashley ist etwas passiert?“ Aber Ashley antwortete nicht. Sie starrte nur vor sich hin und fixierte das Bild vor ihr. Trinity, die inzwischen ihre Sorge nicht mehr verstecken konnte, lies nicht locker. „Was ist mit ihr?“ aber Ashley antwortete immer noch nicht. Trinity wußte nun umso mehr, dass etwas nicht stimmte. „Ashley, was ist mit ihr passiert? Wo ist sie? Geht es ihr gut? Geht es deinem Bruder gut?“ Und nun endlich fand Ashley ihre Sprache wieder, mit einer Bitterkeit in der Stimme, wie Trinity sie noch nie gehört hatte. „Sie ist jetzt bei euch.“ Es dauerte einige Augenblicke, bis Trinity verstand, was sie damit gemeint hatte. Und nun wurde auch ihr Blick finster. Aber das besänftigte Ashley nicht im Geringsten. Neuerliche Wut schäumte in ihr hoch. „Ich hatte ihr versprochen, auf sie auf zu passen. Aber dank euch, hatte ich nicht die Gelegenheit dazu. Hätte sie mich nicht zu ihr mitgenommen, dann hätte ich das verhindern können. Dann hätte ich schon viel früher erfahren, dass sie Kacey gefunden haben und dann wäre das nicht passiert.“ Trinity hatte Verständnis für ihre Wut, deshalb war sie darum bemüht, sie nicht noch wütender zu machen. „Ashley, hätte sie dich nicht aufgenommen, wärst du jetzt tot. Und deiner Nichte hättest du in keinem Fall helfen können.“ Aber das konnte Ashley nicht im Mindesten besänftigen. „Ich kann ihr jetzt auch nicht mehr helfen. Ich kann niemandem mehr helfen. Also wäre es vielleicht besser gewesen, Lily hätte mich einfach dort gelassen.“ Ashley stand auf und wandte sich ab. Sie stand vor einem Fenster und starrte hinaus auf die Straße wo einige Passanten diesen wunderschönen Sommertag genossen. Trinity war ebenfalls aufgestanden. Doch sie schien andere Gedanken zu haben. „Es ist noch nicht zu spät, ihr zu helfen.“ Ashley wandte sich leicht um und meinte mit fester Stimme „Doch, es ist zu spät, um noch irgend jemandem zu helfen.“ Dann wandte sie sich wieder um. Trinity erkannte, dass sie diese Schlacht verloren hatte. Ashley wollte nichts weiter hören. Und im Moment hatte sie zumindest mit einer Sache recht: Ihr selbst konnte man nicht helfen. Aber es bestand noch die Chance für jemand anderen. Trinity verließ die Wohnung und ließ Ashley allein mit ihrem Kummer und ihrem Schmerz, denn sie wusste, dass es keine Möglichkeit gab ihr zu helfen, solange sie sich nicht helfen ließ. Kapitel 39: Die Last der Welt ----------------------------- In einer dunklen Nebenstraße der Stadt kauerte seit etwa einer Stunde eine zusammen gekrümmte Gestalt hinter einem großen Müllcontainer. Nur wenn man näher kam, konnte man das Schluchzen und das Weinen wahrnehmen, welches hinter dem Container hervordrang. Doch da sich um diese Zeit kaum noch Menschen auf den Straßen befanden, gab es auch keinen, der sich ihrer angenommen hätte. Wenn nicht endlich und ziemlich zielstrebig eine junge Frau in die Straße eingebogen war. Suchend irrte sie durch die Straße entlang, wagte aber nicht etwas zu sagen. Schließlich war sie neben dem Container angekommen und vernahm das verzweifelte Wehklagen. Besorgt schob sie den Container beiseite und erblickte nun schließlich die andere Person. „Ashley, ist alles in Ordnung? Was ist passiert?“ flüsterte Lily, die auf die Knie sank und nun vor Ashley hockte. Mit tränenverschmiertem Gesicht blickte Ashley auf und gab Lily den Blick frei auf ihr Gesicht. Eine Platzwunde an ihrer Stirn, welche noch vor einer Weile ziemlich heftig geblutet zu haben schien, war deutlich zu erkennen. Besorgt zog Lily ein Tuch aus einer Jackentasche und versuchte grob etwas davon wegzuwischen. Sanft nahm sie den Zeigefinger ihrer freien Hand und wischte Ashley behutsam die Tränen aus dem Gesicht. Das sorgte dafür, dass diese zumindest für den Moment aufhörte zu schluchzen und nun antwortete: „Ich hab ziemlich Mist gebaut.“ Lily setzte sich neben sie und nahm Ashley behutsam in den Arm. Dabei störte sie sich nicht an dem Dreck, der hier an der Hausmauer und am Boden überall herumlag. „Was ist passiert?“ meinte sie sachlich und emotionslos. Es reichte schon, wenn Ashley ein Wasserfall war. Und ihr Wunsch war es sie zu trösten nicht, mit ihr zu weinen. „Ich war heute mit meiner Trainerin unterwegs zu meinem ersten Einsatz. Und irgendwas ist ziemlich schief gelaufen. Ich weiß nicht genau was, aber sie ist verletzt worden und ich wollte ihr helfen, obwohl sie mir gesagt hat, ich soll fliehen. Aber ich konnte nicht.“ Neuerliche Tränen quollen in ihren Augenwinkeln. Lily gab ihr einen behutsamen Kuss auf die Stirn. Für einige Minuten, in denen Ashley wieder zu weinen anfing, saß Lily einfach bei ihr, wog sie im Arm und strich ihr über die Haare. Und erst nach einer halben Ewigkeit, meinte sie: „Hast du es ihnen schon erzählt?“ Ashley schüttelte heftig den Kopf. „Was zum Geier soll ich denen sagen? Das war das erste mal, dass ich für die Schattengänger auf einem Einsatz war und ich hab es gleich in den Sand gesetzt. Wegen mir ist jemand gestorben.“ Lily drückte sie fest an sich. „Das ist doch nicht deine Schuld. Du bist erst seit zwei Monaten im Training und anders als das was ein Schattengänger in deinem Alter normal können müsste, bist du gehörig im Rückstand. Und deine Kräfte haben sich auch noch nicht gezeigt, dass heißt, alles was du im Kampf einsetzten kannst ist das, was die dir beibringen.“ Ashley sah ihr etwas zornig in die Augen „Willst du damit sagen, die sind Schuld und ich soll es einfach dabei belassen, anderen die Schuld zu geben?“ Lily seufzte. „Nein natürlich nicht. Aber Duncan kann dich nicht an den Standards messen, die er gewohnt ist. Und das wird er auch nicht.“ Ashley schloss die Augen und lehnte sich wieder an Lilys Schulter. „Das hoffe ich. Schon schlimm genug, dass die halbe Dämonenwelt mich ausradieren will.“ Mit gespielter Beleidigung erwiderte Lily: „Hey das stimmt doch nicht!“ Doch Ashley zeigte zur Untermauerung ihrer Aussage auf die Wunde an ihrem Kopf. Einige Augenblicke starrte Lily auf die Wunde und es schien, als würde sie angestrengt nachdenken. „Da gibt es vielleicht einen Weg, wie wir zumindest das Problem aus der Welt schaffen können. Etwas ruckartig zog sie an Ashleys linkem Jackenärmel, was Ashley zuerst nicht einordnen konnte, dann erkannte sie, dass Lily ihr die Jacke auszog und ihren T-Shirt Ärmel hochzog. „Was soll das werden?“ fragte sie etwas pikiert. Lily schnaubte während sie Ashleys Oberarm mit der rechten Hand untersuchte. „Siehst du gleich.“ War ihre Antwort. Doch Ashley war misstrauisch. „Willst du mich jetzt hier ausziehen?“ maulte sie Lily an. Der huschte ein ziemlich aussagekräftiges Grinsen über das Gesicht. „Nein, jetzt grade nicht. Das könnte jetzt ein bisschen brennen, also nicht erschrecken.“ Ashley legte die Stirn in Falten, als Lily mit ihrer rechten Hand ihren Oberarm gänzlich umschloss. Einige Sekunden später schien es, als würde ihre Handinnenfläche glühen. Während Lily die Augen geschlossen hielt und eine unverständliche Beschwörung murmelte, keuchte Ashley vor Schmerzen auf. Lily hatte nicht gelogen, es brannte tatsächlich, so als würde jemand mit brennendem Stahl gegen ihre Haut drücken. Ihre rechte Hand krallte sich in Lilys Schulter, die davon aber unberührt blieb. Nach einer halben Ewigkeit wie Ashley schien, ließ Lily sie los. „Autsch, was sollte das?“ fauchte Ashley beleidigt. Sie musterte ihren malträtierten Arm und erkannte, dass auf der Haut ein kleines Zeichen entstanden war. Es war zwar etwas schwer zu erkennen, doch es hatte die Form einer Blume. Lily fuhr mit einem Zeigefinger darüber und Ashley war überrascht, dass der Schmerz gänzlich verfolgen war, genauso schnell wie er gekommen war. „Das ist mein Zeichen. Unter den Dämonen weiß jeder, der dir gefährlich werden könnte, genau, von es stammt. Und das heißt auch, dass sie gefälligst die Finger von dir lassen sollen.“ Ashley musterte immer noch das Zeichen, als sie antwortete: „Wieso?“ Lily antwortete nicht sofort, was Ashley dazu veranlasste, dass sie von ihrem Arm aufsah und Lily direkt in die Augen. „Weil dieses Zeichen dich als mein Eigentum markiert. Und keiner von denen würde es wagen, mein Eigentum zu beschädigen.“ Ashley blinzelte ungläubig. „Soll das heißen, dass du mich wie eine Kuh gebranntmarkt hast?“ Lily grinste verlegen „Nun, das ist wohl eine etwas heftige Art und Weise, um es zu beschreiben. Ich habe das gemacht, damit du zumindest vor meinen Leuten sicher bist. Denn immer kann ich dich nicht beschützen, das weißt du.“ Ashley legte den Kopf schief. „Was ist mit Duncan und den Schattengängern?“ Lily atmete hörbar ein. „Darauf habe ich leider nicht viel Einfluss. Das liegt wohl eher in deiner Hand. Gib ihnen jedenfalls nicht Grund an deiner Loyalität zu zweifeln. Vor allem Duncan nicht.“ Wieder legte Ashley die Stirn in Falten. „Oh du meinst, nicht mehr als sie schon haben, oder? Und ich weiß ja nicht, ob er das hier so toll finden wird.“ Lily gab Ashley einen sanften Kuss, dann meinte sie flüsternd. „Er weiß, dass wir uns nach wie vor sehen. Und dass ich nicht gedenke, das zu ändern. Aber du musst dafür sorgen, dass er und auch die anderen niemals Grund haben, an deiner Loyalität zu zweifeln.“ Ashley wandte sich kurz ab. „Die Tatsache, dass ich mit einer Erzdämonin zusammen war, die verhindert hat, dass sie mich finden und mit der ich nach wie vor noch für gewisse… Treffen… zusammenkomme, kommt aber gar nicht gut an.“ Lily küsste sie erneut. „Allen kannst du es sowieso nicht recht machen. Konzentrier dich auf die, welche dir wenigstens im Ansatz eine Chance geben wollen. „Ich frage mich, ob das jetzt noch nach Veronicas Tod so sein wird. Sie war immerhin nett zu mir und hat mir Mut gemacht. Aber jetzt…“ Ashley unterdrückte ihre Tränen dieses Mal. Doch nach einer kurzen Unterbrechung fuhr sie fort. „Ich hätte sie retten sollen.“ Lily nahm sie wieder fest in den Arm. „Merk dir was ich dir jetzt sage. Du kannst nicht alle retten. Das steht einfach nicht in deiner Macht. Es wird noch viele geben, die du nicht beschützen kannst und für deren Rettung du zu spät kommst, aber du trägst einfach nicht die Last der Welt auf deinen Schultern. Niemand trägt sie allein.“ Ashley versteckte ihr Gesicht in ihren Händen, sie schien diese Worte ehrlich auf sich wirken zu lassen. Dann sah sie auf und gab Lily einen Kuss auf die Wange. „Trotzdem, wofür habe ich meine Kräfte, wenn ich sie nicht dafür benutzen kann. Wofür bin ich denn nutze, wenn ich nichts ausrichten kann.“ Lily strich ihr durch die Haare. „Meine Liebe, du kannst etwas ausrichten, aber nicht immer. Genauso wenig wie ich das kann.“ Dann gab Lily Ashley einen innigen Kuss, der eine Ewigkeit zu dauern schien. Als sie diesen unterbrach gab sie Ashley das Tuch mit dem sie vorher die Platzwunde auf ihrer Stirn versorgt hatte. „Hier nimm das. Und ich bring dich so nah wie möglich an das Kloster ran.“ Ashley nickte. „Das gibt Ärger.“ Lily lächelte. „Heute vielleicht. Morgen sieht es sicher schon wieder anders aus.“ Und damit nahm sie Ashley an der Hand und führte sie aus der Nebenstraße hinaus zu ihrem Auto. Kapitel 40: Ein neues Büro -------------------------- Charon saß relaxt auf einem bequemen Sessel in seinem kleinen Büro im obersten Stock des Stützpunktes der Dämonen. Er blätterte genüßlich in einer Zeitung und zog an einer Zigarre. Durch das einzige Fenster kam schwüle Sommerluft herein, weshalb unter dem Fenstersims ein Ventilator stand, der auf volle Kraft aufgedreht war. Vor einigen Stunden hatte er von Lucas dieses Büro zugewiesen bekommen, aufgrund seiner großartigen Leistungen. Er war höchst zufrieden mit sich, denn er wusste, dass diese Geste bedeutete, dass er nach so langer Zeit endlich dabei war, aufzusteigen in der Hierarchie der Dämonen. Endlich hatte er das, was er sich schon so lange ersehnte und das ohne die Mithilfe seiner „Angetrauten“. Zumindest nicht ganz. Aber wie sie dazu beigetragen hatte, würde sie wohl nie erfahren. Lucas hatte ihr sein Wort gegeben, dass er dafür sorgen würde, dass es ein Geheimnis blieb. So saß er nun hier und sinnierte über seine glorreiche Zukunft in der oberen Etage der Dämonen nach, als er jäh aus seinen Gedanken gerissen wurde. Draußen auf dem Gang, wo sehr viele Dämonen um diese Tageszeit unterwegs waren, herrschte allem Anschein nach ein ziemlicher Aufruhr. Wutentbrannte Schreie waren zu hören und einige Gegenstände schienen mit etwas Hilfe zu Boden geworfen zu werden. Argwöhnisch sah Charon von seiner Zeitung auf. Plötzlich wurde alles wieder still und er dachte schon, dass es nur ein unbedeutender Streit zwischen zwei Kollegen war, doch dann flog mit einem Mal die Bürotür auf und wurde von der Wucht aus einer Angel gerissen. Noch bevor Charon vor Schreck die Zigarre aus dem Mund fiel, war Lily blitzschnell herein gestürmt und hatte ihn in Windeseile am Kragen gepackt und gegen die Wand geschleudert. Als er zu Boden sank, röchelte er schwer. „Was zum Teufel soll das? Bist jetzt vollkommen übergeschnappt?“ Lily beachtete ihn nicht. Vor der Tür hatten sich einige Dämonen versammelt und starrten neugierig hinein. Lily wandte sich an sie und fauchte sie wütend an. „Verschwindet, das hier geht euch nichts an!“ Ihre Augen funkelten dunkel und zum ersten Mal seit langen, war in ihnen ein rotes, dämonisches Leuchten zu sehen. Und das war wohl auch der Grund warum die Schaulustigen vor der Tür sich innerhalb weniger Sekunden so schnell wie möglich aus dem Staub machten. Dann wandte sie sich wieder an Charon an, der sich seinen schmerzenden Hals rieb. Auch er hatte das Leuchten in ihren Augen gesehen und wusste, dass man sie besser nicht noch mehr wütend machte. „Was willst du? Ich hab dir nichts getan, verdammt noch mal.“ Lily war nicht beeindruckt. „Du weißt genau, warum ich hier bin, also stell dich nicht dumm.“ Charons Blick zeigte ehrliches Entsetzten „Bist du völlig übergeschnappt? Was machst du hier so eine Szene? Ist es immer noch wegen deiner Hure, die wieder zu ihresgleichen abgezogen ist.“ Damit traf er sichtlich einen Nerv, denn Lily packte ihn mit der einen Hand erneut am Kragen und zog ihn hoch, während sie ihm mit der anderen einen Dolch an den Hals hielt. Und das ließ ihn augenblicklich verstummen. „Halt deine dämliche Klappe. Du antwortest von jetzt an nur noch auf meine Fragen und sonst gar nichts. Wenn du nur noch einen einzigen anderen Ton von dir gibst, werde ich ungemütlich.“ Charon setzte noch einmal an „Aber…“ doch Lily drückte ihm den Dolch fester an den Hals und ritzte damit an der Haut. Einige Tropfen Blut quollen aus dem kleinen, feinen Schnitt. Das führte dazu, dass Charon das alles hier endlich ernst nahm. Er hob beschwichtigend die Hände und presste ein nervöses. „Schon gut. Ich bin ganz Ohr.“ heraus. Lily lächelte diabolisch, lockerte den Druck auf seinem Hals aber nicht. „So ist es brav. Warum nicht gleich so?“ Charon antwortete nicht, was Lily als Zeichen verstand, dass ihm klar war, wer gerade das Sagen hatte. „Sag mir, wo das Mädchen ist!“ Ungläubig blickte Charon sie an. Er schüttelte leicht den Kopf, jedoch so, dass ihr Dolch nicht an seinem Hals rieb. „Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich nicht weiß, wohin deine Schlampe sich verzogen hatte.“ Lily zischte ziemlich ungehalten: „Du Vollidiot! Ich rede nicht von Ashley. Ich rede von ihrer Nichte Kacey!“ Charon zögerte einen Moment, was ihm wenig später zum Verhängnis wurde. Denn dadurch wusste Lily, dass er log, als er antwortete: „Ich habe keine Ahnung, wer diese Kacey bitte sein soll.“ Lily trat mit dem Knie in den Magen und er sackte kurz vor Schmerz zusammen. „Das hilft deinem Gedächtnis sicher ein wenig auf die Sprünge. Was ist also?“ meinte sie kalt lächelnd. Einige schwere Atemzüge später fand Charon wieder den Atem, um zu sprechen. „Ach du meinst die Kacey, ihre Nichte. Sag das doch gleich, denkst du dir, ich merke mir den Namen von jedem Schattengängerbalg?“ Lilys Ungeduld äußerte sich nun, indem sie den Dolch kurzzeitig von seinem Hals entfernte und ihm eine tiefe Wunde auf der Wange zufügte. Er stöhnte kurz vor Schmerzen auf und starrte sie voller Entsetzen an. „Rede endlich, sonst vergesse ich mich und nehme dich auseinander, ist das jetzt endlich klar?“ Mit der Hand fuhr sich Charon über seine Wunde und wischte das Blut weg, welches sich inzwischen gebildet hatte. Dann sah er Lily immer noch voller Unglauben über das, was sich gerade hier abspielte an. „Gestern Nacht hab ich die Kleine von ihren Eltern weg geholt. Die waren ziemlich hartnäckig, wollten sie einfach nicht rausgeben, haben sich sogar gewehrt, diese Idioten.“ Verächtlich spuckte er auf den Boden. Lily gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Hör auf mich mit diesen unwichtigen Details zu langweilen. Sag mir, was du mit ihr gemacht hast und wo du sie hingebracht hast!“ Charon hob erneut abwehrende die Hände, eine war immer noch vom Blut auf seiner Wange verschmiert. „Ich hab nichts mit ihr gemacht, das schwöre ich. Ich hab sie nur brav am Treffpunkt abgeliefert und übergeben. Das war gestern Vormittag. Seitdem hab ich das Mädchen weder gesehen noch etwas davon gehört.“ Lily musterte ihn einen Moment, als wolle sie so abklären, ob er auch die Wahrheit sagte. Schließlich gelang sie wohl zu der Entscheidung ihm zu glauben. „Wem hast du sie übergeben. Und wo ist sie jetzt?“ Charon schluckte. In seinem Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Er steckte ziemlich in der Klemme. Wenn er es ihr nicht verriet, so würde sie ihr Versprechen wahr machen und ihn auseinander nehmen. Wenn er ihr es aber sagte, könnte es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Ärger mit Lucas kommen. Während er noch darüber nachdachte, merkte er nicht, wie Lilys Geduld erneut versiegte. Sie trat gegen sein Schienbein. „Was ist, bist du eingeschlafen, oder was? Antworte mir gefälligst.“ Er wagte es nicht, sich das schmerzende Schienbein zu reiben. Stattdessen traf er seine Entscheidung. Er hatte keine Lust hier noch länger von Lily malträtiert zu werden. „Ich habe sie an Lucas persönlich übergeben. Er wollte das selbst in die Hand nehmen, schätze ich. Ist ja auch ein besonderer Fall.“ Lilys Argwohn war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Doch als sie Sprach war davon nichts wirklich zu erkennen. „Wo ist er? Lucas ist nicht hier und wenn Kacey hier wäre, dann hätte ich es längst erfahren.“ Charon nickte zustimmend. „Deshalb ist sie nicht hier. Er wollte verhindern, dass du es erfährst, bevor du eingreifen kannst.“ Lily funkelte ihn böse an. „Dann sag mir wo er und Kacey sind und weich der Antwort nicht immer aus.“ Charon musterte sie einen Moment und Lily war schon dabei, ihm den nächsten Schlag zu versetzten, als er hastig antwortete: „Schon gut. Lucas wollte sie sich draußen vor der Stadt bei einem verlassenen Restaurant an der Landstraße vornehmen. Du weißt schon, das, welches einige der Unterweltler immer wieder mal gerne als Versteck vor den Schattengängern nutzen. Wieder schien Lily genau abzuwägen, ob sie ihm nun Glauben schenken würde oder nicht. Allerdings war ihr auch klar, dass er inzwischen wohl doch geschnallt hatte, dass es unklug wäre sie jetzt anzulügen. Sie ließ schließlich von ihm ab und Charon wischte sich mit einem Ärmel erneut Blut aus dem Gesicht. Lily steckte den Dolch weg und sah ihn noch einmal an. „Wann genau hast du sie dort abgeliefert?“ Charon sah zu einer Uhr über der Tür, die immer noch halb in der Angel, halb herausgebrochen dort hing. „Vor ungefähr anderthalb Tagen. Die Kleine hat noch etwa zehn Stunden, bevor Lucas es beenden wird, falls es das war, was du wissen wolltest.“ Lily drehte sich um und marschierte auf die Tür zu. Im Gehen rief sie Charon noch zu: „Wir werden uns über die Sache ganz in Ruhe unterhalten, wenn ich wieder da bin.“ Und damit verschwand sie hinaus auf den Gang. Charon starrte ihr minutenlang nach, so als ob er damit rechnen würde, sie käme zurück und würde ihm den Rest geben. Schließlich, als er sich sicher war, dass das nicht passieren würde und Lily das Gebäude wohl schon verlassen hatte, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Nach einigen Sekunden nahm jemand am anderen Ende der Leitung ab. „Hallo, hier ist Charon. Ich muss mit Lucas reden. Sag ihm es ist dringend.“ Der Angerufenen antwortete kurz und Charon, offensichtlich nicht glücklich über seine Antwort schnauzte in das Telefon. „Das hier wird ihn aber interessieren. Also beeil dich und hol ihn ans Telefon.“ Und offensichtlich reichte diese Aussage, denn Charon ließ sich zufrieden in seinem Sessel nieder. Nun musste er Schadensbegrenzung betreiben. Kapitel 41: Ein Restaurant an der Landstraße -------------------------------------------- Nur ein paar Stunden später fuhr Lilys Auto vor dem verlassenen und verfallenen Restaurant an der Landstraße vor. Das Gebäude wirkte ziemlich einsturzgefährdet und es war kein Wunder, dass selbst die Schattengänger hier nicht her kamen und deshalb keine Ahnung hatte, was genau sich innerhalb der Mauern abspielte. Obwohl Lily da schon eine wesentlich klarere Vorstellung davon hatte, war sie auch nicht wirklich erpicht darauf, Einzelheiten zu erfahren. Schon von weitem hatte sie bemerkt, dass hier einige Dämonen auf der Lauer lagen, die ihre Anwesenheit mit Magie verschleierten. Aber Lily war einfach zu bewandert, in der Kunst dämonischer Magie, als dass sie es nicht bemerkt hätte. Unbeeindruckt marschierte sie schnurstracks auf den Eingang zu. Und bis nur wenige Meter vor der Tür blieb sie auch unbehelligt. Dann tauchte aus dem Nichts vor ihr ein großgewachsener Wächterdämon auf, den Lily unter dem Namen Neil kannte. Er baute sich bedrohlich vor ihr auf. Aber Lily beachtete ihn gar nicht und machte Anstalten einfach an ihm vorbei zugehen. Das ließ er aber nicht zu. Er versperrte ihr rigoros den Weg und knurrte: „Halt, du hast hier keinen Zutritt.“ Lily sah ihn ziemlich herablassend an. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wer ich bin, du dämlicher Lackaffe?“ Er nickte und meinte. „Ich weiß sehr genau, wer ihr seid, Fürstin. Aber ich habe von Fürst Lucas den Befehl erhalten niemanden und ganz besonders euch nicht hier eintreten zu lassen.“ Lilys rechte Augenbraue schnellte für eine Sekunde nach oben. „Das ist aber nicht sehr nett. Nun wenn er mich nicht reinläßt, dann werde ich wohl verlangen müssen, dass er sich nach draußen begibt.“ Neil starrte sie an. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. „Das ist ein ungewöhnlicher Wunsch. Fürst Lucas ist mitten in dem Ritual zur Zerstörung der Kraft eines Schattengängers.“ Lily grinste. „Oh ich weiß sehr genau, was er da drin grade macht, kein Grund mich darüber zu belehren. Dennoch muss ich darauf bestehen, dass mir entweder Einlass gewährt wird, oder sich der Fürst zu mir nach draußen bequemt.“ Neil konnte offenbar immer noch nicht glauben, was Lily da von ihm verlangte. Doch, da er deutlich in einer niedrigeren Position war als sie, schien er hier eine Konfrontation unbedingt vermeiden zu wollen. „Ich werde eure Bitte dem Fürsten weiterleiten.“ Lily nickte, fügte jedoch hinzu. „Sag ihm, wenn er meiner Bitte nicht nachkommt, werde ich andere Methoden finden, um da hinein zu kommen.“ Da Neil sich nicht umdrehte, konnte Lily sich nicht ganz sicher sein, ob er verstanden hatte. Gehört hatte er sie auf jeden Fall, dass war ihr klar. Geduldig setzte sie sich auf den oberste Stufe vor dem Eingang, durch den Neil gerade verschwunden war. Sie wusste, dass noch ein paar mehr von seiner Sorte hier im Verborgenen lauerten. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Mit der Hand fächerte sie sich Luft zu, denn es herrschte eine unangenehme drückend schwüle Hitze. Die Sonne würde in Kürze untergehen und der Tag wieder einmal der Nacht weichen. Minute um Minute verging und Lily sah den spärlichen Wolken am Himmel beim Vorbeiziehen zu. Drinnen regte sich nichts und auch hier draußen passierte nicht das Geringste. Seit sie hier war, war noch kein einziges Fahrzeug die Straße entlang gekommen, was die Einsamkeit und Abgelegenheit dieses Ortes noch zusätzlich untermauerte. Fast 15 Minuten saß sie dort, bis endlich die Türe aufging und Neil heraustrat. Er sagte nichts, sondern hielt die Tür auf und wies sie wortlos an, einzutreten. Lily erhob sich und schenkte Neil noch ein dankbares Nicken, bevor sie in den kühlen Innenraum des ehemaligen Schnellrestaurants eintrat. Drinnen war es durch die geschlossenen Vorhänge ziemlich dunkel. Erst nach einigen Augenblicken erkannte Lily, dass rechts von ihr, am Ende der Fensterfront eine Gestalt an einem Tisch saß und sie beobachtete. Ihr Gefühl täuschte sie nicht, denn im Näherkommen erkannte sie Lucas. Sie ließ sich seelenruhig ihm gegenüber nieder und starrte ihn an. Es dauert auch nicht lange, bis er das Wort ergriff. „Ich werde dich nicht fragen, warum du hier bist. Ich weiß es schon. Aber ich sage dir, dass ich das Mädchen nicht freigeben werde.“ Lily legte den Kopf schief. Sie ahnte, wie das weitergehen würde, also beschloß sie seinen Machtspielchen früh genug einen Riegel vorzuschieben. „Und ob du das wirst, Lucas. Wenn nicht freiwillig, dann werde ich mit Gewalt dafür sorgen. Und glaube ja nicht, ich hätte aufgrund deiner Stellung und deinen vielen Bodyguards hier Skrupel das zu tun.“ Lucas sah sie düster an. Er schien irgendwie schon damit gerechnet zu haben, dass sie sich nicht so einfach abwimmeln ließ. „Ich kann sie dir nicht überlassen.“ Meinte er knapp. Lily jedoch zeigte sich unbeeindruckt. „Es ist mir egal. Du wirst sie gehen lassen und in meine Obhut übergeben. Du hast hier keine Wahl, Lucas.“ Lucas lehnte sich vor und ein kleiner, schwacher Lichtstrahl der untergehenden Sonne umspielte sein markantes Gesicht. „Warum willst du das Mädchen überhaupt? Ich kann verstehen, warum du deine Bettgefährtin beschützt und behalten willst, aber die Kleine? Ich wusste nicht, dass du auf Jüngere stehst.“ Lily funkelte ihn an, sie wusste, dass er sie nur provozieren wollte, doch dazu ließ sie sich nicht hinreißen. „Warum ich sie will, spielt keine Rolle und hat dich nicht zu interessieren.“ Doch Lucas konterte „Und ob es das hat. Ich muss nämlich vor dem Rat rechtfertigen, warum ich sie dir gegeben habe. Und warum du sie nicht töten wirst, denn ich schätze mal nicht, dass du das Ritual zu Ende bringen wirst, oder?“ Mit starrem Blick in Lucas Augen erwiderte Lily: „Ich glaube nicht, dass es den Rat irgendwie interessiert, was ich mit ihr mache oder nicht. Diese Belange waren denen noch nie wichtig.“ Verächtlich schnaubte Lucas: „Wie lange willst du dich noch der Illusion hingeben, dass die dir alles durchgehen lassen. In den letzten 15 Jahren hast du dir Dinge herausgenommen für die andere Dämonen schon exekutiert worden wären.“ Lily lächelte böse. „Ich bin nicht wie andere Dämonen.“ Lucas beugte sich weit vor und flüsterte nun „Ja und das ist dein einziges Glück.“ Er machte einige Sekunden Pause dann fuhr er fort. „Als du sie gerettet hast, habe ich dir schon angedroht, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf. Und jetzt bist du hier und verlangst so etwas. Was in aller Welt veranlaßt dich zu so einer idiotischen Tat?“ Lily wog sorgfältig ab, was sie ihm nun antwortete. „Solange die Kleine bei ihren Eltern bleibt, ist sie keine Gefahr für uns. Für die Schattengänger ist sie beschädigte Ware. Es ist also nichts verloren.“ Lucas schlug mit der Faust auf den Tisch. „Jetzt vielleicht nicht, aber was ist in zehn oder 15 Jahren, wenn sie ihre Kräfte manifestiert hat und mit ihnen auch umgehen kann. Wer oder was hindert sie bitte daran, uns dann zu jagen, wie es der Rest ihresgleichen tut?“ Lily lächelte gequält. „Wenn wir sie nicht jagen, hat sie keinen Grund dazu. Vielleicht könnte sie uns noch mal nützlicher sein, als wir das erwarten.“ Lucas lehnte sich wieder ins Dunkel zurück. „Du glaubst doch nicht mal selbst deine kühnen Behauptungen. Du willst mich nur überreden, sie dir zu geben.“ Lily lehnte sich auch zurück. „Vielleicht. Fakt ist, dass ich alles tun werde, um sie hier weg zu holen. Es liegt also tatsächlich nur an dir, Lucas.“ Er musterte sie eindringlich. „Es ist dir ernst, du würdest mich sogar herausfordern?“ Lily nickte zur Antwort. Lucas fuhr fort „Wenn du das tust, dann wird dich nichts und niemand mehr vor den Konsequenzen bewahren. Du magst eine Erzdämonin sein, aber das ist dein letzter Nagel in deinem Sarg.“ In seiner Stimme lag etwas Flehendes. „Es ist mir klar, was das nach sich zieht.“ Meinte sie kühl. Lucas fuhr sich mit einer Hand über die Glatze. „Ich kenne dich schon so viele Jahrhunderte, Lily. Dieses Schattengängermädchen kann doch das alles nicht Wert sein. Wegen ihr gibst du all das auf, was du dir dein ganzes Leben so hart erarbeitet hast. Ist sie es wirklich wert?“ Lily nickte. „Und ob sie das ist.“ Lucas schloß die Augen. „Ich sehe, es ist sinnlos mit dir vernünftig zu reden, du hast den Blick für das Wesentliche wohl schon viel zu lange verloren.“ Lily musterte ihn, als er nicht weitersprach und meinte dann: „Heißt das, dass ich mit dir um sie kämpfen muss.“ Lucas lachte sein kehliges Lachen „Nein, ich werde mit dir nicht kämpfen. Das könnte dir so passen. Im Gegenteil.“ Er stand auf und griff in seine Hosentasche. Er zog einen kleinen Schlüssel hervor. „Sie ist in einem Lagerraum hinter der Küche. Bitte, nimm sie mit. Wir werden dich nicht aufhalten.“ Lily blickte ihn ungläubig an. „Ach wirklich?“ Er lachte wieder „Du hast mein Wort. Wenn du dir dein Grab schaufeln willst, werde ich dich gewiß nicht davon abhalten.“ Er stand auf und ging an ihr vorbei ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Er verließ das Restaurant durch den Ausgang. Lily saß einige Augenblicke ungläubig über ihren jähen und etwas unerwartet leichten Sieg da und starrte ihm nach. Dann erhob sie sich schließlich und ging nach hinten zu dem Lagerraum. Rechts von der Küchenzeile, die mit zentimeterdickem Staub bedeckt war, entdeckte sie die Tür. Sie steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn. Die Tür sprang auf und Lily ging hinein. Aus ihrer Tasche zog sie eine kleine Taschenlampe, die spärliches Licht spendete. Der Lichtkegel fiel schließlich auf eine kleine zusammengekauerte Gestalt, welche sich hinter einem Regal versteckte. Lily ging langsam auf sie zu. Je näher sie kam, desto mehr wimmerte das kleine Mädchen. Beruhigend hob Lily die Hand, in welcher sie nicht die Taschenlampe hielt. „Keine Angst, Kacey ich werde dir nichts tun. Ich bring dich wieder nach Hause.“ Argwöhnisch hob das Mädchen den Kopf und gab den Blick auf ein ziemlich verwüstetes, kleines Gesicht frei. Es waren deutliche Spuren der letzten Stunden. „Nach Hause?“ fragte sie schwach. Lily lächelte „Ja genau, zu deinen Eltern. Die sind schon ganz krank vor Sorge um dich.“ Sie griff vorsichtig nach dem Arm des Mädchens, aber im letzten Moment entzog sich Kacey ihr. „Woher weiß ich, dass sie mir nicht wehtun wollen, wie dieser böse Mann. Ich kenne sie doch nicht.“ Lily nickte zustimmend. „Du kennst mich nicht, das ist wahr. Aber ich kenn deine Tante Ashley sehr gut und die hat mich geschickt, damit ich dich wieder heimbringe.“ Kacey sah sie fragend an. Offenbar glaubte sie ihr immer noch nicht ganz. „Beweisen sie es.“ Verlangte sie und Lily konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Beweisen soll ich das. Hm das ist schwierig. Wie war es, wenn du mir einfach eine Frage stellst.“ Kacey legte die Stirn kraus und verschränkte die Arme vor der Brust. „So läuft das aber nicht!“ Lily musste wieder lächeln. Angesichts der Situation in der sie sich befand, bewies dieses kleine Mädchen ziemlich Mut. Es erinnerte sie sehr an Ashley. „Okay, dann laß mich überlegen.“ Setzte Lily an. Schließlich schien ihr endlich etwas einzufallen. „Als du noch etwas kleiner warst, war deine Tante eine Weile bei euch zu Besuch und sie hat dir abends vor dem Schlafen gehen immer ein Märchen vorgelesen. Du wolltest immer nur das eine hören.“ Kaceys Blick erhellte sich. Sie schien sich daran zu erinnern, war aber immer noch nicht ganz überzeugt. „Welches?“ fragte sie forsch. Lily kratzte sich an der Stirn. „Ich denke, es war Rotkäppchen. Sie hat mir erzählt, dass sie dir versprochen hat, sie würde immer alles tun, um dich vor dem bösen Wolf zu beschützen.“ Ein paar Tränen glitzerten in den Augen des kleinen Mädchens, aber es waren eher Tränen der Freude als die der Trauer. „Das stimmt!“ rief sie aus und fiel Lily in die Arme. Wieder lächelte Lily. „Dann bringen wir dich schleunigst heim, damit sich Ashley keine Sorgen mehr macht. Kacey nickte zustimmend. Während die Beiden das Restaurant verließen, kramte Lily nach ihrem Handy. Sie wählte eine ihr allzu bekannte Nummer. Etwas enttäuscht hörte sie, dass der Anrufbeantworter ran ging, dennoch sprach sie eine kurze Nachricht. „Mach dir keine Sorgen mehr. Kacey ist in Sicherheit. Ich bringe sie jetzt heim und sorg dafür, dass ihr nichts mehr passiert, dann komm ich zu dir… wenn du das willst. Lass von dir hören, wenn du das abhörst.“ Kacey zupfte fragend an ihrem Jackenärmel. „War das Tante Ashley?“ fragte sie. Lily nickte. „Nur ihr Anrufbeantworter. Vielleicht hat sie das Telefon nicht gehört oder sie schläft schon.“ Kacey sprang fröhlich ins Auto hinein und meinte: „Das wird es sein!“ Und als sich auch Lily hinter dem Steuer niederließ, dachte sie: Ja, das muss es wohl sein. Kapitel 42: Die Sommernacht --------------------------- Ashley saß kurz vor Sonnenuntergang alleine in ihrer Wohnung auf einem Stuhl vor dem Fernseher. Bis vor wenigen Minuten war sie schluchzend und weinend bei dem kleinen Esstisch gestanden und hatte sich ganz ihrer Verzweiflung über das Schicksal ihrer Nichte ergeben. Durch diese Verzweiflung hatte sie hastig ein paar Worte auf einen Zettel geschrieben. Worte, welche etwas erklären sollten, aber für sie waren diese schon in dem Moment bedeutungslos geworden, in dem sie geendet hatte. Mit leeren Augen starrte sie auf den Fernseher, der in einer Lautstärke lief, über die sich die meisten Nachbarn wohl beschwert hatten. Aber es kümmerte sie nicht. Sie konnte auch nicht wirklich aufnehmen, was genau gerade auf der Mattscheibe lief. Kurz sah sich Ashley in ihrer kleinen Wohnung um. Zum ersten Mal, seit sie hier vor einem Jahr eingezogen war, um auf Duncans Wunsch etwas Abstand von den Abgeneigtheiten ihrer „Kollegen“ zu gewinnen, war die Wohnung in einem einwandfreien Zustand. Die Küche war geputzt und aufgeräumt. Alle Zeitschriften waren entsorgt oder sauber und ordentlich auf einen Stapel neben dem Telefon, welches auf einem kleinen Tischchen neben der Tür zur Diele stand, hingelegt worden. Ein unbeteiligter Beobachter hätte wohl die Vermutung gehabt, dass Ashley Besuch erwarte und deshalb alles ordentlich aufgeräumt hatte. Doch die Wahrheit war, dass sie in den letzten Stunden einfach etwas tun musste, um sich abzulenken. Doch als sie fertig war, war ihr auch die Ablenkung ausgegangen und ihre Gefühle hatten sie erneut übermannt. Es gab nichts und niemanden, der sie jetzt noch trösten konnte oder von dem sie sich Trost erhoffen wollte. Sie wusste zwar, dass Emma im Laufe des Tages mehr als einmal angerufen hatte und auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Ashley hatte aber nicht zurückgerufen. Vielleicht war es ein Trick von Duncan, der nur sicher gehen wollte, wo sie war, um ihr seine Bluthunde auf den Hals zu schicken und sie endgültig mundtot zu machen. So lange wollte Ashley aber nicht warten und sie wollte ihm auch nicht die Genugtuung geben, sich so leicht von ihm schnappen zu lassen. Sie konnte schlichtweg nirgendwo hin. Dass sie sich gegen Duncan gestellt hatte, hieß, dass sie sich endgültig von den Schattenjägern losgesagt hatte. Und egal was Trinity sagte, sie konnte nicht zu Lily gehen. Die hatte damals, als man sie zu den Schattengängern geholt hatte, klipp und klar gesagt, dass sie sie nicht aufnehmen könnte. Und im Moment war Ashley einfach zu sehr wütend und verletzt, um auch nur in Betracht zu ziehen, Lily um Hilfe zu bitten. Was sie von Charon erfahren hatte, war einfach nur die Spitze des Eisberges und eine böse Stimme in ihrem Hinterkopf machte ihr ein ums andere Mal klar, dass Duncan recht hatte, wenn er meinte, dass Lily sie von Anfang an nur ausgenutzt hatte. Da war so vieles, was sich einfach nur verlogen anfühlte. Sie hatte nie so richtig irgendwo dazugehört. Schon bevor die Schattengänger sie bei sich aufgenommen hatten. Und es war eine Tatsache, dass Lily daran nicht ganz unschuldig war. Sie hatte sie stets vor anderen ferngehalten mit der Begründung, dass sie so unauffällig wie möglich durchs Leben gehen müssen. Doch gebracht hatte es ihr letztlich nichts. Duncan hatte sie gefunden, weil es ab einem gewissen Punkt schlichtweg nicht mehr möglich war, dass sie unauffällig blieb. Ihre Kräfte wurden irgendwann zu groß dafür. Und jetzt musste sie den Preis dafür zahlen, dass sie das unvermeidliche so lange hinausgezögert hatte. Sie öffnete ihre Hand und ließ das Knäuel Papier auf den Boden fallen. Ihre andere Hand zitterte als sie sie hob und zu ihrem Kopf führte. Sie hielt die Luft an. In ihr kämpften zwei laute Stimmen um Gehör, die eine schrie, dass sie aufhören sollte und die andere brüllte ihr lauthals zu, die letzte Bewegung mit dem Finger zu machen. Das Telefon klingelte, aber Ashley war viel zu sehr damit beschäftigt, den Stimmen in ihrem Kopf Gehör zu schenken, als der vertrauten Stimme zu zuhören, die ihr jetzt eine Nachricht auf den Anrufbeantworter sprach. Eine Nachricht, die so manches einfacher machen konnte. Doch dieses Für und Wieder verschwamm plötzlich, Ashley fiel vom Stuhl und landete auf dem Boden. Für sie wurde alles dunkel. Draußen auf der Straße hatten einige Leute den lauten Knall vernehmen können, der Ashley niedergestreckt hatte. Aber keinen schien es wirklich zu kümmern, am Beginn dieser heißen, wundervollen Sommernacht. Keinen außer Emma, die zwar zu weit weg war, um auszumachen, wo dieses Geräusch hergekommen war, aber instinktiv spürte, wohin sie gehen musste. Sie sprintete die letzten Meter der Straße zum Treppenaufgang des Wohngebäudes und stand wenige Sekunden später vor der Wohnungstür. Anstatt zu klingeln, hämmerte Emma wie wild gegen die Tür und brüllte aus Leibeskräften: „Mach die Tür auf, verdammt noch mal!“ Es kümmerte sie nicht im Geringsten, dass andere Bewohner des Hauses sich nach der Quelle des Lärmes umsahen und die Köpfe schüttelten. Es vergingen Minuten und Emma fasste den Entschluss, dass sie einen anderen Weg finden musste, in die Wohnung zu gelangen, als darauf zu warten, dass sie geöffnet wurde. Sie vertraute auf das dunkle Gefühl irgendwo in ihrer Magengrube und trat schließlich mit voller Wucht solange auf die Tür ein, bis das Schloss heraus gebrochen war. Sie stürmte durch die Diele in den Wohnraum hinein und hielt den Atem an. Entsetzt sah sie, wie Ashley auf dem Boden lag und um sie bildete sich eine Blutlache. Sie lief zu ihr und fühlte den Puls ihrer Freundin. Sie versuchte sich zu beruhigen und nicht von der Panik übermannen zu lassen. Und tatsächlich. Emma konnte sehr schwach einen Puls ausmachen. Ashley war noch am Leben. Und das sollte auch so bleiben. Sie riss sich ein Stück von ihrem Ärmel ab und drückte das Textil auf die lange, stark blutende Kopfwunde, während sie mit ihrem Handy den Notruf wählte. „Du musst durchhalten, Ashley.“ flüsterte sie mit heiserer Stimme. Kapitel 43: Kritischer Zustand ------------------------------ Es war kurz nach Mitternacht, als Duncan vor dem Bezirkskrankenhaus aus dem Auto stieg. Connor, der den Wagen fuhr, sollte nach einem Parkplatz suchen. Duncan zog seinen langen Mantel enger um sich, was angesichts der immer noch sehr schwülen Temperaturen fast wie ein Versuch schien, sich einen Scherz zu erlauben. Doch Duncan war nicht zum Scherzen aufgelegt. Der Grund warum er hier her musste, war keineswegs angenehm. Emma hatte ihn erst vor einer Stunde über das informiert, was passiert war. Sie war viel zu aufgewühlt gewesen und hatte zwei Stunden lang die Fragen der Ärzte beantworten müssen. Mit gemischten Gefühlen betrat er nun die Empfangshalle des Krankenhauses. Einerseits war er ziemlich geschockt über das, was Ashley getan hatte. Andererseits gab es einen Teil in ihm, der sich aufgrund all jener Dinge, die sie zu ihm gesagt hatte, wünschte, dass das alles hier einen ganz bestimmten Ausgang hatte. Doch jetzt räumte er diesen Gedanken beiseite und ging zur Rezeption, wo er eine Schwester fragte, wo er hingehen sollte. Aber bevor sie ihm eine Antwort gab, kam Emma mit düsterer Miene den Flur entlang auf ihn zu. An ihren Klamotten sah man deutlich noch einige Tropfen Blut. Ihr langes Haar war zerzaust und sie machte den Eindruck, als würde sie immer noch ziemlich neben sich stehen. Als Duncan sie bemerkte wandte er sich von der Schwester ab und ging ein paar Schritte auf sie zu. Bevor sie etwas sagen konnte raunte er „Wo ist sie?“ Einen Moment lang war sie etwas pikiert über sein Verhalten. Doch dann trat sie zur Seite und wies ihm den Weg. Nach einigen Schritten flüsterte Emma mit schwacher Stimme: „Sie liegt auf der Intensivstation.“ Duncan gab sich Mühe, jegliche Gefühlsregung zu vermeiden. Als die beiden in einen Fahrstuhl stiegen meinte er: „Was sagen die Ärzte?“ Emma rieb sich die Augen. Sie kämpfte um ihre Fassung. „Die Wucht der Kugel war wohl so heftig, dass es eine Schwellung im Gehirn verursacht hat.“ presste sie hervor. Duncans Antwort war ein ziemlich abschätziges „Hm“ Emma schien es nicht zu registrieren. Sie sprach weiter: „Sie hat es sich wohl noch mal anders überlegt. Die Kugel hat ihre Stirn gestriffen, deswegen hat sie ziemlich geblutet.“ Duncan nickte stumm und lies Emmas kurzen Bericht auf sich wirken. Erst als die Türen des Fahrstuhls wieder aufgingen, meinte er: „Was für eine Aussicht hat sie?“ Emma schluckte. „Das hängt davon ab, ob die Schwellung zurückgehen wird.“ Nüchtern erwiderte Duncan daraufhin. „Ich verstehe.“ Emma und er gingen wenige Augenblicke später durch eine Tür zur Intensivstation. Nach einigen Metern blieben sie vor einem Zimmer stehen. Die Türen und Fenster ließen den Blick ins Zimmer zu. Auf dem Bett lag Ashley mit einem ziemlich großen Verband um den Kopf und an allerlei Geräte angeschlossen, die ihre Werte überwachten. Duncan starrte lange Zeit kommentarlos durch das Glas. Er rührte sich nicht vom Fleck und sagte nichts. Sein Schweigen wurde Emma langsam unangenehm. Irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck bereitete ihr ziemliches Kopfzerbrechen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und fragte ihn: „Was passiert jetzt?“ Duncan löste sich aus seiner Starre und sah ihr direkt in die Augen „Diese Sache wird Konsequenzen nach sich ziehen.“ Emma glaubte sich verhört zu haben, doch als Duncan weiter sprach, wurde sie eines besseren belehrt. „Bis sie aufwacht, wird sie unter ständige Beobachtung gestellt. Und auch um das Krankenhaus sollen sich unsere Leute postieren. Ich will, dass niemand hier rein kommt, ohne dass ich davon erfahre.“ Emma starrte ihn mit offenem Mund an. „Willst du nicht wohl eher verhindern, dass sie hier abhaut?“ Angesichts seines wütenden Blickes, wusste Emma, dass sie zu weit gegangen war. Deshalb wagte sie es nicht, etwas darauf zu erwidern, was Duncan zufrieden bemerkte. „Was ich tue, tue ich zum Schutz des Ordens und seiner Mitglieder und es steht dir nicht im Geringsten zu, meine Anweisungen in Frage zu stellen.“ Emma nickte betreten. Doch was er sagte, bestätigte umso mehr, dass er andere Beweggründe hatte, als jene, die er hier vorschob. „Was wird mit ihr passieren, wenn sie wieder aufwacht?“ fragte Emma kleinlaut, als Duncan sich schon wieder zum Gehen wandte. Er drehte sich kurz um und musterte sie, so als ob er überlegen musste, ob sie es überhaupt verdiente, eine Antwort von ihm zu erhalten. Doch anscheinend kam er bald zu dem Schluss, dass es wohl nicht so schlimm war, wenn er sich zu einer Antwort herabließ. „Sie wird wieder in die Familie geholt. Aber was genau dann mit ihr passiert, muss ich erstmal mit einigen Leuten bereden. Das gilt natürlich nur, wenn sie das alles hier überlebt.“ Er schenkte ihr ein ziemlich seltsames Grinsen, was angesichts der Tatsache, dass es hier um ein Menschenleben ging, nicht gerade angebracht schien. Und als Duncan den Flur entlang zurück ging und Emma ihm nachschaute, war sie sich sicher, dass sie sich wohl so schnell nicht von der Stelle rühren sollte und erstmal bei Ashley bleiben musste. Sie ging in das Zimmer und setzte sich neben Ashley ans Bett. „Das wird schon wieder. Du wirst sehen.“ flüsterte sie ihr zu. Kapitel 44: Dazwischen ---------------------- Eine beißende Kälte nagte an Ashley. Als sie ihre Augen öffnete wurde sie von einem hellen Licht so geblendet, dass sie nichts sah. Doch dann wich das Licht langsam den immer schärfer werdenden Konturen eines wohlbekannten Raumes. Nur langsam allerdings dämmerte ihr, was für ein Raum das war. Sie befand sich in ihrer Wohnung. Es war bereits dunkel. Sie selbst schien auf der Couch zu sitzen. Ashley erinnerte sich nicht, wie sie hier her gekommen war. Alles war sehr verschwommen. Sie stand auf und ging ein paar Schritte durch den Raum. Erst jetzt fiel ihr ein Stuhl auf, der in der Mitte des Zimmers stand. Und nun kamen auch die Erinnerungen zurück. Langsam, aber dafür umso heftiger brach alles auf sie ein. Ängstlich prüfte ihre Hand ihre Schläfe, doch da war nichts. Kein Schmerz, noch nicht einmal ein Kratzer. Sie sah an sich runter. Und erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht wie in ihrer Erinnerung Jeans und T-Shirt trug, sondern ein langes weißes Kleid. Misstrauisch blickte sie sich um. Irgendetwas hier war ganz und gar nicht in Ordnung. Hinzu kam das Gefühl, dass sie hier nicht alleine war. Also suchte sie vorsichtig den Wohnraum ab. Als sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnen wollte, stellte sie fest, dass diese verschlossen war. Ashley rüttelte heftig daran, sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie abgeschlossen hatte. Das hatte sie noch nie getan. Stirnrunzelnd stand sie schließlich vor der Tür, die sich nicht öffnen lassen wollte und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Plötzlich riss eine Stimme hinter ihr sie aus ihren Gedanken. „Auf diese Art und Weise kannst du diesen Ort nicht verlassen.“ Ashley fuhr wie vom Donner gerührt herum. Auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes saß nun ein hoch gewachsener Mann mit kurzen dunklen Haaren. Er war in eine dunkelrote Robe gehüllt und hatte eine Kapuze auf. Unter dieser leuchteten eisblaue Augen hervor. Ashley wich instinktiv vor ihm zurück. Der Mann stand auf und meinte beschwichtigend „Keine Sorge, ich werde dir nichts tun. Ich könnte dir ja schließlich nicht mehr antun, als du bereits dir selbst angetan hast.“ Ashley hob die Brauen und starrte ihn ungläubig an. Sie sagte aber nichts. Er ging um das Sofa herum und setzte sich. „Du kannst dich gerne setzten.“ Meinte er gelassen. Ashley sah sich noch einmal im Zimmer um, dann fragte sie ihn: „Wo bin ich hier? Das hier ist nicht meine Wohnung, oder?“ Er schenkte ihr ein bescheidenes Lächeln „Nein, du hast Recht, es ist nicht deine Wohnung.“ Da er weiter nichts mehr sagte, setzte Ashley nach: „Wo bin ich dann?“ fragte sie. Der Mann atmete tief ein „Das ist kompliziert.“ Ashley rollte zur Antwort mit den Augen „Dann entkomplizieren sie es bitte!“ fauchte sie genervt. Das Lächeln auf seinen Lippen schwand ein bisschen. „Du bist im Dazwischen.“ Meinte er schlicht. Ashleys Miene zeigte deutlich, dass sie das nicht verstand. Aber er sagte nichts. Schließlich lies sie sich breitschlagen, nachzufragen „Im Dazwischen wovon?“. Er sah sie nun direkt an und mit einer wesentlich ernsthafteren Miene als noch zuvor. „Zwischen Leben und Tod.“ Sagte er nüchtern. Nach einigen Augenblicken des Schweigens fügte er hinzu: „Das hier ist dein letzter Traum. Und es ist alles, was dich noch am Leben hält.“ Diese Aussage schockierte Ashley mehr, als sie erwartet hatte. Schwach flüsterte sie „Wer sind sie?“ Das Lächeln kehrte wieder auf sein Gesicht zurück und einen Moment lang fühlte sich Ashley wieder etwas sicherer „Ich bin niemand, der dir etwas antun will. Ich bin hier um dir zu helfen.“ Auch auf Ashleys Lippen kam nun ein Lächeln zustande, aber es war eher dazu da, ihre Angst und Unsicherheit zu verbergen und wirkte arg gekünstelt. „Und wie bitte soll das gehen?“ Raunte sie. Der Mann stand nun auf und kam ein paar Schritte auf sie zu. Ashley wich nicht zurück. Es hätte wohl eh keinen Sinn gemacht. „Du kannst das entscheiden.“ Ashleys Augen wurden finster und sie sah betreten zu Boden. „Ich denke, die Tatsache, dass ich mit einer Waffe auf mich geschossen habe, ist dann Beweis genug, dass ich mich entschieden habe, oder?“ Er schüttelte den Kopf. „Du hattest Zweifel in deinem Herzen, deswegen hast du die Waffe weggezogen. Und dieser Zweifel ist auch der Grund, warum ich jetzt mit dir reden kann und du diese Chance hast.“ Ashley sank zusammen und saß nun auf dem Boden. „Was ist, wenn ich diese Chance nicht verdient habe?“ Der Mann kam auf sie zu und setzte sich nun neben sie. „Das glaube ich nicht. Es gibt genug Menschen, denen du am Herzen liegst. Die meinen bestimmt, du hättest es verdient.“ Ashley sah ihn an und blickte ihm direkt in die Augen „Warum glaubst du, ich hätte sie verdient?“ Angesichts seiner Reaktion wusste Ashley, dass dies eine Frage war, die er ihr eigentlich nicht beantworten wollte. Jedoch tat er es. „Ich weiß, dass du noch ein Ziel hast. Dein Weg ist noch nicht zu Ende.“ Ashley musterte ihn kurz „Und woher weißt du das?“ Nun sah er ihr wieder direkt in die Augen, doch keineswegs mit einer so todernsten Miene wie zuvor. „Ich kenne dein Herz, Ashley. Und ich weiß, dass es da etwas gibt, dass du noch erreichen musst, weil niemand außer dir das erreichen kann.“ Etwas abschätzig erwiderte Ashley „Und das siehst du an meinem Herzen?“ Er lächelte wieder. „Ganz genau.“ Für eine Weile herrschte Stille. Niemand sagte etwas, Ashley starrte vor sich hin. Ihre Gedanken jagten einander. Schließlich meinte sie zu ihm: „Und wie soll das jetzt funktionieren?“ Er stand auf und ging kommentarlos zum Fernseher. Dann drehte er sich erneut um. „Sieh dir an, was solch eine große Wunde in deine Seele geschlagen hat. Erlebe den Schmerz, der dich so gelähmt hat noch einmal. Und dann triff erneut deine Entscheidung.“ Als er geendet hatte, schaltete er den Fernseher ein. Ashley stand auf und kam näher. Wie in einer Clipshow liefen dort Bilder über sie und ihre Erlebnisse ab. Ohne, dass sie es wollte, überkam Ashley wieder eine Woge der Traurigkeit und des Schmerzes. Tränen rannten über ihre Wangen und hin und wieder entkam ihr ein Schluchzen. Eine schiere Ewigkeit flimmerten diese Bilder vor ihren Augen über den Bildschirm. Ashley ertrug es, auch wenn sie sich eigentlich instinktiv davon abwenden wollte. Dann, als der Fernseher schwarz wurde vergrub sie das Gesicht in ihren Händen. Sie weinte hemmungslos und sank schließlich auf die Knie. Nach einigen Minuten blickte sie auf und sah sich im Zimmer um. Sie war wieder allein. Der Mann, wer auch immer er war, war verschwunden. Doch sie bemerkte an seiner Stelle eine ziemlich beunruhigende Tatsache: Nur Zentimeter von ihr entfernt lag auf dem Boden jene Waffe, welche sie vor nicht allzu langer Zeit in Händen gehalten hatte, um auf sich zu schießen. Ashley starrte die Waffe an. Und irgendwie wanderte ihre rechte Hand ohne den Befehl von Ashley zu erhalten zu der Waffe und hob sie hoch. Panik mischte sich mit Entsetzen. Ashley kniete in diesem Raum und starrte die Pistole an. Und dabei war ihr bewusst, dass sie nicht einen einzigen klaren Gedanken fassen konnte. Gleichzeitig wusste sie, dass das aber der einzige Weg war. Sie musste sich entscheiden, ein für alle mal. Irgendwo von weither hörte Ashley ein seltsames Piepsen. Es klang wie ein unerträglicher Klingelton. Und das Piepsen wurde lauter und schneller. Es zeigte Ashley, dass ihr die Zeit davonlief. Sie schloss ihre Augen und dann traf sie ihre Entscheidung. Kapitel 45: Besuch ------------------ Innerhalb kürzester Zeit war es Duncan gelungen, mehr als die Hälfte seiner Schattengänger zu aktivieren und sie zum Krankenhaus zu rufen. In einem kleinen Garten, der zur Anlage des Krankenhauses gehörte, hatten sie sich alle getroffen. Emma hatte darauf verzichtet, an diesem Treffen teilzunehmen. Sie fand, dass ihr Platz bei Ashley sein sollte. Duncan hatte sie gelassen. Er glaubte ohnehin nicht, dass sie für diese Aufgabe sehr empfänglich war. Allen anderen hatte er erzählt, dass Ashley wohl nach einem Angriff von Dämonen schwer verletzt war. Und es war ihre Verpflichtung, dass man sie jetzt schützte, solange, bis sie aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Es war ihm egal, ob der ohne andere raus finden konnte, dass er nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Er vertraute darauf, dass ihre Loyalität zu ihm dafür sorgen musste, dass sie glaubte, er würde es nur tun, um Ashley vor noch mehr Schaden zu bewahren. Doch seine wahren Beweggründe waren definitiv andere. Er hatte mehrere seiner Leute im und weiträumig um das Krankenhaus Posten beziehen lassen. Ihre Aufgabe war es eigentlich nur zu beobachten, und ihn zu informieren, sollte sich jemand nähern, der Ashley schaden konnte. Was er tatsächlich wollte, war, zu verhindern, dass jemand von dem Inhalt ihres Streitgespräches erfuhr, welches Ashley vor einigen Tagen dazu bewogen hatte, das Kloster Hals über Kopf zu verlassen. Und er wollte verhindern, dass jemand ganz bestimmtes sie aufsuchen würde. Denn er wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich hier blicken lassen würde. Und letztlich wurde er auch nicht enttäuscht. Mit den ersten Sonnenstrahlen konnte man eine ziemlich eilige, junge Frau den Fußweg zum Krankenhaus hinab gehen sehen. Mit jedem Schritt wurde sie schneller. Als sie die Türen erreichte, war sie einem kleinen Spurt nahe und bremste gerade noch ab, um nicht eine andere Frau über den Haufen zu rennen, die gerade das Krankenhaus verließ. Sie bemerkte nicht, dass auf Bänken vor dem Krankenhaus, in Autos auf dem Parkplatz und noch an einigen anderen, eher unauffälligen Plätzen, die Schattengänger saßen und mit ihren Telefonen Bericht erstatteten. Es war ihr auch egal. Sie hatte andere Probleme. Sie hatte die Empfangsdame ziemlich lange beschwatzen müssen, bis sie ihr endlich sagte, wo Ashley war. Schließlich hatte sie die Geduld verloren und einfach mit ein bisschen Magie nachgeholfen. Gerade, als sie sich in die Richtung des Korridors wandte, den ihr die Dame genannt hatte, erblickte sie Duncan, der einfach nur dastand und sie mit seinem ziemlich herablassenden Blick anstarrte. Lily ignorierte ihn einfach und ging auf ihn zu. Doch an ihm vorbei kam sie nicht, denn er stellte sich ihr in den Weg. „Ich werde dich nicht durchlassen.“ flüsterte er. Als Lily einfach weitergehen wollte, packte er sie am Arm. Lily funkelte ihn wütend an, bemühte sich jedoch, dass sie nicht die Beherrschung verlor. „Du hast mich schon einmal davon abgehalten, sie zu sehen, Duncan. Damals habe ich klein bei gegeben. Doch heute werde ich das nicht. Um keinen Preis in der Welt.“ Duncan hielt ihrem Blick stand. Und er ließ sie auch nicht los. „Ich glaube, dass du schon genug angerichtet hast. Lass sie wenigstens in Frieden sterben.“ Er traf einen Nerv, denn der Ausdruck in Lilys Gesicht zerfiel für einen Moment. Einen Augenblick lang schien sie den Tränen nah, doch sie schaffte es, sich wieder zu fangen. „Schieb das ja nicht auf mich ab. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass dich dabei genauso viel Schuld trifft.“ Sie holte tief Luft und versuchte die Tränen zu unterdrücken. „Und jetzt wirst du mich loslassen. Und dann wirst du mich zu ihr gehen lassen, denn ich schwöre dir, dass es keine Rolle spielen wird, wie viele von euch sich mir in den Weg stellen. Ich werde jeden einzelnen von euch es zutiefst bereuen lassen, das schwöre ich dir.“ Duncan schien zu überlegen, ob er ihr Glauben schenken sollte. Doch er wusste, dass es das alles nicht wert war, sich mit ihr anzulegen. Er musste einen anderen Weg finden, dieses Problem aus dem Weg zu schaffen. Aber für den Moment spielte es auch keine Rolle, ob Lily zu Ashley ging oder nicht. Er ließ sie los und grinste auf eine ziemlich seltsame Art und Weise „Na schön. Was soll es schon schaden.“ Lily würdigte ihn nicht einmal mehr eines einzigen Blickes. Sie setzte ihren Weg durch das Krankenhaus fort, bis sie schließlich vor der Tür stand, durch dessen Glasfenster sie Ashley in ihrem Bett liegen sehen konnte. Sie schien friedlich, so als ob sie einfach nur tief schlafen wurde. Die Sonne schien durch einige Ritzen des Rollos herein und umspielte ihr etwas bleiches Gesicht. Lily trat ein und ging auf Ashley zu. Es brach ihr das Herz zu sehen, wie sie da mit einem großen Verband am Kopf lag. Lily nahm auf einem kleinen Stück des Bettes Platz und nahm eine von Ashleys Händen in die ihre. Die Fingerspitzen waren kalt, und instinktiv versuchte Lily sie zu wärmen, auch wenn sie wusste, dass es wohl nicht wirklich hilfreich war. Schließlich fuhr Lily mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand über Ashleys Wange und dann über den Verband. Sie kniff die Augen fest zusammen und kämpfte mit sich. In ihrem Hals steckte ein Kloß und sie schien keine Luft mehr zu bekommen. Doch dann konnte sie ein paar Mal tief durchatmen und es schien zumindest für den Moment wieder besser zu werden. Und dann aus heiterem Himmel drehte sie sich in die Ecke des Raumes um, zu der Person, die dort schon die ganze Nacht saß und nun diese eigenwillige Szene beobachtete „Wie lange willst du da noch sitzen, ohne was zu sagen?“ Ein sanftes Lächeln umspielte Lilys Lippen. Emma setzte sich auf „Keine Ahnung. Solange bis du auf mich losgehst.“ Lily sah wieder zu Ashley und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich habe keinen Grund auf dich loszugehen. Und selbst wenn, ich denke Ashley wäre ziemlich sauer auf mich, wenn ich dir was antue. Sie mag dich.“ Emmas Augen füllten sich mit Tränen „Was für eine Rolle spielt das jetzt noch? Es ist egal, wen sie mal gemocht hat oder auf wen sie sauer sein könnte. Ich denke, dass sie ziemlich klar gemacht hat, dass sie auf sich selbst am allermeisten sauer ist und dass es ihr egal ist, wer sie mag und wer nicht.“ Lily nickte. „Das ist wohl war. Aber wenn es dir egal ist, warum bist du dann hier?“ Emma schloss die Augen und fing an zu weinen. „Ich weiß es nicht. Ich… ich fand, dass sie nicht alleine sein sollte. Gerade jetzt.“ Lily schenkte ihr ein Lächeln. „Ich danke dir dafür.“ Eine Weile war es still zwischen den Beiden. Keiner sagte ein Wort. Emma wischte sich die Tränen weg. Schließlich war es Lily, die das Schweigen brach. „Wie schlimm ist es?“ Emma starrte sie eine Weile an, doch Lily fixierte Ashley und es schien, als hätte sie es sie gar nichts gesagt. Doch Emma wusste, dass sie sich nicht geirrt hatte. „Wenn ich nur ein paar Minuten eher da gewesen wäre, dann würde es ihr viel besser gehen.“ Lily sah sie nun an. „Denkst du, dass du sie davon hättest abbringen können?“ Emma überlegte kurz und schüttelte den Kopf „Nein, wahrscheinlich nicht. Sie war immer schon ein Sturkopf. Hat immer nur das getan, was sie sich in den Kopf gesetzt hätte. Wenn sie es nicht gestern getan hätte, dann wahrscheinlich wann anders.“ „Das denke ich auch.“ Flüsterte Lily traurig. Dann stand sie auf und gab Ashley einen sanften Abschiedskuss auf die Stirn. Emma sah sie verwirrt an. „Wo willst du hin? Willst du nicht bei ihr bleiben?“ Lily lächelte gequält. „Du bist an ihrer Seite, das ist alles was ich wollte, jemand der bei ihr ist.“ Emma schüttelte ungläubig den Kopf „Und wo willst du jetzt hin?“ Lily grinste „Ich komme wieder.“ Emma starrte sie immer noch an, sie verstand nicht. „Ich muss einem kleinen Mädchen erklären, dass sie im Moment ihre Tante nicht sehen kann. Und ihrem Bruder, warum das so ist.“ Emma war fassungslos. „Heißt das, dass es Kacey…“ Lily ging zur Tür. „Wir wissen beide, was es heißt.“ Bevor sie ging flüsterte sie noch. „Tu mir den Gefallen und lass sie nicht aus den Augen. So lange, bis ich wieder da bin.“ Emma nickte und mit zumindest ein wenig Erleichterung verließ Lily das Zimmer und dann das Krankenhaus. Kapitel 46: Belauscht --------------------- Im Laufe des Vormittags hatte Duncan die „Bewachung“ des Krankenhauses etwas zurückgenommen. Er sah keinen Sinn darin, seine Leute auf diese Sache zu verschwenden. Lily hatte sich bereits Zugang verschafft und sie war auch friedlich wieder gegangen. Emma hatte ihm versichert, dass sie wohl nur nach Ashley sehen wollte und nicht mehr. Duncans Problem war aber weder Lily noch irgendein anderer Dämon, der dort vorbei schauen konnte. Es war einzig und allein Ashley. Es hatte nicht lange gedauert, bis sich die ersten Gerüchte um sie herum gesprochen hatten. Nur, dass es dieses Mal nichts als die reine Wahrheit war. Duncan hatte Emma im Verdacht, da ein bisschen nachgeholfen zu haben, aber es war ihm egal. Er hatte sich mit einigen seiner engsten Berater in Verbindung gesetzt. Alice war gegen Mittag angekommen. Etwa eine halbe Stunde später war ein junger Mann namens Eric aufgetaucht. Er war nicht von hier. Er war so etwas wie ein reisender Berater, der den verschiedenen Anführern der Schattengänger immer wieder abwechselnd mit Rat und Tat zur Seite stand. Duncan stand mit den Beiden in einer kleinen Ecke mit einem Kaffeeautomaten in einem Nebenkorridor nicht weit von der Intensivstation entfernt. Er wollte nicht allzu weit von Ashley entfernt sein, um über alle Neuigkeiten so schnell wie möglich informiert zu werden. Doch er wollte auch außer Hörweite von den anderen sein. Alice saß auf einem Sessel und hatte die Beine übereinander geschlagen. Eric, der ein ziemlich zernarbtes Gesicht hatte und zum Fürchten aussah, lehnte lässig an einer Wand. Duncan stand mit verschränkten Armen vor ihnen und hörte ihnen zu. „Du weißt, dass ich dir von Anfang an gesagt habe, dass dieses Mädchen dir mehr Ärger machen wird, als sie wert ist.“ Murmelte Eric in seinen nicht vorhandenen Bart. Duncan erwiderte nichts. Stattdessen meldete sich Alice zu Wort. „Es wäre besser gewesen, wenn Emma sie nicht gefunden hätte, dann hätte sich die Sache von selbst erledigt.“ Duncan legte den Kopf schief. „Das würde uns aber auch in Erklärungsnot bringen. Und außerdem würden wir dadurch wahrscheinlich mehr verlieren, als wir gewinnen.“ Alice gab einen verächtlichen Laut von sich „Du glaubst ihr, wenn sie sagt, sie weiß, wo das Manuskript ist? Ich glaube, dass sie sich das nur ausgedacht hat, damit wir sie in Ruhe lassen. Sie hätte es ihrer Dämonenschlampe schon lange verraten, wenn sie es wüsste.“ Eric schüttelte leicht den Kopf „Das glaube ich nicht. Aber ich glaube, dass sie es ihr über kurz oder lang geben wird. Und das darf um keinen Preis geschehen. Das Manuskript darf nicht in ihre Hände fallen.“ Duncan nickte. „Die Frage ist, was tun wir, um das zu verhindern?“ Eric sah ihn dunkel an. „Nun, ich glaube, dass es nichts bringt, wenn du versuchst, sie unter Hausarrest zu stellen. Mal davon abgesehen, dass sie clever ist und sich da raus winden kann…“ Alice setzte den Satz für ihn fort: „…sie kann durch Wände gehen. Es ist unmöglich sie im Kloster oder in einem anderen Stützpunkt gegen ihren Willen festzuhalten.“ Eric lächelte aufgesetzt und fügte hinzu: „Wir müssen dieses unsägliche Problem endgültig lösen und sie unter anderen Schattengängern fest zu halten, die sie eventuell beeinflussen kann und im Hinblick auf ihre Kräfte und ihre Verbindungen zu dieser Erzdämonin wäre es ein böser Fehler das zu tun.“ Duncan nickte erneut. „Nein, das würde keinen Sinn machen. Es gibt nur einen einzigen Ort, wo wir sie jetzt noch hinbringen können.“ Eric stieß sich von der Wand ab und trat auf Duncan zu. „Dann werde ich nach den Wächtern schicken. Sie werden bis morgen früh hier sein. Und diese Sache ist dann aus der Welt geschafft.“ Duncan konnte nichts erwidern, denn eine Schwester kam auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte. Alice zog eine Braue hoch „Gute Nachrichten?“ Duncan zuckte mit den Schultern „Wie man es nimmt. Ashley ist wieder bei Bewusstsein.“ Eric schnaubte verächtlich „Die hat echt mehr Leben als eine Katze!“ Alice stand auf und kam auf die Beiden zu. „Ich glaube nicht, dass sie schon über den Berg ist. Wir sollten die Ärzte darum bitten, dafür zu sorgen, dass sie noch ein langes, gesundes Schläfchen hält, meint ihr nicht?“ Beide Männer nickten grimmig. Dann gingen Eric und Alice in Richtung Ausgang weiter und Duncan machte sich auf den Weg zur Intensivstation. Keiner der drei bemerkte, dass um die Ecke jemand stand, der sie eine Weile nun schon belauscht hatte. Und die Person stellte sicher, dass keiner der drei innerhalb der nächsten fünf Minuten zurückkam, um nicht den geringsten Verdacht aufkeimen zu lassen. Dann rannte Emma wie vom Blitz getroffen zum Ausgang. Sie verließ das Krankenhaus durch einen Seitenausgang, um nicht zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann, als sie sich in sicherer Entfernung und außer Hör- und Sichtweite von irgendeiner der verbleibenden Wachen, die Duncan noch postiert hatte, zog sie ein Handy aus ihrer Jackentasche, welches ein paar Blutspritzer auf dem Display hatte und durchsuchte das Telefonbuch. Sie wurde fündig und wählte eine Nummer. Nach wenigen Klingeln antwortete jemand und Emma meinte. „Hier ist Emma. Ich muss dich treffen. Es ist wichtig.“ Kapitel 47: Heimlich -------------------- Eine Stunde später schlich Emma vorsichtig durch die Kellerkorridore des Krankenhauses. Als sie wieder ins Krankenhaus und zu Ashley zurückgekommen war, hatte Duncan sie darüber informiert, dass Ashley zwar das Bewusstsein wiedererlangt hatte, aber die Ärzte es für besser hielten, wenn man sie für eine Weile noch unter Beruhigungsmitteln stellte. Emma musste sich sehr zusammenreißen, um nicht zu verraten, dass sie wusste, dass er das Ganze eingefädelt hatte. Er hatte genug Mittel und Wege, die Ärzte von seiner Vorgehensweise zu „überzeugen“ und das mussten nicht zwingend magische sein, denn er hatte Zugriff auf eine beträchtliche Summe Geld. Sie hatte sich entschuldigt und gesagt, dass sie ein bisschen frische Luft brauchte. Connor hatte sich nach einigem Bitten und Betteln breitschlagen lassen, bei Ashley zu bleiben. Dann war sie auf ziemlich umständlichem Weg in den Keller des Gebäudes geschlichen. Und ihr Ziel war ein Ort, um den sie ansonsten einen ziemlich weiten Bogen gemacht hätte. Doch sie war sich sicher, dass alle anderen Schattengänger ebenfalls nicht wirklich gerne in die Leichenhalle schlichen. Zum ersten Mal seit Jahren fröstelte Emma. Und nicht einmal ihre Kräfte konnten sie wärmen. Sie sah sich nach jedem Schritt ängstlich um und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie nicht alleine war. Allerdings hatte sie ja auch gehofft hier jemanden zu treffen. Aber sie konnte sich schlichtweg nicht sicher sein, ob ihr nicht doch jemand gefolgt war. Duncan schien misstrauisch und mit dem vor Augen, was er mit Ashley vorhatte, lief Emma ein kalter Schauer über den Rücken und es schüttelte sie. Gerade war sie am Ende des Ganges angekommen und wollte um die Ecke biegen. Doch ihr Misstrauen lies sie sich noch einmal umblicken. Niemand folgte ihr. Doch als sie sich wieder in die Richtung drehte, in die sie ging, entkam ihr ein hysterischer Schrei. Vor ihr stand urplötzlich jemand. Emma hätte wohl weiter geschrieen, hätte die Person ihr nicht die Hand auf den Mund gelegt. „Himmel noch mal, musst du dem halben Krankenhaus mitteilen, wo du bist?“ Emma erkannte die Stimme und beruhigte sich wieder. Lily zog sie in den schattigen Gang und dann in eine kleine Besenkammer. Emma war immer noch ziemlich aufgewühlt, aber sie war ironischerweise erleichtert, dass sie Lily angetroffen hatte und nicht von irgendjemanden von ihren Leuten. „So, meine liebe Schattengängern, verrat mir erstmal eines: Woher zum Teufel hast du meine Nummer?“ Emma schnaufte immer noch ziemlich schnell „Aus Ashleys Handy. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie die Nummer irgendwo versteckt.“ Lily lächelte grimmig „Das hätte ich mir denken können.“ Sie machte eine kurze Pause, dann nahm sie auf einer kleinen Staffelei Platz. „Dann verrate mir, was so wichtig ist, dass du sogar soweit gehst, mich anzurufen.“ Emma schluckte „Es ist wegen Ashley.“ Lilys Miene wurde besorgt „Ist etwas mit ihr nicht in Ordnung? Hat sich ihr Zustand verschlechtert?“ Emma schüttelte den Kopf „Nein, sie ist inzwischen sogar wieder wach geworden.“ Ein sanftes Lächeln umspielte Lilys Mundwinkel „Hat sie etwas gesagt?“ flüsterte sie kaum hörbar. Emma senkte betreten den Kopf. „Nein, zumindest nicht zu mir. Duncan hat dafür gesorgt, dass sie von den Ärzten gleich wieder betäubt wird. Er wollte wohl nicht, dass sie mit jemandem redet.“ Lily nickte grimmig „Hätte ich mir ja denken können. Hast du mich deswegen hergeholt?“ Emma schüttelte den Kopf. Es fiel ihr sichtlich schwer, das auszusprechen, was sie aussprechen wollte. Schließlich fasste sie sich ein Herz. „Es hat einen Grund, warum er sie ruhig stellen lässt. Er hat vor, sie mundtot zu machen und zwar ein für alle Mal.“ Lilys Blick wurde erneut düster „Was willst du damit sagen? Hat er vor sie, zu beenden, was sie alleine nicht fertig bringen konnte? Warum lässt du sie dann alleine? Er könnte es jeden Moment tun!“ Emma hob beschwichtigend die Hände. Das letzte was sie jetzt brauchen konnte, war ein in Panik ausbrechende Erzdämonin, die ihre Verzweiflung an ihr auslassen würde. „Nein, er wird sie nicht umbringen. Zumindest nicht im Moment. Das was er vorhat, ist noch viel schlimmer.“ Lily zog die Stirn kraus „Mir gefällt nicht, was du da andeutest. Spuck es aus. Kurz und schmerzlos.“ Emma entkam ein Lächeln, dann wurde sie wieder ernst. „Er plant, sie so bald wie möglich ins Verließ zu bringen. Etwa morgen früh werden die Wächter hier her kommen und sie mitnehmen. Und dann verschwindet sie auf nimmer wieder sehen für den Rest ihres Lebens.“ Lily stand auf und verschränkte die Arme „Warum erzählst du mir das Emma?“ Emma sah ihr direkt in die Augen, etwas, dass sie bisher noch nicht gewagt hatte. „Du musst ihr helfen.“ Als sie das ausgesprochen hatte, fühlte sie sich im selben Moment schuldig. Was dachte sie sich dabei, Lily um so etwas zu bitten? Das war wohl der schlimmste Verrat, den sie sich vorstellen konnte. „Wie meinst du das?“ meinte Lily schlicht. Emma sah wieder zu Boden. „Ich kann ihr nicht helfen. Duncan würde nicht auf mich hören, wenn ich versuche ihn umzustimmen. Außerdem weiß er gar nicht, dass ich davon weiß. Ich habe ihn heimlich belauscht. Er würde mich wahrscheinlich gleich mit ihr einsperren.“ Lily legte den Kopf schief. „Was erwartest du von mir?“ Emma war am Rande eines Nervenzusammenbruches. Sie war so verzweifelt „Du kannst ihr helfen. Du kannst verhindern, dass er sie weg bringt. Was auch immer sie angestellt hat, das hat sie gewiss nicht verdient.“ Lily griff sich an die Stirn. Sie dachte angestrengt nach. Emma schöpfte Hoffnung. „Sie hat ihn wohl ziemlich verärgert, dass er gleich so heftig reagiert.“ Stieß Lily zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Es vergingen einige Minuten, in denen Emma Lily immer wieder prüfend ansah. Lilys Blick war abwesend. Sie schien sich ihre Worte wohl wirklich durch den Kopf gehen zu lassen. Dann, als Emma innerlich schon der Verzweiflung nahe war, schien Lily aus ihrer Starre zu erwachen. Sie griff Emma mit beiden Händen an beiden Schultern. „Schön, hör mir jetzt gut zu. Du wirst heute Abend ab neun nicht mehr hier im Krankenhaus sein. Finde irgendeinen Vorwand, hier weg zu gehen. Keine Ahnung, erzähl Duncan, dass du eine Pause brauchst und Ashley hier sicher ist und keine Aufpasserin braucht.“ Emma nickte „Okay, aber…“ Lily unterbrach sie sofort wieder „Zieh mit ein paar von deinen Kumpels um die Häuser. So viele wie möglich. Keine Ahnung, meinetwegen ertränke deinen Kummer in haufenweise Alkohol, wichtig ist nur, dass dich so viele Schattengänger wie möglich weit weg vom Krankenhaus sehen und hinterher bezeugen, dass du nicht dort warst.“ Emma nickte erneut „Hab’s kapiert.“ Lily schenkte ihr ein warmes Lächeln. Dann klopfte sie ihr noch einmal auf die Schultern und wandte sich zum gehen. Gerade als sie zur Tür raus war, rief Emma ihr nach „Lily, warte.“ Sie hatte eigentlich nicht mal damit gerechnet, dass Lily tatsächlich stehen blieb. Aber sie tat es. Emma war etwas vor den Kopf gestoßen. Dann nahm sie allen Mut zusammen, der ihr noch geblieben war und flüsterte: „Danke.“ Lily grinste breit und kam auf sie zu. Sie flüsterte ihr kaum hörbar ins Ohr „Nein, Emma. Ich danke dir.“ Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand in dem dunklen Korridor und lies Emma alleine in einer einsamen, von Grabesstille umgebenen Gegend. Es dauerte einige Sekunden, bis Emma sich endlich dazu entschließen konnte, die Leichenhalle wieder zu verlassen. Sie machte sich auf den Weg zu Ashley. Es wurde Zeit, sich zu verabschieden. Kapitel 48: Carpe noctum ------------------------ War tagsüber das Treiben im Krankenhaus mit einem Bienenstock zu vergleichen, so glich es nun in den ersten Stunden nach Mitternacht genau dem Gegenteil. Vereinzelt ging hier und dort eine Schwester oder ein Arzt den Gang entlang. Doch es schien fast schon zu ruhig zu sein. Noch am Abend hatte man Ashley in ein anderes Zimmer verlegt. Auch wenn Duncan weiterhin darauf bestand, dass sie ruhig gestellt werden musste, waren die Ärzte der Meinung, dass sich ihr Zustand insgesamt soweit gebessert hatte, als dass sie definitiv nicht mehr auf der Intensivstation bleiben musste. Emma war noch eine Weile bei ihr geblieben, in der Hoffnung, zumindest kurz einen Moment zu erhaschen, in dem Ashley wieder wach wurde, doch was auch immer man ihr gegeben hatte, schien ziemlich stark zu sein. Duncan hatte es geradezu begrüßt, dass Emma nicht über Nacht im Krankenhaus bei ihr blieb. Er hatte es für eine gute Idee empfunden, dass sie sich etwas Ablenkung verschaffen wollte und dann am kommenden Tag wieder zu kommen, wenn es Ashley wohl etwas besser ginge. Sie wusste ziemlich genau, dass sie Ashley aber dann nicht mehr dort antreffen würde und Duncan ihr aber das Gegenteil versuchte weiß zu machen. Aber sie spielte mit. In der Hoffnung, dass Lily einen Weg finden würde, zu verhindern, dass man Ashley ins Verließ, dem schlimmsten Gefängnis der Welt sperren würde. Ashley lag alleine in ihrem Zimmer. Duncan hatte es für überflüssig angesehen, in ihrer unmittelbaren Nähe Wachen zu postieren. Aber er hatte immer noch Leute im Krankenhaus. Und die lagen auf der Lauer. Doch keiner von ihnen bemerkte eine junge Schwester, die gemächlich eine Trage vor sich her schob und die Gänge hinunter zu schlendern schien. Niemand, nicht einmal ihre Kolleginnen schenkten ihr besonders große Beachtung. So schob sie immer weiter durch das Krankenhaus. Schließlich stand sie vor der Tür zu Ashleys Krankenzimmer. Ein junger Arzt war gerade hinein gegangen. Die Schwester beobachtete ihn, wie er gerade einen Infusionstropf untersuchte. Aber der Arzt schien sie bemerkt zu haben und drehte sich zu ihr um. Er klappte ein Krankenblatt zu und kam näher zu ihr. „Ah, Schwester, könnten sie mir bitte einen Gefallen tun. Die Patientin braucht eine Auffrischung ihrer Schmerzmittel. Könnten sie so freundlich sein, und dafür sorgen, dass sie sie erhält?“ Die Schwester schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Natürlich kann ich.“ Er grinste zurück und reichte ihr das Krankenblatt. „Bitte sehr. Dann kann ich mich noch ein paar Minuten aufs Ohr hauen.“ Er ging an ihr vorbei hinaus. Einige Augenblicke stand die Schwester nur da und blickte ihm nach. Als sie sich vergewissert hatte, dass er nicht zurückkam, zog sie die Trage in das Zimmer hinein und schloss die Tür. Sie warf einen kurzen Blick in das Krankenblatt und schnaubte verächtlich. Sie riss die Zettel von dort heraus und stopfte sie in ihre Hosentasche, den Ordner legte sie zur Seite. Dann trat sie an Ashley heran, die friedlich schlafend im Bett lag. Man hatte den großen Verband inzwischen entfernt und gegen ein paar größere Pflaster ersetzt. Es sah etwas skurill aus, zumal man, wohl um die Wunde besser behandeln zu können, ihr einen Teil der Haare weg rasiert hatte. Die Schwester strich ihr noch ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und flüsterte dann „Da hast du aber echt was angestellt, Ashley.“ Anschließend steckte sie ein paar der Geräte ab, deren Elektroden immer noch zur Überwachung an Ashley angeschlossen waren. Sie entfernte die Infusion, ließ aber die Nadel stecken. Dann hob sie Ashley aus dem Bett und legte sie auf die Trage. Bevor sie allerdings nach draußen ging, zog sie Ashley vorsichtig eine OP Haube über, um die Wunde zu verdecken. Dann begann sie vorsichtig einen Teil ihres Gesichtes mit Verband zu umwickeln. Und legte eine Decke um sie. Als das erledigt war, stellte die Schwester sicher, dass auf dem Gang niemand war und schob dann die Trage wieder nach draußen. Innerlich wünschte sie sich, dass ihr niemand entgegenkam, doch dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Zwei Schwestern und ein anderer Arzt kreuzten ihren Weg, doch keiner schien ihr Beachtung zu schenken. Sie transportierte eine Patientin und durch den Verband um Ashleys Gesicht konnte man nur sehr schwer erkennen, um wen es sich dabei handelte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie schließlich den Lift, der innerhalb von Sekunden mit dem bekannten Geräusch aufging und sie einließ. Als die Türen sich wieder schlossen, atmete sie tief durch. Eine wohlbekannte Stimme riss sie aus ihrer Trance. „Kannst du mir verraten, warum das so lange gedauert hat?“ Lily stand auf der anderen Seite neben dem Bett und starrte sie düster an. „Ich wollte sicher gehen, dass keiner etwas merkt. Und du hast mir ja gesagt, dass ich meine Kräfte nicht benutzen soll, also konnte ich mich auf die nicht verlassen.“ Lily bemerkte den beleidigten Unterton und hob beschwichtigend die Hände. „Ist ja schon gut. Ich hab’s kapiert. Das hast du gut gemacht, Trinity.“ Lily widmete sich Ashley und nahm ihre Hand in ihre. Trinity sah sie ernst an. „Noch sind wir hier nicht raus. Es kann immer noch schief gehen.“ Lily sah sie nicht an, lächelte aber „Das wird es nicht.“ Argwöhnisch sah Trinity ihre Mutter an. „Und wieso bist du dir da so sicher?“ Lily antwortete nicht. Sie beugte sich nach unten und gab Ashley einen Kuss auf die Wange. Dann richtete sie sich wieder auf und sah hinüber zu Trinity. „Hab Vertrauen. Es wird schon alles gut gehen.“ Trinity schnaubte verächtlich „Dein Wort in Gottes Ohr. Wie auch immer, wir müssen uns beeilen. Sie braucht eine neue Infusion. Und ich hab kein gutes Gefühl dabei, wenn ich mir vorstelle, dass sie wach wird, bevor wir hier raus sind.“ Wie bestellt ging in diesen Sekunden die Türe auf. Und Trinity schob die Trage hinaus. Sekunden später folgte ihr Lily. Sie teilte dieses Gefühl der Unsicherheit und wollte hier so schnell wie möglich weg. Und bevor sie nicht sicher war, dass alles so abgelaufen war, wie sie es geplant hatten, würde sie auch nicht durchatmen können. Sie folgte Trinity in unauffälligem Abstand. Ihr Blick wanderte immer wieder zu Ashley. Es zerriss ihr das Herz zusehen zu müssen, wie zerbrechlich sie doch war. Und in ihr keimte ein Gefühl der Schuld gepaart mit einer bitteren Erkenntnis: Ich hätte das hier schon viel früher tun sollen! Epilog: -------- Als Ashley wieder das Bewusstsein erlangte, hatte sie das Gefühl, ein Bus hätte sie überfahren. Ihr ganzer Körper schmerzte. Ihre Lungen brannten mit jedem Atemzug und ihr Mund und Hals waren staubtrocken. Bevor sie die Augen öffnen konnte vernahm sie ungewöhnliche Geräusche. Irgendwie hatte sie das Gefühl in einem Zug zu sitzen, der ziemlich wackelig über die Gleise rauschte. Immer wieder schien sie leicht hin und her zu schaukeln. Doch die Geräusche passten nicht so ganz dazu. Als sie die Augen schließlich aufschlug brannte helles Licht in ihren Augen. Sie kniff die Augen wieder zusammen und wand den Kopf leicht hin und her. Dabei durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Instinktiv versuchte sie mit ihrer rechten Hand an ihren Kopf zu greifen, um die Stelle zu prüfen, die diesen Schmerz verursachte. Aber ihre Hand wurde abgefangen. Ashley spürte wie sie sanft von einer anderen Hand umschlungen wurde. Sie spürte, dass sie nicht allein war. Und sie konnte auch spüren, wer da gerade bei ihr war. Erneut startete sie einen Versuch die Augen zu öffnen und kämpfte gegen die gleißende Helligkeit an. Nach einigen Augenblicken hatten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Ihr Blickfeld war aber noch sehr verschwommen. Sie blinzelte immer wieder, bis sie schließlich ein wohlbekanntes Gesicht erkannte, dass sie mit einem sanften Lächeln begrüßte. „Lily…“ krächzte sie, schluckte im selben Moment schwer, da das Brennen in ihrem Hals ihr beim Sprechen Schwierigkeiten bereitete. „Streng dich nicht so an, Engelchen. Lass dir Zeit.“ Lily strich ihr zärtlich über die Wange. Ashley schluckte erneut schwer und sah sich suchend um. Sie konnte immer noch nicht genau einordnen, wo sie war. Lily schien bemerkt zu haben, was sie dachte und beantwortete jene ungestellte Frage „Wir sind in einem Krankenwagen. Trinity und ich haben dich aus dem Krankenhaus weg geholt.“ Ashley sah sie schwach und müde an. Da waren noch sehr viele Fragen auf ihren Lippen, aber Lily stoppte sie, indem sie sanft ihren Zeigefinger auf Ashleys Lippen legte. „Wir haben später noch Zeit, das alles ausführlich zu besprechen. Für jetzt ist nur wichtig, dass du in Sicherheit bist. Und Duncan und Konsorten werden dich von jetzt an in Ruhe lassen.“ Ashley sah sie an und zum ersten Mal schien sie einen völlig klaren Kopf zu haben. Man sah deutlich, wie anstrengend es für sie war, sich zu konzentrieren, doch es blieb kein Zweifel, dass das, was sie zu sagen hatte wichtig war. „Ich glaube das nicht.“ Raunte sie schwach. Lily gab ihr einen Kuss auf die Hand „Er wird uns nicht folgen. Du hast keinen Wert mehr für ihn.“ Soweit es ihre Schmerzen zuließen, schüttelte Ashley den Kopf. „Doch, sie werden kommen. Und zwar alle.“ Lily legte die Stirn in Falten. „Und wieso denkst du das?“ Ashley atmete tief ein und flüsterte dann: „Weil ich weiß, wo es ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)