Paarweise von ayami ================================================================================ Prolog: -------- Prolog Manche Dinge sind so seltsam, so unglaublich, so unfassbar, dass einem, wenn man sie erlebt, ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter rinnt. Eiskalt, wie Wasser aus der Leitung draußen im Winter, wenn die Temperaturen selbst in der Stadt so tief sinken, dass man weiße Wolken vor dem Gesicht hat, wenn man atmet. Man erlebt diese Dinge und man möchte am liebsten stehen bleiben und sich nicht bewegen. Man möchte sogar den Atem anhalten und einfach so tun, als wäre es gar nicht passiert. Sich vorstellen, dass man gerade träumt oder vielleicht, dass man sich einfach vertan hat. Man hat das Gefühl, für einen Augenblick hörte die Erde auf, sich zu drehen, obwohl das in den Jahrmillionen, die sie schon existiert noch niemals passiert ist, oder? Natürlich würde etwas Schreckliches passieren, wenn die Erde aufhörte, sich zu drehen. Etwas noch Schrecklicheres, als das, was man gerade erlebt hat. Aber es fühlt sich trotzdem so an. Es ist ja nur ein Gefühl, es muss nicht wirklich passieren, damit es sich so anfühlen kann. Vielleicht fasst man sich an die Brust und klammert seine Finger in den Stoff seiner Kleidung. Vielleicht auch in die eigene Haut, wenn man gerade keine Kleidung trägt, wenn es passiert. Man kann nicht atmen, man will nicht atmen und man kann fühlen, wie sein Herz ein bisschen anders schlägt. Ein bisschen schneller, härter, vielleicht tut es sogar für ein paar Augenblicke weh. Und weil das Herz dann plötzlich so viel mehr Raum im Brustkorb einnimmt, hat die Lunge weniger davon, die Luft will nicht recht hinein und man tut vielleicht einen, vielleicht zwei rasselnde Atemzüge. Vielleicht wird es sogar ein Stöhnen. Und man starrt. Vielleicht starrt man das absolut seltsame, unglaubliche, unfassbare Ding an, das passiert ist, weil man es nicht glauben kann. Oder man starrt einfach ins Nichts. Durch alles hindurch, hinein ins unergründliche Nichts, das hinter allen Dingen liegt, das aber niemand zu sehen vermag. Weil es eigentlich ja auch gar nicht existiert. Mir ist so ein Ding passiert. Aber ich konnte nicht stehen bleiben, ich konnte nicht den Atem anhalten, ich konnte nicht stöhnen und ich konnte auch nicht starren. Ich brauchte meine Füße zum Laufen, meinen Atem zum Durchhalten, und meine Augen, damit ich sah, wohin der Weg mich führte. Uns. Denn ich war nicht alleine. Und das Ding, das seltsame, unglaubliche, unfassbare Ding, hat mit diesem ‚uns‘ zu tun. Denn ich war nur Zeuge. Wer etwas absolut Verrücktes getan hat, war der, der mit mir lief. Und was er getan hat, war so schwer zu begreifen, dass ich es erst verstanden habe, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich wie Feuer in unsere Lungen gebrannt und die unsere Muskeln schwach und zittrig zurück gelassen hat, zur Ruhe kommen konnten. Erst, als das Laufen vorbei war, ich wieder Atem schöpfen konnte, mein Herz langsam ruhig wurde und meine Lungen nicht mehr schmerzhaft prickelten, bei jedem Atemzug, den ich hinein zwang, da begriff ich es so wirklich. Und dann konnte ich auch all das tun, was normale Menschen tun, wenn ihnen eines dieser seltsamen, unglaublichen, unfassbaren Dinge geschah. Zuerst tat ich all das, was ich zuvor nicht hatte tun können. Ich blieb stehen, ich hielt den Atem an, ich machte zwei dieser stöhnenden Atemzüge, voller Unglaube, ich starrte ihn an. Und dann, weil ich nicht so langsam wie normale Menschen bin, konnte ich gleich den nächsten Schritt tun. Ich konnte begreifen. Mit einem Schlag, nicht nach und nach, wie ihr. Der, der mit mir lief, hatte gesprochen. Nicht nur gesprochen, er hatte geschrien. Er hatte für mich geschrien. „Lauf!“, hatte er geschrien und mir damit das Leben gerettet. Mein Leben. Unser Leben. Ich war einfach seiner Stimme gefolgt, obwohl ich hätte wissen müssen, dass das das Schlimmste war, was ich hatte tun können. Aber er hatte geschrien, obwohl das das Schlimmste war, was er hatte tun können, da konnte ich nicht einfach nicht gehorchen. Obwohl…wenn man es recht bedachte, bestand unser Leben von dem Augenblick an, an dem er seinen Worten eine Stimme gegeben hatte nur noch aus Ungehorsam. Denn er, der mit mir lief, durfte nicht sprechen. Er hatte noch niemals gesprochen, vorher. Und wir durften nicht weglaufen. Wir wussten das beide. Vom ersten Moment an wussten wir es. Aber wir haben es trotzdem getan. Und wir bereuten nichts. Denn bevor dieses seltsame, unglaubliche, unfassbare Ding geschah, dass er schrie, sind noch eine ganze Reihe anderer seltsamer, unglaublicher, unfassbarer Dinge geschehen und wir beide haben sie erlebt. Und mit dem Wissen, dass wir uns zuteil gemacht haben, in den letzten Zyklen vor unserer Flucht, konnten wir nicht länger gehorsam sein. Was an sich schon wieder ein seltsames, unglaubliches, unfassbares Ding ist, denn eigentlich wurden wir so gemacht. Gehorsam. Wir sind Gehorsam. Wir atmen Gehorsam. Wir leben Gehorsam. Aber jetzt nicht mehr. Denn jetzt sind wir frei. Obwohl das auch bedeutet, dass wir sterben werden. Schade. Frei zu sein fühlt sich wunderschön an. Er fühlt es auch. Seine Augen funkeln. Wir werden die Zeit nutzen, die uns noch bleibt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)