The middle of nowhere von abgemeldet (In the end, there's nothin' to worry bout, right?) ================================================================================ Prolog: Part 1: Schnee fällt ---------------------------- Kapitel 1: Traumwelt Schatten tanzen über die Wände des Zimmers, nur ein kalter Abklatsch des Feuers, des wirklich todbringenden Feuers hinter mir. Aber es wird mir nichts tun. Weil es Winter ist, wieder Winter, und der Winter lässt die kalten Gespenster frei, die ein Teil von mir sind. In ein paar Stunden wird es vorbei sein, wieder vorbei, und ich spüre das Ziehen, ich spüre wie meine Sicht verschwimmt, aber das ist in Ordnung, denn da ist dieser Geruch, und ich werde die Spur nicht verlieren. Aber diese Frau… Ich kenne sie. Sie riecht anders. Sie ist nicht was sie zu sein scheint. Sie ist schuld an alle dem, an alle dem, ich kenne das, sie ist schuld, und Worte sind nur Worte und das Feuer in mir brennt höher und heißer als das in diesem Raum, es wird trotzdem kalt, weil ich es bin, es ist bald vorbei, aber jetzt brennt es, ich verliere die Kontrolle, und das ist gut. Es ist immer noch kalt. War es nicht immer so? Ich weiß es nicht, aber mein Leben endet hier, das hat Aikari gesagt. Aikari lügt nicht. Und sie wird bald weg sein, auch das hat Aikari gesagt. Und ich kenne Aikaris Geruch, solange ich ihr Gesicht nicht sehe. Bald bin ich zurück, wieder zu Hause. Aber dann wird Aikari weg sein, und ist sie nicht alles, was ich weiß? Das Leben wird leichter. Die Kälte ist zurück, die echte Kälte. Und die Kälte war immer da. Ich blicke auf. Wie grau der Himmel ist, aber ich mag diese Farbe, wenn da kein rot ist, das sie einrahmt, aber da ist rot. Dieses rot ist okay. Aber wenn ich Blut sehe wo kein Blut ist, wenn ich angst habe, wo es nichts zu fürchten gibt… Der Gedanke verschwindet, es ist das Vergessen, das endgültige Vergessen, als würde jemand eine Zeile auf einem Computerbildschirm auslöschen, die nie jemand gelesen hat. Von einem Moment zum anderen. Zuerst war da dieses Zimmer, das immer da war, und dann die Leute. Ich erinnere mich nicht, und dann ist es wieder weg. Ein Königreich für eine Sicherheitskopie. Dieses Mal ist es tatsächlich kalt, ich sehe Schnee, und die anderen sehen ihn auch. Und sie sehen mich. Alle scheinen mich anzusehen. Wahrheit oder Einbildung? Nur ein Traum? Ich spüre keinen Unterschied. Es ist tatsächlich wie ein Traum, und die Erinnerung an die Realität verblasst bereits. Inzwischen ist da nichts mehr, nichts, außer… Das ist Vergessen. Kapitel 1: Die Ruhe vor dem Sturm --------------------------------- Ich schlug die Augen auf. Wiedereinmal ging mir durch den Kopf, was für ein Wunder es doch war. Das passierte mir oft. Anders als die Meisten, die ich beim Schlafen beobachtet hatte, brauchte ich nicht unendlich viel Zeit um wieder in Gang zu kommen, wenn ich erst aufgewacht war, meine Gedanken liefen sofort auf Hochtouren. Und das war schon merkwürdig, nicht wahr? Aber nicht weiter verwunderlich. Ich war eben anders. Ein häufiger erster Gedanke von mir war, dass mir diese Situation viel zu vertraut war. Sogar ziemlich regelmäßig. Und ich träumte, ich träumte sogar eine ganze Menge. Viel Blut und viel Feuer, viel Schatten... Das waren Träume, die ich niemals jemandem erzählen würde, das konnte ich gar nicht. Das alles war zu wirr, es waren so viele zusammenhangslose und chaotische Bilder, die ich niemals ich in die richtige Reihenfolge hätte bringen können. Es war schon gut so, dass ich schwieg. Dass ich immer schwieg. Ich dachte an DuCraine. Wie lange war ich jetzt hier...? Zu lange. Es würde mir wieder einfallen. Vielleicht konnte ich Sally fragen. Sie würde antworten ohne Gegenfragen zu stellen. War sie wohl schon immer so gewesen, oder erst seit sie von Doktor DuCraine kennen gelernt hatte? Ich wusste es nicht, ich hatte keine Ahnung von ihrer Vergangenheit, oder auch nur von seiner. Und trotzdem war ich jetzt hier. Und ich würde hier bleiben. Mein Leben würde kein Ende nehmen, es hatte einen Anfang, aber das Ende würde... würde blutig sein. Das wusste ich zwar noch nicht, aber ich würde es bald herausfinden. Die Chance einfach friedlich zu entschlafen, nachdem ich ein langes, erfülltes Leben geführt hatte war mir an dem Tag meiner Geburt genommen worden. Eigentlich schon davor. Nun, lang würde mein Leben jedenfalls voraussichtlich sein, und das war doch schonmal etwas. Das war logisch. Ich setzte mich auf. Ich musste nach unten gehen, ich hatte lange geschlafen, das spürte ich. Ich musste die Treppe nach unten steigen, die ich noch oft nach unten steigen sollte. Eine schmale, und ziemlich unsichere Konstruktion, und ich hatte Glück, dass mein Gleichgewichtssinn in Ordnung war. Auf den ersten Blick hätte man meinen sollen, dass die DuCraines eine ziemlich arme Familie waren, aber der Doktor hatte mir verraten, dass das nicht so war. Er hatte vor einiger Zeit eine ganze Menge Geld von einem 'entfernten Verwandten' geerbt, ein kleines Vermögen, das jetzt sein Dasein gut verzinst auf einem einfachen Konto fristete. Er sparte, aber der Frage wofür er sparte, war DuCraine geschickt ausgewichen. Das hatte er mir noch am Tag meiner Adoption gesagt... alles war so schnell gegangen... Ich schnappte mir das Oberteil vom Vortag, zog es mir über den Kopf und kämpfte für einen Moment mit den Ärmeln. Ich brauchte etwas mit Knöpfen, irgendetwas. Bei Gelegenheit musste ich Sally darauf ansprechen. Es war zwar niemand da, der zugesehen hätte, aber es hatte etwas ungemein Erniedrigendes in seinem eigenen Pullover festzuhängen. Als ich in die Küche kam und beinahe am Türrahmen hängen geblieben wäre- in diesem Haus schien alles auf eine spezielle Art klein zu sein, vielleicht auch nur zu vollgestellt-, blickte Sally automatisch auf und lächelte. Dann zuckte sie zusammen und sah wieder auf ihre Hände, nicht ohne dass ich gesehen hatte, wie sie das Gesicht verzog. Sie hatte sich in den Finger geschnitten. Ich blieb ein wenig unbehaglich stehen, glaubte aber nicht, dass sie bemerkt hatte, wie unwohl ich mich fühlte. Während DuCraine für dieses Haus geschaffen zu sein schien, das so zweckmäßig, unordentlich und verwinkelt war, blieb jeder bei Sallys Anblick ersteinmal überrascht stehen, und das hatte einen einfachen Grund. Sie war schön. Nicht auf eine kalte, unantastbare Art, wie beeindruckend viele von DuCraines Geschäftspartnern, die ich bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte, aber sie schien dennoch eher auf das Titelblatt eines Magazins zu gehören, als in diese heruntergekommene Küche, und ich konnte nur raten, warum sie blieb. Sie strahlte selbst am frühen Morgen und in einer Kochschürze noch genügend Glamour aus, um den Raum ein wenig heller werden zu lassen. Sie legte mit einer Hand, die überraschend wenig zitterte, das Messer weg, und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Schon wach?“ Sally machte sich überhaupt nicht die Mühe Überraschung zu heucheln. Für meine Begriffe hatte ich lange geschlafen. Dann zuckte sie die Schultern. „Umso besser, ich hätte dich so oder so gleich geweckt.“ Der Augenblick kam mir reichlich unwirklich vor, abgeschottet von der Welt, vielleicht weil draußen, hinter den Fenstern, noch eine blasse Dunkelheit herrschte. Nichts regte sich. „Möchtest du frühstücken?“ Diesmal schüttelte ich den Kopf, und obwohl sie sich abgewandt hatte und sich wieder ans Obst schneiden machte, fragte sie nicht weiter, denn sie kannte meine Antwort. Ich bemerkte durchaus ihre ständigen Bemühungen Konversation zu machen, aber ich konnte einfach nicht darauf reagieren. Wie auch. Was sollte ich schon reden, wenn es gar nichts zu sagen hatte? Meine Situation war so unabänderbar wie merkwürdig. DuCraine hatte mich von der Straße geholt, und als sich herausstellte, dass niemand mich kannte, niemand mich vermisste, hatte er mich adoptiert. Die Wochen zwischen dem Aufsammeln und der Adoption verschwammen widerwillig und lückenhaft zu einem hässlichen Brocken Zeit, und was davor war... Meiner Meinung nach konnte ich genauso gut vom Himmel gefallen, wie aus der Hölle entsendet worden sein. Aber es verstand sich von selbst, dass sich damit niemand zufrieden gab- niemand außer mir. Und deshalb war ich jetzt Jess, Jess DuCraine genau genommen. Dieser Name war für mich so gut wie jeder andere. Wieder sah ich nach draußen und ging langsam zum Fenster. Stille. Monatelang. Drei Monate. Drei Monate und zwei Tage, jetzt wusste ich es wieder. Deshalb wurde es auch über den Hausdächern langsam hell. Es war der sechzehnte Februar, ein Montag, und ich würde wieder anfangen in die Schule zu gehen. Das hatte man entschieden, nachdem sie mir einen Test auf einem lachhaften Niveau vorgesetzt hatten. Und ich hatte nun die Hoffnung, dass Schule die Stille durchbrechen konnte, eine Stille die weder DuCraines offensichtliche innere Ruhe und seine äußere Nervosität, noch Sallys freundliches Wesen durchbrechen konnten. Vielleicht würde es funktionieren. Vielleicht. Die Schule war eine einzige Enttäuschung. Es herrschte abwechselnd eine sehr viel schlimmere Stille als Daheim und ein entsetzlicher Lärm. Laute Stimmen, viele Wörte, viel Streit, und alles schrecklich sinnlos. Ich bekam nicht viel mit, schon gar nichts Interessantes, und wurde dafür größtenteils in Ruhe gelassen. Die ständigen verstohlenen Blicke störten mich nicht weiter. In diesem engen stickigen Raum saßen Menschen, mit denen zu reden die größte Zeitverschwendung meines Lebens gewesen wäre, und ich hatte bisher ein kurzes Leben und viel zu viel Zeit. Als ich die Haustür öffnete und den Kopf einzog um damit nicht gegen den Türsturz zu laufen, ertappte ich mich bei dem Wunsch, der Doktor möge zu Hause sein. Sally war in Ordnung. Sally war sogar sehr in Ordnung. Nur kam mir Sally, mit ihrem hübschen herzförmigen Gesicht und ihren ein wenig verträumten Augen so unendlich unwissend vor, und Fragen hatte ich schließlich selbst genug. Jetzt wollte ich nur noch reden, und es gab eine einzige Person mit der zu reden sich lohnte. Das war DuCraine, trotz seiner leicht verschrobenen Art. Die Stimmen die ich schon am Anfang der Straße gehört hatte wurden hier ungleich lauter. Ich hatte erwartet, dass sie aus einem der Nebengebäude kamen, aber ich hätte es besser wissen sollen. Mein Gehör trog mich nicht, nie. Ihr Ursprung lag mitten in unserem Wohnzimmer. (Wie schnell es einem doch schon so leicht fiel 'uns' zu denken!)- oder eher stand. Falls man diesen Raum überhaupt ein Wohnzimmer nennen konnte. Er war mehr ein Lager für sämtliche Bücher, Notizen und andere Papierberge, die man nicht mehr in den Schränken unterbringen konnte. Sie türmten sich überall: Auf dem Boden, auf Tischen und Stühlen, unter und auf sämtlichen Sitzgelegenheiten... Irgendwann sollte ich mich vielleicht daran machen all das Material durchzuarbeiten. Dadurch würde ich womöglich endlich einen Einblick in die Arbeit unseres Doktors bekommen; er hasste Fragen die seine 'Forschungen' betrafen, fast als wäre es ihm unangenehm. Und jetzt stand eben dieser ausgeglichene Meister der Geheimniskrämerei knie- bis hüfthoch in den Früchten seiner misteriösen Arbeit und funkelte wütend einen Mann an, den ich - es überraschte mich nicht wirklich- nie zuvor gesehen hatte. Vielleicht war es auch nur ein Junge, schwer zu sagen. Er schien nicht bedeutend viel älter als ich zu sein, aber das änderte nichts an der Energie die er auszustrahlen schien. Anstatt wie gewohnt hinzugehen und mich vorstellen zu lassen, blieb ich wie angewachsen stehen, leider an einem Punkt, von dem aus ich keinen Blick mehr auf den Doktor erhaschen konnte. Der beinahe ein wenig mädchenhaft zierlich gebaute Besucher stand mit verschränkten Armen in der Zimmertür. Ich wartete ab. Die Welt hielt den Atem an. Kapitel 2: Das Prinzip der Wahrheit 1 ------------------------------------- Die Zeit ist etwas sehr Flüchtiges. Man könnte sich einbilden sie hätte ein Prinzip - und das wäre eine Tatsache - aber es wäre nicht die Wahrheit. Es gab keine Wahrheiten. Ich war ein Mensch - das war eine Tatsache - aber es war nicht die Wahrheit. Die Wahrheit war, dass ich ein Vampir war - oder war das auch eine Tatsache? Oder müsste es heißen 'dass ich Kein Vampir war'? Die kalte Nachtluft strich über meine Wangen, aber sie konnte mich nicht aufblicken lassen. Unglaublich, wie gerne ich ein Teil davon gewesen wäre, einfach fliegen wohin ich getragen wurden, einfach nicht mehr nachdenken. Es gäbe keine Fragen und keine Tatsachen mehr, die so unecht waren wie die Nachtschatten, die im Mondlicht vor meinen Füßen über den Asphalt tanzten. Genauso fühlte ich mich im Moment auch, wie ein schwindender Geist, ohne Bezug zu dieser erschreckenden Welt. Ich war ein Mensch, ich war kein Mensch, die Wahrheit spielte Verstecken mit mir- nein, das war zu einfach, es war fundamentaler, es war mehr. Es existierte keine Wahrheit. Es gab nur Fragen und keine Antworten. Glaubte ich das? Wusste ich das? Woran konnte ich glauben? Gab es da einen Unterschied? Das Atmen fiel mir plötzlich schwer, und ein roter Schleier schien durch mein Blickfeld zu schweben, der verschwand als ich blinzelte. Ich sah wieder den Doktor vor mir, derangiert wie er ausgesehen hatte, als er mich zu sich gerufen hatte. Vielleicht hatte er gehört wie ich die Tür zu machte. So war er mir noch nie untergekommen. Seine Kleidung hatte zwar mitunter etwas zerknittert gewirkt, wenn er darin geschlafen hatte, statt sich die Zeit zu nehmen ins Bett zu gehen, aber er hatte immer Wert darauf gelegt einigermaßen ordentlich auszusehen, ganz egal für wie altmodisch man ihn halten mochte. Nie hätte ich erwartet, dass ich ihn jemals mit derart schlampig geknöpftem Hemd zu Gesicht bekommen würde. Der fremde Besucher schien mich unverändert ausdruckslos anzusehen, so wie auch ich ihn musterte, aber in seinen Augen entdeckte ich einen unterdrückten Schimmer von Interesse, der so unerwartet kam, dass er unmöglich Einbildung sein konnte. Er hatte fein geschnittene Züge und alles an ihm war trotz seines mädchenhaften Körpers so offensichtlich perfekt; von einer so penetranten Schönheit, dass man sich in seiner Durchschnittlichkeit beleidigt fühlen konnte - obwohl ich mich keineswegs für durchschnittlich hielt. Man hätte schon blind sein müssen, um diesen Jungen nicht zu durchschauen. Er hatte das Gesicht eines Engels, oder vielleicht auch das eines Gangsters, aber in seinen Augen kämpften Gott und der Teufel, ein Anflug von Wahnsinn und eine Menge Genie, Glauben und Wissen. Als ich wieder DuCraine ansah, der uns aus den Schatten eines Wohnzimmerschrankes aufmerksam ansah, begann der Eindruck, den der Fremde auf mich gemacht hatte keineswegs zu verblassen, es war ganz im Gegenteil wie ein abrupter Spannungsanstieg im Raum, bei dem die Sicherungen einfach irgendwann durchbrennen mussten. Die Stimme des Doktors verhinderte das. Es war die Stimme eines Geschichtsreferendars, der es liebte staubige Texte herunterzuleiern. "Jess, das ist Jonathan Carsleigh, er ist - mein Vorgesetzter." Ich bildete mir ein, eine kleine unplanmäßige Pause aus dem Satz herauszuhören und mir kam ein absolut logischer Gedanke dazu, aber im nächsten Moment war er verscheunden und ich musste mich wieder auf das Gespräch konzentrieren. Das war vergessen. Nein, das war Vergessen. Das war das Vergessen. Eine gelöschte Zeile auf dem Bildschirm, ein Blick ohne zu sehen. Das war Verlust. "Ich dachte ihr wärt vielleicht... interessiert daran euch kennen zu lernen." Einen überraschenden Moment lang machte DuCraine sich nicht die Mühe den sarkastischen Unterton und sein wütendes Gesicht zu vertuschen, obwohl Carsleigh gerade in seine Richhtung sah, aber dann wirkte er wieder sehr gefasst. Es war gut möglich, dass ich mich geirrt hatte. Jeder hätte sich irren können. Irren war normal. Irren war menschlich. Ich war nicht normal. Ich fühlte mich nicht menschlich. Ich wusste, dass ich mich nicht geirrt hatte. "Wer sind Sie?" Ehrlichkeit sprach immernoch für sich, richtig? Er war nicht gezwungen mir zu antworten. Das schien er zu wissen. Carsleigh schenkte mir nicht einmal einen weiteren Blick. "Was verschweigen sie mir, Doktor?" Obwohl seine Stimme nicht laut gewesen war, nicht einmal anklagend, sondern ganz im Gegenteil dezent und sanft und samtweich, schien der Doktor nervös zu werden. Er wandte das Gesicht ab und es verschwand teilweise im Schatten irgendeines bis an die Decke ragenden Kistenstapels. "Nichts. Ich dachte nur, dass Ihr... Du- Sie ihn vielleicht gerne kennen lernen würden." Sein Blick traf wieder Carsleighs, und obwohl er den Kopf ein wenig gesenkt hatte, schien davon etwas Energetisches, fast Stoffliches auszugehen. Ich hatte nicht das Gefühl mich mit den beiden Männer noch in einem Raum zu befinden - oder in einem Universum. "Er ist ein sehr faszinierender Junge, sollten Sie wissen, und sehr intelligent." Weder ich, noch der Fremde zeigten irgendeine Regung in Angesicht des Gesagten, aber als er es doch tat, war Carsleighs ruhige Stimme so offensichtlich lauernd, ohne etwas an Charme, Humor oder Freundlichkeit zu verlieren, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. "Sie lügen mich an, Doktor." "Wie käme ich dazu?" Diese Frage entlockte Carsleigh ein schwaches Lächeln. "Ich weiß es nicht, mein verehrter Doktor DuCraine, aber ich werde es herausfinden. Ich sage Ihnen in aller Verbundenheit: Es lohnt sich nicht, den Rat anzulügen, nie. Wir werden herausfinden, was Sie zu verbergen haben, und dann werden wir Sie dafür bestrafen. Wir sehen uns, denken Sie daran." Damit verschwand er einfach so, und eine Geste, ohne ein weiteres Wort, von einem Wimpernschlag zum nächsten. Und dann hatte der Doktor mir davon erzählt. Seine Ausdrucksweise war gewesen: "Du bist kein Mensch, weißt du das?", und ich konnte damals nicht mehr sagen, als 'Ja'. Ich würde auch in zehn oder zwanzig Jahren nichts anderes sagen, als 'Ja', mehr gab es nicht dazu zu sagen. Er war so selbstverständlich, so natürlich, die Karten hatten so offen auf dem Tisch gelegen - wie hätte ich jemals etwas anderes glauben können? Hatte ich jemals etwas anderes geglaubt? Ich wusste es nicht, ich konnte mich einfach nicht erinnern. Ich war einfach gegangen, er hatte mich nicht aufgehalten, und seitdem hatte ich mich nicht mehr dort blicken lassen. Aber ich würde zurück gehen. Mir war kalt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals irgendeine Art von Kälte - oder Hitze gespürt zu haben, aber dieses Gefühl war dennoch so vertraut, dass es mir so oder so einen Schauer über den Rücken jagte. Das war eine wahre Heimkehr, nur für mich- eine Rückkehr ins Heim des Vergessens, denn es war mein Vergessen. Inzwischen begegnete ich kaum noch Menschen. Kein Wunder, wer würde bei den Temperaturen noch für die Tür gehen? Es war schließlich Winter, es lag Schnee.... es war kalt...Vielleicht sollte ich gleich umdrehen- und mich möglichst beeilen. Aber es war zu spät. Ich wusste, dass es zu spät war. Ich hatte schon gewusst, dass es zu spät war, als ich diese Ecke gesehen hatte, um die meine Schritte mich jetzt führten, ich hatte es gewusst, als ich heute morgen aufgestanden war und vielleicht schon viel viel früher. Aber klar geworden war es erst, als ich den Fremden gesehen hatte, und es bestätigte sich jetzt, als direkt vor mir eine Person auftauchte, wie aus dem Boden gewachsen. Ich war nicht wirklich überrascht, aber ich hatte auch keine Zeit mehr zu reagieren. Es wurde viel zu früh schwarz um mich; das sollte nicht sein, es war falsch, alles war so falsch. Und dann durchzog sich die schwarze Kälte der Nacht, mit einem einladenden roten Schimmer. Das war die Farbe von Blut und von Rosen. Das war die Farbe von Vergessen. Ich hatte es gewusst. Ich hatte es gewusst. An meinem neunten Weihnachten hatte Aikari Gäste mitgebracht. Das war ungewöhnlich. Ich hatte mich gefreut, Aikari hasste Besuch in ihrem Haus. Aber diesen hasste sie noch mehr. Sehr bald sollte auch ich lernen, diese Männer zu hassen. Als sie das erste Mal kamen, war Aikari gereizt und schickte mich schnell ins Bett. Als sie das zweite Mal kamen, verbot sie mir den ganzen Abend aus meinem Zimmer zu kommen. Als sie das dritte Mal kamen, verbot sie mir alleine das Haus zu verlassen. Als sie das letzte Mal kamen wurde alles schwarz. Und ich hatte es gewusst, ich hatte es gewusst! Ich sehe bis heute die Lichter an dem Weihnachtsbaum, an diesem speziellen Weihnachtsabend. Kapitel 3: Das Prinzip der Wahrheit 2 ------------------------------------- Als ich aufwachte roch ich Blut. Mehr bemerkte ich nicht, und zwang mich liegen zu bleiben, auch wenn sich alles in mir zusammen zu krampfen schien. Ich versuchte mich auf die Geräusche um mich herum zu konzentrieren, um daraus vielleicht irgendwelche Schlüsse ziehen zu können, aber ich schaffte es nicht. Meine Aufmerksamkeit kehrte immer wieder zu dem unangenehmen Ziehen in meinen Schläfen zurück, das ich automatisch auf den Blutgeruch zurückführte, der in der Luft lag. Ich wusste nicht wie lange es dauerte, ich war fast wieder eingeschlafen, deshalb war in meinem Gedächtnis alles ein wenig verschwommen, aber schließlich setzte ich mich mit einem Ruck auf. Was war denn eigentlich passiert? Ein neuerlicher heftiger Stich in meinem Kopf beantwortete mir die Frage ansatzweise, diesmal war es rein physischer Schmerz und meine Sicht wurde für einen Moment unscharf, was mich aus irgendeinem Grund nicht sonderlich beunruhigte. "Hunger, DuCraine-Junge? Kein Grund schüchtern zu sein!" Ich riss überrascht die Augen auf. Die Situation brannte sich auf einen Schlag in mein Bewusstsein. Ich lag in einem Bett, in einem fremden Raum. Vor den Fenstern schien der Morgen herauf zu dämmern. Sally würde sich Sorgen machen. Neben mir auf dem Boden saß mit gekreuzten Beinen ein Mädchen und sah mich gelassen an- aber auch neugierig, und das wollte mir gar nicht gefallen. "Schön, dass du wach bist", redete sie weiter und strich sich eine dicke Strähne ihrer kastanienbraunen Haare aus dem Gesicht. "Ich weiß, Jonathan geht nicht eben sanft mit den Leuten um, die er nicht kennt, das tut mir Leid, aber er ist in Ordnung." Ein glockenhelles Seufzen. Ich wollte etwas sagen, wurde aber unterbrochen. Das Mädchen stand in einer einzigen fließenden Bewegung auf. "Wie dem auch sei, ich habe ein paar Fragen. Woher kamst du so plötzlich? Warum hat DuCraine dich adopiert? Wie lange kennst du ihn? Was weißt über ihn und woran arbeitet er zur Zeit? Ist sein Bruder nun eigentlich noch verlobt? Bist du reinblütig?" Die Fragen folgten in einer so atemberaubenden Schnelligkeit aufeinander, dass es mir unmöglich schien, dass sie nur von einer Person kamen, und die Fremde redete sich sichtlich in Rage. Ihre Augen glänzten und irgendetwas schien sie durcheinander zu bringen, aber es gab andere Dinge, die mich interessierten. "Wo bin ich?" Einen Moment lang starrte sie mich mit schwach gerunzelter Stirn an, dann beruhigte sie sich scheinbar und sank im Schneidersitz wieder auf den Boden. "Ich bin Vallerie", erklärte sie nachdenklich und ohne mich dabei anzusehen, dann folgte ein weiteres Seufzen. "Du bist Jess DuCraine, soviel haben wir herausgefunden. Es tut mir Leid, wenn mein Manöver dich erschreckt haben sollte, aber diese Sache ist mir so wichtig, ich weiß nicht ob du..." Vallerie unterbrach sich und schüttelte langsam den Kopf. "Hat es nicht", sagte ich knapp und machte Anstalten aufzustehen. "Ich will nur wissen, wo ich bin, und wie ich wieder hier raus komme." Vor meinen Augen verdüsterte der Gesichtsausdruck des Mädchens und sie stellte gezwungen fröhlich klar: "Wenn ich meine Antworten habe, Jessi-boy. Das ist alles. Was hätte ich davon dich länger hierzubehalten...?" und unterzog mich einer nachdenklichen Musterung. Widerspruchslos kramte ich in meinem Gedächtnis. Was kümmerte mich diese Sache? "Ich weiß es nicht.", antwortete ich nach etlichen spannungsgeladenen Sekunden langsam. Das schien ihr kein bisschen zu gefallen, was ich auf irgendeiner Bewusstseinsebene durchaus verstehen konnte. "Wer bist du eigentlich?" Inzwischen saß ich auf der Bettkante und starrte mit halb geschlossenen Augen auf den Teppichboden. Was war das? Champagnerfarben? Etwas in die Richtung. Die Farbe gefiel mir. Ich nahm mir vor bei Gelegenheit mit Sally und dem Doktor über mein Zimmer zu reden. "Wie du gesagt hast. Ich bin Jess DuCraine. Und das ist alles." Etwas in meinem nach wie vor schmerzenden Kopf schien einzurasten. "Ich bin ein Halbvampir." Vallerie hatte schon dazu angesetzt etwas zu sagen, aber als ich meinen letzten Satz beendete sprang sie so abrupt auf, dass ich tatsächlich zurückzuckte. "Was soll das heißen? Halbvampir!" Ihre hysterische Stimme unterstrich die Orientierungslosigkeit noch, die einen Moment lang über mich kam, dann hatte sie sich abgewandt und überbrückte die wenigen Schritten bis zu dem winzigen Fenster zu meiner Rechten. Sie schwieg, fast als hätte sie mich völlig vergessen, aber der Gedanke einfach zu gehen kam mir überhaupt nicht. Irgendwann hörte ich wie sie das Gespräch fortsetzte, aber diesmal in ziemlich gedämpfter Lautstärke. "Du sagst die Wahrheit, nicht wahr? Was ist deine Geschichte, Jess? Das würde mich... zu sehr interessieren." Ein längeres Schweigen setzte ein. Ich hätte es ihr erzählt, egal was, ganz ehrlich. Ich wollte sie einfach nicht aufregen, ich wollte irgendetwas sagen, irgendetwas... aber es gab nichts. Da waren nur die Dunkelheit und ein Gefühl von Etwas, und ich wusste, dass es das war, was zählte, aber ich hatte keine Worte um es zu erklären, also sagte ich nichts. Im Kopf ging ich alle möglichen Erklärungen durch, um ihr klar zu machen, dass ich ihr nichts verschweigen wollte, aber ich konnte nicht sprechen. Sie hätte mich doch nicht verstanden. Noch immer kam ich nicht auf die Idee zu gehen. "Da... da ist nichts", murmelte ich schließlich kleinlauter als geplant, was meinem Stolz einen heftigen Stich versetzte. Ich sagte mir dass es in Ordnung war, sie mochte kleinlaute Menschen, das war mehr als offensichtlich, aber alles in mir sträubte sich dagegen, und ich fügte ohne nachzudenken hinzu: "Nichts, das Dich etwas angehen würde." Da war es wieder. Wie ich es hasste. Wie ich es hasste, mich selbst in eine Sackgasse zu reden! Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, dass ihm das schoneinmal passiert war, aber das hatte ja auch nicht wirklich etwas zu bedeuten. In Zeitlupentempo drehte Vallerie sich um, und dann- ich war mir ganz sicher, dass ich nicht geblinzelt hatte- senkte sich neben mir dass Bett und ich spürte schwach wie sie ihre Hand auf meinen Arm legte. "Du hast natürlich Recht, Jess, du bist sicher hungrig, das habe ich mir von Anfang an gedacht. Der Doktor und seine anstrengende Philosophie. Wir haben hier einen Fall der ihm ganz sicher gefallen würde. Wie auch immer, du kannst uns vertrauen! Es ist wichtig, dass du das begreifst! Wir sind wie du, wir verstehen dich, wie DuCraine dich nie verstehen wird, wir können dir helfen, aber du musst ehrlich sein." Ich sah in Valleries hoffnungsvolles Mädchengesicht, ihre frechen, schimmernden Augen, ihre schneeweiße Haut und ihre dunkelroten Lippen, einen Zentimeter von meinen entfernt und deutete kraftlos ein Kopfschütteln an. Ich wusste, dass ich ihr niemals vertrauen würde. Ich hatte noch immer das Gefühl, dass ich sie unter keinen Umständen enttäuschen durfte, aber es schien weit weg zu sein, wie eine Erinnerung, oder ein kurzer Blick in die Zukunft. "Das glaube ich nicht." Ein kurzes Zögern später hatte ich mich zu den nächsten Worten durchgerungen. "Und ich weiß immer noch nicht, was Du willst." Das unterdrückte Temperament, das in diesem Moment von dem Mädchen ausging war beinahe spürbar. Ihr ganzer Körper spannte sich an und ich sah wie die Fingerknöchel ihrer rechten Hand, die sich in die Bettdecke krallte weiß wurden. "Was willst du mir damit sagen, Jess?", zwitscherte sie unschuldig und ich spürte wie mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. "Ich habe dir nie etwas getan, ich hoffe das weißt du zu schätzen! Ich möchte dir und dem Doktor nichts Böses, aber seine Arbeit könnte wichtig für uns sein- und auch für dich. Wirklich, es ist... Wir..." "Wer seid ihr überhaupt?" Bis zum letzten Moment hatte ich nicht vorgehabt etwas zu sagen, und war auch im Nachhinein sehr überrascht wie herausfordernd meine Stimme klang. Es schwang die törichte Gewissheit darin mit, dass niemand auf der Welt fähig war mir das Wasser zu reichen. Ich beließ es dabei, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass meine Gedanken abschweiften. Ich hatte überhaupt kein Recht, Vallerie zu irgendetwas herauszufordern. Ich kannte sie nicht, ich hatte keine Ahnung was überhaupt los war, das wusste ich- und dass ich Kopfschmerzen hatte, die es mir schwer machten mich zu konzentrieren. Genau, diese Kopfschmerzen waren nicht nur ein Problem, sie waren das ganze Problem, wurde mir gerade klar. Wenn nur irgendwas passieren würde, irgendwas um... "Du weißt es wirklich nicht, oder?" Vallerie schien ziemlich enttäuscht zu sein, aber ich sah sie nur weiter an. Irgendwann zuckte ich die Schultern und provozierte ein erneutes Seufzen. "Dabei ist das alles so einfach, Jessi-boy, und gleichzeitig so schwer, wenn du keine Ahnung hast. Da dir klar ist, dass du ein... Vampir bist, scheinst du darüber Bescheid zu wissen. Aber das reicht längst nicht. Es gibt noch so viele Dinge von denen du wissen musst." Während sie geredet hatte war Vallerie wieder aufgestanden und begann nun auf und ab zu laufen, ohne mich dabei auch nur eines Blickes zu würdigen. "Zuerst ist da dein Doktor. Ich weiß nicht, wieviel du über ihn in Erfahrung gebracht hast, oder woher du eigentlich kommst, aber DuCraine ist ein Genie. Das musste wir alle schon früh einsehen- es war leider trotzdem zu spät. Der Rat- zu dem übrigens auch meine Wenigkeit gehört betreibt ein Unternehmen, und bis vor einem knappen Jahr, war DuCraine leitender Angestellter unserer Forschungsabteilung, des DPMR. Um es kurz zu machen: Er kündigte. Wir wissen bis heute nicht wieso, aber das stellte uns vor ein Problem. Wir hatten keine Probleme seinen Posten neu zu besetzten, bei Gott, nein, aber... er war einfach einzigartig. Nur waren einige seiner Ideen einfach zu neu, einiges war so undenkbar..." "Ihr wolltet ihn trotzdem nicht gehen lassen", stellte ich unbewegt fest und musterte sie dabei scharf. Mit einem Mal wirkte sie ziemlich angeschlagen und müde, fast als hätte sie dieses Jahr gerade tatsächlich nochmal im Zeitraffer miterlebt. Trotzdem tat sie mir nicht Leid, kein bisschen. Ich hatte gerade begriffen, dass ich gar nichts begriffen hatte, aber gleichzeitig auch, dass das genug war. War das also das ganze Geheimnis? Sie wollten bloß, dass DuCraine wieder für sie arbeitete? Aber was hatte ich damit zu tun? Wollten sie, dass ich ihn überredete? Glaubten sie wirklich, dass ich das konnte (oder wollte)? Oder wollten sie mich als Geisel benutzen, um ihn dazu zu zwingen? Ein neuerlicher Stich in meinen Schläfen zwang mich dazu den Gedanken abzubrechen. ich musste mich zusammenreißen um nicht aus Reflex aufzuspringen und ebenfalls auf und ab zu tigern. Vallerie schien es trotzdem zu merken, denn sie warf mir einen ehrlich betroffenen Blick zu. Zögerlich ging sie auf die Zimmertür zu und ließ mich damit keine Sekunde aus den Augen, sodass ich mich wie ein wildes Tier fühlte- die hatte eine Ahnung. Ich musterte sie ebenso eindringlich und noch um einiges misstrauischer, was ihr allerdings nicht auszumachen schien. Sie griff nach der Türklinke, während sie so leise murmelte, dass ich es gerade eben hörte: "Wir sind noch nicht fertig, Jessi-boy, aber wenn du ständig ohnmächtig wirst, ist uns auch nicht geholfen..." Kapitel 4: Das Prinzip der Wahrheit 3 ------------------------------------- Ich träumte. Mir war klar, dass ich träumte. Was auch sonst? Immerhin war ich plötzlich zu Hause, im Wohnzimmer, und... es brannte. Ich spürte die Hitze der Flammen in meinem Gesicht und kniff die Augen zusammen. Die Luft war schwer von Ruß, der mich kaum Atmen ließ. Außerdem war mir schlecht. Panische Angst machte sich auf einen Schlag in mir breit, obwohl ich wusste, dass das hier nur ein Traum war. Ich versuchte etwas zu erkennen, vielleicht eine Lücke durch die ich entwischen konnte, aber alles stand in Flammen. Die riesigen Pappkartons und die uralten Bücher hatten scheinbat gute Nahrung abgegeben, genauso wie das morsche Dachgestühl. Kaum hatte ich zu Ende gedacht, hörte ich ein ohrenbetäubendes Splittern und vielleicht einen Meter vor mir landete ein brennender Dachbalken auf dem Boden. Funken stoben auf, als hätten sie nur darauf gewartet in die Unendlichkeit geschleudert zu werden. Die Hitze war unerträglich. Aber das war unmöglich. In diesem Stockwerk gab es keine Dachbalken! "Alles ist möglich..." Ich schnappte nach Luft und fuhr mit aufgerissenen Augen die sofort wieder zu tränen begannen herum. Es war niemand da. Dabei hatte ich die Stimme ganz deutlich gehört, und die Person konnte nicht hinter der Flammenwand stehen, dann hätte ich bei der Lautstärke durch das Prasseln des Feuers nicht verstanden. Niemand. Wieder. Nichts. Stille, seit drei Monaten und drei Tagen. Stille und das Wissen um die Ewigkeit. Unbegrenzte Traurigkeit und Erinnerung... Erinnerungen... Keine Erinnerungen? War es vielleicht so lange her? Vor meinen Augen verschwamm wieder alles. War das hier das Ende? Das Ende meines Lebens, dieses Traumes, das Ende? Das Ende des Unendlichen? "Das Ende der Ewigkeit? das Ende von allem? Spielt das eine Rolle? Du träumst." Ein Traum. Ja. Und trotzdem. "Wer bist du?!" Nach einer Weile vollkommener Geräuschlosigkeit bekam ich ein Lachen zur Antwort. Ja, kein Geräusch... Ich war nicht mehr in diesem Zimmer, ich stand nicht mehr in mitten der Flammen. Weit und breit sah ich nichts als ewige, samtene Dunkelheit. Über mir glitzerte kein einziger Stern, und unter meinen Füßen spürte ich keinen Boden. Die plötzliche Freiheit war atemberaubend nach der Beklemmung in den Flammen. Men Herz schlug ein paar Augenblicke lang immer langsamer, als würde es dickflüssigen Sirup anstatt Blut pumpen, dann begann es zu rasen, mir war als würde ich plötzlich alles verstehe. Weite, Ausdehnung, Nähe. All das war eine Erfindung. In Wahrheit gab es nur mich, mich und die Dunkelheit und... die Stimme. "Wo bin ich?", entfuhr es mir und bei dem belustigten Ton der darauf folgte, durchlief es mich heiß und kalt. "So viele Fragen, und die Antworten spielen nicht die geringste Rolle. Du träumst, Chacho, und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Alles was hier zählt bist du. Du und ich, wenn ich das bei aller Bescheidenheit hinzufügen darf. Schließlich bist du nur meinetwegen hier!" "Aber wo..." "Ah." Der Ausruf schien ein merkwürdig hohles Echo nach sich zu ziehen, das nur unwillig verblasste. "Ich habe dich also beeindruckt, Chacho? Sieh dich um, was siehst du? Ich verrate es dir. Nichts. Stille. Unendlichkeit. Frieden und Leere. Das hier ist das, worum du dir mehr Gedanken machst als um alles andere, habe ich nicht Recht? Das ist der Ort, an dem du die Schrecken der Zukunft, und die Geister der Vergangenheit findest, wenn du mutig genug bist, um zu suchen. Hilf mir!" Die ganze Zeit über hatte ich den Atem angehalten, um kein Wort meines merkwürdigen Gastgebers zu verpassen, aber jetzt fuhr ich zusammen. Wellen schienen durch die Wirklichkeit, diese Wirklichkeit zu laufen und ich spürte wie die Luft um mich herum vibrierte, nur dass es nicht die Luft war, es war... war... "Was?" "Hilf mir, kleiner Valentine. Bettelst du nicht um Vergebung für das, was du getan hast? Vor drei Monaten und siebzehn Tagen? Ist das nicht der Grund für die Kälte und den unendlichen Hunger nach der Hitze fremder Kraft? Schuld ist nicht deine Abstammung, schuld bist nur du. Aber es gibt eine Möglichkeit..." Haltlos hatte ich begonnen zu zittern. Befand ich mich vielleicht nur auf einem schmalen Brett? Würde ich bis in die Ewigkeit stürzen und darüber hinaus, wenn ich einen falschen Schritt tat? Wer war er, wem gehörte diese Stimme?... Woher kam diese Macht...? "Weiter." "Jess." Wieder fuhr ich herum, ohne wirklich zu erwarten etwas zu sehen. Weit gefehlt. Rauchig grüne Augen, durchzogen von schwarzen und roten Linien wie die Krater eines Vulkans. Glühende Lava in tiefer, trügerischer Düsternis. "Hilf mir. Ich kann dich retten. Du musst das Richtige tun. Hilf mir." Und dann war ich zurück. Feuer überall. Stand ich in Flammen? Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht verbrannte ich. Spielte das eine Rolle? Ich träumte. Mein Leben war nur ein Traum, und all der Schmerz würde vergebens bleiben. Ich sah nicht auf, als Vallerie zurück kam. Ich saß noch auf dem schmale Bett auf dem ich aufgewacht war und dachte an nichts. Nichts. Wieder nichts. Das war gut. Kommentarlos setzte das Mädchen sich neben mich und hielt mir ein Glas hin. Ich ignorierte das und starrte weiterhin auf die Bettdecke. Nach einer Weile begriff ich erst, dass sie so lange nicht gehen würde, bis das Glas leer war, und ich es ihr zumindest abgenommen hatte. Wie konnte ich auch etwas anderes denken? Also nahm ich ihr das Glas aus der Hand, weiterhin ließ ich den Blick gesenkt, aber allein der Geruch der nun wieder im Raum hing reichte, um den Druck auf meinen Schläfen zurück zu holen. Irgendwann starrte ich die dunkle Flüssigkeit gelassen an. Es musste draußen bereits Nachmittag sein, aber hier drin war es immernoch recht dämmerig."Würdest du dafür sterben?" Zwar zuckte sich nicht zurück, so wie ich ein paar Stunden zuvor, aber ich spürte trotzdem, dass ich Vallerie aus ihren Gedanken gerissen hatte. "Was redest du da?" Auch die Schärfe in ihrer Stimme war zweifelsohne ungewollt. Davon ließ ich mich nicht im Geringsten beeindrucken, und obwohl ich mir ihrer Gegenwart unwahrscheinlich bewusst war, hätte ich genausogut Selbstgespräche führen können. "Das worauf ihr aus seid. Wärst du bereit dafür zu sterben? Würdest du das tun? Ich...weiß nicht was du willst, aber es interessiert mich, ob es Dinge gibt die so..." Der Rest dees Satzes schien irgendwo verloren zu gehen, aber das spielte keine Rolle. Vallerie abtwortete ohnehin nicht. Nun herrschte wieder Schweigen, aber nicht spannungsgeladen wie zuvor. Dieses Mal hing ich nicht als einziger meinen Gedanken nach. Ohne es zu bemerken leerte ich das Glas bis auf den letzten Tropfen, behielt es aber weiter in der Hand. Konnte ich weiter fragen, ohne Valleries Argwohn zu wecken? Und war das überhaupt noch wichtig? Ich konnte nicht behaupten etwas anderes zu sein als ein Entführter, gefangen von einer Organisation die ich nicht kannte, und deren Sinn mir einfach nicht klar werden wollte. "Jess?!" Mir wurde auf einmal klar, dass ich beinahe wieder eingeschlafen wäre. Vallerie sah mich tadelnd an. Es war wie ein Deja vù. Aber ihre Augen... sie hatten die Falsche Farbe. Und trotzdem. Feuer. Hitze. Dunkelheit. Angst. Schwäche. Und diese unmögliche Leere. Ich spürte dass ich wieder zitterte und zwang mich tief durchzuatmen. Die Vampirin neben mir musterte mich aufmerksam und in mir keimte wieder dieses unheimliche Gefühle auf, dass sie viel wichtiger war, als ich mir jemals vorstellen konnte. Sie war nicht das kleine Mädchen, in dessen Körper sie sich versteckte. "Wann komme ich hier raus?" Sofort verschwand ihre Aufmerksamkeit wieder hinter einer lauernden, lächelnden Maske, die absolut nicht zu ihr passen wollte. "Bald, Jessi-boy. Sobald wir wissen wer du bist." Sobald wir wissen wer du bist... Kapitel 5: In einer Frühlingsnacht... ------------------------------------- Ich musterte teilnahmslos das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegen sah. Berechnende Augen in einem kalten Blauton, der eine Spur zu hell war um noch als Meerblau durchzugehen. Dunkelrote Haare die einen grausamen Kontrast dazu und zu der schneeweißen Haut darstellten. Schneeweiß. Schnee, immer wieder Schnee. Sollte mich das wundern? Es war schließlich erst Anfang März. Zugegeben, der meiste Schnee hatte sich längst in gräulichen Matsch am Straßenrand verwandelt, aber das spielte keine Rolle. Nicht wirklich. Ich wusste nicht wie Kälte sich anfühlte, aber das was ich seit dem Tag spürte, an dem ich beschlossen hatte niicht in die Welt zurückzukehren, kam meiner Vorstellung davon sehr nahe. Hatte ich nicht alles getan, was von mir verlangt werden konnte? Hatte ich nicht fast zu lange gekämpft, wenn man bedachte, dass ich nichts wusste? Da waren nur die Träume... Ich schob den Gedanken beiseite, wandte mich ab und ließ mich auf das pechschwarze Sofa auf der anderen Seite des Raumes fallen. Die Träume waren unerheblich. Ich wusste nicht genau, was mein Unterbewusstsein mir damit sagen wollte, aber wenn es so wichtig war, würde ich den Sinn schon noch früh genug erkennen. Zumindest hoffte ich das. In Wirklichkeit war das die einzige Möglichkeit mich vor den Gedanken zu schützen, aber ich redete mir ein, dass auch die aufhören würden. All das spielte keine Rolle. Woher ich kam. Wer gut war und wer böse. Mein Schicksal. Ich existierte, und nach allem was Vallerie mir erzählt hatte, würde sich das auch nicht allzu bald ändern. Es gab keine Bestimmung, für Halbblüter, für Kinder der Ewigkeit. Wir waren im großen Buch des Lebens nicht vorgesehen. Da wo ich mich befand, stand die Zeit noch immer still. Während Vallerie und die Anderen nur für menschliche Begriffe 'unsterblich' waren, traf das auf mich völlig zu. Ich würde niemals sterben, wenn ich ihren Worten glauben schenken konnte. Was also tun? Vor mir lag keine Zukunft, ich lebte kein Leben... Die Ewigkeit war nur ein langer Augenblick, ehe ich mich versah würde ein Jäger den so unantastbar wirkenden Joanathan töten, und gefühlte Tage darauf auch Vallerie. Menschen waren nicht mehr als Nahrung. Notwendig... nicht mehr. Sie konnten mir nicht gefährlich werden. Keiner konnte das. Dieses Gefühl einzigartig zu sein... lähmte mich. Welchen Sinn hatte es zu existieren, wenn es nichts gab, wofür ich mich opfern konnte, keinen Sinn hinter all den Lügen und Geheimnissen, nichts wonach zu streben sich lohnen würde. Bis ich Daniel traf. Sein Erscheinen war das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels. Die Tage waren längst zu einer Einheit verschmolze, ich hätte nicht sagen können, was für ein Wochentag es war. Selbst was den Monat anging war ich mir nicht sicher. Die Firma summte geschäftig wie ein Bienenstock, was um diese späte Zeit schon ungewöhnlich war. Oder auch diese frühe Zeit, ganz wie es beliebt. Aber ich hatte mit meinen eigenen Problemen zu kämpfen. Genau genommen war es nur ein Problem. Die neue Leiterin der Forschungsabteilung redete ununterbrochen auf mich ein, und ihr Vorschlag lief geradezu über vor Fachausdrücken die ich niemals hätte aussprechen können. Irgendwann hob ich unwillig den Blick von meiner Teetasse, ihre Stimme war längst zu kaum mehr als einem beiläufigen Hintergrundgeräusch geworden, und sah über ihre Schulter. Da saß er, gelassen zurückgelehnt, mit überschlagenen Beinen, offensichtlich gerade dabei einen Artikel in einer Zeitung zu lesen, die er in aufgeschlagen hatte. Aber etwas stimmte nicht. Seine Augen blieben fest auf einen Punkt des Textes gerichtet, und ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Es dauerte eine Weile, aber in gena dem Moment, in dem ich enrschied, dass mein Gefühl mich getäuscht haben musste, sah er auf. Ich kannte diese Augen. Ich entschuldigte mich bei der fahrigen Frau die mir gegenüber saß, stand abrupt auf, und ging in die Richtung des jungen Mannes, der anscheinend wieder in seinen Zeitung vertieft war. Unsicher blieb ich, die Hände tief in meinen Hosentaschen vergraben, vor dem Sofa stehen. Schweigen setzte ein, und es waren sicher einige Minuten verstrichen, als seine leise Stimme zu mir wehte, die so gar nichts mit der Person vor mir zu tun zu haben schien. "Schön dass du da bist, Jess. Möchtest du dich setzen?" Die Zeitung wurde gesenkt, und ich sah zum ersten Mal in meinem Leben, Daniels breites Ladykiller-Grinsen. Ich würde es noch oft zu Gesicht bekommen. Kommentarlos tat ich was er sagte und atmete tief durch, Was tat ich eigentlich gerade? Was hatte ich hier zu suchen? Meine Frage wurde beantwortet- wenn auch auf recht unerwartete Art und Weise. "Du bist sicher neugierig, was ich von dir wollen könnte, nicht wahr, Chacho?" Hatte nicht ich ihn angesprochen? Aber dieses Wort... kam mir bekannt vor. "Wieso nennst du mich so?" Der Dunkelhaarige lachte auf und einige Leute drehten sich interessiert in unsere Richtung. Das kümmerte mich nicht. "Chacho? Aber bist du das nicht? Der Chacho, der Boss, Il Rochè für eine Menge Leute? Komm schon, du bist Jess Valentine! Die Welt liegt dir zu Füßen! Die Zeit liegt dir zu Füßen. Das hätte dein Mummy wohl nicht erwartet." Anscheinend war ich sehr schwer von Begriff, denn es dauert bis die Bedeutung seiner Worte in mein Bewusstsein sickerte. Ohne Vorwarnung sprang ich auf und zerrte den den Vampir an seinem Hemdkragen hoch, der erstaunlich stabil war, wenn man bedachte wie dünn der Stoff zu sein schien. Weißes Hemd. Das musste ich mir merken. Wie einfach. Jetzt war uns zumindest die Aufmerksamkeit sicher. "Was weißt du über meine..." Ich brachte das letzte Wort einfach nicht über die Lippen, zu lange war es belanglos für mich gewesen. Konnte dieser Fremde, dieses Nichts mehr über meine Familie wissen als ich? Und wie er mich nun wieder nannte. Valentine... "Calm down, Chacho..." Abwehrend hob er die Hände und befreite sich vorsichtig aus meinem Griff. "Beruhige dich und wir reden. Irgendwo... anders." Aufgebracht sah ich mich um, und bemerkte, dass alle im Raum ihre Tätigkeiten unterbrochen hatten, bloß um uns anzugaffen. Der Fremde beobachtete mich ebenfalls, wirkte aber eher amüsiert und schien auf eine Reaktion zu warten. Ich drehte auf den Absätzen um und wandte mich zu Tür. Auch ohne zurücksehen zu müssen, wusste ich dass er mir folgte. Der Sternenhimmel spannte sich hoch über uns; trotz der Tatsache dass wir auf dem Dach standen. So weit entfernt... Danny streckte sich müßig und gähnte herzhaft. Dann wandte er sich wieder schwungvoll in meine Richtung. "So, Chacho, hier wären wir. Und was hast du jetz vor? Willst du mich folter? Mich übers Geländer schubsen? Mich bei lebendigem Leibe köpfen? Mir das Herz aus der Brust reissen? Nun guck nicht so! Ich bin mir sicher du könntest das!" Er grinste unbekümmert. Angestrengt versuchte ich ihn nicht zu schlagen, oder ihm anderweitig weh zu tun, und dieses Verlagen war offenbar noch deutlich in mein Gesicht geschrieben. "Ich will nur wissen was du weißt", erwiderte ich mühsam beherrscht und knirrschte mit den Zähnen. Anscheinend machte es ihm Spaß zu spielen, der er starrte mich gespielt erstaunt an. "Ach? So ein Temperament... Dafür wird ein Abend aber nicht reichen! Ich hatte eine Menge Zeit mir eine Menge Wissen anzueignen. Aber wenn du..." Dieses Mal ließ ich ihn nicht ausreden, sondern versetzte ihm einen derben Stoß gegen die Brust. Dann schien ihn ehrlich zu überraschen. "Nanu? So grob? In Ordnung." Ein tiefes Seufzen. Dann Stille. "In Ordnung! Die Sache ist nicht allzu mis..." In diesem Moment, in dem mich nichts mehr interessierte als die Worte, die die Stille durchbrachen, sprang mit einem Knall wie ein Gewehrschuss die Tür zum Treppenhaus auf. Die Sillhouette eines schlanken Mädchens mit langem glattem Haar war alles was mich vorwarnte, ehe ich die volle Kraft von Vallerie Desmonds vampirischer Aura zu spüren bekam. Die Energie die von ihr ausging, heizte die eben noch beinahe unangenehm kühle Nacht schlagartig auf... Und kurz darauf, noch ehe ich überhaupt verstanden hatte was da vor sich ging, war sie weg. Einen Augenblick später brach sie mit der Wucht einer Abrissbirne gegen die Wand des kleinen Glashauses, das ich völlig übersehen hatte. Der Boden bebte dumpf. Die nächste Tatsache die ich begriff war, dass es nicht ihre Energie war, die die Luft beinahe elektrisch knistern ließ. Als dunkler Schattenriss gegen das Licht das aus dem Treppenhaus strömte, richtete Daniel sich langsam auf. Er lächelte. Noch ehe ich blinzeln konnte fühlte ich einen heftigen Stoß der mich erzittern ließ... und dann tauschten der Sternenhimmel, der sich am Horizont bereits grau färbte, und das Teerdach, das nur aus Dunkelheit zu bestehen schien die Plätze. Und ich fiel... Kapitel 6: Intermezzo: The middle of nowhere -------------------------------------------- Ich hatte keine Ahnung wo ich mich befand. Aber es war dunkel... und kalt... und so schwer...Wäre ich ein wenig mehr bei Bewusstsein gewesen, dann wäre mir vielleicht aufgefallen, dass das langsam zur Gewohnheit zu werden drohte. Ich überlegte. Was war überhaupt passiert...? Da war Licht und Wasser und Schmerz und Blut und Dunkelheit und Angst und Kälte... Aber das alles hatte nicht zu mir gehört. Es war ein Traum gewesen. Und die Angst... Ich hatte Angst gespürt... Todesangst. Aber ich war noch da. Ich erinnerte mich noch daran, wie jemand gesagt hatte ... Ich würde nicht sterben. Ich würde nicht sterben, nein, ich nicht, nie. Aber wer war ich? Wo war ich? Warum war da nichts...? Wer hatte das gesagt? War es ein Mädchen gewesen? Ich hatte angst. Woher kam diese Kälte? Was machte ich hier? Wo kam ich her? Was sollte ich hier? Wer war sie? Wovor hatte ich angst? Wovor hatte sie angst? Wer war ICH??? Und wem gehörten diese Augen...? Es war an der Zeit aufzuwachen. Schreie. Lärm. Menschen. Weiß. Ich hatte das Gefühl, als sei all das erst in paar Minuten vergangen... Aber was war überhaupt passiert? Nichts hier gab mir Aufschluss darüber wo ich mich befand... und wie ich hierher gekommen war. Aber wahrscheinlich war es nur ein weiterer Traum... Auch wenn er ungleich ereignisloser war. Nun, ich konnte ein wenig Langeweile gerade sehr gut vertragen. "Neugierig, Chacho?" Ich zuckte zwar zusammen, aber wirklich überrascht war ich nicht. Denn diese Stimme kannte ich noch, wenn schon sonst nichts. "Daniel." Auf die eine oder andere Art hätte es mich beunruhigen sollen, wie oft er mich in meinen Träumen heimsuchte, aber das tat es nicht. Es kam mir natürlich vor. Hierher gehörte er, und die reale Begegnung mit ihm kam mir viel unwirklicher vor als das hier. "Hast du jemand anderen erwartet?" Er klang noch belustigter als ohnehin schon, und das war etwas das mich beunruhigte, das konnte einfach kein gutes Zeichen sein. "Bist du gar nicht neugierig wo wir sind?" "Wo ich bin", korrigierte ich ihn auutomatisch, immerhin war er nirgends zu sehen. Ich befand mich in einem einfachen weißen Raum, Decke weiß, Boden weiß, alles weiß. Keine Möbel, und so sehr ich mich darauf konzentrierte, ich wusste nicht aus welchem Material die Wände waren. "Wie auch immer. Ich verrat's dir. Wir sind in deinem ES." Ohne darüber nachzudenken ließ ich meinen Kopf nach vorn sinken und schlug ihn rückwärts ziemlich kraftvoll gegen die Wand. "Das ist jetzt nicht dein ernst, ja?" Wieder lachte Daniel und ich konnte sein Grinsen praktisch wieder vor mir sehen. "Doch, es ist tatsächlich so. Lass es mich erklären!" ... und dann sah ich ihn wirklich wieder vor mir, gelassen an der Wand gegenüber lehnend. "Du bist tot." Noch bevor ich protestieren konnte hob er abwehrend die Hand. "Zumindest so gut wie. Wärst du ein Mensch hätte man dich längst abschreiben können. Wärst du ein Vampir... Nun... das ist eine lange Geschichte. Belassen wir's dabei, dass du schon eine Weile nicht bei Bewusstsein bis. Und seit dem bist du hier." Er machte einen wedelnde Handbewegung die den kleinen Raum einschloss und sah mich dann wieder an. "Dein Unterbewusstsein." "Sieht ziemlich beschränkt aus", sagte ich automatisch und fügte hinzu: "Und was machst du hier? Welchen gottverhämmerten Grund hat es, dass du in meinem Kopf rumschwirrst?" Großzügigerweise igorierte er den ersten Teil, vielleicht hatte er ihn auch völlig vergessen. Mir sollte Beides recht sein. Mit einem Mal schien das Weiß um mich herum einen rötlichen Schimmer zu bekommen, und ich musste ein paar Mal blinzeln um die Sinnestäuschung zu vertreiben. "Nana, Chacho. Das ist dir doch nicht unangenehm? Es gibt schließlich nicht viele Geheimnisse zu entdecken, momentan. Obwohl ich mir sicher bin, dass es welche gibt. Hinter irgendwelchen Geheimtüren, oder Falltüren, oder verborgenen Fenstern... gibt es immer. Ah! Na also. Darf ich?" Ohne auf meine Antwort zu warten erhob er sich und schlenderte zu der - ebenfalls weißen - Tür die gerade aus dem nichts aufgetaucht war. Aber nicht etwa an der Wand, nein, sondern mitten im Zimmer, sodass ich unwillkürlich die Beine anzog. Er öffnete sie schwungvoll. "Ui, da kommen ja Dinge ans Tageslicht... Wie... unschön..." Selbst ein wenig neugierig geworden stand ich auf und plazierte mich so, dass ich sehen konnte was sich hinter der merkwürdigen Tür befand. Blut. Es war wie ein Blick in eine andere Welt. Es war ein Art Dschungel "Aber das..." Wie auf einem Altar aufgebahrt lag vor uns eine Frau. Ihre milchig weiße Haut war schmutzig und zerkratzt, doch das Kleid das sie trug, das die gleiche Farbe hatte wie der Raum in dem wir uns noch immer befanden, war makellos sauber. Ihre tiefroten, glänzenden Locken fluteten über den moosbewachsenen Stein auf dem man sie abgelegt hatte. Nein, kein Stein... Ein Sarg. Er schien sich auf einer Lichtung in einer Art Urwald zu befinden, denn hinter ihre drängte sich dicht das Unterholz, und dazwischen... "Das reicht jetzt." Ich schreckte zusammen, als Daniel entschieden die Tür wieder zuwarf. Ehe ich Zeit hatte mich zu beschweren war die Tür wieder verschwunden. Und Daniel ebenfalls. Zumindest ging ich davon aus, aber als ich gerade anfangen wollte mir Gedanken über das abstruse Bild zu machen, das sich mr gerade geboten hatte, hörte ich seine Stimme wieder hinter mir. Du solltest aufpassen, was du wieder an die Oberfläche kommen lässt, Jess", stellte er scharf fest, und als ich herumfuh um etwas darauf zu erwidern packte er mich fest an den Schultern. Verstehst du?! Nicht jede Erinnerung ist gut, es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass es einen Grund gibt, aus dem du alles vergessen hast, das ist sogar sehr gut möglich!" Zuerst war ich so perplex, dass ich nichts darauf sagte, aber dann bemerkte ich überrascht, dass seine Augen auf sehr verräterische Art glänzten. "Wer war das?" Er sog scharf Luft zwischen den Zähnen ein, ließ mich los, wandte sich ab und senkte den Blick. Dann drehte er sich mit ungemein lauerndem Gesichtsausdruck zu mir. "Ich weiß nicht. Ist immerhin dein Unterbewusstsein, nicht meins, stimmt's?" "Schluss jetzt damit!" Soviel ich mir auch von diesem Verrückten gefallen ließ, inzwischen war ich mir absolut sicher, dass er etwas Elementares vor mir geheim hielt, auch wenn ich keine Ahnung hatte wer er wirklich war, und seinem Blick zufolge hatte diese Frau etwas damit zu tun. "Wer war das?" Nach einem neuerlichen, nervenzerreißend langen Seufzer verdrehte Daniel die Augen und nickte langsam. Na schön, wunderbar. Du willst unbedingt wissen warum ich dich kenne? Gerne doch. Komm und hol's dir!" Er verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)