Die Stimme von Animemelli (Eslosias Held) ================================================================================ Der Engel wird zum Dämon ------------------------ Dias Augen brannten, als sie aufwachte. Ihr Hals war auch sehr trocken und sie trank erstmal ein großes Glas Wasser. Die Erinnerung an den vorigen Tag kehrte zurück und drückte noch immer auf ihre Stimmung. Sie überlegte, ob sie den Discoabend mit David vielleicht absagen sollte. Aber sie entschied, dass das wahrscheinlich die beste Ablenkung war. Und dann kamen ihr Isis´ Worte wieder in den Sinn. Es war ja gar nicht sicher, dass Dominik wirklich ein schlimmer Finger war. Vielleicht tat sie ihm ja total unrecht! Ganz bestimmt gab es eine logische Erklärung für sein Verhalten. Und auf einmal erschien ihr der ganze Kinderschänder-Verdacht totaler Humbug zu sein. So ein Schwachsinn! Dominik war sicher in Ordnung. Und ein bisschen schämte sich Dia für ihre Verdächtigung. Sollte sie sich entschuldigen? Ja, vielleicht – wenn sie ihn das nächste Mal sah. Wofür, brauchte sie ja nicht zu sagen. Auf einmal fühlte sich Dia viel besser. Die ganze schwere Last war ihr von der Seele geplumpst. Sie sah ihr Lieblingsposter liebevoll lächelnd an und flüsterte: „Tut mir leid.“ Dann ging sie den Tag an. Völlig ahnungslos bezüglich der Dinge, die da kommen sollten… An diesem Samstag waren ihre Eltern endlich einmal beide zuhause. So konnten alle gemeinsam essen, reden, Spaß haben. Die letzten Kisten und Kartons waren ausgepackt und nach dem Mittagessen fuhren sie alle in die Stadt zum Einkaufen. Dia zeigte ihren Eltern die gefährliche Straße mit dem Brunnen und tingelte mit ihnen durch sämtliche Klamottenläden. Ihrem Vater reichte es irgendwann. Er wollte schon zurück zum Wagen gehen, als er ein Geschäft mit Modellspielzeug sah. Im Schaufenster war eine Schienenstrecke aufgebaut und darauf zuckelte eine kleine Eisenbahn immer im Kreis. So schnell konnten Dia und ihre Mutter gar nicht gucken, wie der erwachsene Mann in wichtiger Position in dem Laden verschwunden war. Dia verdrehte die Augen und ihre Mutter grinste. Die beiden konnten aber eine Pause gebrauchen und setzten sich vor die Eisdiele, die Dia schon kannte. Dominik war nicht da. Einen Moment dachte Dia daran, ihrer Mutter alles zu erzählen aber die sah das alles sicher ganz anders. Sie würde einen Aufstand machen und ihr den Umgang mit ihm verbieten. Wer weiß – vielleicht würde sie ihr sogar Eslosia verbieten! Das Risiko war ihr zu groß. Sie schwieg sich aus. Nach einer halben Stunde verließ Herr Freise das Geschäft wieder, in den Händen zwei volle Tüten. Dia winkte und er setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Na, was hast du gekauft, Papa?“ fragte Dia etwas spöttisch. Ihr Vater war jedoch so happy, dass ihm der Spott gar nicht auffiel. „Ein paar extra Teile für die Rennbahn. Jetzt kann ich die Strecke endlich ein wenig ausbauen.“ Dia schüttelte den Kopf. Und dieser Mann nannte SIE kindisch! Die reinste Ironie. „Na, dann weiß ich ja, wo du den Rest des Tages sein wirst“, stichelte seine Frau grinsend. Als Antwort bekam sie einen Kuss von ihrem glücklichen kindischen Mann, der sich nun einen Eisbecher genehmigte. Frau Freise trank einen Kaffee und Dia wollte einen Eiskaffee. Gegen fünf machten sich die drei auf den Heimweg. Zuhause ging Dia erst einmal duschen. Ihr Vater verschwand augenblicklich im Keller, wie ihre Mutter schon geahnt hatte. Die setzte sich an ihren Arbeitsplatz und schrieb noch ein wenig an ihrem neuen Roman. Dia stand vor ihrem Schrank und überlegte, was sie wohl anziehen sollte. Es wurde abends schon kühl – zu kühl für irgendwas Knappes. So ganz wusste sie auch gar nicht, wonach ihr war: eher sexy oder lieber legére und bequem. Also, der einfache Straßen-Look passte nicht in die Disco. Da musste es schon was besonderes sein. Sie probierte einige Sachen an aber nichts gefiel ihr so richtig. Doch dann fiel ihr Blick auf ein Kleid, dass eigentlich mehr ein Kostüm war. Sie zog es aus dem Schrank und betrachtete es nachdenklich. Dieses Kleid hatte sie vor zwei Jahren zu einem Karneval in der Schule angehabt. Sie war damals als eine eslosische Göttin verkleidet gewesen - Kara. Das Kleid war aus grünem Samt mit weit ausgestellten Ärmeln und reichte ihr bis zu den Knien. Ja, das war es! Sie sah darin ein bisschen nach Elfe aus aber das würde sie schon hinkriegen. Entsprechende Schuhe und die Haare richtig zurecht gemacht und schon war der Elfen-Touch verschwunden. Schließlich wollte sie heute Abend weder eine Elfe noch eine Göttin darstellen. Das Outfit stand also fest. Und als ihre Haare endlich trocken waren, konnte sie sich um die Frisur kümmern. Um acht Uhr war sie fertig. David wollte sie um zehn abholen. Was bis dahin tun? Erstmal Abendbrot essen, entschied sie. Doch dafür zog sie das Kleid wieder aus. Stattdessen schlüpfte sie in ihren Bademantel. In der Küche stand ihre Mutter vor dem gedeckten Tisch und prüfte, ob sie irgendwas vergessen hatte. Als Dia an ihr vorbei ging, schaute sie überrascht auf. „Wow! Dia, du siehst ja so anders aus. Gefällt mir. Warum machst du dich nicht öfter mal ein bisschen zurecht?“ Aber Dia winkte ab. „Keine Lust, viel zuviel Aufwand. Ist Papa immer noch im Keller? Soll ich ihn holen?“ Frau Freise nickte. „Ja, ruf ihn mal. Ich hab schon zweimal nach ihm gerufen. Und weißt du, was er geantwortet hat? „Nur noch fünf Minuten!“ Wie ein kleiner Junge, der ins Bett soll.“ Dia lachte laut auf. Sie hatte schon einen verrückten Vater! „Ich gehe mal runter“, sagte sie und marschierte zur Treppe. Im Keller war es recht kühl aber Dia ging tapfer bis in den kleinen Hobbyraum, aus dem ein Lichtschein kam. „Papa, komm rauf, das Essen ist fertig. Boah! Was ist das denn?“ Dia traute ihren Augen kaum. Die Carrera-Bahn hatte sich von Tischgröße auf Raumgröße ausgedehnt. Die Fahrschienen liefen kreuz und quer durch den ganzen Keller, inklusive Brücken, Loopings und Unterführungen. Und mitten drin saß ihr Vater mit einer Steuerung und jagte seinen kleinen Mini-Porsche über die Strecke. „Ein paar Teile, soso. Eher ein paar mehr, würde ich sagen“, bemerkte Dia sarkastisch. „Hey, Dia, ist das nicht klasse? Willst du auch mal?“ rief ihr Vater begeistert und hielt ihr die Steuerung hin. „Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt?“ fragte Dia. „In ein paar Monaten ziehen wir doch sowieso wieder um und dann musst du alles wieder abbauen.“ Herr Freise ließ die Steuerung sinken und der kleine Wagen blieb stehen. „Dia, glaubst du das wirklich? Warte mal, ich komme mit nach oben. Es wird nämlich Zeit, euch etwas zu sagen.“ Er stand auf und stieg vorsichtig über die Fahrstrecke hinweg. Bei Dia angekommen schaltete er das Licht aus und ging nach oben. Dia folgte ihm gespannt. „Also dann, passt auf“, begann er, als sie alle am Tisch saßen, „mein Chef hat mir die Leitung der Filiale übertragen und ich habe akzeptiert. Wir werden also ab sofort nicht mehr umziehen müssen. Wir bleiben hier.“ Dia konnte kaum glauben, was sie da gerade gehört hatte. „Endlich! Das wurde auch langsam Zeit. Ich gratuliere dir, Schatz. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass wir nun endlich mal Wurzeln schlagen können.“ Frau Freise umarmte ihren Mann und da begriff Dia, dass das wirklich ernst gemeint war. Sie brach in Jubel aus. „Nie wieder umziehen! Gott sei dank, endlich! Nie wieder Kartons packen und Möbel zerlegen! Oh Papa, das ist ja so spitze!“ Und sie fiel ihrem Vater um den Hals und küsste ihn kräftig auf die Wange. „Schon gut, jetzt ist es aber genug. Lasst uns jetzt endlich essen. Mein Hobby wartet auf mich“, sagte er lächelnd und seine Frau und Tochter kicherten um die Wette. Um kurz vor zehn sah Dia vom Fenster aus, wie David auf die Haustür zuging. Sie öffnete ihm, bevor er klingeln konnte. Es war ja nicht nötig, dass ihre Eltern ihn noch musterten. Immerhin waren sie nur Freunde, mehr nicht. Da war so ein Wirbel wie damals bei Leon wirklich überflüssig. Aber da ihr Vater wieder im Keller steckte und ihre Mutter arbeitete, war sie relativ sicher. Sie zog sich schnell ihre Jacke über und zog David mit sich. Die Tür fiel ins Schloss und die Sache war überstanden. David führte sie zu einem Moped. Dia hatte keine Ahnung, dass er motorisiert war. „Wie hätten wir denn sonst zur Disco kommen sollen?“ fragte er. Dem konnte Dia nichts entgegensetzen. David setzte sich einen Helm auf und reichte Dia einen zweiten. Da würde ihre Frisur ja ziemlich leiden aber Sicherheit ging vor. Sie setzte den Helm auf und David musste den Verschluss schließen. Dann setzte er sich auf seine kleine Maschine und Dia klemmte sich dahinter. Laut knatternd fuhren die beiden in die Stadt. Die Disco war voll. Dia konnte sich kaum durch die Massen von Leuten zwängen. Sie entdeckte einen kleinen Tisch an der Seite der großen Tanzfläche und dirigierte David dort hin. Die Luft war stickig und verqualmt. Dia war keinen Zigarettenrauch gewöhnt und musste zuerst ordentlich husten. Aber als sie ihre erste Cola bekam, hörte das Kratzen im Hals schnell auf. Die Musik war ohrenbetäubend laut. Dia konnte weder David noch sich selbst hören. Eine Unterhaltung war nicht möglich. Als sich Dias Cola dem Ende zuneigte, spielte der DJ ein fetziges Stück, zu dem Dia unbedingt tanzen wollte. Sie stand auf und zog David mit sich, der sich zu wehren versuchte aber schließlich doch mit auf die Tanzfläche kam. Sie bewegten sich im Rhythmus der Beats und wurden dabei immer ausgelassener und wilder. Drei Songs lang tanzten die beiden und Dia fühlte sich fantastisch. Dann änderte der DJ den Stil und spielte einen Schmusesong. Dia sah David schüchtern und zugleich fragend an aber David lächelte nur und legte seine Arme um sie. Darauf hatte er den ganzen Abend über gewartet. Dia fühlte sich in seinen Armen überraschend wohl, obwohl sie spürte, wie heiß ihm war. Ihr ging es nicht anders. Nach der wilden Tanzerei schwitzen die beiden um die Wette. Aber keinem von beiden machte das etwas aus. Sie genossen die Nähe und auf einmal fühlte Dia eine zärtliche Zuneigung zu David. Sie sahen sich in die Augen und es funkte – bei beiden. Nur noch Sekunden vergingen und sie küssten sich. Dieser Kuss dauerte den ganzen langsamen Tanz und während alle anderen schon wieder zu hämmernden Beats abrockten, dauerte der Kuss immer noch an. Schließlich wurden sie aber so oft angerempelt, dass sie sich entschieden, an ihren Tisch zurück zu gehen. Dort bestellten sie sich beide eine Cola. Sie tranken ihre Gläser in einem Zug leer. Dia wollte gern mit David reden und er auch mit ihr aber das war hier unmöglich. Deshalb verließen sie den großen Tanzsaal und setzten sich in die kleine Lounge nebenan. Dort konnten sie sich wenigstens verstehen. „Ich hab mich total in dich verknallt“, gestand David. „Gleich schon am ersten Tag. Und ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich dir näher kommen kann. Und als du mich dann wegen der Disco gefragt hast, war das meine Chance.“ Dia sah ihm in die Augen und sagte dann: „Ich hab mich auch verknallt, allerdings erst gerade eben.“ „Heißt das, wir sind jetzt zusammen?“ fragte David. „Ich schätze ja“, antwortete Dia. Mehr brauchte es nicht. Die zwei küssten sich wieder und unterhielten sich dann noch lange über alles Mögliche. Kurz vor Mitternacht musste Dia den Abend beenden. Sie hatte versprochen, bis zwölf zuhause zu sein. David hatte dafür volles Verständnis und wollte ebenfalls gleich nach Hause, natürlich nachdem er Dia heimgebracht hatte. An der Garderobe warf Dia ihre Jacke über obwohl sie sie eigentlich gar nicht brauchte, so heiß wie ihr war. Aber auf dem Moped wurde es sehr windig, das hatte sie schon auf dem Hinweg festgestellt. David hatte den Arm um sie gelegt und die beiden gingen aneinander gekuschelt in Richtung Parkplatz. Böse funkelnde Augen beobachteten sie dabei. Im Dunkeln mussten sie eine Weile suchen, bevor sie Davids Moped wieder fanden. Als sie an einem der vielen parkenden Autos vorbei gingen, sahen sie einen großen Schatten, der sich nach vorn gebeugt gegen die Motorhaube drückte. Unter ihm war eine zweite Gestalt, die mit dem Rücken auf der Haube lag. David grinste bei dem Anblick und Dia sah in eine andere Richtung. Ihr war das peinlich. Doch plötzlich hörten sie, wie eine weibliche Stimme „nein“ sagte, zwar recht leise aber deutlich. Und sie klang sehr jung. Dia und David blieben stehen. Sie glaubten erst, sich geirrt zu haben aber in der Stille hörten sie es ganz deutlich: „Hör auf, ich will das nicht. Lass mich los, ich hab das noch nie gemacht.“ Hilfesuchend sah Dia David an, konnte aber sein Gesicht nicht sehen. Sollten sie eingreifen? Im nächsten Moment hörten beide eine männliche Stimme und Dia erschrak fast zu Tode. „Alles halb so wild, Kleine. Es macht Spaß, du wirst sehen. Nun komm schon, es tut auch nicht weh, versprochen.“ Dia wurde übel. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Tränen traten ihr in die Augen. Das war Askariels Stimme, eindeutig. Diese wunderschöne Stimme sagte so etwas Furchtbares. Das war zuviel für Dia. Es war ein Schock, der sich im nächsten Moment in unbändige Wut verwandelte. Sie befreite sich aus Davids Armen und ging zu dem Wagen. Sie riss Dominik von dem Mädchen herunter, dass sich sofort hinter den Wagen stellte und ihre Kleidung wieder zurecht rückte, drehte ihn zu sich herum und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. „Also doch, mein Verdacht hat sich bestätigt. Du mieses Schwein! Du benutzt deine Rolle, um kleine Mädchen zu ködern. Wie kann man nur so widerlich sein?! Wie viele Mädchen hast du schon belästigt? Hast du sie erpresst? Hast du sie etwa alle vergewaltigt?“ Dominik begriff zuerst gar nicht, was passierte. Aber er erkannte Dia an der Stimme. „Dia? Bist du das? Was soll denn das? Was redest du denn da für Zeug? Ich hab niemanden vergewaltigt, so ein Blödsinn. Okay, ich hab meine Rolle genutzt, um Girls rumzukriegen aber ich hab doch niemanden gezwungen!“ „So? Und was war das gerade? Die Kleine hat doch ausdrücklich nein gesagt! Aber aufgehört hast du deshalb nicht. Ich schätze, wenn ich nicht eingegriffen hätte, hättest du sie mit Gewalt gezwungen. Oder hättest du Sex mit ihm haben wollen?“ fragte sie nun das Mädchen, das immer noch hinter dem Wagen stand. Die Kleine kam verschüchtert hinter dem Auto hervor und versteckte sich hinter Dia. „Nein, auf keinen Fall! Aber ich hatte keine Chance, er hat mich auf das Auto gedrückt und ich konnte nichts machen. Danke für deine Hilfe.“ „Schon gut. Alles okay? Oder hat er dich irgendwie verletzt?“ „Nein, alles in Ordnung.“ Da mischte sich David ein. „Kann mir mal einer sagen, was hier los ist?“ Aber statt etwas zu erklären, sagte Dia: „David, ich glaube, du solltest die Polizei rufen. Sag ihr, hier gibt´s einen Kerl, der kleine Mädchen verführt und im Notfall auch mal gegen ihren Willen.“ Als Dominik etwas von Polizei hörte, bekam er Panik und drehte durch. Er stürzte sich auf Dia und hielt ihr plötzlich ein Messer an die Kehle. „Das mit der Polizei werden wir mal schön sein lassen, klar? Hey, du da! Wirf dein Handy hier rüber aber sofort! Wird´s bald?“ Dia spürte die Klinge an ihrem Hals und war vor Angst wie erstarrt. Sie wollte zwar das Pfefferspray aus ihrer Handtasche holen, konnte sich aber nicht bewegen. David konnte nichts anderes tun als dem Befehl folgen. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf es Dominik vor die Füße. Dann kommandierte er das Mädchen in Davids Richtung. „Anja, du gehst rüber zu dem Jungen, aber langsam.“ Anja gehorchte. Dann war alles still. Dominik wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Drei Zeugen konnte er nicht kontrollieren. Sollte er sie alle in sein Auto verfrachten und irgendwo erledigen? Doch dazu kam es nicht mehr. Plötzlich verspürte er einen heftigen Schmerz im Nacken und brach ohnmächtig zusammen. Dia rührte sich nicht. Sie hatte keine Ahnung, was los war. Auf einmal leuchtete ihr der Strahl einer Taschenlampe ins Gesicht. „Sieht aus als wäre alles noch dran, keine Verletzungen“, ertönte eine weibliche Stimme, die sie schon irgendwo mal gehört hatte. Langsam löste sie sich aus ihrer Starre. „Gut gemacht, Mitzi, eine Treffsicherheit hast du, fantastisch.“ Diese Stimme erkannte sie sofort. Das war Kiki! Und den Namen Mitzi hörte sie auch nicht zum ersten Mal. Der Strahl der Taschenlampe wanderte hinüber zu David und Anja. Dia erkannte das Mädchen wieder. Das war doch die Kleine, die ihr mit der Spritze bei Isis geholfen hatte! Ohne ihre Hilfe wäre Isis sicher gestorben, denn Dia hatte ja keine Ahnung von diesen Dingen gehabt. Anja hatte sich erschrocken an Davids Arm geklammert. „Anja, ist alles in Ordnung bei dir?“ fragte Kiki die Kleine besorgt. Die kannten sich? „Oh Kiki, das war vielleicht furchtbar! Wenn Dia ihn nicht weggezogen hätte, würde es mir jetzt sicher um einiges schlechter gehen.“ „Ja ich hab es mitbekommen. Wir waren da drüben im Gebüsch, Mitzi und ich. Zuerst haben wir uns das Ganze nur angesehen aber dann habe ich deine Stimme erkannt, Anja. Was machst du eigentlich hier? Du weißt doch, dass du um die Zeit nicht mehr draußen sein darfst. Hast du dich wieder in die Disco eingeschlichen?“ Anja löste sich von David und senkte schuldbewusst den Kopf. Betreten ging sie zu Kiki hinüber. „Ja ich weiß aber wann hat man schon mal die Chance, mit einem Star zusammen zu sein? Der da ist der Sprecher von Askariel!“ Und sie zeigte auf den ohnmächtigen Dominik. „Er hat mich gestern in der Stadt angesprochen und ich hab mich für heute Abend mit ihm verabredet. Und dann wollte er hier am Auto plötzlich mehr als rumknutschen.“ Langsam fügte sich für Dia alles zusammen. „Sag mal, ist Kiki zufällig deine Schwester?“ fragte sie Anja. „Ja, sicher ist sie das. Vielen Dank noch mal für deine Hilfe. Du hast mir vielleicht das Leben gerettet.“ Aber Dia sagte nur: „Dann sind wir ja jetzt quitt. Immerhin hast du mir geholfen, Isis das Leben zu retten.“ „Ach ja, das warst du mit der Spritze letztens in der Schule, richtig?“ „Ganz genau.“ „Stimmt, dann sind wir jetzt quitt.“ Dann wandte sich Anja an ihre Schwester. „Was macht ihr eigentlich hier? Oh nein, sag bloß nicht, Dia ist die, die bluten sollte!“ Dia sah Kiki erschrocken an. „Wie bluten?“ Aber Kiki sagte nichts. Und Anja erklärte ihr: „Ich hab heute Morgen gehört, wie Kiki am Telefon zu Mitzi gesagt hat: „Sie soll bluten!“ Und ich hab sie auch gefragt, wen sie meint aber sie wollte es mir nicht sagen.“ Da wusste Dia auf einmal auch wieder, wer diese Mitzi war. Sie war die mit den vielen Ringen, die ihr fast das Gesicht zertrümmert hätte, wenn Dominik nicht eingegriffen hätte. Welche Ironie, dass es diesmal umgekehrt war! Aber warum hatte sie sie diesmal gerettet? Kiki trat plötzlich auf Dia zu und sagte etwas zerknirscht: „Es tut mir leid, Dia. Ja, ich wollte dir heute eine endgültige und bleibende Lektion erteilen, wegen David. Ich war so wütend und eifersüchtig, dass ich Mitzi gebeten habe, dir die Nase zu brechen oder ein paar Zähne auszuschlagen oder etwas ähnliches. Aber dann habe ich mitgekriegt, wie du meine Schwester gerettet hast. Danke. Ich glaube zwar nicht, dass wir irgendwann Freunde werden, weil du mir David weggeschnappt hast, aber ich werde dich ab sofort in Ruhe lassen. Ich liebe meine kleine Schwester und versuche, auf sie aufzupassen. Sie soll nicht so werden wie ich. Unsere Mutter ist dauernd betrunken, seit unser Vater gestorben ist, und kümmert sich kaum um uns. Deshalb hat es mir auch wirklich leid getan, was mit Isis passiert ist. Papa ist gestorben, weil er keine Spritze bekommen hat, als er einen Anfall hatte. Es war niemand zuhause, der sie ihm hätte geben können. Seitdem trinkt Mama dauernd und ich - naja... Und ich glaube, Anja ist ein toller Mensch. Sie bedeutet mir sehr viel. Du hast sie gerettet, das kann ich nie wieder gutmachen.“ Das hätte Dia nie vermutet! Deshalb war Kiki also so! Es fiel ihr sicher schwer, so offen darüber zu sprechen. Dia hatte auf einmal Mitleid mit Kiki. Und als Kiki ihr die Hand zur Versöhnung reichte, nahm Dia die Entschuldigung an. Sie wollte Kiki nichts mehr nachtragen. „Ich entschuldige mich auch, weil ich dich bedroht habe – und wegen dem Schlag ins Gesicht, den dir Rosi verpasst hat“, sagte Mitzi kleinlaut und drückte Dia kräftig die Hand. Dia hörte einige Knochen knacken und versuchte, sich aus dem Griff zu lösen. „Schon gut, ist halb so schlimm. Aber jetzt brauch ich eine Stützbandage“, murmelte sie und rieb sich die Hand. Mitzi wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase her, um ihre Würde wieder herzustellen. „Jetzt sollten wir aber die Polizei rufen, so lange der Typ noch k.o. ist“, warf David ein. Kiki zog ihr Handy heraus und wählte 110. „Ich verschwinde jetzt“, sagte Mitzi. „Die Bullen haben da noch was laufen bei mir. Ihr kommt ja klar.“ „Ja, danke Mitzi. Ich werde ihnen sagen, ich hätte ihn umgehauen. Ich werde dich nicht erwähnen.“ Mitzi legte Kiki dankbar die Hand auf die Schulter und dann machte sie sich aus dem Staub. „Was ist mit euch? Werdet ihr der Polizei von Mitzi erzählen?“ fragte Kiki nun Dia und David. Aber Dia lächelte unschuldig und sagte: „Welche Mitzi? Die, die mir das Leben gerettet hat? Die mit den vielen Ringen und der großen Treffsicherheit? Nie gesehen!“ Kiki lächelte. Wer weiß - vielleicht wurden sie ja doch irgendwann Freunde. Fünf Minuten später fuhr ein Streifenwagen auf den Parkplatz. David dirigierte ihn zum „Tatort“. Dominik war immer noch bewusstlos aber die Beamten bekamen ihn schnell wieder wach. Handschellen klickten und ein Polizist nahm Namen und Adressen auf. Danach machten sich Kiki und Anja auf den Heimweg. David und Dia stiegen auf das kleine Moped und zehn Minuten später verabschiedete sich Dia vor ihrer Haustür mit einem langen Kuss von ihrem neuen festen Freund. Sie hatten sich für morgen verabredet. Aber erst würde sie Isis anrufen und ihr alles erzählen. „Ich schätze, dass Askariel dann im Herbst eine neue Stimme haben wird“, dachte Dia laut, als sie endlich im Bett lag und griff im Dunkeln nach der Figur auf ihrem Nachtschränkchen. Sie drückte den Knopf. Der bekannte Satz erklang in der Stille der Nacht und bohrte sich wie ein Messer in Dias Herz. Der Schmerz und die Enttäuschung waren immer noch deutlich zu spüren. Was tun? Es gab nur einen Weg. Dia richtete sich auf. Sie drehte sich um zur Wand und streckte ihre Hand nach Askariel aus. Als sie das Poster spürte, kniff sie die Augen fest zu und riss es von der Wand. Sie knüllte den Streifen zusammen und ließ ihn neben ihr Bett fallen. Dann stand sie auf und warf die Figur in den Mülleimer. Das Licht schaltete sie nicht ein. Dazu fehlte ihr jetzt noch die Kraft. Sie legte sich wieder ins Bett, konnte aber lange nicht einschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)