Die Stimme von Animemelli (Eslosias Held) ================================================================================ Das Problem "Kiki" ------------------ „Guten Morgen allerseits!“ begrüßte die Lehrerin die Klasse. Dia hatte sich auf einen freien Platz ziemlich weit hinten im Klassenraum gesetzt. Als die Lehrerin sie bemerkte, sprach sie sie an. „Hallo, wen haben wir denn da? Bist du Dianta Freise?“ Dia nickte und errötete, als alle sich zu ihr umdrehten. „Würdest du kurz nach vorne kommen und dich vorstellen?“ Dia nickte wieder und stand auf. Während sie nervös zum Lehrerpult schlich, dachte sie sich: `warum soll ich mich jetzt noch vorstellen, sie hat doch meinen Namen schon gesagt!? Jetzt kommt´s wieder, die alte Leier.´ Bevor sie sich zu den anderen Schülern umdrehte, vergewisserte sie sich, dass ihr Hemd zugeknöpft war. „Hallo. Ich bin Dianta Freise. Aber nennt mich Dia.“ Dia erwartete jetzt einen dummen Spruch, der auch prompt kam. „Wo hast du denn deinen Projektor gelassen?“ fragte ein blondes Mädchen ganz vorne etwas höhnisch. Aber Dia hatte diesen Spruch inzwischen so oft gehört, dass sie bereits eine Standard-Antwort zum Kontern parat hatte. „Vor zwei Jahren gegen einen Beamer ausgetauscht!“ antwortete sie lässig und einige der Anderen kicherten. Dia sah zu Isis, die lächelnd den Daumen hob und zwinkerte. Dia grinste. „Woher kommst du denn und warum bist du jetzt hier in Hamburg?“ fragte die Lehrerin und nun durfte Dia die ganze Geschichte von neuem runterleiern. Während sie erzählte, bemerkte sie, dass Isis aufmerksam zuhörte, obwohl sie doch alles schon wusste! Das war eine sehr nette Geste, fand Dia. Über ihre Mutter sagte Dia nur, dass sie zuhause arbeitete und für verschiedene Dinge recherchierte. Dia konnte nicht gut lügen, deshalb erwähnte sie von der Schriftstellerei erst gar nichts. Das Täuschungsmanöver funktionierte offensichtlich. Ihre neuen Klassenkameraden hörten zwar zu, fanden ihre Erzählungen aber ziemlich uninteressant, abgesehen von den vielen Umzügen. „Wo hast du denn schon überall gewohnt?“ fragte ein blonder Junge mit der vielsagenden Aufschrift „Globetrotter“ auf seinem Shirt. Dia hatte keine Lust, alle Orte aufzuzählen, deshalb antwortete sie: „Abgesehen von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin habe ich schon in jedem Bundesland gewohnt.“ Der blonde Junge war sichtlich beeindruckt. Fast unabdingbar folgte die Frage: „Und in welchem hat es dir am besten gefallen?“ Dia antwortete: „Also die besten Freunde hatte ich in München aber wenn du die Umgebung und die Landschaft meinst, dann Nordrhein-Westfalen.“ Der Junge sagte: „Kenne ich, da wohnen Verwandte von mir – im Kreis Lippe.“ Und Dia entgegnete erstaunt: „Hey, genau da haben wir auch gewohnt! In Detmold, einer niedlichen kleinen Stadt und mit so vielen Ausflugszielen!“ – „Ja, kenne ich auch.“ Da schaltete sich die Lehrerin ein. „Okay, ihr könnt euch ja nachher noch weiter unterhalten, aber jetzt möchte ich gerne mit dem Unterricht anfangen, wenn´s recht ist. Dia, du kannst dich wieder setzen. Schön, dass du jetzt hier bist. Ich hoffe, du findest gute Freunde und musst nicht nächsten Monat schon wieder umziehen.“ Dia lächelte und sagte: „Ja, das hoffe ich auch. Danke.“ Dann ging sie wieder nach hinten und setzte sich. Wider Erwarten hatte sie die Sache ganz gut gemeistert, fand sie. Na ja, Isis hatte sie unterstützt und dieser blonde Junge hatte es ihr ja sehr leicht gemacht. Wie der wohl hieß? Das fragte sie in der Pause Isis. „Unser Globetrotter? Das ist David. Er möchte am liebsten die ganze Welt kennen lernen aber seine Eltern haben dafür kein Geld. Deshalb nimmt er an jedem Schüleraustausch teil und liest jede Menge Reiseführer. Er spricht perfekt Englisch und das schon seit der fünften Klasse! Er wird entweder mal Pilot bei der Lufthansa oder Forscher oder Schiffskapitän oder so was. Der schafft, was er sich vornimmt. Er lernt schnell und ist ehrgeizig. Deshalb passt er auch so gut zu Kiki. Das ist die Blonde, die vorhin diesen dämlichen Kommentar abgegeben hat. Kiki lernt gar nicht und hat auch kein Ziel – außer David. Falls du dich für David interessieren solltest – lass es! Kiki hat sowieso schon gegrummelt, als David mit dir gesprochen hat, ich hab´s ganz deutlich gehört. Nimm dich bloß vor der in Acht, die ist ganz schön hinterhältig.“ Dia sah vorsichtig zu Kiki, die gerade dabei war, David vollzuquatschen. Er versuchte offenbar, ihr etwas in Mathe zu erklären aber entweder stellte sich Kiki absichtlich doof oder sie war doof. Sie kapierte kein Wort. „Weiß David das?“ fragte sie. Isis steckte sich ein Maoam in den Mund und fragte zurück: „Was? Dass Kiki hinterhältig ist oder dass sie auf ihn steht?“ – „Beides“, antwortete Dia, „immerhin lässt er sich auf dieses Spielchen ein.“ Und sie zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter hinweg auf die beiden und ihre private Mathestunde. Isis schluckte ihr Maoam runter und wickelte schon das Nächste aus. „Ob er ihre miesen Eigenschaften kennt, weiß ich nicht aber wenn er von ihrer Schwärmerei nichts mitkriegt, muss er blind sein. Ich denke, er weiß davon“, sagte sie kauend. Jetzt wurde Dia neugierig. „Und – steht er auch auf sie? Zusammen sind sie ja wohl nicht. Hat er mal was dazu gesagt?“ fragte sie interessiert. Isis zog eine Flasche Apfelsaft aus ihrem Rucksack und öffnete sie. Sie nahm einen Schluck und schraubte sie wieder zu. „Bislang hat er sich nichts anmerken lassen. Ich wette, er hat kein Interesse. Aber er will sie wohl auch nicht vor den Kopf stoßen. Er ist nett und höflich zu ihr aber mehr auch nicht.“ Dia machte sich ihre Gedanken. Dieser David war ja irgendwie ganz interessant und süß war er auch aber gegen Askariel hatte er keine Chance. Oder doch? Nein, auf keinen Fall! Sollte diese Kiki ihn ruhig weiter umschwärmen. Ihr konnte das wurscht sein. Oder nicht? Als die Klingel das Ende der Pause ankündigte, setzte sich Dia wieder auf ihren Platz und sah etwas gedankenverloren aus dem Fenster. „Na, ist da draußen gerade dein Traumprinz vorbei gekommen?“ fragte plötzlich eine Stimme. Dia drehte sich überrascht nach vorne und sah in Davids Gesicht. Sie schaute sich erschrocken nach Kiki um aber die war nicht im Raum. Erleichtert antwortete sie: „Wohl kaum, mein Traumprinz ist unerreichbar.“ Gleich darauf korrigierte sie sich. „Äh, ich meine, ich hab keinen. Wieso, sehe ich so aus?“ In diesem Moment betrat Kiki den Raum, gefolgt vom Englisch-Lehrer. Dia kramte erschrocken in ihrem Rucksack, während Kiki mit böse funkelnden Augen zu ihrem Platz ging. David beugte sich über den Tisch zu Dia hinunter und flüsterte: „Nein, aber du siehst sehr geheimnisvoll aus. Ich wüsste zu gerne, was hinter diesen hübschen Augen vor sich geht.“ Er lächelte und ging dann zu seinem Platz. Dia lächelte ebenfalls doch das Lächeln entglitt ihr, als sie Kikis Gesicht sah. Schnell steckte sie ihre Nase in ihr Englischbuch und versuchte, unbeteiligt und konzentriert auszusehen. Aber sie machte sich große Sorgen wegen Kiki. Es war keine Frage, dass sie mit ihr zusammenstoßen würde. Und es war nur noch eine Frage von Stunden bis dahin. Als die letzte Stunde beendet war, beeilte sich Dia, ihre Sachen zu packen, um dann mit Isis so schnell wie möglich zum Bus zu laufen und zu verschwinden. Aber sie schaffte es nicht. Noch bevor sie den Klassenraum verlassen konnte, stellte sich Kiki vor sie und sah sie drohend an. „Hey, damit das klar ist: Hände weg von David, der ist für dich tabu, kapiert?“ Eigentlich hätte Dia jetzt einfach nur „okay“ gesagt und sich dann verdrückt aber aus einem für sie selbst unverständlichen Grund wollte sie sich das nicht so einfach sagen lassen. „Also erstens würde ich die Entscheidung David überlassen und zweitens hab ich überhaupt kein Interesse an ihm, also kannst du dich ruhig wieder abregen.“ Damit warf sie sich ihren Rucksack über die Schulter und ließ Kiki einfach stehen. Kiki sah ihr wütend nach und Isis, die über Dias Reaktion staunte, beobachtete, wie es in Kikis Kopf arbeitete – ein seltener Anblick, wie sie fand. Schnell lief sie hinter Dia her und holte sie an der Treppe wieder ein. „Wow! Jetzt bin ich aber platt. Sagtest du nicht vorhin in der Pause, du hättest Angst vor Kiki? Und da wirfst du ihr so was an den Kopf? Ich muss schon sagen, mutig, mutig!“ meinte sie bewundernd und zog einen Müsliriegel aus ihrer Tasche. „Ich bin so gut wie tot“, flüsterte Dia panisch. Ihre Hände zitterten. „Wie konnte ich nur so was sagen? Was ist da bloß in mich gefahren? Bin ich eigentlich noch zu retten?“ Auf einmal standen Tränen in ihren Augen. Isis nahm ihre Hand. „Hey, nun beruhige dich mal wieder. Warum hast du denn so eine Angst? Kiki labert doch nur Mist, was kann sie dir schon tun? Im schlimmsten Fall erzählt sie Lügen über dich, das musst du einfach ignorieren. Und ich bin auch noch da.“ Dia wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und sah Isis dankbar an. Dann liefen die beiden Mädchen Hand in Hand zum Bus. Zwei Haltestellen bevor Isis aussteigen musste, hatte sie eine Idee. „Sag mal, wie wär´s, wenn wir uns heute Nachmittag wieder treffen? Dann zeige ich dir mal ein bisschen was von Hamburg. Oder kennst du unsere Stadt schon?“ Doch Dia winkte ab. „Wie sollte ich denn? Ich bin erst seit Samstag hier und wir haben das ganze Wochenende mit dem Einzug zu tun gehabt. Ich hatte noch gar keine Zeit und nimm es bitte nicht übel aber ich habe jetzt noch keine Lust auf die Stadt. Aber wie wär´s, wenn du zu mir kommst? Ich hab heute Abend sturmfreie Bude, da haben wir das ganze Haus für uns.“ Isis´ Augen leuchteten bei dem Gedanken, das Haus von Donna Day zu sehen. „Klar! Da bin ich sofort bei! Wann soll ich da sein?“ fragte sie aufgeregt. Dia musste lachen. Sie öffnete ihren Rucksack und riss ein Blatt aus ihrem Notizbuch. Dann schrieb sie ihre Adresse darauf. „Wie wär´s, wenn du erstmal fragst, wo du überhaupt hin musst? Hier, meine Adresse. Ich würde sagen, komm so gegen fünf. Dann ist meine Mutter noch da und du kannst sie kennen lernen – falls du das willst!“ meinte Dia ironisch. „Und ob!“ jubelte Isis begeistert. „Bis nachher dann!“ Sie warf sich den Rucksack über und sprang glücklich lächelnd aus dem Bus. Dia sah ihr grinsend nach. Sie war genau so glücklich aber aus anderen Gründen. Schon gleich am ersten Tag hatte sie eine Freundin gefunden. So schnell hatte das noch nie geklappt! Zwei Haltestellen weiter stieg sie aus dem Bus und öffnete kurz darauf singend die Haustür. „Bin wieder da!“ rief sie fröhlich und warf den Rucksack vor der Garderobe auf den Fußboden. Ihre Mutter klapperte in der Küche mit Geschirr und Dia roch gebratenes Hackfleisch. Als sie die Küche betrat, waren die Fensterscheiben vom Wasserdampf der kochenden Spagetti beschlagen. „Hallo Dia. Du bist pünktlich. Wow, du siehst ja so happy aus! Ist dir etwa Askariel über den Weg gelaufen?“ fragte ihre Mutter, während sie zwei Teller auf den Tisch stellte. Dia sah sie spöttisch grinsend an. „Ha ha, Mama!“ antwortete sie. „Oh, lecker, Spagetti Bolognese! Selbst gemacht oder Fertigmischung?“ – „Heute mal selbst gemacht. Weil doch heute dein schwerer erster Schultag war. Und, wie war er denn nun? Erzähl doch mal!“ Und Dia erzählte von Isis und David und ihrer erfolgreichen Vorstellung. Dann fragte sie, ob Isis sie heute besuchen dürfte. „Ich habe nichts dagegen“, antwortete ihre Mutter kauend, „wenn du sie so gern magst, ist sie bestimmt in Ordnung. Na hoffentlich habt ihr beide noch andere Gemeinsamkeiten außer Eslosia.“ Dia drehte Spagetti auf die Gabel und druckste ein wenig herum, bevor sie den Knackpunkt des Ganzen offen legte. „Du, Mama? Da wäre noch was. Ich habe Isis versprochen, dass sie dich kennen lernen darf.“ Ihre Mutter legte sofort das Besteck hin und machte ein ernstes Gesicht. „Oh nein, Dia! Du weißt doch, dass ich nichts davon halte! Und ich dachte, du auch nicht?“ „Ja schon, aber ich hab ihr gesagt, dass das ein Geheimnis ist und sie hat versprochen, nichts zu verraten und im Gegenzug hat sie mir das mit dem Blutzucker anvertraut. Bitte, Mama! Sie wird es nicht rumerzählen, bestimmt nicht!“ Dia sah ihre Mutter mit bettelndem Gesichtsausdruck an und brach damit ihren Widerstand. „Na schön, meinetwegen. Aber ich werde sie mir ins Gebet nehmen, damit sie auch wirklich den Mund hält“, bestimmte sie. „Das kannst du ruhig machen, danke Mama!“ jubelte Dia begeistert. Dann aßen die beiden zu ende und Dia stieg nach oben in ihr Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Durch die ständigen Schulwechsel musste sie sich dauernd an ein anderes Lerntempo und neuen Stoff anpassen. Hier waren sie noch nicht ganz so weit wie in München, deshalb hatte Dia keine Probleme, mitzukommen, jedenfalls nicht in den Hauptfächern. Es blieben noch Musik und Geschichte abzuwarten aber auch darüber machte sich Dia keine Sorgen. Um halb fünf war sie mit allem fertig und machte ihr Zimmer so richtig gemütlich, damit Isis sich wohl fühlen würde. Sie stellte einen Krug Eistee bereit und ihre Mutter hatte inzwischen Obstkuchen und Brötchen für den Abend besorgt. Um punkt fünf Uhr klingelte es. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)