Sorrow and Pain von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Who´s Aoi? --------------------- Kami-sama! Der Mann musste wirklich Hilfe benötigen. Er konnte kaum sprechen und eigentlich sah er auch nicht danach aus, dass er es alleine in ein Krankenhaus schaffen würde. Sein Gestammel ließ ihn wirklich stutzig werden. Irgendetwas stimmte hier nicht. "Was ist denn passiert?", fragte er und reichte der Person eine Hand. Er wollte ihm aufhelfen. Wenigstens aufhelfen konnte er ihm. Aber dieser nahm seine Hand gar nicht erst entgegen. Was war denn jetzt los? "Kommen Sie, ich bringe Sie in ein Krankenhaus. Sie sehen wirklich nicht gut aus." Erst jetzt konnte er ein paar Gesichtszüge und die Statur des anderen richtig ausmachen. Erleichtert stellte er fest, dass dieser Mann ihm anscheinend helfen wollte. Irgendwie helfen. Aber wie sollte er ihm auch schon helfen können? Er war verletzt und wusste nicht, wo er war, geschweige denn, wo er überhaupt herkam. Es war, als wäre sein ganzes Leben aus seinem Gehirn gelöscht worden bis zu diesem Zeitpunkt. Eine seltsame Leere machte sich in ihm breit und er wich zurück. "Iie... Iie..." "Nani?" Verdutzt starrte er den anderen an. Warum lehnte er ab? Er brauchte doch wirklich Hilfe. Warum also wies er ihn zurück? "Aber... Sie brauchen wirklich Hilfe." Er konnte es einfach nicht sehen, wenn jemand litt und nicht in der Lage war, sich selbst zu helfen. Außerdem schien der junge Mann nicht wirklich zu wissen, wo er war. Er schaute irritiert in die Gegend und zitterte. Scheinbar hatte er auch Angst, sich gerade von ihm helfen zu lassen. "Warum wollen Sie sich nicht helfen lassen? Ich beiße wirklich nicht." Sein Blick war traurig und auch ein wenig verletzt. Sah er denn so gruselig aus, dass man sich ihm nicht anvertrauen konnte? Er hatte Angst. Furchtbare Angst. Er konnte sich nicht erklären, wieso er sich an nichts erinnern konnte. Es war, als hätte er bis vor zehn Minuten noch nicht existiert. Wäre einfach so aufgetaucht und in diese Welt geworfen worden. Einfach so. Ohne Namen, ohne Haus, ohne Existenz. Er hatte gar nichts... "Iie...", brachte er nur wieder heraus und drückte sich noch enger an die Wand hinter sich. Sein Herz schlug hart und schnell in seiner Brust und er hatte Angst, dass der Fremde ihn hören konnte. Er wollte in kein Krankenhaus, wo man ihn irgendwelche Medikamente in den Körper pumpte, ihm versprach, alles für ihn zu tun und ihn dann später nach seiner Genesung mit irgendeiner fremden Identität auf die Straße zu stellen. Nein. Das wollte er nicht. "Iie..." Nur ganz langsam und mit äußerster Vorsicht näherte er sich ihm noch ein Stück. "Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich möchte Ihnen doch nur helfen." Dann sah er im fahlen Licht der Laterne, dass an der Schläfe seines Gegenübers Blut entlang lief. Was war denn bloß mit ihm passiert? Was hatte man ihm angetan? "Sie bluten und brauchen dringend Hilfe. Bitte..." Er wollte nicht, dass so ein junger Mensch einfach auf der Straße das Ende seines Lebens abwartete. Das war einfach nicht seine Art und er spürte, dass immer mehr Sorge um diesen völlig Fremden in ihm aufstieg. Er wollte ihm unbedingt helfen. Aber dazu musste sich sein Gegenüber erst einmal helfen lassen. Er kramte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und streckte den Arm aus. Er wollte ihm das Blut von den Schläfen wischen. Wenigstens das. Er schien sich nämlich wirklich nicht helfen lassen zu wollen. Was sollte das? Verstand dieser Mann ihn einfach nicht? Er war ihm wirklich dankbar, dass er sich um ihn kümmern wollte, jedoch wollte er unter gar keinen Umständen in ein Krankenhaus. Nein. Alles. Bloß nicht in ein Krankenhaus. Damit wäre ihm auch nicht geholfen. "Iie... Bitte...", wisperte er und beobachtete, wie der andere ein Taschentuch hervorholte und ihm das Blut von der Schläfe tupfen wollte. Sein Kopf ruckte ein Stück nach hinten und sofort durchschoss ihn ein scharfer Kopfschmerz, welcher ihn leise wimmern ließ. Er robbte noch ein Stück weiter weg und hievte sich nun auf die Beine. Sie zitterten stark und schwankend tastete er sich an der Wand entlang. Einfach nur weg... Jetzt war er doch etwas entsetzt. Warum wollte er sich denn nicht helfen lassen? "Warten Sie!" Und schon packte er ihn vorsichtig am Handgelenk. "Warum wollen Sie sich nicht helfen lassen?", fragte er mit heiserer Stimme. Er wollte nicht, dass wegen ihm ein so junger Mensch einfach abhaute und vermutlich irgendwo in einer einsamen Straße sein Leben aushauchte. Der andere zitterte stark und hielt sich scheinbar nur mit sehr viel Mühe auf den Beinen. Vermutlich würden sie eh gleich nachgeben und er würde einfach so zu Boden sinken. Gott, der Mann tat ihm so furchtbar leid. Aber was sollte er denn machen? Er wollte seine Hilfe offensichtlich wirklich nicht. Sofort riss er sich von ihm los und schwankte weiter. Seine Sicht verschwamm immer mehr und er fühlte, dass er Fieber hatte. Ein kurzes, raues Husten entrang sich seiner Kehle und er blieb einen Moment stehen, um sich etwas auszuruhen. Nein. Er würde sich nicht von diesem Mann helfen lassen. Er verstand sowieso nicht, wieso er sich überhaupt um ihn sorgte. Er kannte ihn doch gar nicht. Er kannte diesen Mann ebenso wenig, wie sich selbst. Wenn er wenigstens wüsste, wer er war... Dann würde er das mit dem Krankenhaus auch zulassen. "Kein Kr... Krankenhaus...", murmelte er leise vor sich hin und bog langsam um die nächste Ecke. Dort jedoch rannte sofort jemand in ihn hinein. Er taumelte nach hinten und fiel hart zu Boden. Sofort wurde seine Welt schwarz. Der kleine, blonde Mann, welcher den anderen gerade umgerannt hatte, erschrak heftig und kniete sich sofort zu dem Bewusstlosen. "Hey? Hallo? Können Sie mich hören? Mist..." Sofort lief er dem anderen hinterher, der gerade um die Ecke verschwand und es plötzlich rumste. Besorgt ließ er seine Tasche fallen und hockte sich neben dem jungen Mann, den er eben erst kennengelernt hatte. Dann schaute er auf und sah den anderen vorwurfsvoll an. "Können Sie denn nicht aufpassen!", zischte er. Doch dann schluckte er. Oh Gott, das war doch... "Ruki? Was machst du denn hier?" "Ich? Na, wie seh ich aus, huh? Wo komm ich wohl her?", er deutete auf sein schwarzes Top und seine goldene Hose. "Ich war in der Disco. Sieht man doch." Er seufzte leise und schaute dann wieder auf den Bewusstlosen, der noch immer vor ihnen lag und sich nicht rührte. Vorsichtig tätschelte er ihn an die Wange und wurde langsam echt nervös. "So doll war das doch gar nicht. Ich... Ich hab das nicht mit Absicht gemacht, ehrlich nicht. Ich wollte nur so schnell wie möglich nach Hause. Hab vergessen, Sabu-Chan zu füttern, so ein Mist. Aber... Wieso blutet er denn? Sieht ganz schön fertig aus! Und er sieht auch nicht gerade warm angezogen aus. Er muss ziemlich frieren..." Kai nickte nur. Ja, das hatte er auch schon festgestellt. "Keine Sorge, du hast das nicht verursacht. Er hat eben schon geblutet. Ich wollte ihm helfen und ins Krankenhaus bringen. Das wollte er aber nicht und is dann einfach losgegangen." Er sah besorgt zu senem Kumpel. "Was sollen wir denn machen? Ich weiß noch nicht einmal, wie er heißt und so können wir ihn ja nicht ins Krankenhaus bringen.", seufzte er und hob den regunglos am Boden Liegenden hoch und auf seine Arme. Dieser ließ die Arme am Körper herunterbaumeln und nur ein leises unstetiges Atmen verriet, dass er noch lebte. "Ich weiß nicht... Stimmt schon. In ein Krankenhaus können wir ihn, glaub ich, nicht bringen, so ohne Papiere und allem. Und du weißt echt nicht, wer das ist? Aber... Wieso ist der überhaupt hier? Ich verstehe es einfach nicht." Er beobachtete, wie Kai den anderen auf seine Arme hob. Die Arme baumelten leblos an seinem Körper hinab und der Kopf fiel in den Nacken. Das sah gar nicht gut aus. Ruki hoffte, dass der Kerl überhaupt noch lebte. Mit einer Leiche wollte er ja nicht in Berührung kommen. "Uhm... Nehmen wir ihn mit zu dir? Der Weg ist am kürzesten und dann können wir auch, wenn er wieder wach ist, noch einen Krankenwagen rufen." Er nickte. Ja, zu ihm war es wirklich am kürzesten. Also ab dort hin. "Könntest du schnell meine Tasche noch holen? Die liegt da vorne in der Seitenstraße. Dort hab ich ihn gefunden.", meinte er zu seinem kleinen Freund und deutete mit dem Kopf in die dunkle Straße. Was Besseres war ihm auch im Moment nicht eingefallen. "Aber den Notarzt kann ich doch einfach über meinen Namen laufen lassen. Dann würde er wenigstens ärztlich versorgt werden. Seine Wunde sieht schlimm aus und ich glaub, er hat schon ganz schön viel Blut verloren." Schnell schlüpfte der Kleine ins Dunkel hinein, um Kais Tasche zu holen. Er raffte sie vom Boden auf und wollte gerade weiter, als ihm etwas auffiel. Auf dem Boden war eine Pfütze. Er kniete sich davor. Es war keine normale Pfütze, wie er jetzt mit Schrecken feststellen musste. "Blut!", rief er erschrocken und rannte sofort wieder zu Kai. "Der Kerl hat sogar ziemlich viel Blut verloren. Da hinten ist eine ganze Lache. Scheiße, Mann. Der kratzt uns unter der Nase weg, wenn wir nicht gleich was machen. Schnell nach Hause und dann rufen wir den Notarzt an. Na komm." Er hing sich Kais Tasche um und rannte schon mal voraus. So schnell er konnte, folgte er dem Kleinen. Der regungslose Körper auf seinem Arm war nicht wirklich schwer. Scheinbar hatte er sogar noch enormes Untergewicht. Was war dem armen Kerl nur passiert. Es dauert keine zehn Minuten und sie standen vor seiner Wohnungstür. Ruki schloss auf und Kai stapfte sofort in sein Schlafzimmer, wo er den jungen Unbekannten gleich auf sein Bett legte. Erst jetzt sah er, wie schlecht es ihm ergangen sein musste. Er wandte sich zu seinem Freund. "Ruf du schon mal den Notarzt. Ich werd ihm gleich einen Pyjama anziehen. Dann fällt das nicht so auf, dass wir ihn auf der Straße gefunden haben." Er seufzte und machte sich auch sofort daran, den anderen von den Stofffetzen, die er trug, zu befreien. Dabei war er äußerst vorsichtig. Er wollte ihm nicht noch mehr Schmerzen und Leid zufügen. Das schien er schon genug zu haben. Ruki knipste das Licht im Schlafzimmer an, als Kai den jungen Mann auf dem Bett ablegte und verzog das Gesicht. Er war dreckig, hatte Blutergüsse auf den dünnen Armen und sein Haar sah auch nicht gerade so aus, als hätte es erst vor kurzem eine Dusche gesehen. Alles in allem sah der Mann aus wie ein Penner. Ruki ging noch einen Schritt näher und rümpfte die Nase. "Der könnte auch mal eine Dusche vertragen. Bah..." Schnell verzog er sich aus dem Zimmer und ging zum Telefon. Er wählte die Nummer ein und hatte wenige Sekunden später den Notarzt an der Strippe. Er nannte Name und Adresse und ging dann wieder zurück zum Schlafzimmer. Er lehnte sich an die Tür. "Der Notarzt kommt gleich." Nun lag der junge Mann bis auf seine Unterwäsche nackt vor ihm auf dem Bett und er schluckte. Er war übersäht von blauen Flecken, Blutergüssen und Schürfwunden. Man musste ihm ganz schön zugesetzt haben. Doch Ruki hatte Recht. So konnte er ihn unmöglich dem Arzt überlassen. Schnell rannte er ins Badezimmer und füllte eine Schüssel mit warmem Wasser und schnappte sich noch einen Waschlappen und ein Handtuch. Jetzt würde er ihn wenigstens noch von dem Dreck befreien und ihn ein wenig herrichten, damit man ihn nicht wirklich für einen Obdachlosen hielt. Er wusste ja selbst nicht, ob er überhaupt einer war. Ganz vorsichtig wusch er ihn und trocknete ihn ab. Jetzt sah er schon etwas besser aus. Nur sein Kopfkissen hatte einen ordentlichen Fleck bekommen. Aber das war nicht schlimm. Der Arzt sollte nur endlich kommen, damit er ihnen hier nicht einfach wegstarb. Ruki war nervös. Tierisch nervös. Er beobachtete seinen langjährigen besten Freund dabei, wie er diesen fremden Mann wusch und ihm danach vorsichtig den Pyjama anzog. Ruki schluckte. Der junge Mann sah wirklich aus wie ein Penner. Was war bloß geschehen, dass er so schlimm verletzt war? War er vielleicht in eine Schlägerei geraten? Hatte er versucht, jemanden zu bestehlen? Vielleicht einen Drogendealer um sein Geld gebracht und war dafür zusammen geschlagen worden? Oder hatte er einen Mord beobachtet und hatte dann einfach nur gestört? Ruki schüttelte den Kopf. Er sah eindeutig zu viele Krimis. Sein Blick fiel wieder auf den reglosen Mann in Kais Bett und schluckte. Wenigstens sah er jetzt wieder etwas besser aus. Kais Kissen war schon blutdurchtränkt und er hörte aus der Kehle des Mannes ein leises Wimmern. Hoffentlich starb er ihnen nicht wirklich hier weg. Da klingelte es auch schon an der Tür. Schnell rannte der Kleine zur Tür, machte dem Arzt auf und führte ihn ins Schlafzimmer. Der Arzt machte sich sofort daran, den Fremden zu untersuchen. Kai und Ruki standen einfach nur daneben und beobachteten den Arzt und die Sanitäter, wie sie sich um ihn kümmerten. Hoffentlich würden sie ihm helfen können. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie das nicht schafften. Doch dann wurden sie angesprochen und nach dem Namen des Fremden gefragt. Kai schluckte. Was sollte er denn jetzt sagen? "Er ist mein Cousin und heißt Uruha." Was Besseres war ihm gerade nicht eingefallen. Und irgendwie passte der Name ja auch sehr gut. Der Arzt schien sich damit auch gerade zufrieden zu geben und behandelte ihn weiter. Die Wunde an seinem Kopf wurde ausgiebig verarztet und schließlich mit einem ordentlichen Verband abgedeckt. Ruki verzog das Gesicht, als Kai den Namen des jungen Mannes nannte. Uruha? War ihm denn nichts Besseres eingefallen? Also wirklich... Er grummelte leicht und verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. Kai war manchmal echt seltsam. Der Arzt beendete seine Untersuchungen und drehte sich dann zu Kai um. Er steckte seine Utensilien wieder zurück in die Tasche und seufzte schwer. "Was ist denn mit Ihrem Cousin geschehen? So etwas passiert nicht durch eine Treppe hinunterfallen oder so. Der Junge muss in eine Prügelei geraten sein. Er hat massive Verletzungen und seine Rippe ist angeknackst. Können von Glück reden, dass Sie ihn noch gefunden haben. Lange hätte der nicht mehr mitgemacht." Er ließ Kai noch Verbandszeug und Salben da und verabschiedete sich dann wieder. Uruha hatte sich immer noch nicht bewegt. Der Schwarzhaarige seufzte. Er wusste wirklich nicht, was passiert war. Er hatte ihn einfach auf der Straße gefunden und fühlte sich irgendwie für ihn verantwortlich. Und nun lag er hier in seinem Bett und wurde verarztet. Hauptsache es würde ihm bald wieder besser gehen. Mehr war im Moment nicht von Bedeutung. Als alles wieder ruhig war, beobachtete er den nun schlafenden jungen Mann in seinem Bett. Er sah wirklich fertig aus. Allem Anschein nach war er wirklich ein Obdachloser, der in eine Schlägerei verwickelt war. Aber bei der Statur des Mannes war es auch nicht verwunderlich, dass er gerade so davon gekommen war. Er war dünn, abgemagert und sah ziemlich blass im Gesicht aus. Das würde er ändern müssen. "Ruki? Kannst du mal auf ihn aufpassen? Ich werd schnell was zu essen machen. Er muss irgendwie wieder zu Kräften kommen." "Ich mach ja schon. Mach du schnell das Essen fertig und spar nicht mit dem Fett. Der Kerl sieht aus, als würde der weniger wiegen als wir beide und das will schon was heißen." Er grinste leicht und sah an sich und Kai hinab. Sie beide waren wirklich dünn und zierlich gebaut, aber momentan übertraf dieser Mann wirklich alles. Die ganze Gestalt sah ausgezehrt und abgemagert aus und Ruki war sich sicher, dass er allerhöchstens um die 50 Kilo wiegen konnte. Er wollte sich nicht vorstellen, wie lange dieser Mann schon durch die Gegend geirrt war. Er setzte sich zu ihm ans Bett und starrte das blasse Gesicht sorgenvoll an. Er stupste ihm in die Seite. "Hey... Aufwachen..." Kai verschwand in die Küche. Schnell suchte er alles zusammen. Mit einer schönen Reissuppe würde er ihm schon wieder auf die Beine helfen. Das Zeug half eigentlich bei allem. Und dann würde es sicher auch hier sein Übriges tun. Es dauerte auch wirklich nicht lange und er kam mit einem Tablett ins Schlafzimmer und stellte es auf seinen kleinen Nachttisch ab. "Wie geht es ihm?", fragte er seinen kleinen Freund, der noch immer Wache hielt und den Patienten stumm beobachtete. Er sollte aufwachen. Sonst konnte er ihm doch nichts Warmes zu essen geben. Ganz vorsichtig beugte er sich über das ausgezerrte Gesicht des Mannes, den er einfach Uruha getauft hatte und strich ihm sanft über die Wange. "Hey, aufwachen. Es gibt was zu essen.", sprach er ihn mit ruhiger Stimme an. Ruki seufzte leise und zuckte mit den Schultern. Wie sollte er denn wissen, wie es dem Mann ging, wenn er nicht aufwachte? Er konnte ihn ja schlecht fragen, wenn er schlief. Sorgenvoll betrachtete er ihren Patienten und seufzte noch einmal schwer. "He... Aufwachen, hai? Kai hat für dich gekocht...", sprach er leise mit dem Bewusstlosen. Rukis Stimme drang wie von weit entfernt in sein Bewusstsein und ließ ihn langsam aus der Finsternis herauskommen. Wer rief ihn da? Wer sprach da so mit ihm? Vorsichtig öffnete er seine Augen einige Millimeter und wimmerte leise. "Er wacht auf!", rief eine viel zu laute Stimme und Uruha wimmerte erneut auf. "Sscht.", machte er zu seinem Freund und hielt ihm auch gleich den Mund zu. "Du musst ihn ja nicht gleich so anbrüllen deswegen. Da bekommt man doch gleich noch mehr Angst." Dann drehte er sich wieder zu dem jungen Mann und lächelte ihn an, als dieser die Augen öffnete. "Hey.", begrüßte er ihn leise und mit sehr ruhiger Stimme. Er wollte ihn ja nicht gleich überfordern. "Wie geht es Ihnen? Alles okay? Wir haben uns Sorgen gemacht.", fügte er noch hinzu und wartete darauf, dass der andere ihm antwortete. Geduldig wartete er. Nur Ruki schien das nicht zu gefallen. Irgendwie war er ziemlich hibbelig und scheinbar auch etwas nervös. Ruki trat nervös von einem Bein auf das andere. Er wusste nicht, was jetzt zu tun war. Was sollten sie denn jetzt machen? Was, wenn der Kerl ein Psychopath war und sie gleich beide abstechen wollte. Und dann hatten sie keine Chance mehr. Er schluckte und trat vorsichtig näher an den benommenen Mann, welcher sie irritert ansah. Dieser winselte leise und kniff die Augen wieder zusammen. Nein, bitte nicht. Nicht der schon wieder. Was sollte das? Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe sterben lassen? Mussten sie ihm helfen? Sein Leben war schon beschissen genug. "Iie...", brachte er nur wieder heraus und wollte sich aufsetzen, um davonzulaufen. Etwas verwirrt vernahm er, dass der andere sich scheinbar wieder zu einer Flucht durchringen wollte. Nichts da. Bevor er nicht gesund war, würde er ihn keinen Schritt vor die Tür setzen lassen. Nicht mal einen einzigen Millimeter. Und so hielt er ihn vorsichtig fest. "Nicht. Sie müssen sich ausruhen. Sonst geht die Wunde wieder auf. Also bleiben Sie bitte liegen. Das ist das Beste, glauben Sie mir bitte." Seine letzten Worte klangen schon fast flehend. Der Kerl konnte aber auch verdammt stur sein. Jetzt lag er schon in seinem Bett und würde etwas Warmes zu essen bekommen und trotzdem wollte er einfach weg? So ganz verstand er das nicht. "Ich habe Ihnen etwas zu essen gemacht. Bitte essen Sie etwas. Sie müssen erst zu Kräften kommen." Und schon hielt er ihm die Schüssel mit der warmen Reissuppe vor die Nase. Irritiert blickte er auf die dampfende Suppenschüssel und schluckte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er seit drei Tagen kaum etwas gegessen, geschweige denn, getrunken hatte. Sein Körper war schwerfällig und so hatte er keine andere Wahl, als sich wieder in die Kissen sinken zu lassen. Na toll. Er wollte einfach nur weg. Diese Blicke... Er hielt sie nicht aus. Diese beiden Männer machten sich sicherlich über ihn lustig, weil er nicht so gepflegt aussah und auch nicht in so einer Luxusbude lebte. Jedoch nahm er die Schüssel an sich und versuchte, etwas zu essen. Doch das ging im Liegen einfach nicht bei Suppe... Irgendwie schien es dem anderen gar nicht so leicht zu fallen, sich mit ihrer Hilfe anzufreunden und auch das Löffeln der Suppe schien ihm schwer zu fallen. Lag wohl daran, dass er mehr lag als saß. Und so schob er einen Arm unter dessen Rücken und half ihm ganz behutsam, sich aufzusetzen, nach dem er ihm die Schüssel kurz abgenommen und Ruki in die Hand gedrückt hatte. Besorgt legte er ihm noch ein Kissen mehr hinter den Rücken und lächelte ihn an. "Jetzt dürfte es besser gehen oder?", fragte er ihn und reichte ihm wieder die Schüssel. "Aber vorsichtig, das ist heiß. Nicht, dass Sie sich noch verbrennen." Wieso? Wieso bloß? Womit hatte er das verdient? Konnte er nicht in seinem Haus sein, wo auch immer das war, und sich entspannen wie jeder normale Mensch? Aber nein... Er musste ja blutend in irgendeinem fremden Bett liegen und sich diese Bemutterungsversuche antun. Das war nicht fair. Jedoch aß er ohne zu murren die Suppe und nachdem er fertig war, stellte er sie wieder auf den Nachttisch und schloss die Augen. Er war fertig mit den Nerven. Er konnte einfach nicht mehr. Plötzlich entrann sich seiner Kehle ein lautes Keuchen und er drehte sich schnell zur Seite. Aus seinem Mund liefen kleine Blutrinnsale und er wimmerte auf. Oh Gott! Nicht das auch noch. Jetzt hatte er auch noch Blut in den Mundwinkel. Nun war er nicht mehr nur besorgt, sondern hatte schon regelrechte Angst um ihn. Warum er das tat, konnte er sich wirklich nicht erklären. So etwas hatte er auch noch nie erlebt. Der junge Mann schien ihnen hier wirklich einfach wegzusterben, wenn das so weiter ging. Er kam sich so hilflos und nutzlos vor. Was sollte er denn machen? Konnte ihm denn da keiner helfen? Vorsichtig reichte er ihm ein Taschentuch. "Sie scheinen Hilfe zu brauchen. Sind sie sicher, dass Sie nicht doch lieber in ein Krankenhaus wollen? Dort könnte man Ihnen doch besser helfen. Der Notarzt hat auch nur das Nötigste gemacht. Aber das scheint nicht zu reichen." Ihm war, als würden seine Eingeweide von innen heraus verbrennen. Sein Magen tat furchtbar weh, dazu noch die Kopfschmerzen und die angeknackste Rippe. Was kam als nächstes? Sicherlich irgendetwas Schlimmes. Auf Besserung hatte er gar keine Hoffnungen mehr. All sein Hoffen und Bangen würde nichts nützen. Er war alleine, hatte keine Familie und keinen Wohnsitz. Nicht einmal eine Identität. Da konnte er doch nicht ins Krankenhaus oder? "Iie... Nicht...", murmelte er leise und wischte sich beiläufig das Blut von den Mundwinkeln. Es schmeckte metallisch und er schauderte. Kai schaute erst zu dem Fremden dann zu Ruki. "Was machen wir jetzt?", fragte er ihn. "Wir können ihn doch nicht einfach so wieder auf die Straße schicken. Dann stirbt er.", wimmerte er und schaute den anderen wieder traurig an. Dann kam ihm eine Idee. Aber ob er sich wirklich dazu durchringen würde? Er kannte ihn nicht und umgekehrt war es doch genauso. "Ich... ich würde Sie bei mir wohnen lassen, bis Sie wieder gesund sind. Wäre das in Ordnung für Sie?" Auf Rukis entsetzte Reaktion achtete er gar nicht. Sofort war Ruki zur Stelle und zog Kai mit sich aus dem Zimmer. Bloß weg von diesem Obdachlosen, welcher immer noch zitternd und verstört vor sich hinmurmelnd in Kais Bett lag und scheinbar nicht wusste, wohin. "Weißt du eigentlich, was du da tust? Der Kerl könnte sonst was für ein Psychopath sein! So ganz dicht sieht der nämlich nicht aus! Was, wenn du seelenruhig in deinem Bettchen schläfst und dann dieser Kerl mit dem Messer ankommt und dich ersticht? Fändest du das lustig? Oder wenn der irgendwelche Parasiten hat und dich mit irgendwas ansteckt? Das lasse ich nicht zu! Kai, wir bringen ihn einfach in irgendein Obdachlosenheim, da kümmern die sich um ihn. Ich will nicht, dass du..." Weiter kam er gar nicht, denn von drinnen kam erst ein lauter Knall, dann ein Wimmern und dann war alles still. Irgendwie hatte sein kleiner Freund ja auch Recht. Er kannte ihn wirklich nicht und wusste nicht, wo er herkam oder wer er war. Aber trotzdem konnte er ihn doch nicht in diesem Zustand einfach vor die Tür setzen. Das konnte er nun wirklich nicht. Dann gab es einen lauten Knall und er fuhr zusammen. Kai schubste Ruki fast zur Seite und rannte wieder ins Schlafzimmer. Was war denn hier passiert? Wütend starrte er in das Zimmer. Das gab´s ja wohl nicht. Da holte man sich einmal einen Fremden ins Haus, wollte für ihn Sorgen und dann sowas. Wirklich eine Unverschämtheit! Wenn der Kerl dafür nicht in hohem Bogen rausfliegen würde, wusste er auch nicht weiter. Uruha lag auf dem Boden, inmitten von tausenden von Scherben. Anscheinend hatte er aufstehen wollen, war dabei zusammengebrochen und hatte Kais teure chinesische Vase vom Nachtschrank gestoßen. Die war wirklich sehr viel wert. Betonung lag auf 'war'. Jetzt gehörte sie höchstens in den Müll. Mit kleben war da nichts. Ohne auf Uruhas leises Wimmern einzugehen, verschränkte Ruki die Arme vor der Brust und sah Kai an. "Siehst du? Was hab ich dir gesagt? Nur Ärger mit solchen Leuten." Sofort stieß er Ruki seinen Ellenbogen in die Seite und knurrte kaum hörbar. Musste er es denn immer übertreiben? Kaputt gehen konnte immer mal was. Und auch seine Vase, die er eigentlich wirklich verehrt hatte, war halt nun einem solchen Versehen zum Opfer gefallen. Na gut, es tat ihm schon etwas weh, dass sie zu Bruch gegangen war, aber ändern konnte er es auch nicht. "Sei nicht so gemein. Das hätte dir genauso wie mir passieren können. Das ist kein Grund, ihn vor die Tür zu setzen.", murmelte er und kam wieder zu dem Fremden. Dieser saß nun auf dem Bettrand und starrte auf die Scherben zu seinen Füßen. "Alles okay? Ist Ihnen etwas passiert?" Ruki verdrehte die Augen. Pah. Da war wohl mal wieder Kais Beschützerinstinkt und Sinn für Gerechtigkeit erwacht. Das war mal wieder typisch Uke Yutaka. Immer da, wenn jemand seine Hilfe brauchte, egal, wer es war. Selbst so ein Penner wie der konnte auf Kais Unterstützung zählen. Ruki verstand es einfach nicht. Er traute dem Kerl einfach nicht. "Kai, wo hast du denn deinen Heiligenschein gelassen? Komm mal wieder runter.", er konnte das Verhalten seines Freundes einfach nicht verstehen. Uruha indessen starrte reglos auf seine Handflächen, aus denen stetig Blut quoll. Dann rutschte er vom Bett und versuchte panisch, die Scherben aufzusammeln. Er hatte doch kein Geld, um das alles zu bezahlen. "Gomen... Gomen nasai... Das wollte ich nicht...", murmelte er immer wieder verstört und sammelte die Scherben ein. "Hey!" Und schon packte er den anderen an den Handgelenken und hielt ihn so davon ab, sich noch mehr zu verletzen. Aufgrund dieser Handlung fielen die eingesammelten Scherben wieder zu Boden. Irritiert schaute er auf die verletzte Handfläche und dann zu Ruki. "Hör endlich auf, Ruki.", schimpfte er. "Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht. Was wäre denn, wenn dir das passiert wäre? Glaubst du, ich hätte dir deshalb den Kopf abgerissen?" Dann wandte er sich wieder dem Verletzten zu. "Das müssen wir sofort verarzten, sonst entzündet sich das noch." "Pfh... Sankt Kai...", knurrte der Kleinste leise und verschwand aus dem Zimmer. Das tat er sich nicht länger an. War ja nicht zum Aushalten. Uruha wimmerte leise und starrte auf seine zerfetzten Handflächen. Er wusste einfach nicht, wohin. Was sollte er denn tun, wenn dieser... Kai? verlangte, dass er die Vase abbezahlte? "Ich... Ich hab kein Geld... Gomen nasai, ich...", stammelte er verstört und schluckte. "Gomen..." Kai lächelte ihn beruhigend an. „Iie... Die Vase is doch nicht wichtig. Die kann man ersetzen." Mit einem weiteren Taschentuch tupfte er vorsichtig die Hand ab. Einige Splitter hatten sich in seine Haut gebohrt und er versuchte, sie ganz vorsichtig mit den Fingern herauszuziehen. Sollte Ruki doch motzen. Das hier war seine Wohnung und er würde auch ohne ihn klarkommen. Er entschied, wer hier bei ihm wohnen durfte und wer nicht. Und der Mann hier vor ihm wirkte nun absolut nicht wie ein Serienkiller oder Psychopath. Er schien eher verwirrt und etwas verängstigt zu sein. "Ich bin Uke Yutaka, aber Freunde nennen mich Kai.", stellte er sich einfach mal vor und grinste ihn an. "Darf ich nach deinem Namen fragen?" Jetzt hatte er einfach mal vor, die Initiative zu ergreifen. Verstört blickte er den anderen an und beobachtete, wie er versuchte, die Glassplitter aus seinen Handflächen herauszuziehen. Uruha zuckte immer wieder zusammen, da es höllisch wehtat, doch schlussendlich waren alle Splitter draußen und der andere Mann verband ihm seine Hände. "Arigatou...", murmelte er. Dann jedoch zuckte er zusammen, als der Mann ihn nach seinem Namen fragte. Was sollte er denn darauf antworten? In seinem Gedächtnis herrschte absolute Leere. Da war nichts. Gar nichts. Als hätte er vorher nie existiert. "Ich... Ich weiß nicht... Ich denke, ich bin Uruha..." Richtig, der Mann hatte ihn vorhin ja so genannt. Der Name war besser als gar nichts. Der Schwarzhaarige legte den Kopf schief. "Wieso weißt du das nicht? Was ist denn passiert?", fragte er besorgt. Irgendwie konnte er sich nicht erklären, warum der andere nicht mal seinen Namen wusste. Ihm muss wohl wirklich was Schreckliches passiert sein. Seufzend verband er ihm die Hand, nachdem er sie leicht mit einer Salbe eingerieben hatte. Dann hob er wieder den Blick. "Wenn du möchtest, Uruha, kannst du so lange bleiben, wie du möchtest. Bevor du nicht gesund bist, lass ich dich eh nicht mehr hier raus. Da sei dir sicher." Uruha fühlte sich unwohl. Ein völlig Fremder duzte ihn einfach so und kümmerte sich um ihn. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Aber... Irgendwie fand er diesen Kerl ja auch ziemlich nett. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass ihm jemand helfen würde. "Ich... Ano... Ich weiß nicht... Ich bin vorhin in dieser Seitengasse aufgewacht und dann warst da auch schon du... Ich hab wirklich keine Ahnung, wer ich bin... Aber ich wüsste es zu gerne..." Er schniefte kurz und blickte auf seine verbundenen Hände. "Oh...", machte er sehr intelligent. "Also erinnerst du dich an gar nichts mehr, was vor unserem Treffen war?", fragte er nach. Das war irgendwie wirklich komisch. Aber so würde er ihn erst recht nicht wieder wegschicken. "Mach dir keine Sorgen, Uruha." Freundlich legte er ihm eine Hand auf die Schulter. "Wie gesagt, du bleibst jetzt erst mal so lange hier bei mir, bis du gesund bist und in der Zeit schauen wir mal, was wir auf die Reihe kriegen. Viellicht erinnerst du dich ja in den nächsten Tagen auch wieder an irgendetwas." Und wenn nicht, würde er eben noch ein paar Tage länger bleiben. Dann schaute er auf den Scherbenhaufe zu seinen Füßen. "Und wegen dem Ding brauchst du dir keine Gedanken machen. So schön war das olle Ding nun auch wieder nicht.", lachte er. "Wieso bist du so nett zu mir? Ich versteh´s nicht... Ich... Anscheinend hab ich vorher auf der Straße gelebt und habe kein Geld bei mir... Wieso bist du so verdammt nett und lässt mich bei dir wohnen? Dein Freund ist da schon viel misstrauischer. Wieso?" Deutliche Verzweiflung war aus seiner Stimme herauszuhören. Seine Schultern bebten unter Kais Griff und er hickste laut auf. Sofort legte er sich die Hand auf den Mund, um laute Schluchzer zu ersticken. Yutaka sollte ihn nicht auch noch für einen Schwächling halten. Vielleicht tat er das aber schon sowieso... "Darf... Darf ich vielleicht duschen oder so...?" "Wieso sollte ich nicht nett zu dir sein? Du hast mir doch gar nichts getan und allem Anschein nach brauchst du Hilfe. Und die möchte ich dir geben. Aber..." Er drehte den Kopf leicht weg. "Wenn du sie nicht willst, dann kann ich dich ja nicht dazu zwingen. Aber glaub mir, ich möchte dir wirklich helfen. Und wegen Ruki brauchst du dir keine Gedanken machen. Der is immer so. Also nimm es ihm nicht übel. Der Kleine muss erst mal warm werden." Dann erhob er sich. "Du kannst gerne duschen gehen. Aber ich räum vorher schnell die Scherben weg. Nicht, dass du da jetzt reintrittst und dir gleich noch mehr Wunden zuziehst. Das wollen wir ja nicht." "Ich... Ich danke dir. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mir helfen willst. Ich will dir bloß keine Umstände machen. Falls ich störe, gehe ich natürlich sofort..." Er wollte ihm wirklich keine Umstände bereiten. Das war das Letzte, was er wollte. Nachdem Kai endlich die Scherben weggeräumt hatte und Uruha erlaubte, ins Bad zu gehen, stand er vorsichtig auf und tapste schwankend ins Bad hinein. Ihm war furchtbar schlecht und die Wunde an seinem Kopf pochte stark, ebenso wie seine Rippe. Er stöhnte leise, nachdem er die Tür zugemacht hatte und hielt sich den Kopf. Verdammt noch mal. Was sollte er denn bloß machen? Ihm war furchtbar schwindlig. Seufzend zog er sich aus und stieg unter die Dusche. Das Wasser, welches er auf kalt gestellt hatte, belebte seinen Körper wieder. Er achtete auch darauf, dass der Verband um seinen Kopf nicht allzu nass wurde. Gerade wollte er nach dem Shampoo greifen, da durchzuckte ihn ein scharfer Kopfschmerz und ihm wurde schwarz vor Augen. Keuchend sank er auf den Duschboden und hustete. Wieder lief ein kleines Rinnsal Blut aus seinem Mund und er lehnte den Kopf an die kalte Fliesenwand. Verdammt... "Hilfe...", nuschelte er leise. Kai lächelte. "Das machst du schon nicht, keine Panik. Und fühl dich hier wie Zuhause. Ein bisschen Gesellschaft kann ich wirklich immer gebrauchen. Sonst vereinsamt man ja nur. Also helfen wir uns gegenseitig. Und nun ab ins Bad mit dir.", grinste er und brachte die Scherben weg. Und schon wurde er in der Küche von Ruki belagert. Der hielt ihm abermals einen Vortrag darüber, dass er nicht wildfremden Menschen gleich so viel Vertrauen entgegenbringen sollte oder gar durfte. Er kannte den Kerl zwar wirklich noch nicht lange, aber er machte wirklich nicht den Eindruck, dass er sich in dem jungen Mann geirrt hatte. Und so bereitete er noch schnell einen Tee zu, damit Uruha ihn gleich trinken konnte, wenn er aus der Dusche kam. Doch auch nach einer Viertelstunde kam er noch nicht aus dem Bad. Kai wurde skeptisch. Ob ihm etwas passiert war? Misstrauisch ging er zur Badezimmertür und klopfte vorsichtig an. "Uruha? Ist alles in Ordnung?" Keine Antwort. Nur das Rauschen von Wasser. Aber das machte es auch nicht leichter. Zögerlich drückte er die Klinke und öffnete die Tür. Uruhas Sicht wurde immer schlechter und sein Oberkörper wankte leicht hin und her. Durch das Wasser war der Verband schon vollkommen durchweicht und löste sich langsam von der Wunde, welche sofort durch das Wasser anfing zu brennen und zu bluten. Uruha wimmerte leise und krümmte sich noch mehr zusammen. Er verstand immer noch nicht. Wieso? Wieso passierte ihm das alles? Er wollte doch bloß nach Hause, wo auch immer das war und friedlich weiterleben. War ihm das etwa nicht vergönnt? Würde er vielleicht nie wieder seinen wahren Namen erfahren? Was, wenn er eine Familie hatte, die sich um ihn sorgte? Was war dann? "Itai...", murmelte er leise. Durch das viele Nachdenken bekam er Kopfschmerzen und sein Körper fing wieder an zu zittern. Nein... Ein Husten entrang sich seiner Kehle und ließ wieder Blut aus seinem Mund fließen, welches jedoch sofort vom Wasser aufgefangen wurde und nur eine leicht rote Spur hinterließ. Dass Kai in diesem Moment das Zimmer betrat, merkte er nicht. Geschockt schaute er auf die Silhouette hinter der Duschwand. Irgendwie sah die Haltung des Größeren wirklich nicht sehr gut aus und dann hustete er wieder. "Uruha?", fragte er zögerlich und schritt auf die Duschkabine zu. "Ist alles in Ordnung? Sag was.", forderte er, denn er bekam abermals keine Antwort. Er hoffte, dass es dem Anderen gut ging. Aber ohne eine Antwort konnte er schlecht darauf schließen. Doch auch dieses Mal bekam er keine Antwort und so zögerte auch keine Sekunde länger. Schnell öffnete er die Duschtür und war entsetzt. "Uruha!" Sofort stieg er in die Dusche und hielt den anderen fest. Erschrocken spürte er, wie sich plötzlich zwei Arme um ihn schlangen und ihn festhielten, damit er nicht gänzlich auf den Duschboden sinken würde. Genau das hatte er nämlich gerade vorgehabt. Schwerfällig drehte er seinen Kopf zur Seite und schaute den anderen mit trüben Augen an. Ein schwaches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und seine Augen fielen ihm zu. Er hatte einfach keine Kraft mehr. "Du bist da... Wie schön..." Sein Körper sackte noch mehr zusammen und sein Kopf kippte willenlos zur Seite. Nur noch sein schwerer Atem und das leichte Zittern, welches von ihm ausging, verrieten, dass er lebte. Kai war mehr als entsetzt. Nicht nur dass sein neue Freund hier in seinen Armen zusammensackte, nein, er schien ihn auch erwartet zu haben? Aber warum? Vielleicht hatte er ihn auch nur mit jemand anderem verwechselt. Er griff mit einer Hand angestrengt zum Wasserhahn und drehte das Wasser ab. Dann hob er den anderen wieder auf seine Arme und stieg mit dem nackten jungen Mann auf seinem Arm aus der Dusche. Nicht nur Uruha, der duschen wollte, war nass, nein, auch er war nass bis auf die Knochen. Egal. Er schien wenigstens noch rechtzeitig gekommen zu sein. Ein weiches Handtuch legte er ihm um den Körper und trug ihn aus dem kleinen Raum wieder direkt in sein Bett. Ganz vorsichtig legte er ihn in die weichen Kissen und trocknete ihn ab. Dann zog er ihm wieder einen frischen Pyjama an und deckte ihn zu. Den nassen Verband wechselte er schnell. Allerdings darauf bedacht, dass er ihn nicht irgendwie weckte, in dem er ihm Schmerzen zufügte. Seine Welt war in vollkommene Schwärze getaucht. Kein Laut drang zu ihm hindurch und er hätte glauben können, er wäre tot, wenn da nicht plötzlich ein kleines Flackern gewesen wäre, welches langsam immer näher kam. Uruha ging darauf zu und wollte es anfassen, doch es blinkte auf einmal bunt auf und aus dem Flackern formten sich Menschenköpfe, die um ihn herumtanzten und lachten. Schaurig lachten. Jedoch konnte er kein Gesicht erkennen, sie waren verzerrt und verschwommen. 'Du bist schuld...' riefen sie. 'Du bist schuld...'. Uruha drehte sich auf den Fersen herum und rannte davon so schnell er konnte. Er hatte Angst. Wahnsinnige Angst. Und das Lachen der Köpfe verfolgte ihn. Mit einem lauten Schrei erwachte er. Er saß kerzengerade im Bett und atmete schnell und hastig. Sein Herz raste, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich. Er saß in völliger Dunkelheit in dem Bett und sah sich um. Niemand war bei ihm. Wieso? Nachdem er Uruha versorgt hatte, hatte er sich zu Ruki in die Küche gesetzt. Der war alles andere als begeistert von seinem Vorhaben. Doch Kai ließ sich davon nicht abhalten. Es war sein Leben und darüber konnte er selbst bestimmen. Er war alt genug. Nach einer halben Stunde Diskussion gab der Kleinere auf und verschwand mit einem leichten Murren. Dennoch hatte er sich angemessen von seinem Freund verabschiedet. "Wenn was is, dann ruf mich an. Sonst mach ich mir Sorgen um dich. Und lass dich nicht abstechen oder so." Dann war er auch schon verschwunden. Kai hingegen hatte sich auf sein Sofa verzogen und schaute noch ein wenig fern. Schniefend saß er jetzt im Bett und zog die Bettdecke bis unters Kinn. Er fühlte sich schrecklich. Wieso lag er überhaupt in einem Bett? War er nicht duschen gewesen? Was war passiert? Jetzt war er noch verwirrter als vorher schon und zitterte am ganzen Leib. Als er an sich herabblickte, bemerkte er, dass er einen flauschig-weichen Pyjama anhatte. Anscheinend von diesem Yutaka. Er schluckte. Anscheinend hatte er ihn auch umgezogen. Das war peinlich... Er stand leise auf und tapste aus dem Zimmer durch den langen Flur. Wo war Kai? Er wollte jetzt nicht alleine sein. Er hatte Angst. Angst vor den Menschen aus seinem Traum. Er wusste ihn nicht zu deuten. Vorsichtig drückte er die Tür auf und betrat das Wohnzimmer. Der junge Mann saß vor dem Fernseher und schaute interessiert einen Krimi. Uruha schluckte und tapste auf leises Sohlen zu ihm. "Ano... Gomen... Ich... Ich kann nicht schlafen... Kann... Kann ich hier bleiben?" Kai hob den Blick vom Fernseher und lächelte ihn an. "Natürlich. Hab doch gesagt, dass du dich wie Zuhause fühlen sollst.", meinte er. "Möchtest du etwas trinken? Ich hab aber nur Apfelsaft da. Muss morgen erst was einkaufen. Hab das nicht mehr geschafft. War heute irgendwie nicht mein Tag." Seine Augen verrieten allerdings, dass auch er schon ziemlich müde war. Er wollte nur nicht einfach schlafen und irgendwie verpassen, wenn Uruha etwas wollte oder es ihm schlecht ging. Das wollte er nicht riskieren. Lächelnd klopfte er auf das Sofa neben sich. "Setz dich ruhig. Ich beiße nicht." Vorsichtig ließ er sich neben Kai nieder und senkte den Blick. Es war ihm schon irgendwie peinlich, als erwachsener Mann danach zu fragen, ob er bleiben dürfe, nur weil er Angst hatte. Ging es denn noch peinlicher? Nein. Sicherlich nicht. Er wollte nicht wissen, für was für einen Waschlappen dieser Kai ihn jetzt halten würde. Oh nein. Das wollte er ganz sicher nicht wissen. "Eto... Arigatou.", nuschelte er leise und schloss die Augen, nachdem er es sich etwas gemütlicher gemacht hatte und versuchte, wieder einzuschlafen. Der Schwarzhaarige schaute ab und an zu dem anderen und dann wieder zum Fernseher. Irgendwie schien er sich noch immer nicht wirklich wohl zu fühlen. "Geht es dir eigentlich jetzt etwas besser? Du sahst vorhin wirklich nicht sehr gut aus. Ich hab mir Sorgen gemacht." Seine Stimme klang wirklich besorgt. Er wollte auch gerne etwas mehr über den anderen wissen. Aber dieser schien ja selbst nichts über sich zu wissen. "Ist dir schon mal wieder etwas eingefallen? Ich stell mir das wirklich schrecklich vor, wenn man sich an nichts erinnert." Der Brünette schüttelte den Kopf und spielte verstört mit einer seiner langen Haarsträhnen, welche er um seinen Finger wickelte. Er wusste immer noch nichts. Alles war immer noch genauso schwarz wie vorher, wenn er versuchte, sich an etwas zu erinnern. Da kam gar nichts. Absolut nichts. "Iie... Ich hatte eben nur einen Alptraum, weiter nichts. Da waren Köpfe, ich konnte die Gesichter nicht erkennen und sie... Sie beschuldigten mich. Ich hätte Schuld...", er seufzte tief und lehnte sich an die Sofalehne. "Ich verstehe es nicht..." Wäre der andere jetzt ein Kind gewesen, hätte er ihn jetzt in den Arm genommen und einfach getröstet. Aber Uruha war ein erwachsener Mann. Da würde so etwas eher nicht so gut kommen und könnte auch leicht missverstanden werden. Deshalb legte er ihm nur eine Hand auf die Schulter. "Wenn du zu viel darüber nachdenkst, wird das auch nicht besser werden. Wenn die Zeit da ist, wirst du dich sicher an alles erinnern können. Und dein Traum hatte bestimmt nichts zu bedeuten.", beruhigte er ihn. "Hai... Ich hoffe es doch. Ich will nämlich nicht an irgendetwas schuld sein." Seufzend tätschelte er kurz die Hand, welche auf seiner Schulter lag und legte sich dann halb auf das Sofa, um wieder einschlafen zu können. Doch so richtig wollte das nicht klappen. Immer wieder kamen ihm die Gesichter in den Sinn und er schluckte hart einen Kloß in seinem Hals hinunter. Was sollte er bloß tun? Er sah den jungen Mann neben sich an und musterte ihn genau. Er könnte in etwa in seinem Alter sein vom Aussehen her. "Hey... Darf ich fragen, wie alt du bist? Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde und... Wir könnten im selben Alter sein..." Nun war er etwas irritiert. Im selben Alter? Gut, das konnte gut möglich sein. Uruha wirkte auch nicht so, als wäre er sehr viel älter oder jünger als er selbst. "Ano... Klar darfst du das fragen. Warum auch nicht? Wenn es dir weiterhilft, mach ich das doch gerne. Ich werd im Oktober 22. Schnapszahl.", grinste er. Und vielleicht waren sie ja wirklich in einem Alter. Konnte man ja vorher nicht wissen. "Aber das Alter wird dich auch nicht wirklich weiterbringen oder? Gibt ja scheinbar vieles, was du nicht mehr weißt. Das tut mir wirklich leid. Wenn ich etwas für dich tun kann, dann lass es mich ruhig wissen. Hai?" 22 also. Dann war er selbst auch nicht viel älter oder jünger als der Mann ihm gegenüber. Jedenfalls sah er nicht danach aus. Aber Kai hatte recht. Das Alter brachte ihn keinen Schritt weiter an seine Erinnerungen heran. Keinen einzigen Schritt. Gut... Aber was sollte er tun? Er hatte wirklich keinen Anhaltspunkt, wo er anfangen könnte, zu suchen. "Hai. Das ist lieb von dir.", er lächelte kurz, stand auf und setzte sich in den Sessel. Dort rollte er sich zusammen. "Es stört dich doch nicht, wenn ich mich hier hinlege oder? Ich bin müde und alleine sein... Das will ich momentan wirklich nicht..." Sofort stand er vom Sofa auf und zog es aus. Es war ein altes Überbleibsel aus seinem Kinderzimmer. Und so hatten sie genug Platz. Uruha konnte sich richtig hinlegen und er konnte so auch gut auf ihn aufpassen. "Leg dich lieber hier hin, das ist doch viel bequemer." Und schon zog er ihn wieder auf die Beine und schleifte ihn zurück zum Sofa. Dort platzierte er ihn auf dem weichen Polster. "Ich hol dir schnell ein paar Kissen und eine Decke. So kann man doch eh viel besser schlafen." Und schon verschwand er im Schlafzimmer. So schnell konnte er gar nicht gucken, wie er auf dem aufklappbaren Sofa lag und von Kai zugedeckt wurde und ein weiches Kopfkissen bekam. Er lächelte ihn sanft an und kuschelte sich in die Kissen. Er hörte, wie Kai den Fernseher ausstellte und blickte zu ihm hinauf. Diese Frage war zwar überflüssig, da er sich sicher war, dass Kai in seinem eigenen Bett schlafen würde, aber vorsichtshalber fragte er trotzdem. "Sag mal... Kannst du hier schlafen?" Der Kleinere von beiden schaute ihn etwas verwirrt an. Doch er begriff schnell. "Ano... Das wär kein Problem, aber das Bett ist sicher bequemer, wenn du nicht alleine schlafen willst. Ich muss nur noch ein paar Sachen erledigen. Hab noch ein bisschen Papierkram zu erledigen." Ja, wenn man seinem besten Freund schon versprach, sich um ihre Band zu kümmern, die eigentlich nicht so wirklich eine war, weil sie lediglich aus einem Drummer, einem Bassisten und einem Sänger bestand, dann musste man auch so einiges erledigen. Und den Papierkram hatte man ihm überlassen. Er kümmerte sich darum, dass sie auch mal ein paar Auftritte bekamen. "Oder stört es dich, wenn ich da drüben am Schreibtisch sitze und das Licht anhab?" Sofort schüttelte er den Kopf. Natürlich störte es ihn nicht. Solange er nicht alleine sein musste, war ihm alles recht. Er hätte sogar am Boden geschlafen, nur um nicht alleine zu sein. Er hätte alles dafür gegeben. Alles. "Nein, stört mich nicht... Aber... Wieso musst du um halb fünf Uhr nachts Papierkram durcharbeiten? Geht das nicht auch tagsüber?" Er seufzte leise und schloss die Augen. Am liebsten wäre er jetzt sofort eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Wieso? Gute Frage. Aber tagsüber hatte er dafür meist keine Zeit. Seine Arbeitszeiten ließen es nicht zu. Meist schlief er tagsüber, während er nachmittags zur Arbeit musste und meist erst ziemlich spät nach Hause kam. "Na ja, ich arbeite in einem Restaurant. Da komm ich immer sehr spät nach Hause und schlafe meist den ganzen Vormittag. Und nachmittags muss ich dann schon wieder zum Job. Deshalb mach ich das meist nach der Arbeit. Und ich kann doch Ruki nicht enttäuschen.", lachte er und stand auf, um seine Tasche zu schnappen und zum Schreibtisch zu gehen. Schnell schaltete er die kleine Lampe an und fuhr seinen Laptop hoch. "Wenn es dich stört, sag mir Bescheid, dann hör ich auf." Er runzelte die Stirn. Dann war der andere also ein Koch oder ein Kellner. Netter Job. Da war er sicherlich entweder ein meisterhafter Koch oder einfach nur sehr gut im Umgang mit Menschen. Beides tolle Eigenschaften, die Uruha zu schätzen wusste. Er seufzte leise. Er würde auch gerne wissen, wo er gearbeitet hatte oder vielleicht sogar noch arbeitete. Aber diesen Job würde er sicherlich bald sowieso nicht mehr ausführen dürfen. Er wusste ja nicht einmal, wo er arbeitete und wenn er es wieder wissen würde, wäre er sicherlich längst gefeuert. Er seufzte noch einmal tief und schloss die Augen. Er hörte Kais Finger, wie sie schnell über die Tastatur flogen und etwas tippten. Er wüsste zu gerne, was. Wenige Augenblicke später jedoch, war er tief und fest eingeschlafen und wachte bis zum nächsten Morgen auch nicht mehr auf. Es war bereits sieben Uhr morgens, als er den Rechner runterfuhr und sich streckte. Endlich hatte er alles erledigt. Hatte länger gedauert, als er dachte. Na ja, jetzt war das vorerst die letzte Nachtschicht, die er für Ruki eingelegt hatte. Der Kerl sollte seinen Scheiß auch mal machen und nicht immer auf ihn abwälzen. Neugierig drehte er den Kopf und schaute zum Sofa. Uruha schien friedlich zu schlafen. Sein Atem jedenfalls ging ruhig und er wimmerte auch nicht mehr. Scheinbar hatte er dieses Mal keinen Alptraum. Gut, dann konnte er sich wenigstens im Schlaf erholen. Er selbst musste gähnen und hielt sich die Hand vor den Mund. Sollte er den Schlafenden jetzt wecken oder sich zu ihm legen? Er hatte ihn gebeten, bei ihm zu schlafen, damit er nicht alleine war. Und er hatte zugesagt. Einen Rückzieher konnte er jetzt nicht machen. Also schlüpfte er aus seinen Klamotten und legte sich nur in Shirt und Boxer bekleidet zu seinem neuen Mitbewohner unter die Decke. War ja nichts dabei. Diese Nacht träumte Uruha nichts und schlief friedlich neben Kai, welcher über Nacht etwas näher an ihn heranrückte. Er seufzte leise und erwachte erst sehr spät, etwa gegen ein Uhr mittags. Blinzelnd sah er sich um und gähnte leise. Wo war er? Was war passiert? Wieso war er hier? Wieder stürzten tausend Fragen auf ihn ein und er schluckte. Dann fiel es ihm ein und er seufzte erleichtert auf. Er war bei diesem netten, jungen Mann, der ihn gestern von der Straße aufgelesen hatte. Aber... Er schaute neben sich. Wo war Kai? Etwa schon bei der Arbeit? Nein. Aus der Küche konnte er leises Summen und Deckelklappern hören. Anscheinend war er in der Küche und kochte. Uruha stand vorsichtig auf und tapste in die Richtung, in der er die Küche vermutete und trat ein. Und er hatte recht. Dort stand Kai am Herd und summte leise vor sich hin. "Ohayou.", murmelte er leise. Kai erschrak sich fast zu Tode. Er hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass da ja noch jemand war. Viel zu sehr war er in seiner Arbeit vertieft. Dabei fiel ihm auch ein, dass er ja für ihn und sich gekocht hatte. "Gomen.", entschuldigte er sich für sein schreckhaftes Verhalten und lächelte ihn dann aus seinen etwas verschlafen wirkenden Augen an. "Ohayou. Gut geschlafen?", fragte er und rührte noch einmal das Essen im Topf um. "Ich hoffe, du hast Hunger. Hab bestimmt zu viel gekocht. Aber dann hast du heute auch was zum Abendessen, wenn ich nicht da bin. Ich hoffe, das ist okay für dich." Er nickte kurz. Kai würde also am Abend nicht da sein. Er wäre alleine in diesem großen, fremden Haus. Niemand, der mit ihm reden könnte, wäre also hier. Irgendetwas sträubte sich in ihm dagegen und er zitterte leicht auf. Alleine sein war irgendwie keine so tolle Idee. Aber er konnte Kai ja auch nicht von seiner Arbeit abhalten. Natürlich ging das nicht. "Hai... Bist du dir sicher, dass ich nicht gehen soll? Ich mein... Wie dein Freund gestern schon sagte, ich könnte dich ausrauben oder sonst etwas... Wieso vertraust du mir?" Das war etwas, was ihn schon die ganze Zeit beschäftigt hatte. Stirnrunzelnd musterte er ihn von oben bis unten. Dann schüttelte er den Kopf. "Wenn du so etwas tun würdest, dann hättest du es doch schon längst getan oder?" Mehr sagte er dazu nicht und trat direkt auf ihn zu. "Komm, setz dich. Das Essen ist fertig." Und schon drückte er den Größeren an den Schultern auf einen seiner Stühle. Direkt gefolgt von einer heißen Schüssel Misosuppe. "Hau rein. Musst ja langsam wieder zu Kräften kommen. Mal sehen, ob´s dir schmeckt. Bin ja noch Anfänger. Hoffentlich kann ich irgendwann mal mein eigenes Restaurant aufmachen. Das wär so~ toll.", schwärmte er, bevor er dann wieder in die Realität zurückfand. "Und wegen heute Abend mach dir keine Gedanken. Wenn du willst, schick ich dir Ruki vorbei. Dann bist du nicht so alleine." "Bist du dir da auch ganz sicher? Ich... Ich will dir keine Umstände machen. Wirklich nicht. Wenn es dir zuviel wird, dann sag es mir bitte und... Und ich verschwinde. Ganz ehrlich. Und... Dein Freund scheint mich auch gar nicht zu mögen. So eine tolle Idee ist es nicht, ihn herzuholen, damit ich nicht alleine bin..." Irgendwie versank er gerade in Selbstmitleid. Das sollte er sich mal dringend abgewöhnen. Das war gar nicht gut... "Und dein Essen... Es schmeckt fantastisch. Du kannst das richtig klasse. Sag mal... Bist du Koch?" Kai lachte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. "Iie... Ich bin kein Koch. Leider. Aber irgendwann werd ich bestimmt mal einer. Ich koche einfach viel zu gerne. Bin nur ein kleiner Helfer in dem Restaurant. Aber damit kann man halt auch Geld verdienen. Für mehr hat es bisher aber nicht gereicht. Und ab und an schau ich dem Koch da mal über die Schulter." So redselig kannte er sich zwar selbst nicht, aber Uruha hatte ihn ja gefragt. Und er war nicht alleine. Es war schön, wenn mal jemand bei ihm war. "Na ja, wenn du Ruki nicht hier haben willst, dann versteh ich das natürlich. Er kann manchmal echt unmöglich sein.", entschuldigte er sich für das Verhalten seines kleinen Freundes. "Aber meist bereut er dann auch schon das, was er so voreilig von sich gegeben hat. Mach dir also deshalb keine Sorgen." Uruha seufzte leise und lehnte sich gegen die Theke. Er schloss die Augen und versuchte, wenigstens diese Informationen in seinem Gedächtnis abzuspeichern, wenn er sonst schon nichts wusste. Kai war also kein Koch. Er war nur ein kleiner Helfer im Restaurant, der ab und an auch mal dem richtigen Koch half. Okay. Gespeichert. "Bist du dir sicher, dass Ruki damit einverstanden wäre? Ich will ihm keine Umstände bereiten. Ich kann auch in der Zeit, wo du nicht da bist, ein bisschen rausgehen und komme dann wieder... Ano..." Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Er hatte Angst, dass Ruki ihn einfach nur verachten und schlecht behandeln würde. So, wie er es die ganze Zeit über getan hatte. Ein schweres Husten entrang sich seiner Kehle und er wischte sich wieder ein Rinnsal Blut aus dem Mundwinkel. Was war das bloß? "Verdammt." "Alles okay?", fragte er besorgt und legte einen Arm um die Schulter des Größeren. "Das passiert dir schon öfter oder?" Wieder hielt er ihm ein Tuch hin. "Wir sollten das mal untersuchen lassen. Ich glaube nicht, dass es normal ist, dass du Blut hustest." Egal, wie er das anstellen sollte, er würde sich schon etwas einfallen lassen, damit sie der Ursache für diesen Husten auf den Grund gehen konnten. "Was hältst du davon, wenn du dich wieder ins Bett legst und ich mich um Gesellschaft für dich kümmer. Ich möchte nicht, dass du auf die Straße gehst. Schon gar nicht in deinem Zustand. Was wäre, wenn dir da irgendwas passiert? Wer weiß, ob dir da jemand helfen konnte oder würde." Er machte sich wirklich Gedanken darüber. Sie hatten ja schon Glück, dass sie ihn gefunden hatten. Laut Notarzt wäre es beinahe zu spät gewesen. "Komm, leg dich wieder hin. Wir finden schon eine Lösung und das mit deinem Husten werden wir auch noch in den Griff bekommen." Seufzend folgte er dem anderen brav und tapste auf nackten Sohlen wieder zurück ins Schlafzimmer. Dort schüttelte Kai kurz noch einmal die Bettdecke und das Kopfkissen aus, ehe sich Uruha hineinlegen konnte und sich fest einkuschelte. Er beobachtete Kai, wie er die Rollos runterzog und fühlte wenige Augenblicke später, wie er ihm den Kopf tätschelte. "Ano... Ist dir das auch wirklich recht, wenn ich in deinem Zimmer und in deinem Bett bin? Ich meine... Es ist doch dein Bett. Da kann ich doch nicht einfach... Ano..." War er schon immer so verschüchtert gewesen und stotterte vor sich hin? Er wusste es einfach nicht und so schloss er einfach nur deprimiert die Augen. "Ano... Wen willst du denn anrufen? Ruki?" "Mach dir da mal keine Gedanken. Für mich ist es völlig okay, dass ich dir mein Bett zur Verfügung stelle. Ich würd dich nie auf dem ollen Sofa schlafen lassen, wenn ich dir mein Bett geben kann. Na hör mal.", grinste er. Lächelnd deckte er ihn ordentlich zu. "Ich werde nicht Ruki anrufen. Keine Angst. Ihr müsst wohl erst mal richtig warm miteinander werden. Aber ich kenn da jemanden, der sich sicher gut um dich kümmern wird. Er ist einer meiner besten Freunde und kann dich bestimmt auch etwas aufmuntern. Vor ihm brauchst du überhaupt keine Angst zu haben." Er machte eine kurze Pause. "Okay, ein wenig vielleicht schon.", kicherte er. "Er hat so eine Eigenart an sich. Und nicht erschrecken. Er ist etwas durchgeknallt. Aber total lieb. Und wunder dich nicht, wenn er dir was mit seiner Gitarre vorspielen will. Ohne das Ding kann er nämlich nicht." Uruha runzelte die Stirn. Ein anderer als Ruki? Ein wenig durchgeknallt? Trotzdem ganz lieb? Spielt gerne Gitarre? Ziemlich viele Informationen für jemanden, der selbst keine richtige Identität hatte. Jedenfalls keine, von der er wusste. Aber gut. Wenn Kai meinte, dass dieser Kerl lieb und nett war und ihn nicht niedermachen würde, dann würde er damit auch einverstanden sein. Sicher. Was blieb ihm auch anderes übrig? Irgendjemand musste ja bei ihm bleiben. "Hai... Gute Idee. Und... Wer ist er? Wann musst du eigentlich weg?" Kai schaute zur Uhr. "Na ja, in ner Stunde muss ich los. Sonst komm ich nicht pünktlich und das is echt schlecht. Der Job is ziemlich wichtig." Und so ging er zu seinem Kleiderschrank und holte sich ein paar frische Klamotten heraus. Dabei sprach er weiter. "Ach, Miyavi ist wirklich nett. Und sorgt eigentlich immer für einen Lacher. Aber keine Angst. Er ist für alles offen und wirklich ein herzensguter Mensch. Und er hat sogar schon einen Vertrag in der Hand. So toll wie er hab ich noch niemanden Gitarre spielen sehen. Hat sich echt gemausert der Kleine." Ja, und er kannte ihn schon solange. Wenn er überlegte, seit wann er ihn kannte und er schon mit 15 jungen Jahren seine ersten richtigen Erfolge feierte. Der Junge war einfach ein Multitalent durchweg. "Ich werd ihn gleich mal anrufen. Für seine Freunde nimmt er sich immer Zeit." Erstaunt blickte er Kai an und bemerkte erst eine Minute zu spät, dass er ihn mit offenem Mund anstarrte. Momentchen mal. Wenn Kai 22 war und er einen Freund hatte, dann konnte er ja eigentlich davon ausgehen, dass dieser auch so um den Dreh alt sein musste. Mit 22 hatte der schon einen eigenen Vertrag? Wow, wie cool war das denn? Da bekam er sicherlich ziemlich viel Geld und war schon eine kleine Berühmtheit. Aber... Er hatte noch nie was von einem Miyavi gehört. War ja eigentlich auch nicht verwunderlich, da er sich an nichts was vor Kai geschehen war, erinnern konnte. "Das ist lieb...", murmelte er leise. Eine Dreiviertelstunde später klingelte es auch schon an der Haustür. "Das wird er sein. Schön liegen bleiben.", meinte er zu seinem neuen Mitbewohner und marschierte grinsend zur Tür. Und schon wurde er herzlichst begrüßt, als er die Tür öffnete. Der 1,83 m große junge Mann umarmte in beherzt und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Hey, Kai! Wie geht´s? Schön, dass du dich mal wieder gemeldet hast." Neugierig blickte sich der Größere um. "Und wo ist mein Pflegekind für heute?", grinste er. "Ich will den Jungen doch gleich mal kennen lernen, damit ich weiß, wen du so alles in dein Heim lässt." Kai lachte nur. "Überfall den armen Kerl nicht gleich. Und wenn du mal wieder zu stürmisch bist, bekommt er gleich nen Herzkasper von dir. Also benimm dich." Er nahm ihm den Gitarrenkoffer ab und stellte ihn in sein Wohnzimmer. Dann führte er ihn in sein heiliges Reich, in dem Uruha nun lag. "Darf ich vorstellen? Das ist Miyavi und das ist Uruha.", stellte er die beiden einander vor. "Ich muss dann auch gleich. Vertragt euch und lass den Armen am Leben, Miya. Okay?" Ehe Uruha auch nur etwas sagen konnte, wurde die Tür schon aufgemacht und Kai trat zusammen mit einem für einen Japaner wirklich großen Kerl mit bunter Kleidung herein. Irgendwie erinnerte er Uruha an einen Paradiesvogel. Oh, da hatte er ja auch schon gleich einen Spitznamen für den anderen. Natürlich würde er den nicht laut sagen. Aber so im Geheimen konnte er den ja benutzen. Das Paradiesvögelchen also schritt beschwingt auf ihn zu und schüttelte ihm grinsend die Hand. Dann ließ er sich neben Uruha auf das Bett plumpsen und schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück. "Ah, dann ist das also mein Pflegekind. Freut mich. Ich bin Miyavi, kannst mich aber auch Miya oder Myv nennen, ist mir eigentlich wurscht. Ich pass ab heute jeden Tag auf dich auf, bis es dir besser geht, hai?" Kai verabschiedete sich kurz und hoffte irgendwie, dass er mit Miyavi die richtige Wahl getroffen hatte. Aber bei ihm hatte er weniger Bedenken, ihn mit Uruha alleine zu lassen, als bei Ruki. Der hätte ihm wahrscheinlich wieder irgendwelche Worte an den Kopf geknallt oder ihn die ganze Zeit nur grimmig angeschaut. Und das war nicht unbedingt die beste Methode, jemanden wieder auf die Beine zu kriegen. Dann war er auch schon verschwunden. "So, du bist also Uruha.", stellte der Größere fest. "Was machen wir zwei beide denn jetzt? Hast du irgendeinen Wunsch?" Leicht unwohl war ihm schon, jetzt mit diesem ihm völlig Fremden alleine zu sein. Kai kannte er ja jetzt schon ein wenig. Er war sozusagen seine Bezugsperson. Aber Miyavi schien ein ordentlicher Kerl zu sein, der keine bösen Gedanken hegte gegen ihn, so wie Ruki. Beleidigungen hätte er jetzt nämlich nicht ertragen. "Ich... Also... Kai hat mir erzählt, du würdest richtig toll Gitarre spielen können und... Würdest du mir vielleicht vorspielen? Hm?" Hoffentlich verlangte er damit nicht zuviel. Ein wenig rot wurde er schon, dass Kai ihn mal gelobt hatte, kam nämlich nicht sehr oft vor. Er schien eher zu wollen, dass er auf dem Teppich blieb und hielt ihn damit immer auf dem Boden der Tatsachen. Dafür war er seinem langjährigen Freund auch immer wieder dankbar. Sofort nickte er heftig und hibbelte auch schon wie bescheuert ins Wohnzimmer um im Affenzahn auch wieder ins Schlafzimmer gestürmt zu kommen. Miyavi spielte einfach unglaublich gern Gitarre. Schon war sie ausgepackt und er hängte sie sich um. "Hast du denn eine besonderen Songwunsch?" So schnell, wie Miyavi seine Gitarre geholt hatte und wieder zurück an seinem Bett saß, konnte er gar nicht gucken. Mit großen Augen starrte er sein Gegenüber an und schluckte. War der immer so überdreht? Wenn ja... Wer hatte ihm die falschen Tabletten verschrieben? Das war doch nicht mehr normal. Hatte der das Zappelphillip-Syndrom? "Eto... Ich kenne gar keine Lieder...", nuschelte er leise und starrte auf seine Hände, die auf der Bettdecke lagen. "Macht nix!", grinste er breit und begann einfach. Er präsentierte ihm einfach mal was ganz Simples und so spielte und sang er erst mal einen Klassiker. "Hit the Road, Jack...", trällerte er vor sich hin und trommelt im Rhythmus seiner Gitarre mit den Fingern auf das bearbeitete Holz. Das machte er immer wieder gerne. Als er damit fertig war grinste er ihn wieder breit an. "Was ist eigentlich passiert, dass du so mitgenommen aussiehst? Muss ja ziemlich schlimm gewesen sein. Und wenn du dich wieder erinnern kannst, dann machen wir die Mistkerle fertig. Kann ja wohl nicht sein, dass die einen einfach niedermachen." Uruha schloss die Augen und hörte gespannt Miyavis Gesang und dem Gitarrenspiel zu. Es hörte sich einfach nur fantastisch an. Der andere war ein Gott auf der Gitarre und singen konnte er auch noch sehr gut. Wow. Das wollte er auch gerne mal können. Das war wirklich klasse. Uruha wurde ein wenig neidisch. Als Miyavi geendet hatte, seufzte er leise auf und antwortete ihm. "Ano... Ich weiß es selbst nicht. Ich bin in einer Seitengasse aufgewacht, hab geblutet wie sonst was und da war auch schon Kai da... Hab wirklich keine Ahnung." "Hmmm...", machte er nur und legte die Gitarre beiseite. "Also hattest du wirklich Schwein, dass unser guter, alter Kai da mal eben so vorbeikam, was? Irgendwie hat er einen Riecher dafür. Aber ich find es toll, dass es solche Menschen noch gibt. Nicht auszudenken, was ein anderer mit dir angestellt hätte.", seufzte er. Dann drehte er sich zu ihm und lächelte. "Auf jeden Fall kannst du dich auf ihn verlassen. Der schafft eigentlich alles, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Und ich glaube nicht, dass er sich die Sache mit dir nicht auch in seinen Kopf gesetzt hat. Das zieht er garantiert durch." Dann nahm er wieder seine Gitarre und hielt sie Uruha vor die Nase. "Möchtest du auch mal? Ist gar nicht so schwer. Ehrlich." "Hai. Ich will nicht wissen, was passiert wäre. Ich glaube, ohne Kai... Ohne Kai wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Er hat mir das Leben gerettet und dafür stehe ich auf ewig in seiner Schuld. Ich hoffe doch, dass er mich auch nicht sofort nach meiner Genesung wieder rausschmeißt. Ich... Ich hab keine Arbeit und kein Geld und..." Er seufzte leise. Das interessierte diesen Miyavi sicherlich auch gar nicht. Sicherlich nicht... "Ano... Ich kann nicht spielen.", doch trotzdem nahm er die Gitarre wie aus einem Instinkt heraus an sich und setzte die Finger an. Es war ihm auf einmal, als würde er schon einmal eine Gitarre in der Hand gehalten haben und seine Finger fingen wie von alleine an, über die Seiten zu tanzen und eine Melodie zu spielen, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Miyavi staunte nicht schlecht. "Wieso sollte Kai dich dann rauswerfen? Das macht er garantiert nicht. Das weiß ich hundertpro. Das bringt er nicht übers Herz. Dafür ist er ein viel zu lieber Kerl. Du werd erst mal gesund und dann schauen wir weiter." Dann schaute er gespannt zu, wie Uruha die Gitarre in die Hand nahm. Es sah aus, als wäre das nicht das erste Mal, dass er eine Gitarre in der Hand hatte. Garantiert nicht. Und auch als er spielte, wurde sein Verdacht bestätigt. Uruha hatte definitiv schon einmal Gitarre gespielt. Als der andere dann aufhörte, zu spielen, kicherte er. "Du hast noch nie Gitarre gespielt? Scherzkeks." Sanft stupste er ihm gegen die Schulter. "Ich glaube, wir haben schon mal eine Aufgabe für dich. Kai würde sich bestimmt freuen, wenn er das erfährt." Nachdem er geendet hatte, hielt er die Gitarre noch einige Momente in seinen Händen und die Augen geschlossen. Ihm war irgendwie komisch. Es war, als hätte er wirklich schon einmal Gitarre gespielt. Früher... Plötzlich sah er in seinem Kopf Bilder von einem etwa achtzehnjährigen Jungen, welcher eine Gitarre in der Hand hielt und spielte. Dann jedoch kam ein großer Mann ins Zimmer, nahm ihm die Gitarre weg und zerschlug sie auf dem Boden. Der Junge weinte bitterlich. Uruhas Kopf durchzuckte ein starker Kopfschmerz und er wimmerte leise auf. Sein Körper krümmte sich zusammen und er drückte sich die Hände auf die Ohren. "Itai...", wimmerte er leise und sackte leicht zusammen. "Hey." Sofort nahm Miyavi die Gitarre weg und stellte sie beiseite, um sich auch gleich zu Uruha ans Bett zu hocken und ihm beruhigend über den Rücken zu streicheln. "Was ist los, Uruha? Geht es dir nicht gut? Soll ich einen Arzt holen?" Das war das erste Mal in seinem Leben, dass er sich einer solchen Situation stellen musste und das war wirklich eine echte Herausforderung. Er wusste nicht, was er tun sollte. "Uruha? Beruhige dich. Hier ist niemand, der dir weh tun will. Wirklich nicht." Vor Uruhas innerem Auge spielte sich immer und immer wieder diese Szene ab. Der Junge spielte Gitarre, dann kam der große Mann herein, zerschlug die Gitarre und der Junge fing an zu weinen und zu betteln, während der Mann ihn anschrie und sogar ohrfeigte. Es war, als würde er diese beiden Menschen kennen, konnte sie jedoch nicht zuordnen, da die Gesichter verschwommen waren. Es war ihm, als hätte er diese ganze Situation bereits einmal miterlebt, als wäre er dabei gewesen. "Itai...", jammerte er und krampfte seine Hände in seine Haare. Sein Oberkörper lehnte sich schwer gegen Miyavis und er wimmerte immer wieder leise auf, realisierte nicht, dass der andere mit ihm sprach. Viel zu sehr war er mit seinen Visionen beschäftigt. Dann durchzuckte es ihn wie ein Blitz und ein leises "Aoi..." sich über seine Lippen löste und seine Welt in Schwärze versank. Was war denn nun los? Warum verkrampfte sich der andere so sehr und ließ immer wieder schmerzverzerrte Laut über seine Lippen kommen? Ging es ihm so schlecht? Und wer bitte schön war denn Aoi? Irgendwie verstand er gar nichts mehr. Aber eins wusste er, er musste unbedingt Hilfe holen, denn sonst würde er vielleicht doch noch etwas Falsches tun und das Risiko wollte er nicht eingehen. Vorsichtig legte er den bewusstlosen Körper zurück in die Kissen und schnappte sich sein Handy. Sofort hatte er einen Notarzt bestellt. Dieser kam auch sofort, jedoch konnte er nichts weiter tun, als Miyavi zu sagen, dass der Patient einfach nur ohnmächtig war. Den Grund dafür konnte selbst er nicht herausfinden. Er beruhigte ihn und meinte, solange er nicht wieder anfing, zu bluten oder sonst etwas passierte, wäre er nicht in Lebensgefahr und er müsste sich keine Gedanken oder Sorgen um ihn machen. Miyavi wurde damit beauftragt, Uruha einfach eine Aspirintablette gegen die Kopfschmerzen zu geben. Und schon war der Notarzt wieder verschwunden. Uruha wachte etwa eine halbe Stunde später wieder auf und blinzelte verwirrt in Miyavis Gesicht. "Was...?" Puh, da war er aber erleichtert. Uruha schien wieder zu sich zu kommen und auch nichts Ernsthaftes zu haben. Zumindest bisher nicht. Was noch kam, konnte er ja eh nicht wissen und wollte es auch nicht. Wer weiß, was dann auf ihn warten würde. Nein, danke. Darauf konnte er gut und gerne verzichten. "Hey, geht es dir besser? Du warst plötzlich weg und ich hab mir Sorgen gemacht." Er legte eine Hand auf Uruhas Stirn und schaute, ob er nicht vielleicht doch Fieber hatte. Dann hielt er ihm ein Glas Wasser und die Aspirin hin. "Damit gehen deine Kopfschmerzen gleich weg.", meinte er. Schweigend beobachtete er den anderen, als diese Frage dann doch über seine Lippen kam. "Wer ist Aoi?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)