Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 21: Erwischt -------------------- Den Traum, der mich während meines Schlafs heimsuchte, werde ich wohl nie vergessen. Zwar war mir nicht jedes Detail im Gedächtnis geblieben, doch ich weiß noch, dass ich gemeinsam mit Zetsu und meiner Schwester Isolde zusammenwohnte – und ich für uns alle kochte. Muss ich dafür extra erwähnen, dass ich keinerlei Talent zum Kochen besitze und die Küche schon in Flammen aufgeht, wenn ich mir nur eine Milch in der Mikrowelle warmmache? Aber in meinem Traum schmeckte das Essen ausgezeichnet und sowohl Zetsu als auch Isolde waren so angetan davon, dass sie mich baten, auch am nächsten Tag zu kochen. Ansonsten werde ich eher gebeten, nie wieder zu kochen. Ein familiäres, warmes Gefühl, das ich bislang kaum gekannt hatte, erfüllte mich während dieser Szene – deswegen behielt ich diesen Traum so gut im Gedächtnis. Genau wie das, was geschah, als ich aufwachte. Was genau es war, das mich weckte, weiß ich nicht mehr so genau, aber kaum hatte ich wieder registriert, dass ich noch immer im Krankenhausbett lag, spürte ich, wie jemand sich mit mir im Raum befand, offenbar äußerst beschäftigt damit etwas zu suchen. Da ich mit dem Gesicht zur Wand lag, konnte ich selbst mit geöffneten Augen nicht sehen, wer es war. Im ersten Moment dachte ich mir aber nichts dabei, immerhin teilte ich das Zimmer mit Baila, aber dann fiel mir auf, dass das Mädchen nicht so rücksichtslos laut wühlen würde – und vor allem nicht in meinem Nachttisch. Da ich von dem Schlaf und den langsam einsetzenden Schmerzen in meinem Fuß noch ein wenig benommen war, drehte ich mich nur langsam auf die andere Seite, um den ungebetenen Gast zu betrachten. Bei meinem Zustand brauchte ich einen Moment, um das extrem lange Haar und die dünne Gestalt einzuordnen. Ich runzelte meine Stirn. „Was tust du da?“ Narukana zuckte zusammen und hielt inne. Sie bewegte sich nicht mehr als ob sie hoffte, dass ich sie dann nicht mehr sehen würde als ob ich eine Schlange oder so etwas wäre. Wofür hielt dieses Mädchen mich eigentlich? „Ich sehe dich immer noch“, grummelte ich. Wütend sah sie mich an. „Warum schläfst du nicht!? Ich habe dich extra nochmal mit einem Schlafzauber belegt!“ „Hör endlich auf mit dem Quatsch.“ Ich war viel zu müde, um auf ihr dummes Spiel einzugehen. Langsam setzte ich mich aufrecht hin, um größer zu sein als sie, solange sie neben meinem Bett kniete. Mein Blick huschte über die auf dem Boden verteilten Bücher, die äußerst unsanft behandelt worden zu sein schienen. Ich atmete tief durch, um die Wut zu unterdrücken, dann ließ ich meinen Blick zu meinem Schrank weiterwandern. Die Tür war sperrangelweit offen, meine gesamte Kleidung war herausgezerrt und verstreut worden – und ich musste nicht erst überlegen, wer dafür verantwortlich war. „Narukana!“ Sie sprang augenblicklich auf, als ich ihren Namen aussprach. Mit ausgestrecktem Arm deutete sie auf mich. „Das ist alles deine Schuld! Rück endlich mein Siegel heraus!“ „Es gibt kein Siegel!“, fauchte ich wütend. „Das ist doch nur in deinem Kopf!“ Als ob sie das ausprobieren wollte, zeigte sie weiterhin auf mich und legte die andere Hand an ihre Schulter. Sie atmete schwer, ich konnte sehen, wie stark sie sich konzentrierte und beobachtete sie dabei schweigend. Ich war immer noch wütend, aber gleichzeitig auch müde und durch den Traum in einer seltsamen harmoniebedürftigen Stimmung, die es mir nicht erlaubte, mich wirklich aufzuregen. Nach zwei Minuten gab Narukana ihre Konzentration schließlich auf. „Es MUSS ein Siegel geben, es funktioniert immer noch nicht!“ Seufzend griff ich mir an die Stirn. „Wenn ich dich ansehe, frage ich mich immer, ob ich wirklich so krank und depressiv bin, wie ich immer denke.“ Narukana schnaubte. „Mich kannst du nicht hereinlegen! Ich weiß genau, dass das hier keine richtige Klinik ist! Ihr wollt mich hier nur zermürben!“ Für die anderen durfte das wohl auch zustimmen, Zetsu zumindest schien es Spaß zu bereiten, sie zu ärgern und das dürfte wohl zu zermürben zählen, oder? „Und wenn ich dann nervlich am Ende bin,“, fuhr sie mit weinerlicher Stimme fort, „werdet ihr mich einsperren!“ Wenn es nach mir ginge, hätte man sie gleich eingesperrt. Warum hatte sie die geschützte Station überhaupt verlassen dürfen? Selbst Helen Keller hätte gemerkt, dass Narukana nicht alle Tassen im Schrank hatte und man sie am Besten in eine Gummizelle sperren und den Schlüssel wegwerfen sollte. Ernsthaft, so etwas sollte man nicht frei herumlaufen lassen. Sie hatte bereits dazu beigetragen, meinen Fuß aufzuschlitzen und sie schlich sich fast unbemerkt in mein Zimmer, um meine Sachen zu durchwühlen, wer wusste schon, wie weit sie noch gehen würde. Das erste Mal in meinem Leben fürchtete ich tatsächlich, dass ich einem Mord zum Opfer fallen könnte – und das gerade an einem Ort, an dem ich eigentlich sicher sein sollte. Aber ich würde nicht kampflos gehen! Ich würde eine von denjenigen sein, die sich in einem Horrorfilm so lange wie möglich durchkämpfte, statt in einer fünf-sekündigen-Szene den Kopf zu verlieren. Auch wenn mir nicht der Sinn danach stand, überhaupt durch fremde Hand zu sterben – und wenn dann doch eher durch einen etwas stilvolleren Killer wie zum Beispiel Michael Myers. „Wie wäre es, wenn ich dich gleich in meinen Schrank sperre?“, fragte ich genervt. Genug Platz befand sich in diesem ja nun. Narukana stemmte die Hände in ihre Hüften. „Mach dich nicht über mich lustig! Ich weiß, dass dieser Schrank das Tor zu einer anderen Welt ist!“ Hilfe, sie wurde ja immer schräger. „Was ist bei dir eigentlich schief gelaufen?“, fragte ich seufzend. „Wurdest du mal zu heiß gebadet?“ Schmollend schob sie ihre Unterlippe vor, doch bevor ich noch einmal fragen konnte, wurde die Tür geöffnet und Satsuki kam herein. Wurde hier nicht einmal mehr angeklopft? Was war das hier für ein Verein? Missbilligend blickte sie Narukana an. „Hier bist du also. Wird aber auch Zeit, dass ich dich finde.“ Verwirrt sah sie auf den Boden, als sie bemerkte, dass meine Habseligkeiten kreuz und quer im Zimmer verstreut waren. „Mann, Leana, du solltest wirklich mal ein bisschen mehr Ordnung halten.“ „Das ist nicht meine Schuld“, knurrte ich zur Antwort. Anklagend sah ich zu Narukana hinüber, die sich inzwischen Satsuki zugewandt hatte. Sie glaubte zwar, ich würde ihr Siegel bewachen, doch das rothaarige Mädchen war ihre Rivalin um Nozomus Herz – auch wenn ich keine Ahnung hatte, was die beiden an dem Kerl fanden. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten... oder auch nicht. Ich kannte beide Varianten des Sprichworts, wusste aber nicht, welche davon die richtige war. Wahrscheinlich sollte ich eher froh sein, dass keine von ihnen an Zetsu interessiert war. Wie gesagt, nur weil ich beschlossen hatte, mich nicht mehr für ihn zu interessieren, bedeutete das nicht, dass ich mitansehen wollte, wie eine andere sich an ihn heranschmiss – vor allem weil ich nicht wusste, wie ich reagieren würde, wenn ich eifersüchtig war. Satsuki wandte sich ebenfalls wieder Narukana zu. „Dann komm endlich mit, es wird Zeit für deine Medikamente.“ Sie bekam mehrmals am Tag welche? Da schienen sie aber nicht sonderlich gut anzuschlagen – und warum das so war, erfuhren wir auch sofort: „Ich nehme diese Dinger doch nicht! Damit wollt ihr mich nur davon abhalten, mein Siegel zu suchen!“ Narukanas Stimme klang dermaßen überzeugt, dass ich es sogar geglaubt hätte, wenn ich sie bislang nicht schon länger miterleben müsste. Noch ehe jemand von uns etwas dazu sagen konnte, rauschte Narukana mit wehenden Haaren davon. Ich musste zugeben, dass es ein äußerst cooler Anblick war, es fehlte nur noch ein passender Spruch und die Musik dazu und die Szene wäre perfekt gewesen – wenn man die Kamera danach nicht direkt auf uns Verbliebene gerichtet hätte, die ihr augenrollend hinterherblickten. Ich wandte mich an Satsuki, die seufzend mit dem Kopf schüttelte: „Seid ihr sicher, dass sie nicht eher paranoid oder schizophren ist?“ Die Rothaarige sah mich erschöpft lächelnd an. „Ich wünschte, das wäre so. Mit solchen Patienten kennt man sich hier immerhin aus. Narukana dagegen ist eher... so ein Sonderfall. Wenn hier nicht fast alles nach Dr. Salles laufen würde, wäre sie auch schon längst nicht mehr hier.“ „Huh? Weswegen?“ Ich war davon überzeugt, dass sie mir nicht antworten würde, doch zu meiner Überraschung tat sie das doch: „Dr. Salles ist immer ganz begeistert von außergewöhnlichen Fällen und den von Narukana findet er besonders toll. Du solltest sehen, wie seine Augen leuchten, wenn er anfängt, über ihre Symptome und den Krankheitsverlauf zu sprechen.“ Sie unterbrach sich selbst, um leise zu seufzen, ehe sie fortfuhr: „Jedenfalls hat Dr. Breen schon ganz oft vorgeschlagen, sie woanders hinzuschicken, aber Dr. Salles war immer dagegen~“ Ich hätte wirklich in eine andere Klinik gehen sollen... Ich verlor mich für einen Moment in der Überlegung, wie mein Leben nun aussehen würde, wenn ich tatsächlich in ein anderes Krankenhaus gegangen wäre. Zu gut erinnerte ich mich an die zahlreichen Broschüren, die zu Hause auf meinem Schreibtisch lagen – oder hatten, ich wusste immerhin nicht, was meine Eltern damit getan hatten. Einige dieser Kliniken glichen, ausgehend von den Bildern, eher Urlaubspensionen. Einen Aufenthalt dort hätte ich mir nie leisten können, aber es gab auch noch andere Krankenhäuser. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, wollte ich gar nicht woanders sein. Ja, Narukana raubte mir den letzten Nerv, ich zweifelte an der Kompetenz des Personals und ich hasste Nozomu – aber hier gab es immerhin auch Zetsu und Baila, das Mädchen, das mir immer mehr ans Herz wuchs und es war nie langweilig, wenn man es mal von dieser Seite betrachtete. Satsuki seufzte schließlich. „Ich fürchte, du wirst selbst aufräumen müssen – oder soll ich dir helfen?“ „Nein, das geht schon, danke.“ Die Rothaarige nickte nur knapp und ging davon. Erst als sich die Tür hinter ihr schloss, stellte ich dummerweise fest, dass ich ja immer noch verletzt war. Vor lauter Müdigkeit hatte ich vollkommen vergessen, dass ich Narukana eines mit der Krücke hätte überziehen können. Egal, ob Dr. Salles das gefiel oder nicht, ich würde mir nicht alles von ihr gefallen lassen, niemals. Aber bevor ich mir einen Racheplan überlegte, war es möglicherweise wirklich besser, hier erst einmal aufzuräumen. Irgendwie würde ich das schon hinkriegen, so wie den Rest meines Lebens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)