Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 17: Von Göttern und Spöttern ------------------------------------ Der Sonntag verging quälend langsam, ich war heilfroh, als es endlich Montag wurde. Diese Woche würden endlich all meine Therapien beginnen und ich hoffte, dass zumindest die Wochentage ein wenig schneller vergehen und ich mehr Ablenkung von Zetsu bekommen würde. Während des Frühstücks konnte ich noch nicht wissen, dass diese Ablenkung schneller kommen würde als mir lieb war – und das auf äußerst unangenehme Weise. Nach dem Frühsport, den ich immer mehr zu hassen begann, kehrten wir auf die Station zurück. Ausnahmsweise lief ich einmal gemeinsam mit Thalia hinauf, da Baila bereits mit Subaru vorgelaufen war. Die anderen Jungen dagegen liefen irgendwo weit hinter uns. Thalia war gar nicht so übel, wenn sie nicht gerade einen Wutanfall bekam. Eigentlich war sie mir sogar ganz sympathisch, vielleicht konnten wir Freunde werden... oder so. Wenn ich so darüber nachdenke, fiel mir auf, dass ich nie irgendwelche Freunde gehabt hatte. Oberflächliche Bekannte, schnelllebige Kontakte mit Mitschülern, ja, aber Freunde? Fehlanzeige. Mir stand aber auch nicht wirklich der Sinn nach solchen. Selbst im Internet hielt ich mich von diesen Communitys fern, um nicht Gefahr zu laufen, dass Leute mich sympathisch finden und sich mit mir anfreunden könnten. So betrachtet war es selbst für mich seltsam, dass ich hier im Krankenhaus Leute traf, mit denen ich mich tatsächlich anfreunden würde. Jedenfalls betraten wir die Station und ich kann mit Fug und Recht sagen, dass sie uns beiden sofort auffiel. Man musste sie einfach bemerken. Nicht weil ihr Aussehen so hervorstach, sondern weil sie direkt vor dem Gruppenraum saß – und extrem wütend zu sein schien. Die Luft um sie herum schien elektrisch geladen zu sein und geradezu zu knistern, kein Vergleich zu Thalia oder Sorluska, wenn sie wütend waren und die waren schon Furcht einflößend. Sie war nicht über den Haupteingang hergekommen, das hätte ich selbst beim Laufen durch den kleinen Park gesehen. Also wo kam sie her? Thalia erschauerte für einen Moment. „Oh nein, nicht die...“ „Kennst du sie?“, fragte ich. Bevor das Mädchen uns bemerkte – sie schien wirklich extrem sauer zu sein, dass sie uns bislang nicht einmal beachtete –, zog Thalia mich in den Gruppenraum. Ehe sie etwas sagte, warf Thalia noch einmal einen Blick hinaus, wahrscheinlich um sicherzugehen, dass die Wartende nicht zu uns sah. Schließlich wandte sie sich wieder mir zu. „Das ist Narukana Flann. Sie war schon einmal hier und wurde dann auf die geschützte Station verlegt.“ „Geschützte... Station?“ Ich hatte zwar schon einmal davon gehört, aber was genau es sein sollte, war mir nicht klar. Ich wusste nur, dass sie direkt nebenan war und diese Station von jener nur durch eine Glastür getrennt war. „Man könnte es auch geschlossene Station nennen“, antwortete Thalia mir. „Ah, verstehe“, sagte ich. „Warum wurde diese... Narukana“ - Gott, was für ein idiotischer Name - „denn auf die geschützte Station verlegt?“ Thalia warf noch einmal einen prüfenden Blick durch die Glasscheibe, um nachzusehen, ob dieses Mädchen inzwischen auf uns aufmerksam geworden war, aber sie schien uns immer noch nicht zu beachten. Daher wandte Thalia sich wieder mir zu. „Dazu musst du erst mal wissen, warum sie überhaupt hier ist. Das wirst du mir nie glauben, ernsthaft.“ Neugierig geworden sah ich ihr direkt in die Augen, doch gerade als sie den Mund öffnete, um fortzufahren, erklang von draußen ein Schrei. Irritiert sahen wir beide hinüber. Satsuki war während unseres Gesprächs offenbar aufgetaucht, hatte ebenfalls den Neuankömmling bemerkt und ihrem Unmut in einem lauten Schrei Luft gemacht. „Was tust du wieder hier!?“ Narukana sah die Rothaarige an, ihre Nase so hoch erhoben, dass ihr Blick fast zur Decke ging. „Ich wurde hierher verlegt. Hätte ich gewusst, dass du immer noch hier bist...“ Sie ließ den Satz unbeendet, da offenbar irgendetwas Interessantes in ihr Blickfeld trat. Nur einen Moment später hüpfte sie mit einem fröhlichen Schrei auf dieses Etwas zu. Ich ignorierte Thalias Seufzen und ging zur Tür, um mir anzusehen, auf was sie da zugesprungen war. Allein bei dem Gedanken, dass es möglicherweise Zetsu war, wurde mir flau im Magen. Ich wollte ihn zwar aus meinen Gedanken verbannen, aber das hieß nicht, dass ich sehen wollte, wie irgendeine andere sich an ihn ranschmiss. Doch als ich zwischen all den Haaren endlich ausmachen konnte, wer da versuchte, sich aus Narukanas Griff zu lösen, kehrte die Gleichgültigkeit zurück. Satsuki dagegen kreischte laut auf und versuchte, Nozomu aus den Klauen der anderen zu befreien. Ich musste schmunzeln, auch wenn mich das ein wenig ärgerte, da ich sehen konnte, dass Zetsu das ebenfalls tat. Er stand ein wenig abseits der ganzen Sache und beobachtete es genau wie Sorluska und ich. „Ah, Narukana, wie schön dich zu sehen~“, sagte er mit vor Ironie triefender Stimme. „Haben sie dich da drüben wieder gehen lassen?“ Sie ließ Nozomu so abrupt los, dass dieser beinahe hintenüber stürzte. Allerdings hatte er Glück, da Sorluska ihm half, sein Gleichgewicht wieder zu gewinnen. Schade, ich hätte ihn gern stürzen gesehen. Aber in dem Moment war ich ohnehin damit beschäftigt, Narukana anzusehen, um ihre nächste Reaktion zu beobachten und mich selbst unter Kontrolle zu halten. Würde sie nämlich auch ihm um den Hals fallen, wollte ich nicht dieselbe Reaktion wie Satsuki zeigen. Tatsächlich aber musste ich mich nicht einmal zusammenreißen, um das zu verhindern. Allerdings nicht, weil es mich kalt ließ, sondern weil Narukana ihm lediglich einen wütenden Blick zuwarf. „Du bist ja auch noch da!“ „Was erwartest du denn?“, erwiderte er. Sie schnaubte wütend. „Langsam nervst du mich!“ „Oh, nur langsam? Dann gebe ich mir wohl nicht genug Mühe.“ Das wütende Kreischen konnte ich mir sparen, aber das hingerissene Seufzen nach seinen Worten musste ich wirklich gewaltsam unterdrücken. Ganz offenbar erzürnt, hob sie eine Hand an ihre Schulter, während sie mit der rechten auf Zetsu zeigte, der nicht einmal eine Augenbraue hob. Schweigen legte sich wie eine Decke auf diese Szene, fragend sah ich von einem zum anderen. Doch die anderen waren zu sehr damit beschäftigt, Narukana gebannt anzusehen. Gab es irgend etwas, was ich verpasst hatte? Die ganze Szene wirkte auf mich mehr als nur surreal, besonders da keiner sich mehr bewegte, als ob jemand bei einem Videorecorder – die tollen Vorläufer der DVD-Player, die VHS-Bänder abspielten und die ich persönlich bevorzugte – auf die Pause-Taste gedrückt hätte. Oder wie die Schlussszenen früher Filme und Serien, in denen der Regisseur – oder wer auch immer – es für eine tolle Idee hielt, ein Standbild der letzten Einstellung zu zeigen, ehe der Abspann über den Monitor flimmerte. Ich war so sehr in diesen Gedanken vertieft, dass ich mich selbst nicht bewegte, um die Szene nicht zu stören. Erst als Zetsu zu lachen begann, erwachten wir alle wie auf Stichwort wieder aus unserer Starre. „Ah, immer noch der Überzeugung, dass du eine Göttin wärst?“ Ich glaubte echt, mich verhört zu haben. Den sogenannten Gottkomplex hatte ich bislang immer für ein Gerücht gehalten, für eine Erfindung der Filmindustrie, um deren Psychopathen zu rechtfertigen. Nun vor einer solchen Person zu stehen war ein sehr seltsames Gefühl für mich, besonders weil sie ganz anders zu sein schien als die in den Filmen propagierten Kranke. Brummelnd stellte Narukana sich wieder normal hin. „Sobald ich das Siegel, das meine Macht unterdrückt, endlich zerstört habe, werde ich dich auf eine andere Welt verbannen und dann werde ich dich gemeinsam mit dieser endgültig vernichten!“ Seufzend rollte Zetsu mit den Augen. „Ja, ja, ja~“ Das Knistern in der Luft verstärkte sich noch einmal, doch ehe Narukana wirklich ausrasten konnte, trat Jatzieta hinzu. Ihr Lächeln war genau dasselbe wie immer, aber ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie am Liebsten bei den Spötteleien mitgemacht hätte. Ich fragte mich, warum sie sich davon abhielt, sonst nahm sie doch auch kein Blatt vor den Mund. „Ich werde euch unsere Narukana-sama erst einmal entführen müssen“, verkündete sie. „Da gibt es noch ein paar Papiere, die ausgefüllt werden müssen.“ „Bitte, bitte“, erwiderte Zetsu. Mit hoch erhobenem Haupt schritt Narukana neben Jatzieta ins Schwesternzimmer, während die anderen mich wieder in den Gruppenraum zerrten. „H-hey!“ Sogar Satsuki kam zu uns herein und schloss die Tür hinter sich – mir war bislang nicht mal aufgefallen, dass dieser Raum eine Tür besaß – ehe Thalia sich wieder mir zuwandte. „Wir waren vorher noch nicht fertig. Aber wahrscheinlich hast du es inzwischen selbst mitbekommen.“ „Sie hat einen Gottkomplex?“, hakte ich sicherheitshalber doch lieber noch einmal nach. Erstaunlicherweise nickten alle im Einklang, was doch äußerst selten war für diese unterschiedliche Gruppe. „Als sie hier das erste Mal reinkam“, erklärte Zetsu, „dachten wir erst, sie macht Witze. Aber sie ist so sehr davon überzeugt, dass einer von uns mit einem Siegel ihre Macht unterdrückt, dass sie sogar mal unsere Zimmer durchsucht hat und unsere Schrankschlüssel klaute.“ Darum und wegen der intensiven Annahme, dass sie wirklich eine Göttin war, hatten die Ärzte offenbar beschlossen, sie auf die geschützte Station zu verlegen, zumindest erklärten mir die anderen das so. Warum sie allerdings wieder da war, wusste keiner von ihnen. „Vielleicht schickt man sie nach dem Auftritt von eben auch wieder zurück“, hoffte Sorluska. „Noch eine Woche mit der und ich packe freiwillig.“ „Dann hätten wir wenigstens endlich Ruhe“, schnaubte Thalia. Ihre Körpersprache sagte mir aber etwas völlig anderes. Ich war mir nicht sicher, in welchem Verhältnis die beiden zueinander standen, aber so wie sie sich in diesem Moment verhielt, war ich mir ziemlich sicher, dass sie sich äußerst nahestanden. Allerdings beschäftigte mich in diesem Moment etwas anderes. Mein Blick ging durch die Glasscheibe zum Schwesternzimmer, in dem immer noch Narukana saß. Ein mehr als nur ungutes Gefühl überkam mich bei ihrem Anblick. Kennt ihr das, wenn man jemanden sieht und sofort weiß, dass diese Person noch für Ärger sorgen wird? Genau so fühlte ich mich bei Narukana, nur noch um einiges intensiver, da mir ja erzählt worden war, dass sie bereits für Ärger gesorgt hatte. Ich war so sehr davon überzeugt, dass ich sie bereits vor meinem inneren Auge in meinem Schrank wühlen sah. Aber immerhin überkamen mich keine Visionen unseres zukünftigen Ablebens so wie in Final Destination. Ich müsste also nur auf meine Schrankschlüssel aufpassen und ihr aus dem Weg gehen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich ja noch nicht wissen, wie sehr sie sich ausgerechnet auf mich einschießen und versuchen würde mir den Rest der Woche das Leben zur Hölle machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)