Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 12: Mysterium Zetsu --------------------------- Die Nacht war viel zu schnell vergangen, als ich am nächsten Morgen geweckt wurde. Verschlafen richtete ich mich auf, als die Tür aufging und Nelia hereinkam. „Guten Morgen. Es ist Zeit, aufzustehen. Beeilt euch, in fünfzehn Minuten gibt es Essen.“ Sie rasselte den Spruch routiniert herunter und fuhr dann herum, um das Zimmer zu verlassen. Mein Blick fiel auf mein Handy, das mir anzeigte, dass es sieben Uhr morgens war. Zu Hause wäre ich bereits seit einer Stunde wach gewesen. Überhaupt war mein Schlaf zu Hause sehr schlecht gewesen, oft war ich nachts mit einem irrationalen Gefühl der Furcht und einem rasenden Herzschlag aufgewacht und war morgens dann spätestens um sechs aufgestanden. Hier dagegen hatte ich tatsächlich die ganze Nacht durchgeschlafen. Vielleicht würde es dann nicht einmal so schlimm werden, wie ich anfangs befürchtete. Baila war bereits aufgestanden und damit beschäftigt, sich anzuziehen. Schließlich winkte sie mir zu, wahrscheinlich um mir einen guten Morgen zu wünschen. Ich lächelte. „Guten Morgen, Baila.“ Sie vollführte einige Handbewegungen, die ich als weitere Frage interpretierte. Ich nickte. „Ich habe gut geschlafen, danke.“ Anscheinend war das wirklich ihre Frage gewesen, denn sie lächelte glücklich. „Hast du auch gut geschlafen?“, fragte ich. Diesmal war sie es, die nickte. Schließlich gab sie mir zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. Für einen Moment überlegte ich, das Essen sausen zu lassen, aber mein knurrender Magen machte mir unmissverständlich klar, dass er das nicht tolerieren würde. Also stand ich auf und zog mich ebenfalls an. Gemeinsam verließen wir das Zimmer und gingen in den Gruppenraum, wo bereits die Tabletts mit dem Essen und den Namensschildern standen. Thalia und Subaru schienen sie verteilt zu haben. Erneut stand mein Tablett gegenüber dem von Zetsu. Er schien allerdings nichts damit zu tun zu haben, deswegen fragte ich mich, auf wessen Mist das gewachsen war. War es etwa Zufall? Oder doch so etwas wie Schicksal? Nozomu und Sorluska betraten den Raum und wirkten alles andere als begeistert. Keiner von beiden grüßte mich, allerdings konnte ich darauf auch verzichten. Wir saßen bereits fünf Minuten, als Zetsu schließlich als letzter hereinkam. Er wirkte noch müder als letzte Nacht, aber vielleicht war er einfach ein Morgenmuffel. Solche Leute gab es ja bekanntermaßen. Mit einem leisen Morgengruß setzte er sich mir gegenüber. Ich erwiderte ebenso leise und unbegeistert. Immerhin galt die kalte Schulter noch, nicht? Im Gegensatz zum Mittag- und Abendessen ging das Frühstück lautlos vonstatten. Kurz vor halb acht stand Subaru plötzlich auf. „Wir sollten uns beeilen, wir haben noch Sport.“ Fragend sah ich ihn an, bis mir wieder einfiel, dass es tatsächlich jeden Morgen eine halbe Stunde Sport gab. Zwar nicht unbedingt eines meiner Hobbys, aber auch nichts, was ich hasste. Ich folgte Baila wieder in unser Zimmer, wo wir uns die mitgebrachten Sportschuhe anzogen, bevor wir gemeinsam mit den anderen nach unten gingen. Vor der Tür wartete bereits Nelia. Ich wunderte mich, dass sie mir am Tag zuvor nicht aufgefallen war – allerdings war mein Blick da auch ganz auf Zetsu gerichtet gewesen. Der Sport bestand aus verschiedenen Gymnastikübungen und einigem Gerenne im Park. Schulsport war anstrengender und zumindest einer schien sich nicht vollständig auspowern zu können. Sorluska hatte noch genug Kraft, um vor sich hinzugrummeln, wofür er immer wieder von Thalia zurechtgewiesen wurde. Ich verstand nicht, was die beiden sagten, aber ihre Körpersprache sagte einiges. Während wir ziemlich unkoordiniert herumrannten, entdeckte ich plötzlich Zetsu, der auf einer Bank saß. Irritiert blieb ich stehen. „Warum sitzt du da?“ Fragend sah er mich an. „Warum nicht?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum rennst du nicht hier herum?“ Er blinzelte müde, während er die Schultern hob. „Keine Lust.“ Ich hatte ihn nicht als Sportmuffel eingestuft, nein, von seinem Körper her hätte ich sogar gedacht, dass er ziemlich häufig Sport macht, aber vielleicht war ihm das hier zu kindisch. Irgendwie warf er mir immer mehr Fragen auf, wenn er mir etwas beantwortete. „Hast du überhaupt auf etwas Lust?“, fragte ich weiter. „Auf sehr vieles sogar.“ Bevor ich eine weitere Frage stellen konnte, stand plötzlich Subaru neben mir. „Komm, du solltest dich langsam beeilen. Nelia hat schon nach dir gefragt.“ „Aber was ist mit Zetsu?“ Ich deutete auf den Silberhaarigen, der immer noch unbeteiligt auf der Bank saß. Subaru schüttelte seinen Kopf. „Das ist schon okay, dass er hier sitzt. Glaub mir.“ Ich wollte noch eine weitere Frage stellen, aber anscheinend war es Subaru unangenehm, weiter vor Zetsu darüber zu sprechen. Jedenfalls schnappte er sich meinen Arm und zog mich mit sich zum Vorplatz zurück, wo die anderen inzwischen wieder standen. Nelia warf einen Blick auf uns. Als ich den Kopf wandte, entdeckte ich plötzlich Zetsu, der neben mir stand. Er war uns gefolgt, ohne dass ich es gemerkt hatte. „Scheint als wären wir wieder vollzählig“, bemerkte Nelia. „Dann können wir wieder hochgehen, es wird Zeit für eure Medikamente.“ Das, was ich am liebsten verdrängt hätte. Medikamente zu nehmen war gut und schön, aber ehrlich gesagt lebte ich auch ohne Medikamente sehr gut. Ich wollte keine von diesen ruhig gestellten Zombies werden – aber vermutlich musste ich damit leben, wenn ich schon in solch einer Klinik war. Gemeinsam gingen wir alle wieder nach oben, wo wir von der inzwischen aufgetauchten Jatzieta enthusiastisch begrüßt wurden. „Guten Morgen, Kinder~ Ihr habt mir ziemlich gefehlt.“ „Guten Morgen“, grüßten wir unbegeistert zurück. Außer Subaru, Baila und Zetsu schien niemand sie wirklich zu mögen. Und die zählten nicht, die schienen aus irgendeinem Grund jeden zu mögen. Auf dem Tisch im Schwesternzimmer standen bereits allerlei kleine Döschen mit Pillen drin, die Namen standen außen drauf. Missmutig ging mein Blick von einem zum anderen. Bis auf drei Döschen schienen alle dieselben Medikamente zu enthalten. Das von Thalia und Sorluska unterschied sich von den anderen, aber die beiden hatten ebenfalls denselben Inhalt. Lediglich Zetsus Medikamente waren vollkommen anders, was mich wieder zu der Frage führte, was er hier tat. Weswegen wurde er hier behandelt? Ich musste bei Gelegenheit wirklich einmal jemanden fragen. Nacheinander reichte Jatzieta jedem seine Dosis und einen Becher Wasser dazu. „Immer runter damit, Kinder, damit Nelia unbesorgt Feierabend machen kann.“ Nelia rollte mit den Augen. Ihr war es offensichtlich egal, ob jemand seine Tabletten nahm oder nicht – abgesehen von Zetsu. Aufmerksam blickte die Schwester ihn an, bis er schließlich seine Tabletten geschluckt hatte. Kaum war das geschehen, nickte sie zufrieden. „Gut, Jatzieta, du hast die Notizen ja schon gesehen. Ich bin dann bis heute Abend wieder weg.“ „Bis später“, verkündete Jatzieta gut gelaunt. Damit fuhr Nelia herum und ging davon. Ich vermisste sie bereits. Ob sie mir wohl sagen würde, was mit Zetsu war? Und warum sie ihn so sehr behütete? Dummerweise war ich wirklich neugierig, was mir sonst gar nicht ähnlich sah. Aber wenn es um das Mysterium Zetsu ging... ach, Mann, jetzt hatte ich dafür sogar schon einen Namen. Am besten, ich würde noch eine eigene Einsatzgruppe für die Polizei bilden, damit wir dem auf die Spur kamen. Plötzlich sah Zetsu mich an. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Er konnte doch keine Gedanken lesen, oder? Er lächelte. „Hast du letzte Nacht gut geschlafen?“ Wieso fiel ihm die Frage plötzlich ein? Ich nickte nur. Natürlich erzählte ich ihm nicht davon, dass ich im Bett wieder geweint und dann von ihm geträumt hatte. Bestimmt hätte er darüber ohnehin nur gelacht. Die Antwort schien ihn zufriedenzustellen. Er fuhr herum und ging davon. Nozomu gab ein abwertendes Geräusch von sich. „Auch das noch.“ Baila und Subaru sahen ihn fragend an, lediglich Thalia und Sorluska schienen ihn zu verstehen, allerdings wirkte keiner von beiden begeistert. Wenngleich ich das Gefühl hatte, dass sie ohnehin nie von irgend etwas zu begeistern war. „Was denn?“, fragte ich, die mal wieder gar nichts verstand. Nozomu schüttelte nur den Kopf. „Gar nichts, vergiss es einfach. Am besten, du vergisst echt alles und gehst wieder nach Hause.“ „Setoki!“ Thalia sah ihn wütend an. „Rede nicht so mit ihr! Vielleicht hilft ihm das ja.“ Nozomu schnaubte und ging wortlos an ihr vorbei, um das Zimmer zu verlassen. Fragend sah ich ihm hinterher, bevor ich mich wieder an Thalia wandte: „Was soll wem helfen?“ Sie schüttelte allerdings nur den Kopf und zog Sorluska mit sich hinaus. Mein Blick ging weiter zu Baila und Subaru, doch die beiden hoben nur die Schultern. Sie schienen zwar untereinander ganz dicke zu sein – wie mein Mathelehrer zu sagen pflegte – aber mit den anderen hatten sie wohl nicht so viel zu tun. Jatzieta lächelte nur amüsiert. „Nun, Kinder, ihr solltet wohl auch mal gehen. Demnächst beginnt die Morgenrunde.“ Da Baila und Subaru mir zunickten, verließ ich gemeinsam mit ihnen das Schwesternzimmer, meine Gedanken schon wieder bei Zetsu. Ich seufzte innerlich. Warum war es nur so schwer, nicht an ihn zu denken? Vielleicht, weil er einem immer wieder neue Fragen aufwarf? Aber komme, was wolle, ich würde die Fragen aufklären – und ihn DANN endlich vergessen, ganz sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)