Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 5: FSJ -------------- Im ersten Moment glaubte ich, Jatzietas Tochter oder Schwester oder was auch immer, vor mir zu haben. Die Farbe ihres langen roten Haares war so intensiv, dass ich mich dabei ertappte, wie ich die Hand ausstreckte, um es anfassen zu können. Nur um zu sehen, ob das Haar und auch die Farbe wirklich echt war. Die türkis-farbenen Augen leuchteten vergnügt. Alles in allem strahlte dieses Mädchen eine solche Lebensfreude und Optimismus aus, dass ich mir sicher war, dass sie keine Patientin war. Aber was wollte sie dann hier? Besuchszeiten waren doch auch erst ab 17 Uhr. „Ah, du musst eine neue Patientin sein.“ Ihre Stimme ließ sie jünger erscheinen als sie meiner Schätzung (ungefähr mein Alter) nach war. Ich konnte nur perplex nicken, während ich immer noch zu ergründen versuchte, wer sie wohl war. Doch das nahm sie mir gleich ab, als sie sich mit stolzgeschwellter Brust vorstellte: „Mein Name ist Satsuki Ikaruga. Ich mache in dieser Klinik mein Freiwilliges soziales Jahr.“ Also war sie so etwas wie eine Krankenschwester auf Zeit und Probe, höchstwahrscheinlich weil sie nichts anderes bekommen hatte. Hoffentlich machte sie ihren Job wenigstens gut. Immer noch lächelnd sah sie mich an. Sie schien auf etwas zu warten, aber mir fiel beim besten Willen nicht ein, was das sein könnte. Schließlich lachte sie leise. „Und wie heißt du?“ Am liebsten hätte ich mir gegen die Stirn geschlagen. Natürlich, ich hatte mich noch gar nicht vorgestellt. „Ich bin Leana Vartanian.“ Der Ausdruck des Wiedererkennens trat in ihr Gesicht, obwohl dies das erste Mal war, dass ich ihr begegnete. „Ah, du bist die, von der Dr Breen geredet hat.“ Ich erinnerte mich an den sanftmütigen Arzt, mit dem ich bislang einmal gesprochen hatte. Wieso hatte der über mich geredet? Fiel das nicht unter ärztliche Schweigepflicht? Sie kicherte leise. „Wirk doch nicht gleich so schockiert. Wir haben nichts Böses über dich geredet. Er hat uns, also der Belegschaft, nur erzählt, dass wir eine Patientin mit dem Namen kriegen würden.“ Gut, das war wohl nicht weiter verwunderlich, dass so etwas erzählt wurde. Aber wirkte ich wirklich schockiert oder übertrieb sie nur? „Hast du dir die Station schon angesehen?“, fragte sie. Ich nickte automatisch. „Zetsu hat sie mir gezeigt.“ Ihr erneutes Kichern machte mich diesmal misstrauisch. Verspielt warf sie ihr Haar zurück. „Zetsu zeigt jedem neuen weiblichen Patienten die Station.“ Also war mein Verdacht richtig gewesen. „So, tut er das?“, gab ich desinteressiert zurück. Innerlich spürte ich aber einen enttäuschten Stich. Ich hatte also recht gehabt und ich war nichts Besonderes für ihn. Aber was war das auch für eine dumme Annahme gewesen? Nicht nur, dass er mit seinem Aussehen sicherlich jede kriegen konnte, nein, ich kannte ihn auch erst seit wenigen Minuten. Ich sollte ihn mir aus dem Kopf schlagen, so schnell wie er hineingekommen war und endlich wieder dieselbe gefühlskalte Leana wie zuvor sein. Bis auf die Depressionen war das immerhin kein schlechtes Leben gewesen. „Zetsu mag eben Mädchen“, fuhr Satsuki fort. „Obwohl er immer sagt, er wartet auf die Richtige, anscheinend hat er sogar noch nie geküsst. Ich frage mich nur, woran er die Richtige festmacht.“ Ich tat so, als würde mich das nicht interessieren, aber eigentlich hatte sich mein Herz bei diesen Worten wieder in Aufruhr versetzt. Dann war er vielleicht doch nicht ein solcher Frauenheld? Aber ich schob es gleich wieder beiseite. Ich hatte doch gerade eben beschlossen, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen und das würde ich auch tun. Satsuki lachte noch einmal, als sie merkte, dass sie mich damit nicht aus der Reserve locken konnte. „Hast du schon Baila getroffen?“ Ich nickte. „Allerdings hab ich ihr am Anfang wohl wehgetan.“ „Oh, das ist sie gewohnt“, kam es im Plauderton zurück. „Unsere Baila hat in ihrem Leben einiges mitgemacht, deswegen spricht sie auch nicht mehr.“ Sie konnte also sprechen, tat es aber nicht. Ich fragte mich, was wohl mit ihr passiert war, wagte aber nicht, weitere Fragen zu stellen, denn streng genommen ging es mich nichts an. Doch selbst nun, da ich wusste, dass Baila so etwas gewohnt war, plagte mich immer noch ein schlechtes Gewissen für diese übertriebene Reaktion. Zumindest ein wenig. „Dann hast du mit Sicherheit auch schon Subaru und Nozomu getroffen.“ Bei der Erinnerung an den Samariter und den Idioten versteinerte mein Gesicht wieder. Ich nickte. „Ja, habe ich.“ „War ja logisch. Baila und Subaru sind quasi wie Geschwister und Nozomu und Zetsu sind ja beste Freunde, nicht? Klar, dass sie unzertrennlich sind.“ Plötzlich überkam mich das Gefühl, dass sie Nozomu und Zetsu schon länger kannte – wonach ich auch sofort fragte. Sie nickte. „Oh ja~ Ich war in derselben Klasse wie Zetsu, Nozomu war in der Stufe unter uns.“ „Und jetzt sind die beiden hier Patienten und du machst ein FSJ... was für ein Zufall.“ Sie lachte verlegen. „Äh, ja, natürlich hast du recht. Aber was ist schon schlimm daran? Die beiden kennen mich, ich kenne sie, alles ist gut, oder?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mir ist das egal. Aber wirkt das nicht stalkermäßig?“ Geschockt sah sie mich an. Ich hatte das zwar nur dahergesagt, aber anscheinend hatte ich einen Nerv bei ihr damit erwischt.“ „Glaubst du, das denkt er auch?“ „Wer?“ Ich nahm an, dass sie von ihrem Chef oder diesem Arzt oder sonst wem sprechen würde, aber die folgende Antwort überraschte mich doch: „Na, Nozomu natürlich. Allein wegen Zetsu wäre ich nicht hergekommen.“ Diesmal war ich es, die sie schockiert ansah. „Nozomu? Du bist nur wegen dem hier? Weswegen?“ Hektisch sah sie sich um, um sicherzustellen, dass niemand in der Nähe war, der das mitbekommen würde. Sie lehnte sich sogar über die Brüstung des Balkons, um zu sehen, ob jemand unten stand und lauschte. Es wunderte mich, dass sie nicht noch unter den Balkon kletterte und dort eventuelle Wanzen entfernte. Schließlich wandte sie sich wieder mir zu. Bei ihrem durch und durch ernstem Gesichtsausdruck musste ich mir ein Lachen verkneifen, so sehr sah es wie ein schlechtes Schauspiel aus. „Weißt du, ich bin in Nozomu verliebt, seit Zetsu mich ihm vorgestellt hat.“ „Oh, wirklich?“ Noch mehr Liebe auf den ersten Blick, huh? Wie spannend. Spürt man die (nicht vorhandene) Begeisterung in meinen Worten? „Und?“, fragte ich. „Na ja, Beziehungen mit Patienten sind verboten...“ „Seid ihr denn ein Paar?“, kam es wieder von mir. Diesmal wand sie sich regelrecht um die Antwort. „Nun, nein, nicht direkt, nicht wirklich.“ Dachte ich es mir doch. „Wo liegt dann das Problem?“ „Du verstehst mich einfach nicht“, erwiderte sie weinerlich. Nein, das tat ich wirklich nicht. Aber das fand ich auch besser so. Ich konnte mir nicht einmal im Entferntesten vorstellen, wie man sich in diesen Idioten verlieben konnte, wie man sogar extra für ihn als Krankenschwester auf so einer Station anheuern konnte, ohne dafür auch noch bezahlt zu werden. Aber ich wollte es mir auch gar nicht vorstellen. Vielleicht war Nozomu irgendwann mal erträglicher gewesen, aber so ganz glaubte ich nicht daran. Unvermittelt lächelte Satsuki wieder, ein recht hinterhältiges und fieses Lächeln. „Tja, dann verrate ich dir auch nicht, weswegen Zetsu hier ist.“ Uh, verdammt, erwischt. Genau das wollte ich ja eigentlich wissen. Aber ich würde den Teufel tun und Satsuki um Verzeihung anbetteln, damit sie es mir doch noch erzählen würde. Gleichgültig ging sie zur Balkontür zurück. „Ich mache mich dann mal an die Arbeit. Es gibt viel zu tun.“ Daran zweifelte ich nicht. Jatzieta tat ja anscheinend nichts, außer verträumt in die Gegend zu starren. Satsuki ging wieder hinein und mit deutlich wütenden Schritten in Richtung Schwesternzimmer. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Es kam mir vor, als wäre ich mitten in einer Soap – oder einem neuen Buch von Stephenie Meyer – gelandet. Wann würde das alles nur aufhören? Vielleicht träumte ich das alles ja nur und würde bald wieder zu Hause in meinem Bett aufwachen. Nein, das war auch keine gute Alternative. Lieber war ich hier, als bei meinen Eltern zu sein. Ich musste nur versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen und mir Zetsu endgültig aus den Kopf zu schlagen. Nur... wie sollte das gehen, wenn ich ihn jeden Tag in dieser Einrichtung sehen würde, wenn ich jedem Tag seiner Aura ausgesetzt sein würde? Da blieb wohl nur hoffen – und standhaft bleiben. 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