Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 4: Ist das Liebe? ------------------------- Die Küche war das erste, was er mir zeigte. Es war nur ein winzig kleiner Raum, gerade groß genug, dass ein vorsintflutlicher Herd, eine Spüle und zwei Personen darin Platz hatten. Dahinter gab es noch eine Kammer mit mehreren Kästen Wasser und – wie Zetsu mir erklärte – einem kleinen Kühlschrank, in dem allerdings nicht sonderlich viel aufbewahrt wurde. Ohne mir viel Zeit zum Umsehen zu lassen – obwohl es wirklich nicht viel zu sehen gab – zog er mich weiter. Direkt neben der Küche stand ein Sessel, an der Wand war ein Telefonapparat befestigt, mit dem man anscheinend kostenlos telefonieren konnte. Eine Info, die mir ziemlich egal war, denn wen sollte ich schon anrufen? Gegenüber des Telefons war eine kleine Säule aus Kork aufgebaut, an der allerlei Zettel hingen. Offensichtlich waren es weitreichendere Regeln als die in dem kleinen Handbuch, das Jatzieta mir vorhin gegeben hatte. Ich hoffte, dass Baila keinerlei Selbstmordfantasien mit sich herumtrug, denn ehrlich gesagt hätte ich das nur ungern gemeldet – auch wenn die Regeln es so verlangten. Nicht, weil ich nicht gern die Petze spielen wollte, sondern weil ich die bislang einzig Autoritätsperson nicht mochte. Als nächstes führte Zetsu mich in in den kleinen Raum neben der Küche. Ich konnte die Trommel einer Waschmaschine hören, die sich unablässig bewegte. Er erklärte mir, dass die anderen Patienten hier ihre Wäsche waschen würden, wenn sie keine Möglichkeit hatten, frische Kleidung zu bekommen. Anscheinend war ich hier also nicht die einzige, die sich nicht gut mit ihren Eltern verstand. Wir verließen den kleinen Raum wieder. Die Küche und der Waschraum lagen beide direkt gegenüber der Patientenzimmer. Zwei Zimmer neben meinem blieb Zetsu wieder stehen. Lächelnd deutete er auf die Tür. „Das hier ist mein Zimmer. Wenn du mal ein Problem hast, weißt du, wo du mich findest. Aber sei vorsichtig, Nozomu wohnt auch bei mir.“ „Kennst du diesen Kerl schon länger?“ Er nickte. „Nozomu und ich sind beste Freunde, wir kannten uns schon, bevor wir ins Krankenhaus kamen. Damals waren wir auf derselben Schule.“ „Warum ist er hier?“, fragte ich weiter. Zetsus Lächeln erlosch. „Nun, das hängt mit seinen Eltern zusammen. Sie waren beide Journalisten in einem umkämpften Kriegsgebiet und sind bei einem Anschlag ums Leben gekommen.“ Das war sicherlich nicht angenehm, aber täglich verloren viele Leute ihre Eltern – warum war er also hier? Ich stellte Zetsu die Frage, er schmunzelte belustigt. „Bräuchtest du keine professionelle Hilfe, wenn deine Eltern vor deinen Augen von einer Bombe zerfetzt werden?“ Diesmal schluckte ich. Gut, das war doch um einiges heftiger, da wüsste ich nicht einmal wie ich bei meinen Eltern reagiert hätte. Er schien eine solche Reaktion erwartet zu haben, denn er nickte zufrieden und ging schließlich weiter. Ich folgte ihm sofort, nur um im Fernsehzimmer zu landen. Der Boden war mit einem pflegeleichten blauen Teppich ausgelegt, gegenüber dem Fernseher stand ein bequem aussehendes, ebenfalls blaues Sofa. Ansonsten befanden sich nur noch ein heller Schrank mit einer Pflanze darauf im Zimmer. Das Schlichte gefiel mir, nur die Pflanze störte mich ein wenig. Ich war kein Fan von Botanik. Wir setzten uns gemeinsam auf das Sofa. Während des Rundgangs war es mir gar nicht aufgefallen, aber kaum saßen wir wieder, spürte ich erneut dieses Kribbeln in meinem Bauch. Er hatte sich so dicht neben mich gesetzt, dass ich seinen Geruch deutlich wahrnehmen konnte. Er erinnerte mich an unbeschwerte Tage, an denen ich in den Ferien am Strand gespielt hatte. Am liebsten hätte ich meine Arme um ihn gelegt, um den Geruch noch intensiver in mich aufzunehmen, aber ich ließ es bleiben. Vielleicht konnte er sowas auch gar nicht leiden, dann hätte ihn das eher vergrault als mir näher gebracht. Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt. Warum dachte ich sowas? Noch nie zuvor hatte ich mich für Jungen interessiert, aber auch nicht für Mädchen, bevor hier Missverständnisse entstehen. Aber bei Zetsu... war das irgendwie anders. Möglicherweise hatten all die Romantiker, die ich früher gern als Spinner betitelt hatte, doch recht gehabt... irgendwie. Doch warum musste es mich gerade jetzt und hier, bei einem Krankenhausaufenthalt erwischen? Andere verliebten sich in Discos, Bars oder im Internet. Nur ich fiel mal wieder aus dem Rahmen und traf meine erste große Liebe in psychotherapeutischen Klinik. Wie das wohl rüberkam, wenn man es seinen Enkeln erzählte? Argh, nein, nein, nein! Wie konnte ich jetzt schon an so etwas denken? „Alles in Ordnung?“, fragte Zetsu. „Äh, ja, sicher... Warum... warum verbringst du eigentlich so viel Zeit mit mir?“ Er lächelte wieder. „Oh, nur so. Ich dachte mir, das würde dir gefallen. Wer hat mich denn vorhin so angestarrt?“ Gespielt schmollend erwiderte ich seinen Blick. „Du hast auch gestarrt.“ Lachend fuhr er mir ungefragt über das Haar. „Natürlich, weil du süß bist.“ Jeder andere hätte in diesem Moment von mir eine verpasst bekommen, aber da es von ihm kam, wurde ich nur noch röter im Gesicht. „Findest du?“ Er nickte zustimmend. Hastig legte ich meine Hände auf meine glühenden Wangen. Oooow, warum brachte er mich nur so durcheinander? Liebe war echt was Störendes. „Sagst du das zu jedem Neuzugang?“, fragte ich schließlich, um meine Verlegenheit zu überspielen. „Hmmm, nein, nur zu dem weiblichen Neuzugang.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich ernst nehmen sollte. Sein Gesicht war völlig unbewegt, als er das sagte. Ich wollte gerade nachhaken, als Nozomu plötzlich in der Tür stand. „Zetsu, komm jetzt, es ist zehn Uhr, wir müssen los.“ Seufzend stand er auf. „Bin schon unterwegs. Bis später, Leana.“ Er lächelte noch einmal, bevor er gemeinsam mit Nozomu davonging. Kaum war er weg, kam es mir vor als ob irgend etwas Wichtiges fehlen würde, aber immerhin schlug mein Herz nicht mehr ganz so schnell. Andererseits fühlte ich mich ohne ihn auch nicht mehr so wohl wie zuvor. Hastig stand ich auf, aber als ich auf den Flur trat, waren die anderen bereits gegangen. Wohin waren sie alle gegangen? Und wann würden sie wiederkommen? Als ich Jatzieta danach fragte, lächelte sie wie üblich. „Sie haben Therapie. Ab morgen darfst du auch zur Therapie gehen.“ Plötzlich kicherte sie. „Zetsu scheint es dir ja ganz schön angetan zu haben.“ Abweisend verschränkte ich die Arme vor der Brust. „So ein Unsinn. Als ob Jungen mich interessieren würden. Ich bin mit mir selbst genug beschäftigt.“ „Darauf wette ich.“ Der Ton ihrer Stimme gefiel mir nicht, aber ich beließ es bei einem bösen Blick von mir. „Wann kommen die anderen wieder?“ „Um elf Uhr. Solange musst du dich allein beschäftigen.“ Sie kicherte noch einmal. Ohne auf eine zweite Aufforderung zu warten, fuhr ich noch auf dem Absatz herum und ging wieder in den Gemeinschaftsraum zurück. Ich stellte das Radio aus, das im Moment ohnehin für niemanden spielte und trat auf den Balkon hinaus. Der Ausblick war nicht berauschend. Von diesem Balkon aus konnte man lediglich die anderen Gebäude sehen, die zum Krankenhaus gehörten, dazu noch die Bäume in der Parkanlage, die allerdings einen genaueren Blick auf die Leute im Park verwehrten. Ich seufzte. Vielleicht hätte ich Zetsu noch sehen können, wenn- Argh! Wann hörte das endlich auf!? Ich hasste es, verliebt zu sein, das ließ meine rationale Sicht verschwimmen, es war ekelhaft. Außerdem war es bescheuert, denn anscheinend war es ja ohnehin was Einseitiges. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Zetsu auch etwas für mich empfand, wenn er denn dazu überhaupt fähig war. Aus irgendeinem Grund musste er ja immerhin hier sein. Aber kamen gefühlskalte Menschen überhaupt in Therapie? Wieder einmal zeigte sich, dass ich keine Ahnung hatte. Doch brauchte ich das überhaupt? Es war ja überflüssig, so etwas zu wissen, zumindest für mich. Sobald ich hier wieder draußen war, würde ich mit keinem Gestörten mehr etwas zu tun haben – und auch nicht mit Zetsu. Letzteres störte mich wieder. Ich grummelte leise. „Hör endlich auf, so viel nachzudenken, Leana.“ Selbstgespräche gehörten normalerweise nicht zu dem, was ich täglich tat, aber manchmal machte ich es dennoch. Sonst hörte mir ja niemand zu. Hinter mir erklangen Schritte. Ob einer der anderen doch nicht weg war? Oder wollte Jatzieta irgendetwas von mir? Erwartungsvoll drehte ich mich um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)