Poison in my veins von moonlily (Geburtstags-FF für Aschra) ================================================================================ Kapitel 1: Innocence -------------------- Diese FF ist für die liebe , die sich etwas mit Bakura und Joey gewünscht hat. Ich hoffe, es gefällt dir. ^______^ Alles Gute zum Geburtstag. Poison in my veins Kapitel 1 Innocence Ein Windstoß fuhr durch das offene Fenster ins Zimmer und bauschte die in der vergangenen Nacht zum Schutz vor Ungeziefer davor gezogene Gardine. Die Sonne malte einen breiten, hellen Lichtstreifen auf den Fußboden, auf dem ein achtlos hingeworfenes T-Shirt einträchtig neben einem Paar Schmutzsocken und den Resten einer Pizza samt Karton lag. Das leise Ticken des Weckers, der auf dem Nachtschrank neben dem Bett stand und 12:21 Uhr anzeigte, mischte sich mit gedämpften Schnarchlauten. Von dem Schlafenden war nur ein Büschel blonden Haares zu sehen, der Rest war unter der dünnen Bettdecke vergraben. Das Display des Handys, das neben dem Wecker lag, leuchtete auf. Your cruel device Your blood, like ice One look could kill My pain, your thrill … „Hmmm ...“ Die Decke bewegte sich etwas, ein Arm langte darunter hervor und fuhr durch die Luft, bis er gegen den Nachtschrank stieß. Joey tastete sich mit der Hand am Holz entlang, auf der Suche nach dem musizierenden Mobiltelefon. Sich mit der anderen Hand die Decke vom Kopf ziehend, ergriff er es und hielt es sich ans Ohr. „Whee ... Wheeler“, murmelte er verschlafen. „Hi, Joey, hier ist Serenity“, hörte er die etwas kratzige Stimme seiner kleinen Schwester. „Äh ... liegst du etwa noch im Bett? Es ist schon Mittag.“ „Wie spät ist es denn?“ Er rieb sich über die Augen und versuchte die Anzeige auf seinem Wecker zu lesen. Seine Stirn legte sich in Falten. Der letzte Wodka war eine ganz schlechte Idee ... „Gleich halb eins.“ „Und es ist ... Donnerstag, oder?“, erkundigte er sich. „Ja, aber das ist kein Grund – hast du was getrunken?“ „Nicht viel, nur so zwei ... oder drei ... Okay, könnte auch mehr gewesen sein. Wir hatten ’ne Uniparty.“ „Schon wieder?“ Ein Seufzen war in der Leitung zu hören. „Hattet ihr nicht erst am Samstag eine? Ich denke, du studierst!“ „Das mach ich doch auch.“ Er fasste sich an die schmerzende Stirn. „Die Frage ist nur, wie. Aber weswegen ich eigentlich anrufe ... Ich versuche nämlich schon seit Stunden, dich zu erreichen. Wir wollten uns doch heute zum Mittagessen treffen.“ Ahhh, das hab ich ja ganz vergessen!, fiel es ihm siedendheiß ein. Er fuhr von seinem Kissen hoch, sein Kopfweh so gut wie möglich ignorierend. „Gib mir zehn Minuten, dann bin ich unterwegs, Schwesterherz“, sagte Joey und sah sich nach seinen Kleidern um. Am unteren Pfosten des Bettes entdeckte er seine Hose, nach der er griff. Zu spät bemerkte er, dass sich sein Fuß in der Bettdecke verheddert hatte. Mit einem dumpfen Knall schlug er auf dem Boden auf und keuchte. „Was ist passiert?“ „Bin hingefallen. Also, ich mache mich fertig und –“ „Das wird nicht nötig sein“, unterbrach ihn seine Schwester. „Ich rufe eigentlich nur an, weil ich dir leider für heute absagen muss. Mich hat die Sommergrippe erwischt, ich liege mit 38,5 Grad im Bett.“ „Oh ... Schade. Geht’s dir denn einigermaßen? Hast du alles, was du brauchst?“ „Ja, ja, mach dir keine Sorgen.“ „Dabei hatten wir das Treffen seit Wochen geplant.“ Inzwischen war Joey wach genug, um ehrlich gemeinte Enttäuschung in seine Stimme zu legen. „Aber hey, wie wär’s, wenn ich dir ’nen Krankenbesuch abstatte?“ „Ich möchte nicht, dass du dich bei mir ansteckst.“ „Ach, du kennst mich doch, ich bin hart im Nehmen. So schnell werde ich nicht krank. Weißt du was, da es mit Mittagessen nicht klappt, komme ich einfach zum Kaffee vorbei ... oder lieber Abendessen, erst mal brauch ich was gegen die Kopfschmerzen.“ „Joey, Joey ...“ Er konnte geradezu sehen, wie sie tadelnd den Kopf schüttelte. „Also gut, komm her.“ „Okay, dann bis später, so gegen fünf bin ich da“, verabschiedete er sich und beendete ihr Gespräch. Nachdem er seine Beine aus der Bettdecke entwirrt hatte, schleppte er sich ins Bad und warf einen Blick in den Spiegel. Das Gesicht, das ihm entgegenblickte, sah erbärmlich aus. Wie spät war es gewesen, als er ins Bett gekrochen war, drei oder vier? Er konnte sich nicht genau erinnern. Was er noch wusste, war, dass Yugi ihn nach Hause gefahren und zu seiner Wohnung hochgeschleift hatte. Da der Bunt-haarige nichts trank, bekam er meistens die zweifelhafte Ehre übertragen, seine Freunde mit dem Wagen nach Hause zu kutschieren. Joey drehte den Hahn am Waschbecken auf und klatschte sich einen Schwall Wasser ins Gesicht. Aus dem Spiegelschrank über sich holte er ein Aspirin und nahm es mit mehreren großen Schlucken Leitungswasser. Schon besser, dachte er und strich sich die feuchten Haare aus der Stirn. Nachdem er sich notdürftig mit einem Handtuch über das Gesicht gewischt hatte, schlurfte er in die Küche hinüber und öffnete den Kühlschrank. Beladen mit einem Glas sauer eingelegter Gurken, einer Packung Eiern, Milch und einer großen Flasche Multivitaminsaft wandte er sich dem Tisch zu, auf dem er alles ablud und sich daran machte, ein Omelett zuzubereiten. Der Duft von bratendem Ei, der sich bald darauf in der Küche ausbreitete, sorgte bei ihm für einen neuen Anflug von Übelkeit, aber wenn er heute noch auf die Beine kommen wollte, war Essen unumgänglich. Als der Pfanneninhalt vollständig gestockt war, schaufelte er ihn auf einen Teller und setzte sich an den Tisch, um zu essen. Zwischendurch fischte er sich ein paar Gurken aus dem Glas und nippte an der heißen Brühe, die er sich dazu gemacht hatte. Mit etwas zu essen im Magen sah die Welt doch gleich ganz anders aus. Übelkeit und Kopfschmerzen hatten sich weitestgehend aufgelöst, er hatte geduscht und sich rasiert ... Dieses Mal nickte Joey beim Blick in den Spiegel zufrieden. So konnte er sich wieder unter Menschen sehen lassen. Aufräumen sollte ich auch mal wieder, sinnierte er und machte sich daran, seine Schmutzwäsche vom Boden aufzulesen, die er heute früh beim Ausziehen einfach hatte fallen lassen. Die Pizzaschachtel wanderte zu der leeren Eierpackung in den Mülleimer, die Bücher zur Geschichte der Kunst wurden auf den Schreibtisch zurückgepackt, von dem er sie letzte Nacht beim Öffnen des Fensters heruntergefegt hatte. Als er um kurz nach vier fertig war und auf die Uhr sah, zischte er überrascht; damit, dass er so viel Zeit brauchen würde, hatte er nicht gerechnet. „Jetzt aber los“, sagte er sich, schnappte im Vorbeigehen Portemonnaie und Schlüssel vom Flurschrank, klemmte sich den Motorradhelm unter den Arm und verließ die Wohnung. Wenn er Serenity schon einen Krankenbesuch abstattete, dann auch richtig, hatte er sich vorgenommen. Ein paar Straßen von seiner Wohnung entfernt hielt er vor einer Konditorei, um eine Schokoladencremerolle zu kaufen. Seine Schwester liebte Süßes und besonders diese Rolle. Als sie ihn im Frühling das letzte Mal besucht hatte, hatten sie sich jeden Tag etwas von hier geholt. Ein Luxus, den sich Joey sonst nicht erlaubte, schließlich musste er sein Studium, die Miete für die Wohnung und seine Unterhaltskosten selbst durch Jobs finanzieren. Von seiner Mutter war in dieser Richtung keine Hilfe zu erwarten (er war schon froh, dass sie ihm und Serenity wieder einen regelmäßigen Kontakt erlaubte) und bei seinem Vater war ohnehin nichts zu holen. Mit dem Kuchen, den er zuoberst in seinen Rucksack gesteckt hatte, machte er sich wieder auf den Weg. Er wollte aus dem Stadtzentrum heraus sein, bevor der Feierabendverkehr richtig einsetzte, dann war auf den Straßen kein Durchkommen mehr. Kurz bevor er losgefahren war, hatte er zudem gerade noch durch das Radio mitbekommen, dass es auf der Autobahn, die er sonst benutzte, um zu Serenity zu fahren, einen kilometerlangen Stau wegen einer Baustelle gab. Die Landstraße, auf die er so gezwungen wurde auszuweichen, war ein gutes Stück länger, aber solange er an sein Ziel kam, nahm er das gern in Kauf. Sobald er die letzten Häuser von Domino hinter sich gelassen hatte, beschleunigte er und genoss es, sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen. Der rote Lack blitzte in der Nachmittagssonne und bildete einen Kontrast zu dem schwarzen Lederanzug, den er zum Fahren trug, ein Geschenk von seinen Freunden zu seinem zwanzigsten Geburtstag. Wiesen und Felder zogen mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Von Zeit zu Zeit kam er an einer Abzweigung zu einem der Dörfer vorbei, die in der näheren Umgebung von Domino lagen. Er bedauerte es, dass sich seine Mutter dagegen entschieden hatte, wieder nach Domino zu ziehen, konnte aber auch so etwas wie Verständnis dafür aufbringen, dass sie von seinem Vater so weit weg wie möglich leben wollte. Wenigstens konnte er sich damit trösten, dass Serenity im kommenden Frühling in die Stadt zurückzog, um dort ihr Pädagogikstudium zu beginnen. Dann würden sie sich bestimmt häufiger sehen. Joey schwitzte unter dem dunklen Helm. Für Anfang September hatte die Sonne noch recht viel Kraft, von der sie nahezu verschwenderisch Gebrauch machte. Ein Stück voraus sah er den Rand des Waldes, durch den er musste, von dessen anderem Ende aus war es nicht mehr weit. Sobald er unter das Blätterdach tauchte und damit nicht mehr der prallen Sonne ausgesetzt war, spürte er, wie es angenehm kühler wurde. Die Bäume hatten schon damit begonnen, sich bunt zu färben und ihr Laub abzuwerfen. Eigentlich zu früh, doch es hatte seit Wochen nicht mehr richtig geregnet, die Erde war ausgetrocknet. Fröhlich summend legte er sich mit der Maschine in eine Linkskurve und wirbelte ein paar trockene Blätter auf, die auf die Straße gefallen waren. Er war gerade wieder in eine aufrechte Position gekommen, als der Motor seltsam zu stottern begann. [i9Was ist denn nun kaputt? Ich hab sie doch gerade erst durchchecken lassen. Ein lauter Knall und aufsteigender Rauch belehrten ihn eines Besseren. Er drosselte umgehend sein Tempo, blinkte und fuhr an den Straßenrand. Das Helmvisier hochschiebend, stieg er ab und ging um das Motorrad herum. „Seltsam“, murmelte er, „ist die Maschine überhitzt?“ Er nahm den Helm ab und beugte sich vor, um den Schaden näher in Augenschein zu nehmen. „Nein, sieht eher nach Motorschaden aus. Oh Mann, das hat mir grad noch gefehlt.“ Ein weiterer Knall ließ dunklen Qualm aufsteigen, der Joey zum Husten brachte. Von dem beißenden Geruch stiegen ihm Tränen in die Augen, die er sich unwirsch wegwischte. Der Blick auf seine Armbanduhr ließ seine Laune noch weiter sinken. Es war sieben vor fünf und ihm mit einem offensichtlich defekten Motor somit unmöglich, es noch rechtzeitig zu Serenity zu schaffen. Missmutig vor sich hinbrummend zog er sein Handy aus der Tasche. Es klingelte dreimal, dann nahm seine Schwester ab. „Hier ist Joey“, meldete er sich, „es wird leider etwas später, bis ich bei dir sein kann, mein Motorrad hat eben schlapp gemacht ... Nein, kein Grund zur Sorge, Kleines, ich hatte keinen Unfall. Ist nur ’n Motorschaden. Ich rufe gleich den Abschleppdienst an, aber es kann eben dauern. Wann ich es schaffe, kann ich dir nicht sagen ... Ja, ich beeile mich, klar doch. Bis dann!“ Ein toller großer Bruder bin ich, schalt er sich und begann die Nummer des Abschleppdienstes einzutippen, die er für Notfälle wie diesen immer bei sich trug. Plötzlich piepte das Handy laut. „Nein, nicht das auch noch!“ Hektisch fuhren seine Finger über die Tasten, während die Akkuanzeige rot aufleuchtete, beinahe als verhöhne sie ihn, weil er nicht daran gedacht hatte, das Handy zum Aufladen ans Stromnetz zu hängen. „Komm schon“, es klingelte, „geht ran, irgendwer. Na los!“ In der Leitung knackte es, ein Mann meldete sich am anderen Ende. Joey verstand nur noch seinen Namen, es rauschte kurz und ... Stille. „Das ist doch ... Das ist eine Verschwörung!“, schrie er und fegte seinen Helm frustriert vom Sitz herunter. Kurz war er versucht, das Handy gleich hinterher zu werfen, hatte schon die Hand erhoben – aber ein neues konnte er sich auch nicht unbedingt leisten. Nach mehrmaligem tiefem Durchatmen hatte er sich einigermaßen beruhigt und konnte seine Situation überdenken. Das nächste Dorf lag kurz hinter dem Wald, wenn er sich richtig erinnerte. Dort gab es bestimmt jemand, der ihn telefonieren ließ. Er hob seinen Helm auf, der in den von Sträuchern überwucherten Straßengraben gerollt war, hängte ihn an den Lenker und machte sich, das Motorrad neben sich herschiebend, daran, den Wald zu Fuß zu durchqueren. Mitten auf der Landstraße wäre es schlimmer gewesen, versuchte er sich aufzuheitern. Unter den Bäumen war es wenigstens erträglich, im Vergleich zur Stadt auf jeden Fall. Das Wetter schien in diesem Jahr eine Vorliebe für Extreme zu haben. Während der letzten Tage hatte die Luft in Domino praktisch gestanden und war mit dem Messer schneidbar gewesen. Nach einem mehrminütigen Fußmarsch kam ein Schild in Sicht, auf dem die Entfernungen zu den nächstgelegenen Orten verzeichnet waren. Als Joey nahe genug herangekommen war, um die Schrift lesen zu können, stöhnte er und raufte sich die Haare. „Ich krieg die Krise! Noch acht Kilometer bis zum nächsten Dorf? Das kam mir immer viel kürzer vor – okay, sonst konnte ich auch fahren, aber ... Argh ... Das ist einfach nicht fair.“ Leise vor sich hinmurmelnd zog er an Kiefern und Laubbäumen vorbei, deren Wipfel sich leicht im Wind wiegten, vorbei an einem alten Wanderweg, der eine der Forststraßen kreuzte – „Hey, Moment mal.“ Er lief das kurze Stück zurück und sah zu dem verwitterten Wegweiser aus Holz auf. „Über den Weg sind es ja nur sechs Kilometer. Wenn das so ist ...“ Er holte sein Motorrad und verließ die geteerte Straße. Der Pfad, in den er einbog, schlängelte sich zwischen Farnen und Krautpflanzen hindurch und wurde von hohen Bäumen überschattet. Bis auf das Zwitschern der Vögel und das gelegentliche Knacken von Holz, wenn das Motorrad über einen Ast rollte, war es still, so dass Joey in Ruhe seinem Ärger nachhängen konnte. Er hatte die Maschine erst letzte Woche in der Werkstatt überprüfen lassen. Wie konnte es da sein, dass sie jetzt kaputt war, dort hatten sie nichts festgestellt und ihm versichert, alles sei in bester Ordnung. In bester Ordnung, dass ich nicht lache. Ha! Denen werd ich was erzählen. Von Zeit zu Zeit blieb er kurz stehen, um zu verschnaufen. Das Gelände war leicht abschüssig, so dass er das Motorrad immer festhalten musste, wenn es nicht zur Seite wegrutschen sollte. Nach einer Weile wurde es ihm in der schwarzen Lederjacke zu warm, er zog sie aus und hängte sie über den Sitz. Im T-Shirt war der Marsch doch um einiges besser erträglich. Wenigstens weiß Serenity Bescheid, dass es bei mir später wird, sonst würde sie sich jetzt garantiert Sorgen machen, wo ich so lange bleibe. Je tiefer er in den Wald vordrang, umso dunkler wurde es um ihn. Die Bäume rückten enger zusammen und das dichte Blätterdach der Laubbäume, die in diesem Teil des Waldes hauptsächlich wuchsen, verschlang den größten Teil des Lichts. Der Pfad, dem Joey folgte, war unter dem trockenen Laub, das noch vom Vorjahr lag, stellenweise kaum auszumachen. Er hoffte, dass er sich nicht verirrte und noch einmal in die falsche Richtung wanderte, denn einmal war er bereits bei ein paar Felsen falsch abgebogen und einen steilen Hang hinuntergestolpert. Dort wieder hochzukommen und den Weg wiederzufinden, hatte ihn über eine Viertelstunde und reichlich Schweiß gekostet. Joey senkte den Kopf zu seiner Achsel und schnüffelte probehalber, woraufhin sich sein Gesicht kurz verzog. Bevor er auch nur daran denken konnte, sich mit Serenity an einen Tisch zu setzen und den Schokoladenkuchen zu verspeisen (von dem er inständig hoffte, dass er die Reise überhaupt überlebte und nicht gerade dabei war, in sich zusammenzuschmelzen), brauchte er unbedingt eine Dusche. Diesen Duft, den er momentan verströmte, wollte er ihr nicht antun. Der Wald ging abrupt in eine große, vom gelbgoldenen Schein der Abendsonne erhellte Lichtung über. „Wow, das ist ja schön hier, so richtig idyllisch. Ich muss unbedingt mal mit Serenity hierher kommen, das wird ihr gefallen“, nahm er sich vor. Apropos ... Wenn ich schon zu spät kommen muss, sollte ich ihr wenigstens was als Entschuldigung mitbringen ... Die Lichtung war mit Gräsern, kleinen Büschen und Blumen übersät, über denen bunte Schmetterlinge flatterten. Der Blonde lehnte sein Motorrad an einen von Moos überwucherten Baumstumpf und begann Weidenröschen, Storchschnabel und Ehrenpreis zu pflücken und zu einem Strauß zusammenzusetzen. Seine Schwester liebte Blumen und Waldblumen, das wusste er genau, hatte sie schon als kleines Kind am liebsten gehabt. In seinem Eifer merkte er nicht, wie es immer dunkler wurde, was jedoch nicht allein an der tiefer sinkenden Sonne lag. Von Westen zogen dicke Wolken heran. Der Wind frischte auf und wuchs rasch in seiner Intensität. „So, das sollte reichen“, meinte er schließlich, als der Strauß schon eine beachtliche Größe erreicht hatte und betrachtete ihn zufrieden. „Jetzt wird es aber Zeit ... Wann ist es denn so dunkel geworden?“ Er legte den Kopf in den Nacken. Ein Regentropfen klatschte auf seine Stirn. „Ich hätte im Bett bleiben sollen.“ Nun hatte er es eilig, zu seinem Motorrad zurückzukommen und seinen Weg fortzusetzen. Er hatte schon im Hellen teilweise seine Probleme gehabt, den Weg zu finden, wie sollte er dieses erst nach Sonnenuntergang bewerkstelligen? Weitere Tropfen landeten auf seiner Nase und dem Motorradsitz, was ihn nur dazu antrieb, schneller zu gehen. Hätte ich bloß erst geguckt, wo der Weg weitergeht, ärgerte er sich. Ist das da vorne Licht? Bei seiner Ankunft auf der Lichtung hatte er sich dermaßen auf die Blumenwiese konzentriert, dass ihm völlig entgangen war, dass diese in östlicher Richtung noch ein ganzes Stück weiterging. Noch weniger hatte er das Haus bemerkt, das sich am anderen Ende befand. Ein erleuchtetes Haus ... das bedeutete, jemand war dort. Jemand mit einem Telefon oder wenigstens einem Handy, mit dem er endlich den Abschleppdienst informieren konnte. Der Regen wurde stärker. Und jemand, der ihm bestimmt ein paar Minuten Obdach gewährte, bis das Unwetter vorbeigezogen war. So schnell es das Gelände zuließ, strebte er auf das Gebäude zu, dessen Fenster im Erdgeschoss ihm einladend entgegenleuchteten. Es schien über ein Obergeschoss und ein ausgebautes Dachgeschoss zu verfügen, beide mit Balkonen versehen. „Hallo, ist jemand da?“, rief Joey, öffnete die hölzerne Pforte im Gartenzaun und schob sein Motorrad über einen mit Platten ausgelegten Weg auf das Haus zu. Der Garten, wenn man ihn noch als solchen bezeichnen konnte, war vollkommen verwildert, Unkraut, Brennnesseln und andere Wildpflanzen wucherten ungestört in den Beeten. Wie der Blonde im Näherkommen feststellte, war das Haus zu großen Teilen mit Efeu und Weinlaub bewachsen. Ein weiterer Grund, warum er es nicht gleich bemerkt hatte, die Pflanzen sorgten dafür, dass es mit dem Wald, der dahinter weiterging, geradezu verschmolz. „Jetzt kann ich nur hoffen, dass mir der Hausbesitzer die Tür aufmacht und nicht ein Einbrecher oder so“, murmelte er und erreichte das Vordach, das sich über der Eingangstür wölbte. Das T-Shirt klebte ihm inzwischen wie eine zweite Haut am Körper, die Haare hingen ihm nass ins Gesicht. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was er für einen seltsamen Anblick bieten musste, von Kopf bis Fuß durchnässt, ein defektes Motorrad schiebend und einen großen Blumenstrauß in der Hand, als er klingelte. Das tiefe Dröhnen einer altmodisch klingenden Glocke drang durch das Haus. Eine Minute, zwei Minuten vergingen, doch nichts regte sich hinter der Tür. Unablässig prasselte der Regen herab. In der Ferne war Donnergrollen zu hören. Joey war froh, unter dem Vordach zumindest halbwegs im Trockenen zu stehen. Ein weiteres Mal hob er die Hand und betätigte die Klingel. Kurz darauf waren Schritte zu hören, die sich näherten, ein Schlüssel klickte mehrmals und die Haustür wurde aufgerissen. „Wer stört, ich kaufe nichts!“ „I-ich suche ...“ Die Worte blieben Joey im Hals stecken. Fassungslos musterte er den Mann, der ihm geöffnet hatte und im Türrahmen lehnte, womit er ihm zugleich den Zutritt zum Haus versperrte. Er war Anfang zwanzig, doch seine Haare waren schlohweiß, ein deutlicher Kontrast zu der leicht gebräunten Haut und den unfreundlich blickenden, rehbraunen Augen. Der Blondschopf schluckte und räusperte sich, um seiner Überraschung Herr zu werden. „Ryou? A-aber ich d-dachte, du ...“, stammelte er. Die Stirn des Mannes legte sich in Falten. „Es gibt hier keinen Ryou, verschwinde.“ „Entschuldigen Sie ... Sie sehen genauso wie ein guter Freund aus, den ich mal kannte. Aber das wär ja unmöglich, dass Sie es sind, er ist seit über einem Jahr tot.“ Der Weißhaarige antwortete ihm mit einem knappen Nicken und war schon im Begriff, die Tür wieder zu schließen, als Joey, einem Reflex folgend, seinen Fuß in den Spalt zwischen Haustür und Rahmen schob. „Bitte warten Sie. Darf ich bei Ihnen telefonieren? Mein Motorrad ist unterwegs liegen geblieben und der Akku meines Handys hat mich auch im Stich gelassen. Meine Schwester wartet auf mich und ich muss ihr Bescheid sagen“, sprudelte es aus ihm hervor. „Mein Telefon ist kaputt, ich warte selbst seit drei Tagen auf den Techniker. Geh.“ Ein Blitz brach aus den Wolken hervor und erhellte für wenige Sekunden den finsteren Himmel. Der Donner folgte kurz darauf. „Aber – da ist ein Gewitter im Anmarsch! Sie können mich doch nicht einfach so vor die Tür setzen“, versuchte Joey es erneut. „Ich möchte doch nur kurz rein, bis es vorbei ist. Ich störe Sie auch nicht, versprochen.“ Der Mann ließ prüfend den Blick über ihn schweifen, blieb kurz an seinen durchnässten Sachen hängen. Unter dem Shirt zeichneten sich seine Brustmuskeln deutlich ab. Vor Kälte zitternd wartete Joey sein Urteil ab und fürchtete schon, weggeschickt zu werden, als sein Gegenüber zur Seite trat und den Weg freigab. „Na schön“, brummte er, „komm rein, aber sobald das Gewitter vorbei ist, bist du verschwunden.“ „Vielen Dank.“ Mehr als erleichtert, dem Unwetter entronnen zu sein, trat Joey über die Schwelle und in den dunklen Flur des Hauses. Der einzige Lichtschein kam durch eine nur halb geschlossene Tür rechts von ihm, wo sich das Wohnzimmer befand. Zu seiner Linken ging eine weitere Tür ab, eine Treppe führte ins obere Stockwerk. Bilder schmückten die Wände, von deren Motiven im Halbdunkel jedoch kaum etwas zu erkennen war. Er hörte, wie die Haustür in seinem Rücken zufiel und wieder verschlossen wurde. Na super, ich bin hier drin gefangen. Wenn sich der Kerl jetzt als Einbrecher oder sonst was Kriminelles entpuppt, hab ich ein Problem. „Wie heißt du?“, fragte der Weißhaarige und lenkte die Aufmerksamkeit Joeys, der sich im Eingangsbereich umsah, wieder auf sich. „Ich bin Joey Wheeler, freut mich.“ Er streckte ihm die Hand hin, die dieser geflissentlich ignorierte. „Also schön, Joey. Erstens hör auf, mich zu siezen, mein Name ist Bakura. Zweitens: du bleibst genau hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck, bis ich wieder da bin.“ Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, überlegte Joey. Bakura ging an ihm vorbei und auf die Treppe zu. „Was – wo willst du hin?“ „Ein Handtuch holen. Du siehst aus wie ein begossener Pudel, es reicht mir, wenn du den Flur voll tropfst.“ Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte er die Stufen hinauf und verschwand dort um eine Ecke. Joey sah an sich herunter. Zu seinen Füßen hatte sich bereits eine kleine Pfütze gebildet, die mit jeder Sekunde größer wurde. Eine feine Gänsehaut überzog seine Arme, ihn fröstelte in den durchweichten Kleidern. Kapitel 2: Seduction -------------------- Kapitel 2 Seduction „Was hab ich mir dabei gedacht“, murmelte Bakura und zog eines der großen Badetücher aus dem Holzregal im Bad. „Ich hätte ihn gar nicht erst reinlassen dürfen. Obwohl ... schlecht sieht der Kleine ja nicht aus.“ Für wenige Sekunden stahl sich ein leichtes Grinsen auf seine Lippen. Verlockend war der Gedanke ja, diesen Joey, der ihm unversehens ins Haus geschneit war, zu verführen. So eine Gelegenheit hatte sich ihm schon lange nicht mehr geboten. Eine Erkenntnis, die ihn frustriert knurren ließ. Früher war er in den Nachtclubs seiner Heimatstadt bekannt dafür gewesen, nach jedem seiner Besuche mit einem anderen Mann zu verschwinden. Er wusste seine Vorteile eben gut einzusetzen. Seit er jedoch hier lebte, mitten im Wald, hatte er nur noch selten die Mühe auf sich genommen, den weiten Weg in die Stadt zu fahren und nach jemandem Ausschau zu halten, der ihm die Nacht versüßte. Er wollte nicht, dass es wieder geschah. Dass er das alles noch einmal erleben musste. Diese verdammte Sache, die ihn in die Isolation getrieben hatte. Die ihn das gekostet hatte, was ihm am wichtigsten war. Bakura lehnte sich gegen die gekachelte Wand, seine Hand krampfte sich in das Badetuch in seinen Armen. Wie konntest du mir nur vergeben ... wenn ich mir selbst nicht vergeben kann? Energisch schüttelte er den Kopf und stieß sich von der Wand ab. Er hatte jetzt keine Zeit, alten Erinnerungen nachzuhängen. Sein nächstes Ziel war sein Schlafzimmer, wo er ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank holte. Dabei fiel sein Blick auf einen Fotokalender, der einen bunten Herbstwald zeigte. „Heute müsste der 2. September sein. Gehen würde es demnach noch, ohne dass ich ihn in Gefahr bringe, aber ... Ach, ich lass mich einfach überraschen, was der Abend bringt. Wenn er nach dem Gewitter geht, okay, wenn er bleibt – mir nur recht.“ Er hatte es satt, jedes Mal selbst Hand anlegen zu müssen, da war ihm Joey eine mehr als willkommene Abwechslung. Mit diesem Vorsatz verließ er das Schlafzimmer und begab sich ins Erdgeschoss zurück, wo er von einem heftig mit den Zähnen klappernden Joey erwartet wurde. Er riss ihm das Badetuch, das er ihm reichte, regelrecht aus den Händen und wickelte sich darin ein. „D-danke, Bak-kura“, sagte er und rubbelte mit dem Frottee über seine Arme, um gleich darauf unter einem kräftigen Niesen zusammenzuzucken. „Ich hab dir ein paar Sachen von mir mitgebracht, damit du dich umziehen kannst.“ Er drückte Joey den Wäschestapel in die Arme. „Ich will mir später nicht nachsagen lassen, du hättest meinetwegen eine Grippe gekriegt. Jetzt bist du ja halbwegs trocken. Geh ins Wohnzimmer und zieh dich um, ich mache in der Zwischenzeit Tee.“ Wow, den hab ich aber ganz falsch eingeschätzt, schoss es Joey durch den Kopf, als sich Bakura abwandte und durch eine Tür am anderen Ende des Flurs verschwand. Er scheint okay zu sein. Vielleicht ein wenig grimmig, aber okay. Und zugegebenermaßen sehr ... attraktiv. Das Wohnzimmer, das er betrat, war mindestens so groß wie die ganze Wohnung, die er in Domino sein Eigen nannte. Einige Möbelstücke waren mit großen, weißen Tüchern verhängt, um sie vor Staub zu schützen. Der Fußboden war mit Parkett ausgelegt, das ein kunstvolles Muster bildete, nur von einem großen Rundteppich unterbrochen, auf dem eine Sitzgruppe aus Leder ihren Platz hatte. Joey überquerte das Parkett mit wenigen großen Schritten. Wasser, das wusste er genau, konnte für solche Bodenbeläge tödlich sein, weil es das Holz aufquellen ließ. Er legte die Kleider, die Bakura ihm gegeben hatte, auf der Couch ab, zog das feuchte T-Shirt aus und streifte sich die Lederhose von den Beinen. Suchend sah er sich nach einer Ablagemöglichkeit um und beschloss dann, sie auf die Heizung zu legen. Der Heizkörper war nicht in Betrieb, draußen war es schließlich noch warm genug, aber so zum Trocken würde es allemal reichen. Er bemerkte nicht den lüsternen Blick, den ihm der Weißhaarige von der Verbindungstür zur Küche aus zuwarf, wo er stand und darauf wartete, dass das aufgesetzte Teewasser zu kochen begann. Sein Blut tat es jedenfalls schon. Ein gut trainierter Oberkörper, eine schlanke Taille ... Ja, der Junge gefiel ihm definitiv und er brannte darauf, ihn ohne einen störenden Fetzen Stoff am Leib zu sehen, zu spüren, wie er sich stöhnend unter ihm wand. Am liebsten hätte er ihn sofort in seine Arme gerissen und ihm die blauen Boxershorts heruntergezerrt – Aber Eile mit Weile. Er wollte es nicht zu sehr überhasten und Joey dadurch am Ende womöglich noch aus dem Haus jagen. Ein kurzes Klicken meldete ihm, dass der Wasserkocher seine Arbeit beendet hatte. Nichts von den Gedankengängen seines Gastgebers ahnend, zog sich Joey um und legte das nun feuchte Badetuch zu seinen Kleidern auf die Heizung. Es war noch keine Minute vergangen, seit er es sich auf der großen Couch bequem gemacht hatte, als Bakura mit zwei dampfenden Teebechern hereinkam und ihm einen davon in die Hand drückte. Der Blonde nickte ihm zu und ließ den Teebeutel eine Weile in dem Wasser auf und ab tanzen, bis es sich dunkelrot gefärbt hatte. Er pustete und nahm einen Schluck, wobei er sich die Lippe verbrannte. „So, jetzt erzähl mal, woher du überhaupt kommst“, verlangte Bakura zu wissen, nachdem er ebenfalls etwas von seinem schwarzen Tee getrunken hatte. „Ich wohne in Domino und wollte heute meine Schwester besuchen, sie ist krank, hat sich die Grippe geholt, die Ärmste. Mitten im Wald hat mein Motorrad gestreikt und da ich keine Lust hatte, auf der Landstraße acht Kilometer bis ins nächste Dorf zu laufen, hab ich eine Abkürzung durch den Wald genommen. Irgendwann bin ich auf dieser Lichtung gelandet und weil ich dachte, sie freut sich vielleicht über ein paar Blumen – Apropos, darf ich die solange ins Wasser stellen?“ „In der Küche sind Vasen.“ Ich darf sie bloß nicht vergessen, wenn ich gehe, dachte Joey und ging in die Küche, wo er sich von einem Board über der Spüle eine bauchige Vase angelte, diese mit Wasser füllte und die Blumen hineinstellte. Als er zurückkam, stand Bakura am Fenster und beobachtete den tiefgrauen, fast schon schwarzen Himmel, aus dem in unregelmäßigem Abstand Blitze zur Erde stießen. Er bemerkte die Reflexion des Blondschopfs in der Fensterscheibe und drehte sich zu ihm um. „Der Waldweg also ... Der wird seit Jahren nicht mehr benutzt, soweit ich weiß. Ich hatte mich schon gewundert, was dich hergetrieben hat. Hier draußen bekomme ich normalerweise keinen Besuch.“ Joey sah sich neugierig in dem Raum um. Bis auf die Couch waren die meisten Möbelstücke älteren Datums, eine Truhe und die große Standuhr schienen sogar aus dem vorletzten Jahrhundert zu stammen. „Wohnst du alleine hier?“ „Ja, wieso? Ich hab’s von meinem Großonkel geerbt, der ist vor ein paar Jahren gestorben.“ „Für eine Person ist das Haus ziemlich groß.“ „Das stimmt schon. Aber ich nutze nur einen Teil der Räume zum ... Wohnen.“ Das Grinsen, das dabei über sein Gesicht huschte, blieb von Joey, der ihm gerade den Rücken zukehrte, um die Intarsienarbeiten eines kleinen Beistelltisches unter die Lupe zu nehmen, unbemerkt. Anders verhielt es sich jedoch mit dem leicht rauen Unterton, der sich in Bakuras Stimme mischte, und ihm einen kurzen, angenehmen Schauer über den Rücken jagte. „Und wofür benutzt du die restlichen Räume?“, fragte er und sah zu ihm herüber. „Wenn du magst, zeige ich es dir –“ In dem Augenblick, da er zu einer Erwiderung ansetzen und das Angebot seines Gegenübers annehmen wollte, meldete sich sein Magen lautstark zu Wort. „Später“, fuhr Bakura fort und musste sich das Lachen verkneifen. „Wann hast du das letzte Mal was gegessen?“ „Heute Mittag.“ Sein Blick wandte sich kurz der Standuhr zu. „Oh ... ist ja schon wieder über sechs Stunden her.“ „Dann sollten wir erst was essen, bevor wir uns an die Hausbesichtigung machen“, entschied Bakura. Nicht dass mir der Kleine mittendrin schlappmacht. Er ging ihm voran in die Küche und öffnete den Kühlschrank. „Worauf hast du Appetit?“ „Kommt drauf an, was du anzubieten hast.“ Joey lehnte sich neben ihm an die Arbeitsplatte und beobachtete ihn von der Seite, wie er den Kühlschrank durchsuchte. „Einiges ... Wie wäre es mit Steak?“ „Klingt gut. Vielleicht mit ein paar Kartoffeln dazu?“ „Da im Korb unter dem Tisch liegen welche.“ Bakura holte eine große Plastiktüte hervor, der er zwei Steaks entnahm und auf einen Teller legte. Bei seinem letzten Ausflug ins Dorf hatte er sich gleich für die ganze Woche mit Fleisch eingedeckt, wohl wissend, dass sein Hunger dieser Tage größer als sonst sein würde. Einen Teil davon hatte er sofort nach seinem Einkauf eingefroren, bei dem unbeständigen Wetter war es ihm zu riskant, so große Mengen im Kühlschrank zu lagern. „Wie isst du dein Steak, Joey?“ „Rosa bis halbrosa und selbst?“ „Blutig“, gab er Antwort, packte die Tüte, an deren Grund sich etwas Blut gesammelt hatte, in den Kühlschrank zurück, und zog sich ein Schneidebrett und ein großes Messer heran. Von einem Regal neben dem Herd holte er sich Pfeffer, Salz und andere Gewürze, mit denen er die Steaks zuzubereiten gedachte. Währenddessen öffnete Joey nacheinander die Schubladen und Türen des Küchenschranks, bis er ein Zwillingsmesser und eine Plastikschale gefunden hatte. Letztere füllte er zur Hälfte mit Wasser und trug sie zum Tisch, auf dem er den Kartoffelkorb abgestellt hatte. Wahllos holte er eine der braunen Knollen heraus und begann die Schale zu entfernen. Der Sturm fegte ums Haus, dass es fast wie das Heulen eines Wolfes klang, und schlug den stärker werdenden Regen gegen die Fensterscheiben. Die Glühbirne der Lampe, die an einem langen Kabel von der Decke hing, flackerte leicht. „Was machst du, wenn du nicht gerade durch die Wälder stolperst?“, fragte Bakura und griff in den Salztopf, um dem Fleisch die richtige Würze zu verleihen. „Ich studiere Kunstgeschichte an der Uni.“ „Pff ... Und davon kann man später leben?“ „Och, das geht schon. Was machst du denn beruflich?“ „Ich arbeite hin und wieder als Model.“ „Echt? Wow.“ Joey sah ihn ehrfürchtig an. Cool, ich stehe gerade mit einem Model in seiner Küche und plaudere. Wenn ich das meinen Freunden erzähle – „Aua!“ Bakura sah von seinem Fleisch auf und zu Joey, der wie ein Gummiball auf der Stelle hopste und sich den linken Zeigefinger hielt. „Sag doch, dass deine Messer so scharf sind.“ Nicht nur die, dachte sich der Weißhaarige, legte seines beiseite, wusch sich kurz die Hände ab und zog die verletzte Hand des anderen zu sich heran. „Du solltest vorsichtiger sein, Joey“, sagte er, ein amüsiertes Funkeln in den Augen. Der leicht metallische Duft, der von dem blutenden Schnitt ausging, stieg ihm in die Nase, dass er sich zusammenreißen musste, nicht genüsslich zu schnurren. Die braunen Augen des Jüngeren mit seinen fixierend, senkte er den Kopf und leckte über die Wunde. Überrumpelt hielt Joey die eben eingeatmete Luft an und versteifte sich kurz. Sanft fuhr die Zunge seines Gegenübers den Schnitt entlang und entfernte das herausquellende Blut. Langsam und tief ausatmend suchte er mit der anderen Hand am Rand der Tischplatte Halt, während er Bakura bei seinem Tun beobachtete. „D-d-danke“, stammelte er. Bakura richtete sich auf und betrachtete ihn eingehend, trat einen Schritt näher an ihn heran und verringerte ihren Abstand zueinander dadurch auf ein Minimum. „Du gefällst mir, Kleiner“, raunte er, fuhr ihm mit dem Zeigefinger federleicht über Wange und Hals und entlockte ihm so ein leises Keuchen. „Du ... du mir auch.“ Der Junge ist ja wie Zucker – einfach süß, grinste Bakura angesichts der leichten Röte, die sich auf Joeys Wangen legte. Ein regelrechter kleiner Leckerbissen. Genau das Richtige für heute Nacht. Er registrierte jede kleine Bewegung, jedes kurze Erzittern, als er ihm gegen das Ohr pustete und darüber leckte, um sich dann seinen Lippen zu widmen und ihm einen ersten Kuss zu rauben. Joeys Arme schlangen sich um seinen Nacken, zogen ihn näher an sich. Sobald er merkte, dass er nicht zurückgewiesen wurde, wurde Bakuras Kuss fordernder, seine Zunge drängte sich in den schmalen Spalt zwischen den Lippen des Blonden, erweiterte ihn, bis er in die fremde Mundhöhle eindringen konnte. Den Rücken nach hinten biegend, ließ Joey diese Plünderung eine Weile über sich ergehen, bevor er selbst zum Angriff überging. Seine Hand schob sich unter den Hosenbund Bakuras, zog ihm das Hemd heraus und fuhr darunter. Die Finger des Blonden tasteten sich mit kleinen, streichelnden Bewegungen über die gebräunte Haut, fuhren die kräftige Rückenmuskulatur nach, fanden aber auch mehrere unebene Stellen, die auf längere Narben schließen ließen, welche sich quer über den Rücken des anderen zogen. Mit einer raschen Bewegung fegte Bakura die Kartoffelschale und das Messer zur Seite, um ihnen Platz zu schaffen. Dass die Sachen herunterfielen und sich das Wasser, das zum Waschen der Kartoffeln gedacht gewesen war, auf dem gefliesten Boden verteilte, kümmerte ihn nicht. Seine Konzentration galt nur noch dem Jungen, der sich auf die nun freie Tischplatte zurücksinken ließ und ihn, tief in ihren wilden Küssen versunken, mit sich zog. Gierig wanderte seine Hand unter das T-Shirt, das er ihm geliehen hatte und begann die Brustwarzen zu kneten, bis sie sich ihm entgegenreckten. Eigentlich hatte er vorgehabt, bis nach dem Essen zu warten und Joey dann im Wohnzimmer oder in seinem Schlafzimmer zu verführen, doch dieses Spontane erschien ihm weitaus reizvoller. „So ungeduldig, mein Hübscher“, lachte er dunkel, als Joey an seinem Gürtel nestelte. „Nicht mehr als du ... wie mir ... scheint.“ Sie bekamen nichts von dem Blitz mit, der sich, in mehrere Äste gespalten, über den Himmel zog. Wohl aber entging ihnen nicht, dass die Lampe heftig flackerte, mit einem knackenden Geräusch erstarb und sie im Dunkeln zurückließ. „Blöde Sicherung“, brummte Bakura. Vergeblich versuchte Joey sein Gesicht in der Dunkelheit zu erkennen und ihn dazu zu bewegen, seine unterbrochenen Liebkosungen fortzusetzen. „Bakura?“ „Warte kurz, ich bringe das nur eben in Ordnung.“ „Kannst du das nicht nachher machen?“, fragte Joey ein wenig ungehalten, als sich der Ältere von ihm löste. „Es geht ganz schnell, versprochen“, antwortete er und stahl sich noch schnell einen Kuss, bevor er sich zum Küchenschrank tastete und einem der Fächer eine Taschenlampe entnahm. Der weiße Schein richtete sich kurz auf Joey, der sich auf den Tisch gesetzt hatte und den Arm vor die Augen hob, um dem blendenden Licht zu entkommen. Zwischen seinen Beinen hatte sich eine deutliche Beule in der Hose gebildet, sein Gesicht war von tiefer Röte überzogen. Missmutig, dass sie mittendrin unterbrochen worden waren, stapfte Bakura über den Flur und die Kellertreppe herunter zum Sicherungskasten. Er hatte nicht übel Lust, das unzuverlässige Ding von der Wand zu treten. Aber dann hätte er gar keinen Strom mehr ... Nein, blöde Idee. Morgen früh hole ich den Elektriker her, der soll endlich einen neuen Kasten installieren, nahm er sich vor und machte sich daran, die auf dem Kasten liegenden Sicherungen nach einer neuen, noch funktionierenden zu durchsuchen. „Wo bleibt er denn so lange?“, murmelte Joey und ließ die Beine über die Tischkante baumeln. „Es sind gleich zehn Minuten.“ Er sah sich noch einmal kurz in der finsteren Küche um, dann sprang er vom Tisch herunter. Der Druck in seiner Hose wurde allmählich schmerzhaft und er wollte sich endlich holen, was Bakura ihm versprochen hatte. Wegen des mangelnden Lichts musste er sich den Weg aus der Küche in den Flur und von dort aus zur Kellertür, die der andere offen gelassen hatte, an der Wand entlang ertasten. Er keuchte vor Schmerz, als er mit dem Fuß gegen eine Kommode stieß und wenige Schritte weiter um ein Haar über den Teppich stolperte. „Bakura?“, rief er in den Keller hinab. Die Ohren gespitzt, lauschte er in die Tiefe, ohne eine Antwort zu bekommen. „Na hoffentlich fall ich nicht da runter.“ Ein weiteres Mal tastete er die Wand ab und stieß auf ein eisernes Geländer, an dem er sich festhalten konnte. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, immer die nächste Stufe mit der Fußspitze erfühlend, bis er nach einer scheinbaren Ewigkeit, in welcher der Druck, den er spürte, natürlich nicht nachlassen wollte, das untere Ende der Treppe erreichte. „Hey, wo steckst du, Bakura?“, rief er erneut. „Joey?“ In einem Seitengang rechts von ihm tauchte der blasse Schein einer Taschenlampe auf. „Was machst du hier unten?“ „Dich suchen.“ Er folgte dem schwachen Lichtstrahl um eine Ecke und sah Bakura, der mit gerauften Haaren vor dem Schaltkasten stand. Joey legte ihm einen Arm um die Schultern und küsste ihn auf den Hals. „Alles okay?“, erkundigte er sich, mit den Fingern Kreise auf dem Hemd des anderen ziehend und die Knöpfe dabei öffnend. „Ich hab mich gewundert, wo du bleibst und ob du nicht beenden willst, was du angefangen hast.“ „Zweifelst du daran?“, schnurrte er, rieb seine Nase an Joeys Haar und atmete den süßen Duft ein, der diesem entströmte. „Ich muss nur noch diese verdammte Sicherung finden.“ „Halt mal kurz die Lampe hoch“, verlangte Joey. Bakura warf ihm einen verwirrten Seitenblick zu, tat dann aber, wie ihm geheißen. Der Blondschopf besah sich kurz die Ersatzsicherungen, die auf dem geöffneten Sicherungskasten lagen und nahm eine von ihnen. „Die hatte ich, glaub ich, schon“, wollte Bakura einwenden, als er sie an ihren Platz setzte. Die nackte Glühbirne über ihren Köpfen flackerte kurz und erstrahlte dann wieder in gewohnter Helligkeit. „Wie ...“ „So ein altes Ding hängt bei mir im Haus auch“, grinste er, sichtlich zufrieden mit seiner Arbeit, und drehte den Kopf des Weißhaarigen mit dem Finger zu sich, um ihn zu küssen. Dieser legte die Taschenlampe, die nun nicht mehr gebraucht wurde, auf dem Sicherungskasten ab und wandte sich ganz zu ihm um. Mit einem Ruck zog er Joey dicht an sich heran. „Lass uns wieder nach oben gehen“, raunte er, als er den Kuss löste. „Gute Idee“, seine Augen schweiften umher, „hier unten ist es ... Oh, was ist das denn?“ Bakura folgte seinem neugierigen Blick, der sich auf eine Reihe von Gitterstäben am Ende des Ganges, nur wenige Schritte von ihrem Standort entfernt, gerichtet hatte. Der Raum – oder vielmehr die Zelle, wenn man es angesichts der Gitter so nennen wollte – maß gut acht Quadratmeter. In die Mauer waren Ketten und ein dicker Eisenring eingelassen. Joey löste sich von Bakura, zog die Tür auf, die mit einem hochtechnisch wirkenden Zeitschloss versehen war, und trat ein. „Meintest du das damit, dass du einige Räume anders als zum Wohnen nutzt?“, fragte er und stupste die Ketten an, die leise rasselten. „Also ...“, Bakura folgte ihm und räusperte sich, erleichtert, dass Joey nicht gleich angewidert zu sein schien. „Kann man so sagen.“ Seine Gedanken flogen kreuz und quer. Gut, er gehörte zu den Männern, die es hin und wieder gern etwas härter mochten, aber wenn der Blonde auch nur eine Ahnung hätte, welchem Zweck dieser Raum wirklich diente ... Er würde sofort schreiend das Haus verlassen. Daran zweifelte er keine Sekunde. Andererseits wäre es eine mehr als willkommene Abwechslung, die Räumlichkeiten einmal anders zu nutzen. Ein Blick auf Joey, in dessen Augen neues Verlangen aufflammte, ließ seine Zweifel dahin schmelzen wie Schnee in der Frühlingssonne. Sich die Lippen befeuchtend, schritt er langsam auf ihn zu, einem Raubtier auf der Jagd gleich, das seine Beute erspäht hatte. „Wenn du willst, zeige ich dir, wofür man so was ...“, er sah kurz zu einer der Ketten, „alles nutzen kann.“ „Und wofür beispielsweise?“, lächelte Joey, langsam zurückweichend, bis er die kalte, nackte Wand in seinem Rücken spürte. Bakura schloss mit zwei Schritten auf und nahm ihn so zwischen der Wand und sich gefangen. Keuchend drehte Joey den Kopf zur Seite und schloss die Augen, während die fremde Zunge über sein Schlüsselbein glitt, sich aufreizend langsam seinen Hals hinaufbewegte und seine Haut dabei deutlich mit einer Rötung markierte. Gleichzeitig fuhr Bakura unter das T-Shirt, schob es hoch und unterbrach kurz seine Liebkosungen, um es ihm über den Kopf zu streifen und seinen Oberkörper endlich aus der Nähe und ohne verhüllenden Stoff betrachten zu können. Joey kam gerade noch dazu, ihm das geöffnete Hemd von den Schultern zu streifen, da wurden seine Hände schon gepackt und wieder gegen die Mauer gepresst. Er zuckte zusammen, als er das kalte Eisen fühlte, das sich links und rechts seines Körpers um seine Handgelenke schloss. Die Länge der Ketten ließ es gerade so zu, dass er die Hände bis auf Kopfhöhe heben konnte, wie er merkte, als er daran zog. „Hab keine Angst“, flüsterte Bakura und strich ihm an der Seite entlang. „Ich werde dir nichts antun. Das hier soll schließlich uns beiden Spaß machen. Entspann dich und genieß es.“ Wie könnte ich das nicht, dachte der Blondschopf seufzend. Die Zunge an seinem Hals wurde durch Zähne ersetzt, die mal sanfter, mal härter, doch ohne sie weiter zu verletzen, in die weiche Haut bissen. Darüber entging ihm fast, wie Bakura ein dunkles Tuch aus seiner Hosentasche kramte und ihm damit die Augen verband. „Bakura, was ...“ „Bleib ruhig.“ Er leckte an seinem Ohrläppchen, spielte kurz mit der Ohrmuschel. Seiner Sehkraft beraubt, musste sich Joey nun auf seine anderen Sinne verlassen. Er hörte das Keuchen und gelegentliche Stöhnen, das aus ihren Mündern drang, roch den leicht herben, mit Moschus durchsetzten Geruch, der von Bakura ausging ... Fühlte, wie sich die Hand des anderen an seiner Hose zu schaffen machte, Knopf und Reißverschluss öffnete und wie der Stoff an seinen Beinen nach unten glitt. Während sich seine Lippen wieder mit Joeys Brust beschäftigten und dem Blonden wohlige Seufzer entlockten, glitt seine Hand zielsicher in die Boxershorts und begann ihn dort zu massieren. Langsam ließ er sich auf die Knie sinken, wanderte dabei mit seinem Mund tiefer, umspielte kurz den Bauchnabel, bevor er den störenden Stoff mit einem kräftigen Ruck nach unten beförderte und die Erregung des Jüngeren freilegte. Er ließ sich Zeit, leckte einmal in voller Länge über das Glied, um dann an dessen Spitze zu verweilen und daran zu knabbern. Belohnt wurde er mit einem kehligen Stöhnen. Joey schob seine Beine weiter auseinander, versuchte sich so einen besseren Stand zu verschaffen. Seine Knie fühlten sich wie Pudding an, machten mehrmals Anstalten nachzugeben – was sich wiederum negativ auf seine angeketteten Arme auswirkte. „Das ist ... Aaaaah“, stöhnte er überrascht, als er Bakuras mit Speichel befeuchteten Finger an seinem Eingang fühlte, der sich in ihn schob. „Nicht verkrampfen“, mahnte er ihn, was Joey mit heftigem Nicken beantwortete. In rascher Folge nahm er einen zweiten und dritten Finger hinzu, wollte sich nicht zu viel Zeit mit dem Vorbereiten rauben. So ganz ohne wollte er es jedoch auch nicht tun, um ihm unnötigen Schmerz zu ersparen. Ein unzufriedenes Grummeln kam von dem Blonden, als er spürte, wie sich Bakura von ihm löste. „Nur Geduld, Kleiner“, lachte dieser, griff in seine Hosentasche und zog ein Kondompäckchen hervor, das er mit den Zähnen aufriss. Mit wenigen Handgriffen entledigte er sich seiner restlichen Kleidung, streifte sich das Kondom über und trat dicht an ihn heran. Seine Hände strichen liebkosend über den bebenden Körper des Blonden, versuchten ihn zu entspannen, als er ihm die Beine noch ein wenig spreizte. Gierig fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss zusammen, unterdrückten das Stöhnen der beiden, als sich Bakuras Glied in ihn schob und Joey sich ihm, so gut das in seiner Lage möglich war, entgegenreckte. Eine Hand ließ der Weißhaarige an seiner Hüfte ruhen, versuchte ihm so Halt zu geben. Die andere wandte sich Joeys aufgerichtetem Glied zu, das ebenfalls nach Aufmerksamkeit verlangte, massierte es, streifte wieder und wieder die Spitze, an der sich bald die ersten milchig-weißen Tropfen zeigten. Gemeinsam versanken die beiden jungen Männer in dem Rausch, der sie erfasste, ihre Bewegungen schneller und intensiver werden ließ. Zum ersten Mal in seinem Leben hielt sich Joey mit der Lautstärke nicht zurück, als er die Lust, die Bakura ihm bereitete, herausschrie. Mitten im Wald, fern der Zivilisation, brauchte er keine Hemmungen zu haben, dass ihn jemand hören könnte, für dessen Ohren diese Geräusche nicht bestimmt waren. Eine Welle nach der anderen rollte über sie hinweg, mit jedem Mal stärker werdend. Fast war Bakura schon zu glauben bereit, das Feuer, das in ihm wütete, würde ihn von innen heraus verbrennen, als es sich mit einem Mal entlud und ihm ein Gefühl zuteil werden ließ, von dem er nicht wusste, wann er es zuletzt verspürt hatte: reine Glückseligkeit, frei von jeder Trauer und Sorge, die ihn tagein, tagaus quälten. Dieser eine, kurze Moment, der ihnen beiden einen Blick ins Paradies gewährte ... Erschöpft ließ Joey seinen Kopf auf die Schulter des anderen sinken und versuchte zu Atem zu kommen. „Das war ...Wahnsinn“, hauchte er. „Mehr als das“, bestätigte ihm Bakura und streifte ihm die Binde von den Augen. Er zog sich aus ihm zurück und entfernte das Kondom. Jetzt, da sein Appetit geweckt war, hatte er mehr als Lust auf eine zweite Runde, dieses Mal allerdings oben in seinem Schlafzimmer ... oder auch im Wohnzimmer, sollten sie es nicht bis dahin schaffen. Blasses Mondlicht fiel durch das vergitterte Fenster, das in die Wand gegenüber der Zelle eingelassen war, mischte sich mit dem gelblichen Licht der Glühbirne. „Wie wäre es, wenn wir das Ganze woanders weiterführen?“, schlug der Herr des Hauses vor. „Sofern du das willst, Joey.“ „Sehe ich etwa abgeneigt aus?“, grinste dieser und genoss schnurrend, wie Bakura ihm über den Körper strich und Schlangenlinien auf seine erhitzte Haut zeichnete. Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne, was den Blonden dazu brachte, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. Blanke Verwirrung trat in sein Gesicht. Bakura sah aus, als habe er gerade einen Geist gesehen. Er stand bewegungslos vor ihm, den Blick starr auf seine Hand gerichtet, die an Joeys Schulter ruhte. „Alles okay?“, fragte er. Das kann nicht sein ... Das geht doch gar nicht!, dachte Bakura. Wie hypnotisiert sah er auf seine Fingerspitzen, auf die Nägel, die länger und schärfer aussahen als noch vor wenigen Minuten. „Welcher ... Tag ist heute? Der 2. September, oder? ODER?“ „Nein, der war gestern. Es ist Donnerstag.“ Joey sah ihn verwundert an. „Ist das schlimm?“ „Ob das schlimm ist? Du hast ja keine Ahnung!“ Bakura stolperte entsetzt einige Schritte zurück, so dass seine Hände auch in das Gesichtsfeld des Blondschopfs gerieten. Lange, feine silberweiße Haare sprossen an seinen Handrücken und seinen Armen. Waren seine Finger eben nicht noch schlanker gewesen? Joey schüttelte den Kopf, er verstand nicht, was mit seinem Gegenüber geschah. „Hey, Bakura, was ist mit dir? Rede mit mir“, bat er. Dieser hob gehetzt den Blick, sah ihn an, dann die Ketten, mit denen er immer noch an die Wand gefesselt war. „Du musst hier weg.“ Er fingerte an dem Mechanismus herum, mit dem er die Eisen verschlossen hatte, doch seine Hände wollten ihm nicht gehorchen, bekamen den Haken nicht zu fassen, den er umlegen musste, um Joey zu befreien. „Was ist los?“, fragte der Blonde dieses Mal fordernder. „Nichts, was –“ Tief stöhnend warf er den Kopf in den Nacken, atmete tief ein und aus. Nein, bitte nicht! Nicht heute Nacht!, rief es verzweifelt in seinen Gedanken. Ich muss es aufhalten, wenigstens noch ein paar Minuten. „Jetzt rede endlich mit mir, Bakura!“ In der nächsten Sekunde, da er den Kopf wieder senkte, stockte Joey der Atem. Die rehbraunen Augen waren mit einem glühenden Goldton durchmischt, der auf ihn ebenso faszinierend wie unheimlich wirkte. „Ba ... Bakura?“, fragte er noch einmal nach. „Ich k-kann es dir ... jetzt nicht erklären. Keine Zeit. Hör mir gut zu, Joey“, er wandte sich ab, hob eine Decke vom Boden auf und hängte sie ihm um die Schultern, „das ist wichtig. Ich kriege die Fesseln nicht auf, ich muss dich solange hier lassen, bis es vorbei ist.“ „Was? Aber – Ich verstehe nicht!“ „Mir bleibt keine Wahl, es ist zu deinem eigenen Schutz.“ „Schutz? Schutz vor was?“ „Vor mir.“ Eiligen Schrittes verließ er die Zelle, schloss die Gittertür hinter sich und legte die drei Riegel vor, mit denen sie gesichert war. Zuletzt tippte er – mühevoll mit den anschwellenden Fingern – eine sechsstellige Zahlenkombination in das elektronische Schloss ein. Ein rotes Lämpchen leuchtete auf. „WAS ZUR HÖLLE SOLL DAS!“ „Verdammt, siehst du das nicht?“, schrie Bakura und streckte ihm seine Arme entgegen, die sich, wie der Rest seines Körpers, zunehmend mit Fell überzogen. „Hier drin bist du sicher vor mir, bis es vorbei ist.“ Er fuhr herum, stürzte davon, so schnell ihn seine Füße trugen. Er hatte den Gang noch nicht ganz hinter sich gebracht, als er merkte, wie sich sein Gesicht verformte, sich tiefe Falten in seine Stirn gruben und seine Eckzähne hervortraten. Er stöhnte, verfluchte die Nacht, die ihn zu dieser Existenz verdammt hatte, hastete die Treppenstufen hinauf, ins Haupthaus. Über die Terrassentür im Wohnzimmer gelangte er ins Freie. Schon merkte er, wie sich sein Rücken krümmte, wie er den letzten Rest Mensch von sich abwarf. Er ließ sich nach vorne fallen, landete auf silberweißen Pfoten und rannte weiter, in den Wald hinein. Joey, immer noch verwirrt und fassungslos angesichts dessen, was er gerade gesehen hatte, fuhr bei den Klängen, die durch das gekippte Fenster wehten, erschrocken zusammen. Das schaurige und dennoch irgendwie auch traurige Heulen eines Wolfes drang durch die Nacht, gerichtet an den Mond, der in der kommenden Nacht zur Gänze gefüllt sein würde. Gerichtet an den Mond, der ihm Monat für Monat das Verderben brachte. Kapitel 3: Curse ---------------- Kapitel 3 Curse Ein starkes Ziehen in seinen Armen weckte den Blondschopf. Gähnend öffnete er die verklebten Augen, wollte sich den Schlaf aus selbigen wischen ... Stattdessen drang ein tiefes Stöhnen aus seinem Mund. Er war sicher, dass es keinen Knochen in seinem Körper gab, der nicht schmerzte. Gleich ob Arme, Beine oder Rücken, jede noch so kleine Stelle tat ihm weh. Wenn ich dich in die Finger kriege, Bakura! Dafür wirst du bezahlen! Was scherte es ihn, dass der Weißhaarige ihn zu „seinem eigenen Schutz“, wie er es genannt hatte, eingesperrt hatte? Allmählich sickerten die Bilder dessen, was er in der vergangenen Nacht hier unten gesehen hatte, in sein Bewusstsein zurück, doch begreifen konnte er sie ebenso wenig wie vor einigen Stunden. Bakura hatte sich auf merkwürdige Weise verändert – verwandelt konnte man fast schon sagen. Wie in einem Horrorfilm. Aber Bakura ist doch kein Werwolf ... So was gibt es nicht, nein, nein, nein! Er schüttelte den Kopf und probierte vorsichtig, sich aufrecht hinzustellen. Irgendwann im Verlauf der letzten Stunden war er, während er noch auf Bakuras Rückkehr gewartet hatte, ungewollt eingeschlafen und in sich zusammengesackt. Den Preis dafür zahlte er nun. Seine Handgelenke waren von den Ketten gerötet, seine Füße konnte er kaum noch spüren. Sie fühlten sich eiskalt an. Wenigstens saß die Decke noch halbwegs an ihrem Platz. In dem dämmerigen Kellergang wurden Schritte laut. Joey sah auf und erkannte den Weißhaarigen, der sich ihm näherte und ihn mit einem undefinierbaren Blick ansah. Über seinem Arm hing ein Bademantel, in der Hand trug er ein Paar Pantoffeln. Im Gesicht des Blonden spiegelte sich bei seinem Anblick dagegen tiefe Verärgerung wider. Bakura tippte einen Code in das Bedienfeld des Schlosses ein, woraufhin die Kontrolllampe auf Grün umsprang und es sich öffnete. Die Tür schwang mit einem Quietschen auf, er trat ein und blieb, zwei Schritte von dem jungen Studenten entfernt, stehen. „Ähm ...“, er räusperte sich, „guten Morgen, Joey.“ „Gut? Kannst du mir verraten, was an diesem Tag gut sein soll?“ Joey versuchte zu schreien, heraus kam jedoch kaum mehr als ein Krächzen. Er hatte sich die halbe Nacht lang die Seele aus dem Leib geschrien, hatte Bakura erst angefleht, zurückzukommen, was sich mit jeder Stunde in immer wüster werdende Verwünschungen umgewandelt hatte. „Du hältst mich hier seit Stunden gefangen, mir tut alles weh, mir ist kalt, ich bin durstig ...“ „Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich hatte keine Wahl“, sagte er, legte die mitgebrachten Sachen auf dem Boden ab und löste die Fesseln von Joeys Handgelenken. Der Blonde stolperte, seine Beine wollten ihn gerade nicht so recht tragen. Ein Paar kräftige Arme fing ihn auf und stellte ihn aufrecht hin. „Ich hatte nie vor, dir so etwas anzutun, das musst du mir glauben.“ „Ach, und wie soll ich das? Schau mich doch an!“ Er hob seine wunden Arme etwas, deutete zornig darauf. „Dafür bist du verantwortlich.“ „Das ist mir bewusst und ich bin nicht stolz darauf. Absolut nicht stolz.“ „Ich verlange eine Erklärung.“ „Ich ... Das ist nicht so einfach.“ „Wenn du schon so dreist bist, mich die ganze Nacht in deinem Keller festzusetzen, habe ich ja wohl verdammt noch mal das Recht, den Grund dafür zu erfahren!“ „Also ... gut“, nickte Bakura. „Gehen wir nach oben, dann erkläre ich dir alles, so gut ich kann.“ Er half ihm dabei, in die Pantoffeln und den Bademantel zu schlüpfen und stützte ihn auf dem Weg durch den Keller und die Treppe hinauf. Im Wohnzimmer bat er ihn, auf der Couch Platz zu nehmen und eilte geschäftig in die Küche, um mit einem Tablett voll Tee und belegten Broten wiederzukommen. „Iss erst mal was, dann kann ich nebenbei erzählen.“ Hungrig griff Joey nach einem Wurstbrot und stopfte es mit wenigen Bissen in sich hinein. „Ich bin ganpf ... Ohr“, nuschelte er zwischen einem Stück Gurke und einem Bissen von einer Scheibe Brot, die mit Käse belegt war. „Zunächst einmal ... Als du mich gestern Abend nach Ryou fragtest ... Da habe ich gelogen. Ich kannte ihn, sehr gut sogar. Ryou ist ... war mein kleiner Bruder.“ Sein Gegenüber verschluckte sich und musste husten. „Wie bitte?“, brachte er röchelnd hervor. „Hast du gehört, wie er gestorben ist?“ „Er ... es stand doch groß in der Zeitung, dass ihn ein Hund angefallen und ihm die Kehle durchgebissen hat. Wenn ich diese Bestie je in die Finger kriegen sollte –“ „Diese Bestie“, Bakura spielte nervös mit seinen Fingern, „war ich.“ Ein Ruck ging durch Joey, als hätte er einen elektrischen Schlag abbekommen. „Du. Hast. WAS getan?“ Nun klang seine Stimme schon ein ganzes Stück kräftiger. „Es war ein Unfall!“, fuhr Bakura auf. „Freiwillig hätte ... ich ihm doch nie ... Ich hätte ihm nie etwas angetan!“ Joeys Blick verfinsterte sich. „Du bist ein Mörder.“ „Es war nicht ich, der ihn getötet hat. Es war das Tier in mir. Du hast gesehen, wie ich mich verwandelt habe. Joey ... ich bin ein Werwolf.“ „Das geht gar nicht. Es gibt keine Werwölfe. Das geht nicht. Die sind nur ein Mythos“, begann der Blonde zu murmeln, wobei er bis ans andere Ende der Couch rutschte. „Glaub mir, sie sind keine Gruselgestalten, von denen man abends den kleinen Kindern erzählt. Sie sind real. Ich bin real. Auch wenn es mir lieber wäre, wenn ich das Gegenteil behaupten könnte.“ Der andere konnte lediglich ungläubig mit dem Kopf schütteln. „Ich habe versprochen, es dir zu erklären, nur muss ich dafür etwas ausholen“, fuhr Bakura fort. „Es passierte vor vier Jahren. Ryou und ich waren über die Sommerferien zum Zelten gefahren, es sollte eine kleine Rundreise durchs Land werden. An einem Abend hatte unser Zug Verspätung und wir bekamen keinen Platz mehr auf dem Campingplatz, deshalb schlugen wir unser Zelt etwas außerhalb am Waldrand auf. Das war der größte Fehler meines Lebens. Wir wurden im Schlaf von einem Wolf überrascht – dass es ein Werwolf war, erkannten wir erst viel später. Ich hab Ryou zur Seite geschupst, wollte ihn schützen ... Das Biest hat stattdessen mich angefallen. Im darauf folgenden Monat habe ich mich zum ersten Mal verwandelt. Wir wohnten am Stadtrand, von daher konnte ich schnell aus meinem Fenster raus und ins Feld laufen. Ein paar Monate habe ich das so durchgehalten, dann kam Ryou dahinter. Und die einzigen Vorhaltungen, die er mir machte, waren die, dass meine nächtlichen Streifzüge zu gefährlich seien. Ab da schloss ich mich in unserem Keller ein, wenn es soweit war. Er kümmerte sich die ganze Zeit um mich, dabei sollte es doch eigentlich umgekehrt sein. Ich war der große Bruder und er ... Wir haben nur ein einziges Mal die Zeit vergessen ... Aber dieses eine Mal hat gereicht, dass ich mich vor ihm verwandelte, ohne dass eine schützende Mauer oder Gitter zwischen uns waren. Als Werwolf habe ich keine Kontrolle über mich. Was ich da getan hatte, merkte ich erst am nächsten Morgen, als ich im Wald aufwachte und bei meiner Heimkehr die Polizei vor unserer Haustür fand.“ „Wow, das ist ... Das muss ich erst mal verdauen“, sagte Joey. Er ließ sich gegen das Rückenpolster der Couch sinken und betrachtete Bakura lange und eingehend. „Du bist also ein echter Werwolf?“ „Leider ja. Wenn ich eine Möglichkeit hätte, mich von dieser Existenz zu befreien, würde ich es sofort tun ... nur gibt es keine.“ „Und weshalb hast du dann mich gestern da angekettet gelassen, statt mich zu befreien und dich selbst dahinzustellen?“ „Ich hab die Fesseln nicht mehr aufbekommen. Wenn die Verwandlung einmal angefangen hat, bleiben mir nur wenige Minuten. Ich musste schnell handeln, da hielt ich es für sicherer, dich einzusperren, damit ich nicht mehr an dich herankomme. Das war nicht gegen dich gerichtet.“ „Also wolltest du mich damit beschützen?“ „Genau. Warte, ich habe eine Salbe für deine Arme.“ Bakura stand von dem Sessel auf, in dem er bis eben gegessen hatte, und holte eine bereits zur Hälfte geleerte Tube aus der Küche. Mit der hellgrünen Paste, die er daraus hervordrückte, rieb er Joey die lädierten Stellen ein. „Wenn du geduscht hast, bringe ich dich mit deinem Motorrad in die Stadt. In der Garage steht ein Anhänger, den können wir an meinem Geländewagen festmachen.“ „Danke, aber –“, setzte Joey an. „Willst du die restlichen Kilometer etwa laufen?“ „Nein, nur ... Sekunde, du hast ein Auto? Warum hast du mir nichts davon gesagt?“ „Du hast nicht gefragt“, erwiderte Bakura schulterzuckend. „Du wolltest nur wissen, ob du telefonieren kannst und sowohl mein Telefon als auch mein Handy funktionieren nachweislich gerade nicht. Ich hoffe, deine Schwester ist nicht nachtragend.“ „Wieso, was hat Serenity damit ... Unser Treffen. Ich bin so gut wie tot.“ Gut anderthalb Stunden später klingelte Joey an der Wohnungstür seiner Schwester. Er musste nicht lange warten, bis sie aufgerissen wurde und er sich einer wütend aussehenden jungen Frau gegenübersah. „Joey Wheeler, wo kommst du morgens um halb zehn her?“ Ein lautes Klatschen durchriss die Luft, gefolgt von einem Schmerzensschrei des Blondschopfs. „Au, das hat wehgetan, Serenity.“ „Genau das sollte es auch! Hast du eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe?“ „Darf ich bitte erst mal reinkommen, bevor du den ganzen Flur zusammenbrüllst?“, fragte er vorsichtig. Sie funkelte ihn böse an und trat beiseite, um ihn in die Wohnung zu lassen. „Du bist krank, Schwesterchen, du gehörst ins Bett.“ „Das hat dich gestern auch herzlich wenig gekümmert, wenn ich dich erinnern darf“, sagte die Brünette giftig, nahm ihm die Blumen aus der Hand, die er ihr hinhielt und stellte sie ins Wasser. „Da hast du keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich vielleicht Angst bekomme, wo du bleibst, wenn du selbst nach vier Stunden noch nicht aufgetaucht bist und es nicht mal für nötig hältst, mir Bescheid zu sagen, dass du nicht kommst.“ Ein Hustenkrampf unterbrach ihren Vortrag. Sie ließ sich auf einen der Küchenstühle sinken und zog sich die Strickjacke enger um die Schultern. „Es war wirklich keine Absicht“, beeilte sich ihr Bruder, ihre Pause nutzend, zu versichern. „Ich wurde vom Gewitter überrascht und saß solange bei dem Typ fest, der mir erlaubt hatte, bei ihm Unterschlupf zu suchen.“ „Festgesessen ... Sicher doch“, antwortete sie und Joey entging nicht der sarkastische Unterton in ihrer Stimme. „Und weil ihr festsaßt, dachtet ihr, ihr vertreibt euch die Zeit zusammen. Ich bin nicht blöd, Joey! Wenn du dich mit einem deiner Lover vergnügen wolltest, hättest du mir das auch sagen können.“ „Aber ich habe wirklich nicht ...“ „Woher kommen dann die ganzen Knutschflecke an deinem Hals?“ Er lief purpurrot an und zupfte peinlich berührt an seinem T-Shirt. „Oh ... Das war ganz spontan, ich schwöre.“ „Es ist besser, du gehst jetzt. In den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich mich mehr als genug über dich geärgert.“ „Okay ... Ich stelle dir den Kuchen in den Kühlschrank, vielleicht hast du nachher noch Appetit auf ihn.“ Nach einem kurzen Abschiedskuss auf die Wange verließ Joey die Wohnung seiner Schwester und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Sein Motorrad befand sich bereits zur Reparatur in der Werkstatt, er und Bakura hatten es auf dem Weg in die Stadt dort abgeliefert. Da die Reparatur jedoch, wie ihm der Werkstattbesitzer mitgeteilt hatte, mehrere Tage dauern würde, war Joey gezwungen, mit dem Zug nach Domino zurückzufahren. Bakura hatte ihn nur vor Serenitys Wohnung abgesetzt und sich dann auf den Heimweg gemacht. „Irgendwer hat eindeutig was gegen mich“, jaulte er, als er den Bahnhof erreichte. Vor dem Gebäude hatte sich ein Teil der Bahnangestellten versammelt, durch die gläsernen Eingangstüren erspähte Joey weitere Frauen und Männer. Überall wurden Schilde und Transparente mit den Forderungen hochgehalten. Dass seit einigen Tagen gestreikt wurde, hatte er in seiner Aufregung ganz vergessen. In der Hoffnung, dass es wenigstens eine Notversorgung mit Zügen gab, um den Verkehr aufrechtzuerhalten, schob er sich an den Streikenden vorbei und betrat das Bahnhofsgebäude durch die sich automatisch öffnenden Glastüren. Vor dem Informationsschalter hatte sich eine lange Schlange gebildet, an deren Ende er sich resigniert stellte. „Gibt es heute noch einen Zug nach Domino?“, fragte er, als er nach über einer halben Stunde des Wartens an die Reihe kam. Die gestresst wirkende Frau auf der anderen Seite des Schalters tippte kurz etwas in ihren Computer ein. „Der nächste Zug nach Domino geht erst um sechzehn Uhr zwanzig, das wäre die Strecke über die Dörfer.“ „Was anderes als diesen Bummelzug haben Sie nicht?“ „Alternativ kann ich Ihnen noch den Schnellzug anbieten, aber der fährt erst um neunzehn Uhr.“ „Da muss ich wohl in den sauren Apfel beißen“, murmelte er und zog sein Portemonnaie hervor. „Eine Karte für den Zug um sechzehn Uhr, bitte. In der zweiten Klasse.“ Die nächsten Tage gibt’s nur noch trockenes Brot, murrte er in Gedanken und winkte den Scheinen hinterher, die er der Frau durch einen Schlitz in der Glasscheibe zuschob. Die Stunden bis zur Abfahrt des Zuges verbrachte er in der Innenstadt mit einem Bummel durch den Park und die Einkaufsstraßen, auch wenn er kein Geld hatte, etwas von den Sachen zu kaufen, die er sich in den Schaufenstern ansah. Zu Mittag holte er sich an einem Kiosk ein belegtes Brötchen und eine Flasche Mineralwasser, mehr war Dank der teuren Fahrkarte nicht drin. Sein Unmut wuchs, als er pünktlich um zwanzig nach vier auf dem Bahnsteig stand, wo der Zug eintreffen sollte und erfuhr, dass sich dieser wegen des anhaltenden Streiks um mindestens eine halbe Stunde verspäten würde. Das Verständnis, das er anfangs für die streikenden Angestellten gezeigt hatte, schwand merklich. Um kurz nach fünf durfte er sich endlich in die Polster seines Sitzes in einem der Großabteile des Zuges fallen lassen. Kurz nachdem der Zug angefahren war, begann es wie aus Eimern zu regnen, nachdem sich das Wetter den ganzen Tag über gehalten hatte und zeitweise sogar die Sonne zwischen den grauen Wolken aufgetaucht war. Joey stützte seinen Arm auf dem schmalen Fensterbrett ab und sah nach draußen, wo die Landschaft vorbei schlich. „Noch ein bisschen langsamer und der Zug fährt rückwärts“, grummelte er. Zwanzig Minuten später wurde er von jemandem an der Schulter angestoßen und schreckte aus dem Dämmerschlaf auf, in den er gefallen war. Neben ihm stand einer der Zugbegleiter, der seine Fahrkarte überprüft hatte. „Entschuldigen Sie, wir haben ein kleines Problem mit dem Zug. Bitte steigen Sie mit den anderen Fahrgästen aus.“ Der Blondschopf sah den Mann mit großen Augen an und schüttelte nach einem Blick aus dem Fenster den Kopf. „Es schüttet.“ „Wir halten an einer kleinen Station, da können Sie sich unterstellen.“ „Heute ist nicht mein Tag“, brummte er, packte seinen Rucksack und folgte dem Zugbegleiter durch den Gang. An der Tür wurde er von einem seiner Kollegen in Empfang genommen, der ihn mit einem Schirm zu der kleinen, überdachten Station brachte, unter der sich die anderen Passagiere bereits zusammendrängten. Ich hasse mein Leben, konstatierte er drei Stunden später. Wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hatte, hatte es gegen den Hauptbahnhof in Domino und mehrere Züge eine Bombendrohung gegeben, so dass die Gesellschaft, die für den Nah- und Fernverkehr zuständig war, alle Züge, die Richtung Domino fuhren, umgeleitet oder auf der Strecke angehalten hatte. Eben war die Meldung gekommen, dass die Verantwortlichen bei der Geldübergabe gefasst worden seien und die Fahrt weitergehen könne. Er reihte sich hinter einer Frau mit ihren quengelnden Kindern ein, um wieder in den Zug zu steigen und sah zum Mond auf, der zwischen den Wolken auftauchte. Ob sich Bakura heute Nacht wieder eingeschlossen hat? In weiter Ferne war das Heulen eines Wolfes zu hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)