Calling of the Sea von black_wolf ([Aktion 1 - Eigene Serie - Erinnerung]) ================================================================================ Kapitel 1: Calling of the Sea ----------------------------- Kühles Wasser umspülte seinen Körper, als er immer tiefer sank. Die blaue Farbe erinnerte ihn an die Farben des Meeres. Und doch war es anders. Kalt. Leblos. Tot. Hier gab es nichts Lebendiges, nichts, dass ihn hielt. Das Licht, das sich in sanften Wellen brach, erreichte ihn kaum mehr. Selbst die Kälte des Steines spürte er nicht. Er war zu schwach, um sich zu erheben. Zu schwach, um zum Licht zu schwimmen. Verzerrte Stimmen drangen an sein empfindliches Gehör, ließen ihn zusammenzucken, ließen ihn weiter in die sanfte Schwärze gleiten. Da waren andere, die ihn riefen. Doch waren sie Fremde, nicht wie er. Sie wussten nicht, was es bedeutete, unendlich weit zu schwimmen, unendlich weit zu sehen. Sie wussten nicht, was es bedeutete, frei zu sein. Auch er hatte es vergessen. So lange war er nun schon hier. Und jetzt - so spät - begann er sich zu erinnern. An eine längst vergangene Zeit, in der er alles gehabt - und dann verloren hatte. Mein Leben spielt sich in den Weiten der Ozeane ab. Hier bin ich geboren, hierfür wurde ich geschaffen, das spüre ich mit jeder Faser meines Körpers. Ein Körper, der sich mühelos durchs Wasser winden kann, der voll kindlicher Freude emporschießt, hoch hinaus über die Wellen, bis er wieder zurückkehrt in die wohlwollenden Arme der See. Seit ich auf der Welt bin, gehöre ich zu den Schwimmern. Wir können nicht das Wasser verlassen wie die Zweibeiner, die in komischen Tieren die Ozeane durchwandern und häufig unsere Wege kreuzen. Ihre Tiere sind anders als wir. Sie haben keine Flossen, mit denen sie gefährliche Wendemanöver machen können. Ich höre sie nicht sprechen, nicht reden, nicht singen. Für mich sind es tote Tiere. Und dennoch bringen sie die Zweibeiner zurück ins Anderswo. Manchmal fallen sie aber auch auseinander. Dann bekommen die Zweibeiner Angst. Sie können nicht so gut schwimmen wie wir. Sie sind nicht so ausdauernd wie wir. Ich frage mich, wieso setzen sie sich den Gefahren der See aus, wenn sie doch so viel sicherer in ihrem Anderswo sind? In ihrer Heimat müssen sie sicherlich sehr gut sein. Hier im Meer sind sie ungeschützt und unbeholfen. Wir helfen ihnen, wenn sie zu sterben drohen. Bringen sie ins flache Gewässer, von dem aus sie in ihr Anderswo zurückkehren können. Trotzdem verstehe ich sie nicht. Wenn sie nicht gut schwimmen können, sollten sie dem tiefen Wasser fern bleiben. Wir schwimmen schließlich auch nicht hinaus ins Anderswo. Als ich meine Mutter fragte warum, sagte sie mir nur, dass wir dort nicht hingehören. Jeder hat seinen bestimmten Platz. Unserer ist hier, im Meer. Ihrer ist in Anderswo. Dennoch verstehe ich ihren Wunsch, unser Meer zu entdecken. Auch ich würde gerne ihr Anderswo sehen. Doch ebenso wie mir dieser Wunsch verwehrt bleibt, so werden die Zweibeiner niemals das Meer mit unseren Augen sehen können. Mit ihren toten Tieren bringen sie ein Stück Anderswo zu uns. Es sind recht schnelle Tiere. Nicht ganz so schnell wie wir, dennoch macht es Spaß, Rennen mit ihnen zu veranstalten. Ich glaube allerdings nicht, dass den toten Tieren das gefällt. Sonst würden sie länger zum Spielen bleiben. Trotzdem kann ich sie gut leiden. Und die Zweibeiner. Manchmal schmeißen sie Futter zu uns. Es ist genauso tot wie ihre Tiere. Wir nehmen es uns dennoch. Es schmeckt ganz gut. Nicht ganz so gut wie die kleinen Schwimmer, die wir fangen, doch man darf nicht so wählerisch sein. Ich habe mich immer nur gefragt, welchen Zweck sie darin sehen, kleine Schwimmer aus dem Meer zu holen, um sie uns anschließend tot wieder zurückzugeben. Es verschwinden allerdings mehr kleine Schwimmer als zu uns tot zurückkommen. Das hat mir ein anderer Schwimmer erzählt. Er ist schon sehr weit herumgekommen. Ohne Familie zieht er durch die Meere. Ein einsamer Schwimmer. Eines Tages werde ich wie er sein. Abenteuer erleben, Feinde besiegen, die Kleineren beschützen. Das ist ein gutes Leben. Eine Luftblase stieg nach oben. Erst als sie an der Oberfläche verging, registrierte er, dass sie von ihm stammte. Er benötigte Luft. Mit letzter Kraft erhob er sich, schleppte sich mühselig weiter nach oben, bis er Wasser durchstieß und Luft seinen Lungen neuen Atem verlieh. Seufzend hörte er auf, sich zu bewegen. Gönnte seinen müden Flossen Ruhe - und sank wieder herab. Es gibt gute Schwimmer. Solche wie wir. Und dann gibt es die Jäger. Das sind solche, die uns fressen wollen. Meistens sind wir zu schnell und können ihren scharfen Zähnen entgehen, manchmal jedoch holen sie einen von uns. Häufig die Alten und Schwachen, die nicht mehr so gut zur Flosse sind. Ich bin ihnen noch nicht begegnet. Aber ich fiebere dem Tag entgegen, an dem ich endlich meinen Mut beweisen kann. Wie der einsame Schwimmer werde ich mich dem Monster stellen und es besiegen. Daran besteht kein Zweifel. Ein kleines Lachen stieg in ihm auf, als er sich an seine jugendliche Übermut erinnerte. An seinen sehnsüchtigen Wunsch, sich von seiner Familie losreißen und fortschwimmen zu können. Er liebte seine Familie, doch er wollte etwas erleben, das Fremde erkunden, neue Meere erforschen. Wie verhängnisvoll ein solcher Wunsch sein konnte, wurde ihm erst durch eine schmerzhafte Erfahrung bewusst. Eine leichte Berührung an meiner Seite. Meine Schwester will spielen. Kaum hat sie mich berührt, schießt sie schon wieder davon in tiefere Gefilde. Meine Eltern beobachten sie voller Stolz. Auch ich bin stolz auf sie. Sie ist ein schöner und lebhafter Schwimmer. Sie wird sicherlich bald einen Gefährten finden und uns verlassen. Ich bin deswegen nicht traurig. Auch ich werde eines Tages gehen. So war es schon immer und so wird es auch immer sein. Reglos verfolge ich ihr Spiel. Jedes Mal, wenn sie wieder nach oben schießt, kommt sie mir ein Stück näher, bis sie so nah ist, dass sie mich streift. Ohne Vorwarnung stürze ich mich auf sie, an ihr vorbei, hinab in die Tiefe. Mit einem Quietschen weicht sie mir aus und folgt mir nach. Sie weiß, dass sie mich nun hat. Niemand kann ihrem Spiel wiederstehen. Wir jagen dahin, entfernen uns von unseren Eltern und anderen Geschwistern, doch merken wir es nicht. Noch tiefer hinab, unsere Körper berühren den erdigen Boden, schrammen über Steine und Pflanzen, die sich nach oben winden und uns zu stoppen versuchen. Geschwind weichen wir ihnen aus, schießen zwischen ihnen hindurch. Mal ist der eine vorne, dann der andere. Immer weiter treibt es uns hinaus in die offene See. Unser Lachen vermischt sich zu einem endlos scheinenden Lied, hallt im Meer wieder, wird fortgetragen an andere Orte und zu anderen Schwimmern, die diese sanfte Melodie wiedergeben und sie uns zurückbringen. Das ist das ewige Spiel des Meeres. Mit unserem kleinen Spiel locken wir die See heran, mit uns zu singen und zu springen. So verständigen wir uns. So bleiben wir zusammen, auch wenn wir getrennt sind. Mit einem leisen Seufzen versteckte er sich tiefer in den dunklen Schatten seines Gefängnisses. Seine Eltern, seine Geschwister. Wie sehr er sie vermisste. Endlose Sekunden lang rief er nach ihnen. Dann lauschte er. Stille. Meine Verfolgungsjagd aufgebend, schieße ich mit einem kräftigen Schlag meiner Flosse nach oben, durchstoße die Oberfläche der ruhig daliegenden See. Immer weiter hinauf treibt es mich, dem Himmel entgegen, bis ich spüre, dass ich an Höhe verliere. Für kurze Zeit fühle ich mich wie ein Flieger, der über der See schwebt, frei dorthin zu gehen, wohin er will. Dann jedoch ist es Zeit, ins Meer zurückzukehren. Mit einem Stich Sehnsucht im Herzen wende ich mich vom Anblick der See ab und tauche ein in das Reich, das ich kenne. Oder zumindest glaubte zu kennen. Denn das, was dann geschehen ist, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Meine Schwester ist mir mit überquellendem Eifer gefolgt und stürzt kurz nach mir wie ein toter Flieger vom Himmel ins Meer. Im Wasser angekommen, peitscht sie auch schon wieder an mir vorbei und fordert mich auf, ihr zu folgen, sie zu jagen, weiterzuspielen. Ausgelassen umrunden wir uns, schwimmen wieder tiefer hinab ins Dunkle. Plötzlich schießt etwas anderes an uns vorbei. Überrascht halte ich inne. Auch meine Schwester ist ganz still. Sie hat es ebenfalls bemerkt. Meine innere Alarmanlage schlägt an. Wir sind nicht mehr die gefährlichsten Schwimmer in dieser Gegend. Etwas Anderes, Größeres ist anwesend. Ich signalisiere meiner Schwester, dass wir uns besser zurückziehen sollen. Zurück zur Familie. Unsere Eltern würden wissen, was zu tun ist. Meine Augen suchen jeden Zentimeter meiner Umgebung ab, doch der Schatten bleibt verschwunden. Auch alle anderen Schwimmer sind verschwunden, als hielten sie den Atem an, um nicht bemerkt zu werden. Das Bedürfnis, so schnell wie möglich meine Eltern aufzusuchen, wird immer drängender, bis ich meinem inneren Ruf folge und Richtung Heimat schwimme. Nichts geschieht. Die Pflanzen am Boden helfen uns ein wenig, uns zu verstecken. Vorsichtig bahnen wir unseren Weg hindurch. So tief sind wir noch nie in die Pflanzen eingedrungen. Wenn sich jetzt eine um uns schlingen würde, wären wir verloren. Fast schon spüre ich, wie wir beobachtet werden. Der Schatten ist immer noch da, lauernd, eine beinahe greifbare, gefährliche Präsenz. Wir müssen uns beeilen. Mit einem leisen Laut fordere ich meine Schwester auf, schneller zu schwimmen. Dann sehe ich das Ende der Schlingpflanzen. Reglos treibe ich dahin. Lausche nach verdächtigen Geräuschen. Nichts. Noch immer ist alles still. Die kleinen Schwimmer bleiben verschollen. In diesem Moment wünsche ich mir, auch so klein sein zu können. Dann hätten wir uns in einer der Felsspalten verstecken können, die es hier überall gibt. Ich traue mich nicht, auf die offene Fläche zu schwimmen. In den Schlingpflanzen sind wir sicher, doch wo Fels den Boden bedeckt, sind wir ungeschützt und leichte Beute. Meine Schwester stupst mich fragend mit ihrer Schnauze an und versucht, an mir vorbeizukommen. Mit einem harten Stoß in die Seite treibe ich sie zurück. Verletzt schaut sie mich an, dann deutet sie nach oben. Die Luft wird allmählich knapp. Wir sind schon zu lange unter Wasser. Aber was auch immer hier unten sein mag, auch der Schatten würde irgendwann Luft benötigen. Vielleicht konnten wir noch so lange ausharren, bis er aufsteigen würde und dann vorbeihuschen können, ohne entdeckt zu werden. Ich sank auf den Boden hinab und bedeutete meiner Schwester, ihren Atem zu sparen. Etwas wiederwillig folgt sie meiner Anweisung. Nichts rührt sich. Mit allmählich trüber werdendem Blick beobachte ich die Umgebung. Der Schatten ist ein geduldiger Jäger. Geduldiger als wir es sind. In der Ferne vernehme ich den Ruf meiner Mutter. Nervös steige ich ein paar Zentimeter hinauf und lasse mich gleich wieder hinabsinken. Wieder ein Ruf. Meine Schwester antwortet. Dann geht alles ganz schnell. Gerade eben hat sich nichts bewegt. Doch plötzlich sprengen die Schlingpflanzen beiseite, ein großer Körper nimmt mir für kurze Zeit die Sicht, dann rammt mich etwas in die Seite. Spitze Zähne blinken auf, als der Schatten sein Maul aufreißt. Meine Schwester schreit um Hilfe, schreit nach unseren Eltern. Aber wir sind zu weit weg. Sie werden zu spät kommen. Panisch versuche ich auszuweichen, bedenke die Schlingpflanzen nicht mehr und spüre, wie sich etwas über meine Haut schiebt und mir den Atem nimmt. Ich versuche hektisch, mich loszuwinden, doch die Pflanze ist kräftiger, drückt mir nur stärker die Luft aus den Lungen. Etwas kratzt über meine Flosse. Schmerzen schießen durch meinen Körper, als ich Blut schmecke. Auch der Schatten hat es geschmeckt. Rasend schießt er auf mich zu, bereit, mich mit einem Bissen zu töten. Da wird er zur Seite geschleudert. Meine Schwester. Schützend schiebt sie sich zwischen mich und den Schatten. Ich versuche wieder, wie wild frei zu kommen, kann aber nur noch hilflos mit ansehen, wie der Schatten sich auf einen erneuten Angriff vorbereitet. Ich signalisiere ihr zu flüchten, aber sie ignoriert mich. Meine Flossen werden müde von Blutverlust und Luftmangel. Meine Gegenwehr erstirbt, mein Gehirn vernebelt sich zusehend. Das Letzte, was ich sehe, ist meine Schwester, wie sie mutig dem Schatten entgegen schwimmt, nicht willens, mich ihm zu überlassen. Dann wird alles dunkel. Ich wache in mir unbekanntem Terrain auf. Es ist ruhig hier, kleine Schwimmer tauchen dicht an mir vorbei, als würden sie mich gar nicht bemerken oder beachten. Über mir leuchtet die brennende Scheibe. Sie ist schon fast verschwunden. Mein Körper fühlt sich seltsam taub an. Ich kann meine Muskeln nicht dazu bewegen, sich zu rühren. Ich höre und wittere keine Gefahr, aber ebenso wenig sehe ich meine kleine Schwester. Mich ausruhend lausche ich der ruhigen See, doch ich vernehme nicht mir das schon allzu vertraute und bekannte Lied. Ich sage mir, dass sie dem Schatten sicherlich entkommen sein musste, dass sie mittlerweile in Sicherheit bei unseren Eltern sei. Und doch kann ich es nicht recht glauben. Sie hat mich vor dem Schatten beschützt. Sie würde mich niemals ohne weiteres verlassen. Und doch – tief drinnen - spüre ich es. Meine Schwester ist fort. Noch heute verspürte er den Stich eines nie ganz verklungenen Schmerzes. Seinetwegen war seine Schwester dem Schatten zum Opfer gefallen. Er hatte sein Versprechen – sie auf ewig beschützen – nicht halten können. Dennoch: Nur ihretwegen war er noch am Leben. Und dafür würde er ihr immer dankbar sein. Auch wenn sein Leben hart war, auch wenn es in keiner Weise seinem Traum ähnelte, wollte und konnte er ihr Geschenk nicht einfach aufgeben. Das war er ihr schuldig. Überleben – das war sein Versprechen. Nur langsam erhole ich mich. Hilflos treibe ich auf der Wasseroberfläche, mein Ruf verklingt in der kleinen Bucht. Mein Magen beginnt zu knurren. Seit ich aufgewacht bin und mich wieder halbwegs bewegen kann, sind die kleinen Schwimmer vorsichtiger geworden, huschen nur noch blitzschnell an mir vorbei und sind außer Reichweite, wenn ich mir einen schnappen möchte. Meine rechte Flosse sendet jedes Mal eine neue Welle Schmerzen durch meinen Körper, wenn ich mich bewege. Es fließt kein Blut mehr, doch das Salz des Meeres brennt in meiner Wunde. Meine Jagd aufgebend, ruhe ich mich aus und halte mich nur über Wasser. Mittlerweile ist die brennende Scheibe untergegangen und die helle Scheibe der Nacht hat ihren Platz eingenommen. Ich liege still und wache. Die kleinen Schwimmer ziehen sich allmählich zurück. Die See liegt ruhig vor mir, sanfte Wellen brechen sich an den Felsen der Bucht, in die es mich getrieben hat. Nicht weit entfernt sehe ich den Beginn des Anderswo. Vielleicht würden Zweibeiner vorbeikommen und mir tote Schwimmer zuwerfen. Dann würde sich wenigstens der Hunger legen. Doch vorerst bewege ich mich nicht, um meiner Wunde Zeit zum Heilen zu geben und mir eine freie Zeit von Schmerzen. Erst als sich die brennende Scheibe wieder am Horizont zeigt, erwache ich aus meiner Starre. Jede Bewegung schmerzt immer noch, aber ich kann nicht länger warten. Ich brauche Nahrung. Also muss ich jagen. Die ersten Anläufe sind jämmerlich, nichts mehr zu sehen von der ehemaligen Eleganz und Wendigkeit. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder wie früher schwimmen kann, doch das ist ein Tribut, den ich gerne für das Leben meiner Schwester zahle. Die kleine Bucht wird in den nächsten Tagen mein neues, eigenes Reich. Ich traue mich noch nicht, wieder in die See zurückzukehren, wo Schatten im Dunkeln lauern und ich um mein Leben fürchten muss. Hier habe ich alles, was ich benötige. Kleine Schwimmer in Hülle und Fülle, in den unterschiedlichsten Größen und doch keiner größer als ich. Hier bin ich Jäger und nicht Gejagter. Trotzdem: Irgendwann muss ich gehen. Ich liebe meine Familie. Und zu ihr muss ich zurück. Doch für jetzt bleibe ich vorerst hier in meiner Bucht. Es liegt ein unwiderstehlicher Frieden über diesem Ort. Keine Zweibeiner kreuzen meinen Weg, auch wenn ich sie manchmal am Anfang des Anderswo entlanggehen sehe. Dann springe ich hoch in die Luft und rufe ihnen zu. Sie heben ihre Flossen und deuten auf mich. Da weiß ich, dass sie mich gesehen haben und springe erneut. Ihr Lachen dringt bis zu meinen Ohren, Balsam für meine einsame Seele. Doch wenn die brennende Scheibe sich ihren Weg über den Horizont hinaussucht, dann verschwinden auch die kleinen Zweibeiner. Manchmal kommen sie erst nach Tagen wieder. Sie wissen, dass ich da bin. Ich warte auf sie, um mit ihnen zu spielen. Aber sie kommen niemals ins Wasser. Meine Flosse ist gut verheilt. Helle Streifen zieren sie nun, doch sie behindert mich nicht mehr beim Schwimmen. Ich spüre, dass die Zeit nahe ist, meine Familie zu suchen. Ich weiß nicht, wie weit ich von ihnen entfernt bin, wie weit mich das Meer von ihnen fortgetragen hat, ich weiß nur, dass ich sie finden muss. Weit oben hörte er einen Flieger rufen. Krächz, krächz, krächz. Der beruhigende Klang einer bekannten Melodie. Einer fernen Melodie. Krächz, krächz. Der Ruf des Meeres. Ächzend bewegte er seine Flossen. Zehn Zentimeter. Fünfzig Zentimeter. Sein Körper war zu schwer. Seufzend sank er hinab. Krächz. Nach einer letzten Jagd verlasse ich meine Bucht. Mein Herz rast, als die weite See sich vor mir ausbreitet. Ich halte nach Schatten Ausschau, während ich mich zu orientieren versuche. Die Gegend ist mir vollkommen fremd. Zuerst rufe ich nur leise nach meinen Eltern. Als keine Antwort kommt, rufe ich lauter. Ich will keine Schatten anlocken. Doch einfach so losschwimmen, ohne zu wissen, welche Richtung ich einschlagen muss, möchte ich auch nicht. Und da höre ich es. Der entfernte Ruf meiner Eltern. Ohne länger zu überlegen, schieße ich los. Pure Vorfreude hat die Furcht aus meinem Herzen vertrieben. Immer wieder versichere ich mich mit Rufen, dass ich in die richtige Richtung schwimme. Trotzdem scheinen ihre Stimmen nicht näher zu kommen. Mit der Zeit werde ich langsamer. Mein Blitzstart hat mich geschwächt. Ich bin solch lange Strecken nicht gewöhnt zu schwimmen. Meine Gegend observierend, gleite ich durch Wasser meinem Ziel entgegen. Und eine Zeit lang höre ich nichts anderes als das Meer, seine Gesänge und das Lied meiner Eltern, das mich leitet. Ein fernes Dröhnen lässt mich aufschrecken. Überrascht blicke ich um mich und erkenne nichts. Nervös lasse ich mich in tieferes Gewässer treiben. Mein Herz schlägt wieder wie wild. Das Geräusch kann nicht von Schatten kommen, versuche ich mich zu beruhigen, doch die Erinnerung sitzt zu tief. Dieses Mal verstecke ich mich zwischen Felsen und harre aus. Kleine Schwimmer huschen an mir vorbei, unbeeindruckt von meiner Furcht. Langsam beruhige ich mich wieder, traue mich aber dennoch nicht heraus. Erst als die brennende Sonne von einem riesigen Schatten verdeckt wird, atme ich auf. Die toten Tiere der Zweibeiner. Nichts Schlimmes, nichts Tödliches. Erleichtert schieße ich nach oben und tauche neben dem toten Tier auf. Neugierig umkreise ich es, aber ich kann keine aufgeregten Zweibeiner auf Deck herumlaufen sehen. Verwirrt ziehe ich mich ein Stück zurück und springe. Das nächste Mal, als ich auftauche, sehe ich zwei Gestalten auf dem toten Tier stehen und mir zuschauen. Erfreut springe ich erneut, schieße unter dem Bauch des Tieres hindurch auf die andere Seite. Jetzt deutet der eine Zweibeiner auf mich. Der andere nickt. Ich sehe von einem zum anderen und tauche wieder. Mit Leichtigkeit folge ich dem langsamen Tier der Zweibeiner. Während ich ruhig neben ihnen herschwimme, verschwindet der eine. Der andere schmeißt mir kleine Schwimmer zu. Gierig verschlinge ich sie. Dann kommt der andere wieder hinzu. Er hält etwas kleines in seinen Flossen und zeigt damit auf mich. Fragend schaue ich ihm zu und springe etwas höher aus dem Wasser. In diesem Moment höre ich einen leisen Knall. Erschrocken zucke ich zusammen, kann aber nicht verhindern, dass mich etwas Spitzes in die Seite trifft. Erinnerungen steigen auf. Meine Schwester. Schützend schiebt sie sich zwischen mich und den Schatten. Ich versuche wieder wie wild frei zu kommen, kann aber nur noch hilflos mit ansehen, wie der Schatten sich auf einen erneuten Angriff vorbereitet. Verzweifelt versuche ich, mich zu bewegen und komme doch nicht vom Fleck. Mein Körper ist taub und gehorcht mir nicht mehr. Doch es legt sich keine Dunkelheit um mich. Reglos muss ich verfolgen, wie die Zweibeiner ein kleineres totes Tier ins Wasser lassen und zu mir schwimmen. Ich versuche, nach meinen Eltern zu schreien, doch auch meine Stimme schweigt. Dann wird mein Körper angehoben und ich sehe den Rest nur noch durch einen dichten Nebel. Mein Kopf dröhnt, als ich mich endlich wieder bewegen kann. Unruhig sehe ich mich um. Auch wenn ich dieses Mal gesehen habe, dass die Zweibeiner mich an einen anderen Ort gebracht haben, kenne ich ihn nicht. Das Wasser hier ist anders. Das ist das Erste, was ich bemerke. Es ist zu rein, weist nichts von den kleinen Verschmutzungen durch eine raue See und Sandbänke auf. Über mir leuchtet noch die gleiche brennende Scheibe, doch unter mir sieht es anders aus. Eiskalter Stein bedeckt den Boden, hat nichts Natürliches an sich. Diese Gegend macht mir Angst. Sie singt nicht. Sie bewegt sich nicht. Sie ist tot. Und da wird mir bewusst: Ich hätte nicht die Schatten fürchten müssen, sondern diese harmlos wirkenden Zweibeiner, die dafür gesorgt haben, dass ich so fern meiner Familie bin, dass ich ihren Ruf im Wind und unter Wasser nicht mehr vernehmen kann. Eine Berührung an seiner Seite. Zu schwach, um die Augen zu öffnen. Wieder ein Ruf. Dann war da nur noch Stille. Und das Wasser. Das Wasser, dass ihm einst Freiheit schenkte und jetzt sein Gefängnis bildete. Es wurde Zeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen. Umgeben von rauschendem Wasser öffne ich langsam meine Augen. Es ist klares, gutes Wasser. Voller Leben, Gedanken, Gefühlen. Feiner Sandboden ist direkt unter mir, so weiß und weich, dass es zum Schlafen und Träumen anregt. Kleine Schwimmer huschen an mir vorbei, glitzern in ihrem ganz eigenen Schein. Über mir vergeht der Schrei eines Fliegers. Die brennende Scheibe erwärmt das Wasser, lullt mich ein. Auch meine Schwester ist wieder da. Sie stupst mich keck mit ihrer Schnauze an. Willkommen. Zufriedenheit umhüllt mich, als ich mich in ihrer Wärme und Zuneigung sonne, der See lausche - so wie ich es einst getan habe. Und da weiß ich: Ich bin zu Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)