Face to Face von Franlilith ================================================================================ Kapitel 4: four --------------- Den gesamten Sonntag herrschte eine so bedrückende Stimmung zwischen Shinji und Takeru, dass sich Letzter wirklich fragte, warum er nicht einfach hatte den Mund halten können. Shinji musste nun um sein Unverständnis gegenüber Schwulen und somit auch ihm. Das ganze hatte in ihr vorher noch so entspanntes Verhältnis eine tiefe Kerbe geschlagen und nun, war es Takeru, als wäre ER dem anderen zuwider. Eigentlich hatte er es umgekehrt erwartet. „Takeru?“, fragte sein Vater ihn nach dem Mittagessen, als Shinji und Masaki bereits den Raum verlassen hatten. Der Angesprochene schreckte auf und blinzelte. Seine Gedanken waren noch immer so konfus, dass er gar nicht richtig da war. „Ist alles in Ordnung? Du siehst schon seit Freitagabend so nachdenklich aus, ist etwas passiert?“, wollte er wissen. Takeru seufzte leise. Was sollte er darauf antworten? Weder Masaki noch seinem Vater war entgangen, dass er nicht ganz bei sich war. Wie sollte er das auch verheimlichen? „Ich brauche wohl noch etwas mehr Zeit zum eingewöhnen“, log er und versuchte seinen Vater so gut es ging lächelnd ins Gesicht zu sehen. Er scheiterte kläglich. „Ach das wird schon, mach dir darüber mal keine Gedanken. Aber da ist doch noch was, oder?“ Takeru sah zur Seite. Selbst sein Vater durchschaute ihn, obwohl sie sich eigentlich kaum mehr kannten. Er konnte seine Gefühle nie gut unterdrücken oder verstecken. Shinji hingegen, hatte sich nicht anders benommen als sonst. Er war frühs mies gelaunt aufgestanden und hatte nach seinem Kaffee, sich freudig ans lernen gemacht. Er beherrschte seine Rolle wirklich perfekt. Langsam öffnete Takeru den Mund. Irgendwie hatte er das Bedürfnis mit jemandem zu reden. Doch kaum hatte er drüber nachgedacht, fielen ihm Shinjis Worte wieder ein: „Sollten meine Mutter und dein Vater auch nur ein Wort erfahren, mach ich dir das Leben hier zur Hölle. Dieser Warnung darfst du gern ernst nehmen.“ Er kam sich wirklich eingeschüchtert vor. Schnell lächelte Takeru und schüttelte den Kopf. „Nein, dass ist wirklich alles. Das braucht halt alles etwas Zeit“, erklärte er und stand dann auf, um den Raum zu verlassen. Kaum war er im oberen Stockwerk angekommen, sah er direkt auf Shinjis schmale Gestallt, die mit verschränkten Armen am Türrahmen zu seinem Zimmer stand. „Na also, du scheinst dich an unsere Abmachung zu halten“, meinte er und schmunzelte kühl, als Takeru leicht mit der Unterlippe zuckte. „Du meinst wohl ehr, an deine Drohung“, murrte er zurück und seufzte leise, als er in Richtung seines Zimmers ging. Was wollte der bitte an seinem Zimmer? Hatte er kein Eigenes? „Das ist aber ein hässliches Wort.“ Shinji lachte leise. Takeru wollte einfach nur in sein Zimmer und nichts mehr hören oder sehen. Es war nicht so, dass er sich allen ernstes etwas aus Shinjis Drohung machte. Dennoch wollte er seine Ruhe. Sein Vater würde einen Anfall bekommen, wenn seine „beiden“ Söhne ständig stritten. Von Takerus Mutter – die das gewiss erfahren würde – mal ganz abgesehen. Die Tatsache, dass Shinji sich ihm nun einfach in den Weg stelle, machte es ihm nicht gerade einfacher, nicht doch einen Streit anzufangen. „Was ist denn?“, fragte er gereizt worauf Shinji nur seufzte. „Jetzt mal im ernst, können wir das Kriegsbeil nicht begraben? Ich gebe zu, ich war gestern etwas garstig, aber auf deine Reaktion kenn ich leider keine andere Antwort.“ Takeru – der gerade direkt vor Shinji stand – starrte diesen mit großen Augen an. Was war das gerade? So was Ähnliches wie eine Entschuldigung? Im Grunde, musste er das gar nicht. „Was soll das heißen, du kennst keine andere Antwort?“, wollte er verwirrt wissen und ignorierte den Friedensvorschlag völlig. Irgendwie machte sich irgendwo tief unten in seiner Magengegend so etwas wie Neugierde breit. Shinji schlug seinen Charakter nicht nur um wie das Wetter, er sprach auch ständig in Rätseln. Seine ganze Art, passte nicht in das Bild, dass Takeru von seinesgleichen hatte. Er war nicht sensibel, nicht angreifbar oder sehr leicht auf die Palme zu bringen. Weder Takerus Anfeindungen, noch seine klaren Argumente hatten etwas wie Schmerz in diesem Jungen ausgelöst. Warum war das so? Stand Shinji einfach drüber? Musste er keine Angst haben, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden? So viele Fragen machten sich in seinem Kopf breit, ohne dass er es wollte oder kontrollieren konnte. Shinjis Seufzen holte ihn in die Realität zurück. „Können wir das in deinem Zimmer besprechen? Ich will das nicht auf dem Gang klären müssen“, erklärte er und schob Takeru einfach nach vorn, dass er in sein Zimmer stolperte. Shinji folge ihm und schloss die Tür, ehe er sich daran lehnte. Er hielt gebührenden Abstand. „Ich habe nicht ja gesagt“, grummelte Takeru und erhielt nur einen bitterbösen Blick seitens Shinji. „Du verstehst es nicht, oder? Wenn meine Mutter was mitbekommt, bin ich geliefert“, erwiderte er nachdrücklich. „Dann solltest du vielleicht nicht schwul sein.“ Irgendetwas in Takeru sagte ihn, dass er diesen Satz nicht hätte aussprechen sollen. Shinji verzog das Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. „Du...“, knurrte er leise, worauf Takeru ein paar Schritte zurückging. Der Andere durchbohrte ihn mit seinen Blicken. „Du intolerantes Arschloch!“ Er warf Takeru diese Worte an den Kopf, als wären sie pures Gift. Normalerweise, wäre das eine der Reaktionen gewesen, die darauf hinwiesen, dass die Person auf die Sticheleien angesprungen war. Doch Shinji brodelte vor Wut. Nicht so wie die anderen, die Takeru sogar herb beleidigt hatte. Die hatten lediglich mal gesagt, er solle damit aufhören oder etwas ähnliches. Shinji hingegen wurde mächtig ausfallend. „Denkst du tatsächlich ich habe mir ausgesucht schwul zu sein oder was? Aus deinem Mund klingt es, als sollte ich eine Jacke nicht tragen, die mir nicht steht!“, fauchte Shinji angrifflustig. Takeru blinzelte verwirrt. Woher der plötzliche Ausbruch? Das war doch nur ein dummer Satz gewesen. Nun gut, er war mit Absicht so formuliert wurden, aber das war doch keinen Grund, gleich so auszurasten. Er hob abwehrend die Hände. „Ist ja gut, krieg dich mal wieder ein“, meinte er und bemerkte in dem Moment gar nicht, dass er Shinjis Wut nur noch mehr schürte. „Ich soll mich einkriegen? Ich werde dir mal was verraten! Ich hatte wirklich vor, wieder normal mit dir zu reden, weil ich dachte ich wäre gestern etwas zu rabiat gewesen, aber ich hätte wissen müssen, dass du es nicht anderes verdient hast. Er beantworte dir deine Frage: Bei Leuten wie dir - die so schrecklich intolerant und dumm sind, dass sie sich über Leute die anderes sind lustig machen – kenne ich nur eine Antwort und die heißt: Wie du mir so ich dir!“, zischte Shinji ihm entgegen. Trotz seiner enormen Wut, versuchte er nicht zu schreien, auch wenn er wahrscheinlich nicht wenig Lust dazu gehabt hätte. Takeru starrte den anderen verdattert an. So eine klar und deutliche Antwort hatte er noch nie bekommen und das schlechte Gewissen, dass sich gerade in ihm breit machte, auch nicht. Dieser Kerl hatte seine ganz eigenen Waffen, seine eigene Art, mit Intoleranz klar zu kommen. Konfrontation. Er versteckte sich nicht, er schlug verbal zurück. Wenn er nicht sogar fähig dazu war, Gewalt anzuwenden. Um ehrlich zu sein, wusste Takeru nun gar nicht mehr, was er antworten sollte. Soviel Klarheit auf einmal musste er erst einmal verdauen. Sie standen sich weiterhin gegenüber. Ohne das Takeru den stechenden Blick Shinjis erwidern konnte. Nun war er mal der in die Ecke gedrängte. „Was ist los? Fehlen dir die Worte, oder was? Hat dich die „Schwuchtel“ jetzt sprachlos gemacht?“, stichelte er kühl, während Takeru zusammenzuckte. Es stimmte, er war wirklich sprachlos. All die bösen Kommentare, die er jemals zu anderen gesagt hatte, schien er gerade postwendend zurückbekommen zu haben. Jedenfalls kam es ihm so vor. Shinjis Worte wogen schwer, hart und gnadenlos. Er kam sich gerade so schäbig vor, dass er nicht mal etwas erwidern konnte. Wusste er doch sonst immer auf alles einen bissigen Kommentar. „Tzz...“, machte Shinji und stemmte seine Arme in die Hüfte. „Du bist mir vielleicht ein Held. Sag mir doch mal, was dein Problem ist. Ich habe dich doch nie gezwungen so zu leben wie ich, oder?“ Takeru sah verwirrt auf, direkt in Shinjis abwartende Augen. Die Frage überforderte ihn nun total. Egal wie oft er sie sich selbst schon gestellt hatte, immer wurde sie im Ansatz wieder fallen gelassen, weil sie für ihn als unrelevant galt. Doch Shinji erwartete nun eine Antwort. Was sollte er weiter sagen, als das, was ihn daran so anekelte? „Ich...“, begann er und sah nun stur in Shinjis Augen. „Kann’s einfach nicht verstehen. Es gibt unzählige hübsche Mädchen da draußen und Leute wie du, suchen sich nur ihresgleichen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, was so toll daran sein soll.“ Er starrte Shinji an, der leicht blinzelte und dann den Kopf schräg legte. „Willst du mir erzählen, dass du Schwule nur nicht magst, weil du sie nicht verstehst?“, fragte er scheinbar reichlich ungläubig über dieses Geständnis. Takeru nickte nur. „Ganz genau“, meinte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Shinji hingegen schüttelte nur seufzend den Kopf. „So was kann echt nur von einer Hete kommen. Du bist ganz schön altmodisch, hast du das von deiner Mutter?“, fragte er und lachte spöttisch. Takeru knurrte. „Was geht’s dich an? Aber damit es dich beruhigt: Nein, meine Mutter ist völlig tolerant. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man so was mit sich machen lassen kann!“ Er sah, wie der Schwarzhaarige den Kopf schüttelte. Er schien gar nicht zu verstehen was Takerus Problem war. Natürlich nicht, er war ja auch der Homo von ihnen. Dennoch, vielleicht war er einfach mit dieser viel zu simplen Erklärung nicht einverstanden. „Willst du es verstehen?“, wurde er mit einem mal gefragt und starrte Shinji mit großen Augen an. Was war denn das für eine Frage? Was meinte er mit verstehen? „Hä?“, machte Takeru darum nur und brachte Shinji zum lachen. „Oh nein“, lachte er und musste sich an der Tür festhalten, um nicht laut lachend zu Boden zu gehen. „Ich glaub es nicht!“ Takeru war nun völlig mit seinem Latein am Ende. Warum lachte der jetzt, als hätte er Drogen geschluckt? Shinji hielt sich den Bauch und versuchte nach Luft zu schnappen, als er sich die Lachtränen aus dem Gesicht zu wischen. „Tut mir leid aber...und dich habe ich angeschrieen...ich brech zusammen!“, jauchzte er und schlug leicht mit der Faust gegen die Tür. Na, der schien sich gerade wirklich prächtig über Takeru zu amüsieren! Kicherte hier rum, wie ein Irrer und erklärte nicht mal warum. „Hey! Was soll das Gegacker?!“, rief er aufgebracht und langsam schien sich Shinji von seinem Lachkrampf zu erholen. Er strich sich über die Augen. „So jemanden wie dich anzuschreien, ist echt völliger Blödsinn...“, grinste er und strich sich die Haare zurück, die ihm ins Gesicht gefallen waren. Takerus Augenbraue begann zu zucken. Jetzt war aber mal gut! „Hör jetzt auf mich für blöd zu verkaufen!“, forderte er, worauf Shinji leicht lächelte. „Ich erkläre es dir: Ich habe für einen Moment wirklich gedacht, du würdest mich dafür hassen, dass ich schwul bin und war so wütend...aber...“, wieder fing er an zu lachen. „Aber?“, murrte Takeru und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl. „Aber du...hast einfach nur keine Ahnung, habe ich recht? Du hast nicht einmal die kleine Andeutung verstanden. Kann es sein, dass du...“, setzte Shinji an, worauf Takeru nur irritiert blinzelte. „...noch Jungfrau bist?“, beendete er einfach seinen Satz und in Sekundenbruchteilen schoss Takeru die Schamröte ins Gesicht. „Bitte was?!“ Seine Unterlippe begann wieder zu zittern, während er die Hitze in seinem Gesicht förmlich spüren konnte. Das war doch die Höhe! Das ging den Kerl ja mal gar nichts an! Abgesehen davon, hörte sich das bei einem Jungen komisch an! Shinji grinste. „Ich habe also recht, kein Wunder, dass du es nicht verstehen kannst...na ja, jedenfalls nicht ansatzweiße.“ Takeru biss sich knurrend auf die Unterlippe. „Hör auf irgendwelche Behauptungen aufzustellen! Das geht dich ja wohl gar nichts an!“ Wie waren sie in diese überaus peinliche Unterhaltung geraten? Takeru war nicht der Typ, der über so was gern sprach. Denn dummerweise hatte Shinji mit seiner Annahme ganz recht, er war tatsächlich noch völlig unerfahren. Aber was bedeutete das mit fast siebzehn Jahren schon?! Er war zwar schon mit Mädchen zusammen gewesen, aber soweit noch nicht gegangen. Was erlaubte sich Shinji eigentlich darüber zu lachen?! „Oh, versteh mich nicht falsch, ich verurteile dich nicht. Aber damit habe ich meine Erklärung für dein Verhalten“, lächelte Shinji und strich sich seine Haarsträhnen hinters Ohr. „Und die wäre?“, fragte Takeru seinerseits misstrauisch nach. Der Kerl schien ja viel Ahnung von ihm zu haben, er tat zumindest so verdammt altklug. Dabei war er jünger als Takeru! Shinji grinste. „Weil es meist Jungs sind die noch völlig unerfahren sind, die sich über vermeidlich oder wirklich Homosexuelle lustig machen. Ein ganz natürlicher Reflex, weil man es sich ja Allgemein noch nicht mal richtig vorstellen kann, mit jemandem zu schlafen.“ Takeru brodelte innerlich vor Wut. Was sollte diese bescheuerte Klugscheißerei? Shinji war gerade mal sechzehn Jahre! Wie zur Hölle konnte er sich dieses besserwisserische Getue erlauben? In seinem Alter konnte er gar soviel Erfahrung auch wieder nicht haben! „Lass die Besserwisserei! Wann ich mit jemandem schlafe ist doch ganz allein meine Sache! Wann hast du denn? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das schon solange her ist!“, knurrte er Shinji entgegen. Dessen Grinsen verschwand plötzlich und wich einem bedrückten Gesicht, als er sich auf die Unterlippe biss. Takeru schien wirklich ein Talent dafür zu haben, ins Fettnäpfchen zu treten. Aber was machte der ihn auch sauer? „Ich...“, murmelte Shinji und legte seine Hand plötzlich auf die Türklinke, als wollte er versuchen schnell zu verschwinden. „Hier geblieben!“, warnte Takeru. Er konnte auch nicht einfach abhauen, wenn das Gespräch zu heikel wurde. Shinji blinzelte und löste seine Hand wieder vom Griff. Dann seufzte er. „Ist ja gut...“, murrte er. „Du hast mich auch einfach belehrt! Jetzt will ich auch mal eine Antwort!“, forderte Takeru mit zusammengezogenen Augenbrauen und brachte Shinji zum Schlucken. Jetzt war der Moment gekommen, in dem Takeru ihn in die Ecke getrieben hatte, aber in seiner Wut wurde ihm das kaum klar. „Was geht es dich an...?“ Shinji sah betreten zur Seite, doch starrte gleich zu Takeru zurück, als der aufsprang. „Das habe ich dich vorhin auch gefragt! Und du hast trotzdem weiter nachgehakt, eigentlich eher spekuliert. Dich geht es bei mir ja auch nichts an, oder nicht?“, fragte er und ballte die Hände zu Fäusten. Shinji biss sich noch fester auf die Unterlippe, schien zu wissen, dass er da jetzt nicht raus kam. „Ach ja okay...ich war vierzehn...zufrieden?“ Takeru starrte Shinji geschockt an. Er hatte jetzt viel erwartet, vielleicht sogar, dass der andere ihm jetzt sagte, dass er noch gar keinen richtigen Sex gehabt hatte. Aber...DAS kam unerwartet! „...vier...vierzehn?“, fragte er nochmals nach, worauf Shinji nur die Augen verdrehte. „Ja...ich erzähl dir keine Märchen“, murrte er und sah nun peinlich berührt in eine andere Richtung. Takeru war schockiert. Wie konnte man in so einem Alter schon... Kein Wunder, dass er nicht wollte, dass es jemand erfuhr. Das war wirklich extrem früh. „Mit einer...Frau oder...?“, stotterte Takeru seine nächste Frage. „Die Frage ist doch unsinnig, oder? Was denkst du denn...mit einem Mann natürlich...“ Shinji wirkte irgendwie wie ein Hund, den man am Genick gegriffen hatte. Er schien sich kaum bewegen zu können, nicht einmal weglaufen konnte er. Takeru hatte nun irgendwie doch ein schlechtes Gewissen. Er wusste ja nicht, ob dieses erste Mal von Shinji gewollt gewesen war. Vielleicht hatte er nicht viel Ahnung, aber ihm war klar, dass so was in dem Alter bestimmt nicht geplant passierte. „Oh...darf ich fragen, wie alt?“ Shinji lächelte spöttisch. „Ich dachte, du findest es eklig? Jetzt scheinst du ja richtig neugierig zu sein. Glückwunsch, dass du meine Schwachstelle herausbekommen hast“, zischte er und kaute sich auf der Lippe herum. Takeru senkte beschämt den Kopf. Er hatte sich noch nie so schlecht gegenüber einem „Opfer“ – auch wenn man Shinji nicht wirklich so bezeichnen konnte - gefühlt. Er schien einen verdammt wunden Punkt erwischt zu haben und fragte sich selbst, warum er den anderen jetzt so ausquetschte. „Ich...“, begann er, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Shinji seufzte hörbar. „Also gut...er war zwanzig“, erklärte er und langsam, war sich Takeru nicht mehr sicher, wann denn endlich die Spitzte erreicht war. Unfassbar was Shinji ihm da erzählte. „Zwanzig? Aber dann...hat er dich...ich meine...wurdest du...?“, stotterte er irritiert. Er mochte gar nicht aussprechen, was er gerade dachte. Er hatte sich immer nur über Schwule lustig gemacht, dass vielleicht etwas ganz anderes dahinter stecken konnte, hatte er nie bedacht. Er hoffte, dass seine Vermutung falsch war, zweifelte aber etwas, als Shinji ihm in die Augen sah. Dann jedoch lachte er leise und schüttelte den Kopf. „Nein, ich wurde von ihm nicht vergewaltigt, wenn du das denkst. Und ich bin froh darüber...“, erklärte er und Takeru spürte förmlich, wie sich seine Anspannung löste. Egal was er von Schwulen hielt und wie er ihnen gegenüber trat. So was hatte keiner verdient, wirklich niemand. „Aber, ganz freiwillig lief es trotzdem nicht ab. Ich kann mich erinnern, wirklich Angst gehabt zu haben, aber er war nicht brutal oder grob zu mir. Sonst, wäre ich nicht so, wie ich bin“, erläuterte Shinji und nun schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Takeru war erstaunt, dass es ihn nicht störte, was der Andere ihm da erzählte. Es war nicht so, dass es ihn anekelte, mit Shinji darüber zu reden. „Aber...wenn er zwanzig war...dann hat er sich doch Strafbar gemacht, oder?“, wollte er leise wissen, worauf Shinji langsam nickte. „Ja...laut dem Gesetz würde es als Kindesmissbrauch gelten. Aber ich habe ihn natürlich nicht angezeigt. Verstehst du nun vielleicht, warum ich das meiner Mutter nicht sagen kann und selbst wenn, die Wahrheit müsste ich ihr verschweigen. Ich will nicht, dass sie ihn, oder irgendeinen anderen anzeigt. Sie haben nichts Schlechtes getan, außer bei meinem ersten Mal, war ich immer vollkommen einverstanden“, erklärte er und ging jetzt eine Stück in den Raum hinein. Blieb vor dem niedrigen Tisch stehen. „Darf ich mich setzten? Oder bin ich dir immer noch zu wider?“, fragte er mit einem Blick, der Takeru fast zum heulen gebracht hätte. Der wusste genau, wie er anderen ein schlechtes Gewissen einreden musste! Takeru fühlte sich so elend. Vielleicht war das der Grund, warum er Shinji nicht wegschicken wollte. Oder aber, er war nun wirklich neugierig. Nie hatte es ihn interessiert, warum diese Jungen auf Männer standen, er hatte es nur schrecklich gefunden. Shinji hingegen erzählte ihm mehr oder weniger leichtfertig Dinge, die wirklich sehr viel Gewicht für ihn haben mussten. Er ließ sich nichts gefallen, trotz der Tatsache, dass ihm viele Sachen sicher vor anderen peinlich waren. Und doch, er hatte Takeru eine Antwort auf seine Frage gegeben, da er ihn auch ausgequetscht hatte. „Ja...setzt dich...“, meinte er leise und seufzte erleichtert, als Shinji wieder leicht lächelte. Vielleicht sollte Takeru einfach versuchen Shinji irgendwie zu verstehen. Schließlich mussten sie für den Rest des Jahres zusammenwohnen und in eine Klasse gehen. „Ähm...“, begann Takeru wieder und erhielt sogleich Shinjis Aufmerksamkeit. „Dieser Ryo, der ist aber gar nicht so alt, warum sollte deine Mutter ihn anzeigen?“, wollte er wissen. Shinji legte den Kopf schief, dann schien er zu verstehen. „Ich bin nicht mit Ryo zusammen, wenn du das denkst“, antwortete er und erhielt einen mehr als fragenden Blick seitens Takeru. Wie sie waren nicht zusammen? Aber, was hatte er denn da am Freitag gesehen? „Aber...ihr habt doch...?“ Er war verwirrt. Shinji schmunzelte. „Ja, schon. Aber wir sind nicht zusammen, ich bin mit keinem der Männer zusammen gewesen.“ Takerus Blick wandelte sich in Unverständnis um. Dann machte er das alles und ließ es mit sich machen, einfach nur um der Sache willen? „Dann...schlafen sie nur mit dir...nichts weiter?“, hakte er nun vorsichtig nach. Es war komisch. Eigentlich wäre seine Reaktion darauf bloßes Missfallen gewesen. Das war es innerlich eigentlich auch, aber ihm war bei Shinji wohl die Lust vergangen, zu streiten. Es brachte ja eh nichts und außerdem erzählte er so freiwillig das, was Takeru nie verstanden hatte. Vielleicht gab es ja doch mal eine Erklärung. Seine Mutter hatte sein Verhalten immer als dumm und oft sogar verdammt hinterhältig bezeichnet. Sie hatte – wie Shinji – immer gesagt, er sollte nicht das schlecht machen, was er nicht verstand. Eigentlich war er wohl nur so, weil seine Freunde es auch gewesen waren. „Na na, was heißt hier sie schlafen mit mir? Ich bin doch keine Nutte“, mahnte er und wedelte vor Takerus Augen, mit seinem Zeigefinger umher. Dieser Junge hatte vielleicht eine Aussprache. Takeru verpackte solche Worte immer gern. „Das ist umgekehrt genauso. Aber potenziell: Ja, dass ist alles. Ich habe keine Beziehung mit ihnen und ich liebe auch keinen von ihnen.“ Shinjis Ausführung, war so simpel, dass Takeru erstaunt war. Es war eben so, man konnte daran nichts ändern. Aber was war das für eine Art? Außerdem hörte es sich so an, als wären es mehrere Männer mit denen Shinji „verkehrte“. „Ihnen? Wie viele waren es denn schon?“ Irgendwie war Takeru die Frage im nachhinein peinlich. Eigentlich war das ganze Gespräch peinlich für ihn, obwohl er Shinji nur ausfragte. Aber genau das war wohl das schlimme. Erst gifteten sie sich so an – und Takeru musste zugeben, dass er wirklich intolerant war – und nun war er neugierig, auf das, was Shinji zu dem gemacht hatte, was er nun mal war. Warum er Männer vorzog, sie scheinbar aber nur zum Vergnügen ausnutzte und wie es überhaupt dazu gekommen war. „Du bist ganz schön neugierig. Ich habe erwartet, dass du wieder anfängst mich zu beleidigen. Aber scheinbar, kann man mit dir darüber doch normal reden“, merkte Shinji mit einem grinsen an, worauf Takeru nur etwas rot wurde. Toll, jetzt hatte er sich verraten. Schnell sah er zur Seite. „Du hast mich doch gefragt, ob ich es verstehen will, oder? Ich möchte jedenfalls versuchen, daraus schlau zu werden. Hab kein Bock, mich den Rest des Jahres, mit dir zu zoffen“, erwiderte Takeru und murrte, als Shinji leise lachte. „Na schön, wenn du es wissen möchtest, erzähle ich es dir. Ich verspreche auch nicht gar so ins Detail zu gehen, in Ordnung?“ Shinji lächelte und Takeru konnte nicht anderes, als seufzend Luft zu holen. Das hier war wirklich eine mehr als seltsame Atmosphäre. Aber er war innerlich froh, er hätte das Anschweige und Streiten nicht lange ausgehalten. Es war ihm schon immer zuviel gewesen, wenn seine Mutter und er sich angeschrieen hatten. Er mochte es einfach nicht, wenn es so dicke Luft gab. „Ich kann dir so direkt keine Zahl nennen. Es waren nicht wenig, vielleicht fünfzehn, ich weiß es nicht“, begann Shinji weiter zu erzählen und sofort wurden Takerus Augen wieder etwas größer. „Und das seit du vierzehn bist?“, fragte er geschockt und blinzelte, als sein Gegenüber nickte. „Ja, seit ich mit diesem Mann zu ihm nachhause gegangen bin. Da fing das an“, erklärte er und sah nun peinlich berührt in eine andere Richtung. Es war ihm also doch unangenehm darüber zu reden. Klar, die Dinge die er hier preisgab, waren wirklich sehr heikel. Wenn nicht sogar verehrend, wenn das jemand raus bekam. Aber ob er wusste, was Takeru mit diesen Informationen alles anrichten konnte, wenn er denn wollte? Nicht, dass er zu so etwas wirklich fähig war. Er mochte in seiner alten Klasse wirklich gemein zu diesem Jungen gewesen sein, aber der hatte nicht die Dinge erlebt, die Shinji ihm gerade schilderte. Zudem hatte er ein wenig Respekt vor dem anderen, er wusste nicht, ob der seine Drohungen wirklich wahr machte, wenn Takeru nicht schwieg wie ein Grab. „Das ist ziemlich extrem...aber, ich meine, du hast gesagt, das mit diesem Mann war nicht ganz freiwillig, oder? Warum hast dir dann andere gesucht?“ Takeru verstand Shinjis Beweggründe nicht ganz. Es war ja schon ziemlich erschreckend, dass er noch so jung gewesen war, aber dass er seitdem so viele Lover gehabt hatte, war noch tragischer. „Weil ich Blut geleckt habe, könnte man sagen“, erwiderte er grinsend und ließ Takeru das Gesicht verziehen. „Ach was?“, murrte er und brachte Shinji erneut breit zum grinsen. „Ganz recht. Vielleicht hätte ich mich auf einen einigen sollen. Oder bei diesem Mann bleiben sollen, aber es war die ersten paar Mal nicht möglich.“ Takeru blinzelte. „Warum denn nicht?“ Shinjis Grinsen wurde bedrückt. „Weil ich zu jung war. Ich bin mit ihnen mitgegangen, sie sind über mich „hergefallen“ – könnte man sagen – und haben mich wieder weggeschickt. Deswegen kenn ich es nicht anders, so was prägt sich ein. Deswegen, kann ich auch heute noch keine Beziehung führen.“ Und genau in diesem Moment, fühlte sich Takeru wirklich abscheulich. Seine Vorurteile mochten für ihn verständlich sein und für seine früheren Freunde, aber nun, waren sie für ihn nur noch dumme Ausreden. Er hatte Mitleid mit Shinji. Vielleicht würde er nie, wirklich mit jemandem glücklich zusammenleben können. Mit einer Frau ja schon mal gar nicht, weil er sie nicht sonderlich mochte. Er kannte es gar nicht - eine Beziehung führen, verliebt sein. Etwas, dass Takeru ihm wohl voraus hatte. Er mochte vielleicht noch keine direkte sexuelle Erfahrung haben, aber er war mit Mädchen zusammen gewesen, die er – zumindest eine von ihnen – sogar richtig geliebt hatte. Auch wenn sie seine erste Liebe gewesen war und es nicht lang gehalten hatte. Er probierte sich aus und hatte da sein ganz eigenes Tempo. Shinji nicht. Er war in diesem, sich immer wiederholendem, Kreis gefangen und kam da nicht raus. Weil er nichts anderes kannte. Takeru blinzelte. Nichts anderes kannte... So wie er. Er kannte nur Mädchen, weil er mit ihnen wie selbstverständlich immer zutun gehabt hatte. Und Shinji kannte nur Männer, weil er mit ihnen seine ersten Erfahrungen gesammelt hatte. Also konnte er ihm nichts vorwerfen, oder? Er hatte nicht einmal das Recht dazu. „Das...das tut mir leid...“, murmelte er leise und sogleich starrte Shinji ihn irritiert an. „Warum tut dir das leid? Muss es doch gar nicht“, lachte er, doch Takeru schüttelte betreten den Kopf. „Ich merke gerade nur, dass ich mich wirklich wie ein Arschloch benommen habe. Ich meine, ja, ich mag Schwule nicht besonders, aber ich habe ja auch nie gefragt, warum man es ist. Ich kann deinen Ausbruch von vorhin irgendwie verstehen“, sagte er und senkte den Kopf. Doch Shinji schmunzelte nur und zuckte mit den Schultern. „Denk das nicht so pauschal, ich finde, es muss keine Gründe dafür geben, schwul, lesbisch oder hetero zu sein. Das ist kein Trauma, sondern einfach so. In meinem Fall ist es dumm gelaufen, aber ich weiß nicht wie es anderes gewesen wäre. Ich kam als Kind schon sehr schlecht mit Frauen aus. Nicht, dass sie mir zuwider waren, aber ich wollte ihnen nie zu nah kommen“, erklärte er lächelnd. „Das was mich an deinen Aussagen geärgert hat, war eigentlich, dass du meintest, dass man einfach nicht schwul zu sein hat. Aber dann kann ich auch sagen, dass man nicht Hetero sein kann, verstehst du, was ich sagen will?“ Er sah Takeru tief in die Augen. Es war, als hätten sie die letzten Tage nur aneinander vorbei geredet, ohne sich gegenseitig zugehört zu haben. Wobei Takeru eher das Gefühl hatte, es nicht getan zu haben. „Ich glaube schon. Nur, habe ich es nie anderes gekannt. Ich mochte Mädchen auf eine normale Art und Weiße und in meinem Umfeld gab es nur „normale“ Familien, mit Kindern und Hunden. Dieses Bilderbuchleben könnte man sagen. Ich habe es selbst nicht gelebt, aber immer überall gesehen. Meine Freunde waren genauso.“ Takeru lächelte aufgesetzt. Er selbst war ja auch nicht „normal“, lebte mit seiner Mutter allein in Sapporo, wo sie von früh bis spät arbeiten musste. Es war nie so, wie er es bei anderen Familien gesehen hatte, aber er hatte sich als Kind gewünscht es wäre so gewesen. „Ich war in meinem ersten Jahr in der Oberstufe auf so viele neue Dinge gestoßen. Wollte nicht verstehen, wie der Junge aus meiner Klasse so war wie er war. Er mochte Mädchen nicht - genau wie du - und war eben mit einem anderen Jungen zusammen. Grund genug für mich und meine Freunde ihn zu verspotten. Ich fand das okay, schließlich war er nicht „normal“. Aber jetzt...während wir uns unterhalten, habe ich das Gefühl, mich total daneben benommen zu haben“, gestand er mehr sich selbst als Shinji, der ihm bis hierhin schweigend zugehört hatte. Dann stand er auf und legte eine Hand auf Takerus Schulter, der auf diese Geste aufsah. „Ich glaub, du hast es kapiert. Ich bin so wie ich bin“, meinte er und ging leicht in die Hocke. „Für niemanden würde ich mich ändern. Ich kann mich nicht dazu zwingen, mit einem Mädchen zusammen zu sein. Und dieser Junge da aus deiner früheren Klasse, der konnte es sicher auch nicht, oder?“ Takeru blinzelte, ehe er langsam nickte. Ja, dem war wohl so... „Du hast wohl recht...“, murmelte er und bemerkte, dass er es jetzt gar nicht so schlimm fand, von Shinji so normal berührt zu werden. „Na also...wollen wir nun das Kriegsbeil begraben? Ich möchte wirklich nicht mehr streiten und außerdem...“, lachte Shinji. „Bist du ein verdammt guter Lehrer, magst du mir Mathe erklären, ich verhau das morgen sonst?“ Er grinste auf Takerus verwirrten Blick. Dann fing er an zu lachen. „Okay“, meinte er und grinste zurück. Er würde diese Vorurteile so schnell vielleicht nicht fallen lassen können, aber er hatte wenigstens etwas Entscheidendes begriffen: Niemand sollte sich von einem anderen sagen lassen, wie er zu leben hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)