Melodie des Herzens von Scarla ================================================================================ Kapitel 1: Beginn im Mondlicht ------------------------------ Rakel schloss die Augen und lauschte. Es war nicht das erste mal, das sie ihn spielen hörte, im Gegenteil, doch für sie war jedes mal, wenn er flink mit seinen Fingern über die Tasten fuhr, als wenn sie ihn das erste mal spielen hörte. Sie liebte seine Musik, sie liebte es zu sehen, wie er voller Hingabe und die ganze Welt vergessend dem unscheinbaren Musikinstrument Töne entlockte, die den Zuhörer in eine vollkommen neue Welt entführte und ihn dort gefangen hielt, solange er spielte. Ja, er war Meister über Traum und Wirklichkeit, er bestimmte, ob sie mit ihren Gefühlen im hier und jetzt verweilten, oder ob er sie mit sich vorzog, in sein eigenes Land der Melodien und Empfindungen. Doch es gab wohl niemandem in diesem Raum, der nicht vollkommen dazu bereit war, ihm zu folgen. Sie musste unwillkürlich an den Rattenfänger von Hameln denken. Sie hatte sich vor beginn des Konzertes umgesehen und dabei viele bekannte Gesichter gesehen. Sie war nicht die einzige, die seiner Musik folgte. Die ihm folgte. Oh wie sehr sie sich wünschte, nach dem Konzert zu ihm gehen zu dürfen, um ihm zu sagen, wie sehr ihr seine Musik bedeutete! Sie hatte nicht ein Konzert verpasst, sie war ihm hinterher gereist, sie sehnte sich nach seiner Musik. Und nach ihm. Sie dachte zurück zu jenem Tag, als sie ihn das erste mal traf. Es war auf keinem Konzert gewesen, sondern im Park auf einer Bank. Sie war damals sehr traurig gewesen, weswegen wusste sie nicht mehr. Sie hatte da gesessen, im Regen, das Gesicht in die Arme vergraben und leise vor sich hin geweint. Sie hatte nicht gemerkt, dass sich jemand neben sie setzte, erst, als er sie fragte, warum sie weinte, da hatte sie aufgesehen und ihn angeblickt. Er hatte sie mit einem traurigen und fragenden Lächeln angeblickt und sie war seinem Blick sogleich erlegen. Sie hatte ihm alles erzählt, obwohl sie ihn nicht kannte, obwohl er bloß ein Fremder war, der im Regen neben ihr saß. Und er hatte zugehört. Er hatte mir ihr gesprochen, er hatte sie nicht mit irgendwelchen dummen Sprüchen abgespeist, sondern war für sie da gewesen. Er hatte ihr Mut zugesprochen und er hatte sie eingeladen, an diesem Abend ins Konzert zu kommen. Zur Ablenkung. Um ihn spielen zu hören. Ohne noch weiter zu erklären war er gegangen. Und hatte ihr Herz mit sich genommen. Sie war an diesem Abend wirklich ins Konzert gegangen und auf diesem ersten waren viele gefolgt. Sie hatte über ihn recherchiert, jeden Bericht gelesen, den sie finden konnte, selbst wenn er nur am Rande erwähnt wurde. Sie hatte versucht, noch einmal mit ihm zu sprechen, doch man hatte sie nicht zu ihm durchgelassen. Vermutlich hatte er sie sowieso schon lange vergessen, oder machte sich insgeheim sogar lustig über das kleine Mädchen, dass ihm so schnell ihr Herz ausschüttete. Mit einemmal verklang der letzte Ton. Es kam für sie so plötzlich, dass sie verwundert aus ihren Gedanken hochschrak. Melodin verneigte sich tief und verließ die Bühne. Schnell, fluchtartig. Wie immer. Sie hatte nicht das Gefühl, das er es mochte, von so vielen Menschen angestarrt zu werden, doch sobald er spielte, vergaß er es einfach. Sie kannte das Gefühl, ihr ging es immer so, wenn sie auf der Bühne stand und schauspielerte. Sie tat es nur als Hobby, doch sie tat es mit ihrem Herzblut. So wie Melodin spielte. Sie stand mit einem seufzen auf. Es war zwar nur Pause, doch er würde nicht mehr spielen, also konnte sie genauso gut nach Hause fahren. Das war den anderen Musikern zwar nicht ganz gerecht gegenüber, das wusste sie, aber sie hätte sowieso nicht mehr zuhören können. Sie schlüpfte nach draußen und schlenderte zur Bushaltestelle. Zu ihm vorzukommen würde sie sowieso nicht, sie hatte es schon so oft versucht. Sie musste mit dem Bus nach Hause fahren, denn sie wohnte nicht weit entfernt, und ihre Eltern hatten keine Lust gehabt, sie noch irgendwann Abends abzuholen, zumal sie nicht gewusst hatte, wann sie nach Hause kommen würde. Sie musste noch eine Stunde warten, der letzte Bus war eben gefahren. Sie hätte wieder ins Konzert gehen können, doch sie wollte nicht, stattdessen setzte sie sich und genoss die kalte Herbstluft. Es dauerte nicht lange, da spürte sie, wie ein Schatten um sie herum schlich, doch sie hatte keine Angst. Sie fühlte sich wohl bei Nacht, sie wusste nicht genau, wieso. Doch es war nur jemand anderes, der sich neben sie auf die Bank setzte. Sie schaute nicht einmal auf. »Lange nicht gesehen«, bemerkte mit einem mal eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Verwundert schaute sie auf und sah das Profil Melodins, der verträumt zum Mond hinaufschaute. Im ersten Moment wusste sie nicht einmal, was sie antworten sollte, so erstaunt war sie, dann jedoch nickte sie und lächelte. »Ziemlich lange, ja«, bestätigte sie und ein roter Hauch schlich sich auf ihre Wangen. »Was tust du heute Abend hier? Du wohnst doch ganz woanders«, sprach er weiter, ohne sie anzuschauen. »Ich… ja, äh… ich war im Konzert«, antwortete sie. »Und wieso gehst du jetzt schon?«, er schaute sie fragend aus seinen großen Rehaugen an. »Ich weiß nicht… ich würde sonst nicht nach Hause kommen… denke ich«, antwortete sie leise, und sein Stirnrunzeln zeigte ihr, was er davon hielt, aber er sagte nichts dazu. »Willst du nicht weiter zuhören?«, fragte sie irgendwann, doch er verneinte langsam. »Nein. Ich habe dich im Publikum gesehen und ich wollte wissen…«, er zögerte einen Moment, dann schaute er sie wieder durchdringend an. »Warum warst du damals nicht da, als ich dich eingeladen habe?« Sie blinzelte verblüfft. Diese Aussage kam ihr so absurd vor, dass sie einen Moment daran zweifelte, dass er es überhaupt ausgesprochen hatte. »Aber ich war da. Ich war auch bei fast jedem weiteren Konzert, ich war immer da, ich wollte dich doch spielen…!«, mit einem Schlag wurde ihr bewusst, was sie da zu sagen im Begriff war und brach abrupt ab und starrte, hochrot im Gesicht, peinlich berührt zu Boden. Erstaunt blickte er sie an, dann lächelte er zufrieden. »Ich hab dich wohl übersehen.« »Ja, vermutlich…«, antwortete Rakel und stand mit einem Ruck auf. »Ich muss gehen!« Eilig ging sie an ihm vorbei, da stand auch Melodin auf und folgte ihr schnell. »Ich möchte dich begleiten. Darf ich?«, er lief an ihr vorbei und ging rückwärts mit einem charmanten Lächeln vor ihr her. Rakel blieb verwundert stehen, zögerte einen Moment, dann nickte sie. Seite an Seite gingen sie weiter, wohin wusste Rakel eigentlich gar nicht so genau. Nur, das sie in etwa dieser Richtung das Dorf lag, in dem sie wohnte. Eine ganze Weile herrschte Schweigen, doch bevor es unangenehm und drückend werden konnte, schaute Melodin sie wieder mit einem lächeln an. »Hab ich gut gespielt? Hat es dir gefallen?«, fragte er neugierig. »Ich bin keine Musikerin, deswegen…«, weiter kam sie nicht, denn er schüttelte heftig den Kopf. »Ich will nicht wissen, wie es von der fachlichen Seite war, ich will wissen, wie du es fandest. Hat es dir gefallen?«, seine Augen schienen bis zum Grund ihrer Seele zu sehen. »Ja. Es gefällt mir immer. Ich… bin manchmal nur gekommen, um dich spielen zu hören«, sie wurde rot und schaute wieder zu Boden. »Das freut mich. Du musst wissen, ich spiele immer für eine bestimmte Person und es freut mich sehr, wenn es dieser Person gefällt«, er tänzelte zufrieden um sie herum, bevor er begeistert vor ihr zu stehen kam. »Ich möchte tanzen, die ganze Nacht hindurch!« Sie lachte, schüttelte aber sogleich den Kopf. »Ich muss nach Hause, sonst gibt es ärger«, erklärte sie und lächelte. »Ich bring dich nach Hause! Dann musst du nicht mit dem Bus fahren. Aber dafür möchte ich, dass du dich von mit zum Eisessen einladen lässt«, er streckte ihr auffordernd die Hand entgegen. »Eis? Bei dieser Kälte?«, sie lachte. »Dann eben ein warmer Kakao. Oder Kaffee, wenn dir das lieber ist«, seine braunen Augen blitzten. Rakel überlegte. Das Angebot war verlockend, doch sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen«, meinte sie und wollte an ihm vorbeigehen, doch er trat ihr blitzschnell abermals in den Weg. »Oh nein, das war kein Angebot, das war ein Handel, bei dem du kein Widerspruchsrecht besitzt«, erklärte er, drehte sie um und schob sie den Weg zurück, wen sie eben gekommen waren. »Was habe ich nicht?«, sie blickte lächelnd zu ihm hoch. »Du hast keine andere Wahl, du musst mit mir kommen. Aber keine Angst, ich werde dir kein Haar krümmen, wenn du brav deinen Kakao trinkst und dich danach brav nach Hause fahren lässt«, er grinste sie breit an und erst jetzt wurde Rakel wirklich bewusst, das das dies kein Traum war, sondern ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen war. So fügte sie sich mit einem Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)