Taste Of Confusion V von Karma (Nico x ...) ================================================================================ Kapitel 1: Eine verhängnisvolle Nacht ------------------------------------- Ja, ich lebe noch. Und ich habe zwischenzeitlich nicht das Schreiben verlernt, auch wenn es den Anschein gemacht hat. Ich hatte nur ein paar Probleme, dieses Kapitel - das eigentlich viel länger war - zu beenden. Und weil mich das erstens genervt hat und ich zweitens was zum Aufmuntern für mein Liebes brauchte, hab ich das Kapitel jetzt einfach gesplittet. Dann kann ich mir für den zweiten Teil etwas Zeit lassen. Ich hoffe, das ist okay für euch. So, genug gelabert. Viel Spaß mit dem ersten Kapitel richtigen Kapitel von Nicos Leben und Leiden. Ich hoffe, ihr amüsiert euch beim Lesen ebenso sehr wie ich beim Schreiben. ^___^ Karma ~*~ Helles, fast schon unangenehm grelles Licht sticht mir in die Augen und ich drehe mich murrend auf die andere Seite, um der Helligkeit zu entkommen und lieber noch etwas weiterzuschlafen. Dabei landet mein rechter Arm irgendwie auf einem Knubbel, der sich neben mir unter der Bettdecke befindet, und ich bin trotz meines eigentlich noch mindestens im Halbschlaf befindlichen Hirns reichlich irritiert. Wenn mich mein trübes, noch etwas verpenntes Erinnerungsvermögen nicht vollkommen im Stich lässt, hatte Evi doch letzte Woche erst mit mir Schluss gemacht, oder? Aber wenn das so ist, wer ist dann bitteschön dieser Knubbel in meinem Bett? Wobei ich mir, wenn ich es so genau betrachte, nicht mal hundertprozentig sicher bin, ob das hier wirklich mein Bett ist. Wo zum Teufel bin ich hier eigentlich? "Finger weg von meinem Arsch", nuschelt eine zu meiner grenzenlosen Erleichterung eindeutig weiblich und ebenfalls noch sehr verschlafen klingende Stimme und ich ringe mich widerwillig dazu durch, doch erst einmal meine Augen zu öffnen und den viel zu kurzen Schlaf wegzublinzeln. Meinen Arm lasse ich dabei allerdings demonstrativ ganz genau da liegen, wo er vorhin nun mal rein zufällig gelandet ist. Wenn ich, wie ich mit einem kurzen, verpeilten Rundblick feststelle, wirklich irgendwie im Schlafzimmer dieses Mädels gelandet bin – und das auch noch nackt, wie mir das Gefühl der Bettdecke auf meiner bloßen Haut klarmacht –, dann kann sie gestern ja wohl zumindest nicht allzu abgeneigt davon gewesen sein, dass ich ihr an den Arsch oder wahlweise auch woandershin gepackt habe. "Moin", grüße ich die Unbekannte neben mir erst mal so freundlich, wie es mir mit meinen gerade einsetzenden, hämmernden Kopfschmerzen – offenbar habe ich gestern doch etwas zu viel Alkohol erwischt – möglich ist, und falle im nächsten Moment vor Schreck beinahe aus dem nicht gerade breiten Bett, als der Knubbel sich urplötzlich bewegt und meine Bettnachbarin sich wie von der Tarantel gestochen aufsetzt. Diese Aktion bereut sie allerdings gleich darauf offensichtlich, wie ihr schmerzerfülltes Stöhnen und der Griff an ihren Kopf mir zeigt. "Wohl auch eine Spur zu tief ins Glas gekuckt, was?", kann ich mir nicht verkneifen, meine gestrige Eroberung aufzuziehen, aber ihre Erwiderung – "Halt Deine dämliche Klappe, Nico!" – lässt mich erstaunt blinzeln. Sie erinnert sich noch an meinen Namen? Damit ist sie auf jeden Fall besser als ich. Oder sie hat gestern einfach nur weniger getankt. Aber wenn ich so genau darüber nachdenke, dann kommt ihre Stimme mir verdammt bekannt vor – ein bisschen zu bekannt vielleicht sogar. Um meinen Verdacht zu überprüfen, setze ich mich ebenfalls auf, verkneife mir mühsam ein Ächzen und werfe einen prüfenden Blick auf ihre vom Schlaf noch reichlich zerzausten, leuchtend rot gefärbten Haare. Diese Haarfarbe kommt mir auch erschreckend bekannt vor und ich schlucke schwer. Das ist doch wohl jetzt nicht wahr, oder? Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein. Bitte, das muss einfach ein schlechter Scherz sein! Ich kann doch nicht wirklich ausgerechnet mit ... "Claudia?", entfährt es mir ungläubig, bevor ich es verhindern kann. Sie nimmt ihre Hände runter und ihre Lippen verziehen sich spöttisch. "Was bist Du doch für ein Blitzmerker, Nico", teilt sie mir mit und jetzt bin ich derjenige von uns beiden, der sein Gesicht aufstöhnend in seinen Händen vergräbt. "Och nö!", jammere ich und von neben mir kommt ein halb abfällig, halb beleidigt klingendes Schnauben. "Das hat sich letzte Nacht aber ganz anders angehört", piesackt sie mich und ich spüre zu meiner Schande, wie ich vom Halsansatz bis zu den Haarwurzeln knallrot anlaufe. Jetzt, wo sie es zur Sprache bringt, steigen Bilder aus meiner Erinnerung auf, auf die ich gut und gerne verzichten könnte. Claudia unter und auch auf mir, meine Zunge in ihrem Mund und noch an anderen Teilen ihres Körpers, über die ich jetzt lieber nicht mehr näher nachdenken will. Ich meine, hallo? Ich habe in der letzten Nacht, so besoffen, wie ich ganz offenbar war, Sex mit einer Klassenkameradin – ja, okay, mit einer ehemaligen Klassenkameradin, aber das ist ja wohl nebensächlich – gehabt! Gut, das wäre an sich eigentlich ja nicht so schlimm, aber ... Wie kann ich das jetzt am besten erklären? Claudia ist eine Freundin. Eine gute Freundin. Ein echter Kumpel; jemand, mit dem man Pferde stehlen und auch sonst jeden Scheiß machen kann. Aber sie ist eigentlich ganz und gar niemand, mit dem ich jemals Sex haben wollte. Bisher war sie im Bezug auf dieses Thema für mich immer tabu. Ich habe bis gestern nicht mal darüber nachgedacht, überhaupt je mit ihr ins Bett zu steigen. Wobei ich ehrlich gesagt stark bezweifle, dass ich gestern überhaupt noch viel gedacht habe mit dem ganzen Alkohol in meinem Blut. Schon ein Wunder, dass ich ganz offenbar tatsächlich noch einen hochgekriegt habe – und das nicht nur ein Mal, wenn mich meine Erinnerung in dem Punkt nicht täuscht. "Wenn Du dann jetzt mal bald damit fertig bist, lautlos vor Dich hin zu jammern, könntest Du Dich ja vielleicht mal nützlich machen und mir mein Schlafshirt angeben. Auch wenn Du mich letzte Nacht gevögelt hast, muss ich jetzt trotzdem nicht nackt vor Deiner Nase rumlaufen. Und so ganz nebenbei bemerkt muss ich mal aufs Klo. Ziemlich dringend sogar, also beeil Dich gefälligst mal nen Schlag", reisst Claudias Stimme mich wieder aus meinen Gedanken. Eine Sekunde lang blinzele ich sie verwirrt an, doch als sie mit genervtem Gesicht auf ein gelbes Shirt deutet, das auf einem Stuhl neben dem Bett liegt, greife ich danach und reiche es ihr. Sobald sie es mir abgenommen hat, habe ich sogar den Anstand, ihr den Rücken zuzudrehen und meine Augen ganz fest zuzukneifen, während das Rascheln der Bettdecke neben mir verkündet, dass sie sich das Shirt überzieht. Ohne irgendwas zu sagen, schlägt sie nach dem Anziehen die Decke zurück und steht auf, um ins gegenüber ihres Schlafzimmers gelegene Bad zu gehen. Ich öffne die Augen wieder und blicke ihr nach, aber als mir bewusst wird, dass sie unter diesem etwas zu groß geratenen Shirt mit dem Clownsgesicht auf der Rückseite vollkommen nackt ist, werde ich gleich wieder rot und wende schnell den Blick ab. Dabei lacht ein Teil von mir über mich selbst, weil ich mich so unglaublich affig aufführe – bei anderen Mädels werde ich schließlich auch nicht rot, wenn ich sie nackt oder fast nackt sehe –, aber der Rest von mir sagt sich, dass es sich einfach nicht gehört, solche Dinge ausgerechnet über Claudia zu denken. Die ganze Zeit über, während sie im Bad ist, grübele ich darüber nach, wie ich mit der Situation umgehen soll. Ich erinnere mich nicht mehr an allzu viel vom gestrigen Abend. Dementsprechend habe ich auch absolut keine Ahnung, wer von uns beiden eigentlich auf die unglaublich bescheuerte Idee mit dem Sex gekommen ist, aber wenn ich es so genau betrachte, will ich das auch lieber gar nicht wissen. Wenn das auf meinem Mist gewachsen ist, kann ich Claudia ganz bestimmt nie wieder ansehen, ohne vor Scham im Boden versinken zu wollen. Und wenn diese ganze Sache von ihr ausging ... Nein, das will ich mir noch viel weniger vorstellen, denn das würde Fragen aufwerfen, deren Antworten ich definitiv nicht kennen will. Ich will wirklich nicht darüber nachdenken, ob Claudia vielleicht scharf auf mich ist oder wie lange das schon so geht oder ... "Argh, Scheiße, verdammt!", fluche ich, schüttele heftig den Kopf und raufe mir die Haare, um diese Gedanken zu vertreiben. Das Einzige, was mir diese Aktion jedoch einbringt, sind noch stärkere Kopfschmerzen, die mich wehleidig wimmern lassen. Ich bin so in mein Jammern vertieft, dass ich erst bemerke, dass Claudia wieder da ist, als ihre Hand in meinem Blickfeld auftaucht. In ihrer Handfläche liegen zwei Tabletten, die stark nach Aspirin aussehen, und in ihrer anderen Hand hält sie, wie ich mit einem raschen Blick feststelle, ein Glas Wasser. "Ihr Männer seid doch solche Weichlinge", spottet sie und mir liegt eine schnippische Antwort auf der Zunge, die Bezug nimmt auf die letzte Nacht und auf gewisse Körperteile meinerseits, die man mit weich ja wohl mal so gar nicht beschreiben konnte beziehungsweise kann – Ach Du heilige Scheiße, nicht auch das noch! –, aber ich bin erstaunlicherweise doch klug genug, diese Worte ungesagt wieder hinunterzuschlucken, bevor ich ihr die Tabletten und das Wasser schleunigst abnehme. Ich kenne Claudia inzwischen schließlich lange genug um zu wissen, dass sie mir, wenn ich ihr jetzt dumm komme oder nicht schnell genug handele, entweder die Ohren lang zieht oder, was noch schlimmer wäre, mir die Erlösung in Form der Tabletten vorenthält. Und das würde meinem armen Kopf heute ganz und gar nicht gut bekommen. Dem geht es nach dem ganzen Alkohol von gestern auch ohne zusätzliche Folter schon mies genug. Mit wahrer Todesverachtung werfe ich die Tabletten ein, spüle mit dem Wasser nach und hoffe, dass die Wirkung dieser Dinger schnell einsetzt, damit ich mich so bald wie möglich von hier verkrümeln kann. Diese ganze Situation ist mir unglaublich peinlich und unangenehm. Ich glaube, ich weiß zum ersten Mal, seit ich Sex habe, nicht, wie ich mich danach verhalten soll. Ich meine, wie soll es denn jetzt weitergehen? Wir können ja wohl kaum so tun, als wäre die letzte Nacht nie passiert. Oder vielleicht doch? Hoffnungsvoll und verwirrt zugleich blinzele ich zu Claudia auf und will gerade etwas sagen, aber sie kommt mir zuvor. "Willst Du noch frühstücken, bevor Du abhaust?", fragt sie mich und ich muss mich peinlicherweise tatsächlich räuspern, bevor ich mir ein "Kaffee wär nett" abringen kann. "Okay. Du weißt ja, wo die Dusche ist. Ich räum dann später diesen Saustall hier auf", beschließt sie, verschwindet wieder aus dem Schlafzimmer und lässt mich dankenswerterweise mit meinen Gedanken und der Peinlichkeit alleine. Einen Moment lang bleibe ich noch im Bett sitzen, aber als ich aus der Küche das Geräusch der Kaffeemaschine höre, schwinge ich doch noch meine Beine aus dem Bett. Die Decke schlinge ich mir dabei um die Hüften, denn ich will auch nicht unbedingt nackt vor Claudia rumrennen. Klar, sie hat letzte Nacht eh schon so ziemlich alles gesehen, was es an mir zu sehen gibt, aber darüber möchte ich im Augenblick lieber gar nicht weiter nachdenken. Letzte Nacht war schließlich letzte Nacht und jetzt ist eben jetzt. Um mich von diesen Gedanken abzulenken, fange ich erst mal damit an, meine Klamotten vom Boden zu klauben. Dabei läuft mein Gesicht schon wieder rot an, als ich irgendwo zwischen meinen Shorts und meinen Socken einen BH aus dunkelgrüner Spitze finde. Schlagartig kehrt die Erinnerung daran zurück, dass ich ebendieses Teil letzte Nacht ziemlich stürmisch und nicht gerade rücksichtsvoll von Claudias Körper gezerrt habe, um an das zu kommen, was sich darunter verborgen hat. Genauso gut erinnere ich mich daran, dass sie ein zu diesem BH passendes Höschen anhatte, dem ich ebenso schnell einen Freiflugschein durchs Zimmer spendiert habe. Ist das, was da so halb unter dem Stuhl neben Claudias Bett hervorlugt, tatsächlich noch ein Stück grüner Spitze? Hart schluckend beschließe ich, dass ich das Nachsehen lieber ausfallen lasse, und mache stattdessen, dass ich endlich ins Bad komme. Dort drehe ich geradezu hektisch die Dusche auf und verbeiße mir mit allergrößter Mühe einen derben Fluch, denn der erste Schwall Wasser, der mich trifft, ist eiskalt. Ein "Shit!" kann ich mir allerdings nicht verkneifen, aber bevor ich die Gelegenheit bekomme, noch unflätiger zu werden, wird das Wasser langsam wärmer und ich seufze wohlig auf. Doch, das tut gut – nicht nur meinem Körper, an dem noch der Geruch nach Sex klebt, sondern vor allem meinem armen, leidenden Kopf. Ein paar Minuten lang gönne ich mir diese Entspannung und genieße einfach nur, wie das Hämmern in meinem Schädel zu einem dumpfen Pochen abklingt. Sobald ich mich wieder einigermaßen menschlich fühle, wasche ich mich schnell, drehe dann das Wasser ab, schnappe mir ein Handtuch und rubbele mich soweit trocken, dass ich meine Klamotten von gestern gefahrlos wieder überziehen kann. Was zum Wechseln habe ich schließlich nicht dabei, aber das wird schon so gehen. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich nach einem One-Night-Stand in den gleichen Sachen zurückkomme, in denen ich am Abend vorher ausgegangen bin. Und umziehen kann ich mich ja, wenn ich erst mal wieder zu Hause bin. Als meine Gedanken an diesem Punkt ankommen, fällt mir der Haken an der ganzen Sache, den ich beim Duschen erfolgreich verdrängt hatte, siedend heiß wieder ein: Das hier ist nicht irgendeiner meiner One-Night-Stands, sondern Claudia. Mein Kumpel Claudia. Die Claudia, mit der ich mich vor nicht ganz zwei Jahren verbündet habe, um meinen Zwillingsbruder mit ihrer besten Freundin zu verkuppeln. Heilige Scheiße, was tue ich hier eigentlich? Bin ich denn vollkommen wahnsinnig geworden? "Sag mal, hat's Dich etwa den Abfluss runtergespült, Nico? Soll ich vielleicht einen Klempner herbestellen, damit der Dich rettet?", ruft Claudia aus der Küche rüber und ich zucke erschrocken zusammen, schelte mich selbst für diese Reaktion einen totalen Vollidioten und trockne meine Haare noch kurz etwas gründlicher ab, als es nötig wäre, bevor ich das ohnehin sinnlose Versteckspiel im Badezimmer endlich aufgebe und – vollständig angezogen – in die Küche hinübergehe. "Ich leb noch, keine Sorge", informiere ich Claudia, sobald ich im Türrahmen der Küchentür stehe, und sie grinst mich an. "Um Dich mach ich mir eh keine Sorgen", kontert sie und obwohl ich sonst nie um einen dummen Spruch verlegen bin, weiß ich jetzt gerade tatsächlich mal absolut nicht, was ich sagen soll. Irgendwie verwirrt mich das Ganze hier. Claudia benimmt sich gerade so, als hätten wir beide es letzte Nacht nicht getrieben wie die Karnickel. Und das haben wir – nicht nur in ihrem Bett, sondern irgendwann sogar auf dem Teppich davor, als wir uns mal mit der Breite des Bettes verschätzt haben und gemeinsam rausgepurzelt sind. Das alles habe ich mir doch nicht nur eingebildet und mache mich jetzt vollkommen umsonst verrückt, oder? Grübelnd runzele ich die Stirn und komme schließlich zu dem Schluss, dass ich mir die letzte Nacht ganz bestimmt nicht nur eingebildet habe. Und geträumt habe ich auch nicht, so viel steht fest. Claudia und ich hatten letzte Nacht wirklich Sex miteinander. Aber wieso, verdammt noch mal, benimmt sie sich jetzt so, als wäre absolut nichts Ungewöhnliches passiert? Und warum in aller Welt denke ich überhaupt noch darüber nach, anstatt froh darüber zu sein, dass sie es offenbar einfach nur vergessen und verdrängen will? "Willst Du da drüben an der Tür Wurzeln schlagen, Nico?" Claudias Stimme klingt spöttisch und amüsiert zugleich und reisst mich aus meiner Starre. Kopfschüttelnd überbrücke ich die Distanz zu dem Küchenstuhl, der mir am nächsten steht, lasse mich darauf fallen und nehme mit einem gemurmelten Dank die Kaffeetasse an, die sie mir entgegenschiebt. Dabei halte ich meinen Blick stur auf die Tischplatte gerichtet und schimpfe mich selbst einen Volltrottel, weil ich immer noch nicht weiß, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. So überfordert fühle ich mich sonst eigentlich nie, aber jetzt gäbe ich sonst was dafür, wenn irgendjemand hier wäre, der mir sagen könnte, was ich tun und wie ich mich verhalten soll. Scheiße, warum ist Jojo eigentlich nie da, wenn man ihn mal braucht? Okay, gut, warum mein Bruder gerade nicht hier ist, weiß ich eigentlich verdammt genau. Zum Einen würde das die ganze Situation nur noch peinlicher machen, als sie sowieso schon ist, und zum Anderen kann er ja auch gar nicht hier sein, weil er gestern Abend auch gar nicht mit uns feiern war. Immerhin fängt Adrians Lehrpraktikum – ich kann irgendwie immer noch nicht so ganz fassen, dass mein kleiner Bruder mit einem angehenden Lehrer zusammen ist – bald an und die beiden wollten gestern ganz privat und für sich ihren Abschied feiern, weil sie sich jetzt schließlich ein paar Monate lang nicht sehen werden. Wenn ich mich nicht irre, musste Adrian heute in aller Herrgottsfrühe schon losfahren. Muss ganz schön scheiße für Jojo sein, das Ganze. Ich glaube, ich sollte gleich mal bei ihm vorbeischauen und sehen, wie es ihm jetzt so geht. Dafür sind große Brüder ja schließlich da – auch wenn ich nicht wirklich größer, sondern nur ein paar Minuten älter bin als er. Ist es nicht eigentlich irgendwie verboten, dass jüngere Brüder einem einfach so über den Kopf wachsen? Gut, es sind nur popelige drei Zentimeter, die er größer ist als ich, aber die wurmen mich trotzdem. Genau deshalb glaubt auch kein Mensch, dass ich der Ältere von uns beiden bin. Mit meinem durchgeknallten, kindischen Verhalten hat das rein gar nichts zu tun. Jojo ist einfach nur viel zu erwachsen und vernünftig für sein Alter. Wie kann man mit neunzehn eigentlich schon so sein? Irgendwas habe ich bei seiner Erziehung ganz offenbar gründlich falsch gemacht. "Fall mir nicht kopfüber in den Kaffee. Ich brauch die Tasse noch", spöttelt Claudia und holt mich damit wieder in die Realität – also in ihre Küche – zurück. Ich blicke auf, sehe ihr ins Gesicht und spüre zu meinem Entsetzen, wie ich schon wieder rot werde. So oft wie in der letzten Stunde seit meinem Erwachen in ihrem Bett habe ich schon seit Jahren nicht mehr die Tomate gespielt. Den Anblick meines knallroten Gesichts findet Claudia scheinbar unglaublich witzig, denn sie beginnt erst zu kichern und schließlich laut und herzhaft zu lachen. Mehrere Minuten lang geht das so und ich will gerade ernsthaft sauer werden – ich hasse es, wenn man mich auslacht, und das weiß sie auch ganz genau –, als sie sich doch endlich wieder einkriegt. Schwer atmend hält sie sich den Bauch, wischt sich die Lachtränen von den Wangen und jammert leise über ihre schmerzenden Lachmuskeln, doch damit habe ich kein Mitleid. Hat sie ja schließlich niemand dazu gezwungen, sich über mich lustig zu machen. "Selbst schuld", werfe ich ihr schnippisch vor. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass ich mich mal wieder, wie mein Bruder es jetzt nennen würde, wie ein bockiges Kleinkind anhöre, aber das interessiert mich gerade überhaupt nicht. Ich kann es einfach nicht leiden, wenn jemand über mich lacht – vor allem nicht in so einer Situation, die ich selbst kein bisschen lustig finde. Normalerweise bin ich zwar kein solcher Spielverderber – ich kann eigentlich auch ganz gut über mich selbst lachen –, aber nach dem Schock, den ich heute schon hinter mir habe, sollte mir das ja wohl verziehen sein. "Mensch, jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt, Nico." Claudia seufzt abgrundtief, aber ich schnaube nur und genehmige mir einen Schluck meines Kaffees. Soll sie das auslegen, wie auch immer es ihr gerade passt. Immerhin ist sie an dieser ganzen beschissenen Situation, in der wir gerade stecken, ja wohl auch nicht so ganz unschuldig. Sie hätte ja schließlich auch Nein sagen können. Obwohl ... Wenn sie gestern auch nur halb so besoffen war wie ich, dann hätte sie das wohl nicht mehr geschafft. Trotzdem ist das alles wohl kaum nur meine Schuld. "Hey, jetzt krieg Dich mal wieder ein, Prinzessin." Claudias Stimme klingt genervt und als ich mich doch dazu herablasse, sie über den Rand meiner Kaffeetasse hinweg anzusehen, schüttelt sie den Kopf. "Warum stellst Du Dich eigentlich so an? Dass das gestern nur ein Ausrutscher war – Deinerseits ebenso wie meinerseits – ist mir ebenso klar wie Dir. Es gibt also absolut keinen Grund für Dich, hier deshalb so einen Aufriss zu veranstalten. Von mir hast Du ganz bestimmt keine Szene zu erwarten, also mach Dich mal wieder locker, ja?", verlangt sie und nimmt ebenfalls einen Schluck aus ihrer Tasse, bevor sie fortfährt. "Ich war gestern Abend voll wie ne Haubitze, Nico. Ansonsten wär das alles bestimmt nicht passiert. Nüchtern wär ich garantiert nie mit Dir ins Bett gehüpft", erklärt sie mir und obwohl ich eigentlich erleichtert sein sollte, dass sie die ganze Sache genauso sieht wie ich und jetzt keine seltsamen Erwartungen an mich hat, bin ich komischerweise alles andere als froh. Irgendwie fühle ich mich sogar auf unbestimmte Art gekränkt von ihren Worten. Bin ich denn wirklich so schlimm? "Na, herzlichen Dank auch! Soll das etwa heißen, ich seh so scheiße aus, dass man sich mit mir nicht abgeben kann oder was? Oder war ich im Bett so ne Lusche, dass Dir die letzte Nacht jetzt peinlich ist?", frage ich deshalb, ohne den beleidigt klingenden Unterton ganz aus meiner Stimme halten zu können. Aber hey, ich bin auch nur ein Mann! Und besonders schmeichelhaft klang das, was sie gesagt hat, ja nun wirklich nicht. "Weder noch", antwortet sie, seufzt vernehmlich und steht von ihrem Platz auf. Den Stuhl schiebt sie um den Tisch herum, bis er genau neben meinem steht, und setzt sich dann dort wieder hin, so dass sie mir in die Augen sehen kann. Ich starre einen Moment lang auf ihre nackten Beine, aber bevor mein Blick höher wandern kann, erinnere ich mich doch wieder daran, dass das hier immer noch Claudia ist und dass ich sie garantiert nicht so sehen will. Das wollte ich nie und ich will das auch – oder vielmehr gerade – jetzt nicht. Das will ich doch nicht, oder? "Aber Du bist ein Freund, also interessiert mich Dein Aussehen nun mal nicht", durchbricht Claudias Stimme meine schon wieder halb panischen Überlegungen. "Und genauso wenig wollte ich je wissen, wie gut oder schlecht Du im Bett bist. Ich hatte nie vor, mich von Dir flachlegen zu lassen, aber es ist nun mal passiert. Damit werden wir beide wohl oder übel klarkommen müssen – was eigentlich kein allzu großes Problem sein sollte, wenn Du endlich mal aufhören würdest, so ein Drama daraus zu machen. Sind nicht normalerweise immer die Mädels diejenigen, die am Morgen danach rumzicken und unbedingt noch zigmal über alles reden wollen? Freu Dich doch einfach, dass Du so billig davonkommst. Du warst blau, ich war blau, es war ein Ausrutscher, der sich nicht wiederholen wird und basta. Ende der Geschichte", legt sie knallhart die Fakten dar und grinst mich dann an. "Und davon muss auch niemand was erfahren – falls es das ist, worüber Du Dir Sorgen machst. Von mir aus kann das gerne unter uns bleiben. Ich werd's nicht mal Miriam erzählen, wenn Dich das beruhigt", bietet sie an und mir fällt ein tonnenschwerer Stein vom Herzen. Unwillkürlich atme ich erleichtert auf und ihr Grinsen wird noch eine Spur breiter. "Mach Dir mal nicht ins Hemd. Ich geh ganz bestimmt nicht damit hausieren, dass ich mich von Dir hab vögeln lassen", zieht sie mich auf und ich will gerade wieder beleidigt werden, aber ihr Nachsatz – "Obwohl der Sex an sich ja schon ganz gut war und sich das Angeben in dem Fall sogar mal lohnen würde." – hebt meine Laune gleich wieder an. Ha, ich hab's eben einfach drauf! Einigermaßen entsetzt darüber, dass ich mich über eine derartige Bestätigung von einer guten Freundin so unangemessen freue, schüttele ich fast schon ein bisschen panisch meinen glücklicherweise kaum noch schmerzenden Kopf und widme mich wieder meinem Kaffee. Mann, ich benehme mich heute wirklich wie der letzte Vollidiot. "Ich werd mir nie wieder so die Kante geben!", beschließe ich grummelnd und Claudia fängt wieder an zu lachen. "Und wie lange willst Du den Vorsatz diesmal halten? Bis zum nächsten Wochenende? Oder hast Du unter der Woche noch mal frei?", neckt sie mich und ich strecke ihr die Zunge heraus, ohne wirklich sauer zu sein. Sie kennt mich eben einfach zu gut. Ich habe mir schon mindestens hundert Mal vorgenommen, weniger oder gar keinen Alkohol mehr zu trinken, aber durchgehalten habe ich dieses Vorhaben bisher nie. Ich bin eben auch nur ein einfacher, schwacher Mann. Dagegen bin ich nun mal machtlos. "Wie unglaublich männlich und erwachsen", spottet Claudia mit hochgezogener Braue, doch das ignoriere ich gekonnt. Stattdessen leere ich einfach nur meine Kaffeetasse und stehe dann auf. Irgendwie ist es im Moment komisch, Claudia so nah zu sein, also beschließe ich, erst mal etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Das ist sicher besser. Ausserdem habe ich auch noch die Hoffnung, dass ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft dem Pochen meines Schädels endgültig den Garaus machen wird. "Ich werd dann mal langsam", murmele ich in Claudias Richtung und sehe aus dem Augenwinkel, wie sie nickt. "Alles klar. Komm gut nach Hause und bis dann", erwidert sie, steht ebenfalls auf und drückt mich kurz, wie sie es sonst auch immer tut. Diese Geste irritiert mich ungemein, aber ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen, also erwidere ich die Umarmung nach kurzem Zögern und weit vorsichtiger als sonst. Dabei achte ich peinlich genau darauf, dass meine Körpermitte ihr bloß nicht zu nahe kommt. Oh Mann, an so was sollte ich wirklich ganz und gar nicht denken! Das ist schließlich immer noch Claudia, verdammt! Mein Zaudern beim Abschied entgeht ihr wahrscheinlich nicht, aber zu meiner grenzenlosen Erleichterung lässt sie es unkommentiert. Ich muss nicht ganz neidlos zugeben, dass ich sie schon ein bisschen dafür bewundere, dass sie so locker mit der ganzen Sache umgeht. Ich würde es gerne genauso halten, aber das Wissen, dass sie unter diesem überdimensionalen knallgelben Shirt immer noch vollkommen nackt ist, irritiert mich über alle Maßen und lässt mich gleich wieder rot werden. Da sie sich allerdings inzwischen wieder von mir gelöst hat und gerade damit beschäftigt ist, die leeren Tassen zu spülen, bemerkt sie davon glücklicherweise nichts. Erleichtert, dass mir wenigstens diese Peinlichkeit erspart bleibt, quetsche ich noch ein "Ciao" raus, das hoffentlich nicht so verlegen klingt, wie ich mich gerade fühle, und mache dann, dass ich aus ihrer Wohnung komme. Ich muss ganz dringend hier weg und sie am besten ein paar Tage lang nicht sehen, damit ich diese ganzen Bilder und Erinnerungen an die letzte Nacht wieder aus meinem Kopf kriege. Ob ihr das Ganze wirklich so leicht fällt? ~*~ So, fürs Erste war's das auch schon. Ich werde versuchen, mich mit dem zweiten Teil hiervon zu beeilen, damit ihr nicht allzu lange warten müsst. Versprechen kann ich allerdings nichts. Man liest sich! Karma Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)