Musik von DKelli (Minato / Ryouji) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Musik Die Sonne schien durch das Fenster und reflektierte sich im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Gleißendes Licht erfüllte den Raum, bis ein Schatten dieses Zusammenspiel zwischen Sonne und Reflexion unterbrach. Der Junge lächelte sein eigenes Spiegelbild an, fuhr mit der Hand über seine schwarzen, glatten Haare und wandte den Blick ab. Seine Maske saß perfekt. Ohne sich umzusehen, verließ er sein Zimmer. Warum sollte er sich denn auch noch einmal umdrehen? Er würde sowieso alles hinter sich lassen. Auf dem Weg zur Schule hing er seinen Gedanken nach, achtete nicht auf die anderen Schüler um ihn herum. Diese Nacht hatte er wieder keinen Schlaf gefunden. Und trotzdem war er nicht müde. Müde wurde er nie. Ein leises Seufzen entfuhr seiner Kehle. Schlafen. Das war etwas für Menschen. „Was ist los? Deprimiert, Ryouji?“, hörte er plötzlich neben sich. Der Blick des Schwarzhaarigen hellte sich auf, als er sah, wer sich zu ihm gesellt hatte. „Nein, nur etwas müde“, lächelte er. „Bin noch nicht wirklich motiviert für den Schulbeginn...“ Der Junge neben ihm nickte verständnisvoll, sagte aber nichts. „Du hast wohl auch noch keine Lust, hm?“, fragte Ryouji und zeigte auf die Kopfhörer, die der andere gerade trug. Bei dieser Bewegung rutschte das eine Ende seines gelben Schals herunter, welches er wieder zurückwarf. Der andere nickte nur. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Ryouji sah vor sich auf den Boden. Dabei berührte seine Nasenspitze seinen Schal und seine Lippen fühlten den weichen Stoff. Weshalb trug er immer diesen Schal? Es wurde ihm erst jetzt bewusst. Doch er hatte keine Antwort darauf. Auf so viele Fragen, Normalitäten hatte der Schwarzhaarige keine Antwort. Mit einem Seitenblick sah er zu dem musikhörenden, blauhaarigen Jungen, der lässig die Hände in den Hosentaschen hatte und in seine eigene Welt versunken schien. Minato. Er war der Mittelpunkt, um den sich alle Fragen drehten. Er war der Mittelpunkt für alle Antworten, die sich ihm nicht offenbaren wollten. War es Schicksal, dass er in Minato vor zehn Jahren versiegelt worden war? Wieso vertraute Minato ihm immer noch so sehr, obwohl er die Wahrheit wusste? Weshalb war Minato so unerschütterlich? Warum klang sein Name so melodisch und makellos? Minato – es klang wie ein unfertiges Lied, eine Melodie, die zu einer wundervollen Musik werden konnte. Eine wunderbare Musik, die eine glänzende Zukunft verhieß und eine schwere Vergangenheit erzählte. Vor zehn Jahren, als der Blauhaarige ein kleiner Junge war, war er zufällig Zeuge seines Kampfes gegen Aigis gewesen. Der Tod gegen den Roboter, der ihn aufhalten sollte. Kurz schloss Ryouji die Augen. Ein düsterer Gedanke befiel ihn. Ja, er war der Tod, die dreizehnte Arkana, das Ende und gleichzeitig der Anfang von allem. Eine für die Menschheit nicht verständliche Macht. Ein Shadow. Doch war er der Stärkste der Shadows gewesen. In der Dark Hour hatte er vor sich hingelebt und Shadows gefressen um noch stärker zu werden. Was kaum möglich war, denn er war nicht nur der Tod, sondern auch noch der Vorbote von Nyx. Sein damals nicht sonderlich ausgeprägtes Bewusstsein als Shadow konnte nicht verstehen, dass es jemanden - nein, Etwas - gab, das so stark war wie er selbst. Aigis, der von Menschen erschaffene Anti-Shadow Roboter. Sie hatte ihn nicht besiegen können, deshalb wurde er in dem Körper des Jungen versiegelt, der in diesem Moment neben ihm lief. Minato hatte davon nichts gewusst. Auch nicht, als Ryouji ihn des Öfteren um Mitternacht herum besucht hatte, in der Form eines Kindes. So hatten er, zu der Zeit mit dem Namen Pharos, und Minato sich angefreundet. Und jetzt war er Ryouji Mochizuki. Ein normaler Teenager mit dem Image eines Ausländers, der hierher gezogen war und schon innerhalb der ersten Tage mit fast allen Mädchen der Schule ein Date gehabt hatte. Er fing an, an der Menschenwelt Gefallen zu finden. Besonders an ihm. „Hey, Minato.“ Graue Augen sahen ihn fragend an. „Hörst du eigentlich überall Musik?“ Der Blauhaarige schien nachzudenken. „Es hilft mir zu entspannen.“ Ryouji war nicht sonderlich überrascht. „Deswegen bringt dich wohl nichts aus der Ruhe“, lachte er. Minato zuckte nur mit den Schultern. Wieso war er bloß immer so schweigsam, still und... unergründlich? Tief im Inneren wusste Ryouji die Antwort. Der Narr. Minato war das nullte Arkanum, der Narr. Unerschöpfliche Möglichkeiten, zahllose Wege im Leben, eine undefinierte Zukunft. Trotzdem wollte Ryouji nicht daran glauben. Irgendetwas in ihm weigerte sich. Das Schultor war in Sicht. „Es gibt bestimmt etwas, was mich aus der Ruhe bringt.“ Überrascht, dass der Schweigsame plötzlich sprach, entfuhr ihm ein sinnfreies: „Was?“ Minato sah ihn an. „Es wird bestimmt etwas geben, was mich aus der Ruhe bringt.“ Funkelte etwa so etwas wie Freude in seinen Augen? „Gut zu wissen, dass du auch nur ein Mensch bist“, scherzte Ryouji und klopfte ihm auf die Schulter. Doch Minato lachte nicht, sondern sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an. „Mach dir nicht zu viele Sorgen.“ Bevor Ryouji nachfragen konnte, war der Blauhaarige auch schon im Schulgebäude verschwunden. „Ihr wisst, dass ich der Vorbote von Nyx bin. Ihr wisst, dass ihr euch ihrer unermesslichen Macht nicht widersetzen könnt... Sie wird diese Welt, die ihr kennt, auslöschen. Es gibt kein Hindernis, was sie aufhalten kann.“ Ryouji sah in die Runde. „Ihre Ankunft kann nicht vermieden werden...Aber…“ Die Mitglieder des S.E.E.S. horchten auf. „…es ist möglich, bis zu diesem Zeitpunkt in Frieden zu leben. Dazu müsst ihr… mich töten.“ Alle Mitstreiter, die in letzter Zeit seine Freunde geworden waren, sahen betreten auf den Boden. „Wenn ich von dieser Welt verschwinde, verschwinden auch alle Erinnerungen an die Dark Hour. Und somit das Wissen über euer Schicksal. Ihr werdet euch an nichts erinnern.“ Seine Stimme war weich, versuchte ihnen ein Bild des Friedens zu übermitteln. „Wenn Nyx erwacht, werdet ihr nicht leiden.“ Er seufzte und lächelte schließlich. „Ihr könnt in euer normales Leben zurückkehren!“ Alle Mitstreiter sahen niedergeschlagen aus, so, als wollten sie ihre Kämpfe und gemeinsame Zeit in der Dark Hour nicht vergessen wollen. „Wenn ihr es tut, wird die Zeit bis zu ihrer Ankunft hinausgezögert. Ich bin aus derselben Essenz wie Nyx und kann nicht getötet werden.“ Der Schwarzhaarige sah mit einem dankbaren Ausdruck auf seinem Gesicht zu Minato. „Aber dank ihm ist ein Teil von mir menschlich.“ Minato sah ihn aus seinen grauen Augen ausdruckslos an. „Wenn er mich umbringt, dürfte es möglich sein.“ Gerade als die anderen Mitglieder etwas sagen wollten, wandelte sich Ryoujis Antlitz. Ernst, mit einem strengem Unterton versuchte er, den Anwesenden ihr Schicksal zu erklären: „Wenn ihr mich nicht tötet, werdet ihr mehr leiden als ihr euch ausmalen könnt! Ohne Hoffnung auf Rettung werdet ihr jeden Tag wie gelähmt sein durch die Angst vor dem unausweichlichen Tod. Und ich…“ Er schluckte. „Ich will nicht, dass ihr so etwas erleidet.“ Mit einem Gefühl der Ruhe stand Ryouji auf. „Ihr müsst euch noch nicht entscheiden. Heute Abend ist Neujahr. Ihr habt noch Zeit, alles in Ruhe zu besprechen… Auch wenn es alles ein wenig plötzlich kommt.“ An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Macht euch wegen mir keine Sorgen. Ich werde sowieso verschwinden, wenn Nyx erwacht. Ich bin ein Teil von ihr. Meine Zukunft liegt in ihrem Schatten.“ Ein aufmunterndes lächeln lag auf seinen zarten Zügen. „Ich warte solange in Minatos Zimmer.“ Das Klicken der Tür klang wie ein lauter Knall in der Stille. Sie standen allein in der kalten Nachtluft. „Ich verstehe immer noch nicht ganz…“ Ryouji biss sich auf die Unterlippe. „Wieso hast du mich nicht getötet? Du weißt, dass ich kein Mensch bin und doch…“ Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. „Ich sagte doch: Mach dir nicht zu viele Sorgen.“ Der Schwarzhaarige atmete tief durch. Sein Atem verdichtete sich zu kleinen Wölkchen vor seinem Mund, als er sprach. „Das ist das letzte Mal, dass ich dich in dieser Form sehe.“ Unendliche Traurigkeit befiel ihn. Schwer lastete sie auf seinen Schultern. „Ich fasse es nicht. Du weißt, dass ihr sterben werdet. Und du bleibst trotzdem noch so ruhig?“ Minato zuckte mit den Schultern. „Weshalb sollte ich es nicht sein? Du sagtest doch, es dauert noch einen Monat, bis Nyx auftauchen wird.“ „Du bist echt sorglos“, schüttelte Ryouji den Kopf. Traurig lächelnd. Langsam kroch die Kälte in seine Glieder. Schweigen hing zwischen ihnen. „Ich hab da etwas für dich, Minato“, fing Ryouji unvermittelt an und griff in seine Hosentasche. „Hier.“ Er hielt dem anderen dessen Musicplayer hin. Verwundert nahm Minato ihn, hing ihn um den Hals und wartete auf eine Erklärung. Er hatte ihn doch auf den Schreibtisch gelegt? Ryoujis Miene hellte sich auf. „Ich hatte ihn in deinem Zimmer gefunden und etwas darauf gespielt. Hör es dir an, wann immer du magst. Und noch etwas.“ Mit ein paar geschickten Handgriffen hatte er seinen gelben Schal abgenommen und Minato ungebunden. „Wieso…?“ Sein Lächeln war offen und ehrlich. „Du bist mein zweites Ich. Und das soll dich immer daran erinnern.“ Er sah hinauf in den Himmel. Der blasse Vollmond wurde nur von ein paar kleinen Wolken bedeckt. „Ich muss gehen. Keine Angst, ein kleiner Teil wird immer noch in dir sein. Schließlich hat Thanatos einen Platz in deiner Seele – Und er ist ich.“ Der Blauhaarige schluckte. „Alles Gute für das neue Jahr!“ Minato sah den Jungen winkend in der Dunkelheit verschwinden. Ryoujis Stimme hatte stark gezittert und doch keine Antwort erwartet. Er hatte immer gedacht, er würde es schaffen. Er hatte gedacht, er würde es aushalten. Ryouji hatte ihn gewarnt: Eine unauslöschliche Angst vor dem kommenden Tod würde ihn begleiten. Doch diese Warnung war für ihn zweitrangig. Ein heftiger Schmerz zerriss ihn von innen heraus. Er war schon betäubt von dem Rausch seiner Gefühle; Trauer, Sehnsucht und Einsamkeit. Als er die Pistole an die Schläfe setzte, zögerte er. Der von Emotionen noch nicht unterdrückte Teil seines Verstandes hielt ihn ab, dies zu tun. Doch er musste ihn sehen. Ein Geräusch von zerbrechendem Glas erklang, als er den Abzug drückte. Ihn durchflutete wieder dieses unbeschreibliche Gefühl der Unendlichkeit, so wie jedes Mal, wenn er eine Persona rief. „… Minato?“ Es war eine unmenschlich klingende Stimme, die aus dem Mund von Thanatos erklang, doch Minato meinte, im Unterton die Klangfarbe von Ryoujis Stimme zu hören. „…“ Der Junge traute sich nicht, die leicht durchscheinende Persona vor ihm anzuschauen. „Minato…“ Beim Klang seines Namens war es, als wäre ein Ventil gelöst worden. Ein unkontrolliertes Schluchzen entfuhr seiner Kehle, die ganze Einsamkeit wollte aus ihm hinaus. Sie wandelte sie in Form von Tränen. Unaufhaltsam flossen sie seine Wangen hinab. Auch seine Hände vermochten sie nicht aufzuhalten. „Jetzt hast du deine Antwort“, lachte er bitter. „Jetzt weißt du, was mich aus der Ruhe bringt. Dein Fehlen…“ Thanatos zeigte keine Regung. „Meine Beschwörung bringt dir nur noch mehr Leid, ist dir das bewusst?“ Sein Verstand hatte es ihm mitteilen wollen, doch seine Gefühle hatten ihn übermannt. Ihn zu noch mehr Schmerz gebracht. Minatos Atem wurde wieder regelmäßig. „Ich… weiß nicht, was ich tun soll…“ „… Höre.“ Mit diesem Rat löste sich die Persona auf. Höre…? Verwirrt fuhr sich Minato mit dem Handrücken über die Wangen. Was sollte er denn hören? Seine Musik. Er ließ sich aufs Bett fallen, zog die Kopfhörer auf und versuchte, seine Ruhe zu finden. Da war etwas. Eine Datei. Ohne Titel. Das musste die Aufnahme von – Hastig drückte Minato auf Play. „Dein Name ist Musik. Du bist mein zweites Ich, Minato.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)