Flatmates von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 10: Singstar -------------------- Raphael ist um die zwei Meter groß. Manchmal fragen ihn die Leute sogar, ob er Basketball spielt, wenn er nicht unbedingt in Pink gekleidet andere Männer auf der Tanzfläche mit seinen geschmeidigen Bewegungen in den Bann zieht. Heute trägt er eine simple hellblaue Röhrenjeans und ein, ebenso wie die Hose, enges lilafarbenes Oberteil. Seine schneeweiße Jeanjacke pfeffert er einfach in die Ecke. Raphael behauptet einige Kilos zugelegt zu haben. Dennoch wirkt er immer noch dürr, irgendwie mager. Kraft hat der Gute dennoch genügend. „Hey, Süßer!“, begrüßt er mich mit seiner hellen Stimme und schenkt mir das Lächeln, was wahrscheinlich schon vielen Männern wackelige Knie beschert hat. Er küsst mich auf die Wange und ich tue es ihm gleich. Er ist frisch rasiert, seine Haut ist zart. Mit einem leichten Knall stellt er die voll bepackten Taschen auf dem Wohnzimmertisch ab und fängt an sie vor meinen Augen auszupacken. „Croissants, frisch vom Bäcker. Muttis Marmelade. Ein Glas Nutella. Frischkäse. Und drei Flaschen Sekt“, kommentiert er während er die einzelnen erwähnten Dinge hochhält und grinst mich an. „Frühstück auf dem Balkon?“, schlage ich vor. „Wie lange haben wir zwei Hübschen denn?“, fragt er, während wir beide die schmackhaften Sachen auf den Balkontisch verfrachten. Ich bin gerade dabei die Sektgläser zu füllen. Er reicht leicht süßlich und er wird sicherlich auf meiner Zunge prickeln. „Jannik müsste in drei Stunden wieder da sein und seine Schwestern, hm…“ Raphael nimmt seufzend im gut gepolsterten Balkonstuhl platz. „Ich denke es geht um dieses Gerücht, das mir zu Ohren gekommen ist? Julia und Klara?“, fragt er und ich setze mich ebenfalls. „Mein Hetero-Freund?“, neckt er und ich nicke einfach nur schwach. „Los“, sagt Raphael und reicht mir eines der Gläser. „Wir stoßen jetzt erstmal an und dann erzählst du mir alles.“ Und so passiert es auch. Ich erzähle Raphael die komplette Geschichte, von Anfang an, ohne auch nur ein einziges Detail auszulassen. Er nickt, schmunzelt an manchen Stellen, verdreht die Augen, schüttelt den Kopf und schenkt mir immerzu nach. Die erste Flasche Sekt ist leer und gegessen habe ich auch nur ein einziges Croissant. Ich verspüre ein leicht flaues, wenn in seinem Dasein auch angenehmes Gefühl. Ohne mich nach meiner Meinung zu fragen, öffnet Raphael die zweite Flasche und streicht sich seine Wasserstoffblonden Haare aus dem Gesicht. Einige seiner Strähnen haben sich in seinem Lippenpiercing verfangen. Das regt ihn immer furchtbar auf und er fuchtelt dann so lustig mit seinen Händen. So wie jetzt. Ich kicher und er verdreht gespielt die Augen, während er mein Glas wieder auffüllt. Und dann ist meine kleine Geschichte des Horrors auch schon vorbei und Raphael schweigt zunächst. „Du solltest noch etwas essen“, bemerkt er dann und legt mir ein weiteres, französisches Gebäck auf den kleinen Teller. „Das ist ja ein hilfreicher Kommentar…“, meckere ich, beiße aber dennoch ab. Die Marmelade dazu schmeckt ja eigentlich auch ganz gut. „Glaub mir, Häschen. Später wirst du dich noch bei mir bedanken, dass ich dich zum Essen gezwungen habe“, sagt er und zwinkert mir zu. Dann seufzt er, nimmt einen weiteren Schluck seines Sekts und lehnt sich zunächst in seinem Stuhl zurück. Es scheint so, als würde er irgendeinen bestimmen Punkt am Horizont mit seinen hellblauen Augen fixieren. Seine Lippen sind leicht gekräuselt. Und dann, nach einer kleinen Weile, bläst er etwas lauter die Luft aus und visiert mich an. „Scheißsituation, Roman“, sagt er. Es ist ein einfaches Wort, welches ich mir eigentlich die gesamte Zeit über wiederhole. Aber es aus einem anderen Mund zu hören, eine Bestätigung in meinen Gefühlen zu bekommen, tut wirklich gut. Ich nicke bedächtig, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Raphael scheint über etwas nachzudenken. Er kennt uns beide. Wir haben ihn am Anfang unserer Beziehung über meinen Freund Hannes kennengelernt, mit dem ich im ersten Semester einige Vorlesungen hatte. Der Gute hat sich dann aber aus dem Staub gemacht und ist nach England jobben gegangen, anstatt weiter zu studieren. Manchmal beneide ich ihn ein wenig… „Ich hatte gar nicht erwartet, dass Jannik so viel Angst haben kann“, sagt Raphael plötzlich und schaut gen Himmel. „Eigentlich bist du ja eher der Angsthase in eurer Beziehung.“ „Hey, das ist nicht fair!“, maule ich. „Aber wahr.“ Er sieht mich wieder an. „Wahrscheinlich“, gestehe ich seufzend ein. „Und dass er seine Familie nicht zerstören möchte, war der einzige Grund den er dir genannt hat?“ Ich nicke nachdenklich. Und dann stellt er mir die Frage, die ich mir die ganze Zeit über bereits selber vor die Nase führe. „Was hat dich dazu bewegt „ja“ zu sagen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich liebe ihn und ich wollte ihn diesen Wunsch erfüllen…?“, formuliere ich vorsichtig. Raphael schnaubt leicht verächtlich und trinkt einen Schluck Sekt. „Und weil er dich liebt, verleugnet er dich, hält dich auf Distanz und tut so, als wäre er ein Weiberheld?“, fährt er Blondschopf fort. Erneut zucke ich mit den Schultern, wütend auf Jannik. „Ich sage dir, das ist nicht fair!“, behauptet Raphael, als ich nichts dazu sagen kann. „Ich stelle mich normalerweise nie auf eine Seite bei euch beiden, das weißt du. Ich kann das Problem des Outings auch durchaus verstehen. Aber diese Sache, die geht einfach zu weit, Roman.“ „Ach!“, schnaube ich nun, immer noch wütend und gleichzeitig erleichtert, dass Raphael die Dinge ebenso wie ich sieht. Er schweigt eine Weile du fährt dann fort: „Überleg mal. Ihr seid seit fast drei Jahren fest zusammen und eigentlich sah es ja auch die ganze Zeit danach aus, dass das auch weiterhin so bleiben würde. Und dann wissen seine Eltern noch nicht einmal über die Tatsache Bescheid, dass ihr Sohn auf Kerle steht? Findest du das normal? Drei Jahre lang zu lügen? Den Liebsten gegenüber?“ Ich schlucke und Raphael redet weiter. „Ich und die anderen haben das ja schon seit einiger Zeit mit mulmigen Gefühlen betrachtet, aber vorher schien es dich nicht unbedingt zu stören, deswegen hab ich auch immer meinen Mund gehalten, Schatz“, sagt er mit einfühlsamer Stimme. „Aber jetzt zerfrisst es dich, das sieht doch auch ein Blinder. Es macht dich kaputt. Jannik macht dich damit kaputt. Und du bist so treudoof, dass du dieser Idee auch noch zugestimmt hast, nur damit dein Liebster nicht enttäuscht von dir ist. Schätze ich jedenfalls.“ Ich nicke langsam, ohne Raphael dabei anzusehen. Vom Sekt ist mir leicht schwindelig. Meine Gefühle fangen an sich zu überlappen, als wären es Wellen und die eine würde die vorige mit viel Getöse und Schaum überdecken. Meine Hand umschließt das gefüllte Glas fester. Raphael spricht erneut. „Seien wir mal ehrlich, du bist eine unfassbare Attention-Whore und nein, du darfst mich jetzt nicht unterbrechen“, schneidet er mir den aufkommenden Protest barsch ab. „Du hängst an Janniks Rockzipfel wie so ne kleine Heidi, die Angst vor den Ziegen auf der Weide hat. Und das weiß Jannik auch. So wart ihr von Anfang an und ich darf erwähnen, dass ihm diese Rollenverteilung auch gut gepasst hat, oder hat er sich jemals bei dir deswegen beschwert?“ „Eigentlich… Eigentlich nicht“, gebe ich zu und nehme einen weiteren Schluck Sekt. „Ich denke schon, dass du manchmal ziemlich anstrengend als Partner sein kannst und in jeder anderen Situation, in der du mich voll heulen würdest, von wegen Jannik würde dich nicht beachten und dir gegenüber kalt agieren, würde ich dir den Hintern versohlen und dich dazu zwingen, dich wie ein Mann zu benehmen und dich einfach mal zusammen zu reißen. Fakt ist aber, dass diese Situation mit anderen eben nicht vergleichbar ist“, redet er weiter und schaut mich während seines Monologs unentwegt an. „Ich würde sogar behaupten, dass es eine Schande ist, als Schwuler nicht offen zu seiner Sexualität zu stehen. Vor allem, wenn man seinen sensiblen Partner dabei so verletzt, wie Jannik es momentan mit dir tut. Vor allem, wenn er DICH dazu zwingt dein wahres Ich ebenso zu verleugnen. Und das ist nun mal so gar nicht dein wahren Ich, Roman“, fügt er mit sanfterer Stimme hinzu. „Und…“, bringe ich trocken heraus, weil ich nicht weiß, ob ich wütend, traurig oder einfach nur enttäuscht sein soll. „Was soll ich jetzt machen?“ Raphael schweigt eine Weile. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich jedem anderen raten, seinem Partner ein Ultimatum zu stellen; entweder er sagt es, oder man macht es selbst. Aber Jannik…“, er seufzt und kratzt sich am Kopf. „Jannik hat eben einen schweren Charakter. So wie du, nur eben anders, wenn du weißt was ich meine“, er lacht matt und ich lächele schwach. „Und ich weiß wirklich nicht, wie er auf so etwas reagieren würde. Und nimm mir das jetzt nicht übel, aber ich glaube nicht, dass du fähig wärst, ihm ein solches Ultimatum zu stellen.“ „Ich hab ihm schon mehrmals vorgeschlagen es ihnen zu sagen, vor allem jetzt, wo die beiden uns schon so aufmerksam mustern!“, werfe ich etwas energischer ein, als ich eigentlich wollte. „Hey, Süßer, bleib ruhig“, sagt Raphael und lächelt mich an, er legt seine Hand auf die meinige. „Ich weiß das doch. Aber ganz ehrlich, Jannik wusste ebenso wie du, dass du diese Aussage nicht ernst meintest, beziehungsweise keinen Druck auf ihn ausüben würdest.“ Ich seufze und weiß nicht, was ich denken soll. Ich weiß gar nicht mal, was ich tun soll. „Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was zu tun ist“, setzt er wieder an. „Denn momentan ist Jannik in meinen Augen ein Arschloch. Dir gegenüber versteht sich. Und eigentlich auch dem Rest der Gay-Community gegenüber“, fügt er hinzu und schüttelt kurz den Kopf. „Ich denke, ihr werdet darüber noch mal ernsthaft reden müssen. Wenn seine Schwestern weg sind.“ Ich hatte leider solch eine Antwort erwartet. „Kopf hoch!“, ruft er aus und steht auf, er schwankt ganz kurz und lacht dann. „Der Sekt ist gut“, bemerkt er. Ich grinse ganz schwach. „Na los, Roman. Ich weiß, was wir jetzt tun.“ Ich sehe ihn langsam an. Er kramt in seiner Tasche und holt ein kleines schwarzes Döschen hervor. Mit einem leisen Klick geht es auf und er holt einen frisch gedrehten Joint heraus und hält ihn mir mit einem diabolischen Grinsen vors Gesicht. Ich verdrehe die Augen, doch er schüttelt den Kopf, als wolle er mir sagen, ich habe keine andere Wahl. „Wir beide machen uns jetzt einige schöne Stunden mit diesem netten Teilchen, mehr Sekt und… SINGSTAR!“, ruft er aus und verdrehe leicht lachend die Augen. Raphael und Karaoke. Er kann ebenso grausam singen wie ich, aber alle lieben ihn, wenn er sich mit voller Freude mit seiner Stimme blamiert. Ich denke, weil er sich dabei nicht ernst nimmt und einfach etwas auslebt, was ihm Spaß macht, macht es ihn auch attraktiv. (Er hat viele Verehrer!) Es reicht leicht süßlich um uns herum. Der Rauch brennt ganz leicht in meinem Hals. Wann habe ich das letzte Mal an einem Joint gezogen? Wow, ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Raphael sagt, ich solle Jannik und seine Schwestern jetzt erst mal völlig aus den Gedanken werfen. Er erzählt mir ein wenig von unseren gemeinsamen Freunden. Hauke, sein fester Freund, mit dem er seit ungefähr sechs Jahren zusammen ist, schließlich ist Raphael fast 30, hat sich ein Mountainbike geholt und versucht ihn nun die ganze Zeit zu diesem Hobby zu überreden. „Ehrlich, wäre es Häkeln oder von mir aus auch Klettern, da würde ich zustimmen. Aber ich auf einem Mountainbike in der Pampa, so richtig schön Off-Road, im Matsch, im Dreck mit Schürfwunden und völlig in Schweiß gebadet?!“, zischt er sarkastisch und ich muss bei dieser Vorstellung, von diesem zierlichen Mann, dessen Fingernägel besser gepflegt sind als die einer Millionärsgattin, bringt mich einfach zum lachen. Vielleicht ist es aber auch diese gefährliche Mischung aus Alkohol (direkt am Morgen) mit Weed? Es kümmert mich nicht unbedingt, denn ich habe es tatsächlich geschafft nicht an meinen dämlichen (na gut, dämlich kann ich wohl doch hier streichen) Freund zu denken und so eine Art gute Laune hat mich ergriffen. Die Annahme, es könne sich dabei nur um eine listige Illusion handeln, verwerfe ich eilig. Der Korken der dritten Flasche geht mit einem gedämpften Knall zur Decke und Raphael lacht laut, als er versucht den Schaum nicht über unseren Teppich zu kippen. Ein Unterfangen, welches ihm nicht so recht gelingen möchte. Ein Unterfangen, welches ich als so lustig empfinde, dass ich gar nicht mehr mit dem Kichern aufhören kann. Unsere Gläser stehen immer noch auf dem Balkon, als wir die Spielekonsole in Gang setzen und sie verbleiben dort auch. Ungeniert trinken wir den edlen Tropfen aus der Flasche. Und ich bin mir sicher, dass sich schon alsbald Nachbarn bei uns beschweren werden… Lauthals singen wir die ABBA Klassiker. Zuerst Chiquitita, dann Mamma Mia, daraufhin erbringen wir eine klägliche und doch in ihrer Gesamtheit von Pathos bestückte Version von Knowing Me, Knowing You, bei der ich doch ganz kurz an Jannik denken muss, doch Raphaels versagende und schiefe Stimme am Ende bringt mich schnell zum Lachen. Wir fangen an uns anzutanzen, der Raum um mich herum dreht sich ein wenig. Ich habe tatsächlich Spaß mit Raphael und meine Probleme rücken immer weiter in den Hintergrund. Raphael lässt seine Hüften kreisen, ich lege meine Hände auf seine Schultern. Die dritte Flasche ist fast leer, unsere Stimmen beinahe schon heiser, wir stehen ganz nah beieinander und singen nun, mit einer neuen DVD in der Konsole, lauthals und voller Emotionen The Best von Tina Turner. Und dann fallen mir plötzlich die zwei im Raum stehenden Personen auf. Meine Stimme versagt komplett, während Raphael noch weiterträllert und der Fernseher weiterhin auf fast höchster Stufe vor sich hinplärrt. Julia und Klara stehen lachend in der Tür und betrachten uns. Ich meine leichte Verwirrung, Verwunderung und Irritation in ihren Gesichtern lesen zu können. Jetzt erst merkt auch Raphael, dass ich nicht mehr mitsinge und er dreht sich schlagartig um und lacht erst einmal laut, als ihm auffällt, dass wir ein Publikum haben. Er schnappt sich sogleich die Fernbedienung und dreht die Lautstärke des nun ohne Gesang verlaufenden Liedes herunter. „Was guckt ihr denn so?“, begrüßt er die beiden Mädchen breit grinsend. „Noch nie zwei schwule Männer beim Karaokesingen gesehen?“ Ich verschlucke mich beinahe, als ich genau das höre, von dem ich denke, dass es eigentlich unmöglich sein sollte es zu hören. Doch dies sind die wahrhaftigen Worte, die Raphael ungeniert ausspuckt. Mein Herz fängt an zu rasen und die Wirkung des Alkohols und des Joints scheint für eine kurze Zeit zu sinken. Der Blonde zuckt nicht einmal mit der Wimper, als er mich grinsend ansieht. Alles geht so schnell. Er legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich dicht an sich heran. Das hat der Spinner doch alles geplant! Triumphierend grinsend betrachtet er die beiden Mädchen, die nun langsam auf uns zu kommen. Klaras Miene ist ernsthaft. Ihr Mund ist zusammengepresst und ihre Augen leicht geöffnet, sie schielt zu Julia herüber, die, zu meinem Erstaunen, langsam anfängt zu grinsen. „Und du hattest doch Recht!“, sagt sie zu ihrer älteren Schwester und fängt dann an zu lachen. Sie hält sich die Hände vors Gesicht, beißt kurz in ihren Finger und starrt mich an, lacht erneut. Ich bin völlig verdattert und stiere sie an. „Sorry“, bringt sie hervor und räuspert sich, versucht ihren leichten Lachanfall unter Kontrolle zu bringen. „Wow!“, bringt sie dann hervor und grinst noch ein wenig. „Das hatte ich eigentlich nicht so erwartet. Naja, ein bisschen vielleicht“, fügt sie hinzu. Raphael lächelt einfach und Klara sagt noch immer nichts. Ich kann diesen durchdringen Blick auf mir spüren und wage es nicht, ihr ins Gesicht zu schauen. „Naja, nach dieser Ohrläppchen Aktion in der Disko zum Beispiel“, sagt Julia weiter und schaut Klara dabei an. Sie hat es ihr also doch erzählt! „Und Jannik ist so doof!“, sagt sie und lacht erneut. Hätte ich einen Stift in der Hand, würde ich jetzt ein großes Fragezeichen draufmalen. Scheinbar hat Julia meinen fragenden Blick erkannt. „Ich meine,“ setzt sie an. „Klara hat ihn danach gefragt, ob es vielleicht sein könnte, dass du… Naja, auch auf Männer stehst. Du hast ihn auch öfters mal, naja, intensiv angeschaut. Halt so…“, sie lacht nervös, weiß scheinbar nicht, wie sie das alles formulieren soll. „Anders!“, bringt sie dann strahlend hervor. Endlich schaue ich Klara an und sie zuckt leicht zusammen, als sich unsere Augen treffen, so als hätte ich sie bei etwas ertappt. Zu meiner Überraschung huscht ein leichtes, zaghaftes Lächeln über ihre Lippen. „Äh…“, setzt sie ebenso zaghaft an und schaut zu Boden. „Sorry, dass ich nichts sage…“ Sie sieht mich wieder an. „Ist schon seltsam, wenn Vermutungen plötzlich wahr werden.“ Ich nicke stumm. Mein Herz rast wie verrückt. „Seid ihr beiden…?“, setzt Julia plötzlich an, mit hochgezogener Augenbraue und deutet auf Raphael und mich. Ich öffne den Mund, will etwas sagen, doch Raphael kommt mir zuvor, seine Hand noch immer um meine Schultern gelegt. „Ja. Seit einem Jahr ungefähr“, antwortet er zufrieden, lächelnd und drückt mir ohne Vorwarnung einen Kuss auf die Wange. Meine Knie fangen an zu zittern und in meinem Innern schreie ich. WAS GEHT HIER VOR?! „Ahhhh“, sagt Julia grinsend. „Ihr passt zusammen“, fügt sie dann hinzu. Und sie scheint es tatsächlich ernst zu meinen!!! „Wieso…“, ertönt Klaras Stimme plötzlich und sie mustert mich erneut. „Wieso hast du uns das denn verschwiegen? Ich meine, Jannik hat uns gesagt, dass du definitiv auf Frauen stehst. Ich meine… Weiß er das gar nicht, oder… was?“ Erneut spricht Raphael für mich. „Er weiß es schon seit langem“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Er meinte zu uns, dass seine Familie mit Homosexualität nicht umzugehen wisse, deswegen hat er Roman gebeten, das zu verschweigen. Er wusste nicht, wie ihr damit klarkommen würdet. Aber…“, er seufzt und lächelt den beiden freundlich zu. „Mein Hase hier geht daran kaputt und deswegen sind wir jetzt einfach das Risiko eingegangen, euch zu vergraulen. Ich hoffe doch, wir haben es trotzdem NICHT geschafft?“ Klara und Julia starren mich an. Es ist Klara, die als erste spricht. „Roman, das tut mir Leid, dass du alles… Dass du das wegen uns machen musstest“, sagt sie sanft und lächelt zaghaft. „Klar ist das neu für uns, aber… Naja, heutzutage auch irgendwie normal, oder nicht?“, fügt sie schwach hinzu und schaut ihre Schwester an. „Also ich hab damit kein Problem. Ich bin ja Gott sei Dank nicht so wie Jannik“, sagt Julia lachend. Dann schüttelt sie den Kopf. „Ich glaube mit Jannik sollten wir auch noch sprechen“, sagt Klara zu ihr und ihre Schwester nickt heftig. NEIN! Ich will NEIN sagen, aber erneut kommt Raphael mir zuvor. „Das wäre eine gute Idee“, sagt er und küsst mich erneut auf die Wange. Ich bin von dieser Situation so etwas von überfordert, dass ich kein einziges Wort über die Lippen bringe. Mein Mund fühlt sich trocken an, ein großer Kloß befindet sich in meinem Hals und mein Herz trommelt vor sich hin, als würde es irgendeinen Geist beschwören wollen. Wir hören alle die Tür ins Schloss fallen. Jannik betritt das Wohnzimmer. Er macht den Mund auf, um etwas zu sagen, erst dann fällt sein Blick auf uns. Auf Julia und Klara, die mitten im Raum stehen und ihn mit Verwunderung betrachten, auf die leere Sektflasche auf dem Tisch, auf den laufenden Fernseher mit dem Singstarbildschirm, auf mich, auf Raphael, der seinen Arm noch immer um meine Schultern gelegt hält. Ich schlucke. „Was… Was hab ich denn verpasst?“, fragt er vorsichtig, seine Augen durchbohren die meinigen und mir wird plötzlich unfassbar schlecht. In meinem Magen dreht sich alles, als säße ich in der Achterbahn. Ich stürze an allen vorbei, streife Jannik leicht, als ich an ihm vorbeihetze und schaffe es gerade noch so mich vor die Toilettenschüssel zu knien, als ein krampfartiges Gefühl meinen Bauch erfasst und zu würgen anfange. Sekt zum Frühstück war eine beschissene Idee! Ich weiß nicht, was im Wohnzimmer vorgeht, während ich mir hier die Seele aus dem Leib kotze. Mit kaltem Wasser spüle ich mir das Gesicht ab und putze über fünf Minuten lang meine Zähne. Es ist Raphael, der plötzlich hinter mir auftaucht. Ich sehe ihn, mit der Zahnbürste noch immer in meinem Mund, im Spiegel an. Er beugt sich zu mir hervor und legt seine Hände auf meine Schultern. „Ich verschwinde jetzt, ruf mich später oder morgen an, hörst du?“, sind seine letzten Worte, bevor er die Wohnung verlässt. Mit wackeligen Knien und einem schweren Kopf schleppe ich mich aus dem Bad. Im Wohnzimmer ist niemand mehr, Julia ist in der Küche und lächelt mir kurz zu. Ich drehe mich um und marschiere direkt in das Zimmer von Jannik und mir. Erst jetzt erkenne ich, dass ich panische Angst habe, ihm unter die Augen zu treten. Ich springe beinahe auf, als ich die Tür schließe und er sich plötzlich vor mir aufbaut. „Ich glaube, wir müssen reden…“, sagt er müde und schaut mich dabei ausdruckslos an. Er wendet sich ab und bleibt am Fenster stehen, starrt hinaus und ich bin nicht in der Lage mich zu bewegen. Er dreht sich zu mir herum. In seinen Augen funkelt etwas. Ich merke, dass tatsächlich Angst habe. „War das deine Idee?“, fragt er dann. „Was?“ „Du weißt ganz genau was ich meine!“, keift er mich mit einer lauteren Stimme an. Ich zucke regelrecht zusammen. Seine Worte klingen wie der erste Donnerschlag eines riesigen Ungewitters, welches sich der Stadt nähert. „Nein…“, presse ich heraus und starre den Boden an. Ich hasse Jannik wenn er wütend ist. Er macht mir Angst wenn er wütend ist. Ich hasse diese kalte Atmosphäre, die sich um uns legt. In letzter Zeit einfach zu oft. Die Geborgenheit wird mir in diesen Momenten genommen, ich werde vor eine Schlucht gezerrt. Er ist so anders. Jannik schnaubt. „Was… Was hast du dir denn dabei nun gedacht? Und wieso säufst du in letzter Zeit so viel?“, fragt er mich mit brüchiger Stimme und geht auf mich zu. „Weil… Weil es mir total beschissen wegen dir geht!“, schreie ich mehr als ich sage. (Von wegen Angsthase!) Jannik geht auf mich zu, seine Hände sind zu Fäusten geballt. „Schrei es doch noch lauter, ich glaube Julia und Klara haben dich noch nicht genau verstanden“, wispert er in einem bedrohlich feurigen Ton, der mich dieses Mal aber nicht zurückschreckt, sondern eher animiert noch einen draufzusetzen. „Fick dich, Jannik!“, presse ich zischend hervor, greife nach der neben mir auf der Kommode liegenden Jacke meines Freundes und schmeiße sie ihm regelrecht ins Gesicht. Ich kann beinahe in Zeitlupe betrachten, wie sich die Augen meines Freundes weiten, wie seine Oberlippe zittert und wie er stehen bleibt und mich für einige Sekunden fassungslos, gar schon verletzt betrachtet, während er die Jacke in seiner Hand hält. Das ist das allererste Mal, dass ich meinen Freund in so einer Manier angesprochen habe. Das allererste Mal, dass ich etwas nach ihm geworfen habe. Und dann zieht ein Schatten über Janniks Gesicht. „Wenn du meinst“, bringt er zähneknirschend hervor und schlüpft in die Jacke, stolziert an mir vorbei und knallt die Tür zu. Die Wohnungstür fällt ebenso laut ins Schloss. Ich schlucke. Und dann nehme ich das Telefon und wähle Raphaels Nummer. Er ist umgehend am Apparat. „Roman, alles in Ordnung?“ „Überhaupt nicht“, schluchze ich ins Telefon. - - - Vieeelen Dank für all die Favoeinträge und Kommentare ^^ Die animieren wirklich zum Weiterschreiben! Und das werde ich auch schon morgen tun ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)