Abendstern von abgemeldet (Und du wirst strahlen, heller als die Sonne.) ================================================================================ Kapitel 9 - Trauernde Weiden ---------------------------- Zu meiner Überraschung wurde mein Wunsch erfüllt. Als die bleierne Dunkelheit der mondlosen Nacht über den Palast hereinbrach, hatte ich endlich die Quartiere, und auch mein eigenes Gemach, erreicht. Erleichtert stürmte ich hinein und ließ die schwere Holztür hinter mir ins Schloss fallen. Zu müde um über die gespenstige Begegnung in der Bibliothek nachzudenken, ließ ich mich aufs Bett fallen und noch bevor ich mich daran erinnern konnte mich auch nur unter die Decken zu legen, schlief ich ein. Eine dumpfe Erschütterung neben mir ließ mich aus dem Schlaf hochschrecken. Ich blinzelte verschlafen – und war mit einem Male hellwach. Ich war nicht in meinem Zimmer. Ich bezweifelte sogar, noch irgendwo im Palast des Sultans zu sein. Vor mir lag ein kleiner Raum. Die Wände waren mit edlen Verzierungen bedeckt, und die hohe Decke zierte das überlebensgroße Motiv eines Singvogels. Dasselbe Bild hing, auf einer edlen Leinwand mit goldenem Rahmen, an einer der Wände, die allesamt mit kunstvollen Motiven bemalt worden waren. Ein großes Fenster in meinem Rücken verbreitete helles Tageslicht. Und zu meinem Erstaunen gab es keine Tür. Wie bin ich hierher gekommen?, fragte ich mich verwundert. Ich drehte mich um und spähte durch das Fenster hinaus auf eine endlose, grüne Hügellandschaft. Zu meinem Schrecken erkannte ich, dass ich nicht mehr in Mangalin sein konnte. Das helle Tageslicht beleuchtete die einzigen Möbelstücke des Raumes: ein kleiner, weißer Stuhl, und eine Wiege, über der ein seidener weißer Vorhang hing. Sie sahen zu fein geschnitzt aus, um aus normalem Holz zu sein und glitzerten im hellen Sonnenlicht. Ich selbst, die ich an der gegenüberliegenden Ecke des Raumes gestanden hatte, ging interessiert darauf zu. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass meine Schritte kein Geräusch verursachten. Irgendetwas an diesem Raum traf mich seltsam vertraut. Als wäre ich schon einmal. . . Ich sollte den Gedanken niemals zu Ende führen. Das schöne Gemälde des Vogels, der in einer Nachtlandschaft auf einem Ast saß und offenbar den vollen Mond, Hilal, anzirpte, schwang plötzlich zur Seite. Schockiert machte ich einen Satz zurück, als eine in einen dunkelgrünen Reisemantel gehüllte Frauengestalt eintrat. Hinter ihr konnte ich einen Gang und steinerne Stufen erkennen, die von Fackeln beleuchtet waren. Sie berührte leicht den goldenen Rahmen, woraufhin das Bild geräuschlos wieder auf seinen Platz zurückschwang und den Durchgang verbarg. Verzweifelt sah ich mich um, auf der Suche nach einem Versteck, doch es war bereits zu spät. Die Frau sah auf, und ihre Augen, die dieselbe Farbe hatten wie das mit Gras bewachsenen Hügelland , das ich soeben gesehen hatte, trafen die Meinen. Bestimmt würde sie eine Erklärung haben wollen, wie ich- Doch ihr Blick wanderte an mir vorbei, und sie trat langsam auf die Wiege zu. Sie kann mich nicht sehen?, dachte ich erstaunt. Wie kann das sein? Ich stehe doch genau vor ihr! Wie kann sie da- -Die trauernden Weiden., wisperte die Stimme in meinem Kopf, die mich scheinbar nicht einmal in meinen Träumen in Ruhe ließ, und unterbrach meinen Gedankenschwall. Ich schluckte. In Mangalin kannte man die Welt des Traumes auch unter dem Namen “Das Land der trauernden Weiden“. Ich hatte nie verstanden woher dieser Ausdruck kam, doch nun erschien er mir seltsam passend. Man hinterfragte Träume nicht. Es bedeutete großes Unglück, wenn man sich zu viele Gedanken darüber machte. Man musste sie vorüber gehen lassen. Ein unbehagliches Gefühl stieg in mir auf. Als die Frau an mir vorbeiging, streifte mich ihr bodenlanger Mantel und ich konnte den Lufthauch spüren, den sie nach sich zog. Dies hier schien zu real für einen Traum zu sein. Sie setzte sich und ein plötzlicher Luftzug trug einen seltsamen Geruch zu mir. Flieder. Der Duft traf mich wie ein Hieb in den Magen und sofort verschwanden meine letzten Zweifel. Dies konnte nicht die Realität sein. Flieder war der wohl teuerste Duft, den man für Gold erstehen konnte. Nur die allerreichsten Frauen konnten sich auch nur selten damit umgeben und nicht einmal im Palast des Sultans hatte ich ihn wahrgenommen. Und dennoch fühlte ich mich, als kannte ich diesen Duft bereits von irgendwoher. Fasziniert trat ich näher an die Frau heran, die sich jetzt auf dem Stuhl niedergelassen hatte und sich die Kapuze aus dem Gesicht strich. Langes, schwarzes Haar kam darunter zum Vorschein, das wie ein Wasserfall über ihre Schultern hinunter zu ihren Hüften fiel. Ich erkannte es sofort. Mein Haar! War diese Frau etwa ich selbst, von der Welt der Träume verändert? Aber meine Augen waren doch nicht. . . Fasziniert trat ich näher. Sie hatte sich über die Wiege gebeugt und streckte die Arme hinein. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie begann, die Wiege im Takt einer Musik, die ich nicht hören konnte, hin und her zu wiegen. Erst jetzt traf mich die vollkommene Stille, die hier herrschte. Es war nicht dieselbe, unbehagliche Ruhe wie ich sie in der Bibliothek gespürt hatte, sondern schien es, als habe jemand den Ton dieses Traumes einfach . . . verschwinden lassen. Die junge Frau begann nun leicht die Lippen zu bewegen. Offenbar sprach sie zu der Wiege, oder vielmehr dem Kind, das vermutlich darin lag. Ich beobachtete sie eine kleine Weile, wagte jedoch nicht, näher zu treten. Obwohl ich es nicht hören konnte, glaubte ich zu spüren wie die Luft um mich herum zu knistern begann. Verwirrt sah ich mich um. Alles war sah unverändert aus. Aber irgendetwas war da. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf und mein Pulsschlag beschleunigte sich. Etwas Unheimliches ging hier vor. Eine seltsame Spannung schien den Raum zu erfüllen, und für einen kurzen Moment glaubte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung in den stilisierten Malereien auf den Wänden zu erkennen, so als würden die Singvögel sich in die Lüfte erheben und die Pflanzen sich im Winde wiegen. Wie auf ein Kommando strich eine kleine Brise Abendluft, die nach Kräutern und Wasser roch, durch die Fenster herein. Einem inneren Impuls folgend streckte ich vorsichtig die Hand nach der Wiege aus. Da jedoch fuhr die Frau mit einer solchen Schnelligkeit und Wachsamkeit herum, dass ich zurückzuckte. Sofort verlor die Atmosphäre die geisterhafte Spannung, die soeben noch geherrscht hatte und alles lag wieder leblos da. Das Gefühl erinnerte mich daran, aus der Wärme gleißenden Sonnenlichtes plötzlich in den Schatten eines Hauses gezogen zu werden. Ihr Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Doch galt der sowohl angstvolle, als auch autoritäre Blick, den sie über die Schulter warf, nicht mir, sondern einem in einen ledernen Umhand gehüllten Mann, der soeben lautlos durch das Gemälde eingetreten war. Er war jung und breitschultrig und hatte langes, dunkles Haar, das er zu einem Knoten im Nacken gebunden hatte. Er verneigte sich tief vor ihr. Sie nickte ihm zur Begrüßung zu und bewegte die Lippen, offenbar eine Frage formulierend. Der Mann begann zu sprechen als sie geendet hatte, erst langsam und gemessen, dann jedoch schnell immer aufgebrachter werdend. Er trat von einem Fuß auf den anderen und seine Hände umklammerten einander so fest, dass die Knöchel weiß waren. Er machte einen furchterregenden Eindruck. Die Frau jedoch zog lediglich die Augenbrauen hoch und schüttelte hier und dar verneinend den Kopf. Er verstummte und ging mit schnellem Schritt auf sie zu. Ich machte einen Satz rückwärts, als er sich an genau jene Stelle auf den Boden kniete, an der ich soeben gestanden hatte. Sie blickte gütig auf ihn herab, während er sprach. Nach einer Weile nickte sie und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie stand auf und drehte sich zu der Wiege um. Zärtlich strich sie über dessen zierlichen Rahmen und begann abermals zu sprechen. Auf dem Gesicht des Mannes machte sich Staunen breit, das jedoch bald Misstrauen wich. Unsicher verlagerte ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Plötzlich schnellte der Kopf des Mannes ruckartig herum. Für einen Augenblick ruhten seine Augen direkt auf meinen, dann wandte er sich ab und blickte zu Boden. Seine Lippen bewegten sich sachte, offenbar flüsterte er etwas. Die Frau warf ihm einen erstaunten Blick zu. Dann drehten sie sich beide in meine Richtung. Ihr Blick war neugierig, doch voller Zweifel. Suchend sah sie sich um, während ihre Lippen lautlos Worte formten. Er jedoch sah mich direkt an, und für einen Moment hatte ich keine Zweifel, dass er mich sehen konnte. Ich fröstelte unmerklich. Was geschieht hier?, dachte ich mit hämmerndem Herzen. Dies hier war nicht wie meine üblichen Träume. Nicht im Geringsten. Ich machte einen Schritt rückwärts. Plötzlich glitt der Boden unter meinen Füßen weg und etwas traf mich hart im Rücken. Ich sank zu Boden und das Bild vor meinen Augen verschwamm. Dunkelheit hüllte mich ein. Ich riss die Augen auf. Masuda starrte mich schockiert an. Ich war wieder in meinem Zimmer im Palast. Die frühe Morgensonne schien durch die halb geöffneten Samtvorhänge. Erleichtert stieß ich einen Seufzer aus. Dann fixierte ich Masuda. Die Dienerin hatte sich vor mir auf das Bett gekniet und rüttelte mit beiden Händen an meinem linken Arm. Ihr Griff war so hart, dass er schmerzte. Als sie die Verwunderung in meinem Gesicht sah, ließ sie los. Ich ließ mich müde auf die Kissen fallen. Ich bin wieder hier, dachte ich erleichtert. „Mylady! Was ist geschehen?“ Masudas Stimme klang panisch als sie sich zu mir herunter beugte. Doch ich hörte sie nur halb, dachte an den hellen Raum, die beiden Personen und die Wiege zurück. Hatte dieser Traum etwas zu bedeuten gehabt? Etwas Schlechtes? Vielleicht zeigt er ein Unglück an, das mir einmal geschehen wird. . . aber warum träume ich dann jetzt davon? Ein Schaudern befiel mich. Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf, um das Spukbild zu vertreiben. Mir fiel auf, dass mir Haar nass am Gesicht klebte. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn, die von Schweißperlen bedeckt war. Als ich an mir herabsah, bemerkte ich, dass mein Kleid, das ich gestern zu müde gewesen war, abzulegen, schweißnass an mir klebte. Was ist nur geschehen?. -Du hast geträumt., antwortete mir die nun schon bekannte Stimme kühl. -Aber wovon?Ich erinnere mich an nichts. . . wo war dieser Ort gewesen? Eine geheime Kammer im Palast? Doch die Gedankenstimme erwiderte nichts. Ich wandte mich fragend Masuda zu, in deren Augen noch immer eine Mischung aus Angst und Sorge stand. „Was ist passiert?“, fragte ich leise. Sie schüttelte ratlos den Kopf. „Als ich klopfte um Euch euer Frühstück zu bringen, habt ihr noch geschlafen. Ich habe also gewartet bis ihr erwacht damit ich euch beim Ankleiden helfen konnte, doch je länger ich wartete, desto mehr begann ich mir Sorgen zu machen.“ sie wurde merklich blasser, „Ihr habt Euch im Schlaf herumgeworfen wie eine Verfolgte, Mylady. Ich dachte Ihr stündet unter großen Schmerzen!“ Sie sah mich um Verständnis bittend an, während ich ihrem Blick fassungslos begegnete. Nach einigen Augenblicken der Stille, räusperte ich mich. „Es war nur ein kleiner Alptraum, Masuda. Nichts Ernstes.“, versuchte ich sowohl sie, als auch mich selbst zu beruhigen. Mein Blick fiel auf zwei unberührte Tablette mit Essen. Ich warf der Dienerin einen fragenden Blick zu. Sie errötete leicht.„Ihr habt gestern bereits geschlafen als ich Euch das Abendessen brachte, Mylady. Ich habe es hier hingestellt weil ich dachte Ihr würdet aufwachen und Hunger haben.“ Da fiel mir ein was ich ihr gestern noch hatte sagen wollen. „Masuda?“, begann ich leise, „Es tut mir Leid, dass ich zugelassen habe wie Malika mit dir gesprochen hat. Ich hätte sie zur Rede stellen müssen.“ Die Augenbrauen der Dienerin schossen in die Höhe. Einen Moment herrschte Stille, dann machte die Überraschung einem verlegenen Lächeln platz. „Sorgt Euch nicht darum, Mylady. Lady Malika hat das Recht mit den Dienern zu sprechen wie es ihr gefällt. Außerdem bedient sie sich nur dem gängigen Tonfall.“ Ich bemühte mich, meine Missbilligung zu verbergen, als sie sich erhob und mir wortlos das Frühstückstablett brachte. „Dennoch ist es nicht richtig.“, flüsterte ich, als sie sich zu mir setzte. „Ich würde es gerne wieder gutmachen.“ Sie schlug die Augen nieder, doch ich glaubte für einen Augenblick so etwas wie Unglauben in ihrem Blick zu erkennen. Dann jedoch lächelte sie zurückhaltend. „Ich danke Euch, Mylady. Doch das ist wirklich nicht nötig.“ Ich richtete mich auf als sie mir das Tablett aufs Bett legte und bat sie abermals, die Mahlzeit mit mir einzunehmen. Diesmal nahm sie zu meiner Überraschung an. Nach wenigen Minuten war das reichliche Essen verzehrt und ich lehnte mich zufrieden zurück. Dabei stieg mir der schale Geruch eines ungewaschenen Körper in die Nase. Ich stützte mich auf den Ellenbogen. „Masuda, glaubst du es wäre möglich, dass ich eine Kanne Wasser bekomme? Ich würde mich gerne waschen.“, flüsterte ich. Sie lachte leise auf. „Aber Mylady! Eine Kanne?“ Sie erhob sich kichernd. „Wenn Ihr es wünscht werde ich Euch gerne in die Badehäuser geleiten, wo ich Euch ein Becken einlassen werde.“ Ich stutze, überrascht. „Wäre das denn möglich?“ Sie nickte, wieder ernst geworden. „Natürlich. Die Quelle, die in den Teich vor dem Palast mündet, kann einfach angezapft werden. Das so gewonnene Wasser wird erhitzt und in verschiedene Zuber und Becken in den Badehäusern und den Gemächern des Sultans gebracht.“ Meine Augen weitete sich. „Müsst ihr das Wasser etwa tragen?“ Sie schmunzelte. „Schon seit Langem nicht mehr. Es wird durch Rohre in den Böden geleitet, wodurch diese in den kalten Monaten sogar geheizt werden können. Sultan Jakibs Vorgänger, sein verstorbener Onkel Sarim, hat dieses System entworfen. Er war sehr fortschrittlich, müsst Ihr wissen. “ Ich nickte langsam. Ich hatte Kaufleute über die ausgefeilte Technik des Palastes reden hören. Doch, dass es möglich war Badewasser durch die Mauern des Palastes zu leiten, hätte selbst ich nicht geglaubt. Sultan Sarim, schon ein alter Mann als er den Thron vor mehr als 20 Jahren bestiegen hatte, hatte viele Verbesserungen über Mangalin und die Nachbarländer gebracht. Er war selbst bei denen, die den Palast und seine Bewohner sonst verabscheuten, hoch angesehen gewesen. Auch ich lächelte als ich dieser genialen Idee ihren Respekt zollte. Dann sprang ich aus dem Bett. „Dann bitte, bring mich hin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)