Immer wieder, noch einmal. von Norden ([TAITO & JOMATO]) ================================================================================ Kapitel 2: Der Junge und der Morgen danach. ------------------------------------------- Yamato glaubte nicht an die wahre Liebe, weswegen er sich sicher war, sie würde ihm niemals geschehen. Das war nur logisch und in einer logischen Welt war kein Platz für diese explosiven Gefühle, die einem im ersten Moment unter den ersten Blicken bereits den Atem raubten und die Welt Kopf stehen ließen. Herzklopfen, Kribbeln, Schmetterlinge im Bauch? Beschrieb man so das empfundene Verlangen, traf man auf seine ganz persönliche Verkörperung eines perfekten Mannes? Eines Mannes, den man an sich reißen und einverleiben wollte – rein körperlich gesehen? Irgendwie war sich Yamato nicht ganz sicher, in welche vielen verschiedenen Richtungen seine Gefühle und Gedanken gerade Achterbahn fuhren, aber eines war ihm niemals klarer vor Augen gewesen: Dieses trockene Gefühl im Mund war ihm so noch nie untergekommen und vor allem nicht dann, wenn er eigentlich gerade sabbernd auf der Theke hängen müsste. Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht und überhaupt – „Entschuldigung?“ Der Blick der blauen Augen, der durchgehend der Theke gegolten hatte, ohne sich auf einen richtigen Punkt fixiert zu haben, schnellte etwas in die Höhe und blieb direkt in den braunen Augen hängen, welche Yamato vor einem Moment das erste Mal hatte ausmachen können und in deren Schokoladenmeeren er sich für eine gefühlte Ewigkeit verloren hatte... und die ihn nun wieder in die Tiefe ziehen zu schienen. Es kostete ihn alle Kraft und Vernunft, die er irgendwo hinter dem Whiskeynebel noch hatte finden können, um sich selber vor dem Ertrinken zu retten und der Person, zu der die Augen gehörten, etwas seiner wertvollen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Erweckte der fragende Ausdruck auf dem braungebrannten, fremden Gesicht gerade einen falschen Eindruck, oder hatte Yamato diesen Mann wirklich schon eine ganze Weile missachtet, während er ihn angesprochen hatte? Ob es nun der Alkohol war, oder die tiefe Stimme, die dem warmen Lächeln einen Charakter verlieh, diese höfliche und vielleicht schon zurückhaltende Gestalt, die ihm wohl schon zum zehnten Mal einen weiteren Whiskey angeboten zu haben schien, irgendetwas von beidem trieb Yamato die Röte auf die sonst eher blassen Wangen. Sofort schreckte der blonde Mann komplett aus seinen Gedanken auf und sah verlegen zwischen dem Fremden und dem Glas vor ihm hin und her. „Verzeihung, ich war... irgendwie, irgendwo und...“ Seufzend vergrub er für einen Moment sein Gesicht in seiner Hand und rang sich danach zu einem Lächeln durch, mit welchem er nach dem Glas griff und sich leise bedankte. Da hatte er sich mit seiner gedankenverlorenen Art wohl ganz schön lächerlich gemacht. „Nein, nein.“ Diese Stimme jagte ihm Schauer über die Schulterblätter. „Ich bin eher beruhigt, dass ich mit meiner ersten Vermutung nicht doch richtig lag.“ Yamato nahm einen kleinen Schluck des Whiskeys, auch wenn er sich nicht wirklich nach noch mehr Alkohol fühlte. Sein Kopf schwirrte sowieso schon und der Jazz schallte an die tausendmal in seinen Ohren wieder. Für gewöhnlich pflegte er diesen Zustand zu genießen, aber in diesem Moment lenkte er ihn nur von der fremden Traumgestalt neben ihm ab. Es kostete Yamato ein lauteres Räuspern, um seine Stimme fassen zu kriegen. „Erste Vermutung?“ „Ich dachte, Sie würden mich mit vollem Bewusstsein...“, der Fremde zuckte mit den Schultern und lachte leise. Es war dieses Lachen, welches Yamato eine gefühlt endlose Minute den Atem raubte. Wie konnte ein Mensch so perfekt lachen? So... so, ohne dabei irgendwie auch nur annähernd idiotisch auszusehen? Verzogen sie denn nicht alle irgendwie ihre Stirn, ihre Lippen, oder sonst etwas? Gaben eventuell auch ein lächerliches Grunzen und Keuchen von sich? Nein, dieser Mensch nicht. Er lachte so warm und rau, eben perfekt und eben so, wie man sich das perfekte Lachen vorstellte. „Mit vollem Bewusstsein was?“ Noch hatte der angefangene Satz keinen wirklichen Sinn in Yamatos verwirrtem Kopf, der durch dieses Lachen und das Auftreten des Fremden nicht unbedingt geordnet worden war, ergeben. „Ich dachte, Sie würden mich ignorieren. Ich stehe hier schon eine ganze Weile mit meinem Glas und dem anderen Glas vor Ihnen und Sie haben gar nicht reagiert. Es wirkte eher so, als würden Sie durch mich hindurchsehen... Ohne eingebildet erscheinen zu wollen, aber das geschieht mir nicht gerade oft.“ Natürlich geschah es dieser Wiedergeburt einer griechischen Gottheit nicht oft, dass ihn jemand ignorierte und durch ihn hindurch sah! Wieso sollte ihn auch jemand ignorieren? Ihn und seine... Himmel, täuschte er sich gerade, oder schimmerten diese braunen Augen im gedimmten Licht der Bar auch noch golden? Dieser Mann war eindeutig der Beweis für die Existenz eines Gottes und eben dieser Gott hasste Yamato! Wieso führte er ihn sonst dermaßen in Versuchung und – Verdammt, er musste sich zusammenreißen, hatten sich diese perfekten Lippen doch schon wieder genau in dem Moment bewegt, in welchem er gerade in seinen Gedanken verloren gegangen war! Yamato spürte, wie ihm warm im Gesicht wurde und es bedurfte ihm keines Spiegels, um zu wissen, welche Farbe seine Haut wohl gerade angenommen haben musste. Wieso konnte er sich nicht auch einfach mal zusammenreißen und in der Realität agieren, anstelle nur in seinen Gedanken herumzutollen und sich selbst mit ‚Was wäre wenn‘- Fragen zu bombardieren? Irgendetwas stimmte doch eindeutig nicht mit ihm und seiner Gedankenwelt. „Entschuldigung, ich muss schon etwas viel getrunken haben.“ Schnell schob der blonde Mann das Glas von sich und drehte sich auf dem Barhocker noch etwas in die Richtung des Fremden. Zwar gab er ungerne zu, schlug ihm etwas aufs Gemüt, jedoch war dieses Geständnis noch immer besser, als eine Wahrheit, die ihn als kompletten Psychiatriefall dastehen ließ! Hatte er eigentlich eine Reaktion des fremden Mannes, eventuell Spott oder gar dessen Abwendung, erwartet, wunderte sich Yamato nicht schlecht, als Besagter sich nur schmunzelnd der Theke zuwandte und Takuro um ein Glas mit Wasser und vielen Eiswürfeln für ihn bat. „Das sollten Sie dann wohl eher trinken, als noch mehr Whiskey.“ Noch immer umspielte dieses phänomenale Lächeln die schmalen Lippen, wobei sich die strahlenden Augen langsam von Yamatos Gesicht abwandten und zu dem leeren Barhocker neben ihm glitten. „Darf ich?“ Natürlich durfte er! Und wie er durfte, egal was für eine seltsame Mimik Takuro ihm schenkte, als er recht hektisch und abgehakt nickte und sinnigerweise dabei versuchte etwas mit seinem eigenen Barhocker zur Seite zu rutschen, ganz so als würde er dem jungen Gott Platz auf einer Bank machen wollen. Zu Yamatos Glück bewegte sich der Hocker einfach gar nicht und verfrachtete ihn somit nicht auf den Boden der Tatsachen, auf dem er auch durchaus hätte landen können nach dieser grandiosen Idee. Offensichtlich hielt der Fremde seinen Hocker mit einer Hand etwas fest, berührte Yamato dabei mit seinem Arm am Rücken. „Achtung, nicht, dass Sie noch umkippen!“ Für einen kurzen Augenblick gedachte Yamato sich einfach zur Seite, auf den Boden zu werfen, seine neue Bekanntschaft dabei mit sich zu ziehen und einfach den belastenden Smalltalk zu überspringen. Wieso konnten sie sich das ‚Oh, sind Sie öfters hier?‘ nicht einfach sparen und lieber klären, wo sich das nächste Hotel befand? – Nicht, dass Yamato eben diese Frage nicht hätte sofort beantwortenkönnen, aber dennoch gefiel sie ihm besser als alle anderen Fragen der Welt, die sie sich gegenseitig stellen konnten. Spürte dieser Typ denn gar nicht das Knistern zwischen ihnen? Diese Spannung, mit der man locker mehrere Fußballstadien für einige Jahre mit Strom hätte versorgen können? Anscheinend stieg ihm der Whiskey wirklich langsam zu Kopfe, spürte Yamato plötzlich deutlich, wie ihm noch um einiges wärmer wurde und seine Sicht auch etwas an Klarheit verlor. Seine Knie fühlten sie so an wie Pudding, fürchterlich leicht und wabbelig. Er als ihm seine Beine etwas nachgaben, bemerkte er so wirklich, dass er inzwischen neben der Theke stand, mit einer Hand noch das Glas Wasser umklammernd und mit der Anderen Halt an der Schulter des braunhaarigen Mannes suchend. Auch dessen besorgter Blick fiel ihm erst jetzt ins Auge. „Entschuldigen Sie mich bitte.“, seine Stimme war nicht viel mehr als ein Murmeln, das er selber gar nicht mal mehr vernahm, ebenso wenig wie die besorgte Frage nach seinem Befinden. Himmel, seit wann vertrug er denn seinen Whiskey nicht mehr? Yamato schüttelte knapp den Kopf und verschwand wankend aber zügig gen Männertoilette, konnte seinen eigenen Zustand während dieses Gangs nicht begreifen. Natürlich trank er öfter mal etwas mehr als er vertragen konnte, übergab sich so manches Mal, jedoch hatte zu diesem Zustand bislang immer mehr dazugehört, als nur ein paar wenige Gläser Whiskey! Oder lag dieses schummrige Gefühl etwa gar nicht mal nur an dem Alkohol, der durch seine Blutbahnen, direkt in sein Gehirn strömte und die letzten klaren Gedanken des Yamato Ishidas dabei schlafen schickte? Mit einem gezielten Schlag gegen die Wand rechts von der Holztür, die zur Männertoilette führte, schaltete Yamato das Licht in Besagter ein und taumelte, sobald seine Augen sich erst einmal an das, was die grellen Neonröhren da von sich gaben und wohl Licht darstellen sollte, gewöhnt hatten, zu einem der kleinen Waschbecken, die genau gegenüber der Pissoir angebracht waren. Ein Blick in den Spiegel reichte aus um ihm den Anblick zu zeigen, den er erwartet hatte. Oder doch nicht? Etwas verwirrt stellte der junge Journalist fest, dass er sehr wohl betrunken war, sich jedoch noch lange nicht auf der Einbahnstraße gen Dead-End-Overkill befand. Seine Frisur saß, sein Hemd saß, Wangen und Lippen waren leicht gerötet, allerdings nicht grünlich verfärbt und seine Augen auch nicht sonderlich glasig. Eigentlich befand er sich noch in einem äußerst ansehnlichen Zustand. Etwas diesig und schwankend mit rosa-roter Brillensicht, aber durchaus in der Lage noch weitgehend klar zu denken, reden und handeln. So die Theorie. Wieso also in Gottes Namen hatte er sich gerade in der Bar so total daneben benommen? Yamato zeigte seinem Spiegelbild einen Vogel, schüttelte grummelnd den Kopf und drehte derweil den Wasserhahn auf. Eiskaltes Wasser, nicht zum Trinken, sondern direkt in sein Gesicht, war was er nun brauchte. Und zwar dringend. Eiskaltes Wasser, viel, kalt, im Gesicht und im Nacken und – gewiss keine warme Hand, die sich plötzlich auf seine Schulter legte! „Alles in Ordnung?“ Sobald er die Worte so nah an seinem Ohr vernahm, stand Yamato auch schon etwa einen halben Meter neben dem Waschbecken, blickte erschrocken auf, in die braunen Augen seiner neusten Begegnung, die er doch noch vor keinen fünf Minuten in der stickigen Bar zurückgelassen hatte, um sich nicht zum kompletten Vollidioten inszenieren zu müssen. Natürlich war der sympathische Mann ihm nun gefolgt, um sein Wohlbefinden sicherstellen zu können und dem blonden Unglückspilz noch eine neue Chance zu geben, über alle Stränge des guten Benehmens zu schlagen. ‚Wie blamiere ich mich am besten, ohne dabei viel den Mund aufmachen zu müssen?‘ Ein Stück von Yamato Ishida in drei Akten! Besagter zwang sich langsam zu einem kleinen Lächeln und hob dabei verlegen seine Hände. Würde er weiterhin das verwirrte Chaos zur Schau stellen, so war es wohl offensichtlich, dass er diese Nacht sich selbst allein nach Haus bringen müssen würde. Zurück zu den Rosen! Fast augenblicklich lichtete sich der Nebel, der ihm automatisch auf ein Neues die Sicht geraubt hatte und erlaubte ihn einen ersten klaren Blick auf den Fremden. Einem jungen, gutaussehenden Mann, der ihn vielleicht wenigstens eine Nacht lang aus seiner himmlischen Beziehung retten und in die Hölle hinab ziehen würde. „Danke, es geht schon wieder.“ Sein normaler Charme wackelte zwar noch gehörig, aber wenigstens konnte sich Yamato nun einreden, ein wenig seinem gewöhnlichen Ich zu ähneln. „Sorgen Sie sich nicht um mich, Herr – Oh, Sie haben mir Ihren Namen noch gar nicht verraten!“ Die gekünstelte Sorglosigkeit, das sanfte Glucksen, alles zusammen ergaben beide eine gute Basis, auf der er aufbauen konnte, allerdings nicht so recht auf willige Ohren zu treffen schien. Sein griechischer Gott grinste schließlich nur, zuckte mit seinen breiten, atemberaubenden Schultern. „Es wäre nicht so, als hätten Sie mir die Chance dazu gegeben mich Ihnen vorzustellen, richtig?“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht, aber wer war Yamato schon, dass er sich sein lächerliches Verhalten von vor einigen Minuten offensichtlich eingestand? Viel lieber tätigte er eine wegwischende Geste mit seiner Hand und fuhr sich durch die perfekt sitzenden, goldenen Strähnen, die ihm immer wieder aufs Neue in seine Stirn fielen – gewollt! Schon so oft hatte Mimi ihn stöhnend darum gebeten, sich doch einfach den Pony kürzen zu lassen, war er doch 23 Stunden des Tages damit beschäftigt, eben Besagten aus seiner Stirn zu verbannen, womit er ihr angeblich auf die Nerven fiel. Gerade Mimi sollte es nerven. Eben die Frau, die eigentlich am besten wissen sollte, welcher Sinn hinter langen Ponystränen oder langen Haaren im Allgemeinen steckte: Die beste Möglichkeit aufreizende Gestiken auf einfachste Art und Weise zu tätigen und das ganz unauffällig auffällig! Wie konnte man besser eine intensive Konversation oder gar schon einen feurigen Kuss anzetteln, als vorher noch einmal kurz die Augen niederzuschlagen, sich mit der Hand durchs Haar zu fahren und dann unter den Wimpern wieder zu seinem Gegenüber hochzulinsen? Yamato folgte seiner eigenen ‚Männer-Abschlepp-Gebrauchsanweisung‘ brav, erfreute sich des Lächelns, welches er für diese etwas weibische Aktion erntete. Sein Gegenüber nahm ihn offensichtlich nicht ernst, amüsierte sich recht ungeniert über ihn, da blieb wohl nur die Frage, ob er ihn wirklich als äußerst lächerlich und armselig befand oder aber Gefallen an diesen kleinen seltsamen Macken zu finden begann. Wieso sonst sollte ihm dieser Mann auch noch extra bis aufs Klo gefolgt sein, wenn er den Psychatriefall direkt nach ihrer kurzen miserablen Konversation in der Bar aus seinem Leben hätte verbannen können? Egal, wie dumm er ihn also fand, er wollte definitiv einmal über ihn drüber steigen! Oder bildete Yamato sich diese Absichten seines Gegenübers auch nur ein? Nein, definitiv nicht! Dafür hatte er ihn schon zu oft unnötiger Weise berührt, bereits zu viel Energie darin investiert, von Yamato beachtet zu werden. Er wollte ihn. Jeder kennt ihn, diesen knisternden Moment zwischen zwei Menschen. Man sieht sich an, eine flüchtige Berührung und beide wissen Bescheid. Beide wollen dasselbe: Sich, ein einsamen Ort und den Rausch einer einmaligen Zeit miteinander. Es ist nicht schwer zu erkennen, ob das Gegenüber auf eine gemeinsame Nacht aus ist, nein, viel eher ist es schon so offensichtlich, dass es einem gar schwerfällt, richtig zu reagieren. Einerseits will man es ja selbst, jedoch ziemt es sich selten, sofort der Verführung des Moments nach- und sich dem anderen Menschen hinzugeben. Ist es nicht langweilig, das vorherige Machtspielchen zu überspringen und sofort die Laken zu erobern? Egal auf welche Art und Weise, der Mensch braucht immer ein Spiel, das Risiko, eventuell zu scheitern oder etwas noch Verführerisches beschwören zu können. Normal ist langweilig und schnell ist reizlos – vor allem, wenn es sich darum dreht, seinen festen Partner zu hintergehen. Ein Betrug war doch nur halb so interessant, geschah er hinter verschlossenen Türen, im geheimen Kämmerlein, vielleicht sogar nach Absprache und Planung. Welchen Spaß brachte so eine langweilige Aktion schon? Wenn man seinen festen Partner zu Hause schon systematisch zu verletzen und zerstören ersuchte, dann bitte mit Stil. Nun wussten sie wohl beide, was sie voneinander wollten, so wie ihre Blicke über den jeweils Anderen hinweg glitten und das ohne irgendein Wort zu wechseln, aber so schnell wollte Yamato nicht mit der Sprache herausrücken und sein Gegenüber wohl auch nicht. Dieser lächelte nur weiterhin sein charmantes, überaus perfektes Lächeln und schritt zurück gen Tür, welche er Yamato aufhielt. „Wenn es Ihnen besser geht, sollten wir uns vielleicht wieder gen Bar begeben? Ich war so frei den Barkeeper darum zu bitten, auf Ihre Tasche aufzupassen.“ Noch während er die Worte des anderen Mannes vernahm, warf Yamato schon einen Blick an sich herab und verfluchte sich direkt dafür, dass er seine Tasche anscheinend wirklich einfach hatte liegen lassen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen für ihn irgendetwas zu verlieren, aber Yamato war absolut nicht danach, Jõ mal wieder erklären zu müssen, wieso er zum x-ten Mal ein neues Handy kaufen und die Schlösser ihrer Wohnung austauschen lassen müsste. Andauernd verlor er im Suff oder aus purer Schusseligkeit seinen Kram und er wollte dabei gar nicht wissen, wie oft er schon allein seine Konten hatte sperren müssen. Oh nein, so ein Desaster brauchte er gewiss momentan nicht auch noch. Also bedankte er sich brav und voller ernstgemeinter Erleichterung, wollte sich eigentlich von seiner Bekanntschaft raus führen lassen, wobei er aber deutlich zögerte, als er an ihm vorbeikam und wieder diese warme, große Hand auf seinem Rücken spüren konnte. Verdammt, wie schwer konnte es ihm denn fallen, seiner gewohnten Verzögerungstaktik nachzugehen und das alles nur wegen zwei schönen braunen Augen und einem verführerischen Lächeln? Dieses Mal bemerkte Yamato ganz genau, wie intensiv er den anderen Mann anstarrte, aber es kümmerte ihn nicht. Er achtete auch nicht weiter darauf, als er automatisch mit seiner Hand die des Braunhaarigen zu sich zog und sie genauer zu erkunden begann. Dieser Mann hypnotisierte ihn einfach zu sehr, als dass er sich auf irgendwelche Taktiken und Tricks hätte konzentrieren können. Himmel, er brachte ihn einfach nur um den Verstand. „Vielleicht geht es mir doch noch nicht wieder so gut.“, vernahm er seine eigene Stimme, leise und kratzig – irgendwie schleppend. Aber er log definitiv nicht, waren seine Knie schließlich inzwischen mal wieder dabei unter ihm nachzugeben und ihn direkt in die Arme seines Adonis‘ zu treiben. „Mir ist ziemlich heiß.“ Um genau zu sein sehr heiß und es schien pro Sekunde heißer zu werden, pro Millimeter, den er sich dem anderen Mann näherte. Dessen Finger auf seiner Wange und die Hand, die seine Hüfte stützte, halfen ihm auch nicht dabei, seine Gedanken etwas unter seine Gewalt zu bringen und nach einigen Versuchen sich irgendwie wieder zu beherrschen, hatte Yamato es einfach aufgegeben. Gegen diese immense Hitze und seinen wirren Kopf kam er nicht mehr an und jeglicher weiterer Aufwand entsprach nur verschwendeter Energie, die er gewiss an anderer Stelle weitaus besser einsetzen können würde. Wonach sucht der Mensch bei einem One-Night-Stand? Nach Leidenschaft und gefühlsloser Fleischeslust, oder doch nach etwas viel Tiefgründigerem? Ist er einsam oder einfach nur süchtig nach der Aufmerksamkeit anderer Menschen? Was suchen wir, wenn wir uns mit Fremden auf eine gemeinsame Nacht einlassen? Man kommt nicht drum herum sich derartige Fragen zu stellen, liegt man gerade in den Armen von besagtem Fremden und hat eine Sekunde Platz irgendwo zwischen dem Rausch und der Ungewissheit, was weiterhin geschehen würde. Aber haben diese Fragen überhaupt Antworten oder stellen wir sie uns nur, um irgendwie unserem schlechten Gewissen Luft machen zu können? Gibt es wirklich etwas was wir suchen, dann haben wir Zugriff auf eine Ausrede, die wir vor allem uns selbst gegenüber so oft wie nötig anwenden können – die perfekte Entschuldigung für etwas, was wahrscheinlich nicht hätte sein müssen. Denn Fakt ist einfach: Eigentlich bedarf es niemanden an diesen kurzen Stunden der fremden Zweisamkeit. Zumindest dann nicht, wenn man zu Hause jemanden auf sich warten hat. Wieso also lassen wir uns immer wieder darauf ein? Anscheinend genießen die Menschen doch nur das Spiel mit dem Feuer und auch das Risiko, ihr gesamtes Leben, was sie bis dahin aufgebaut haben, mit einem Schlag wieder zerstören zu können. Und wenn man auch denkt, dass es bei diesem Spiel keine Regeln gäbe, so gibt es doch Momente die nicht zu umgehen sind und immer wieder vor die selben Entscheidungen stellen. Sollte man sich also nicht fragen was geschehen würde, träfe man einfach mal eine untypische Entscheidung und kehrte dem gutaussehenden Mann oder der sinnlichen Frau im richtigen Moment den Rücken zu? Vielleicht würde es einem danach eindeutig besser gehen und man könnte guten Gewissens zu seinem Partner daheim heimkehren. Es gibt immer den letzten Moment, in dem man noch entscheiden kann, ob man entweder den verführerischen Lippen nachgibt oder ihnen widersteht. Yamato war es bisher noch nie gelungen ihnen zu widerstehen und so fand er sich keine fünf Minuten später selber dabei wieder, wie er den fremden Mann innig küsste, sich dabei mehr an dessen Körper klammerte, der ihn recht schnell und schwungvoll gegen die nächstbeste Wand befördert hatte und nun gegen diese drückte. Plötzlich waren alle Überlegungen und Zweifel, Pläne und spielerische Gedanken wie ausgelöscht gewesen und Yamato war vollends die Kontrolle über sich selbst entglitten. Er spürte lediglich noch heiße Lippen auf den eigenen, eine stürmische Zunge in seinem Mund, die die seine gerade versuchte in ihre Schranken zu weisen – aber ohne ihn! So sehr Yamato es auch genoss letzten Endes dominiert zu werden, so gab er ungerne sofort auf, wenn es erst einmal bis zu einem der berühmten Kräftemessen gekommen. Leicht würde er es dem Namenlosen nicht machen, auch wenn sie wohl beide bereits wussten, wohin diese innigen Berühren sie diese Nacht noch führen würden. Was ist es, das wir nicht kennen und nicht beschreiben können, aber wonach es uns tief in unserem Innersten verlangt und vor allem: Wann wird die Suche danach endlich aufhören? - Die Morgensonne schien fröhlich und munter auf den morgendlichen Trubel auf Tokios Straßen herab, trieb vielleicht dem Ein oder Anderen einige müde und trübsinnige Gedanken aus dem Kopf und überdeckte den ohrenbetäubenden Lärm der Autos, Baustellen und klingelnden Firmenhandys. Es begann ein neuer Tag - 24 Stunden voller neuer Möglichkeiten, neuer Taten und neuer Geschehnisse. Alles war neu, neu, neu... Nur Yamato war irgendwie in der vorherigen Nacht hängen geblieben und dachte an alles, nur eben nicht an einen Neubeginn. Wie sollte er auch die letzten Stunden einfach vergessen können? Alleine der Gedanke an den Weg, den sie bis zur Wohnung seiner Bekanntschaft zurückgelegt hatten, trieb ihm die Hitze ins Gesicht – Von allem, was anschließend geschah einmal ganz zu schweigen. Yagami, Taichi. Irgendwann hatte der Andere ihm endlich seinen Namen genannt und Yamato wunderte es fast schon, wie gut er diese beiden Worte, die Bewegungen der verführerischen Lippen, noch in Erinnerung hatte, konnte er sich schließlich beim besten Willen ansonsten an keinerlei Details mehr entsinnen. Natürlich war er betrunken und vollkommen neben der Spur gewesen, aber erklärte dieses Zusammenspiel wirklich die Begebenheit, dass er sich lediglich an Bruchstücke, flackernde Bilder und ansonsten nur noch diese brennende Hitze erinnern konnte? Alles Weitere war verschwommen, nebelig und wirkte so, wie ein süßer Traum, basierend auf zu vielen Gläsern Whisky. „Yagami, Taichi.“, hörte sich Yamato selber murmeln, wenn auch eher unbewusst. Immer wieder musste er diesen Namen wiederholen, während er versuchte den vergangenen Abend irgendwie zu rekonstruieren. „Yagami - “, „Wie bitte?“ Der Klang der fremden Stimme riss den blonden Mann aus seinen Gedanken, ließ ihn von seinem Portemonnaie in seiner Hand auf- und zu dem Besitzer der Stimme sehen. „Ehm... Nichts, nichts. – Wie bitte?“ Anscheinend war er etwas gefragt worden und er hatte nicht reagiert. Zumindest ließ der entnervte Blick des Mannes vor ihm darauf schließen. Besagter wedelte nun mit einem großen weißen Thermobecher vor seiner Nase herum und wiederholte die Frage noch einmal, die Yamato so geflissentlich ignoriert zu haben schien. „Latte Macchiato mit zwei Extra-Shots, fettarm, venti?“ „Ja, danke.“ Ohne weiter auf den Blick des Barista einzugehen, griff sich Yamato zügig seinen Latte und stürmte regelrecht gen Ausgang des Shops. Himmel, er musste wirklich irgendwie seine Gedanken wieder auf die Reihe kriegen, wenn er sich jetzt schon vor schlecht bezahlten Jobbern anblaffen ließ. Missmutig nahm er einen Schluck des brühendheißen Getränks, ignorierte dabei, wie sich die Hitze durch seine Zunge fraß und eine Mischung aus Taubheit und Brennen zurückließ. Er hatte diesen bitteren Schmerz verdient – definitiv – dachte er an das Vergangene zurück. Egal an wie wenig er sich erinnern konnte, es ließ sich nicht leugnen, was zwischen ihm und ‚Yagami Taichi‘ gelaufen war. Er hatte Jõ also tatsächlich aufs Neue hintergangen. „Und das an unserem Jahrestag. Nun, dazu gehört schon Talent.“ Kopfschüttelnd ging er die Straße hinab, ignorierte dabei die vielen Menschen, die an ihm vorbeiwuselten und ihren neuen Tag nutzten. Auch Yamato wollte irgendwo in seinem Innersten vergessen. Vergessen und neu beginnen, mit vielen guten Vorsätzen und mit einem Lächeln auf den Lippen, das nur Jõ zukommen sollte. Er wollte ihn auf der Arbeit besuchen und ihm sagen, dass er ihn liebte, so seine Vergangenheit ins Reine bringen und in eine neue Zukunft starten. Was hatte er da wieder getan und vor allem: Wieso fühlte er sich so gut? Er sollte sich schrecklich fühlen, sich schämen und um seine Beziehung fürchten, aber nichts dergleichen erfüllte ihn. In Yamato herrschten nur Verwirrung und etwas Seltsames, was er nicht wirklich beschreiben konnte, aber missen wollte er es auch nicht. Niemals zuvor hatte ihn eine durchzechte Nacht – ein One-Night-Stand um es genau zu sagen – dermaßen aus der Bahn geschmissen und in so tiefe Gedankengänge gestürzt. Was also war an dieser Nacht mit Taichi anders gewesen? Eigentlich spürte er auch ohne nachzusehen den Zettel, der in seiner Jackentasche lag, dennoch griff er nach ihm und hielt ihn für eine Weile einfach nur in seiner Hand fest. Noch so etwas, was er nicht gewohnt war und was so vollkommen seinem normalen Verhaltensmuster widersprach: Er hatte mit diesem fremden Mann, mit dem er nicht einmal hätte mitgehen dürfen, geschweige denn nun mit ihm in Kontakt bleiben sollte, Nummern ausgetauscht. Recht wortlos hatte ihm sein Adonis diesen kleinen Zettel in die Hand gedrückt und ihn gefragt, ob sie sich wiedersehen würden. Einfach so. Natürlich waren dabei keine weiteren Erklärungen bezüglich bereits existierender Partner gefallen. Vielleicht verbarg Taichi ja ebenso einen Freund oder gar eine Ehefrau vor den Leuten, die er nachts in Bars aufriss? Was wusste er schon von dem Leben des anderen Mannes und eventuell würden sie sich ja auch niemals wiedersehen. Was kümmerten ihn also irgendwelche Details? Details wie feste Partner und – Nein, halt! Er wollte so denken, wollte einfach alle Bindungen von sich schieben und ebenso ignorieren, wie er gerade die erwachende Stadt um sich herum ignorierte. Jõ vergessen und auch die hübsche Ehefrau oder der feste Freund, der irgendwo auf Taichi wartete, vielleicht auch über Rosen, Wein und ihrem Jahrestag! Sie sollten ihm egal sein, das wollte er so und doch brachte die Vorstellung ihn fast um den Verstand, es könnte noch jemand im Leben seiner neuen Bekanntschaft geben. Jemanden, der ihn jeden Abend so halten konnte, wie es ihm einige kurze Stunden vergönnt gewesen war. Durfte irgendwer wirklich Tag für Tag neben ihm aufwachen und sich sein Eigen nennen? Alleine dieser Gedanke brachte Yamato schon fast zur Weißglut. Er wollte das nicht. Niemand sollte ihn berühren, niemand außer ihm. Es brachte Yamato um den Verstand, dass er so dachte – so fühlte. Würde es um Jõ gehen, würde sich der Blonde wohl darüber freuen, endlich eine Art Besitzanspruch und innige Zuneigung empfinden zu können. Eben diese Form der Zuneigung, die einen auch blind vor Eifersucht und Wut werden ließ. Etwas, was Yamato eben vorher niemals hatte spüren können. Wütend auf sich und den Rest der Welt, warf er seinen fast randvollen Kaffee in den nächstbesten Mülleimer, ehe er unbewusst die Straße vor ihm überquerte und einen Weg einschlug, der direkt von ihrer Wohnung wegführte. In seinem Kopf herrschte einfach zu viel Chaos, als dass Yamato wirklich hätte steuern können, wohin er gerade ging, doch seine Schritte lenkten ihn bis zu dem Krankenhaus, in dem Jõ arbeitete. Vielleicht leitete ihn seine eigene Unsicherheit, seine Wut und Verwirrung über die Gefühle, die in seinem Kopf herumschwirrten und die ihm so falsch und doch so wunderschön vorkamen. Niemals zuvor hatte Yamato seinen Lebensgefährten bei der Arbeit besucht, aber nun empfand er es einfach als eine Art Zwang, dem er Folge leisten musste, nur um nicht weitere Fehler zu begehen. Vielleicht konnte er mit Jõ etwas in der Kantine essen gehen, oder wenigstens kurz mit ihm reden. Er musste sich einfach die Chance geben, dieses seltsame Gefühl in ihm vergessen zu können, ehe er nach Hause stürmte und direkt die Nummer wählte, die auf dem Zettel in seiner Jackentasche stand. Er durfte einfach nicht abgleiten. Er durfte dem Unbekannten nicht folgen und damit all das zerstören, was ihm die letzten Jahre so gut und teuer gewesen war. Das hatte weder ihre Beziehung, noch Jõ verdient! Den kompletten Weg über schwelgte Yamato in diesen wilden Gedanken, rannte hier und da mal in einen weiteren Passanten rein, ignorierte diese Zusammenstöße allerdings vollends und zog jedes Mal erneut weiter, ohne ein Wort und ohne seinen Blick auch nur einmal angehoben zu haben. Auch wenn er Jõ zuvor noch nie besucht hatte, so wusste er dennoch, wie er am schnellsten zum Krankenhaus gelangen konnte, weswegen er auch kaum auf die einzelnen Straßen achten musste. Erst als er letzten Endes an der Rezeption des Krankenhauses, vor der Raumübersicht stand, öffnete Yamato seine Welt wieder für das Geschehen um ihn herum. Sofort drang der laute Stimmenwirrwarr um ihn herum an seine Ohren, ließ ihn schmerzhaft das Gesicht verziehen. Jetzt, wo er mal wieder bei Sinnen war, spürte er erst den Kater, der in seinem Kopf und eigentlich auch seinem gesamten Körper tobte. Wie viel hatte er am Vorabend noch einmal getrunken? Und hatten Taichi und er wirklich noch eine Flasche Gin geöffnet, nachdem sie das erste Mal übereinander hergefallen waren? Wie oft war er noch gleich in dieser Nacht unter der Hand des anderen Mannes erzittert? Schnell schüttelte Yamato die Frage aus seinem blonden Schopf und zwang sich dazu nach der Station zu suchen, auf welcher sein Freund arbeitete. Er musste ihn sehen: Jetzt! Lange suchen musste er nicht, stieß er doch schon fast mit seinem Freund zusammen, als er aus dem Fahrstuhl stieg und sich dem Gang zuwandte. Sein Lebensgefährte stand direkt vor der Fahrstuhltür und studierte dabei eine Patientenakte, weswegen er Yamato erst bemerkte, als er sich an ihm vorbeischieben wollte. „Yama?“ Der verdutzte Ausdruck wich einem sanften Lächeln, was wohl seiner zerknuffelten Kleidung vom Vortag zu verdanken war. Jõ musste ihm direkt angesehen haben, dass er nicht eine Sekunde zu Hause gewesen war. „Du siehst müde aus.“ Normalerweise würde sein Freund ihm jetzt durchs Haar streicheln und einen sanften Kuss auf die Stirn drücken, etwas wonach sich Yamato gerade verzehrte. Allerdings waren sie sich schon immer darüber einig gewesen, ihre Beziehung von formellen Plätzen, wie zum Beispiel auch Jõs Arbeitsplatz, fern zu halten. Wer wusste schon, wie die Kollegen seines Freundes auf seine Sexualität reagieren würden? Normalerweise war dieser Beschluss für Yamato nie ein Problem gewesen, aber in diesem Moment brauchte er Jõs Liebe zu ihm. Er wollte sie dazu benutzen, sich selbst den niedergeschlagenen und geknickten Ausdruck aus dem Gesicht zu radieren. Sah ihm Jõ seine Gefühle schon an? Es musste wohl so sein, denn Jõ sah sich nur kurz um, ehe er der nächstbesten Schwester, die seinen Blick kreuzte, ausrichtete, er würde seine Pause vorziehen und irgendein Patient auf „der Drei“ sollte schon einmal zum CT gebracht werden. Yamato nahm die Worte seines Freundes nur vage war, stierte dabei ratlos den belebten Flur entlang, beobachtete für einen Moment eine weitere Schwester dabei, wie sie einen riesigen Stapel Akten durch die Gegend schaukelte, schier unendlich vielen Ärzten, Schwestern, Pflegern und Patienten auswich, nur um schließlich in der kleinen Rezeption dieser Etage zu verschwinden. Schon immer hatte es Yamato fasziniert, wie Jõ es Tag für Tag in diesem Tumult verbrachte. Immer zwischen Menschen, die mit Sicherheit sterben würden oder Menschen, die eventuell ihrer Krankheit erlagen. Woher nahm sein Freund nur die Kraft, um dieser seelischen und körperlichen Belastung standhalten zu können? Woher nahm Jõ die Kraft und Geduld, jeden Tag aufs Neue mit ihm auszuhalten? Mit zusammengebissenen Zähnen sah der kleinere Mann zu seinem Freund zurück, zwang sich dazu, vor dem Blick der ruhigen dunklen Augen nicht einfach davon zu rennen. In seinem tiefsten Inneren wollte er sich vor ihm verstecken, vielleicht hinter einem Lächeln und einem wunderschönen Strauß roter Rosen! Und was tat er stattdessen? Er stand Jõ ohne jegliche Maskerade gegenüber und spuckte ihm mit seinem Auftreten quasi direkt ins Gesicht. Wieso konnte er denn nicht wenigstens versuchen, seine Fehltritte vor seinem Partner geheim zu halten? Indem er so offensichtlich nicht ausgeschlafen, verkatert und in seiner Kleidung vom vorherigen Abend vor ihm stand, zwang er ihn doch nur dazu sich mit Yamatos Untreue auseinanderzusetzen. Schwuren manche Menschen doch auf die absolute Ehrlichkeit des Partners, so wusste Yamato nicht recht, wie er selber mit der Frage der Wahrheit umgehen sollte. Natürlich wollte man der geliebten Person einfach nichts vorenthalten, aber ab wann ließ man die Lüge der Wahrheit weichen, nur um damit seinem eigenen schlechten Gewissen Luft zu machen? Gab man denn mit einem Geständnis die Last nicht nur weiter und das zumeist an eine Person, die es nicht verdient hatte, leiden zu müssen? Jõ zumindest sollte angelogen werden. Konnte sich sein Lebensgefährte schon keinen Partner mit anständigen Manieren und aufrichtigen Gefühlen suchen und sich in ihn verlieben, so sollte dieser armselige Ersatz dafür wenigstens gut lügen und ihm hinter seiner Maske jeden Wunsch direkt von den Lippen ablesen können. Stattdessen knallte Yamato ihm ewig seine Fehler vor, wohlwissend, dass Jõ ihn nicht so einfach loslassen konnte. Er quälte ihn! Nur warum war die Frage? War es seine Unzufriedenheit, die er an dem anderen Mann ausließ oder vielleicht doch etwas Wut auf ihn, gerade weil er ihn nicht in seine Schranken wies? Denn danach sehnte sich Yamato ja regelmäßig, träumte davon und suchte sich Nacht für Nacht Männer, die gar nicht erst nach seinen Wünschen fragten, sondern nur an sich und ihr eigenes Verlangen dachten. Stumm und seinen düsteren Gedanken nachhängend, folgte Yamato seinem Lebensgefährten in den Fahrstuhl, bekam nicht einmal mit, welche Etage Jõ anstrebte. Sicherlich wollte er mit ihm etwas essen gehen. Die Vorstellung, Jõ nun eine halbe Stunde gegenüber sitzen zu müssen und dabei zu schweigen, ließ Yamatos Magen einen kleinen Salto vollführen. Wie sollte er das überleben? Sobald die elektrischen Türen sich schlossen, griff der blonde Mann nach der Krawatte seines Freundes, zog ihn zu sich und küsste ihn genau so lange, bis sie wieder stehen blieben und sich die Türen des Fahrstuhls sich erneut öffneten. Zwar konnte Jõ schlecht seiner Verwirrung Worte verleihen, traten schließlich zwei Kollegen und eine weitere Schwester zu ihnen hinzu, jedoch sprach sein Blick für sich selbst. Yamato wusste selbst nicht genau, was gerade über ihn gekommen war, aber diese Nähe zu Jõ hatte er gebraucht. In dieser Sekunde der Nähe, während des Kusses, war ihm nur wieder allzu klar geworden, was er getan hatte, wieder einmal getan hatte und wie er selber darunter litt. Sie litten beide darunter und es musste einfach ein Ende haben mit seiner ewigen Fremdgeherei! Er liebte Jõ doch schließlich. Oder nicht? Manchmal sollte man sich die Frage stellen, ab wann man nicht mehr auf sein Herz hört, sondern nur darauf, was man selber denkt, fühlen zu müssen. Haben wir uns nicht in vielen Fällen einfach nur an ein gewisses Gefühl, eine Gegebenheit oder vielleicht auch eine bestimmte Gesellschaft gewöhnt, sodass wir der festen Überzeugung sind, diesen Zustand aufrecht erhalten zu müssen? Anstatt sich wirklich mit sich und seinem Innenleben auseinanderzusetzen, hält man eben dieses für eine Einbildung und einen Fehler und verfolgt weiterhin das bisherige Leben. Wieso gestehen wir uns selbst nicht unsere Unzufriedenheit, Frustration, die neue Liebe, die neue Leidenschaft oder etwas dergleichen ein? Was haben wir davon uns selbst anzulügen? Denn immerhin geschieht diese Separation von momentanen Zustand und neuwertigen Gefühlen nicht etwa im hintersten Kämmerlein unseres Verstandes, sondern viel eher diskutieren wir die Fakten mit uns selbst aus und entschließen uns mehr oder minder bewusst dazu, alles zu ignorieren, was uns gerade umständlich und schwer zu verarbeiten erscheint. Das alles natürlich mit dem Resultat, auf ewig darüber zu rätseln, was uns denn nun so unglücklich macht und immer wieder aufs Neue in unser eigenes Unglück stolpern lässt. Wann hören wir endlich auf, uns selbst anzulügen? - tbc - Danke fürs Lesen. Widmung geht wie immer an meine Beta Das Ende ist keine Meisterleistung - das ganze Kapitel nicht. Aber ich hatte einen Hänger und musste es beenden, um frisch mit dem Nachfolgenden durchstarten zu können. Ich hoffe, ihr verzeiht mir das ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)