Schwarzer Tee von Franlilith ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Für uns steht die Zeit still. Das Rad des Schicksals dreht sich für uns nicht mehr. Ob es sich jemals gedreht hat? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins... ...ich warf mein Leben weg. Das Licht der Straßenlaterne begann zu flackern, als er sich auf dieser niederließ und das Mundstück der schmalen Flöte an seine Lippen legte. Ein klein wenig Leben kam in die ausdruckslosen Augen des jungen Mannes. So lebendig sie zumindest sein konnten. Er spielte diese Melodie Tag um Tag, auch wenn es ihm selbst nicht immer bewusst war. Da wo er herkam, existierte weder Zeit noch Raum. Niemand konnte die sanften, einlullenden Töne vernehmen, nur jene, für die es in diesem Augenblick bestimmt war. Im Haus ihm gegenüber ging das Licht an und ein Fenster öffnete sich. Jemand sah hinaus. Ein junges Mädchen. Mit schwarzen Haaren. Nicht sehr alt. Vielleicht vierzehn Jahre. Sie sah in seine Richtung, doch er achtete nicht auf sie. Dieses Mädchen hatte noch viel Zeit. Sie hörte die Melodie noch nicht. „Hey du!“, rief sie plötzlich, doch er reagierte nicht. Sie konnte ihn weder sehen noch hören. „Hey! Hörst du nicht?“ Er setzte die Flöte kurz ab, um in ihre Richtung zu sehen. Ihre hellen blauen Augen waren auf ihn gerichtet. Zufall, womöglich. „Na endlich siehst du mich an! Warum sitzt du da oben?“, wollte sie wissen. Er sah sich um, hier war doch niemand. Mit wem sprach das Mädchen? „Also wirklich, warum sagst du denn nichts? Komm doch von der Laterne runter, nicht das du dir noch wehtust.“ Erstaunt sah er wieder in ihre Richtung. Hatte sie gerade...? „Du...“, begann er langsam und steckte die Flöte in seine Tasche, ehe er aufstand und sich auf den Lampenschirm stellte. „...kannst mich sehen?“ Sicher nicht...vielleicht sprach sie mit ihrer Phantasie. Doch sie blinzelte nur irritiert, dann lachte sie. So fröhlich. So sorglos. „Aber natürlich kann ich dich sehen! Ich habe die Musik gehört, also habe ich rausgeguckt und dich gesehen.“, erklärte sie, worauf der junge Mann geschockt die Augen aufriss. Sie hatte es gehört? Konnte ihn tatsächlich sehen? Sie konnte Dinge, die sie bei ihrer noch verbleibenden Lebenszeit, gar nicht können dürfte. Er stieß sich von der Laterne ab und landete vor dem Dachfenster, aus dem das kleine Mädchen sich hinausgebeugt hatte. Sie kicherte und klatschte, als er sich vor sie hockte. „Das ist ja ein toller Trick!“, rief sie und lächelte breit, „Wie macht man das?“ Er legte den Kopf leicht zur Seite und musterte sie schweigend, ehe er den Kopf schüttelte. „Versuch es lieber nicht“, meinte er und sah über ihren Kopf scheinbar ins Leere. Auch wenn dem nicht so war. Sie hatte noch viel Zeit. Warum konnte dieses Mädchen ihn sehen? Er besah sich die blassroten Zahlen und den leicht verschwommenen Namen über ihrem Kopf. Sie wusste nicht einmal, dass sie so etwas besaß. Kein Mensch wusste das. Nicht bevor er starb... „Möchtest du nicht reinkommen?“, fragte sie plötzlich, worauf er verwirrt blinzelte. „Du kennst mich doch nicht einmal.“, erwiderte er, worauf sie ihn nur missmutig ansah. „Aber ich will dich kennen lernen!“ Sie beharrte darauf, was sollte er da schon groß tun? Vielleicht fand er so ja heraus, warum ihre Augen seine Gestallt wahrnehmen konnten. „Das hier ist das Wohnzimmer“, erklärte sie vergnügt und zog ihn an der Hand von einem Raum zum anderen. Sie konnte ihn sogar berühren. Es war eigenartig. „Wohnst du hier allein?“, wollte er nach einer Weile, in der er keine Menschenseele in diesem Haus wahrgenommen hatte. Menschenseele...er war heute wirklich sehr zynisch. „Oh nein, eigentlich nicht. Aber meine Eltern sind im Augenblick sehr beschäftigt und selten zuhause“, erklärte sie ihm, ohne das ihr Lächeln das kleinste bisschen abnahm. „...verstehe“, murmelte er und kam ihrem Bitten nach, sich auf die Couch im Wohnzimmer zu setzten. Er sah sie an, als sie vor ihm stehen blieb. „Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie und lächelte wieder so unbeschwert und fröhlich. Er konnte gar nicht ablehnen. Es hätte ihm um ihre verletzte Gastfreundschaft Leid getan. „Ich habe aber nur Tee, ist das okay?“, fragte sie, während sie in einem der Schränke in der angrenzenden Küche herumwühlte. „Ja.“ „Welchen Tee möchtest du denn?“ „Schwarzen Tee...“ „Den habe ich sogar da!“ Sie war so unbeschwert. So glücklich, als würde kein Leid der Welt sie betreffen und doch, war da ein Fehler. Irgendetwas, konnte da nicht stimmen. Warum konnte sie ihn sehen? Er ging die Möglichkeiten durch, während er beobachtete, wie sie ihm eine Tasse Tee auf den Tisch stellte. „Wie ist dein Name?“, fragte er leise und besah sich das dampfende Getränk, als würde es ihm auf die Frage antworten. Er wusste ihren Namen längst, dennoch empfand er es als höflicher nochmals zu fragen. „Ich bin Maki! Nenn mich einfach Maki!“, meinte sie lächelnd und setzte sich ihm gegenüber auf den Sessel. „Und wie heißt du?“ „...“ „Hey!“ Sie fing an zu schmollen. „Sag schon, wie heißt du?“ „...Lelu...einfach nur Lelu.“ Er sah zur Seite und überlegte weiter, bis Makis Lachen ihn aus den Gedanken holte. Verwirrt blinzelnd drehte er sich zu ihr. „Was ist?“, fragte er, worauf sie sich nur die Hand vor den Mund hielt. „Lelu? Das ist aber ein komischer Name!“, grinste sie, worauf er nur seufzend mit dem Kopf schüttelte. Es war immerhin eine freundlichere Reaktion, als die der meisten Seelen. Er sah sie an, beobachtete genau wie sie sich bewegte und besah sich dann ihre Lebenszeit erneut. Lelu hatte gelernt, dass es nur sehr wenige Möglichkeiten für das gab, was hier geschah. Sie konnte eine Seele sein, aber eigentlich fiel das schon von vornherein weg. Maki war noch ein normaler Mensch. Des Weiteren wäre es möglich, dass sie plötzlich, demnach in den nächsten Minuten, einen Unfall haben könnte. Doch irgendwie glaubte er nicht so recht an diese Variante. Ein beschwerliches Husten holte ihn erneut aus seinen Gedanken. Dieses Mal sah Maki allerdings nicht mehr so glücklich aus. Sie hielt sich zwar noch immer ihre Hand vor den Mund, doch dieses Mal wirkte ihr Gesicht gequält. Seine Augen weiteten sich, als er einen Blick auf ihre Lebenszeit war. Die Uhr lief schneller. Ganz plötzlich. Und es fiel Lelu wie Schuppen von den Augen. Maki...war krank. Sie würde früher oder später an einer Krankheit sterben. Das Mädchen beruhigte sich wieder und strich sich dann ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Entschuldige...“, murmelte sie, worauf Lelu nur mit dem Kopf schüttelte. „Ist nicht schlimm. Was ist mit dir?“, fragte er. Sie musste es wissen, sonst würde sie ihn nicht sehen können. „Ich...weißt du, ich bin ganz schwer krank. Meine Eltern sagen immer, es sei nicht so schlimm, aber...ich weiß, dass sie mir nur keine Sorgen machen wollen. Ich glaube, ich werde nicht mehr lange leben.“ Da war also der Fehler gewesen. Sie wollte sich ihre Schmerzen nicht anmerken lassen. Niemandem sorgen bereiten. „Das tut mir leid“, sprach Lelu leise. Doch sie schüttelte den Kopf, nun wieder mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Er beobachtete die Zahlen ganz genau. Sie hatte sich damit abgefunden. Ein wenig zumindest. „Hast du Angst?“, fragte er denn, worauf sie ihn nur verwundert anblickte und anschließend den Kopf senkte. „Ja...ich weiß nicht was passiert. Das macht mir Angst.“ Er lächelte. „Davor musst du keine Angst haben. Ich habe mal gehört, dass man in eine Welt kommst, in der es sich wunderschön bleiben lässt“, begann Lelu zu erklären. Wenn sie ihn schon sehen konnte und so freundlich war, konnte er ihr auch das bisschen Angst vor dem Tod nehmen. Denn es würde sich nicht ändern, es gab wohl nichts was man dagegen tun konnte. „Es ist als würde man woanders weiterleben.“ Sie blinzelte. „Woher weißt du das?“, wollte sie wissen, worauf Lelu aufstand und ihr durch die Haare streichelte. „Ich weiß es einfach“, meinte er und sah ihr in die hellen Augen. „Ich muss weiter, Maki. Möchtest du mich wieder nach oben zum Dach begleiten?“ „Was schon?“, fragte sie traurig, dennoch nickte sie ihm zu, ehe sie ihn bei der Hand nahm und zurück ins Dachgeschoss brachte. „Lelu?“ „Hm?“ Er stellte sich auf die Regenrinne. „Sehen wir uns wieder?“, fragte Maki, als sie sich etwas weiter aus dem Fenster herauslehnte. Er blickte ihr schweigend in die Augen. Dann auf ihre Lebensuhr. Es würde noch etwas dauern. Ob er ihre Seele nehmen würde? Vielleicht auch jemand anderes? „Ganz bestimmt.“ Er nickte lächelt und hockte sich dann hin. „Und du...“, begann er, „...wirst dein Leben noch so lange mit deinen Eltern genießen, wie es möglich ist. Sag ihnen das.“ Maki nickte und lachte erneut fröhlich. „Okay!“ Lelu stand wieder auf und sprang leichtfüßig zurück auf den Laternenkopf. „Ach und Maki?“ Er drehte sich nochmals um. „Ja?“, fragte sie und blinzelte verwirrt. „Erzähle niemandem von mir, okay? Das ist besser.“ Sie runzelte die Stirn. „Warum nicht?“ „Weil jeder seine Geheimnisse haben sollte.“ Er verbeugte sich kurz vor ihr, ehe er sich umdrehte und in der faden Dunkelheit verschwand. Ihr Lächeln, würde er in seiner Erinnerung weiter mit sich tragen. Im Wohnzimmer stand noch immer die Tasse mit dem, inzwischen kalt gewordenen, Tee. Schwarzer Tee. Das passte zu ihm. „Machs gut, Lelu...“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)