Zuckersüßer Tod von MichiruKaiou ((Challenge der durchgeknallten FF-Autoren)) ================================================================================ Kapitel 1: Zuckersüßer Tod -------------------------- Sheryl gähnte herzhaft, als sie ihr Stammlokal betrat. Die Arbeit schlauchte ohne Ende, als Journalistin hatte man es schon nicht leicht, vor allem nicht bei diesem Chef. Irgendwie war zurzeit viel zu viel los, so dass man sie von einem Ort zum nächsten schickte. In den letzten Tagen war sie sicherlich mindestens dreimal quer durch die ganze Stadt gehetzt, um sich keine Story entgehen zu lassen. Erschöpft ließ sie sich auf einen der Hocker am Tresen nieder, der direkt vor den Fenstern verlief. Ihre Tasche platzierte sie auf dem Nachbarhocker und legte ihren Mantel darüber. „Das Übliche Sheryl?“, hörte sie den pummeligen Mann hinter der Theke ihr zurufen. „Erraten“, gab sie nur zurück, während sie sich seufzend auf ihre beiden Handrücken abstütze und leicht verträumt aus dem Fenster blickte. Sie wollte nur noch ein wenig Ruhe haben, denn in einer Stunde musste sie schon wieder ihren nächsten Termin wahrnehmen und wieder irgendein Interview mit einem ihr unbekannten Menschen führen, für den sich ohnehin niemand interessierte. Viel lieber würde sie im Bereich der Politik arbeiten und Wahrheiten aus all den Politikern raus quetschen, die versuchten, ihren Wählern falsche Versprechungen aufzubinden. Aber auf eine Versetzung könnte sie wohl noch lange warten, ihr Chef gab ihr einfach keine Chance, sich zu beweisen, dabei wollte er einfach nur nicht auf sie verzichten. Ein weiterer Seufzer entrann ihrer Kehle. „Wieder eine harte Woche hinter dir?“ „Zu hart Jeff. Und dazu noch langweilig“, erwiderte sie dem Ladenbesitzer, der ihr ihren Charamel-Cappuccino gebracht hatte. „Irgendwann wirst du schon noch von hier weg kommen, du musst nur Geduld haben“, Jeff lächelte freundlich, „Allerdings verliere ich dann meine liebste Kundin.“ „Deinen Optimismus möchte ich haben. Aber auf deinen Cappuccino möchte ich nicht verzichten!“, Sheryl gönnte sich einen Schluck ihres Lieblingsgetränks. Es war wirklich eine Wohltat, das süße und wärmende Getränk zu spüren, wie es ihre Kehle hinunter rann. „Aber dann hast du wohl heute nichts Spannendes zu erzählen, was?“ „Heute nicht“, Sheryl lächelte schwach. Jeff fand es immer sehr spannend, live von ihr über alle ihre Berichte informiert zu werden, so hatte ihre Arbeit immer einen netten Nebeneffekt, denn egal was sie zu erzählen hatte, er hörte ihr zu und irgendwie fand er immer etwas zum Lachen dabei. Vielleicht sollten sie mal für einen Tag den Arbeitsplatz wechseln, er würde sicher einen guten Reporter abgeben und sie könnte dann den ganzen Tag zwischen Cappuccinos und köstlichen Snacks verbringen. Ja, einen Tag lang könnte sie sich das durchaus vorstellen. Doch ansonsten würde sie ihren Job um nichts in der Welt hergeben. Sie lebte für ihre Stories und die Abenteuer, die dahinter stecken könnten. Sie musste nur ein wenig Geduld haben, ihr Tag würde kommen, an dem sie nicht länger über irgendwelche unbedeutenden Straßenfeste, die Eröffnung eines weiteren Fitnessstudios oder irgendwelchen anderen Altweiberklatsch schreiben musste. Sie freute sich jetzt schon auf ihren ersten wirklich seriösen Artikel in einer seriösen Zeitung. Und bis es soweit war, würde Jeff sie schon mit seiner aufmunternden Art und seinen fabelhaften Cappuccinos bei Laune halten. Manchmal ist es nur ein Lächeln Das einem Glück beschert Sieh hin und genieße es Jeder Moment zählt Knapp eine Stunde und zwei Charamel-Cappuccinos später war es für Sheryl leider an der Zeit, ihr Lieblingscafé wieder zu verlassen. Sie zog sich ihren Mantel über und wollte schon einmal das nötige Kleingeld zusammensuchen, um es Jeff auf den Bartresen zu legen. Doch plötzlich gab es einen dumpfen Knall, als wäre etwas Schweres irgendwo aufgeschlagen. „Oh mein Gott. Ma’am, ist alles in Ordnung mit Ihnen?!“, Sheryl drehte sich verwirrt um und entdeckte Jeff, der sich panisch über eine Frau beugte, die offenbar mit dem Kopf auf den Bartresen geknallt war. Sie saß bewegungslos auf ihrem Hocker, ihre Augen waren geschlossen und ihr Oberkörper ruhte weiter auf dem Bartresen. „Ruf lieber sofort einen Krankenwagen!“, rief Sheryl ihrem Freund instinktiv zu. Kurz blickte er sie verwirrt an, bevor er von seiner Kundin abließ, die sich trotz seiner Worte und seines Rüttelns immer noch nicht gerührt hatte. „Du hast Recht“, Jeff eilte zum Telefon, währenddessen trat Sheryl an die Frau heran und fühlte ihren Puls. Eine Atmung konnte sie nicht erkennen und auch einen Puls vermochte sie weder am Hals noch am Handgelenk festzustellen. Sie war keine Expertin, aber wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie behaupten, dass diese Frau einfach tot umgefallen war. „Der Krankenwagen ist unterwegs“, teilte Jeff ihr kurz darauf ein wenig atemlos mit. Er war vollkommen fertig mit den Nerven, das war nicht zu übersehen. „Gut“, gab Sheryl ein wenig abwesend zurück, sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Vor dem Gesicht der Frau stand ihre so gut wie geleerte Teetasse. Der Grund war lediglich noch mit Tee voll gesogenem Zucker bedeckt. Wer tat denn so viel Zucker in seinen Tee? So groß waren die Tassen hier nun auch wieder nicht, diese Menge hätte sicher für drei gereicht. „Das ist alles meine Schuld, ich hätte den Krankenwagen schon viel früher rufen sollen.“, meinte Jeff vorwurfsvoll. „Wieso das?“, Sheryl blickte endlich zu ihm auf und bedachte ihn mit fragenden Blicken. „Dieser Frau ging es schon die ganze Zeit über nicht gut. Alle paar Minuten ging sie zur Toilette und sie wirkte zwischendurch so abwesend, als wäre sie mit offenen Augen eingeschlafen. Ich hatte sie gefragt, ob alles in Ordnung sei und sie meinte nur, dass ihr das in letzter Zeit öfter passiere und sie Morgen zum Arzt gehen wollte. Deswegen wollte sie auch einen wohltuenden Tee anstelle eines Kaffees haben. Ich sollte mir keine Sorgen machen, es wäre wohl nur der Stress auf der Arbeit.“. „Hmm, da kommt mir ein Gedanke“, Sheryl überlegte. Wäre das möglich? Doch das könnten die Ärzte ihr sicher sagen, wenn sie hier wären. Unmerklich ließ sie zudem ihre Blicke durch das kleine Lokal schweifen. Außer ihr gab es nur noch zwei andere Gäste, beides Männer mittleren Alters. Der eine blickte zwischendurch immer wieder betroffen an seiner Zeitung vorbei zu ihnen rüber und den anderen schien der Vorfall hier wenig zu interessieren. Aber eine Tote in einem Lokal, die einfach umkippte, war in dieser Stadt auch nichts sonderlich ungewöhnliches, so was las man doch alle Tage mal in der Zeitung. Nur kam es Sheryl dennoch merkwürdig vor. Die Frau war im Gegensatz zu denen aus der Presse keine Säuferin und da sie offenbar aufgrund ihrer Beschwerden hatte zum Arzt gehen wollen, war Selbstmord doch erst einmal auch ausgeschlossen. Doch war sie hier wirklich in einem Mordfall geraten oder malte sie sich alles nur so dramatisch aus? Sie betrachtete die Frau mit einem leicht betrübten Blick. Nichts bewegte sich an ihr, es gab kein Anzeichen darauf, dass sie noch am Leben war. Sie reagierte auf keine Berührung, keinen Zuspruch, was sollte sie also sonst annehmen? Oder war es vielleicht ein Herzinfarkt gewesen? Doch der Zuckerrest in der Tasse brachte sie zu einer anderen Vermutung. „Was machen wir denn jetzt?“, wollte Jeff von ihr wissen. „Wir warten“, Sheryl holte sich ihre Tasche von ihrem alten Platz und rutschte auf den Barhocker neben der Frau, „Du kannst ja in der Zwischenzeit schon mal die Polizei rufen“, flüsterte sie ihm noch zu. „Ganz ehrlich? Die Polizei?“, Jeff flüsterte noch leiser zurück. „Ganz recht. Denn wenn ich richtig liege, haben wir es hier mit einem Mord zu tun.“ Jeff stand der Mund offen. Das wollte er gar nicht glauben. Er warf einen starren Blick von Sheryl hinüber zur Frau und wieder zurück zu Sheryl. Einen Moment später schritt er gehorsam und fast wie in Trance zurück zum Telefon. Derweil behielt Sheryl die beiden Herren, die immer noch auf ihren Plätzen saßen, ganz dezent im Auge. Denn im nächsten Augenblick Kehrt man in die Realität zurück. Schaue nach vorn Gehe deinen Weg Sei bereit Wenn die nächste Tür offen steht Sheryl kam das Ganze hier immer verdächtiger vor. Bevor die Polizei eintreffen würde, hatte sie selbst bereits Jeff nach einigen Details ausgefragt, zudem erschienen ihr einige Dinge am ‚Tatort’ unstimmig. Die einzige Möglichkeit für einen Mord war eindeutig, dass jemand der Frau etwas in den Tee getan hatte. Jeder der Gäste hätte dazu Gelegenheit gehabt, denn wenn Jeff kurz nach hinten in die kleine Küche verschwand, um ein paar Snacks zuzubereiten, hätte er die Tat nicht beobachten können und da seiner Aussage nach die Frau auch mehrmals die Toilette aufgesucht hatte, gab es da sicherlich mindestens einmal eine Überschneidung, so dass es ein Leichtes gewesen wäre, kurz irgendein Gift in die Tasse zu kippen. Leider hatten beide Männer etwas zu Essen bestellt, weshalb sich so schon mal keiner ausgrenzen ließ. Nachdem sich Sheryl das alles in ihrem kleinen Notizbuch, welches sie aufgrund ihrer Arbeit immer bei sich trug, notiert hatte, bereute sie es, selbst nicht aufmerksamer gewesen zu sein. Sie hatte zwar mit dem Rücken zum Geschehen gesessen, dennoch hätte sie vielleicht mehr von alledem mitbekommen, wenn sie nicht nur verträumt aus dem Fenster gesehen und Cappuccino getrunken hätte. Sheryl fing an, auf dem Ende ihres Stiftes rumzukauen, das tat sie immer, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte. Die Frau lag einfach so da und sie hatte noch nicht hier gesessen, als sie das Café betreten hatte, das schränkte die Tatzeit schon mal ein. Das bedeutete auch, dass das Gift schnell gewirkt haben musste. Doch sie störte immer noch diese ungeheure Menge Zucker in der Tasse. Hatte die Frau vielleicht schwache Geschmacksnerven oder so etwas, dass ihr diese extreme Süße gar nicht aufgefallen war? Aber unlogisch erschien dabei, dass der Löffel, der auf dem Teller neben der Tasse lag, vollkommen unbenutzt war, sich dafür aber Zucker auf dem Teller und auch daneben auf dem Tresen befand. Sie hatte den Zucker also nicht einmal eingerührt, er wurde einfach mit der Flasche hinein gekippt und etwas ging dabei dann wohl daneben. Die Zuckerflasche stand aber ziemlich weit entfernt am Kopf des Tresens, sie war von ihrem Platz aus gar nicht zu erreichen, wenn man nicht aufstand und ansonsten befanden sich Zuckerflaschen auf jedem Tisch. Irgendwie passte das alles nicht zusammen und das machte sie langsam wahnsinnig. Zu allem Überfluss verlangte einer der beiden Männer nun nach seiner Rechnung. Er hatte aufgegessen und wollte gehen. Aber er war Tatverdächtiger, wenn er verschwand, wie sollte die Polizei ihn wieder finden, doch sie konnte ihn ja schlecht hier festhalten. Jeff wollte gerade abkassieren, als das schrille Läuten von Sirenen zu hören war. Endlich. Die Sirenen wurden auch immer lauter, sie waren also auf dem Weg hierher. Keine Minute später hielten ein Kranken- und der Notarztwagen am Straßenrand und Notarzt und ein Sanitäter betraten das Lokal. „Haben Sie uns angerufen?“ „Ja, da vorne“, Jeff deutete auf die Frau, „Sie ist einfach zusammen gebrochen“, er war immer noch zittrig, aber wenigstens wussten im Gegensatz zu ihm die Sanitäter, was zu tun war. „Wir brauchen eine Trage!“, rief der Mann, der Jeff befragt hatte seinen beiden Kollegen im Wagen zu, während der Notarzt sich bereits zu dem Opfer begeben hatte. „Lebt sie noch?“, wollte Sheryl sofort wissen, doch der Arzt schüttelte den Kopf, er konnte nichts mehr tun. Die Sanitäter kamen gerade mit der Trage rein, doch der Arzt hielt sie zurück. „Haben Sie auch die Polizei informiert?“, fragte der Arzt an Jeff gewandt. Er nickte stumm. „Wissen Sie, wie das passiert ist?“ „Nein. Auf einmal lag sie da so“, Jeff schluckte bei dem Gedanken daran. „Wir müssen auf die Polizei warten, ich werde die Leiche bereits untersuchen“, der Arzt besah sich die Frau genau und versuchte sie dabei so wenig wie möglich zu bewegen. Ein wenig hibbelig beobachtete Sheryl ihn bei seiner Arbeit. Sie hoffte, dass er die Todesursache bereist feststellen könnte. Ein weiteres Glück war, dass nun auch die beiden Männer auf den Vorfall sichtlich aufmerksam gemacht wurden und beide das Treiben ebenfalls irgendwie interessiert verfolgten. Keine fünf Minuten später war erneutes Sirenengeheule zu hören. Endlich traf auch die Polizei ein und wurde sofort vom Notarzt über den Zustand des Opfers informiert. „Die Frau ist tot, die Anzeichen deuten darauf hin, dass sie an einer Überzuckung gestorben ist, sie war offenbar Diabetikerin“, teilte der Arzt den beiden Polizeibeamten vertraulich mit, doch Sheryl hatte es trotzdem mithören können. Sie war schließlich geübt darin, alle wichtigen Informationen aufzufangen. „Es befinden sich noch Zuckerreste in ihrer Teetasse, wenn sie Typ-1-Diabetikerin war, dann könnte sie diese Menge für sie tödlich gewesen sein“, erklärte der Arzt weiter. „Es handelt sich also um Selbstmord?“, hakte einer der beiden Polizeibeamten nach. „Möglich. Viel-“ „Das denke ich nicht“, mischte sich Sheryl endlich ein und trat zu den drei Herren heran. „Wie meinen Sie das bitte?“, kam es sofort von dem anderen Polizisten, dessen Unterton deutlich machte, dass er über diese Einmischung nicht sehr angetan war, jedoch schienen alle drei bereit, ihr weiter zu zuhören. „Der Ladenbesitzer erklärte mir bereits, dass die Frau vorgehabt hatte, Morgen zum Arzt zu gehen, da sie über Beschwerden wie Bewusstseinsstörungen und häufige Toilettengänge klagte.“ „Das spricht dafür, dass sie Diabetikerin war“, warf der Arzt sofort ein. „Womöglich wusste sie das nicht einmal und hat unbewusst Tee mit Zucker getrunken, weil sie das immer tat.“ „Vielleicht wusste sie nicht, dass sie Diabetikerin war, aber sehen Sie sich mal den Zuckerrest in der Tasse genau an, wer trinkt denn Tee mit so viel Zucker?!“, wandte Sheryl ein. Der Polizeibeamte, der Sheryl vorhin bereits so ermahnend gefragt hatte - sein Namensschild verriet, dass er Officer Gourdon hieß – überprüfte ihre Aussage sofort. Er zog sich Handschuhe über, die er in seiner Hosentasche hatte und schwenkte die Tasse im Tageslicht ein wenig hin und her und bedachte den Inhalt mit skeptischen Blicken. „Sie hat Recht“, verkündete er nüchtern. Sein Kollege sah sich um, bevor er sich an Sheryl wandte, „Waren alle jetzt hier Anwesenden auch während des Vorfalls zugegen?“ „Ja, es hat keiner das Lokal verlassen oder neu betreten.“ „Gut“, der Polizeibeamte – auf seinem Schild stand der Name Clancy – holte einen Notizblock und Stift aus der Innentasche seiner Jacke hervor und ließ seinen Blick erneut über die Anwesenden schweifen. Es war offensichtlich, dass jeder ihnen bereits ihre Aufmerksamkeit schenkte, „Ich würde Sie gerne alle der Reihe nach zu diesem Vorfall befragen.“ Alle Lokalgäste sollten sich an den Tresen am Fenster setzen und wurden der Reihe nach zu ihrer Person und dem Grund ihres Hierseins verhört. Der Polizist fing bei dem Herrn an, der vorhin hatte zahlen wollen. Er hieß Richard Goldman und war Banker, ledig, 45 Jahre alt, er kam ab und an zum Essen in der Mittagspause hierher und hatte die Frau vorher noch nie gesehen. Der andere Mann war Tony Baldwin, 38, lebte zusammen mit seiner Freundin in einem Appartement auf der anderen Straßenseite, auch er kannte das Opfer nicht. Schließlich kamen auch Jeff und Sheryl an die Reihe, auch sie wiesen keine Verbindung zum Opfer auf. Der Polizeibeamte hatte alles brav notiert, während sein Kollege Gourdon eine Kamera aus dem Auto geholt und Fotos vom zurzeit bezeichneten ‚Unfallort’ gemacht hatte. Die beiden schienen nicht wirklich darauf aus zu sein, einen Mordfall aus der Sache zu machen, was Sheryl langsam anfing zu nerven. Nahmen die beiden ihre Arbeit überhaupt ernst? Es gab wirklich nichts, was sie weniger leiden konnte, als wenn jemand nicht wenigstens alles versuchte. Die beiden schienen sich noch kurz mit dem Arzt auszutauschen, dieses Mal leider außerhalb ihrer Hörreichweite, bevor sie die Sanitäter anwiesen, die Leiche in den Krankenwagen zu schaffen. Das durfte einfach nicht sein. Sheryls Gehirn lief auf Hochtouren, für sie gab es immerhin nur zwei Verdächtige und nicht vier bzw. gab es für sie überhaupt Verdächtige, aber wie könnte sie eine Verbindung zum Opfer herstellen? Ein Mordmotiv war bisher auch nicht ersichtlich, daher rührte vermutlich auch die fehlende Ermittlungsbereitschaft der Polizisten. Sie musste diesen Fall selbst in die Hand nehmen, die Wahrheit musste ans Licht, schon allein der armen Frau wegen. Aber sie müsste sich beeilen. Manchmal ist es nur ein Gedanke der dich weiter bringt dann passt jedes Teil zusammen und das Puzzle ist komplett „Können wir dann gehen? Ich habe meine Mittagspause bereits überzogen“, wollte Goldman von den Polizeibeamten wissen. „Ich denke, es spricht nichts dagegen. Sollten wir noch etwas wissen wollen, melden wir uns bei Ihnen“, erwiderte Officer Clancy. Goldman erhob sich von seinem Hocker und zog sich sein Jackett über, auch Baldwin schien sich angesprochen zu fühlen und machte sich ebenfalls ausgangsfertig. Sheryl warf einen Blick von den Polizeibeamten hinüber zu den beiden Männern und wieder zurück, das durfte nicht sein, die beiden durften noch nicht gehen. Sie war kurz davor, den entscheidenden Punkt in diesem Fall zu verstehen, wenn die beiden jetzt gingen, würden vielleicht wichtige Beweise vernichtet werden. „Hätten Sie vielleicht noch fünf Minuten?“, wandte jedoch überraschend Officer Gourdon ein. Alle warfen ihm einen überraschten Blick zu, selbst seinem Kollegen war die Verwunderung über diese Aussage anzusehen, die beiden Herren schienen den Einwand auch nicht ganz zu verstehen, doch schließlich erklärten sie sich bereit, noch kurz zu warten. „Miss Tomson, auf ein Wort“, Gourdon deutete Sheryl an, ihr zu folgen. Perplex folgte sie dem Beamten ein paar Schritte, bis sie vor den Toiletteneingängen standen, wo die anderen sie nicht würden belauschen können. „Schildern Sie mir Ihre Vermutungen zu dem Vorfall“, forderte er ohne Umschweife von ihr. Sheryl brauchte eine Sekunde, war dann jedoch voll in der Situation. Sie holte ihr Notizbuch hervor, schlug es auf der entsprechenden Seite auf und zeigte es Officer Gourdon. Dieser ging konzentriert Zeile für Zeile durch und wirkte dabei immer nachdenklicher. „Was sagen Sie?“, Sheryl fühlte sich irgendwie angespannt, aber auch ein wenig erregt. Sie fragte sich, ob Gourdon wirklich mit ihr sprechen wollte, weil er ebenfalls von einem Mord ausging oder ob er nur so drein blickte, weil er ihre Gedanken für absurd hielt. „Die gleichen Dinge sind mir auch aufgefallen“, meinte er jedoch, was ihr Herz einmal zusätzlich vor Aufregung schlagen ließ. „Ich halte es für denkbar, dass einer der Verdächtigen das Opfer kannte, von der Diabetes-Erkrankung wusste und einen günstigen Moment nutzte, um den Zucker in den Tee zu füllen.“ „Sie denken das auch?“, Sheryl war immer noch überrascht, dass ausgerechnet er dieselbe Theorie hegte wie sie, denn er hatte anfangs jedenfalls nicht den Eindruck bei ihr hinterlassen, dass er sich wirklich für den Fall hier interessierte. „Allerdings. Während mein Kollege Sie befragt hat, habe ich mir die Tasse und den Tresen näher angesehen und ich konnte keine Spuren von Gift feststellen, sprich die Todesursache ist aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich der pure Zucker. In diesem Fall eine ausgezeichnete Tatwaffe. Selbst wenn das Opfer einen Verdacht auf seine Krankheit hegte, hätte es bei den Bewusstseinsstörungen die große Menge Zucker sicherlich kaum bemerkt. Nur habe ich mir erhofft, dass Sie mir vielleicht Anhaltspunkte auf den Täter oder ein Mordmotiv geben könnten“, er sah Sheryl eindringlich an. Ihr stockte leicht der Atem, als sie so seine klaren blauen Augen betrachtete. Ihm war es wirklich ernst, er wollte diesen Fall lösen und er ging wie sie von Mord aus. „Ich vermute“, setzte sie schließlich an, „dass der Täter das Opfer kannte und jetzt seine Verbindung zu ihr verschweigt.“ „Die Frage ist nur, wie wir diese Verbindung herstellen. Wir haben immerhin drei Tatverdächtige, vier, wenn man es genau nimmt, aber bei Ihnen bin ich überzeugt, dass sie unschuldig sind, so wie Sie sich an er Lösung des Falles beteiligen, außerdem kenne ich Sie, Sie schreiben für die Zeitung meines Bruders.“ Nun war Sheryl wirklich gänzlich perplex. Ihr Chef war sein Bruder? Diese Verwandtschaft konnten sie aber gut verstecken, egal ob äußerlich oder charakterlich. Wenn ihr Chef nur halb so gut aussehen würde und nur annähernd so konzentriert bei einer Sache wäre, könnte man ihn sogar sympathisch und umgänglich finden. „Sehr freundlich“, Sheryl lächelte ein wenig schief, es gab wirklich Zufälle. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie dabei allerdings, wie Goldman langsam ungeduldig zu werden schien und auf Gourdons Kollegen einredete. In diesem Moment entdeckte sie auch die Finger seiner Handschuhe, die auf einmal aus seiner Jacketttasche hervorlugten. Das brachte sie auf eine Idee. Eine Frau suchte nicht nur eine Toilette auf, wenn sie ein bestimmtes Geschäft verrichten musste, da gab es noch genügend andere Gründe. „Ich muss mal kurz auf die Toilette, ich bin gleich wieder da“, mit diesen Worten schob sich Sheryl an dem überraschten Gourdon vorbei in die Damentoilette. Er wollte gerade zum Protest ansetzen, doch da hatte sie auch schon mit einem Grinsen die Tür hinter sich geschlossen. Siehst du den Weg Glaube an dein Ziel. Die Welt gehört dir Wenn nur du es willst Das Bild ist so klar Halt es fest auf dass du es nicht verlierst. Handschuhe; sie dienen dem vermeiden von Fingerabdrücken. Womöglich war der Mord sogar geplant gewesen. Das bedeutete, dass sich keine Fingerabdrücke des Täters auf einer Zuckerflasche finden würden. Aber vielleicht wusste auch das Opfer, wieso es hier war. Es gab einen Grund, das Treffen in diesem Lokal war geplant und der Mörder hatte seinen teuflischen Plan bereits im Hinterkopf gespeichert. Sheryl überprüfte den Spiegel und das Waschbecken in dem kleinen Waschraum, doch hier konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken. Dann vielleicht in dem Toilettenkämmerchen. Wenn sie davon ausging, dass das Opfer ihren Mörder kannte und sie sich aus einem bestimmten Grund getroffen hatten, musste etwas zwischen ihnen vorgefallen sein, was den Mörder zu seiner endgültigen Entscheidung trieb, dass Mord die einzige Lösung wäre. Das würde auch erklären, wieso gerade in einem Lokal. In der eigenen Wohnung würde so ein Vorfall doch viel eher nach einem Selbstmord oder Unfall aussehen, schließlich hätte es dort auch keine Zeugen geben. Also hatte es schnell gehen müssen, das Opfer durfte keine Chance mehr haben, nach Hause zu gelangen. „Was haben wir denn hier?!“, Sheryl entdeckte viele Papiertücher auf dem Boden, alle waren mit nassen Flecken überzogen. Es waren Flecken von Tränen. Ihre Fingerspitzen glitten ein Stück über die weiße Toilettenwand, bis sie unter einem Satz stehen blieben, der in dunkelrotem Lippenstift dort angeschrieben worden war. ‚Ich liebe dich doch’ Sie müsste es noch einmal überprüfen, aber sie war sich recht sicher, dass der Lippenstift des Opfers genau dieselbe Farbe hatte. Dieser Satz stammte also von der ermordeten Frau. Sie hatte ihren Mörder nicht nur gekannt, sondern auch geliebt. Aus ihrer Karriere wusste sie, dass es nur zwei Dinge gab, warum man jemanden töten wollte, der einen liebte: entweder hatte derjenige eine Affäre oder man hatte selbst eine und wollte die Trennung oder Scheidung. Vielleicht hatte der Mörder mit seinem Opfer genau über eines dieser beiden Themen mit dem Opfer gesprochen, damit hätte sich auch ein wunderbares Mordmotiv gefunden. Sheryl verließ den Toilettenraum wieder, blieb aber im Waschraum noch einmal kurz stehen und besah sich selbst im Spiegel. Warum tat sie das hier eigentlich? Machte es ihr Spaß, brauchte sie diese Spannung, war sie vielleicht nur mal auf eine andere Story aus als das, über das sie sonst immer schreiben musste? Ihre Story… ihr nächstes Interview hatte sie mittlerweile auch verpasst, aber das war ihr reichlich egal, das hier war wichtiger. Und es ging hier nicht um eine Story, sondern es ging darum, dieser Frau wenigstens noch die letzte Gerechtigkeit zu verschaffen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Wahrheit finden, das war schon immer das, was sie tun wollte und weshalb sie Reporterin geworden war. Sie tat dies hier nicht für ihre Karriere oder weil sie es aufregend fand, sie tat es für die Wahrheit und sie würde diesen Mörder nicht davon kommen lassen. Entschlossen trat Sheryl zurück ins Lokal und wurde sofort von einem ernsten Blick Gourdons bestraft, der scheinbar ungeduldig auf ihre Rückkehr gewartet hatte. „Sagen Sie mir bitte, dass Sie etwas gefunden haben“, meinte er zu ihr und steckte gerade sein Handy zurück in seine Jackentasche. „Das habe ich. Das Opfer hat eine Nachricht an die Toilettenwand geschrieben, es ist sicher, dass sie ihren Mörder kannte, sie hat ihn sogar geliebt.“ „Damit können wir also ein Mordmotiv konstruieren, aber wie sollen wir den Mörder finden oder hat sie ihn in ihrer Nachricht genannt?“ „Das nicht, aber ich denke ich weiß, wie wir ihn überführen können, denn er wird den Beweis noch bei sich haben“, Sheryl zog einen Mundwinkel zu einem leichten Grinsen hoch, „Sehen Sie sich die Hände der beiden Herren einmal an, Jeff lassen Sie bitte außen vor, er ist sicherlich nicht der Mörder.“ Gourdon blickte unauffällig zu den anderen herüber, hatte allerdings keine Ahnung, auf was sie anspielte. Verwirrt zog er eine Augenbraue hoch, „Und was soll ich sehen?“ „Baldwin trägt einen Ring am Ringfinger, oder? Der ist sicher von seiner Freundin, Goldman trägt keinen. Ich gehe deshalb davon aus, dass er seinen irgendwo anders versteckt hat, wenn er wirklich mit dem Opfer leiert war oder vielleicht hat er sogar Scheidungspapiere bei sich, die er dem Opfer gezeigt hatte. Die Frau hatte nämlich auf der Toilette fürchterlich geweint, ich bin mir sicher, dass der Mörder mit ihr Schluss gemacht hat.“ „Nur deswegen gehen Sie davon aus, dass es Goldman war? Baldwins Ring könnte doch auch seine Verbindung zum Opfer sein. Mal abgesehen davon, könnte sie nicht auch mit ihm Schluss gemacht haben?“ Schon wieder war da dieser skeptische und mahnende Unterton in seiner Stimme, doch dieses Mal mochte sie ihn irgendwie, weil sie wusste, dass Gourdon nur mit stichhaltigen Argumenten untermauerte Behauptungen glaubte. „Wenn sie mit ihm Schluss gemacht hätte, dann hätte er danach sicher das Lokal verlassen und nicht erst noch in Ruhe zu Mittag gegessen.“ „Na schön“, Gourdon versuchte wenig überzeugt zu klingen, doch offenbar gestand er sich ein, dass er vermutlich so gewesen wäre. „Aber das erklärt immer noch nicht Ihren Verdacht.“ „Können Sie ihn irgendwie durchsuchen? Ich bin mir sicher, dass Sie einen Beweis finden werden. Mein Instinkt sagt mir einfach, dass Goldman der Täter ist und Baldwin die Wahrheit sagt, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen“, musste Sheryl leider zugeben. Gourdon blickte sie einen Moment lang eindringlich an, sie wich seinem Blick nicht aus. „Ich habe da eine Idee. Wenn Sie Recht haben, weiß ich nun, was ich finden muss“, zielstrebig ging Gourdon zurück zu seinem Kollegen, der ihn genervt anblickte und fragte, was denn auf einmal los wäre. „Es gibt neue Erkenntnisse“, gab Gourdon trocken zurück. „Und lassen Sie uns auch daran teilhaben? Sie können Ihre Arbeitszeit vielleicht hier vertrödeln, aber unser eins hat auch noch etwas anderes zu tun“, Goldman wurde langsam ungemütlich, er wollte endlich gehen und tippte bereits genervt auf seine goldene Armbanduhr. „Sehr gerne. Das Opfer hat auf der Damentoilette eine letzte Nachricht hinterlassen, Miss Tomson war so nett gewesen, das zu überprüfen. Und diese Nachricht deutet auf Sie“, Gourdon blickte Goldman direkt in die Augen, so dass dieser unweigerlich seinen Blick in eine andere Richtung lenkte. Er konnte diesem Blick nicht standhalten und Gourdon witterte die Spur. „Ach ja? Und wie kommt die Dame darauf, dass diese Nachricht ausgerechnet vom ‚Opfer’ stammt? Wieso überhaupt Opfer, ich dachte, die Frau wäre einfach tot umgefallen“, entgegnete Goldman, schaffte es jedoch nicht, in die starren Augen von Gourdon zu blicken. „Lippenstift“, gab der Officer nur knapp zurück und drehte sich um, um in der Handtasche des Opfers, die Clancy in der Zwischenzeit beschlagnahmt hatte, nach dem betreffenden Gegenstand zu suchen. Und tatsächlich holte er einen Lippenstift hervor. Er nahm die Kappe ab und blickte kurz zu Sheryl, die mittlerweile ebenfalls zu der Gruppe heran getreten war, und sie nickte bestätigend. Es war dieselbe Farbe. „Und was steht in der Nachricht? Etwa das ich es gewesen bin?!“, Goldman versuchte ruhig zu klingen, doch er wurde sichtlich nervöser. Er schien zu hoffen, dass Gourdon nur bluffte und alle anderen, insbesondere Sheryl, verfolgten seine Erläuterungen mit steigender Spannung. „Sir, ich muss Sie anweisen, mir den Inhalt Ihrer Taschen zu zeigen, denn es besteht der dringende Verdacht gegen Sie, eine Mordtat begangen zu haben“, forderte Gourdon konsequent. „Das ist doch-“ „Wenn Sie es nicht freiwillig tun, können wir Sie dazu zwingen. Wenn Sie den Verdacht widerlegen wollen, müssen wir Ihre Sachen kontrollieren“, mischte sich nun auch Clancy ein und unterstützte seinen Kollegen. „A-also gut“, unsicher griff Goldman in seine Jacketttaschen und zeigte seine schwarzen Handschuhe vor. „Ihre Aktentasche bitte“, forderte Gourdon weiter und Goldman griff schließlich nach seiner ebenfalls schwarzen Aktentasche, die neben ihm auf dem Barhocker lag. Er öffnete den Reißverschluss und Gourdon blätterte behutsam mit seinen Handschuhen durch ein paar Unterlagen. Schnell sprang ihm das entscheidende Dokument ins Auge und er zog es heraus. „Scheidungspapiere. Für das Ehepaar Richard und Gloria Goldman. Soll ich nun einmal raten, wie der Name des Opfers lautet? Oder wollen Sie ihn uns nennen?“ „Was soll das? Was sollen denn meine Scheidungspapiere beweisen, das geht Sie doch auch überhaupt nichts an?!“, Goldman war verwirrt und schockiert. „Hören Sie, glauben Sie wirklich, dass niemand das Opfer identifizieren wird? Wenn es sich bei der Leiche um Gloria Goldman handelt, wer glauben Sie, ist dann wohl der Hauptverdächtige?“ „Aber-aber, es könnte doch auch Selbstmord gewesen sein. Genau, sie hat sich selbst so viel Zucker in den Tee getan und sich so selbst umgebracht, weil sie offenbar Diabetes hatte.“ „Woher wissen Sie das?“ „Bitte?“ „Woher wissen Sie, dass die Frau Diabetes hatte und an einer Überzuckerung gestorben ist?“, wurde Gourdon deutlicher. „Das… hat doch der Arzt gesagt“, Goldman blickte verwirrt durch die Runde. Gourdon blickte zu Baldwin und stellte so die stumme Frage, ob er diese Aussage bestätigen könnte, doch dieser schüttelte mit dem Kopf. „Nur Miss Tomson und wir haben die Diagnose des Arztes gehört, Sie hätten davon nichts mitbekommen können und im Laufe des Verhörs haben wir es auch nicht erwähnt.“ „Doch… ganz sicher. Ich-“ „Ich wurde auch vorhin erst von unserem Obduktionsarzt angerufen, der mir bestätigte, dass die Todesursache Überzuckerung bei Diabetes ist. Wenn Sie also das Opfer kannten und über seine gesundheitlichen Beschwerden Bescheid wussten, haben Sie sich vermutlich irgendwoher die Vermutung nahe legen lassen, dass es sich dabei um Typ-1-Diabetes handeln könnte. Außerdem“, Gourdon hielt die Scheidungspapiere hoch, „das Papier weißt an einigen Stellen getrocknete Flecken auf, vermutlich Tränen des Opfers. Und in einigen von ihnen kleben bei genauer Betrachtung vereinzelte Zuckerkörner. Ich bin mir sicher, dass mir das die Spurensicherung bestätigen wird, die mal wieder viel zu lange braucht, bis sie endlich hier ist“, erklärte Gourdon, obwohl er sie vorhin erst hatte rufen lassen, als Sheryl in der Toilette war. Mit einem entgeisterten Blick ließ sich Goldman auf den Hocker hinter ihm sinken. Ihm fiel kein Gegenargument mehr ein. Er hatte sich verraten und der Polizist hielt einen stichfesten Beweis in der Hand. Sein Schweigen war fast so gut wie ein Geständnis. Das konkrete Mordmotiv würde sich also erst später bei einem genauen Verhör ergeben, aber es war offensichtlich, dass er seine Frau hatte los werden wollen. Auf den Scheidungspapieren fanden sich überall seine Unterschriften, doch ihre fehlten. Sie hatte sich offenbar geweigert, die Papiere zu unterzeichnen, vielleicht hing sogar noch Geld an der Sache mit dran, also sah Goldman keine andere Möglichkeit seiner Frau zu entkommen, als sie umzubringen. Dabei hatte sie ihn doch geliebt. Sheryl tat Gloria unglaublich Leid, aber wenigstens hatte sie nun einen Namen und musste nicht mehr nur mit ‚Opfer’ betitelt werden. Der Mörder wurde von Clancy abgeführt, während Gourdon hier bleiben und auf die Spurensicherung warten wollte. Baldwin verschwand auch sehr schnell aus dem Lokal, nachdem der Polizeiwagen weg war und Jeff beschloss, sein Café für heute bereits zu schließen. „Was für ein Tag, ich kann bestimmt die ganze Woche nicht schlafen“, meinte Jeff zu seiner Freundin, die sich scheinbar nachdenklich auf einem Barhocker am Tresen niederließ. „Du wirst schon drüber weg kommen.“ „Ich wird erst mal alle Maschinen in der Küche abstellen, ich hab für heute genug“, schwer ausatmend verschwand Jeff schließlich in der Küche. Sheryl war wirklich beeindruckt. Wie Gourdon diesen Fall aufgeklärt hatte. Er hatte keine Sekunde gezögert, er hatte keine Sekunde an ihren Worten gezweifelt und ihr einfach vertraut. Sie hätte auch falsch liegen können und er hätte dann ziemlich dumm dagestanden, aber gezielt hatte er Goldman in die Enge getrieben, ohne seine Befugnisse zu überschreiten, er hatte genau gewusst, was er tat. „Wie steht’s mit Ihnen? Müssen Sie nicht der nächsten Story hinterher jagen oder überlegen Sie bereits, wie Sie diese hier am besten zu Papier bringen?“, Gourdon setzte sich neben sie und legte vorsichtig die wichtigen Beweispapiere auf dem Bartresen ab. „Ich glaube nicht, dass Ihr Bruder so einen Artikel in seiner Zeitung sehen möchte“, Sheryl seufzte bei dem Gedanken. Sie würde gerne einen Artikel hierüber schreiben, um die wahre Tragik des Falls rüberbringen zu können, aber ihr Chef würde ihr niemals erlauben, so etwas abzudrucken. „Das finde ich wirklich bedauerlich. Er hat so eine gute Reporterin und veröffentlicht trotzdem nur Kitsch in seiner Zeitung. Ich finde, Sie sollten den Artikel schreiben. Nicht für meinen Bruder, sondern für eine andere Zeitung.“ „Für welche denn? Ich kann doch nicht einfach einen Artikel über einen Mordfall in einem kleinen Café schreiben und bei einer Zeitung abgeben, dem schenkt doch niemand Aufmerksamkeit.“ „Ich kenne da jemanden bei der Lokalzeitung. Es ist nicht die größte Zeitung, aber sie ist seriös und immer nah am Stadtgeschehen. Ich werde oft gefragt, ob ich nicht eine Story für sie hätte und ich würde mich freuen, wenn ich Ihre dort empfehlen könnte“, über Gourdons Gesicht streifte ein leichtes Lächeln. Er sah gut aus, wenn er so lächelte und seine dunkelbraunen Haare, die ihm ins Gesicht fielen rahmten dieses Lächeln wundervoll ein. „Dazu bräuchte ich am besten einen Fachkommentar aus erster Hand. Würden Sie sich zur Verfügung stellen?“, Sheryl legte nun ebenfalls ein leichtes Lächeln auf. „Ich muss natürlich erst noch auf die Spurensicherung warten und eine Identifizierung der Leiche und eine Bestätigung der Todesursache bleiben natürlich auch noch abzuwarten. Vielleicht erfahre ich auch etwas über das Geständnis. Wenn Sie so lange auf Ihre Story warten wollen, stehe ich gerne zur Verfügung. Geben Sie mir einfach Ihre Nummer und ich melde mich bei Ihnen. Wir könnten das Ganze dann auch gerne mit einem Kaffe verbinden, ich lade Sie ein.“ „Das würde mich sehr freuen“, Sheryl zückte routinemäßig ihre Visitenkarte aus ihrer Tasche und holte noch einen Stift hervor. Bevor sie die Karte über den Tresen zu Gourdon rüber schob, hatte sie noch eine Handynummer auf die Rückseite gekritzelt. Fragend hielt er die Karte hoch, die Seite mit der handschriftlichen Nummer zeigte zu ihr. „Auf der Karte steht nur meine dienstliche Handynummer, Sie dürfen mich aber auch gerne auf meinem Privathandy anrufen.“ Gourdon musste schmunzeln und steckte mit einem zufriedenen Lächeln die Karte in seine Brieftasche. „Dürfte ich Ihnen denn jetzt schon eine Frage stellen?“ „Nur zu“, Gourdon wartete interessiert. „Warum haben Sie mir geglaubt? Sie sind von Anfang an jedem Hinweis nachgegangen, den ich angesprochen hatte und dann haben Sie den Fall einfach so aufgeklärt. Was, wenn ich mich geirrt hätte?“, sie musste es einfach wissen und sah ihn erwartungsvoll an. „Ich weiß nicht genau. Vermutlich war es das Funkeln in Ihren Augen, welches deutlich zeigte, wie sehr sie dieser Frau helfen wollten. Ich habe einfach an Ihren Instinkt und Ihre Fähigkeiten geglaubt. Manchmal muss man einfach Vertrauen haben. Ich war mir einfach sicher, dass Sie richtig liegen, komischerweise kann ich jetzt auf einmal selbst nicht begründen wieso. Vielleicht wollte ich Ihnen einfach so sehr glauben, wie Sie diesen Fall lösen wollten. Oder einigen wir uns einfach darauf, dass mein Instinkt mir sagte, Ihrem Instinkt zu folgen.“ Sheryl war sprachlos. So etwas hatte sie noch nie erlebt. In ihrem Job traf sie solche Leute nicht und nun war es ausgerechnet ein Polizist bei einem Mordfall, der ihr Gehör und Vertrauen geschenkt hatte. Sie öffnete gerade den Mund, um doch noch etwas zu erwidern, doch gerade in diesem Moment wurde die Ladentür geöffnet, die Spurensicherung war endlich eingetroffen. „Die Arbeit ruft. Sie können also auch gehen Miss Tomson, wegen eines Termins für Ihre Aussage wird sich noch jemand mit Ihnen in Verbindung setzen, wenn alles endgültig aufgeklärt wurde“, er erhob sich von dem Barhocker und war wieder der ernste Officer, der alles im Griff hatte. „Sheryl“, sagte sie mit entschiedenem Blick zu ihm, „Ich warte auf Ihren Anruf Officer“, mit diesen Worten manövrierte sie sich an den Beamten der Spurensicherung vorbei und verließ das Lokal. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schlenderte sie die Straße hinunter. Vielleicht sollte sie heute einfach mal blau machen, ein Blick auf ihr Handy verriet ihr auch, dass ihr Chef bereits ein halbes Duzend Mal versucht hatte, sie zu erreichen. Aber was machte das jetzt schon, vielleicht sollte sie den Rest des Tages einfach genießen, wegen eines Nachmittags würde er sie schon nicht rauswerfen und selbst wenn, ihr Traum war ohnehin etwas anderes und vielleicht war sie seiner Erreichung heute ein Stück näher gekommen. Sie konnte es auf einmal kaum noch erwarten, sich an die Ausarbeitung ihres Artikels zu setzen. Endlich eine Story, die sie gerne und mit vollem Herzen schreiben würde. Aber sie musste auch zugeben, dass sie sich darauf freute, Officer Gourdon wieder zu sehen. Man wusste wirklich nie, was einem so passieren konnte. Schreite voran Durch die Tür, die dir offen steht Blick nicht zurück Wenn der Wind der Veränderung weht. Lass dich davontragen Genieße den Augenblick Denn jeder Tag zählt Also genieße dein Glück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)