In Good Faith von Glasschmetterling ================================================================================ Chapter 7 - The New Kid ----------------------- In Good Faith – Chapter 7: The New Kid „Anne, wach auf. Anne.“ Das Mädchen regt sich im Schlaf. „Anne... komm schon, Anne.“ Seine Schwester wispert nur. Der Montag kam schneller, als Anne das jemals für möglich gehalten hatte, und als sie früh morgens zur Mutant High nach Westchester aufbrach, hatte sie den Eindruck, dass sie nicht die Hälfte all der Dinge erledigt hatte, die sie sich eigentlich vorgenommen hatte. Der Tag hatte einfach zu wenig Stunden dafür. Ororo Munroe hatte ihr am Freitag noch den Stundenplan gegeben, nach dem sie unterrichten würde, und die Tatsache, dass sie alle Klassenstufen übernehmen sollte, hatte sie doch ein wenig aus dem Konzept gebracht. Normalerweise waren Lehrer Spezialisten, die jedes Jahr dieselbe Stufe übernahmen, also auch denselben Stoff vermitteln sollten, und sich auf ein mal mit einer solchen Fülle an verschiedenen Aufgaben zu beschäftigen, hatte Anne gelinde gesagt ein wenig überfordert. Wenigstens hatte sie es fertig gebracht, für Montag alle ihre Stunden vorzubereiten und die Klassenlisten durchgesehen, um ihrem Namensgedächtnis wenigstens einen kleinen Vorsprung vor all den neuen Gesichtern zu verschaffen, auch wenn sie nicht glaubte, dass es besonders viel helfen würde. Die wahrscheinlich positivste Wirkung all dieser Arbeit, abgesehen von der Tatsache, dass sie sehr gut geschlafen hatte, war allerdings, dass ihre Lethargie völlig verschwunden war. Sie hatte sich zu nichts zwingen müssen, hatte sich darauf gefreut, endlich das zu tun, wofür sie so lange studiert hatte, und nicht einmal die giftigen Blicke der Schreibwarenhändlerin hatten ihre gute Laune ernsthaft in die Defensive drängen können. Und obwohl sie sehr früh aufgestanden war und dementsprechend müde sein sollte, konnte sie davon nichts spüren, was vielleicht an der bohrenden Nervosität in ihrer Magengegend lag, die sich nun breit gemacht hatte und die mindestens genauso schlimm war wie vor ihrem Bewerbungsgespräch. Noch aus ihrer eigenen Schulzeit wusste Anne, dass ein schlechter Einstand eines neuen Lehrers dafür sorgen konnte, dass er von den Schülern nie wirklich respektiert wurde, also war ihre Sorge in dieser Hinsicht wohl nicht unberechtigt... aber wahrscheinlich würde alles nicht halb so schlimm werden, wie sie glaubte. Zumindest versuchte sie standhaft, sich das einzureden. An den merkwürdigen Blick des Busfahrers, als sie an der Haltestelle Graymalkin Lane ausstieg, war sie bereits gewöhnt, und nun fand sie auch ohne Zögern ihren Weg in das große Gebäude der Mutant High. Der fröhliche Lärm, der aus der offenen Küchentür drang, verriet ihr, dass sie gerade rechtzeitig zum Frühstück eingetroffen war, und nachdem sie ihre Tasche in ihrem Klassenzimmer abgestellt hatte, trat sie – scheuer, als ihr eigentlich recht war – ein. „Guten Morgen.“ Ororo Munroe blickte von der Tasse Kaffee, in den sie gerade Milch gegossen hatte, auf und grinste, als sie sie entdeckte. „Morgen. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie Kaffee?“ Einige der Schüler musterten sie neugierig, doch besonders die Älteren wirkten leidlich ungerührt, was wahrscheinlich daran lag, dass sie sie Freitag Nachmittag bereits gesehen hatten und allesamt noch nicht besonders wach aussahen... ein typischer Montag eben. „Bitte.“ Munroe reichte ihr eine gefüllte Tasse und wies mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Tisch, wo ein Mädchen eben damit beschäftigt war, ihre Cornflakesschüssel unter Milch zu setzen, und Anne grinste, während sie Platz nahm. „Ich darf doch?“ „Klar.“ Die Kleine schob ihr die Packung hinüber und sie bediente sich, reichte sie dann weiter an einen Jungen, der sich ein Glas Milch einschenkte. „Kitty!“ Bei dem spitzen Schrei schreckte Anne hoch, eine junge Frau, wahrscheinlich aus der Abschlussklasse, war gerade durch den großen Kühlschrank in die Küche getreten und rieb sich verschlafen die Augen. „'Tschuldigung...“, murmelte sie abwesend und griff nach der Kaffeekanne, sie wirkte nicht so, als ob sie ihre Umgebung überhaupt bewusst wahrnahm, was wahrscheinlich auch ihren kleinen Patzer erklärte. Ororo ließ sich auf den Stuhl neben Anne sinken, einen Schokoladenmuffin in der Hand, während einer der Teenager Würstchen briet und eine andere junge Frau Teig anrührte, vielleicht für Pancakes oder Waffeln. „Man gewöhnt sich daran...“, bemerkte sie mit so etwas ähnlichem wie einem Augenzwinkern in der Stimme, das allerdings nie ihren Blick erreichte. „Zumindest mehr oder weniger.“ Anne lächelte pflichtschuldig, wenn sie ehrlich war, war ihr das bunte Treiben so früh morgens ein wenig zu viel, was nicht daran lag, dass die Kinder und Jugendlichen besonders laut gewesen wären, sondern es war eher die schiere Masse, die sie erdrückte. „Mor... morgen.“ Der Gruß, der von einem langen und herzhaften Gähnen unterbrochen wurde, kam von Logan, der eben durch die Tür getaumelt war, er sah nicht aus wie ein Mann, der sich gerne dem frühen Vogel anschloss, sondern eher wie jemand, der ein wenig später ins Bett gekommen war. Mehr als dieses eine Wort kam nicht aus seinem Mund, auch wenn Anne eigentlich mit einer Bemerkung über ihre Anwesenheit gerechnet hätte, aber wahrscheinlich konnte das warten, bis er die ersten Tassen schwarzen Kaffees in sich hineingekippt hatte. „Wo ist der Ahornsirup?“ „Kühlschrank“, entgegnete eine junge Frau mit einer weißen Strähne im Haar ungerührt, sein verschlafener, missmutiger Tonfall schien sie nicht im Geringsten einzuschüchtern, etwas, das Anne nicht von sich behaupten konnte, besonders nicht, als er sich neben Munroe und ihr auf einen Stuhl fallen ließ, während er auf seine Waffeln wartete. „Na, auch schon hier?“ Sie nickte stumm und nahm einen langen Schluck aus ihrer Tasse, um seiner Aufmerksamkeit zu entgehen, was ihr im nächsten Moment absurd vorkam, da er ihr noch immer ein wenig... zerknautscht vorkam, oder vielmehr erschöpft. Dunkle Ringe unter seinen Augen traten nun zutage, die ihr bei ihrer ersten Begegnung nicht aufgefallen waren, und bevor sie den Gedanken unterdrücken konnte, zu sich selbst bemerkte, dass nicht jeder so war, wie er aussah, fragte sie sich, in welchen Kneipen er sich während des Wochenendes herumgetrieben hatte. Allerdings schien der Geruch nach frischen Waffeln nicht nur den Kindern, sondern auch ihm Leben einzuhauchen, und die Unterhaltung in der geräumigen Küche wurde immer fröhlicher, während Anne mehr und mehr fühlte, dass sie ein Fremdkörper zwischen all diesen Menschen war. Zwischen den beiden Lehrern und vor allem den älteren Schülern war etwas, das sie zuerst nicht einordnen konnte, eine... Gelassenheit, die sie weder während ihrer eigenen Zeit an der Highschool noch in einem ihrer Unterrichtspraktika erlebt hatte. Die Art, in der Munroe und Logan ihnen Verantwortung überließen, wirkte fast... beiläufig, so als ob weder sie noch die Teenager überhaupt bemerken würden, was geschah, und abwesend fragte Anne sich, was dahinter steckte. Besonders Marie und Bobby, aber auch Kitty und Peter, die sie am Freitag kennen gelernt hatte, kümmerten sich engagiert darum, dass die Kinder ihr Frühstück bekamen – allerdings schienen sie auch Logans Angewohnheit, ihr misstrauische Blicke zuzuwerfen, mitübernommen zu haben. Abgelehnt zu werden behagte ihr nicht, es war ein Gefühl, das man ihr in letzter Zeit viel zu oft entgegengebracht hatte, als dass sie ihm mit Gleichmut begegnen konnte, allerdings hatte sie in dieser Hinsicht wohl nicht besonders viel Auswahl. An jeder anderen Schule hätte man sie sicher noch schräger angesehen, das war der Gedanke, in den sie sich immer weiter vertiefte, während sie ihren Kaffee austrank und schließlich in ihren Unterrichtsraum ging, um ihre allererste Stunde an der Mutant High abzuhalten. „Und?“ Überrascht blickte Anne von der Planung für ihre nächste Stunde auf, als sie Ororo Munroe in der Tür lehnen sah. Ihr helles Haar bildete einen scharfen Kontrast zu dem braunen Holz des Rahmens, wirkte fast unnatürlich, künstlich, ein Eindruck, der scharf mit ihrem warmen Lächeln kontrastierte. „Ja?“ „Den Angriff der wilden Horden überstanden?“ Ihr Tonfall ließ den Ausdruck fast wie einen Kosenamen wirken, machte ihre Zuneigung zu eben diesen Kindern und Jugendlichen klar, und Anne legte ihren Kugelschreiber zur Seite, streckte sich langsam. „Ja... viel besser, als ich eigentlich erwartet hätte.“ Munroe legte den Kopf schieb, forderte sie mit der Bewegung auf, weiterzusprechen, während sie in das Zimmer trat und auf einem der Schülertische Platz nahm, die Tafel anstarrte. Die Frau wirkte abwesend, so als ob hier Erinnerungen auf sie warten würden, Gespenster, die Anne nicht sehen konnte und von denen sie auch nicht wusste, ob sie sie überhaupt sehen wollte, doch nach einem Moment riss sie sich zusammen und ihr Gesicht verlor den verträumten, abwesenden Gesichtsausdruck. Trotzdem schien sie eher aus Höflichkeit und Rücksicht hier zu sein als aus dem wirklichen Bedürfnis, mit ihrer neuesten Mitarbeiterin über ihren ersten Tag zu reden, und während Anne ihr Mitgefühl durchaus schätzte, hielt sie es doch für eher... unnötig. „Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Munroe?“ Die Frage brachte die Schulleiterin wohl ein wenig aus dem Konzept, denn ihre dunklen Augenbrauen, die so gar nicht zu ihrer Haarfarbe passen wollten, zogen sich ein wenig zusammen, doch dann glättete sich ihre Miene. „Nun... ich bin wohl ein wenig neugierig und würde gerne erfahren, wie es gelaufen ist.“ So freundlich, fast verschmitzt sie es auch sagte, Anne kam kaum umhin zu begreifen, dass auch eine versteckte Prüfung dahinter lag, dass Munroe herausfinden wollte, wie gut sie mit den Schülern zurechtkam, sich in das Gefüge der Xavier's School for Gifted Youngsters einfügte. So unauffällig wie möglich schluckte sie. „Soweit sehr gut, würde ich sagen. Ich habe mir ihre Notizen aus dem Unterricht bei Professor Summers geben lassen, und er scheint sehr gute Arbeit geleistet zu haben...“ Sie verstummte, als sie von dem Packen Zettel, auf den sie gedeutet hatte, aufblickte und bemerkte, wie sehr Munroe die Erwähnung des Namens aus dem Konzept brachte, und konnte nicht verhindern, dass ihr die wildesten Spekulationen durch den Kopf schossen, entschloss sich dann aber, ihren Satz so zu beenden, wie sie ihn sich zurecht gelegt hatte. „Es ist eine Weile her, dass er aufgehört hat zu unterrichten – zumindest nach den Daten auf den Blättern.“ Munroe hatte ihre intensive Musterung der Tafel wiederaufgenommen, schien zu prüfen, ob sie auch wirklich gut gelöscht war, bevor sie aufblickte, sich offensichtlich wieder unter Kontrolle hatte. „Ja. Ja, das ist es.“ Mehr schien sie nicht geneigt zu sagen, und Anne unterdrückte ein lautloses Seufzen – sie wollte ihre Arbeit gut machen, allerdings schien der Name Summers an dieser Schule ein rotes Tuch zu sein, und wenn sie ehrlich mit sich selbst war... nun, alles, was sie davon abhielt, sich auf die Vermittlung von mathematischen Kenntnissen zu konzentrieren, war wohl ihre eigene Neugier, und die hatte sie sich ganz eindeutig selbst zuzuschreiben. „Aber auch wenn sie ein wenig aus der Übung sind, sie haben wohl einen soliden Grundstock an Kenntnissen und ich glaube, nach der ersten Wiederholung kann ich sehr bald mit neuem Stoff anfangen.“ Munroe nickte, sie schien ihr nicht ernsthaft böse zu sein wenigen ihrer Nachfrage, worüber Anne ausgesprochen erleichtert war, aber trotzdem beschloss sie, das Glück nicht noch einmal herauszufordern, und schwieg lieber. „Der andere Grund, wegen dem ich mit Ihnen sprechen wollte... haben Sie etwas über Ihre Fähigkeiten herausgefunden?“ Die Frage überraschte Anne, das musste sie zugeben, denn während der letzten Tage hatte sie nicht über diesen Aspekt ihrer neuen Anstellung nachgedacht, ihn vielleicht auch bewusst verdrängt – aber eigentlich hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass Munroe ihr in dieser Hinsicht Fragen stellen wollte. „Nein... wieso?“ „Nun... ein... Unterstützer dieser Schule ist zufällig Experte auf diesem Gebiet, und ich dachte mir, ich könnte ihn vielleicht einladen, wenn Sie Interesse daran hätten. Doktor Hank McCoy, vielleicht kommt Ihnen der Name bekannt vor.“ „Der Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen? Sie kennen ihn?“ Annes Ausruf musste fassungslos geklungen haben, denn auf Munroes sonst meinst ernsten Zügen zeichnete sich ein Grinsen ab. „Genau der... er war ein Freund von Professor Charles Xavier, dem Gründer dieses Instituts, und auch wenn er im Moment sehr beschäftigt ist, besucht er uns noch immer gelegentlich.“ Anne rang sich ein Lächeln ab, während sie in Gedanken hastig damit beschäftigt war, ihre Einschätzung dieser Schule zu revidieren... dass sie besonders war, hatte sie in dem Moment begriffen, als sie die Kinder auf dem Rasen gesehen hatte. Aber wie gut ihre Beziehungen waren, begann sie erst in diesem Moment zu begreifen. „Natürlich hätte ich Interesse.“ „Ororo?“ Das eine Wort kam von der Tür, und überrascht wandte Anne sich um, betrachtete den Mutanten mit der blauen Haut, der fast ein wenig verlegen im Rahmen stand und sie beide betrachtete; Munroe sprang auf. „Kurt!“ „Störe ich?“ „Nein... nein. Ich wollte euch ohnehin bekanntmachen. Kurt, das ist Miss Anne Lewis, unsere neue Professorin für Mathemahrtik. Miss Lewis, das ist Kurt Wagner, ein Mutant aus Deutschland.“ „Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“ Der Mann trat auf sie zu, streckte ihr eine fleischige, blaue Hand mit nur drei Fingern entgegen, und Anne lächelte leicht, ergriff sie. „Ebenfalls.“ Anne war sich bewusst, dass es ihr nur sehr schlecht gelang, ihre Nervosität zu verbergen, während sie im geräumigen Wohnzimmer des Hauses saß, die Abendnachrichten verfolgte und darauf wartete, dass sie Doktor Hank McCoy treffen würde. Woher ihre Unruhe kam, wusste sie selbst kaum zu erklären, vielleicht lag es an ihrem letzten Erlebnis mit einem Arzt und was dabei herausgekommen war. Doch da waren noch andere Befürchtungen tief in ihrem Geist, die sich eingegraben hatten und an die sie kaum zu denken wagte, während sie auf dem Sofa saß, den großen Plasmabildschirm betrachtete. Die Befürchtung zum Beispiel, dass das alles nur ein großer Irrtum gewesen war, dass McCoy feststellen würde, dass sie gar keine Mutantin war... und Munroe sie dann hochkant wieder hinauswerfen würde. Anne wusste nicht, ob sie das ertragen hätte. Ihr machte das Unterrichten Spaß, um das herauszufinden hatte eine Woche der Arbeit mit den Schülern gereicht, und auch wenn die kleinen Gruppen mit den verschiedenen Altersstufen eine Herausforderung darstellten, so war es doch eine, die ihr gefiel und die ihr lag. Mit einem Eifer, der an ihr fast ein wenig deplatziert wirkte, so wenig war sie ihn gewohnt, bereitete sie Stunden vor, korrigierte Hausarbeiten, überlegte sich verschiedene Arten, den Stoff zu vermitteln – und irgendwann würde sie sich auch sicher daran gewöhnen, dass manchmal Dinge durch die Gegend flogen und dass sie für die Schüler mit telepathischem Talent jeweils eigene Prüfungsfragen ausarbeiten musste. „Nicht noch einer...“ Der Ausruf, der vielmehr einem Stöhnen glich, kam von Ororo Munroe, und Anne wandte den Kopf, betrachtete sie verwirrt, bis ihr die Worte des Nachrichtensprechers zu Bewusstsein kamen. „... ist es wieder zu einem Zwischenfall gekommen. Eine junge Frau mit auffälliger Mutation wurde auf offener Straße von einer Gruppe von Männern beschimpft und tätlich angegriffen, ohne dass einer der Passanten etwas zu ihrer Unterstützung unternommen hätte. Als sie daraufhin ihre Fähigkeiten einsetzte, um sich zu verteidigen, wurden alle drei Angreifer schwer verletzt. Das NYPD bestätigte, dass die Mutantin in Notwehr gehandelt hätte, und wird sie nicht wegen Körperverletzung belangen. Die Männer wurden ins Metropolitan Hospital eingeliefert und stehen unter polizeilicher Aufsicht. Und nun zum Wetter.“ „Wie großmütig.“ Die knurrige Stimme kam von der Tür, und als Anne aufblickte, entdeckte sie Logan, der dort lehnte und die letzten Sätze wahrscheinlich ebenfalls mitbekommen hatte. „Der Kerl klingt fast so, als ob sie sich auch noch dafür bedanken sollte, dass sie sich verteidigen durfte ohne dafür ins Gefängnis zu kommen.“ Anne richtete ihren Blick bemüht wieder auf den Fernseher, wo der Wetterreporter für die nächsten Tage gerade sonniges Septemberwetter ankündigte, während sie gleichzeitig die Ohren spitzte. Das Gespräch hatte so gar nicht nach der Unterhaltung eines Lehrers mit seiner Schulleiterin – oder sogar einer Kollegin – geklungen, es schien mehr dahinterzustecken, und obwohl ihr eigentlich klar war, dass sie weghören sollte... nun, wenn sie es zufällig in ihrer Gegenwart erwähnten. Doch zu ihrer Enttäuschung sah sie aus dem Augenwinkel, wie Munroe energisch abwinkte, sie war wohl nicht gewillt, dieses Thema in ihrer Gegenwart zu diskutieren. „Hat Hank sich schon gemeldet?“ Logan nickte. „Deswegen bin ich eigentlich hier... er wird in wenigen Minuten im Labor ankommen, und er meinte, ihr könntet schon mal... vorgehen. Kurt ist auch gleich hier.“ Die Art, in der er das Wort betonte, machte Anne stutzig, doch sie hatte kaum die Zeit gehabt, die Augenbrauen zu heben, als Ororo schon zu erklären begann. „Kurt ist ein Teleporter – er wird uns hinbringen.“ „Ein Teleporter?“ Noch immer verwirrte die unglaubliche Vielfalt an Fähigkeiten Anne, zwar hatte sie gehört, dass es verschiedene Arten von Mutationen gab, doch wurden die Mutanten im Allgemeinen vom Rest der Menschheit als homogene Gruppe gesehen. Dieser Eindruck hatte auch durch den Angriff Magnetos auf Alcatraz nicht merklich erschüttert werden können, auch wenn hier Mutanten gegen Mutanten gekämpft hatten. „Ja. Soweit wir – und auch er – wissen, bewegt er sich durch eine andere Dimension, die Punkte in unserer Realität in eine viel engere Beziehung setzt, als sie hier vorhanden ist... dadurch hat man den Eindruck, dass er an einem Ort verschwindet... und an einem anderen wieder auftaucht. Aber Sie werden ja gleich wissen, was ich meine.“ „Ähm?“ Der Laut klang nicht besonders intelligent und war eher ein Ausdruck des Unglaubens als der Verwirrung. Anne hatte verstanden, was Munroe meinte – sie fragte sich nur abwesend, wieso es niemand für nötig gehalten hätte, sie davor zu warnen. Natürlich, für die Kinder und Jugendlichen an dieser Schule war das Unglaubliche eine sehr reale Angelegenheit, aber Anne fühlte sich in dieser Hinsicht noch immer oft, als hätte man sie ins kalte Wasser geworfen und... „Er wird mit Ihnen teleportieren, Lewis, sie nicht bei lebendigem Leibe auffressen.“ Logan wirkte amüsiert über ihren Gesichtsausdruck, und sie zwang ein ein wenig fahriges Lächeln auf ihre Lippen, das umso wichtiger wurde, als in diesem Moment Kurt ins Wohnzimmer trat. „Hallo.“ „Hi.“ Das eine Wort wirkte nicht besonders enthusiastisch, doch trotzdem erhob sie sich, während Munroe nach der Fernbedienung griff, den Vorspann des Spielfilms, der gerade angefangen hatte, zu Schwärze verblassen ließ. „Nun, ähm... können wir dann?“ Ihr vorgeblicher Enthusiasmus war wohl eher darauf zurückzuführen, dass sie es endlich hinter sich bringen wollte, als was auch immer dieses es sich in diesem Falle auch herausstellen würde, und je schneller sie das herausfand, desto weniger Sorgen konnte sie sich darüber machen. „Natürlich, Miss Lewis.“ Trotzdem trat Kurt zuerst an Munroe heran, schlang seine Arme um sie, bevor er in einer blauen Wolke verschwand, nichts als einen leichten Geruch nach Schwefel zurückließ, der so gar nicht zu dem Rosenkranz, den er immer mit sich herumtrug, passen wollte. „Kommen Sie auch mit?“ Sie hatte die Frage nur gestellt, um Smalltalk zu betreiben, während sie auf Kurts Rückkehr wartete, denn auch wenn Logan nicht wie ein Mann wirkte, der gerne über das Wetter sprach, war die Stille zumindest ihr bereits unangenehm geworden. „Nein... irgendjemand muss ja auf die Kinder aufpassen, während Sie, Kurt und Ororo einen kleinen Ausflug machen.“ Er schüttelte den Kopf und wirkte doch irgendwie... merkwürdig dabei, etwas an seiner Aussage, obwohl sie zweifelsohne wahr war, stimmte sie nachdenklich. Vielleicht war es die Tatsache, dass Logan auf sie nicht unbedingt den Eindruck machte, der geeignetste Kandidat zum Babysitting zu sein, aber es schien noch etwas Anderes dahinterzustecken – so wie viele Dinge in diesem Haus nicht so waren, wie sie auf den ersten Blick aussehen. „Ja...“, bemerkte sie langsam, doch Kurts erneutes Auftauchen enthob sie der Notwendigkeit, eine Antwort zu geben, sie rang sich nur ein kurzes Lächeln ab, bevor sie ein ernstes Wort mit den Schmetterlingen in ihrem Bauch sprach und auf den Teleporter zutrat. „Muss ich etwas machen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein... es ist nur besser, wenn Sie die Augen schließen. Der Anblick kann ein wenig irritieren sein...“ Anne tat es. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)