In Good Faith von Glasschmetterling ================================================================================ Chapter 3 - Last Hope --------------------- In Good Faith – Chapter 3: Last Hope „Dann bist du entweder mutiger als ich... oder du weißt weniger über sie.“ Sie schluckt und versucht es doch zu verbergen. „Ich denke, ich weiß weniger.“ Das Telefon klingelte, ein Laut, der für Anne so ungewohnt klang, dass sie ihn im ersten Moment, als sie aus dem Halbschlaf hochschreckte, fast nicht identifizieren konnte. Unwillig drehte sie sich auf die andere Seite... wahrscheinlich hatte sich jemand verwählt, mit ihr wollte ja ohnehin niemand sprechen, also konnte es so dringend nicht sein. Trotzdem riss das penetrante Geräusch nicht ab, bohrte sich weiter und weiter in ihren schmerzenden Kopf, ihr Anrufer war wohl hartnäckig... oder sehr davon überzeugt, die richtige Telefonnummer zu haben. Unwillig schlug sie die Bettdecke zurück, taumelte ins kleine Vorzimmer. „Ja?“ „Verzeihung... spreche ich mit Miss Anne Lewis?“ Die Frauenstimme klang sanft, fast zurückhaltend und nicht im Geringsten unhöflich, eine Tatsache, die sie davon überzeugte, dass man sie verwechseln musste. Trotzdem... ihre Neugier war geweckt, auf eine Art und Weise, die sie lange nicht mehr erlebt hatte. „Ja. Ja, das tun Sie.“ „Nun... ich bin Ororo Munroe von der Xavier's School for Gifted Youngsters in Westchester, und ich rufe wegen Ihrer Bewerbung an.“ „Meiner Bewerbung.“ Ihre Aufregung hatte sich plötzlich verflüchtigt – eine Ablehnung per Telefon war zwar etwas Neues, aber im Grunde nichts, das sie nicht schon längst kannte. „Ich verstehe.“ Ihr Tonfall musste düster geklungen haben, denn sie konnte die Irritation in der Stimme ihrer Gesprächspartnerin hören. „Nun... wäre Ihnen Freitag also recht?“ „Freitag?“ Sie musste einen dümmlichen Eindruck auf Munroe machen, wie sie immer wiederholte, was sie sagte, und ihr Stolz versetzte ihr einen kleinen Stich, auf den einzugehen sie im Moment nicht die Kraft hatte. „Ja, Freitag um vierzehn Uhr... wir hatten Sie doch um einen Anruf gebeten, um den Termin für Ihr Bewerbungsgespräch zu bestätigen, aber da Sie sich nicht gemeldet haben, wollte ich noch einmal nachfragen.“ „Bewerbungsgespräch?“ Entfernt war Anne klar, dass sich jetzt endgültig wie eine Idiotin anhörte, aber diese Tatsache war gerade absolut unwichtig geworden. „Sie laden mich ein? Wirklich?“ „Ja.“ Munroe hatte sich ganz offensichtlich entschlossen, mehr amüsiert zu sein als verwirrt oder beleidigt, worüber sie gerade sehr, sehr dankbar war. „Ich... ich... natürlich ist mir Freitag um vierzehn Uhr recht.“ „Ausgezeichnet. Bis Freitag dann, Miss Lewis.“ „Bis Freitag...“, hatte Anne gerade noch Zeit, hinzuzufügen, bevor sie den Hörer auflegte und zu dem großen Müllsack hinüberhastete, der in ihrer Küche stand... „Xavier... Xavier...“, murmelte sie vor sich hin, während sie mit spitzen Fingern die vielen ungeöffneten Briefe hervorzog und durchsah, die mit der Zeit hier gelandet waren. Eine weitere Enttäuschung hätte sie nicht ertragen... und doch schien es, als hätte sie durch ihre eigene Dummheit fast eine Chance, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, vertan. „Xavier's School for Gifted Youngsters“, las sie leise vor, als sie den unscheinbaren Umschlag mit dem großen X auf der Vorderseite entdeckte und öffnete. Munroe hatte nicht gelogen... die Schule hatte sie tatsächlich eingeladen, zu einem richtigen Bewerbungsgespräch, und sie spürte, wie sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen schlich – jetzt hatte sie wenigstens eine Chance, auch wenn sie noch so gering war. Ihr Hochgefühl hatte während der nächsten Tage angehalten, als sie einen ihrer Hosenanzüge und eine hübsche Bluse bügelte, ihre Haare nach langer Zeit endlich wieder einmal bändigte und sich darauf vorbereitete, so nett, einnehmend und kompetent wie möglich zu erscheinen, wenn sie Ororo Munroe schließlich begegnete. Auch während sie im Bus nach Westchester saß, hatte sie fröhlich, aber fast unhörbar vor sich hin gesummt und es geschafft, die aufkeimende Nervosität so weit nach hinten zu verdrängen, dass sie die Sonne genoss und die sommerliche Hitze kaum wahrnahm, während die Umgebung immer grüner wurde. Doch schließlich, als sie an der Haltestelle Graymalkin Lane ausstieg und sie den merkwürdigen Blick des Busfahrers bemerkte, krochen die Zweifel wieder hervor. Eine Begabtenschule suchte sich normalerweise die besten Lehrer, die sie bekommen konnte, keine frischen Universitätsabsolventen wie sie... was also wollte man hier von ihr? Mit einer bewussten Willensanstrengung lockerte Anne ihren fast krampfhaft festen Griff um ihre Handtasche und schüttelte ihre Schultern aus, dann ging sie auf das große Herrenhaus, das sie hinter der bewachsenen Mauer erkennen konnte, zu. Eine Säule mit dem Namen der Schule grenzte das eiserne Tor der Einfahrt von einem kleineren Durchgang mit einer Gegensprechanlage ab und Anne ging darauf zu, doch sie wurde durchgelassen, bevor sie den Klingelknopf drücken konnte. Der Weg, den sie einen Moment darauf betrat, führte sie schließlich in einen hell gepflasterten, lichtdurchfluteten Hof, wo sich hinter zwei dicken Säulen und beschattet von einem Vordach der Eingang der Xavier's School for Gifted Youngsters versteckte. Die Tür war bereits geöffnet, als Anne darauf zutrat, und eine schlanke, fast zierlich wirkende Frau mit kurzen, hellen Haaren erwartete sie mit einem Lächeln. „Miss Lewis.“ Das ehrliche Willkommen, das aus ihrer Stimme und ihrer Miene sprach, tat gut, zu Annes Überraschung musste sie feststellen, dass sie in den vergangenen Wochen fast vergessen hatte, wie es sich anfühlte, wenn sich jemand freute, sie zu sehen. „Miss Munroe, glaube ich.“ Die Frau lachte ein wenig und drückte ihr die Hand, bevor sie sie durch die Tür mit den gelben Glasscheiben nach drinnen führte. „Ja. Ich bin die Direktorin dieser Schule.“ Neugierig blickte Anne sich um, während Munroe sie durch einen langen, dunkel getäfelten Gang führte, der hätte erdrückend wirken können, wenn nicht Kunstwerke den Eindruck aufgehellt hätten. Die Stille, die herrschte, wirkte wohltuend, wurde durch den fröhlichen Lärm, der durch die offenen Fenster aus dem großen Garten nach drinnen drang, weniger gebrochen als viel mehr noch betont. Anne konnte Schüler auf dem Rasen erkennen, wenn sie sich bemühte, und ihr Blick wurde noch besser, als die Frau sie in ein großes Büro führte. Für einen Moment vermeinte Anne ein leichtes Schaudern an ihr zu sehen, ein tief sitzendes Unbehagen, während sie sie hinter den bequem wirkenden Stuhl hinter dem Schreibtisch trat, doch der Eindruck verging rasch, und Munroe lächelte. „Setzen Sie sich doch... möchten Sie Tee oder Kaffee?“ Anne schüttelte den Kopf und wischte ihre feuchten Handflächen so unauffällig wie Möglich an ihrer Hose ab. Die Nervosität hatte sie wieder im Griff, und doch begrüßte sie dieses Gefühl, sog es auf wie eine Ertrinkende, denn fast erleichterte es sie, dass sie noch dazu in der Lage war, es zu empfinden. Denn Nervosität bedeutete, dass man noch Hoffnung hatte. „Nein, danke.“ „Nun...“ Munroe hatte nun ebenfalls Platz genommen, betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf über den Schreibtisch hinweg, so als ob sie nach einem Faden suchte, einem Anfang, mit dem sie das Gespräch beginnen konnte. „Sie haben sich für den Posten als Mathematikprofessorin an unserer Schule beworben und Ihr exzellenter Bachelorabschluss hat Sie uns natürlich empfohlen. Allerdings muss ich, wenn ich offen bin, zugeben, dass wir Sie eigentlich wegen einer anderen Qualifikation eingeladen haben, hierher zu kommen.“ Munroe pausierte für einen Moment, schien auf die Geräusche zu lauschen, die durch das offene Fenster aus dem Garten hereindrangen. „Welche Erfahrungen haben Sie mit Mutanten gemacht, Miss Lewis?“ Die Frage ließ alle Alarmglocken in Annes Kopf schrillen, doch sie ballte nur die Hände unter dem Tisch zu Fäusten, bemüht, sich nicht mehr anmerken zu lassen. „Nun... wie ich in meinem Lebenslauf geschrieben habe, bin ich eine Mutantin... darüber hinausgehend weiß ich wohl nicht besonders viel, fürchte ich.“ Das Schweigen zwischen ihnen schien unbehaglich zu werden, während ihr Blick nach draußen fiel, auf die spielenden Kinder... von denen eines beim Volleyball eindeutig höher sprang, als es eigentlich können sollte. Und nun, wo sie genauer hinsah, fielen ihr mehr und mehr Kleinigkeiten auf, die ihr versicherten, dass dies sicherlich kein normales Institut war. Ein Mädchen, das kopfüber von dem starken Ast einer alten Eiche hing, lenkte zuerst ihren Blick auf sich, doch es brauchte einen Jungen, fast schon ein Teenager, der vollkommen entspannt auf der Wasseroberfläche eines der Bassins stand, bis der Groschen schlussendlich fiel. „Das hier ist eine Schule für Mutanten, nicht wahr?“ Munroe nickte, durchaus anerkennend, wie Anne vorkam, was Balsam für ihre geschundene Seele war. „Ja. Natürlich können Sie sich jetzt auch vorstellen, wieso wir ausgerechnet Sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen haben, Miss Lewis, und mich würde interessieren, welche Fähigkeiten Sie haben.“ „Uns würde das interessieren.“ Die düstere Stimme kam von der Tür, und Anne wandte sich um, betrachtete den rau aussehenden Mann, der sich gegen den Rahmen gelehnt hatte und so gar nicht in dieses alte, ehrwürdige Gebäude zu passen schien. Für einen Moment schienen sich seine dunklen Augen in die ihren zu bohren, dann nickte er langsam, trat gemächlich, so als ob er hier zu Hause wäre, auf den Schreibtisch zu und lehnte sich an die Kante. „Miss Lewis, Logan, Logan, Miss Anne Lewis, unsere Bewerberin.“ Munroe wirkte nicht so, als ob sie mit diesem plötzlichen Eindringen nicht gerechnet hätte, doch Anne spürte, wie es sie aus dem Konzept gebracht hatte, besonders bei einer Frage wie dieser, wo sie ohnehin nicht wusste, was sie antworten sollte. „Ich... nun...“ Angestrengt musterte sie ihre Finger. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was meine Fähigkeiten sind. Ich hab erst vor wenigen Wochen erfahren, dass ich eine Mutantin bin... und seitdem nichts bemerkt, was irgendwie ungewöhnlich oder merkwürdig wäre.“ Trotz der Peinlichkeit... es tat gut, die Worte auszusprechen, ihre Sorge mit jemandem zu teilen, denn diesen Aspekt hatte sie bis jetzt niemandem gegenüber erwähnt, nicht einmal Emma, die ihr ja kaum eine Chance gelassen hatte und doch die Person war, die am besten über ihre Ängste Bescheid wusste. „Nichts? Ihnen ist gar nichts aufgefallen?“ Munroe wirkte zu ihrer Überraschung eher interessiert, eine Tatsache, die Anne unendlich erleichterte, denn in den letzten Minuten hatte sie ihre Chancen, diesen Job zu bekommen, bereits gegen Null gehen sehen. „Nein... und ich hab besonders als Teenager darauf geachtet, da meine Schwester ebenfalls eine Mutantin ist.“ „Dann haben Sie also bereits Erfahrung damit, wie... kompliziert das Leben sein kann, wenn man nicht so ist wie alle anderen.“ Es war eine Feststellung, keine Frage, und Anne nickte nur, denn dieser Aussage konnte sie nach den letzten Wochen ohne auch nur den Schatten eines Zweifels zustimmen. „Ja.“ „Besonders für die Kinder hier kann das sehr schwierig sein, denn natürlich können wir die Feindschaft, die uns gegenüber herrscht, nicht vollkommen von ihnen fernhalten und wollen das auch nicht. Aber genau deswegen suchen wir nach hoch qualifiziertem pädagogischem Personal, das Verständnis hat für das, was sie erleben, und sie in ihrer Verarbeitung der Geschehnisse unterstützen kann.“ Anne fühlte im Moment viel, Dankbarkeit, Erleichterung, Freude darüber, dass ihr wenigstens jemand zugehört hatte, aber hoch qualifiziert gehörte sicherlich nicht dazu; aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, wie Logan grinste. „Außerdem sollten Sie sich darauf gefasst machen, dass Teenager gerne ein wenig... kompliziert sein können. Damit müssen Sie klar kommen, und im Moment sehen Sie ehrlich gesagt nichtmal aus, als könnten Sie einen Dreijährigen unter Kontrolle halten.“ Abrupt versteifte Anne sich auf ihrem Stuhl. „Meine Noten in Pädagogik waren immer exzellent.“ „Klar. Wenn man die Anleitung auswendig gelernt hat, heißt das nur leider nicht, dass man mit dem Auto zurechtkommt. Oder mit dem Toaster.“ „Logan.“ Munroes Stimme klang sanft, aber für den mahnenden Unterton in ihr war Anne ausgesprochen dankbar, sie hatte gespürt, wie der Kommentar an den Schichten des Selbstvertrauens gekratzt hatte, die sie nach langer, harter Arbeit nun umgaben. Wenigstens, dass sie eine gute Lehrerin war, wollte sie noch glauben können, wo doch alles andere in ihrem Leben um sie herum zusammengebrochen war. „Ich denke, wir sollten es wenigstens versuchen.“ „Kann nicht schaden... zumindest hoffe ich das“, stimmte Logan zu, zwar brummig, aber das war noch immer mehr, als Anne sich erhofft hatte, und sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. „Willkommen auf der Mutant High.“ Logans Interesse daran, sie einzuschüchtern, schien sich nach seinem ersten Versuch erschöpft zu haben, und er verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war, noch bevor Anne eine Gelegenheit hatte, sich zu fragen, was er eigentlich an dieser Schule zu suchen hatte. Wie ein Lehrer kam er ihr nicht vor, und auch nicht wie jemand, der freiwillig einen Teil seiner Zeit sozialen Aktivitäten widmete, und doch schien Munroe ihn als Partner zu sehen, als jemanden, dessen Urteil sie vertraute, darauf deutete allein schon die Tatsache, dass sie ihn nicht sofort aus ihrem Büro geworfen hatte. „Lassen Sie sich von Logan nicht entmutigen.“ Die Frau lächelte leicht. „Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, zu verstecken, was für ein großes Herz er hat, um zu bemerken, dass wir das ohnehin alle wissen...“ Anne wusste nicht genau, ob sie dieser Einschätzung nun zustimmen sollte, oder nicht, zuckte schlicht mit den Schultern. „Unterrichtet er auch hier?“ Munroe lachte trocken. „Ab und zu... wenn wir gerade jemanden brauchen. Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass er der absolute Liebling der Schüler ist... für jemanden, der ohnehin keine Hausarbeiten korrigiert, gibt es nämlich auch keinen Grund, sie aufzugeben.“ Pflichtschuldig lächelte Anne, auch wenn sie zugeben musste, dass sie sich Logan wirklich nicht über einen Schreibtisch gebeugt vorstellen konnte, wie er Rechtschreibfehler in Aufsätzen verbesserte. „Allerdings denke ich, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, Ihnen die Schule zu zeigen, jetzt, wo wir nicht Gefahr laufen, in den Gängen über den Haufen gerannt zu werden.“ Munroe erhob sich und wies auf die Tür, bedeutete ihr, vorauszugehen, und sie betraten wieder den langen, holzgetäfelten Gang, der ihr schon beim Hinweg aufgefallen war. Logan konnte sie nirgends entdecken, eine Tatsache, die sie im Moment nicht bedauerte, und entschlossen verdrängte sie den Gedanken, dass er gemeinsam mit seinen spitzen Kommentaren aus irgendeiner Nische auftauchen könnte. „Gleich hier ist mein eigenes Klassenzimmer“, erklärte Munroe mit einem Lächeln, in das sich auch ein gewisser... Besitzerstolz mischte, während sie die Tür öffnete. Und Anne konnte sich einen beeindruckten Blick nicht verkneifen, als sie sich in dem riesigen Raum umsah, Licht fiel durch die bunten Glasfenster nach drinnen, beleuchtete die vielen Pflanzen in den großen Töpfen – die Direktorin hatte eindeutig einen grünen Daumen. „Und direkt daneben... der Raum unseres ehemaligen Mathematikprofessors.“ Das Zimmer war noch immer recht geräumig, wenn auch deutlich kleiner und in einem schlichteren, eher nüchternen Stil eingerichtet, der die Konzentration der Schüler nicht auf eine so harte Probe stellte wie das Vivarium, das sie eben gesehen hatte. Neugierig sah sie sich um, immerhin würde das der Raum sein, in dem sie später unterrichten würde, und sie hatte bereits ein paar Schritte hinein gemacht, bis sie bemerkte, was sie überhaupt tat. „Ich... Verzeihnung...“ Munroe winkte nur ab. „Sehen Sie sich ruhig um.“ Obwohl man das Klassenzimmer sorgfältig von persönlichen Gegenständen befreit hatte, konnte sie in den Regalen noch immer Lehrbücher und Kompendien entdecken, einige von ihnen definitiv schon länger benutzt, und abwesend fragte sie sich, wieso der letzte Lehrer sie nicht mitgenommen hatte. Sie sahen nicht aus wie Eigentum der Schule, und neugierig griff sie nach einem von ihnen, weil sie eines der Werke über Analysis erkannt hatte, die sie auch während ihres eigenen Studiums gelesen hatte. Scott Summers stand auf einem säuberlich aufgeklebten Schild in einer Ecke des Covers und... „Gefällt Ihnen die Sammlung, Miss Lewis?“ Anne nickte, sie hatte bereits einige Titel entdeckt, die ihr wirklich nützlich sein würden, Sammlungen mit Arbeitsaufgaben, theoretische Werke... „Ja, sie gefällt mir sehr. Warum hat er...“, nachdenklich wies sie auf den Namen, „... sie nicht mitgenommen?“ „Er braucht sie nicht mehr.“ Der Satz konnte so vieles heißen, und doch war da ein Unterton in Munroes Stimme, der Anne warnte, weiter nachzufragen; langsam, fast scheu stellte sie das Buch an seinen Platz zurück, trat zur Tür. „Können wir weitergehen?“ Die Direktorin nickte, zeigte ihr noch einige weitere Klassenzimmer, von denen die meisten bis auf das von Logan verwaist waren, ein Zustand, der auch ihr nicht besonders zu gefallen schien. Ihre Miene hellte sich erst wieder auf, als sie in den großen Aufenthaltsraum traten, in dem neben einem Fernseher und einem Sofa auch ein Tischfußballtisch stand. Auf den Regalen türmten sich Schachteln mit Gesellschaftsspielen auf, und abwesend fragte Anne sich, wie so viele Kinder und Jugendliche sich abends auf ein TV-Programm einigen konnten. Schon sie und Emma hatten es geschafft, einen regelrechten Kleinkrieg um die Fernbedienung anzuzetteln, und hier sah die Situation wahrscheinlich nicht besser aus. Natürlich, der Plasmabildschirm war groß, aber das bedeutete nicht, dass man mehrere Filme gleichzeitig sehen konnte... „Hier halten sich die Schüler gerne auf, wenn sie frei haben... und wir sie nicht in den Garten gescheucht haben so wie heute.“ Munroe lächelte. „Oder natürlich in den Schlafsälen im Obergeschoß, die ich Ihnen gleich zeigen möchte.“ Gemeinsam stiegen sie die hölzerne Treppe empor, Anne war noch immer überrascht darüber, wie groß dieses Gebäude war, die Bäume und die Mauer hatten einen großen Teil seines Ausmaßes vor ihr verborgen, als sie angekommen war. Groß... und teuer. Die Frage, wie die Xavier's School for Gifted Youngsters sich eigentlich finanzierte, schoss ihr unmittelbar durch den Kopf, vor allem, weil sie vom Namensgeber des Institutes, Xavier, noch nichts gehört oder gesehen hatte. Alles zu seiner Zeit, Anne... du wirst es schon erfahren. Irgendwann. „Hier sind übrigens auch die Gästequartiere“, erklärte Munroe mit einem beiläufigen Blick und einem kleinen Winken in die Richtung einiger Türen, die aber sofort von einer genaueren Musterung abgelöst wurde. Jemand hatte wohl das fein säuberlich gemachte Doppelbett als Trampolin benutzt, zumindest legten die Abdrücke in der Decke das nahe, und Anne hatte das Gefühl, dass das Konsequenzen geben würde – und dass Munroe auch schon ziemlich genau wusste, für wen. „Nun... wie ich schon sagte, das hier sind die Quartiere für Gäste, falls die Schule Besuch bekommt... und normalerweise sind sie in einem besseren Zustand“, fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. „Und die Schlafsäle sind gleich hier daneben... die Zimmer für mich und Logan sind am Ende des Ganges.“ Anne folgte ihrem Blick, der Korridor sah bis auf die Kunstwerke aus wie der im Geschoß unter ihnen, was ein merkwürdiges Gefühl der Irritation und Desorientierung bei ihr auslöste. „Sie haben ja eine Wohnung in der Nähe?“ Anne nickte. Nun, Nähe war wohl ein eher relativer Begriff, und es kostete sie doch mehr als eine Stunde, hierher nach Westchester zu fahren, aber das wäre wohl bei so gut wie jeder Schule, bei der sie sich beworben hatte, der Fall gewesen. Und nach ihrem ersten Eindruck war diese hier eine, die den langen Anfahrtsweg durchaus wert war. Munroe war in der Zwischenzeit an eines der Fenster getreten, blickte nach unten auf den Garten – oder war es schon ein Park? - hinter dem Haus, beobachtete die Kinder. Einige von ihnen spielten Badminton auf dem Rasen, wieder andere wirbelten über den Basketballplatz und Anne konnte sogar Logan zwischen ihnen erkennen, der sich spielerisch mit einem Jungen balgte, der doch keine Chance gegen ihn hatte und es doch immer wieder versuchen wollte. Fast gegen ihren Willen lächelte sie, und auch Munroes sonst eher ernstes Gesicht hatte einen... zufriedenen Ausdruck angenommen. „Nun... ich denke, wir sollten uns ihnen vielleicht anschließen, meinen Sie nicht auch? Immerhin bin ich sicher, dass Sie mindestens so neugierig sind auf Ihre neuen Schüler wie Ihre Schüler auf Sie, und da wäre es doch unfair, bis Montag zu warten...“ Anne folgte ihr die Treppe nach unten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)