Headhunter von kittyleinchen (The Kitten And The Firedevil) ================================================================================ Prolog: .Goodbye, Xavier. ------------------------- .Goodbye, Xavier. Meine Eltern haben mir immer gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Das alles ein Ende haben würde, haben müsse und dass eines Tages wieder Frieden herrschen würde. Frieden zwischen Mensch und Mutant. Jetzt sind sie tot... Ich war einmal – es kommt mir vor, als ob es ewig lange her ist – ein kleines naives Mädchen. Ich war schüchtern, unsicher und eigentlich auch gerne alleine. Wohl genau deswegen. Ich liebte Bücher, hatte einen aussergewöhnlichen Intelligenzquotient und kannte mich seltsamerweise sehr gut mit Technik aus. Aber ich mag es nicht, deswegen als Genie bezeichnet zu werden. Intelligenz ist relativ.. An meiner alten Schule in meiner Heimatstadt Deerfield, Illinois, war ich deswegen nur der Nerd, die Streberin.. ein Freak eben. Ich hatte kaum Freunde, was auch mit meiner zurückhaltenden Art zusammenhing. Doch trotzdem liebte ich mein Leben und ich hätte es wohl gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Ich liebte meine kleine Familie. Mein Vater, der mich immer Kitty nannte und mit dem ich im Sommer jeweils Drachen steigen liess, meine Mutter, für die ich immer ein kleiner Sonnenschein war. Meine kleine Familie, die immer für mich da war. Als ich elf Jahre alt war, änderte sich das alles. Ich entdeckte, als ich nachts plötzlich durch den Boden meines Zimmers fiel, dass ich eine Mutantin war. Ich konnte durch alles hindurchgehen, ähnlich wie ein Geist. Doch meine kleine Familie hielt weiterhin zu mir. Sie wollten mich eigentlich bei sich behalten, doch ich entschied, auf Anfrage von Professor Charles Xavier an seine Schule, speziell für Mutanten zu gehen. Xaviers Institut for gifted Youngsters. Was dabei mit ‚gifted‘ gemeint ist, kann man sich wohl denken. Der einzige Nachteil war, dass diese Schule in Bayville war. Einem Vorort von New York. Und New York war nicht gerade nahe bei Deerfield. Ich würde meine Eltern also nur noch über die Ferien sehen. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich New York nicht mag. Wie auch immer.. Ich wurde offener und lernte viele nette Leute kennen, die ich später auch als meine Freunde bezeichnen konnte. Rückblickend würde ich diese Zeit wohl als die schönste aber zugleich naivste Zeit meines gesamten Lebens bezeichnen. Manche mögen es Verblendung nennen, ich nenne es Kindheit. Mit 15 Jahren sollte auch diese Zeit ein Ende haben. Der Krieg brach aus. Anfangs nur in San Francisco und in Südamerika, wo die Einstellung gegenüber Mutanten schon lange ziemlich feindlich gewesen war. Doch von San Francisco breiteten sich die Kämpfe zwischen Mutanten und Menschen rasch aus, bis der gesamte Westen davon betroffen war. Während im Westen jeden Tag unschuldige starben, wirkte es im Osten so, als gäbe es keinen Krieg. Südamerika war schon lange Gebiet, dass man als Mutant besser nicht betrat, wenn man nicht sogleich gelyncht werden wollte. Die Gesetzte und die Menschenrechte schienen dort mit der Begründung ausser Kraft gesetzt worden zu sein, dass man Mutanten nicht als Menschen bezeichnen könne. Ausserdem hatten die Unruhen inzwischen auch auf Europa übergegriffen. Zwar noch in kleinerem Ausmass aber man durfte es auf keinen Fall unterschätzen. Domino-Effekt eben. Einer machts und die anderen folgen wie Schafe. Lächerlich! Der Hass, der sich über Jahre angestaut hatte, entlud sich und hallte über die gesamte Welt, wie ein alles vernichtender Donner. Anfangs waren es Mutanten gegen Menschen. Bis S.H.I.E.L.D. wieder ins Leben gerufen wurde. S.H.I.E.L.D. war vor Jahrzehnten, als die ersten Mutationen und die Gefahren, die das für die Menschen mit sich brachten bekannt wurden, gegründet worden. Jedoch war das Projekt damals strengster Geheimhaltung unterworfen gewesen. Man hatte die Organisation damit beauftragt, unter der Führung von Nick Furry, möglichst viel über Mutanten herauszufinden, eine geheime Kartei zu erstellen und zu beobachten, wie sich das ganze entwickelte. Doch vor dem Krieg hatte wirklich Friede geherrscht, ein Präsident war an der Macht gewesen, der dagegen war. S.H.I.E.L.D. wurde auf Eis gelegt. Nach Ausbruchs des Krieges, mit einem neuen Präsidenten an der Spitze, wurde die Organisation, die eigentlich niemals still gelegt worden war, erneut eingeschaltet. Diesmal wurde das ganze jedoch Publik gemacht. S.H.I.E.L.D. sind die Entwickler der legendären Sentinels. Speziell konzipierte Roboter zur Jagt auf Mutanten. Ausserdem wurden Mutanten durch die Augenlöcher Mikrochips ins Gehirn implantiert, die sie gefügig machten. Von diesem Augenblick an hiess es Mutanten gegen Mutanten, Sentinels und Menschen. Das Registrationsgesetzt war längst wieder in Kraft getreten. Mutanten wurden kategorisiert und katalogisiert. Listen von gefährlichen Mutanten wurden aufgestellt und öffentlich gemacht, auch wenn betreffender noch nie mit seinen Fähigkeiten aufgefallen war. Fahndungsplakate wurden ausgehängt mit Belohnungen in horrender Höhe für die Ergreifung des betreffenden Mutanten. Wir mussten verleugnen, was wir waren und doch hat uns das nicht weiter geholfen. Wir standen alle auf der Liste. Absolut alle, von damals.. Wir wurden angeklagt für Dinge, die wir niemals getan hatten. Denn durch die Wirrungen des Krieges wurden Razzien durchgeführt, auch im Osten. Das Institut wurde entdeckt und für eine Ausbildungsstädte für eine Mutantenarmee gehalten. Mit Xavier als Anführer. Es wurde vollständig Zerstört. Die X-Men wurden zersprengt und lösten sich auf. Jeder ging seinen eigenen Weg. Ich kehrte zurück zu meinen Eltern nach Deerfield, sie wollten mich beschützen, ich blieb nur, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hin sollte. Denn mir war klar, in was für eine Gefahr ich sie brachte. Und ich erzählte niemandem, wo ich hinging, wo ich war, denn die grösste Gefahr für Mutanten – vor allem für jene, die auf der Flucht waren – waren andere Mutanten.. .Die Kopfgeldjäger. Die freiwilligen Helfer des Staates. Sie verrieten ihre eigene Rasse. Um nicht selbst gejagt zu werden, jagten sie ihre eigenen Leute. Bei Ablieferung kassierten sie eiskalt die Belohnungen. Sie sind absolut skrupellos und das schlimmste ist, man kann sich bei einem Mutanten niemals sicher sein, ob man einen Kopfgeldjäger vor sich hat. Nun kann man nicht einmal mehr seinen eigenen Leuten vertrauen.. soweit sind wir also schon gekommen. Wahrscheinlich ist es bald zu ende.. wahrscheinlich sind bald alle Mutanten ausgerottet. So, wie es die Menschen mit jeder Rasse gemacht haben, die ihnen hätte gefährlich werden können, so wie sie es jetzt machen und so wie sie es wieder machen würden. Aber, was ich nicht glauben kann, ist, dass einige von uns ihnen sogar freiwillig dabei helfen.. Verräter! Ich habe in dieser Zeit nichts anderes getan, als mich feige in meinem Zimmer versteckt. Zwar war S.H.I.E.L.D. einige Male vorbeigekommen, um zu kontrollieren, ob meine Eltern etwas von mir gehört hatten. Jedoch war es uns bis anhin immer gelungen, mich rechtzeitig zu verstecken, und das Zimmer so aussehen zu lassen, als wäre es unbewohnt. Ich blieb in meinem Zimmer, als bekannt wurde, dass Colossus ‚verschollen‘ war. Obwohl verschollen in diesem Fall hiess, dass man ihn umgebracht hatte. Ich reagierte auch nicht, als Bobby Drake mir eine Nachricht aufs Handy schickte, in der er mir mitteilte, dass er sich jetzt den Rebellen angeschlossen hätte und gegen Westen zog um dort mitzukämpfen. Jedoch behalt ich die Nachricht auf. Ich tat auch so, als würde es mich überhaupt nichts angehen, als die Brotherhood einen Anschlag auf das weisse Haus verübte und Magneto dabei angeblich schwer verletzt worden war. Und ich tat so, als wäre es mir egal, als ich von der Festnahme von Charlex Xavier erfuhr. Er wurde angeklagt wegen Hilfeleistungen für andere Mutanten und wegen aufstellen einer Armee aus Mutanten. Als mögliche Strafe spekulierte man auf eine öffentliche Hinrichtung. Es gab kein Gesetzt, dass dieses vorgehen bei Mutanten verbot. Bei Menschen schon. Aber uns wollte man nicht mehr als Bürger von Amerika sehen. Nicht mal mehr als Lebewesen, die ebenfalls das Recht hatten, auf diesem Planeten zu leben. Ich reagierte nicht, es ging mich nichts an. Ich war keine X-Men mehr, die X-Men existierten nicht mehr. Sie waren Geschichte und bald würden wahrscheinlich auch Mutanten Geschichte sein. An meinem 17-ten Geburtstag erhielt ich erneut eine Nachricht von Bobby. Er schien immer noch meine Nummer zu haben. Er gratulierte mir herzlich zum Geburtstag und erwähnte, dass er Zwecks Erholung für einige Zeit aus dem Kriegsgebiet wieder nach New York gekommen war. Er schlug ebenfalls vor, sich mit mir zu treffen, da er mir noch mein Geburtstagsgeschenk geben müsse, aber nicht wüsse, wo ich war. Und im selben Zug fragte er mich auch, wo ich denn überhaupt war und ob alles in Ordnung wäre. Wie niedlich. Er hatte ein Geburtstagsgeschenk für mich. Das war überhaupt der Grund, weshalb ich zurückschrieb. Nur ein einziges Wort: ‚Zuhause.‘ Er wusste wahrscheinlich nicht einmal mehr, wo genau mein Zuhause war. Die Zeit am Institut schien schon so weit entfernt, obwohl es genau genommen nur zwei Jahre waren. Mehr schrieb ich nicht. Ich wollte auch keine Antwort darauf. Ich wollte für tot gehalten werden, vielleicht würde mein Name dann endlich von der Liste gestrichen werden. Es vergingen zwei Monate ohne eine Rückmeldung von Bobby. Ich vergass die Nachricht. Doch es sollte ein Ereignis kommen, das mein Leben noch einmal ändern würde, das mich ändern würde.. und diesmal vollends! Ich weiss nicht, woher sie wussten, dass ich mich hier versteckt hielt. Ich weiss es wirklich nicht. Aber jemand musste mich verraten haben. Und Gnade dem, wenn ich ihn finde.. Natürlich fiel mir jetzt Bobbys Nachricht wieder ein.. Sie kamen mitten in der Nacht. Ich hatte kaum Zeit, mir etwas überzuziehen, als unten bereits die Tür eingetreten wurde. Unter fremde Stimmen mischten sich die Stimmen meiner Eltern, die wohl auch aus ihrem Bett geholt worden waren. Irgendwie war mir im Unterbewusstsein bereits klar, dass das überhaupt nicht gut war. Ich hörte Schreie und stürzte aus meinem Zimmer Ich erreichte die Treppe, stand noch oben und konnte das Szenario beobachten. Meine Eltern, die versuchten die Leute von S.H.I.E.L.D. aufzuhalten. Meine Mutter, sie sah zu mir hoch. Unsere Blicke trafen sich. Ich sah Tränen in ihren Augen, als sie mir heiser zurief: „Kitty Schatz lauf weg! Bring dich in Sicherheit!“ Mein Vater griff einen der Soldaten an, wahrscheinlich um von mir abzulenken. Ich brachte kein Wort über meine Lippen, weshalb meine Mutter mit eindringlich hinzufügte: „Wir kommen schon klar, Liebes!“ Der Boss der Truppe erblickte mich. Er hatte braune Haare, eine schlanke, sportliche Figur und er wirkte im Verhältnis zu den anderen jung. Er war definitiv nicht viel älter als ich es war. Unsere Blicke trafen sich ebenfalls. Braune Augen gegen.. er hatte merkwürdige Augen, das eine davon war braun, während das andere bläulich schimmerte. Auf jeden Fall nicht normal. Er hatte einen kalten Blick. Wie in Zeitlupe sah ich, wie er nach einer Waffe griff. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. Meine Augen weiteten sich. Er streckte die Hand, welche nicht die Waffe hielt aus und die Erde bebte. Meine Eltern strauchelten, hielten sich irritiert aneinander fest. Ein Mutant.. Einer von denen, denen man den Mikrochip ins Hirn gejagt hatte, soviel war sicher. Ich konnte mich nicht bewegen. Ein Schuss. Ich zuckte zusammen. Blieb jedoch sonst immer noch unbewegt. Mein Vater brach zusammen. Meine Mutter kreischte auf. Sie kniete sich zu meinem Vater nieder. Ein zweiter Schuss. Der Schall kam nur gedämpft an meine Ohren. Es wirkte, als ob ich von weitem einen Traum beobachtete. Wie in Trance sah ich, wie der Körper meiner Mutter ebenfalls zu Boden ging. Ich war wie vom Donner gerührt und wieder spürte ich den Blick des Braunhaarigen S.H.I.E.L.D. Soldaten auf mir, als würde er darauf warten, dass ich zu weinen begann und ebenfalls schrie. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie die anderen Soldaten langsam von allen Richtungen auf mich zukamen. Ich sah die toten Körper meiner Eltern. Das Blut und ich spürte, wie die Wut langsam in mir hochstieg. Nein.. den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich würde nicht weinen! Und wirklich, ich weinte nicht. Früher habe ich mich immer gefragt, wie es sich anfühlte, wenn man einen Menschen tötete, ob ich überhaupt einen Menschen töten könnte.. Ich dachte mir damals, dass ich es nicht kann, dass ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle mich plagen würden, dass es sich schrecklich anfühlen würde und ich nicht einmal den Mut dazu hätte. Seit dieser Nacht weiss ich, dass ich es kann! Und wenn ich ehrlich bin, dann muss ich eingestehen, dass ich das Gefühl mochte. Es war befreiend. Es ging automatisch, als hätte ich niemals etwas anderes getan. Ich brachte sie alle um, die Mörder meiner Eltern. Ich riss ihnen die Eingeweide, ihre Gedärme, mit blossen Händen aus dem Leib. Allen.. Bis auf den Braunhaarigen mit den merkwürdigen Augen. Er war wie vom Erdboden verschwunden. Der, der den Abzug betätigt hatte, er war mir entwischt, während ich blindlings getötet hatte. Ich stand keuchend in dem Raum, der noch vor kurzem unser Wohnzimmer gewesen war. Jetzt sah es aus, wie auf einem Schlachtfeld, nach dem Ende der Schlacht. Überall lagen tote Körper, Gedärme. Blut war über Wände und Boden verspritzt. An meinen Händen klebte Blut. Ich stand vor den toten Körpern meiner Eltern und blieb stumm. Noch immer weinte ich nicht. Es ging nicht. Es würde nicht mehr alles gut werden. Es konnte nicht mehr alles gut werden! Tote wurden auch durch einen Frieden nicht mehr lebendig. Ich hielt meine Hände vor mich und starrte darauf. Sah im Hintergrund die leblosen Körper meiner Eltern. Und jetzt erst kamen die Emotionen hoch. Meine Augen wurden feucht, füllten sich mit Tränen und ich weinte. Es sollten meine letzten Tränen sein... Ich kann nicht mehr weinen. Ich werde nicht mehr weinen. Nie wieder! Denn es ist nichts mehr da, wofür sich weinen gelohnt hätte. Und ich sank langsam auf meine Knie und legte meinen Kopf auf die Brust meiner Mutter, nur um ihren Herzschlag zu hören. Aber ausser meinem Schluchzen war es totenstill. Und ich schwor mir, dass sie alle büssen würden. Alle! Egal was Xavier mir gesagt hatte. Er dachte falsch, genau wie meine Eltern falsch gedacht hatten. Alle, die Xaviers Philosophie, seinem Traum von Frieden und einer Welt, in der Mensch und Mutant friedlich zusammenleben konnten, Glauben schenkte, der würde früher oder später sterben. Die Guten sterben immer.. Alle würden sie büssen. Der Mörder meiner Eltern, diejenigen, die den Auftrag dafür gegeben hatten, die, die für all das verantwortlich waren und einer ganz besonders: Derjenige, der mich verraten hatte. Ich würde ihn finden und wenn ich dafür mein Leben liess, denn Rache war das einzige, wofür es sich noch zu leben lohnte. Sie alle würden leiden, dafür, was sie Mutanten antaten, dafür was sie meinen Eltern angetan hatte und dafür, was sie mir angetan hatten. Alle, bis keiner mehr übrig war! Alle..! Ich bin Kathrine Ann Pryde. Meine Eltern nannten mich liebevoll Kitty und ich habe den Spitznamen – so dämlich er vielleicht auch sein mag – weiter verwendet. Deshalb kennen die meisten nicht einmal meinen wirklichen Vornamen. Doch was war schon ein Name in Zeiten wie diesen? Kitty Pryde ist nichts als Schall und Rauch, ich aber bleibe lieber in den Schatten.. Ich bin Shadowcat. Gesucht wegen Mord an meinen eigenen Eltern – wie es mir doch so schön angedichtet wird. Wegen Mord an 14 weiteren Soldaten von S.H.I.E.L.D.. Hinzu kommt, dass mir Kontakte zur Brotherhood angedichtet werden. Der Brotherhood, der einzigen Organisation, die den Osten terrorisierte und ihn so an den Krieg erinnerte. Die Brotherhood im Osten, die Rebellen im Westen. Ausserdem natürlich, weil ich auf der Flucht vor der Staatsgewalt bin und ich bin mir sicher, dass dazu noch einiges kommen wird. Ob angedichtet, oder wirklich getan. Aber es ist mir egal! In Zeitungen und im Fernsehen sagen sie, ich sei auf der Flucht. Flucht vor dem Gesetzt.. welches Gesetz frage ich mich da. Aber ich bin sowieso nicht auf der Flucht. Ich laufe nicht mehr weg, ich verstecke mich nicht mehr. Das habe ich schon viel zu lange getan. Nein, ich fliehe nicht, ich jage! Jage die, die meine Familie, mein Leben zerstört haben. Ich bin auf der Jagd und ich weiss auch, wo ich damit anfange...- Ich nahm die einzige Spur auf, die mir blieb. Auch wenn ich es ihm am wenigstens zutrauen würde, ein Kopfgeldjäger zu sein. Und wenn es eine Falle ist.. es ist mir egal, es ist meine einzige Spur. Nachricht vom 8. Juli, 0.11 an Bobby: Hey.. bist du noch in NY? Können wir reden.. mir geht’s grad nicht so gut.. Nachricht vom 8. Juli, 8.13 an Kitty: Klar.. habe schon in den Zeitungen von gelesen Mein herzliches Beileid.. Ort? Zeit? Nachricht vom 8. Juli, 8.15 an Bobby: Ich weiss.. hübsche Fotos, nech? Hör auf damit.. das machts nicht leichter. NY City, weißt du noch, wo das ‚Bleecker’s‘ ist? Treffen uns in der Seitenstrasse daneben, in ner Woche um ein Uhr abends.. Erzähl keinem davon!!! Nachricht vom 8. Juli, 8.18 an Kitty: Klar.. wie könnte ich das vergessen .D werd ich nicht, bis dann.. pass auf dich auf Nachricht vom 8. Juli, 8.19 an Bobby: Keine Sorge.. mach ich! .Chapter One: Goodbye Xavier – End. Kapitel 1: Back To The Roots ---------------------------- Back To The Roots Meine Eltern gaben mir den Namen Katherine Anne Pryde. Katherine bedeutet soviel wie rein, unverfälscht, wie es mein Herz war, Anne bedeutet soviel wie Gnade, Liebreiz, wie sie mir eigen war. Mein Vater nannte mich liebevoll Kitty, was sich zu einem richtigen Spitznamen entwickelte, der auch des öfteren – und sehr zu meinem Leid – abgeändert wurde. Doch jetzt trifft keiner dieser Namen mehr zu. Ich habe nicht das Gefühl, die gleiche Person zu sein.. Meine Eltern waren seit einer Woche tot und ich hatte beide Namen gegen Shadowcat eingetauscht. Ich vermisse meine Namen, genau wie ich meine Eltern vermisse, auch wenn ich wohl momentan eher emotionslos rüberkomme. Denn wirkliche Trauer spüre ich nicht mehr, als ich den ersten Fuss aus meinem Zuhause gesetzt hatte, hatte ich die Trauer verdrängt. Ihren Platz hatten Hass und Rachegelüste eingenommen und es war mir gleich. Im Grunde genommen war es mir sogar ganz Recht, ich scherte mich nicht mehr um andere sondern nur noch um mein eigenes Wohl. Langsam setzte ich einen Fuss vor den anderen und schob mich durch die Menschenmassen, die sich durch Manhatten quälten. Quälen ist das perfekte Wort dafür! Ich hasse diese Mengen, ich hasse diese Strassen, die Hochhäuser, die Parks.. ich hasse ganz New York und ich habe es immer gehasst. Eine Stadt, die aus dem Erdboden gestampft worden war. In der keiner sich mehr um den anderen scherte und alle im Dauerstress waren. Es war niemals meine Stadt gewesen, aber jetzt erst recht nicht mehr, denn es war voller Erinnerungen, die ich eigentlich ebenfalls verdrängt hatte. Und eigentlich hätte das auch so bleiben sollen, denn ich hatte nicht vorgehabt, jemals wieder hierher zurückzukommen. Und das schlimmste an dieser Stadt ist, dass der Krieg praktisch einfach totgeschwiegen wurde. Die Leute gingen hier ganz normal ihren Geschäften nach, als würden sie nichts von den Kämpfen, die im Westen tobten wissen. Nur einzelne Fahndungsplakate für Mutanten erinnerten ein wenig daran, dass da ja noch etwas ganz lästiges war... Tja.. NY ich bin zurück, aber ich gebraucht hab ich für den Weg von Deerfield bis hierher eine ganze Woche. Hatte ich geahnt.. weshalb ich mit Bobby auch erst heute verabredet war. Ich war müde, erschöpft. Sie Reise war anstrengend gewesen, ausserdem hatte ich kaum gewagt ein Auge zuzutun. Ich konnte mir niemals sicher sein, ob ich dann in den Händen meiner Verfolger wieder aufwachen würde – oder, und das war noch erschreckender, gar nicht mehr aufwachen würde. Ich habe in dieser einen Woche Dinge getan, die ich mich noch vor kurzer Zeit niemals getraut hat.. Man gewöhnt sich daran. Nachdem ich meine letzten Tränen vergossen hatte, hatte ich meinen Verstand wieder eingeschaltet. Mir war klar, dass sicherlich bereits Verstärkung unterwegs war und ich, wenn die Leute ankamen, dann besser nicht mehr hier sein sollte. Ich handelte instinktiv und das richtig. Während ich Bobby meine erste Nachricht sandte – Es war mitten in der Nacht und ich erwartete sowieso nicht, dass er gleich antworten würde – beeilte ich mich, einige Kleider, Geld und was ich sonst vielleicht noch gebrauchen konnte in eine Tasche zu packen. Gross genug, dass alles Platz hatte, aber trotzdem handlich und ich dachte praktisch. Also: Nur das nötigste. Ich habe nie zu den Leuten gehört, die eine grosse Auswahl an Klamotten brauchen. Klar, ich mag Kleider, aber man kann auch mal eine Zeit lang mit etwas weniger auskommen. Ich zog mir meine schwarze Jacke mit den Rosa Streifen zu beiden Seiten über, und die besten Turnschuhe, die ich finden konnte. Es war inzwischen Sommer geworden, kalt würde mir also sicherlich nicht werden, weshalb Jeans und T-Shirt darunter vollkommen ausreichen würden. Langsam schritt ich ins Badezimmer und vors Waschbecken. Ich wusch mir das Blut von den Händen, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen. Ich hatte Angst. Angst vor dem Gesicht einer Mörderin. Schliesslich trocknete ich mir meine Hände ab und prüfte, ob noch irgendwo Blut zu finden war. Nichts. Langsam hob ich den Kopf und wagte einen Blick in den Spiegel – nur um zu sehen, ob in meinem Gesicht Blutspritzer zu finden waren. Aus dem Spiegel blickten mir helle, klare blaue Augen entgegen. Sie waren jedoch eher trüb, mir war auch nicht nach Lächeln. Meine Haare hingen nun weit über den Rücken, früher waren sie nur bis zu den Schultern gegangen. Die Fransen hatte ich schon immer länger gehalten. Ich sah mich an. Kein Blut war auf der hellen Haut zu sehen, kein Anzeichen dafür, dass ich eine Mörderin war. Langsam, und ohne den Blick abzuwenden fuhr ich mit meiner Hand in eine der Schubladen und tastete mich vor. Schliesslich hatte ich das gefunden, was ich wollte. Eine Schere. Ich sah mich ein letztes Mal an und seufzte tonlos. Die Haare hinten konnte ich so lange lassen, niemand wusste, dass ich sie nun länger trug, sie würden alle nach einem Mädchen mit schulterlangem Haar suchen. Aber vorne.. Ich begann langsam zu schneiden und möglichst so, dass es nicht aussah, als hätte ich meine nicht existierende kleine Schwester daran herumwerkeln lassen. Ich schnitt mir die Fransen kürzer. Ähnlich wie einen Pony, nur, dass man ihn auch seitlich abfallen lassen konnte. Ich hielt eine Frisur, die ich auch kurzfristig ein wenige ändern konnte für angemessen. Als ich mein Werk beendet hatte, sah ich mich noch einmal an. Besser. Anders, aber auf jeden Fall besser, ich fühlte mich nicht mehr so wie eine Verbrecherin. Was eine kleine Veränderung des Aussehens doch bewirken konnte. Ich wusste, dass die Zeit langsam knapp wurde. Ich beseitigte alle Spuren, die darauf hinweisen konnten, dass ich meine Frisur geändert hatte, schnappte meine Tasche und rannte schliesslich einfach los. Nicht der Strasse entlang, dann würden sie leichtes Spiel haben. Nein, Querfeldein. In die Dunkelheit, es war mir egal. Ich habe keine Angst vor den Schatten, bin ich doch selbst nur ein Schatten meiner selbst. Ich wählte die Richtung, in der ich NY vermutete. Ich sah nicht mehr zurück, ich versuchte nicht mehr daran zu denken, ich rannte einfach. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie lange ich gerannt bin. Aber lange war es auf jeden Fall. Der Morgen hatte gegraut, es war hell geworden und dann noch heller.. und dann noch heller. Es war lange.. soviel ist sicher. So lange, bis ich nicht mehr konnte. Keuchend erreichte ich eine Stadt. Irgendein unwichtiger Name, den ich mir sowieso nicht merken konnte, aber ich beschloss, dass ich nun genug Abstand zwischen mich und Deerfield gebracht hatte, sodass ich ohne Probleme den Zug nehmen konnte. Vielleicht war mein Gesicht ja noch nicht überall in den Zeitungen und man erkannte mich noch nicht. Ich wusste natürlich, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis ich überall bekannt sein würde. Aber nicht zum guten. Und Zugefahren erschien mir als der einfachste und schnellste Weg. Denn mit dem Auto unterwegs war ich nicht wirklich gut – mangelnde Übung ich war in den zwei Jahren kaum vor die Tür gekommen, geschweige dann dazu, Autofahren zu üben. Ich konnte es, ja, aber man konnte von Glück sagen, dass ich phasen konnte, sonst ging wohl der Wagen schon nach den ersten Metern kaputt. Ausserdem würde das wohl auffallen, denn dazu müsste ich ein Auto klauen, nach dessen Kennzeichen sie dann natürlich sogleich Ausschau halten würden. Also nahm ich den Zug. Ich besetzte ein Abteil und benahm mich erstmals richtig egoistisch. Ich machte mich so breit, dass es niemandem einfiel, sich in meiner Nähe niederzulassen. Ausserdem zog ich die Kapuze ins Gesicht, damit niemand erkennen konnte, wer ich war. Dann gönnte ich mir erstmals einige Stunden Schlaf. Das hatte ich dringend gebraucht. Und während ich schlief, brachte mich der Zug schon sehr viel näher an NY als ich mir erhofft hatte. Ich wachte auf wohl eher zufällig auf, in dem Fall war es aber zugleich auch echtes Glück... Mir fiel auf, dass der Wagen schon eine ganze Zeitlang angehalten hatte, obwohl wir nicht einmal in der Nähe eines Bahnhofs standen. Inzwischen muss es wieder Morgen geworden sein, denn der Tag brach eben an. Ich sah zu einer älteren Frau, die nun mir gegenüber sass und strickte, sie schien mich nicht erkannt zu haben, obwohl mir während des Schlafs die Kapuze aus dem Gesicht gerutscht war. Ich zwang mich dazu, ihr freundlich zuzulächeln. Dann gähnte ich herzhaft und streckte verschlafen meine müden Glieder, ehe ich schliesslich vorsichtig einen Blick aus dem Fenster warf. Nur knapp konnte ich erkennen, wie sich gerade einige Soldaten von S.H.I.E.L.D. in den ersten Waggon drängten. Draussen warteten noch mehr. Natürlich war ich sogleich alarmiert und hellwach. Die konnten doch eigentlich nur wegen mir hier sein. Die Frau schien auf Small Talk auszusein, denn sie meinte mit einem gütigen Lächeln: „Guten Morgen! Ich hoffe Sie haben nichts dagegen, dass ich mich in Ihr Abteil gesetzt habe.“ Ich schüttelte nur kurz angehalten den Kopf, ohne zu ihr zu sehen. Immer noch beobachtete ich das Treiben draussen. Mir blieb nicht viel Zeit, doch die alte Dame schien das nicht zu merken: „Und wohin sind Sie unterwegs?“ Fragte sie. „Nach Philadelphia.“ Log ich rasch und erhob mich, um meine Tasche aus dem Fach über meinem Sitzt zu hieven. „Ah.. Philadelphia.. eine wunderschöne Stadt..“ Sie merkte, dass ich nicht auf sie einging und schien das für ein Zeichen zu halten, dass sie lediglich das Thema zu wechseln brauchte. „Haben Sie vielleicht eine Ahnung, weshalb wir hier halt machen?“ Sie strickte während sie sprach in einer atemberaubenden Schnelligkeit, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht hätte. Aber wahrscheinlich stimmte das sogar irgendwie. „Nein.“ Meinte ich trocken und warf mir meine Tasche über die Schultern. „Sie entschuldigen mich.. ich gehe mal schnell auf die Toilette. Frisch machen..“ Erklärte ich. Sie lächelte nur und nickte mir zu. Ich schob die Tür des Abteils auf und spähte in den Gang hinaus. Hoffentlich fiel das der alten Frau nicht auf. Die Soldaten schienen es noch nicht bis zu diesem Waggon geschafft zu haben. Mein Glück. „Bis Später.“ Hörte ich hinter mir. „Auf Widersehen.“ Murmelte ich, mir war weder nach lächeln, noch nach zurückblicken zu Mute. Ich musste so schnell wie möglich hier raus, wenn ich unbemerkt bleiben wollte. Langsam liess ich die Tür hinter mir zugehen und warf dann einen Blick aus dem Fenster. Es hatte einen Wald, unweit von hier. Irgendwie musste ich es bis dort schaffen, ohne das mich die Truppe von draussen bemerkte. Ich dachte nach. Hörte, dass das Getrampel und die Schritte näher kamen. Mein Blick wanderte in diese Richtung und mein Herz schlug wie wild. Wie weit war das.. vielleicht 20 Meter..? Ich musste es riskieren. Ich hielt die Luft an und liess mich hinuntersinken, bis unter den Zug und dann weiter, sodass ich ganz im Boden versunken war. Ich hatte mir gemerkt, in welcher Richtung das Wäldchen lag und rannte nun blind durch die Materie, die grösstenteils aus Erde bestand. Ich wusste nicht, wann ich wieder auftauchen musste. Ich wusste nicht, wie weit ich bereits gerannt war. Aber ich würde so lange rennen, bis mir die Luft ausging und ich auftauchen musste, um nicht zu ersticken. Mir blieb also nur zu hoffen, dass ich es bis dann in das kleine Wäldchen geschafft hatte. Langsam spürte ich, wie das Verlangen, nach Luft zu schnappen grösser wurde. Noch tauchte ich nicht auf, sondern rannte weiter. Es wurde noch grösser, ich rannte weiter. Und noch einmal. Ich spürte, wie meine Sinne zu schwinden begannen und tauchte schlussendlich auf. Nach Luft schnappend blieb ich erstmals am Boden kauernd. Tief durchatmen. Ich hörte weder Schreie, dass man mich gefunden hätte, noch irgendwelche Geräusche, die darauf schliessen liessen, dass man mich entdeckt hatte. Endlich wagte ich es, meine Augenlieder langsam aufzuschieben. Ich war in dem Wälchen, sogar mindestens zehn Meter. Ich atmete erneut aus und liess mich gegen den Baumstamm sinken, der hinter mir war. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Aber den Zug konnte ich nicht mehr nutzen. Wahrscheinlich war das nur eine Einheit von vielen, die nach mir suchte und man würde die Passagiere informieren und.. die ältere Frau würde sich sicherlich an mich erinnern. Verdammt! Sie wussten, dass ich den Zug, der Richtung NY fuhr genommen hatte. Sie wussten jetzt, dass ich nach New York wollte. Sie konnten also bereits Vorbereitungen treffen, um mir einen gebührenden Empfang zu bereiten, sollte ich es überhaupt bis dorthin schaffen. Noch ein Problem kam mir in den Sinn, als ich so darüber nachdachte. Sie würden wissen, dass ich noch hier in der Gegend war. Immerhin würde die alte Frau wohl auch darüber plaudern, dass ich auf die Toilette verschwunden war. Ich biss mir auf die Lippen und erhob mich dann langsam. Eigentlich wollte mein Körper schon wieder Schlaf, aber ich gewährte ihn ihm nicht, sondern ging erst einmal tiefer in den Wald hinein, auf der Suche nach einer Landstrasse. Einem Highway.. Ich konnte von Glück sagen, dass ich mir brauchbare Kleider angezogen hatte, denn das Gestrüpp und die Dornenbüsche des Wäldchens hätten mir sonst wohl arg zugesetzt. So ging es noch recht gut und derzeit war ich mir auch sicher, dass meine Verfolger erst einmal den Zug auf den Kopf stellen würden, bevor sie daran dachten, dass ich vielleicht schon längst das weite gesucht hatte. Wahrscheinlich unterschätzten sie mich, wie jeder andere. Nach einem unendlich lang erscheinenden Fussmarsch kam ich zu einer Strasse, die mitten durch den Wald hindurchging. Ich jubelte innerlich, immerhin etwas Zivilisation und vielleicht – wenn ich Glück hatte – würde auch bald ein Wagen vorbeikommen, der mich dann vielleicht mitkam. Ich besah mir die beiden Richtungen in die die Strasse verlief und entschloss mich dann, nach rechts zu gehen. Hoffentlich lag New York ungefähr in der Richtung. Meine Orientierung hatte ich sowieso schon lange verloren, also ging ich nach Gefühl. Ich war eine Zeit lange der Strasse entlang gelaufen, als ich plötzlich Motorengeräusche hinter mir hören konnte. Ich drehte mich um und jubelte innerlich schon wieder. Als ich den Truk erblickte, der sich mir näherte. Ich zögerte nicht lange – merkwürdig, wirklich! – und streckte meine Hand mit dem Daumen nach oben aus. Früher hätte ich mich das niemals getraut, aber jetzt konnte ich es ohne Probleme. Ich hatte immer Angst davor gehabt, meine Eltern hatten mir auch immer eingeschärft, dass ich das nicht tun dürfte. Meine Eltern waren nicht mehr da und Angst hatte ich auch nicht. Ich hatte ja meine Kräfte, mir konnte nichts passieren, sie schützten mich. Mich konnte niemand anrühren. Irgendwie war es doch so ziemlich das einzige, was mir von meinem Leben wirklich geblieben war. Mein Charakter und sogar mein äusseres hatten sich verändert. Doch, dass meine Eltern recht gehabt hatten, wenn sie gesagt hatten, dass Trampen gefährlich sei, das sollte mir bald bewiesen werden. Der Truk hielt nun direkt vor meinen Füssen und die Tür schwang auch schon einladend auf. Perfekt, jemand der nett zu sein schien. Trotzdem zögerte ich. Der Fahrer grinste mich breit an und meinte: „Na, wo solls denn hin?“ Er hatte längeres Haar, fettig war es und zeugte davon, dass er sicherlich schon mehrere Tage ohne Dusche unterwegs war. Er hatte es sich unordentlich hinter die Ohren gestrichen. Keine wirklich schöne Erscheinung. „Ne York.“ Gab ich kühl und trocken zur Antwort. Ich hatte NY wirklich noch niemals gemocht und trotzdem war es irgendwie der Ort, wo alles begannen hatte und jetzt musste ich wieder dorthin... Immer noch blieb ich im freien stehen und musterte den Fahrer noch einmal eingehend. Vielleicht war er netter, als er aussah.. „Trifft sich gut, ich muss in dieselbe Richtung.“ Meinte er und lehnte sich zurück. Ich merkte ganz klar, wie er mich musterte. Und das Gefühl war nicht wirklich gut. Ich hasse es, wenn man mich einfach so anstarrt, vor allem, so offensichtlich. Und zwar so, als würde er einem in Gedanken ausziehen. Ein Wunder war beinahe noch, dass er nicht gleich zu sabbern begann. Innerlich rollte ich mit den Augen und noch immer zögerte ich. „Na los, spring rein.“ Forderte er mich auf und versuchte seine Genervtheit darüber, dass ich so lange brauchte, zu verbergen. „Ich beisse nicht und der Sitz ist gemütlich.“ Ich verengte die Augen als er grinsend hinzufügte: „Wir werden es sicherlich gemütlich haben.“ Schon wieder jemand, der mich unterschätzte. Meine Hände verkrampften sich automatisch zu Fäusten. Er hatte zwar nicht direkt gesagt, was gemütlich haben heissen sollte, aber ich konnte es mir denken und ehrlich gesagt, war ich empört darüber, dass er es mir ohne Scham ins Gesicht sagte. Denn ich mochte noch so tief gesunken sein, noch so am Boden sein und nur noch als Schatten meiner selbst durch die Gegend wandern. Ich hatte immer noch meinen Stolz! Und der verbot es mir, auch nur auf solche Angebote einzugehen, auch wenn ich deswegen zu Fuss nach New York laufen müsste. Ich stockte kurz, als ich meinen Namen hörte. Meine Augen wanderten nervös zu dem Radio, gerade wurde über mich berichtet. Dann sah ich wieder zu dem Fahrer, der nun ungeduldig mit den Fingern auf dem Steuer herumtrommelte. Meine Lippen verzogen sich automatisch zu einem eiskalten Grinsen. „Ich rate Ihnen an, nicht immer mit Ihrem Schwanz zu denken. Denn, und das schwöre ich, was auch immer Sie sich gerade vorstellen, es würde Ihnen mehr Schmerzen bereiten als mir.“ Mir war egal, dass ich gerade eine offene Drohung ausstiess und auch, dass ich das eigentlich noch nie wirklich getan hatte. Es klang ziemlich echt, sogar meine Stimme war schneidend und bedrohlich geworden. Jetzt lächelte ich zuckersüss und nickte in Richtung Autoradio: „Heute schon die Nachrichten gehört?!“ Der Fahrer sah mich irritiert an, er schien nicht damit gerechnet zu haben, das ich, ein zierliches, doch eher jung wirkendes Mädchen, mich wirklich wehren würde. Er hatte wohl eher geglaubt, dass ich entweder mitkommen würde, oder aber einfach weglaufen würde. Jetzt drehte er seinen Kopf zu dem Autoradio. Gerade fiel wieder mein Name. Es wurde erzählt, in welcher Gegend man mich das letzte Mal gesehen hatte. Nämlich in der Gegend, in der wir uns gerade befanden. Der Fahrer sah wieder zu mir, seine Augen waren geweitet, er schien zu verstehen – ich genoss den Anblick, wenn ich ehrlich bin und mein Grinsen wurde dadurch nur noch breiter, als es schon gewesen war. „So, und wenn Sie sich das nächste mal einen runterholen, nur weil Sie wieder keine abgekriegt haben, dann denken Sie daran, Sie und Ihr Schwanz leben nur noch, weil mir grade nicht danach war, Ihrem erbärmlichen Leben ein Ende zu setzen.“ Die letzten Worte waren nur noch gezischt. Erstaunlich, wie leicht diese Worte über meine Lippen kamen. Früher wäre ich vor Scham wohl im Boden versunken. Ich wäre überhaupt zu schüchtern gewesen und auch zu ängstlich. Inzwischen war Angst ein unbekanntes Gefühl für mich. Vor dem tot? Lachhaft! Es konnte nicht schlimmer kommen, als es jetzt war. Der Fahrer des Trucks realisierte langsam, wen er da vor sich stehen hatte und ich sah, wie seine Hände zitterten. Früher hatte man mich nicht respektiert, oftmals übergangen oder einfach nicht beachtet. Jetzt brachte man mir erstmals Respekt entgegen.. oder es war wohl einfach nur Furcht. Aber besser als gar nichts war es allemal. Man musste ja auch mal das ‚positive‘ an der Sache sehen. Aber zu sehen, wie das Grinsen langsam auf dem Gesicht des Fahrers erstarrte, dass war wirklich Genugtuung. Er sah mich nicht mehr an, schlug so schnell er konnte und wortlos die Türe zu. „Ganz ohne ein Abschiedsgeschenk?“ Feixte ich, jetzt ganz klar in der dominierenden Position, als der Motor gestartet wurde und der Truck losrollte. „Das ist aber nicht die feine Art!“ Brüllte ich, so laut es ging, in der Hoffnung, dass er mich dann noch hören würde. Aber so einfach würde er mir nicht davon kommen.. lässig streckte ich meine Hand aus und phaste sie durch das vorbeifahrende Gefährt und somit auch durch das Getriebe. Jeder Stromkreis wurde – wenn ich hindurch ging – zerstört. Der Truck hielt also gezwungenermassen wieder. Es rauchte leicht. Ich sah zum Fahrerhäuschen. Er schien sich nicht einmal mehr zu trauen, den Kopf hinaus zu strecken. Wahrscheinlich kauerte er dort irgendwo und versuchte so zu tun, als ob er nicht da wäre. Erbärmlich. Ich grinste zufrieden, schob die Hände in die Jackentaschen und ging dann hoch erhobenen Auges am Fahrerhäuschen vorbei. Er sass da und versuchte so zu tun, als würde er mich nicht sehen. Ich zwinkerte ihm verächtlich zu und tippte mir dabei mit zwei Fingern an die Stirn. Er würde jetzt sicherlich gleich die Bullen alarmieren, welche dann meine Spur wieder verfolgen konnten, aber es hatte sich gelohnt. Wahrscheinlich hatte ich ihm den Schock seines Lebens verpasst. Ich beschleunigte meine Schritte, während ich mir meine Haare zu zwei Schwänzchen zusammenband. Ich musste mich jetzt erneut auf mein Glück verlassen und hoffen, dass überhaupt noch ein Wagen hier vorbeikam. Und kindlich auszusehen – was ich mit der Frisur zweifelsohne tat – konnte mir dabei ziemlich helfen. Vielleicht liess sich jemand erweichen. Und zwar jemand, der dabei nicht nur an Sex und dergleichen dachte. Und mit dieser Frisur würden mich die Leute höchstens auf 14 schätzen. Ich beeilte mich um die nächste Kurve zu kommen, um so aus der Sicht des Trucks – der wohl angemerkt immer noch da stand und den der Fahrer auch noch immer nicht verlassen hatte – zu kommen. Erst dann verlangsamte ich mein Schrittempo wieder so, dass es ein angenehmes Gehen war. Ich war mir schliesslich nicht sicher, ob das die richtige Richtung war, weshalb rennen überhaupt nichts geholfen hätte. Meine Füsse taten mir langsam weh, darum sah ich mich nun umso fieberhafter nach einem Wagen um. Nach einiger Zeit hörte ich tatsächlich erneut einen Wagen hinter mir. Ich fasste ihn ins Auge und trat dann langsam auf den Highway. Mir konnte ja eigentlich nichts passieren, ich hatte ja meine Kräfte. Ich stand also mitten im Weg und sah den Wagen auf mich zurollen. Natürlich nicht ohne flaues Gefühl im Magen, aber ich vertraute darauf, dass meine Kräfte notfalls funktionieren würden. Dabei gab ich mir ausserdem noch Mühe, möglichst erbärmlich auszusehen. Die Frau hinter dem Steuer reagierte eher langsam, dafür aber mit einer Vollbremsung. Nur wenige Zentimeter verblieben zwischen mir und ihrem Gefährt. Ich hatte nicht einmal geblinzelt. Das war Perfekt. Die Frau war vielleicht Mitte zwanzig und sah eigentlich recht freundlich aus. Gerade war sie jedoch entsetzt, da sie beinahe ein Mädchen überfahren hatte. Das einzige, was nun noch problematisch werden könnte, war meine ungewollte Berühmtheit. Wenn sie mich erkannte konnte ich Mitfahren gleich vergessen. Sie stieg schnell aus und rang sichtlich geschockt mit ihrer Fassung. Dann fragte sie, welcher Teufel mich denn geritten hätte, dass ich mich hier einfach so auf die Strasse stellte. Es klang anfangs vorwurfsvoll aber schon im nächsten Satz konnte man eine Entschuldigung deutlich heraushören. „Ich muss nach New York.“ Erklärte ich tonlos und ohne ihre eigentlichen Fragen zu beantworten. „Ganz alleine? Was ist passiert? Wo sind deine Eltern?“ Ich sah sie bei diesen Fragen, mit denen sie mich überschwemmte einfach nur hilflos an. Und es schien wirklich zu klappen. Sie fragte nach meinen Eltern. Sie hielt mich also garantiert für jünger, als ich eigentlich war. Hätte sie mich für 17 gehalten hätte sie nicht mehr nach den Eltern gefragt, sondern lediglich, was ich hier draussen machte. „Ich muss nach New York. Unbedingt und so schnell wie möglich.“ Meinte ich noch einmal, diesmal mit etwas Nachdruck. „Können Sie mich vielleicht mitnehmen.. auch wenns nur nStück wäre, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ Ich machte Hundeaugen. Hatte ich schon immer gut gekonnt. Sie sah mich an, schien zu überlegen und sah sich dann um. Niemand war zu entdecken. Ich war weit genug weg von dem Truck, als dass sie mich damit in Verbindung gebracht hätte. „Soll ich dich nicht besser zur nächsten Stadt bringen? New York ist noch über zwei Stunden von hier entfernt.“ Okey, jetzt wusste ich, wo ich ungefähr war und dass ich meinem Ziel langsam aber sicher und auf einigen Umwegen, näher gekommen war. Ich dachte kurz nach und hatte dann eine Ausrede parat: „Naja.. die Sache ist die. Wir waren auf nem Campingausflug hier in der Gegend und jetzt sollten wir eigentlich schon auf dem Weg zurück sein. Ich hab die Gruppe verloren.“ Sich seufzte absichtlich. Sie sah mich prüfend an und verstand dann jedoch. Ich fügte hinzu: „Und vielleicht könnte ich von ihrem Handy aus dann auch meine Eltern anrufen.. Meins hat nämlich leider keinen Akku mehr.“ Das müsste das ganze doch gleich noch glaubhafter erscheinen lassen. Ich war langsam echt gut im Lügen. Sie überlegte kurz und meinte dann: „In Ordnung.. und du hast übringens Glück, ich muss auch nach New York.“ Sie lächelte mir zu und hielt mir dann die Beifahrertüre auf. „Ich bin übrigens Mandy Griffin.“ Stellte sie sich vor, als ich ins Auto krabbelte. Sie wollte mir meine Tasche abnehmen um sie hinten zu verstauen, ich behielt sie jedoch auf meinem Schoss. Es war besser, immer schnell flüchten zu können. „Vielen Dank, Miss Griffin. Ich bin Ki..“ Ich stockte während meinen Worten. Ich hatte mich eben als Kitty Pryde vorstellen wollen. Ich täuschte einen Hustenanfall vor, um einen passenden Namen zu finden. Das dumme dabei ist doch, wenn man einen guten Namen braucht, fallen einem meist nur absolut dämliche ein. Mir auch. „Und wie heisst du?“ Hakte die junge Frau nach, als ich mich wieder ‚erholt‘ hatte. Während sie auf eine Antwort wartete, löste sie die Handbremse und startete den Motor des Wagens. So rollte das Gefährt langsam an und beschleunigte, bis es ein normales Fahrttempo erreicht hatte. „Sherryl.“ Meinte ich und hätte mich im nächsten Moment für diesen Namen schlagen können. Wer nannte sein Kind schon so? Wie ich darauf kam? Nun.. Früher hatte ich des öfteren Sherry eingeflösst bekommen, weshalb mein bester Freund – Ex Bester Freund würde es besser treffen – mir diesen Spitznamen verpasst hatte. Ich hatte das Gesöff natürlich nur gezwungenermassen eingenommen, aber von allem, was wir so getrunken hatten, hatte ich es irgendwie fast am meisten gemocht. Besser als ein normaler Weisswein war es nicht. Und ja, ich hatte mich eben nach einem Likörwein benannt, genau deswegen hätte ich mich schlagen können. Und ich nahm mir vor, besser aufzupassen, nicht dass ich mich noch versehentlich verplapperte. Sie schien nämlich noch keine Nachrichten gehört zu haben, geschweige denn Zeitung gelesen zu haben. Oder aber, ich hatte mein Aussehen so sehr verändert, dass es nicht dem Bild von mir glich, dass die letzten Tage um die ganze Welt gegangen war. „Ahso, ein hübscher Name.“ Bemerkte Mady mit einem Standardsatz, sie konnte meinen Namen ja nicht einfach so hässlich nennen, ich nickte nur leicht. Sie lächelte nur und trat dann noch etwas aufs Gas. Man merkte, dass sie zu den Fahrern gehörten, die lieber schnell am Ziel waren. Aber der Highway hatte nicht so schnell eine Kurve in Sicht und ausserdem war der Wagen, in dem wir sassen so ziemlich der einzige im Umkreis von 100 Metern. Ich bekam von Mandy ihr Handy gereicht und tippte die alte Nummer von unserem Haus in Deerfield ein. Dann schluckte ich, als der Anrufbeantworter ansprang. Ein Seitenblick zu Mandy. Es musste echt wirken.. Auch wenn es für mich eine Qual war. „Hey.. Mum.. Hier ist Ki.. Sherry.“ Ich lächelte gezwungenermassen. „Ja.. ich weiss.. ich bin von der.. Jah.. jah.. ich.. eine nette Frau hat mich mitgenommen. Ja.. ich weiss, das ich das nicht darf.. aber.. Ja.. jahjah mach du ruhig. Mir doch egal.“ Ich legte trotzig auf, obwohl ich ja mit gar niemandem gesprochen hatte. Mandy nahm ihr Handy wieder an sich und lächelte mir aufmunternd zu. Es hatte wohl doch ziemlich echt gewirkt. Ich verfiel in Schweigen und sie konzentrierte sich wieder auf das Fahren. Nach einer gewissen Zeit, in der nur Stille zwischen uns geherrscht hatte, da ich eigentlich, aus Angst mich zu verplappern, nicht reden wollte und sie nicht wusste, worüber sie hätte reden sollen, ergriff Mandy erneut die Initiative: „Wohnst du in nem Vorort von New York?“ Ich drehte den Kopf und nickte nur ein wenig. Ich dachte kurz nach und ereiferte mich dann: „Ja.. genau, sie können mich dann schon in Bayville rauslassen.“ Das war eine ganz gute Idee, auf die meine Fahrerin mich da gebracht hatte. In Bayville kannte ich mich aus und der Weg nach New York City war aus dieser Vorstadt auch nicht mehr sonderlich weit. Ausserdem konnte ich so meine Spuren verwischen, denn Mandy würde sicherlich bald etwas davon mitkriegen, wen sie da durch die Gegend befördert hatte. „Bayville.. in Ordnung. Da kommen wir sowieso durch.“ Sie lächelte erneut und setzte dann zur nächsten Frage an: „Wie alt bist du denn eigentlich?“ Ich zögerte. Ich konnte jetzt doch schlecht sagen: 17. Sie würde lachen und mir nicht glauben, soviel war sicher, aber sie würde darüber nachdenken und ich wollte eigentlich nicht, dass sie über meine Person nachdachte. „Wie alt schätzen Sie mich denn?“ Gab ich die Frage zurück. Sie lachte leise auf und sah mich dann aus den Augenwinkeln kurze Zeit an. Die Strasse war gerade, da konnte sie während dieser Zeit kaum falsch fahren. „Hm.. lass mal sehen.. Ich hoffe ich sage jetzt nichts falsches.“ Sie lachte erneut hell. Irgendwie war ich in dem Moment eifersüchtig auf ihr frohes Lachen. Sie konnte es noch, ich konnte es nicht mehr. Ausser ich erzwang es. Und gerade zwang ich mich, mit ihr zu lachen. Dann meinte sie entschieden: „14 Jahre vielleicht?“ Ich entschied mich dafür, dass es das beste war, ihr ein Erfolgserlebnis zu gönnen. „Richtig.“ Rief ich deswegen aus und lehnte mich dann zurück. Sie lachte erneut und meinte dann: „Puh.. Glück gehabt, was?“ Ich nickte matt und bevor sie noch weitere Fragen stellen konnte, die mich in eine eventuell bedrängende Situation hätten bringen können, gähnte ich herzhaft, in der Hoffnung, sie würde dieses Zeichen selbst deuten. Und wirklich, meine Menschenkenntnis enttäuschte mich nicht: „Oh.. bist du müde? Sag doch was.. du kannst auch gerne schlafen, ich weck dich dann, wenn wir in Bayville sind.“ Ich nickte matt und legte noch einen drauf, indem ich zur Antwort einfach nur gähnte. „Das heisst dann wohl ja.“ Mandy lachte erneut hell und fügte hinzu: „Ist der Sitz bequem, wenn nicht, kannst du auch nach hinten.“ „Nein, passt schon so. Danke.“ Ich stockte und sah sie an. Das hatte ich ganz vergessen.. „Ach und.. danke.. dass Sie mich mitfahren lassen.“ Meinte ich dann und es war wirklich ernst gemeint. Ich hatte verdammtes Glück gehabt, es hätte schliesslich noch einmal so einer wie der Fahrer des Trucks kommen können und dann wäre ich gar nicht vom Fleck gekommen. „Kein Ding, ich helfe gerne.“ Meinte sie und zuckte dabei mit den Schultern. Ich lächelte nur in mich hinein, während ich mich in meinen Sitz kuschelte. Wenn die gute nur wüsste.. wenn sie nur wüsste. Wahrscheinlich würde sie mir den Wagen dann gleich ganz überlassen. Aber sie war nett, ich wollte ihr das eigentlich nicht unbedingt antun. Und schon kurze Zeit später war ich weggedöst. Sicher in einem Auto, wo mich keiner meiner Verfolger finden würde. Vorerst zumindest. ~ Und nun war ich hier. In New York, in mitten von Menschenmassen, die sich nur langsam etwas verteilten, als es anfing, ein zu dunkeln. Und da ich ja schon immer hatte wissen wollen, wie lange man von Bayville aus in die Stadt brauchte, hatte ich mich dort von Mandy absetzen lassen. Die junge Frau war nicht dahinter gekommen wer ich wirklich da. Ich bedankte mich und beliess es dabei, sie würde es früh genug erfahren. Wenn ich ihr jetzt erzählte, dass ich Katherine Anne Pryde war. Die Katherine Anne Pyrde, dann würde sogar diese selbstbewusste Frau wohl in Panik verfallen. Inzwischen hatte ich es aber wie gesagt bis nach Manhatten geschafft. Es war dunkel geworden um mich und – oh Wunder – ich war knapp noch in meinem Zeitfenster. Ein Blick auf mein Handy verriet mir nämlich, dass genau heute der Tag war, an dem ich mich mit Bobby treffen wollte. Ich war zwar geschwächt, da ich kaum gegessen hatte – hatte ich auch kaum Gelegenheit dazu gehabt – und auch kaum geschlafen hatte. Aber trotzdem war es wie ein Sieg, dass ich es bereits bis hierher geschafft hatte, ohne, dass sie mich hatten stellen können. So leicht würde ich es ihnen nicht machen. Das konnten sie gleich vergessen. Die Zeit die mir bis zum Treffen noch blieb, verbrachte ich damit, mir die Schaufenster der Läden anzusehen. Natürlich hatte ich mir die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, damit nicht die Gefahr bestand, dass man mich eventuell doch erkannte. Und obwohl ich nicht der Typ war, der Stundenlang shoppen gehen konnte, ohne dass es ihm langweilig wurde. Ich genoss es, denn es fühlte sich für einen kurzen Moment so an, als wäre mein Leben wieder normal. Als wäre alles wieder in Ordnung, auch wenn es das niemals wieder sein würde. ~ Und hier beginnt meine Geschichte erst wirklich ~ Ich atmete die kühle Nachtluft ein. Inzwischen hatten sich die Strassen soweit geleert, dass nur noch vereinzelt Leute unterwegs waren. Die Geschäftsleute hatten sich in ihre Wohnungen zurückgezogen. Ab und an hörte man, wie eine Gruppe Betrunkener sich von einer Bar in die nächste bewegte, und das natürlich lautstark. Vorsichtig setzte ich einen Fuss vor den anderen. Mein Herz schlug automatisch schneller, denn ich näherte mich dem Bleeker’s. Ich bog um die Ecke und blieb erst einmal stehen, vor mir sah ich ein kleines Lokal. Es war eines von denen mit grossen Schaufenstern, die Hälfte der Fenster wurde jedoch von kleinen Vorhängen aus Spitze verdeckt. Dahinter etwas geschützt waren die Tische. Die meisten Tische waren in eine Bank eingelassen, die sich der gesamten Wand entlang zog. Es gab aber auch noch ein, zwei, die frei im Raum standen. Hinter den Tischen war eine lange Theke, die sich fast durch den gesamten Raum zog. Dort hatte es diverse Hocker und dahinter stand die Bedienung. Das ganze war in hellgrünen, mintfarbenen Tönen gehalten. Genauso sah auch die Arbeitskleidung aus. Es war ein Einfaches zusammenhängendes Kleid mit kurzem Rock, dass sich zuknöpfen liess. Und es war mintgrün und weiss. So war es früher auch immer gewesen.. Über dem kleinen Lokal prangerte gross die Aufschrift: Bleeker’s. Jetzt, wo es schon nach zwölf Uhr war, war die aufschrift hell erleuchtet. Genauso wie das Café/Lokal – es war eine Mischung aus allem, denn man erhielt zu jeder Tageszeit etwas. Das Bleeker’s hatte durchgehend geöffnet. Morgens gab es Eier mit Speck, Pfannkuchen und anderes. Und den Restlichen Tag eben ganz normales Essen. Pommes, Burger. Ect. Aber zugleich konnte man hier einfach auch einen normalen Kaffee bestellen. Es war irgendwie universell und es war wahrscheinlich deswegen so etwas wie unser Stammlokal gewesen. Wenn wir jemals – die ganze Gruppe in meinem Alter von damals – nach NY gegangen waren um Party zu machen und den Versuch zu starten, uns in einige der Clubs zu schmuggeln hatten wir uns oftmals aufgeteilt oder im Verlaufe des Abends verloren. Aber man hatte sicher sein können, dass am Ende doch alle wieder hier eintrudelten. Manche, weil sie Ruhe brauchten oder schon müde waren und andere eben einfach, weil man hier immer welche von uns gefunden hatte, wenn man sie verloren hatte. Wir hatten immer hinten am Ecktisch gesessen. Es war auch der Grösste. Er war hübsch in der Zimmerecke plaziert und so fast gänzlich in das Polster, dass sich an der Wand entlang zog eingelassen. Wir hatten das ganze dann jeweils mit Stühlen ergänzt. Dieses Lokal war also voller Erinnerungen.. mich beschlich langsam das Gefühl, dass es keine so gute Idee gewesen war, den Treffpunkt auf die kleine Gasse zu verlegen, die sich gleich neben dem Bleeker’s von der Hauptstrasse abtrennte. Aber das war der Ort, wo ich wirklich hatte sich sein können, dass Bobby wusste, wo es war. Alle von damals wussten, wo sich dieses Lokal befand. Ich seufzte tonlos bei dem Anblick und mir fiel auf, dass ich schon ziemlich lange so da gestanden hatte und auf die Lettern, die den Namen des Lokals bildeten gestarrt hatte. Ich schüttelte leicht den Kopf und trat dann etwas heran bis ich schliesslich direkt vor dem grossen Fenster stand. Ich blickte stumm hinein und sah uns in der hintersten Ecke sitzen, lachend und uns amüsierend. Das war vor Jahren eben einfach unser Stammlokal gewesen und der Tisch in der Ecke, der besonders gross war, war der zugehörige Stammtisch gewesen. Die Einstellung meiner Augen verschob sich und plötzlich blickte ich meinem Spiegelbild in die Augen. Ich sah müde aus und immer noch war meine Frisur ungewohnt. Gedankenverloren öffnete ich die beiden Schwänzchen, die ich mir gemacht hatte und meine Haare fielen wieder normal herab. Ich strich mir einige kurze Strähnen aus den Augen. Noch vor einer Woche waren diese länger gewesen, sodass ich sie hinter meine Ohren hatte streichen können. Ich hörte, wie ein Kirchturm in der Nähe schlug. Viertel nach eins. Ich setzte mich langsam in Bewegung und bog dann in eine Seitenstrass direkt daneben ab. In der Gasse war auf den ersten Blick niemand zu entdecken, was aber vielleicht auch lediglich daran lag, dass sie nur spärlich durch den Lichtschein von der Strasse, aus der ich eben in die Gasse einbog, erleuchtet wurde. Ich schnupperte. Es roch nach verbranntem. Ganz klar. Ich hielt Ausschau nach einem Feuer, doch ich sah nichts. Meine Schritte wurden langsamer, fast schon zögerlich. Ich sah mich nach einem Zeichen von Bobby um, vielleicht war er ja noch nicht hier. Auf dem Boden waren in dem Spärlichen Licht deutlich Brandspuren zu erkennen, sie wirkten frisch. Ich schnupperte erneut und kam mir selbst schon wie ein Spürhund vor. Nun roch es auch noch nach Kippen. Ich kannte diesen Geruch nur zu gut. Ein sehr starker Tabak, der sich hübsch in den Lungenbläschen festsetzte, damit betreffender Raucher auch sicher einige Jahre früher das zeitliche segnete. Rauchen war nie mein Ding gewesen, trotzdem kannte ich diesen Geruch, als hätte ich selbst über Jahre davon geraucht. Mir war auch klar, weshalb. Er brachte mich dazu, stehen zu bleiben. Ich hörte jemanden flach atmen und verengte die Augen um denjenigen auszumachen. „Bobby?“ Flüsterte ich und ging hastig einige Schritte. Auf dem Boden lag eine Gestalt. Meine Augen weiteten sich. „Bobby!!“ Rief ich aus und erreichte endlich die Gestalt. Ich kniete mich zu ihr nach unten, ich kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung ein Anzeichen zu erkennen, dass es sich dabei um Bobby handelte. Die Kleider der Gestalt waren teilweise angesengt. Ich setzte meine ganze Kraft ein, um sie auf den Rücken zu drehen. Ich stemmte mich so lange dagegen, bis der leblose Körper auf dem Rücken lag. Ich zitterte. Nein, das konnten sie mir nicht antun. Meine einzige Spur musste einfach noch leben! Es war tatsächlich Bobby, verdächtig unbeweglich, obwohl ich ihn eben noch hatte atmen hören. Panisch suchte ich nach seinem Puls. Er schlug. Schwach, ja. Aber er schlug. „Oh Gott.. Bobby.“ Ich lachte, aber in dieser Situation hatte das Lachen aus Erleichterung gleichzeitig auch etwas verzweifeltes, wenn nicht etwas wahnsinniges. „Du weißt gar nicht, was für einen Schock du mir eben eingejagt hast.“ Versuchte ich die Lage schön zu reden, auch wenn es nicht wirklich eine gute Lage war. „Erlaube mir, dir etwas mehr Licht zu machen.“ Ich erstarrte, als dich diese Stimme hörte. Wer auch immer das war, es war nicht gut, dass er hier war. Aber das war eine Erkenntnis, die eigentlich logisch war. Im selben Moment ging auch wirklich Licht an, etliche Scheinwerfer waren auf mich gerichtet. Ich war geblendet und gezwungen, mir die Hand vor die Augen zu halten. Eine Falle. Wie hatte ich nur so dumm sein können. Jetzt kam ich mir vor, wie ein gehetztes Tier, welches soeben gestellt worden war. Ich versuchte jemanden zu erkennen, doch das Licht war viel zu grell, vor allem, da meine Augen obendrein noch an die Dunkelheit gewöhnt waren. Ich hörte ein Surren und phaste instinktiv. Bobby gleich mit mir. Das waren entweder Betäubungspfeile oder gar Kugeln. Ich musste bei Bobby bleiben. Er war alleine wehrlos und ausgeliefert. Ich durfte nicht zulassen, dass sie ihm etwas antaten. Nur schon wegen der Tatsache, dass er meine einzige Hoffnung darauf war, jemanden der Ex- X-Men zu finden. Von allen Seiten kamen langsam Schatten auf mich zu, ich wurde erneut panisch und klammerte mich regelrecht an Bobbys Hand. „Willst du dich nicht einfach ergeben?“ Ich wusste, dass diese Stimme einfach dem Braunhaarigen mit den seltsamen Augen sein musste. Ich öffnete die Augen ein kleines bisschen und er stand tatsächlich bereits vor mir. So aus der Nähe konnte ich erkennen, dass die Haut um das Auge, welches weiss bläulich war, von einer Brandnarbe gezeichnet war. Vor mir stand der Typ, welcher meine Eltern auf dem Gewissen hatte. Mistkerl! Dreckskerl! Arschloch! Ich wandte den Blick von ihm ab und sah erneut zu Bobby, der immer noch nicht die Augen geöffnet hatte. Ich spürte, wie der Braunhaarige mich packte, wie sich seine Hand um meinen Hals schloss. Gerade war ich nicht fähig mich zu bewegen. Zwar hatte ich in der letzten Woche bewiesen, wie schnell man sich vom unschuldigen Mädchen zum Killer wandeln konnte, aber ganz routiniert war ich eben doch nicht darin. Und gerade zitterte ich aufs heftigste, weil es mir langsam einfach zu viel wurde. Er zog mich auf die Beine, ich musste Bobby dafür natürlich auch loslassen. Aber gerade stand ich irgendwie neben mir. Der Braunhaarige zog mich weiter, bis ich nur noch knapp auf meinen eigenen Zehen tänzeln konnte. Ich würgte. Er zwang mich, in seine Augen zu sehen. Das eine braun, das andere weisslich blau. Ich sah ihn an und fühlte mich so schwach. Doch dann erinnerte ich mich. Ich blickte gerade dem Mörder meiner Eltern ins Gesicht. Die Wut flammte auf und verlieh mir neue Kräfte. Ich spuckte ihm voller Abscheu mitten ins Gesicht , sodass er mich aus Reflex los liess. „Niemals!!“ Brüllte ich, während ich zu Boden ging. Wieder surrten Kugeln oder Pfeile durch die Luft. Ich rollte mich auf dem Boden und schaffte es so wieder auf die Beine. Nun war ich nur leider von Bobby entfernt. Aber alleine wegtragen konnte ich ihn sowieso nicht, dafür war er dann doch zu schwer und eine Flucht würde mir niemals gelingen mit diesem Zusatzgewicht, da würde wohl selbst phasen nichts helfen. Ich hätte den Braunhaarigen umbringen können, jedoch war ich dazu momentan schlicht und einfach mental nicht in der Lage und was noch dazu kam war, dass er leiden sollte aber so richtig. Ja, wenn es um die Rache für den Mord an meinen Eltern und für den Verrat ging, dann hatte ich zeitweise wirklich sadistische Gedanken. Ich zitterte wieder und sah zu Bobby. Neben seinem Körper stand noch immer der Braunhaarige, dessen Namen ich noch immer nicht kannte und inzwischen hatte sich auch noch mehr der S.H.I.E.L.D Agenten zu ihm gesellt. Herankommen daran war leicht für mich, aber ihn wegtragen würde ich wirklich nicht schaffen, erst recht nicht, da ich so müde war und mein Magen vor Hunger bereits zu schmerzen begonnen hatte. Ich sah ihn, diesen Braunhaarigen, hasserfüllt an. Meine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Wieder surrten Schüsse durch die Luft, die natürlich ins Leere gingen. Aber ich merkte, dass ich, wenn das weiter so ging, nicht mehr lange durchhalten würde. Ich musste verschwinden. „Es tut mir Leid..“ Hauchte ich leise. Das war an Bobby gerichtet. Ich wusste, es war falsch ihn einfach so zurückzulassen, nicht nur, weil ich damit meine einzige Spur verlieren würde, sondern auch, weil sie ihm vielleicht irgend etwas antun würden. Aber mir blieb keine andere Wahl, wenn ich nicht selbst geschnappt werden wollte. Ich fühlte mich so schlecht, als ich langsam durch den Boden verschwand. Mir war nach Übergeben zu Mute. Wegen dem Hungerast in den ich gerade kam und auch, weil es mir nun auch mental nicht mehr sonderlich gut ging. Mein Psyche war sowieso ziemlich angekratzt. Während ich verschwand zwang ich mich jedoch noch dazu, dem Braunhaarigen überlegen zu zu feixen: „Ich an deiner Stelle würde mich nicht mehr so sicher in meiner Haut fühlen. Im Anbetracht der Tatsache, dass ich durch alles hindurchgehen kann.“ Ich zwang mich zu einem höhnischen Grinsen, ehe ich ganz verschwunden war. „Nein. Nein, sie ist nicht geblieben. Ja, obwohl wir Drake haben. Genau.“ Knurrte der Braunhaarige in ein Headset. „Schätze Plan B wird benötigt, damit wir das Miststück endlich ruhig stellen können.“ Der Braunhaarige warf einen Seitenblick zu Bobby, welcher eben ein Betäubungsmittel gespritzt bekam. „Sind Sie wirklich sicher mit Plan B?“ Der Braunhaarige wirkte kurze Zeit zögerlich und etwas unsicher. „Plan B wird funktionieren, vertrau mir, Avalanch.“ Gab eine kühle Stimme am anderen Ende zurück. „Es wurde bereits alles eingeleitet. Zieht euch zurück.“ Es wurde aufgelegt. Avalanch nickte nur leicht einigen Soldaten zu, welche daraufhin begannen, Bobbys Körper mit sich weg zu transportieren. Der Braunhaarige warf einen letzten Blick zurück in die Gassen. Brandspuren zeugten von einem Kampf, aber auch Einschusslöcher. Ich tauchte einige Strassen weiter wieder auf. Ich musste erst einmal nach Luft schnappen, da es doch mehrere Minuten gedauert hatte, bis ich hierher gelangt war und da ich nur so lange durch feste Materialien gehen konnte, wie ich die Luft anhalten konnte. Man konnte es mit Wasser vergleichen. Ich lehnte mich erschöpft gegen die Hauswand, welche mir am nächsten war. Meine Hand wanderte langsam zu meinem Hals. Dorthin, wo der Braunhaarige mich gewürgt hatte. Die Würgemale waren deutlich zu ertasten. Ich fühlte mich noch immer schlecht, vor allem, weil ich mir nun Sorgen um Bobby machte und natürlich Vorwürfe. Ihn da einfach zurück zu lassen war verdammt mies gewesen. Nicht auszudenken, was sie nun mit ihm anstellten. In meiner Aufregung fiel mir natürlich nicht auf, dass ich beobachtet wurde. Ich achtete allgemein nicht wirklich auf meine Umwelt. Nachdem ich eine Weile schweigend vor mich hin gestarrt hatte, beschloss ich, doch zurückzugehen. Vielleicht hatten sie Bobby ja einfach liegen gelassen. Eine Hoffnung, die wohl unerfüllt bleiben würde und die ich wohl nur hatte, um damit mein Gewissen zu beruhigen. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Darüber, dass die Leute von S.H.I.E.L.D. immer noch dort postiert sein könnten, dachte ich in erster Linie gar nicht nach. Aber das sollte auch nicht weiter wichtig sein.. „Hello Kitty.“ Ich zuckte zusammen. „Kitty Kätzchen..“ Ich war wie erstarrt und führte mich nicht mehr von der Stelle. Natürlich erkannte ich diese Stimme sogleich. Ich kannte sie nun einmal einfach zu gut und hatte sie zu oft gehört. Sie klang immer noch genau wie vor zwei Jahren. Ich blieb immer noch stehen, drehte mich jedoch nicht um. Irgendwie hatte mich doch schon zuvor eine Vorahnung ergriffen, die Zeichen hatten eigentlich auch alle deutlich darauf hingewiesen. „Solltest du nicht zu Hause bei Mummy und Daddy sein?“ Meine Hände verkrampften sich automatisch zu Fäusten, ich spürte, wie meine Nägel sich in mein eigenes zartes Fleisch bohrten, aber es war mir egal. Doch noch immer drehte ich mich nicht um. „Das war ein verdammt beschissener Witz.“ Meinte ich so ruhig wie möglich und zu meinem eigenen Erstaunen wirkte es tatsächlich locker, lässig und vor allem eines, seelenruhig. Er wusste sicherlich, was passiert war. Jeder wusste es, es hatte in allen Zeitungen gestanden und lief wohl auch oft über die Mattscheiben. Warum spielte er dann so darauf an? Es schmerzte mich immer noch sehr, auch wenn ich es zum Teil verdrängt hatte und man mir so derzeit nicht ansah, wie schmerzhaft es war, davon zu hören und darüber zu reden. „Aber deine Witze waren nie wirklich gut...“ Ich drehte mich langsam und sah in die tiefen braunen Augen meines besten Freundes. Führern besten Freundes traf es wohl besser, aus meiner Sicht zumindest. Seine Augen funkelten trotz der Dunkelheit geheimnisvoll. Seine Lippen umspielte das typische – wie ich fand: dämliche – arrogante Grinsen. Wir sahen uns schweigend an, bis ich meinen Satz schliesslich zu Ende brachte: „John!“ Chapter Two: Back To The Roots - End Kapitel 2: Das Bleeker's ------------------------ Das Bleeker‘s Meine Eltern haben mir früher immer erklärt, dass es nichts bringen würde, jemanden zu hassen. Dass man den Hass am Ende nur in sich hineinfrass und sich damit selbst kaputt machte. Ausserdem hatte es niemand verdient, gehasst zu werden, hatten sie gesagt. Habe ich nicht das recht, den Fremden mit braunem Haar zu hassen, der diejenigen, die mir das beibrachten, auf dem Gewissen hat? Habe ich nicht das Recht, denjenigen, der mich verraten hat zu hassen? Und habe ich nicht das Recht, John? Ich habe mein ganzes Leben lang niemals jemanden gehasst, wie meine Eltern mich gelehrt hatte. Dann traf ich auf John. Aber eines muss ich mir doch selbst eingestehen: Ich habe ihn zu Beginn gehasst und ich hasse ihn jetzt, nur ich habe ihn nicht immer gehasst und selbst wenn ich ihn gehasst habe, er war mir niemals gleichgültig... „Wo bleibt denn deine Wiedersehensfreude?“ John tat gespielt enttäuscht. Schauspielern hatte er schon immer gut gekonnt. Immerhin gab er sich gegenüber allen als ein anderer aus, als er eigentlich war. In Wahrheit war sein überhebliches Getue nämlich eigentlich nur aufgesetzt gewesen – ob das nun immer noch so war, konnte ich nicht sagen. Mir hatte er über eine gewisse Zeit lang jedoch tiefe Einblicke in seine wirkliche Seele gewährt, was nun wohl vorbei war und was er wahrscheinlich bereute. Denn ich kannte ihn wohl besser, als jeder andere ihn kannte. Besser, als der Professor ihn gekannt hatte. Besser, als sein bester Freund Bobby ihn gekannt hatte und ja, vielleicht sogar besser, als er sich selbst kannte. Und wenn ich ihn jetzt ansah, tauchten schlagartig Erinnerungen an damals auf. Gute, und weniger gute... Und eine davon holte mich soeben ein: “Kitty!! Kitty das musst du dir ansehen!“ Ein junges Mädchen mit fast schwarzem Haar und asiatischen Augenfalten kam mein Zimmer gerannt. Oder besser gesagt unser Zimmer gerannt. Wir waren Zimmergenossen, besser gesagt, war ich in ihr Zimmer eingeteilt worden, als ich neu ans Institut kam und wir waren über die Jahre hinweg zu besten Freunden geworden. Vor mir stand Jubilation Lee, von allen wurde sie jedoch nur kurz Jubes genannt. Sie war die Tochter eines amerikanischen Regisseurs und einer asiatischen Schauspielerin, daher auch ihr leicht asiatisches Aussehen. Ihre Eltern waren nicht geschieden, lebten aber schon seit ich Jubes kannte getrennt und hatten sich deswegen entschieden, ihre Tochter auf eine Art Internat zu schicken. Sie hatten keine Ahnung von der ‚Speziellen Begabung‘ ihrer Prinzessin und auch nicht, dass ‚Xaviers Institut for Gifted Youngsters‘ in Wahrheit eine Schule speziell für Mutanten war. In der Welt ihrer Eltern zählte sowieso nur das Geld und sie versuchten sich die Liebe ihrer Tochter andauernd mit teuren Geschenken zu erkaufen, denn inzwischen hatten sie beide einen Scheidungsprozess begonnen und die Frage, wer das Sorgerecht für die Gemeinsame Tochter und damit die Alimente erhalten sollte, wurde heftig diskutiert. Ob Jubes das sonderlich belastete, konnte ich nicht genau sagen, wir redeten niemals über das Thema – auch nicht wenn ihre Mutter wieder einmal mitten in der Nacht anrief oder sie plötzlich ein riesiges Paket voller Klamotten von ihrem Vater geschickt bekam. Ausserdem liess Jubes sich niemals etwas dergleichen anmerken. Was ihre Fähigkeiten betraf, so passten dieses ausgezeichnet zu ihrer Art. Ich bezeichnete sie gerne als Girlymässig, denn genauso war Jubilations Kleiderstil auch. Ziemlich farbenfroh, aber immer passend auf einander abgestimmt. Fehlte eigentlich nur noch der Chiwawa im passenden Dress. Aber soweit ging es dann doch nicht. Genauso girlymässig waren auch ihre Fähigkeiten. Irgendwie Schnickschnack, den man gar nicht wirklich brauchen konnte. Jubilee konnte nämlich Plasma aus ihren Fingerspitzen schiessen lassen, welches dann ähnlich wie Feuerwerk aussah. Das war ja für eine Party ganz nützlich, aber ich glaube selbst ihr blieb es ein Rätsel, wie genau sie damit einen eventuellen Gegner ausschalten konnte. Aber im grossen und ganzen es doch eine niedliche und vor allem passende Fähigkeit. Jubes war ausserdem ein äusserst lebhaftes und auch offenes Mädchen. Erstaunlicherweise hatte sie mit ihren 16 Jahren schon mehr Erfahrung mit Jungs gesammelt, als es gut war. Auch wenn es sich vielleicht spiessig anhören mag und sie mit 16 Jahren durchaus alt genug dafür ist, so fand ich es schon immer übertrieben, dass sie ihre Typen öfters wechselte, als ihre Klamotten – und das sollte etwas heissen, denn Jubes besass wirklich viele Klamotten! Ich erklärte mir das immer, dass sie einfach zu gerne immer wieder etwas neues hatte, und sich deswegen nicht festlegen konnte. Gerade war sie jedoch – oh Wunder – Single. Erstaunlich. Aber nach ihrer letzten missglückten Beziehung hatte sie mir in den Ohren gelegen damit, dass auf die Männerwelt doch sowieso kein Verlass sei und dass sie keinen Typen brauche, und so weiter. Es war im Grunde immer das Gleiche. Eine Woche später – Spätestens! – datete sie den nächsten. Also war ihr Gejammer, mit welchem sie immer auszudrücken gepflegte, dass ihre Welt gleich untergehen würde, im Grunde nur nervig für mich, weil ich es auswendig kannte und weil es sich leider wie eine Tonbandkassette zu wiederholen schien. Alle paar Wochen. Ich dagegen war anders, weniger mutig – das ist wohl das Wort, welches am besten passt – und schüchterner. Ich war noch nicht sonderlich lange auf dem Institut und hätte mich wohl noch mehr zurückgezogen und mich von den anderen abgeschottet, wenn Jubilation nicht gewesen wäre. Vielleicht kennt das einer, aber es kommt immer darauf an, mit welchen Leuten man sich anfreundet. Wenn man zufälligerweise das Glück hat, sich mit den richtigen anzufreunden, kommt man automatisch in einen Freundeskreis hinein. So war das ebenfalls bei mir. Durch Jubes lernte ich viele der anderen Institutsbewohner besser kennen, mit denen ich sonst kein Wort geredet hätte. Ich war sozusagen auch irgendwie aufgetaut und war gleichzeitig mein Image als Nerd losgeworden. Schon komisch, war ich früher an meiner alten Schule doch Aussenseiter Nummer eins gewesen, konnte ich mich nun zu denen zählen, die man gerne dabei hatte und die viele auch zu ihren Freunden zählten. Ich wusste instinktiv, was genau ich mir nun ansehen sollte. Bei Jubilation konnte man sicher sein, dass es ein besonders gutaussehend Typ war. Deswegen hatte ich es auch nicht sonderlich eilig von dem Buch, welches ich gerade las – Das Phantom der Oper, das Buch, welches ich mit Abstand am liebsten las - aufzusehen. Jubilee eilte an meinem Bett vorbei, wich dabei galant einigen ihrer Kleider aus, welche auf dem Boden verteilt lagen und schob dann eiligst den Vorhang des Fensters zur Seite. Während sie es aufriss rief sie mir erneut zu: „Komm schon her! Sonst verpasst du sie.“ Ich runzelte die Stirn. Sie..? Hatte ich verpasst, dass Jubilations Vorlieben sich verändert hatten? Die Neugierde, wer Sie denn nun war, hatte mich jedoch bereits ergriffen und ich erhob mich schnell und folgte ihr über die Kleider steigend ans Fenster. Jubes lehnte bereits darüber hinaus, um gerade nach unten blicken zu können. Von unserm Fenster aus hatte man guten Ausblick über die Einfahrt des Instituts, mit dem Brunnen, den eine Engelsstatue zierte und den Blumenbeeten von Storm, welche den mit Kies gemachte Einfahrt , die vom Tor bis zur grossen Treppe, die zum Eingang des Instituts führte, säumten. Um den Brunnen herum waren der X-Van geparkt. Ich war gespannt, wer sie denn nun war und erwartete natürlich ein hübsches Mädchen, welches Jubilation mir unbedingt zeigen wollte, weil es eventuell eine Konkurrenz für die junge Asiatin darstellen konnte. Doch statt dessen konnte ich Storm und Logan beobachten, welche gleich drei neue Schüler mit sich gebracht hatten. Soeben waren die drei damit beschäftigt, ihre Koffer aus dem Wagen zu hieven. Nur eines davon war ein Mädchen, weshalb ich davon ausging, dass Jubes mit sie ganz sicher die beiden Jungen gemeint hatte. Von weitem erkannte man das ganze aber noch nicht so genau. Etwas, was mich stutzig machte war jedoch, dass der eine von beiden einen Mantel trug, welcher eine seltsame Ausbuchtung vorwies. Das Mädchen wirkte eher unauffällig und schlecht gelaunt. Der zweite Junge stand etwas abseits und beobachtete das ganze, er spielte mit einem Feuerzeug. „Na.. naa?!“ Jubes rüttelte an drängend meiner Schulter, als hätte sie schon die ganze Zeit über einen Kommentar von mir erwartet. „Die sehen doch nicht übel aus, was meinst du? Ich wette der eine mit den blonden Haaren hat auch noch blaue Augen.“ Jubilation klang verträumt. Ich konnte über ihr Getue nur mit den Augen rollen. Kaum waren neue Schüler da, hatte meine beste Freundin ihre guten Vorsätze in Sachen Jungs auch schon wieder über den Haufen geworfen. Ich kommentierte: „Wolltest du nicht erst einmal keinen Freund mehr haben?“ Jubes stutzte und schien sich wohl zu wundern, dass ich ihr so gut zugehört hatte, um das mitbekommen zu haben. Aber jetzt musterte ich den jungen mit dem Mantel erneut. Er hatte wirklich blondes Haar, da lag es tatsächlich nahe, dass er auch blaue Augen hatte – sofern das Blond seiner Haare nicht lediglich gefärbt war. Schon eine niedliche Kombination. Jubes meinte nun eher hastig: „Ach was solls, ich hab soeben meine Meinung geändert. Lass uns runter gehen.“ Ich verzog den Mund, einerseits darüber, wie leicht sie sich selbst doch umstimmen konnte und andererseits darüber, dass sie vorhatte, gleich zum Angriff über zu gehen. Das machte mir ja eigentlich nichts aus, im Grunde war es mir Recht, denn wenn sie einen Freund hatte, war sie doch wesentlich weniger in meiner Nähe. Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich mochte Jubilation, sehr sogar. Sie war wirklich meine beste Freundin und wir erzählten und alles. Das normale beste Freunde Ding eben. Aber manchmal hatte sie die Tendenz, mir auf die Nerven zu fallen, vor allem, da ich ein Mensch war, der doch des öfteren lieber alleine war. Was mich daran jedoch störte und was auch der Grund war, weshalb ich den Mund verzog, war, dass sie mich mitschleppen wollte, worauf ich eigentlich lieber verzichtet hätte und mich wieder meiner Lektüre gewidmet hätte. Aber bei Jubes gab es nun einmal keine Widerrede. „Komm jetzt!“ Befahl sie energisch, ehe sie sich vom Fenster abwandte und mir somit etwas mehr Platz gab. Die junge Asiatin öffnete ihren Schrank und musterte sich kurz in dem Spiegel, nur um zu sehen, ob sie auch gut aussah. Während sie damit beschäftigt war, etwas Lippenstift aufzulegen und an ihren Haaren herum zu zupfen, sah ich weiterhin aus dem Fenster. Logan wechselte inzwischen einige Worte mit dem braunhaarigen Mädchen, welches trotzig die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Der Blondschopf war weiterhin Storm beim ausladen der Koffer behilflich und der Junge mit dem Feuerzeug tat weiterhin nichts. „Jetzt komm schon!“ Hörte ich Jubilee erneut und dem klang ihrer Schuhe auf dem Boden konnte ich entnehmen, dass sie soeben aus dem Zimmer geeilt war. Sie baute natürlich darauf, dass ich nachkommen würde. Ich richtete mich gänzlich auf und wollte soeben das Fenster schliessen, als ich bemerkte, dass der Junge mit dem Feuerzeug mich ansah. Er hatte braunes Haar, welches er sich nach hinten gekämmt und mit Gel gefestigt hatte. Ich schluckte und stockte in meiner Bewegung. Sein Blick war ernst und nichtssagend und genau das irritierte mich. Ich hoffte, er würde den Blick von selbst wieder abwenden, aber er sah mich weiterhin an. Ich verzog das Gesicht leicht, um meiner Irritation Ausdruck zu verleihen, ehe ich das Fenster langsam schloss. Ein merkwürdiger Blick, zugleich arrogant. Er hatte nicht das Recht, mich so anzusehen oder sich eine Meinung über mich zu bilden, immerhin kannte er mich nicht. Aber er mich schon so angesehen, als hätte er sich bereits die Meinung über mich gebildet, dass ich es nicht wert war, sich mit mir zu befassen. Dieses überhebliche, welches in seinem Blick gelegen hatte.. Es weckte eine automatische Antipathie in mir und nicht zu wissen, was genau er gedacht hatte, war doch leicht ärgerlich. Ich folgte Jubilation langsam. Ohne mir anmerken zu lassen, was ich dachte, sah ich John kühl an, immer noch mit geballten Fäusten. Ich wollte ihm zu zischen, was er hier zu suchen hatte, weshalb ausgerechnet er mir hier begegnete. Jedoch beliess ich es einfach bei purer Gleichgültigkeit. John tat es mir gleich, zumindest würdigte er mich keines Blickes sondern betrachtete statt dessen zwei Plakate, die er in Händen hielt. Ich wusste nicht genau, was es für Plakate waren, aber ehrlich gesagt interessierte es mich eigentlich auch gar nicht. Dann bemerkte ich, wie er ungläubig den Kopf schüttelte, ehe er die Plakate so drehte, dass ich erkennen konnte, was darauf war. Es waren Fahndungsplakate. Auf dem einen war ich, auf dem anderen er. „Wieso bist du 200‘000$ mehr wert, als ich?“ Er klang sogar leicht schmollend. Ich zog eine Braue hoch und betrachtete die Plakate dann etwas genauer. Und tatsächlich.. Auf mich waren ganze 800'000$ ausgesetzt, während John lediglich 600‘000$ ‚wert‘ war. Innerlich lachte ich schallend darüber. Ohja, das tat seinem Stolz bestimmt gar nicht gut. Äusserlich war mir jedoch nichts dergleichen anzusehen. Ich schüttelte nur den Kopf und meinte schliesslich kaltschnäuzig: „Keine Ahnung, vielleicht liegts ja an der Frisur. Und nur mal ganz nebenbei: Deine jetzige is noch beschissener, als die auf dem Plakat.“ Er hatte seine Haare anders wie früher. Früher waren sie jeweils nach hinten gekämmt gewesen und lange genug, dass er sie hinter den Ohren hatte halten können. Braun waren sie gewesen. Jetzt waren die braunen Haare teilweise von einer blonden Färbung überdeckt, die jedoch schon etwas herausgewachsen war, sodass darunter wieder die eigentliche Haarfarbe zum Vorschein kam. Insgesamt sah es jedoch gar nicht so schlecht aus, dafür dass er es allen Anschein selbst gemacht hatte. Oder aber eben jemand anders es gemacht hatte. Aber meinetwegen konnte er ruhig denken, dass ich es scheisse fand. Jetzt wo ich ihn mir jedoch genauer ansah, fiel mir noch etwas anderes ins Auge. Ich entdeckte diverse Wunden an seinem Hals und auch an den Händen. Die am Hals zogen sich jedoch nicht gänzlich ins Gesicht. Aber was mich daran wunderte und erst recht verwirrte war, dass es Brandwunden waren! „Tut mir ja Leid, dass ich nicht in den nächstbesten Friseursalon gehen kann und sagen kann: Tag auch, ich bräuchte mal ein Umstyling, damit ich nicht mehr aussehe wie einer der meist gesuchtesten Terroristen. Achjah, ich bin übrigens Pyro.“ John machte eine leichte Verbeugung, ehe er über seine eigenen Worte leise auflachte. Ich lachte nicht. „Ausserdem muss du grade reden..“ Gab er zurück. Mein Blick fiel auf das Fahndungsfoto, welches ein junges Mädchen zeigte. Mich. Ich hatte darauf etwa schulterlanges Haar, auch die Fransen waren länger. In den zwei Jahren, die ich zu Hause in meinem Zimmer gelebt hatte, waren meine Haare länger geworden. Ich trug sie nun bis zu den Schulterblättern, ausserdem hatte ich ja notdürftig meine Fransen etwas gekürzt, sodass sie mir nun teilweise ins Gesicht fielen. So sah auch ich wenigstens nicht mehr genau so aus wie auf dem Plakat. Mein Blick wanderte erneut zu dem Foto von John. Genauso hatte er ausgesehen, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Genau dieser Haarschnitt.. “Kitty.“ Ich drehte mich noch einmal um, obwohl ich eben auch durch den Haupteingang hatte schreiten wollen. Jubilation war natürlich längst draussen. Ich lächelte freundlich, als ich Robert Drake, den wir alle nur Bobby nannten, erblickte. Er winkte mir von der Treppe oben zu und kam nun eiligst zu mir nach unten. „Gut, dass ich dich noch erwische.“ Er wirkte leicht verlegen, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. Von ihm hatte ich zumindest kein nerviges Gelaber über das Thema, welche Augenfarbe nun besser zu einem Braunhaarigen Typen passte, oder ob Typen in Anzügen denn nun wirklich besser aussahen, als Typen in normaler Kleidung, natürlich gestylet. Ich lehnte mich leicht gegen das Geländer der Treppe und wartete, bis Bobby mich erreicht hatte. Bobby war wohl schon am längsten von uns im Institut. Wenn man nur mich und Jubilation betrachtete – es gab auch jene, die schon praktisch ihr ganzes Leben hier waren. Er konnte Eis beherrschen und erschaffen. Der korrekte Ausdruck dafür lautet wohl irgendwie Kyrogenese und Kyrokinese. Bobby hatte kurze braune Haare. Morgens standen sie besonders wirr von seinem Kopf ab, aber gerade jetzt waren sie sauber zurechtgemacht. Sein Klamottengeschmack lässt sich schwer beschreiben, aber die Kleider erinnerten doch stark an den Studentenlook und gaben ihm so etwas erwachsenes. Ausserdem hatte Bobby ein täuschend braves Aussehen, was aber nur darüber hinweg täuschte, dass er es faustdick hinter den Ohren hatte. Dank seinem Aussehen kam er aber jeweils ohne Strafarbeiten davon, weil man ihm die Dinge, die er wirklich machte, eigentlich gar nicht zutraute. Bobby hatte ein freundliches und nettes Wesen. Er tat einem wirklich viele Gefallen und das, ohne etwas dafür zurück zu fordern. Ein Grund, weshalb er auch bei praktisch allen Mädchen gut ankam, denn, das konnte man nicht leugnen, niedlich war er nun einmal schon. Aber wie gesagt, er war auch ziemlich berechnend und hatte in der Zeit, in der er hier war, sämtliche Streiche an Storm ausprobiert und das, was mich daran irgendwie störte war, dass meist ein anderer die Strafe dafür hatte absitzen müssen. Da der Verdacht einfach nicht auf Bobby gefallen war. Anfangs hatte ich ihn darauf angesprochen, dass er sich doch melden solle, aber Bobby hatte das jeweils nur abgelehnt und erklärt, wenn andere zu dämlich waren, um es nicht selbst raus zu bekommen, dann würde er sich sicherlich nicht auch noch melden. Irgendwie war das für mich ein Beweis, dass selbst ein so perfekt erscheinender Junge nicht immer einen ganz perfekten Charakter hatte. Aber anderen schien das ja egal zu sein, denn keiner derer, die die Strafen hatten absitzen müssen, beschwerte sich darüber. Das konnte aber wiederum daran liegen, dass Bobby sich nun einmal mit allen gut verstand. „Ah.. Hey.“ Meinte der Braunhaarige, als er endlich vor mir stand und wirkte leicht verlegen. Ich konnte mir eigentlich schon denken, weswegen. Ich sah zu ihm nach oben, denn immerhin war er knapp einen Kopf grösser als ich – wobei anzumerken ist, dass ich immer schon zu den kleineren gehört habe. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und wandte gleichzeitig meinen Blick ab, um ihm nicht in die Augen zu sehen. Ich wusste eigentlich, was jetzt kommen würde. Bobby fuhr sich durchs Haar. „Hey.“ Meinte ich nun endlich auch und hoffte, dass gleich die Tür aufgehen würde, und Jubilee mit den neuen und Storm und Logan hereinkommen würde. Dann wäre ich gerettet, dann hätte ich zumindest eine kleine Ausrede dafür, dass Gespräch, dass ich heute schon die ganze Zeit erwartet hatte, zu verschieben. Denn ich war mir ganz sicher, dass es dabei zu ziemlich peinlicher Stille kommen würde. „Bobby ich..“ Begann ich. „Wir sollten reden.“ Begann er zur gleichen Zeit. Ich sah zu ihm auf und er schüttelte leise lachend den Kopf. Ich schwieg und überliess ihm nun einmal das reden. Ich konnte mir jedoch nicht verkneifen, den Mund missbilligend zu verziehen. Denn bitte: Welches Gespräch, dass mit ‚Wir sollten reden‘ begann, würde gut werden? „Wegen gestern.. und ach.. wegen allem eben!“ Fuhr Bobby fort. Erwartete er vielleicht, dass ich jetzt etwas sagte? Ich schwieg. Na schön, ein kleines Detail an Bobby habe ich unterschlagen. Weggelassen.. Keine Ahnung. So wichtig ist es nun einmal auch nicht.. „Ich meine, ich habe ja nichts dagegen, wenn wir rummachen.. aber das geht jetzt seit mindestens einem Monat so und du lässt mich im Dunkeln tappen.“ Na schön, ich kenne vielleicht seinen Mund etwas besser, als es bei 'nur‘ Freunden normal sein sollte. „Ich meine, an einem Tag küsst du mich einfach so und am nächsten Tag bin ich wieder Luft für dich.“ Als ich vorhin sagte, dass Jubilee sich einfach nicht festlegen kann, da hatte ich wohl nicht daran gedacht, dass es mir mit Bobby genauso ging. Obwohl man es nun doch nicht ganz vergleichen konnte. Ich wunderte mich jedoch immer wieder, wie schnell Bobby auf den Punkt kam. Ohne das lästige um den Brei herum reden. Wobei, irgendwie wäre mir das gerade lieber gewesen. Ich warf einen möglichst unauffälligen Blick vorbei an ihm zur Eingangstüre. Sie hatte sich noch immer nicht geöffnet. „Bobby ich..“ Begann ich erneut und sah ihm nun endlich in die eisig blauen Augen. Obwohl sie die Farbe von Eis hatten, waren sie nicht kühl, im Gegenteil, sie waren warm und freundlich. Ich musste automatisch lächeln, was wohl aber der Situation nicht wirklich angemessen war. Ich realisierte, dass ich noch nicht wirklich etwas gesagt hatte und fuhr mir dann tonlos seufzend durchs Haar. „Was willst du von mir hören?“ Ich applaudierte mir gedanklich selbst – natürlich ironisch gemeint – für diese Frage. Das würde ihm sicher ein besonders gutes Gefühl geben. „Was ich von dir hören will?“ Bobby sah mich ungläubig an. Er schien seinen Ohren nicht zu trauen und das zeigte mir noch einmal, wie dämlich meine Frage gewesen war. Ich denke, ich sagte das lediglich, um etwas Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, dass die Tür sich jetzt endlich öffnen würde, und Jubilee herein stürmen würde. Dann wäre unsere traute Zweisamkeit zerstört und ich kam um eine Antwort herum. Aber es passierte nichts. Statt dessen hörte ich Bobby leise Schnauben, es klang nicht sauer, sondern eher in gewisser Weise hilflos. „Weißt du, immer wenn ich denke, du kannst mich mit nichts mehr überraschen, dann kommst du mit sowas an.“ Erklärte er dann das, was ihn so erstaunte. „Mal ehrlich, du fragst mich, was ich von dir hören will..? Ich will nichts von dir hören, du sollst.“ Der Eismutant stockte und merkte, dass er sich dank Kittys Frage gerade in den Worten irrte. Schnell ereiferte er sich: „Ah, du weißt, was ich meine: Ich will etwas von dir hören, aber ich kann dir nicht sagen, was ich von dir hören will. Das musst du schon selbst entscheiden, wissen. Wie auch immer.“ Ich blinzelte, denn seine Worte waren so wirr gewesen, dass sie erst einmal bei mir ankommen mussten. Ich sah ihm wieder in die Augen, ehe ich erneut begann: „Bobby.. ich..“ Erst jetzt fiel mir auf, dass ich diese beiden Worte in Kombination nun schon zum dritten Mal gesagt hatte, und nichts kommen würde, denn ich wusste selbst nicht, was ich damit eigentlich sagen wollte. Ich zog meine Unterlippe leicht zurück, ehe ich tonlos seufzte. „Vergiss es.“ Meinte ich schliesslich, weil ich sowieso nichts schlaues von mir geben würde, wie ich zumindest glaubte. Ich wandte mich von ihm ab und wollte auf die Eingangstür zusteuern. Jubes würde meine Präsenz sicherlich bereits vermissen, und sich fragen, wo ich war. Ausserdem konnte wie gesagt die Tür jederzeit aufgehen. „Hey, warte!“ Hörte ich Bobby hinter mir, aber ich hätte wohl nicht auf ihn gehörte, wenn er mich nicht am Arm gepackt hätte und mich so zu sich herum gewirbelt hätte. Dann hielt er mich an beiden Schultern, damit ich ja nicht mehr auf die Idee kam, wieder wegzugehen. Bobby lächelte mir leicht zu, ehe er mich etwas zu sich zog und sich leicht vorbeugte. Wir waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt, als er hauchte: „Ich will es aber nicht vergessen.“ Ich musste schmunzeln, während ich gedankenverloren mit dem Kragen seines Pullovers herum spielte. Bobby merkte, dass ich durchaus nicht abgeneigt war und zog mich noch näher zu sich, sodass meine Arme schlussendlich zwischen meinem und seinem Körper eingekeilt waren. Bobby näherte sich noch mehr an und mir war klar, was er jetzt vorhatte, aber scheinbar war ich heute in der ‚Ich-Mach-Mit-Dir-Rum- Stimmung und nicht in der Ich-Behandel-Dich-Wie-Luft- Stimmung. Glück für Mr Drake. Doch jetzt schwang plötzlich die Tür auf. Ich reagierte aus Reflex und drehte den Kopf weg, sodass Bobby meine Lippen verfehlte. Denn da ist noch etwas, dass ich nicht erwähnt habe. Niemand wusste davon, dass etwas zwischen Bobby und mir lief. Ich hatte es nicht einmal Jubes erzählt – denn manchmal, wenn man ihr etwas erzählte, wusste es wie von Zauberhand in spätestens einer Woche die gesamte Schule. Ich stand so, dass ich direkt zur Eingangstür sehen konnte, während Bobby mit dem Rücken dagegen stand. Der junge Eismutant liess mich langsam los, aber ich wusste, dass inzwischen jemand drittes von unserem kleinen Geheimnis wusste. Der seltsame Neue, welcher mich zuvor so merkwürdig angesehen hatte. Er sah mich auch jetzt so an, mit diesem arroganten, überheblichen Blick, als würde er sich für etwas besseres halten. Als nächstes betrat Jubilation die Eingangshalle, was sie auch lautstark ankündigte: „Ah, Kitty, da bist du ja! Wie lange brauchst du eigentlich man?! Hast du John schon hallo gesagt?“ Die junge Asiatin grinste und war scheinbar bester Laune. Ich gab ihr keine Antwort und liess meinen Blick erneut zu dem Braunhaarigen wandern. John hiess er also. John hatte mein Teddy geheissen, der nun zu Hause auf meinem Bett lag und darauf wartete, dass ich in den Ferien nach Hause kam. Ich musste bei dem Gedanken grinsen. Ein dämliches Grinsen. Sein Blick blieb ernst und weiterhin nichtssagend, was mich nur noch mehr irritierte. „Ihr könnt gleich die Treppe nach oben gehen, und die Tür gerade aus ins Büro des Professors.“ Hörte ich eine kleine Anleitung von Storm, die als letzte in die Halle kam. Ich wandte meinen Blick von John ab und musterte kurz das Mädchen. Sie war wirklich hübsch, aber sie schien nicht sonderlich gute Laune zu haben. Sie trug einen merkwürdigen Mantel, der bis zum Boden ging. Er hatte eine grosse Kapuze, die sie jedoch nicht übergezogen hatte. Ausserdem trug sie Handschuhe, obwohl wir Spätsommer hatten – also eigentlich viel zu warm für diese Jahreszeit. Der blondhaarige Junge hatte tatsächlich blaue Augen. Also eigentlich genau Jubes Typ, wenn man mal von den Sunnyboys am Strand von Miami – Dort lebte ihr Vater – absah. Über die merkwürdige Ausbuchtung an seinem Rücken wunderte ich mich immer noch. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich inzwischen alleine am Treppengeländer stand. Bobby hatte damit begonnen, den Neulingen beim tragen der Koffer zu helfen. „Allerdyce, beweg dich!“ Hörte ich Logan knurren und wandte den Blick. Ich sah wie John sich in Bewegung setzte. John Allerdyce also.. John trug keinen einzigen Koffer. Nicht einmal seinen eigenen. Ich hielt Ausschau nach einem Koffer, der ihm gehören könnte, aber das war ziemlich schwer auszumachen. Vielleicht trug Bobby ja gerade den Koffer dieses Jungen. Ja, John machte einen versnobten Eindruck auf mich. Er wirkte wie eines dieser Kinder mit reichen Eltern, welche deswegen mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden waren und sich deswegen – obwohl sie eigentlich nichts davon selbst erarbeitet hatten – für etwas besseres hielten. Sein ganzes Benehmen und seine Blicke bestätigen meine Annahme. John schritt an mir vorbei hinter Logan her, jedoch blieb er stehen, als er den ersten Fuss auf die Treppe gesetzt hatte und drehte sich zu mir. Das entging mir natürlich nicht und ich drehte ihm den Kopf zu, mit einem fragenden Blick in den Augen. Wahrscheinlich erkannte er mich doch als das Mädchen, welches zuvor aus einem der Fenster geschaut hatte. Jetzt konnte ich ihn aus der nähe mustern, was er wahrscheinlich auch mit mir machte. Seine Haut wirkte zart, auch wenn sie leicht gebräunt war – Etwas, was für mich wie der Beweis war, dass er noch nie körperliche Arbeit geleistet hatte. Die braunen Haare waren nach hinten gekämmt, was ebenfalls an einen eingebildeten Schnösel mit geleckten Haaren erinnerte. Das einzige, was dabei nicht ins Bild passte, waren seine Kleider. Ja, es schien ihm sogar egal zu sein, was er trug – Im Gegensatz zu Bobby. Das, was mich jedoch wirklich an ihm faszinierte, waren diese dunklen, braunen Augen. Auf den ersten Blick, wirkten sie kühle. Aber je länger ich hinein schaute, desto mehr bemerkte ich, dass sie eigentlich von innen heraus geheimnisvoll funkelten und zeitweise sogar ein Feuer in ihnen zu lodern schien. „Nehmt euch snächste Mal nZimmer.“ Ich blinzelte perplex, als ich zum ersten mal seine freche und zugleich so überhebliche Stimme hörte. Und als ich einen erneuten Blick in diese Augen warf, wusste ich, dass er wusste, dass niemand von Bobby und mir wusste. Mir war instinktiv klar, dass er dieses Wissen für sich zu nutzen wusste. Wie, das wusste ich nicht, aber mir war klar, dass er darauf zurückkommen würde. Wahrscheinlich vermutete er lediglich, dass niemand von uns wusste, aber mein Benehmen würde ihm sicherlich schnell offenbaren, dass es geheim war. Und ich beschloss, dass ich John Allerdyce nicht leiden konnte. Nein besser, dass ich ihn hasste! Nicht in erster Linie, weil er etwas wusste, was er nicht hätte wissen sollen und auch nicht, weil er etwas dazu gesagt hatte, sondern die Art, wie er es gesagt hatte. Dieses leicht belustigende in der Stimme, dieses arrogante, als würde er sich für etwas besseres halten und sich nur weil er äusserst gnädig war, mit mir abgeben. Mein Blick wurde zunehmend kühler und ich versuchte in einem ähnlich arroganten Ton wie er zu sprechen: „Klopf snächste mal an!“ John sah mich kurz schweigend an. Ich konnte nicht sagen, ob es ihn erstaunte, dass ich so schlagfertig war – es erstaunte mich selbst sogar! Aber bei ihm war es nicht festzustellen, seine Mimik offenbarte mir nichts davon, was er dachte, oder fühlte. Gar nichts, und das fand ich erschreckend. Vor allem, weil ich eigentlich eine gute Menschenkenntnis besass und Menschen deswegen recht gut einschätzen konnte. Nur er gab mir gerade ein Rätsel auf. Dann merkte ich, dass seine Mundwinkel leicht nach oben gezogen wurde, und ein Grinsen seine Lippen umspielte. Er sagte nichts mehr dazu, sondern ging langsam die Treppe nach oben. Ich sah ihm nach. Ein merkwürdiger Junge. Und – das war das schlimme daran – er wusste zu viel. Und so wie er sich gerade benommen hatte, würde er mit diesem Wissen sicherlich auch nicht gerade zurückhaltend gegenüber mir oder Bobby umgehen. Bobby wusste nicht, dass John davon wusste, schliesslich hatte er nicht gesehen, dass der Neuling gleichzeitig eingetreten war, als er mich hatte küssen wollen. „Was hat er gesagt? Huh, huh? Was habt ihr geredet? Ist er nett? Kitty, jetzt sag doch was!“ Wurde ich nun auch von Jubilation bedrängt, die bekannt dafür war, nicht zu schnell locker zu lassen. Mein Blick wanderte kurz zu Bobby, welcher dem neuen Mädchen eben mit einem Gepäckstück half. Natürlich musste auch er gesehen haben, dass ich und John einige Worte gewechselt hatte. Und wieder wäre es einfach verdammt praktisch, ein Telephat zu sein. Nur schon, weil man dann wüsste, was die anderen so über einem dachte. Für einmal beneidete ich Jean um ihre Fähigkeiten. „Jetzt sag schon, er ist sicher nett, was?“ Drängte Jubes mich erneut. „Er ist ein Idiot.“ Meinte ich kurz und knapp, ehe ich mich umdrehte und verschwand, um Jubilation nicht noch mehr Rede und Antwort über den dämlichen Neuen stehen zu müssen. Mir war gerade egal, was sie nun von mir dachte, aber er war nun einmal ein Idiot. Am besten ich ging ihm einfach aus dem Weg, dann würde das schon klappen. Ich schüttelte leicht den Kopf um diese durchaus lästige Erinnerung aus dem Kopf zu bringen, denn ihretwegen lächelte ich nun automatisch leicht, was ich überhaupt nicht vor gehabt hatte. Ich rollte mit den Augen über seine Worte und beschloss, dieses kleine Wiedersehen gleich wieder abzubrechen. „Geh mir aus dem Weg.“ Knurrte ich und ging einfach durch ihn hindurch, ohne abzuwarten, dass er meinen Befehl befolgte – Das tat er sowieso nie, hatte er niemals getan. Ich konnte hören, wie John die Fahndungsplakate zusammendrücke und sich ihrer schliesslich entledigte. Ohne mich umzudrehen ging ich stur weiter, obwohl es die falsche Richtung war und ich keine Ahnung hatte, wo ich eigentlich genau hinging. John war die letzte Person, die ich hatte treffen wollen, weshalb ich ihn auch nicht fragte, was er hier machte – Obwohl es zugegebenermassen merkwürdig war und mich vielleicht auch ein wenig neugierig machte. Ich musste Bobby finden und ihm helfen. Es war irgendwie ja auch meine Schuld, hatte ich ihn doch hierher bestellt. Irgendwie musste S.H.I.E.L.D davon Wind bekommen haben. Ich hatte zwar versucht, meine Spuren so gut wie möglich zu verwischen, aber die Tatsache, dass sie auf mich gewartet hatte, machte mir klar, wie berechenbar ich wohl sein musste. Vielleicht hatten sie ja irgendwie mein Handy gehackt oder ähnliches. Hinzu kam, dass ich ihn einfach so zurückgelassen hatte, was meine Schuldgefühle noch verstärkte. Die Reaktion von John kam natürlich prompt – Was hatte ich erwartet? Dass er mich einfach so gehen liess? Wohl kaum.. Ey du weißt, dass ich es hasse, wenn du das tust!“ Ich blieb nicht stehen, ging langsam weiter. Er konnte mich mal.. oder besser nicht.. oder.. Argh! Ignorieren war bei John immer schon die beste Möglichkeit gewesen, um ihn ruhig zu stellen, also versuchte ich es erneut mit ignorieren. „Du bist immer noch der gleiche Dickkopf wie früher!“ Dachte er wirklich, dass ich mich jetzt wieder zu ihm umdrehen würde? Er kannte mich vielleicht gut – leider. Aber dass hiess noch lange nicht, dass er mich mit Erinnerungen an die ‚alten Zeiten‘ dazu bringen konnte, wieder mit ihm zu reden. Er war selbst Schuld. Er ganz alleine. Hah..! Er sollte einfach nur wieder verschwinden, damit ich so tun konnte, als hätte ich mir sein Auftauchen nur eingebildet. „Ich gebs zu, ich bin auch immer noch ein Dickkopf. Und wir waren uns schon früher ähnlich, das weißt du. Du und ich waren beides Dickköpfe.“ Vielleicht haben wir uns auch deswegen so gut verstanden, dachte ich mir. Wobei, anfangs hatte ich ihn gehasst, was er mir aber auch ganz einfach gemacht hatte. „Und wir sind es noch immer.“ Langsam entfernte ich mich immer mehr von ihm, weshalb er lauter wurde. Ich blieb noch immer nicht stehen und ich hatte auch nicht vor, mich umzudrehen. Ich wollte ihn nicht mehr ansehen. Als hätte ich Angst davor, dass er Erinnerungen wach rief, die ich erfolgreich verdrängt hatte. Schmerzhafte Erinnerungen. „Ich meine, du bist ein Dickkopf, ich bin ein Dickkopf. Du bist ein Mutant, ich bin ein Mutant, wir waren beide irgendwie Aussenseiter. Ich gewollt, weil sie alle Angst vor mir hatten, du gezwungenermassen, weil nie wirklich wusstest, was du wolltest und dich nicht entscheiden konntest und obendrein zu schüchtern warst.“ Ignorier ihn..! Sagte ich mir, er konnte mir gar nichts, überhaupt nichts. Erst recht nicht mit alten Geschichten. „Ich bin vor was weggelaufen und du auch.“ Fügte John hinzu, ich schluckte, ging aber weiter. John wusste, dass er auf dem besten Weg war, mich zu knacken und er wusste auch ganz genau wie er dabei vorzugehen hatte. Er hatte sich in jedem Satz gesteigert und setzte seiner kleinen Rede nun das kleine, aber äusserst feine Krönchen auf, in dem er fast schon beiläufig erwähnte: „Ich hab meine Eltern getötet.. du hast deine Eltern getötet..“ Ich blieb ruckartig stehen. Meine Hände verkrampften sich zu Fäusten, als ich herumfuhr: „Ich habe meine Eltern nicht getötet, dass ist eine Lüge!!!“ Ich brüllte und normalerweise wären mir nun sicherlich die Tränen in die Augen gestiegen, aber es kam nichts. Ich konnte einfach nicht weinen. Aber irgendwie war ich froh darum. Tränen hätten meine Wut verzweifelt aussehen lassen. „Wage es nie wieder, dich mit mir zu vergleichen! Wir haben gar nichts gemeinsam!“ Ich stoppte und sah in sein Gesicht. Ich sah das bereite Grinsen, welches ich auch gesehen hatte, als ich zum ersten Mal mit ihm geredet hatte. Dieses Grinsen, dass etwas anerkennendes hatte, aber zugleich auch wieder spöttisch war. Ich realisierte, dass er das nur aus purer Berechnung gesagt hatte, nicht, weil er wirklich daran glaubte. Und das wiederum nur, damit ich mich zu ihm umdrehte. Ich schnaubte verächtlich auf, was war ich doch berechenbar. „Du hast sie also nicht selbst getötet? Aber du warst doch da, und es steht in allen Zeitungen..“ Ich brodelte innerlich, konnte aber nichts dagegen unternehmen, dass vor meinem inneren Augen wieder die Bilder aus dieser Nacht auftauchten. Schreckliche Bilder. Ich schüttelte energisch den Kopf, als wollte ich die Bilder aus meinem Kopf heraus schütteln. John war inzwischen näher gekommen, damit wir uns in normaler Lautstärke unterhalten konnten. „Ja, ich war da.. aber..“ Ich biss mir auf die Lippen, ehe ich erneut brüllte: „Ich musste mit ansehen, wie sie eiskalt abgeknallt wurden.“ Und er wagte es darüber zu reden, sich mit mir zu vergleichen. Und wieder hasste ich John fast schon über alles. Oder ich redete es mir zumindest ein. Ich hatte seine Art eigentlich doch sowieso von Anfang an gehasst. Er wagte es sich mit mir zu vergleichen, wo er doch seine eigenen Eltern auf dem Gewissen hatten. „Also nicht selbst getötet.“ Es klang schon wieder desinteressiert. „Schade für dich, isn spitzen Gefühl!“ Und das klang nun wiederum so gleichgültig. Als hätte es ihm gar nichts ausgemacht, seine Eltern umzubringen. Ihr verbranntes Fleisch zu riechen, ihre Schreckens und Schmerzensschreie zu hören. Und mir war klar, es war ihm egal. John musterte mich mit seinen dunkelbraunen Augen, die mich immer noch in ihren Bann zogen. Es war wieder dieser merkwürdige Blick. Ich sah kurz etwas irritiert an mir herab – wobei ich vergass, dass ich das schon am ersten Tag, als ich ihn kennen gelernt hatte, getan hatte. Als ich nichts interessantes entdecken konnte, fasste ich John erneut ins Auge. „Klar, da hab ich ja richtig was verpasst, wie? Du Mörder!“ Ich hatte es gesagt, bevor ich überhaupt nachgedacht hatte. Ich war kein Stück besser als er, hatte ich doch ebenfalls einige Menschen auf dem Gewissen – wenn auch erst seit einer Woche, das machte keinen Unterschied. Er schwieg. Ich biss mir auf die Lippen. Sein Schweigen sprach Bände. Ich musterte ihn nun selbst noch einmal etwas genauer. Er sah nicht heruntergekommen aus, es schien ihm gut zu gehen. Vielleicht etwas müde und etwas mehr mitgenommen als sonst, aber ich sah wahrscheinlich genauso aus. Über seine Frisur hatten wir zuvor schon geredet und ich musste zugeben, ich hatte gelogen. So schlecht sah es nicht aus. Aber da war wieder etwas, das mich stutzig machte. Ich hatte zuvor geglaubt, mir das lediglich eingebildet zu haben, aber tatsächlich: An seinem Hals entlang zogen sich stückweise Brandnarben. Ich liess meinen Blick zu seinen Händen wandern – Das einzige Stück Haut, das sonst von ihm zu sehen war – und auch dort waren Teilweise Brandnarben auszumachen. Nur in seinem Gesicht war nichts davon zu sehen. Ich fragte mich, ob sich die Brandnarben über den gesamten Körper erstreckten, oder ob wirklich nur die Teile betroffen waren, die ich sehen konnte. Aber eines war ganz klar: John Allerdyce verbrannte sich nicht.. niemals.. oder etwa doch? Er schwieg noch immer, bis er langsam seine Mundwinkel nach oben verzog und zu lachen begann. Er lachte laut und auch lange, sodass ich mir schon langsam wirklich dämlich vorkam. Ich wartete, bis er schliesslich – immer noch lachend – hervorbrachte: „Der war gut, Kitten. Wirklich gut..“ Von einem Augenblick auf den anderen wurde er todernst, was die ganze Situation umso gruseliger erscheinen liess. Er beugte sich zu mir vor, was mich dazu veranlasste, etwas zurückzuweichen: „Du hast deine Eltern getötet, ob dus nun wahr haben willst, oder nicht. Aber sei ehrlich zu dir selbst.. Wir beide wissen ganz genau, dass sie wohl noch leben würden, wenn du nicht da gewesen wärst.“ Ich schluckte, weil ich wusste, dass er Recht hatte. Schon wieder. Und John wusste das auch. Meine Fingernägel hatten sich inzwischen tief in mein Fleisch gebohrt, sodass ich gezwungen war, meine Hände etwas zu entspannen, als ich den brennenden Schmerz spürte. „Und schon wieder sind wir uns ähnlich, beides Mörder..“ Ich wollte eben erneut brüllen, dass wir überhaupt nichts gemeinsam hätten, als er hinzufügte: „Eine Frage..“ Ich blieb stumm und musterte ihn ernst. Er spielte den nachdenklichen. „Die restlichen Typen, von denen da noch die Rede war, in Zeitungen und so.. hast du die selbst getötet?“ Ich sah ihn perplex an. Das war jetzt aber nicht sein ernst, oder etwa doch? Halt.. ich stand hier vor John Allerdyce und konnte mir diese Frage ganz gut auch selbst beantworten. Und ob er das ernst meinte, obwohl die Frage auf diese Weise gestellt einfach nur von seinem schwarzen Humor zeugte. Ich rollte mit den Augen und knurrte: „Wenns dich so brennend interessiert...“ Ich legte eine Pause ein und merkte, wie Johns Blick zu meinen Lippen wanderte und dann auffordernd wieder zu meinen Augen. Es schien ihn also tatsächlich zu interessieren. Noch ein Grund, sich mehr zeit zu lassen. Geräuschvoll sog ich Luft ein, und meinte schliesslich, erstaundlich abgeklärt und genauso gleichgültig wie er zuvor: „Hab ich!“ Er war überrascht. Ich konnte es ihm deutlich ansehen, eigentlich war ich auch überrascht, aber in diesem Moment war ich so ausser mir gewesen, dass ich das Gefühl gehabt hatte, dass eine fremde Person meinen Körper lenkte, mich führte und mir den Mut und die Kraft gab, meine Angst oder auch die Skrupel, die ich sonst doch eigentlich hatte, zu überwinden. Wenn man John aber nicht wirklich gut kannte, dann hätte man wohl diese Überraschung auf seinen Gesichtszügen nicht erkannt. Die desinteressierte, arrogante Fassade war zu sehr einstudiert, als dass er sie einfach so fallen gelassen hätte. Aber ich kannte ihn lange und auch gut genug, um seine Gefühle in seinem Gesicht zu lesen, auch wenn er sie zu verbergen suchte. Ausserdem.. die Augen. Sie waren ein Spiegel seiner Seele. „Was machst du überhaupt hier?!“ Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, war ich zuvor doch einfach zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich über sein plötzliches Auftauchen aufzuregen, als das ich mich gedanklich bereits mit dem Grund eben jenen Auftauchens beschäftigt hätte. Aber seltsam war das ganze schon. Ich kam nach New York City und die erste bekannte Person, die ich traf, war John – mal von Bobby abgesehen, den ich so feige zurückgelassen hatte. Es mochte Zufälle geben, aber das hier war ein unmöglicher Zufall, wenn ich so darüber nachdachte. Ich verengte meine Augen und musterte ihn misstrauisch, auf seine Antwort wartend. „Könnte ich dich genau dasselbe nicht auch fragen?“ John grinste breit. Ich rollte mit den Augen. Wieso hatte ich das nur kommen sehen? Ich kannte ihn eben einfach zu gut. Seltsam, dass er sich nur äusserlich verändert hatte. Irgendwie konnte ich das nicht wirklich glauben, wusste ich doch, dass auch mein Charakter durch die Ereignisse der letzten Jahre verändert worden war. Zum guten, oder vielleicht auch zum schlechten. Ich wusste es nicht. Aber ich lebte eigentlich nur noch, der Rache wegen. „Ach vergiss es doch!“ Knurrte ich, weil ich keine Lust auf eine endlose Diskussion hatte. Dann wollte ich mich wieder weg drehen. Er packte mich jedoch blitzschnell am Arm und zog mich wieder herum. Ich konnte nicht anders als breit und triumphierend zu Grinsen. Dieser Gesichtsausdruck musste ihm sogleich klar machen, dass ich gewusst hatte, dass er das tun würde. Und ich wusste, dass es ihm so gar nicht gefallen würde, zu bemerkten, dass er für mich – zumindest zu einem kleinen Teil – berechenbar geworden war. „Was denn noch?“ Ich tat, als wüsste ich von nichts und setzte eine Unschuldsmine auf. John schwieg, weshalb ich ihn nur noch erwartungsvoller ansah. Jedoch wurde ich wieder leicht durch etwas abgelenkt. Die Brandnarben, die aus der Nähe nur noch besser zu sehen waren. Zwar war nichts davon in seinem Gesicht, jedoch waren schon am Hals leichte Ansätze zu sehen. Er hatte noch immer nichts gesagt, weshalb Kitty nach hakte: „Also?“ „Bobby hat mich herbestellt, wenn dus genau wissen willst.“ Gestand John schliesslich und liess mich im selben Zug auch schon los. Ich blinzelte verdutzt. Bobby hatte ihn herbestellt? Ich hatte Bobby herbestellt! „Vor ungefähr zwei Monaten hat er mir geschrieben, wo ich sei und dass er nach New York City kommen würde. Das übliche Gelaber von wegen treffen und so.“ John wirkte schon wieder regelrecht desinteressiert, wie er so seine Erzählung herunter leierte. „Ich.. keine Ahnung.. hab wohl nicht recht nachgedacht, denn ich hab ihm geschrieben, wo die Brotherhood ihr Versteck hat. Dachte mir.. Freiheitskämpfer und so.“ John zuckte mit den Schultern. Ich sah ihn mit geweiteten Augen an. Die Geschichte kannte ich doch, in leicht abgeänderter Form. Mein Mund wurde trocken. „Vor ner Woche oder so ist S.H.I.E.L.D. dann bei uns einmarschiert.. vollkommen überraschend. Mir war eigentlich klar, dass es nur meine Schuld sein konnte.“ Er wirkte irgendwie bedrückt, wobei bedrückt auch wieder das falsche Wort war. Bei John war es sowieso immer schwer, abzuschätzen, wie er sich gerade fühlte. Immerhin war er aber auch Meister darin, genau das zu verbergen. „Ich hab ihm vertraut! Verstehst du das.. vertraut!“ Johns Gesichtszüge zuckten und er wandte den Blick kurz ab. Seine Stimme gerade war hart und kalt. „Und er.. ist ein verdammter Kopfgeldjäger. Anders kann ich mir das nicht erklären. Nicht mal ich hätte ihm das zugetraut.“ Langsam wurde deutlich, dass Bobby John damit doch ziemlich enttäuscht hatte. Die Stimme des Feuerteufels war eindringlich, während sein Blick inzwischen wieder auf mir ruhte. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was er gerade dachte. Seine Augen waren ausdruckslos. Ich wagte es nicht, etwas zu sagen. „Wir hatten Glück im Unglück sozusagen. Die meisten kamen nur mit leichten Verletzungen davon. Auch Magneto konnte entkommen. Dafür..“ Er senkte den Kopf. „Haben sie Callisto.“ Das war ihm also vor einer Woche passiert.. genau wie mir ebenfalls etwas schreckliches passiert war. Aber im Gegensatz zu mir, machte er Bobby dafür verantwortlich. Eigentlich wäre das in meinem Fall auch naheliegend, hatte ich dem Eismutanten doch geschrieben, wo ich mich aufhielt. Ich konnte nicht verhindern, dass tief in meinem Innern gerade Zweifel an Bobby aufkamen. Daran, ob er mich wirklich hatte treffen wollen, oder aber einfach in eine Falle locken. Aber er war verletzt gewesen. Von S.H.I.E.L.D.. Wieso sollten sie einen der eigenen Leute verletzen? Das passte irgendwie nicht. Ausserdem war ich immer noch der festen Überzeugung, dass Bobby zu den guten gehören musste. Nur schon wegen dessen Charakter. „Und dieser verdammte Mistkerl wagt es danach auch noch, mich zu diesem Treffen zu bestellen.. Hah!“ John lachte bitter auf und schüttelte dann den Kopf. „Ich bin nur hier, um ihm meine Meinung dazu zu sagen.. was ich auch getan habe. Scheiss Icedick.“ John steckte sich eine Kippe zwischen die Zähne. Sein Feuerzeug flammte auf und wie von Zauberhand wanderte das Feuer zur Kippe. „Eine Falle, klar.. aber das war’s mir wert. Ausserdem hast du für ne klasse Ablenkung gesorgt. Sollte dir also dankbar sein.“ John grinste leicht, jedoch waren im nächsten Moment die Emotionen, welche er für kurze Zeit gezeigt hatte, auch schon wieder gänzlich aus seinem Gesicht gewichen. Ich sah ihn an. Wem sollte ich nun glauben? John oder Bobby. Mal ganz ehrlich. Bobby erschien mir nach Johns Erzählung absolut unglaubhaft, jedoch war da die Tatsache, dass John es mir erzählt hatte. John.. hah! Dem Typen konnte ich erst recht nicht glauben. Ich blieb also unschlüssig. „Du bist also nicht die einzige, Kitten, für die nich alles so gelaufen is, wies hätte sollen. Das ist der Krieg. Alle gegen Alle.. wies scheint.“ Ich konnte nur müde lächeln. Ein trauriges Lächeln. Krieg. In NYC spürte man nichts vom Krieg, der im Westen tobte. Hier war es wie wenn man in einem Glashaus lebte und einfach zu blind war, die Ereignisse, die um einem herum geschahen, zu sehen. Einziges Zeichen von den Unruhen im Westen waren wohl Terroristen, wie die Brotherhood. Auch wenn die Regierung um jeden preis versuchte, deren Aktionen so geheim wie möglich zu halten. „Ich muss Bobby finden.“ Meinte ich bestimmt. John sah mit einem seltsamen Blick an, den ich schon wieder nicht deuten konnte. Vielleicht hatte ich vergessen, wie man in seinem Gesicht ablesen konnte, was er dachte. Ich hatte mich also entschieden. Bobby erschien mir glaubhafter als John, doch sein Blick irritierte mich. Schnell wollte ich mich erneut abdrehen. John meinte trocken: „Was habe ich getan, dass du denkst, ich bin der Feind?! Die Brotherhood ist nicht dein Feind. Schon vergessen, es gibt keine X-Men mehr. Xavier wird eh bald verrecken. Es gibt keine Weltretter mehr. Es wird auch keinen Frieden zwischen Menschen und Mutanten geben. Sieh nur, was sie dir angetan haben! Ich habe dir das nicht angetan. Ich bin nicht dein Feind!“ Den letzten Satz betonte John besonders. Ich schluckte. Schon wieder. Jedoch brachten mich seine Worte schon wieder dazu, stehen zu bleiben. „Der Feind sind die Menschen. Kapiers endlich! Ich will dir nichts tun.“ John grinste. „Wieso sollte ich? Dazu hast du mir auch keinen Grund gegeben. Ausserdem..“ John machte eine Pause und musterte mich vielsagend. Dann lächelte er leicht – ein richtiges Lächeln! – und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Soll jetzt nich kitschig klingen, aber wenn ich mich nicht irre, sind wir beste Freunde.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, war absolut überrascht von diesen Worten. Bevor ich dazu kam, noch etwas zu sagen, meinte er plötzlich: „Hunger?“ Der Feuerteufel nickte in Richtung Bleeker’s und fügte grinsend hinzu: „Um der alten Zeiten Willen?“ Er drehte sich um und ging langsam in Richtung des Lokals. Ich blieb stehen und irgendwie schien er das zu wissen, denn er meinte ohne sich umzudrehen über seine Schultern: „Ich lade dich ein.“ Ich zögerte, aber mein Magen sagte ganz deutlich: Ja! Mein Gefühl wiederum sagte nein, aber das lag wohl einfach an der Tatsache, dass es John war, der mich gerade eingeladen hatte. Aber gerade war Essen wirklich notwendig, so ausgehungert, wie ich war. Wenn ich nichts ass, würde ich früher oder später zusammen klappen. Auch wenn mir nicht nach essen zu Mute war so musste ich mich wohl einfach dazu zwingen. John hatte bereits die Türe aufgestossen und betrat das kleine Lokal. Eigentlich wahnsinnig, da wir beide gesuchte Verbrecher waren. Aber John schien dieses Tatsache einfach zu ignorieren. Eigentlich sahen wir den Gesichtern auf den Plakaten nur noch ähnlich, waren aber nicht mehr die gleichen. Sowohl äusserlich, als auch innerlich. Zumindest nicht ganz. Ich folgte noch recht zögerlich und sah mich um. Alles wie früher. Nur die Bedienung war nicht mehr dieselbe. Margret, die nette Latina mit den etwas zu strengen Gesichtszügen war nirgends zu sehen. Vielleicht hatte sie aber auch einfach zu einer anderen Zeit als früher Schicht. John hatte sich bereits gesetzt. An den Tisch ganz in der Ecke. Den grossen, runden. An diesem Tisch hatten wir immer gesessen. Wenn das mal keine Absicht war. Vor meinem inneren Auge erschien eine Gruppe jugendlicher die Lachend und quatschend – in manchen Fällen auch nur noch lallend – um den Tisch herumsass. Meist zu verboten später Stunde. Ich verzog missmutig den Mund, folgte aber erst einmal wortlos und liess mich neben ihm nieder. Also hatte er es tatsächlich vollkommen ernst gemeint mit dem ‚Wie in alten Zeiten‘. Er grinste mir zu, wohl wissend, dass mir das ganze nicht sonderlich gefiel. Ich erwiderte den Blick nur mit einem bösen Augenfunkeln. Er wusste ganz genau warum. Ich bemerkte dabei gar nicht, dass die Bedienung sich uns genähert hatte. Um diese Zeit war es eigentlich kein Wunder, waren wir doch die einzigen im ganzen Lokal. Die junge Frau wirkte reichlich verschlafen und musste wohl peinlichst darauf achten, nicht alle paar Minuten den Mund aufzureissen und zu gähnen. „Heissen Kakao und Pfannkuchen, aber keinen Ahornsirup. Honig.“ Bestellte John – ich sah ihn gleich noch böser an – und lächelte der Frau zu. Was für eine Wirkung. Ihr müdes, genervtes Gesicht hellte sich sogleich auf. Sie nickte eifrig, sagte irgend etwas, John sagte irgend einen dämlichen Spruch, sie kicherte und verschwand. Ich rollte mit den Augen. Alter Charmeur! Mein Gesicht hatte sich jedoch verdunkelt. Er hatte für mich bestellt! Ohne mich zu fragen. Wie konnte er es wagen, und dabei noch so dämlich grinsen. Aber nicht die Tatsache, dass er für mich bestellt hatte, verärgerte mich, sondern vielmehr, waser für mich bestellt hatte. Ich hatte es praktisch immer gegessen. In genau dieser Komposition. Die Pfannkuchen hier waren so klasse. Kakao zog ich Kaffee sowieso immer vor und Honig.. das ging einfach über alles. Wollte er mir etwa damit beweisen, wie gut er mich doch kannte? Das liess ich mir nicht gefallen.. „Moment!“ Beorderte ich die junge Frau entschieden zurück. Ich bekam einen genervten Fragenden Blick von ihr, während sie schon wieder dabei war, John mit ihrem Blick eindeutig zu zeigen, dass sie ihn eigentlich gerne auch gleich ausgezogen hätte. „Ersetzen Sie den Kakao durch Kaffee. Stark.“ Ich hasse Kaffe! Ich zwang mich zu einem Lächeln, als ich den Kopf zu John drehte. Für mich fühlte sich mein eigenes Lächeln jedoch selbst äusserst bitter an. Dann fügte ich hinzu: „Und statt Pfannkuchen bitte einfach nur gar nichts.“ Ich fixierte John ernst mit meine hellen, braunen Augen. „Die Zeiten sind nun wirklich vorbei.“ Fügte ich mit Nachdruck hinzu. Er sah mit einfach nur an. Schweigend. Ich versuchte auszumachen, was er über meine Reaktion dachte, die zweifelsohne nur aus Trotz gewesen war, um ihm zu beweisen, dass er mich nicht mehr kannte. Ich wünschte mir ja auch, dass er mich niemals so gut gekannt hätte, wie er mich eben gekannt hatte – oder es vielleicht sogar immer noch tat. Aber ich konnte nicht erkennen, was er davon hielt. Vielmehr bekam ich, je länger ich ihn ansah, immer mehr das Gefühl, dass es ihn eigentlich gar nicht interessierte. Die Bedienung sah erwartungsvoll zwischen uns hin und her, als schien sie darauf zu warten, dass John sein Ok gab. Dieser zuckte lediglich mit den Schultern und sie trollte sich. John schwieg weiterhin. Wartete er gerade darauf, dass ich das Gespräch wieder aufnahm? Ich hatte schon wieder keine Ahnung, was ich sagen sollte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er auf meine offensichtliche Provokation – die Änderung seiner Bestellung – eingehen würde. Doch das hatte er nicht getan. Ich strich langsam mit dem Zeigefinger über den Holztisch. Hin und wieder her. Hin und her. Ab und an sah ich fast schon schuldbewusst hoch, bis er schliesslich meinte: „Die Zeiten sind wirklich vorbei.“ Jetzt! Ich sah es! Ganz deutlich.. In seinen Augen lag etwas, was ich wohl als einzige Person erkennen konnte. Trauer. Schmerz. Wie auch immer man es bei John nennen mochte. „Schade drum ists ja nicht…“ Ich schnappte ungewohnt heftig nach Luft, denn diesen Tonfall kannte ich genau. Er kündigte etwas an. Wie bei einem Tiger, der sich langsam an sein Opfer anpirschte . Ich zog eine Augenbraue nach oben und musterte ihn. John steckte sich in aller Seelenruhe eine Kippe an, ehe er beiläufig meinte: „Ausser natürlich du vermisst es, von Drake gevögelt zu werden.“ Jetzt erst wurde mir richtig klar, dass ich ihn mit der Handlung zuvor irgendwie doch verletzt haben musste, ansonsten würde er sich nicht auf dieses Niveau runterlassen. Eigentlich würde sich niemand auf so ein Niveau runterlassen, aber ich sprach hier ja nicht umsonst mit John Allerdyce. Er zog die Mundwinkel zu einem süffisanten, beinahe schon geniesserischen Grinsen nach Oben, denn er wusste, dass dieser Satz gleich Wirkung zeigen würde. Dass er mich damit in einen brodelnden Vulkan verwandelt hatte. Ich hasste es, dass er mich so gut kannte! Meine Hände hatten sich unmerklich zu Fäusten geballt. Wie konnte er nur! Ja.. ich wusste ganz genau, warum ich John Allerdyce gehasst habe und warum ich ihn wieder hasste. Ich bemerkte, dass ich leicht bebte. Mein Mund öffnete sich und ich wollte losbrüllen, ihn anfauchen, anfahren, anfallen. Mit meinen Fäusten auf ihn einschlagen, ihn kratzen, beissen. Ihm weh tun! Ihm sein Grinsen aus dem Leib prügeln. „Sooo bitteschön!“ Ich fuhr herum und atmete unregelmässig. Die Kellnerin wurde mit einem mörderischen Blick angesehen, während sie den Kaffee auf dem Tisch abstellte. Ihr schien das gar nicht aufzufallen, sie war zu abgelenkt von dem Grinsen, welches John ihr zuwarf. Erneutes Kichern. Ich wollte ihm den Hals umdrehen. Sie verschwand, aber nicht, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er sah ihr nach. Ich wollte seinen Kopf so lange auf den Tisch schlagen, bis er aufhörte zu grinsen. Er drehte eben jenen Kopf zu mir. Immer noch grinsend. Und mir fiel auf, dass es genau das falsche war. Dass er erwartete, dass ich gleich meine volle Wut auf ihn losliess und das es deshalb besser war, genau das Gegenteil davon zu machen. Das würde ihn verwirren. Dann würde er merken, dass er nicht mehr abschätzen konnte, wie ich auf was reagierte. Perfekt! Ich lächelte nicht, wurde aber bei dem Gedanken daran ruhiger und meinte schliesslich, nachdem ich scharf Luft eingesogen hatte: „Frag mich nie wieder, warum ich dich hasse.. das kannst du dir doch sowieso auch viel besser gleich selbst beantworten!“ Ich schob den Stuhl zurück und erhob mich in derselben Bewegung auch gleich. John blinzelte und sah mich regelrecht perplex an. Damit hatte er nicht gerechnet. Innerlich lachte ich mir ins Fäustchen. Ich hatte ihn kalt erwischt. Äusserlich drehte ich mich einfach um und ging. Mit eiligen Schritten hatte ich das Bleeker’s auch schon durchquert und hatte die Tür erreicht. Er rief nicht nach mir. Vielleicht liess er mich einfach ziehen und ich konnte die Begegnung verdrängen. Ich griff eiligst nach dem Türknauf, als ich nun doch seine Stimme vernahm: „Kitten!“ Ich hörte, wie er seinen Stuhl ebenfalls aus dem Weg schob. Nein. Nein! Ich schloss kurz die Augen und drückte die Tür auf. Ein Schritt weiter und ich stand draussen. Ein unglaublich grelles Licht ging plötzlich an, als ob jemand plötzlich von Nacht auf Tag umgeschaltet hätte. Ich hielt mir verzweifelt den Arm vor die Augen, in der Hoffnung irgendetwas erkennen zu können, aber das Licht war zu hell. „Wir haben sie!“ Hörte ich eine Stimme durch ein Megafon. Ich spürte, wie mir schlecht wurde. Bitte nicht, wieso hatten sie mich nur so schnell gefunden?! Hass ist nicht das Gegenteil von Liebe, das wäre Gleichgültigkeit. Ich habe John die meiste Zeit, die ich ihn kannte gehasst, aber er war mir niemals Gleichgültig. Meinen Eltern habe ich nie von ihm erzählt, auch nicht in der Zeit, in der er mein bester Freund war. Bobby war der einzige, dem ich sie einmal vorstellte und auch der einzige, von dem ich ihnen erzählte. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich lediglich alles gute, was John tat auf Bobby projiziert. Kannten meine Eltern also Bobby oder in Wahrheit doch John? Chapter Three: Das Bleeker‘s - End Kapitel 3: Der weisse Ritter in schwarzer Rüstung ------------------------------------------------- Der weisse Ritter in schwarzer Rüstung Meine Eltern haben mir, wie vielen anderen Kindern auch, stets gepredigt, ich solle nicht mit Fremden mitgehen, nicht in fremde Autos steigen, nichts von Fremden annehmen, denn Fremden darf man nicht trauen. Früher hatte ich mir – zumindest während einem kurzen Zeitraum – sicher sein können, dass ich John wirklich kannte, dass ich ihm vertrauen konnte, dass mir nichts an ihm fremd war, dass ich selbst seine dunkelsten Geheimnisse kannte – das glaubte ich zumindest. Jetzt aber, wo ich ihm gegenüber stand und ihm in die Augen sah, war ich mir, je länger es dauerte, desto sicherer, dass wir inzwischen beide Fremde geworden waren. Er versuchte es zwar zu verbergen, aber ich spürte deutlich, dass er sich ebenfalls verändert hatte, genau wie ich mich verändert hatte. Wieso also mit ihm gehen? „Oh wie schön.. sie kann sogar lächeln.“ Raunte ich Jubilation zu, welche neben mir sass, die Füsse auf dem Tisch drapiert und an ihrem Handy rumfummelnd. Wir sassen an einem Tisch, der sich auf dem Campus der Bayville High School befand. Meine Stimme klang ungewollt zynisch und leicht spöttisch. Die junge Asiatin hob kurz und unverschämt teilnahmslos den Kopf, grinste leicht über meine Bemerkung, nickte und senkte dann ihren Kopf wieder auf das Display. Wahrscheinlich schrieb sie gerade mal wieder mit Scott Summers, auf den sie – obwohl er so gar nicht in ihr Beuteschema passte – ein Auge geworfen hatte. Scott seinerseits hatte ein Auge auf Jean geworfen. Schon immer und jedem ausser der, die es eigentlich betraf, hatte das schon bemerkt. Der Rotschopf seinerseits bandelte da viel lieber mit Duncan Matthews, dem Captain des Footballteams an. Vielleicht war genau das Jubilations Antrieb: Jean Scott wegschnappen und sehen, ob Miss Perfect eifersüchtig wurde. So eine Aktion wäre dann wiederum typisch Jubilation. Ergo, sie hatte also kein Interesse für meine Probleme. Wobei ich ihr ja auch gar nichts von meinen wirklichen Problemen erzählt hatte, also war ich deswegen irgendwie selbst schuld, dass sie sich keinen Deut dafür interessierte. Ich rollte mit den Augen und fixierte mit selbigen kurz darauf auch schon wieder die eigentlich so in sich gekehrte Neue, die praktisch immer einen mürrischen Gesichtsausdruck hatte und den Braunhaarigen Jungen neben ihr, der es soeben geschaffte hatte, ihren Lippen ein Lächeln zu entlocken. Bobby Drake machte immer Scherze. Für ihn war das Leben auch nur ein Spiel. Er liess sich treiben und war sich gerade ganz offensichtlich nicht bewusst, dass ich ihn beobachtete. Dass ich ihn schon die ganze Zeit beobachtete seit dieses Mädchen – Sie war durchaus hübsch, in einer ganz eigenen Art und Weise – ans Institut gekommen war. Ich war vielleicht leicht verblendet von der Tatsache, dass ich einiges für Bobby empfand, aber blöde war ich deswegen nicht. Ich hatte ganz deutlich die Blicke gesehen, die er mit ihr austauschte. Zu oft konnte man die beiden gemeinsam beobachten.. Und je mehr er sich mit ihr abgab, desto weniger Zeit hatte er für mich – Bildete ich mir das nur ein? Auf diese Weise hatte er mich auf jeden Fall dazu gebracht, mich mehr für ihn zu interessieren. Die Tage, an denen er Luft für mich war, gab es kaum oder gar nicht mehr. Ich wurde das Gefühl deswegen auch nicht wirklich los, dass er das lediglich tat, um zu sehen ob ich eifersüchtig werde oder nicht. Ich knirschte missmutig mit den Zähnen als Bobby Rogue – was für ein Name! Die Hand auf die Schulter legte. „Ich muss los!“ Meinte Jubilation plötzlich und ohne Vorwarnung. Ich zuckte zusammen und fühlte mich irgendwie ertappt – bei was auch immer. Ich nickte nur leicht, denn Fragen, wohin die schöne Asiatin verschwand, wäre überflüssig gewesen. Wahrscheinlich ein – wie sie es nannte – Date mit Scott. Wobei sie es so arrangiert hatte, dass er ihr Nachhilfe in Mathematik gab. Der gute Cyclops hatte also wohl kaum eine Ahnung, worum es sich bei diesem Treffen wirklich handelte. Jubes kramte ihre Bücher zusammen, drückte mir einen Kuss auf die Wange und trollte sich fröhlich vor sich hin summend. Sie liess mich in meiner aufkommenden Bitterkeit über das, was sich gerade vor meinen Augen abspielte, alleine. Meine Körperhaltung verkrampfte sich immer mehr. Rogues Lachen konnte man bis zu mir rüber hören. In der Zwischenzeit hatte Bobby sie bereits kurz gedrückt, worauf sie jedoch eher ängstlich reagiert und sich von ihm entfernt hatte. Vielleicht extreme Schüchternheit. Jetzt redete der Braunhaarige eifrig auf sie ein. „Lass mich raten, du erzählst ihr gerade den Witz von dem Masochisten und dem Hund.“ Ich schnaubte verächtlich, als ich diese Worte vor mich hin murmelte. Diesen Witz erzählte er allen, vor allem, wenn er mit einem Flirtete. Er funktionierte einfach immer. Und auch sie musste lachen. Das Mädchen drehte sich scherzhaft von Bobby weg, damit er um sie herum eilen musste um sich vor sie zu stellen, damit sie nicht weglief. Sie brachen beide in Lachen aus, mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich hatte genug davon. Entschieden packte ich meine Sachen zusammen und warf sie in einem Anflug von Wut in meine Schultasche. Dann erhob ich mich und rauschte davon, um die erstbeste Ecke, die ich finden konnte. Ich musste schlucken, denn irgendwie verletzte er mich nur schon, wenn ich sehen konnte, mit was für Augen er sie ansah. Ganz anders als alle anderen. Und auch ganz anders als er mich ansah. Mich sah er niemals so an. Ich biss mir auf die Lippen. Vielleicht sah er sie so an, weil er sie nicht berühren konnte. Vielleicht versuchte er mit Blicken auszudrücken, was er sonst mit Körperkontakt zu tun gedachte. Aber das änderte nichts daran, dass er sie niemals berühren können würde. Niemals! Mich konnte er berühren. Ein Vorteil, den ich auch sicherlich nutzen würde… Ich stampfte durch die Gegend, ohne bestimmtest Ziel und auch ohne auf den Weg zu achten. Kein Wunder also, dass ich gegen etwas oder jemanden lief. Dass es sich dabei um keinen Gegenstand handelte, fiel mir spätestens dann auf, als ich angeblafft wurde. Ich blinzelte verdutzt und reckte meinen Hals etwas, um meinen Kopf leichter nach oben zu heben. „Kannst du nicht aufpassen?!“ Ich sah mich kurz um. Inzwischen befand ich mich also bereits bei der Sporthalle und – au fuck! – inmitten von Footballspielern, deren Captain ich soeben angerempelt hatte. „Haben wir wohl heute die Nerd-Brille zu Hause vergessen, was Pryde?!“ Ich wich zurück. Das erweis sich aber als unnötig, denn Duncan Matthews – ein blonder, blauäugiger Junge, mit Hang zur Selbstüberschätzung und Dummheit und der obendrein noch ein Auge auf Jean Grey geworfen hatte – mir einen heftigen Stoss verpasste. Ich taumelte rückwärts und wurde natürlich sogleich von zwei Muskelbepackten Armpaaren gefangen. Zu gütig! Meine Tasche war zu Boden gegangen und Duncan hob sie langsam auf, während seine Scherben mir beinahe beide Arme brachen. „Pfoten weg davon!“ Reif ich empört aus und zog und zerrte verzweifelt, um mich zu befreien. Natürlich hätte ich nur einmal meine Fähigkeiten einzusetzen gebraucht und mein Problem wäre gelöst gewesen. Jedoch war das ja von Xavier aus verboten und obendrein noch geheim. Duncan machte keine Anstalten meinen Befehlen folge zu leisen, sondern öffnete die Tasche hämisch grinsend. Schlagartig wurde mir bewusst, was sich in meiner Tasche befand und meine Gegenwehr wurde stärker: „Lass den Scheiss!“ Brüllte ich. Meine Körperkraft war natürlich noch immer nicht ausreichend. Duncan war wohl überrascht, dass ich gleich so dermassen austickte, aber umso sadistischer war sein Grinsen. Er warf einen Blick in die Tasche und begann betont langsam meine Schulsachen herauszuholen. „Langweilig.. Langweilig.. Langweilig..“ Schreibetui.. Block Papier… Handy. Die Sachen, die er herausfischte wurden praktisch alle achtlos auf den Boden geworfen. Ich versuchte ihn mit ihren Blicken zu töten und gleichzeitig mit Schweigen zu bestrafen. Vielleicht würde er so merken, wie dämlich und kindisch das war, was er da gerade tat. Aber eigentlich war das auch nur eine Hoffnung entstanden aus Verzweiflung. „Langweilig..“ Wirf es auf den Boden!! Wirf es auf den Boden! Dachte ich angestrengt, als ich erkannte, dass er jetzt ein kleines Büchlein mit rosafarbenem Umschlag in der Hand hielt. Die Vorderseite war mit kleinen Steinchen belegt, die glitzerten und eine Art Mosaik bildeten. Das Ganze war gespickt mit künstlichem weissem Fell. „Lang..“ Duncan drehte das Büchlein und schien soeben zum Schluss gekommen zu sein, dass es sich definitiv nicht um ein Schulbuch handeln konnte. Ich verzog den Mund. Der Blondschopf klappte das Buch auf und liess seinen Blick kurz prüfend über die aufgeschlagene Seite wandern. „Interessant..“ Er zog gleichzeitig mehrere Male hintereinander beide Brauen hoch. Ich schüttelte nur leicht den Kopf, mehr zu mir selbst als zu ihm. „Hört mal her, Jungs.“ Meinte Duncan amüsiert und tippte dabei breit Grinsend auf das Papier. „22. Juli.. Bobby wollte es heute tun. ES! Das ganze fing eigentlich total harmlos an.. bla..blabla.. blabla…“ Duncan übersprang wohl den für ihn unwichtigen Teil. Das war peinlich, mehr als peinlich: Es war demütigend. Ich wäre am liebsten im Boden versunken und kämpfte aufkommende Tränen. Aus Wut, aus purer Verzweiflung wurden meine Augen nämlich langsam feucht. „Er war wirklich ein wahrer Gentleman heute. So einen Typen, den sich jede wünscht. So einer, der einem die Tür des Wagens aufhält, den Stuhl zurückschiebt, ect. Nach dem Essen ging ich mit ihm auf sein Zimmer. Es war von Gute-Nacht-Kuss die Rede. Dagegen hatte ich natürlich überhaupt nichts, im Gegenteil. Wir betraten das Zimmer mit den zwei Betten, das er noch immer alleine bewohnte. Er meinte er müsse kurz noch auf Toilette. Ich warf einen Blick in den Spiegel und in diesem Moment war mir auch irgendwie klar, worauf diese Gute-Nacht-Sache hinauslaufen sollte. Ich fuhr mir durch die Haare und war mir nicht mehr sicher, was ich überhaupt hier machte. Immerhin waren wir nicht einmal zusammen. Darüber hatten wir nie gesprochen. Niemand wusste von uns. Alle dachten, wir wären lediglich gute Freunde. Und jetzt stand ich hier und sah in den Spiegel. Die Tür ging auf und Bobby kam herein. Wir liessen uns auf seinem Bett nieder. Er roch so gut. So wie er eben immer riecht. Irgendwann haben wir begonnen, rumzumachen. Oh Leute.. ich seh schon, gleich wird’s richtig spannend.“ Feixte Duncan und lachte dreckig auf, die restlichen Typen um mich herum stimmten ein. Es war inzwischen gar nicht mehr nötig, mich festzuhalten, denn meine Gegenwehr war vorbei. Gerade wollte ich wirklich nur hier weg, aber meine Beine zitterten, weshalb mir das wohl kaum gelungen wäre. „Er zog mir mein Oberteil vom Leib und machte sich dann an meinen BH. Ich streifte ihm meinerseits sein Shirt ab. Er war über mir, deutlich zu spüren. Alles von ihm. Wirklich alles. Irgendwie war ich nicht so glücklich, wie ich mir immer ausgemalt hatte, dass ich es sein würde. Irgendwie stimmte da etwas nicht. Er drückte mir heisse Küsse auf die Haut und ich spürte, wie seine Hände langsam tiefer gingen, zu meiner Hose. Er wollte sie ebenfalls abstreifen.. Ich konnte es nicht. Ach Gott.. wie süss. Der arme Typ.“ War Duncans Kommentar dazu. Inzwischen hielt ich den Kopf gesenkt, denn er brauchte nicht unbedingt zu sehen, dass ich weinte und auch schon einige Tropfen zwischen meinen Füssen zu Boden gegangen waren. „Ich habe ihm gesagt, ich sei noch nicht bereit dafür. Ich habe genau gespürt, dass ihm das überhaupt nicht gefiel. Danach war er wieder kühler. Wir lagen nebeneinender, meine Hand lag in seiner, er fuhr sanft über meinen Körper. Ich fühlte mich fehl am Platze. Es war bereits vier Uhr morgens. Ich sagte ihm gute Nacht und verschwand. Das Gefühl der Geborgenheit war ebenfalls verschwunden. Ich weinte bis sechs Uhr morgens über meine eigene Dummheit. Was für ein dummes kleines Mädchen du doch bist, Pryde. Ich bin allerdings erstaunt, dass du scheinbar doch noch ein Leben neben der Schule auf die Reihe kriegst. Oder wie man liest doch nicht so ganz.“ Er lachte erneut. „Mal sehen, was es noch so interessantes darin zu finden gibt.. blättern wir mal weiter.“ Kündigte er an und wurde plötzlich unterbrochen: „Schon mal was von Privatsphäre gehört, Idiot?!“ Mein Beschützer. Mein Retter. Mein Ritter in der weissen Weste. Bobby! Ich sah auf.. John Allerdyce. Meine Augen weiteten sich. Das war der falsche Ritter und doch war er hier. Alleine und stellte sich mit dieser Frage gerade zwischen mich und das ganze Footballteam…. Und wie damals stand er vor mir. Das war auch der eigentliche Grund, warum die Erinnerungen gerade in meinem Klopf herumschwirrten. John stand vor mir und erstrahlte in dem grellen Licht tatsächlich wie ein Ritter in weisser Rüstung. Wie war er bloss so schnell an mir vorbei gelangt? Noch dazu so, dass ich es nicht einmal bemerkt hatte. Das lag aber wohl vielmehr daran, dass ich viel zu überrumpelt war. „Worauf wartest du denn noch?! Renn!“ Brüllte John und drückte mich der Wand entlang. Mir war klar, dass ich jetzt verschwinden musste. Aber ich konnte ihn doch nicht alleine hier lassen – war ich zuvor nicht eben noch sauer auf ihn gewesen? Ich machte einige Schritte vorwärts, entschied mich aber daraufhin, doch wieder zurück zu gehen und machte eine Kehrtwendung. Mir war erst bewusst, in was für einer Gefahr wir uns eigentlich befanden, als Schüsse durch die Luft surrten. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Oberschenkel. Der plötzliche Schmerz liess mich aufschreien und einknicken. Ich tastete nach einer Wunde und spürte etwas warmes, was an meinen Handflächen haften blieb. Als ich meine Hände betrachtete, sah es exakt so aus, wie an dem Tag, an dem meine Eltern ermordet worden waren. Blutverschmiert. Bei diesem Anblick war ich plötzlich wie gelähmt. So bekam ich nur am Rande mit, wie John einige Feuersalven auf unsere Angreifer abgab. Dann wurde ich hochgerissen und mitgezogen. Aber wegen der Verletzung und dem damit verbundenen Schmerz, war es mir kaum möglich aufrecht zu gehen. „Jetzt komm schon.“ Hörte ich Johns durchdringende Stimme. Er nutzte die kurze Feuerpause, die er sich mit seinem Gegenangriff verschafft hatte, um mich auf die Beine zu reissen und mit sich zu ziehen. Doch mein rechtes Bein hielt dies kaum aus. Bei jedem Schritt gab es nach und ich wäre wohl auch jedes Mal zusammengesackt, wenn er mich nicht gehalten hätte. John stoppte und hob mich hoch. Automatisch legte ich meine Arme um seinen Hals und krallte mich an seinen Körper. Mir war nach Heulen zu Mute, auch wenn wie immer seit dem Tode meiner Eltern keine Tränen kamen. Der Feuerteufel trug mich weiter und ich hörte plötzlich seine Stimme an meinem Ohr: „Phase uns.. konzentrier dich! Du musst phasen!“ Eindringlich aber trotzdem irgendwie sanft. Ich zitterte. Ich hatte es vorhin auch nicht geschafft, ich würde es wohl auch diesmal nicht hinbekommen. Schüsse surrten erneut durch die Luft. Ich kniff die Augen zu. Mein Kopf lag an Johns Brust. Sein Herz schlug wie wild. Vielleicht aus Angst, aber wahrscheinlich auch vor Anstrengung. „Phasen!!!“ Brüllte der Feuerteufel und ich konzentrierte mich so gut es ging. Wir schritten durch eine Hauswand. Er eilte weiter. Die nächste Wand. Und weiter. Immer weiter. Ich fragte mich nach einiger Zeit, woher er die Kondition dafür nahm. Ich wog zwar noch weniger als früher – während ich mich versteckt gehalten hatte, hatte sich mein Appetit wirklich in Grenzen gehalten – aber trotzdem legte er eine ganz schöne Strecke mit mir in den Armen zurück. Nicht zu verachten. Ich sagte nichts. Ich fragte nicht einmal, wo er eigentlich hinlief. Ich war müde. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Wütend machte der Braunhaarige mit einem blaufarbenem Auge und einem braunfarbenem Auge einige Schritte. Dann drehte er sich mit Schwung um und zischte mit wutverzerrtem Gesicht: „Was sollte das?! Ich sagte wir brauchen sie lebend!“ Seine Untergebenen wichen ehrfürchtig und furchtsam zurück. Niemand wagte, etwas zu sagen. Nicht einmal um sich zu verteidigen. Der Braunhaarige wollte eben weiterreden, als sein Handy surrte. Verärgert zog er es hervor. Sein Gesichtsausdruck wurde leicht gequält, als er sah, wer ihn da gerade anklingelte. „Sir?“ Meldete er sich zerknirscht. „Nein, wir haben sie noch immer nicht. Nein.. ja ich weiss.“ Er nickte dabei leicht und entfernte sich einige Schritte von den Anderen. „Ich dachte du hättest einen Plan, wie wir der kleine Phaserin zeigen können, wo ihr Platz ist?“ Meinte eine Stimme am anderen Ende. „Ja, Sir, der Plan wurde bereits eingeleitet.“ Gab der andere zurück. „Scheint ja nicht sonderlich gut zu fuktionieren… Dein Plan scheint ja nicht unbedingt das zu machen, was du wollen..?“ Meinte die Stimme am anderen Ende, leicht provozierend. „Keine Sorge. Ich hab alles im Griff.“ Knurrte der Braunhaarige. „Ich kriege sie früher oder später alle.“ „Das hoffe ich für dich, denn weitere Fehler solltest du dir nicht mehr leisten, Avalanch.“ Das andere Ende der Leitung war tot. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Ich blinzelte verdutzt. Gerade er hier. Nicht Bobby, nicht Piotr – der sonst ebenfalls peinlichst darum bemüht war, dass mir, der kleinen Kitty au ja nichts passierte. Nein, der Neue. Der Australier fuhr erstaunlich selbstbewusst fort: „Oder würde es dir gefallen, wenn ich jedem von der sicherlich vorhandenen Schwulenpornosammlung erzählen würde, die du vor deiner Mummy unter deinem Bett versteckst?“ Duncan besass höchst wahrscheinlich keine solche Pornosammlung. John schaffte es aber, das ganze fast glaubhaft rüber zu bringen. Die Footballer, die kaum funktionierende Hirnzellen besassen sahen ihren Captain nun erstaunt und ein wenig verstört an. Die Aussage meines ‚Retters‘ entsprach sicherlich nicht der Wahrheit. Und falls, dann konnte John nichts davon wissen, ging er doch gerade mal für etwas mehr als eine Woche an diese Schule. Duncan hatte ihn bis jetzt sicherlich noch nie gesehen. Obwohl ich gerade andere Sorgen hatte, war ein Grossteil meines Hirns damit beschäftigt, sich die Frage zu stellen, wie viel er wohl mitbekommen hatte. „Und jetzt lass das Kätzchen in Ruhe, man bringt keine Mädchen zum heulen.“ John schüttelte leicht den Kopf. „Auch wenns scheinbar ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein scheint.“ Hatte dieser Mistkerl mich etwa beobachtet? Denn diese Woche hatte ich mehrere Male geweint, einfach, weil es mich wütend machte und frustrierte, wo offensichtlich sich Bobby – ohne auf mich Rücksicht zu nehmen – an Rogue heran schmiss. Dass natürlich immer wenn ich mir sicher war, dass ich alleine war. Aber vielleicht hatte er mich doch einmal dabei gesehen.. John wirkte ernst. Eigentlich hatte ich ihn noch nie so viel sagen hören wie gerade jetzt, hatte ich es doch vermieden, mich mit ihm abzugeben. Ein Grund dafür war, dass er etwas von mir und Bobby mitbekommen hatte und der zweite sicherlich, dass er und Bobby sich ausserordentlich – und erstaunlich! – gut verstanden. „Wie wärs, wenn du stattdessen versuchst, mich zum heulen zu bringen?!“ Der Blondschopf hatte John anfangs, bei dessen Ansage perplex angesehen. Der Australier war schlank – nicht kränklich schlank aber eben nicht so muskelbepackt wie der Captain des Footballteams. Ausserdem war John mindestens einen halben Kopf kleiner als Duncan und trotzdem stellte er sich direkt zwischen mich und den blondhaarigen Jungen. Dieser verzog nur leicht den Mund zu einem überlegenen Grinsen. „Sag bloss du bist der Arme Typ, von dem in dem Misttagebuch die Rede ist.“ Er lachte schallend auf. John warf einen Blick zu mir über die Schulter. In seinem Blick lag etwas Fragendes. Wahrscheinlich fragte er sich gerade, ob Duncan Bobby kannte. Da war ich mir nicht einmal sicher. Ich kannte Duncan auch lediglich, weil wir einmal in der Woche einen Kurs zusammen hatten und weil er mich schon diverse Male dazu gezwungen hatte, die Hausaufgaben für ihn zu erledigen. „Nein, ich bin John Allerdyce. Den Namen solltest du dir besser merken, denn wenn du noch einmal so ne Show auf Prydes Kosten abziehst, dann mach ich dir ganz schön Feuer unterm Hintern.“ Für Duncan mochte das dämlich klingen, ich kapierte natürlich sofort, was John damit meinte. Denn immerhin war er ja ein Mutant, der Feuer beherrschen konnte. Ich bemerkte, wie ich ihn unsicher musterte. Bei diesem Jungen war ich wirklich überhaupt nicht sicher, ob er solche Drohungen vielleicht nicht doch in die Tat umsetzte. Duncan warf seinen Jungs einen hämischen Blick zu, dabei verschränkte er beinahe drohend die Arme vor der Brust. Ich wünschte mich gerade ganz weit weg von hier. Wieso konnte John nicht einfach versuchen, irgendwie heil aus der Sache heraus zu kommen? Das war immer meine Taktik. Alles über sich ergehen lassen und dann so schnell wie möglich verschwinden, wenn man konnte. John bezeichnete das später immer als die typische Opferrolle. Mir wäre das im Moment egal gewesen. Ich ging schon länger an diese Schule als John. Ich kannte die Geschichten, die erzählt wurden. Ich wusste, von Leuten, die sich mit Duncan angelegt hatten und die danach sogar im Krankenhaus gelandet waren. Ein Grossteil davon sagte nichts über die Täter, aus Angst. Der Rest davon hatte kaum Beweise. Und wenn, dann konnte es Duncan immer so hinbiegen, dass einer seiner Idioten von Freunden den Kopf für die ganze Sache hinhielt. Aber das alles konnte ich John gerade jetzt nicht sagen. Wie gerne wäre ich Jean gewesen. Telepathie wäre manchmal wirklich nützlich. „Schätze er is neu hier und weiss noch nicht, wie man sich mir gegenüber verhält..“ Meinte der Blondschopf grinsend und sprach meine Gedanken so irgendwie selbst aus. „Ich könnte ihm das eigentlich dieses eine Mal durchgehen lassen.. was denkst du, Dick?“ Der dunkelhäutige Junge, der angesprochen worden war, sah Duncan überrascht an. Richtig, Duncan Matthews gehörte nicht zu den Leuten, die Gnade zeigten. „Äh.. ähm.. Ja. Ja das könntest du, Dun.“ Stotterte dieser dann eifrig, als ihm auffiel, wie lange er eigentlich schon über Duncans Frage nachdachte. Duncan nickte leicht und sah dann von einem zum anderen. Alle stimmten in das Nicken ein. „Bin ich nicht gnädig?“ Meinte der Blondschopf dann und breitete die Arme aus, als er sich wieder zu John umdrehte. „Ich lasse euch beide laufen, na wie ist das?“ Ich atmete bereits auf. Doch wie in Zeitlupe sah ich, wie Johns Faust, die er die ganze Zeit über schon geballt gehabt haben musste, sich in Bewegung setzte und Duncan zielgenau am Kinn traf, sodass es diesen herumwirbelte und er erst einmal verdutzt taumelte. „Ich scheiss auf deine Gnade, genauso wie ich auf dich scheisse. Und darauf, was du tust oder nicht tust. Aber auf eines Scheiss ich nich.. das was du vorhin mit Pryde gemacht hast. Und weisst du wieso? Weil ein wahrscheinlich bald 16-jähriger Typ es nicht nötig haben sollte, auf anderen herum zu trampeln, nur weil sein Scheissleben scheisslangweilig is! “ Meinte John immer noch ruhig. Dass das nicht ganz der Grund war, weshalb er mir half, sollte ich erst später erfahren. Gerade starrte ich ihn nur entgeistert an. „Ich schätze, jetzt haben wir beide ein Problem, was?“ Immer noch schien der Feuerteufel vollkommen furchtlos. Mals ganz abgesehen davon hatte der Schlag gesessen. Duncans Kumpels waren überrascht, dass jemand so etwas gewagt hatte und Duncan selbst musste sich erst wieder fangen. Ansonsten wäre John wohl nicht mehr wirklich zu Wort gekommen. „Hast.. Hast du sie noch alle?!“ Brüllte ich, wohl wissend, was für Probleme der Junge vor mir sich jetzt gerade eingebrockt hatte. Wieso tat er das für mich? Ich hatte ihn ja nicht einmal darum gebeten, geschweige denn mochte ich ihn und umgekehrt war es wohl ähnlich. Zumindest hatte er mir zu Beginn schon deutlich gezeigt, was er von mir hielt. Der arrogante Blick sagte einfach alles. John drehte den Kopf zu mir um. Sein Gesicht war ausdruckslos. Seine Augen musterten mich. Sie waren wach, glänzten geheimnisvoll und plötzlich sah ich, wie er den Mundwinkel zu einem leichten Grinsen nach oben zog. Aber auch nur für wenige Sekunden, dann drehte er sich wieder Duncan zu. „Sie hat schon Recht..“ Meinte Duncan und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Seine Zähne schimmerten leicht rötlich. Johns Faustschlag schien wirklich nicht von schlechten Eltern zu sein. Ich verzog schon einmal das Gesicht, denn das, was gleich passieren würde, würde nicht sonderlich schön anzusehen sein. „Was glotzt ihr so blöd?!“ Fauchte der Captain des Footballteams seine Leute an, welche daraufhin den Kreis um uns enger zogen. Ich bemerkte, dass ich zitterte. John schien keine Angst zu haben, zumindest äusserlich nicht. Ich verengte die Augen. Ob er zitterte? „Und wenn schon.. sie kann so oft Recht haben wie sie will. Sie ist trotzdem dämlich.“ Ich stutze. Hatte ich mich etwa gerade verhört?! Ich ertappte mich dabei, wie ich nun selbst die Hände zu Fäusten ballte und ihn am liebsten angeschrien hätte. Er redete nämlich ganz sicher von mir. Und er nannte mich dämlich, in meinem Beisein. Was sollte das eigentlich? Was sollte das ganze hier eigentlich? Wenn er mich ja so dämlich fand, dann konnte er gleich wieder verschwinden. Ich konnte gut auf ihn verzichten. Sehr gut sogar. Ich merkte gar nicht, dass John mich gerade wieder ansah. Wieder mit einem leichten Lächeln, diesmal wirkte es traurig. Er verwirrte mich. Seine ganze Art, sein ganzes Benehmen. Unglaublich dass ich mir das gerade wirklich mit anhören musste. Aber ich biss mir auf die Lippen. Duncan schien genauso verwirrt über diese Aussage wie ich. Ich sah es seinem Gesicht ganz deutlich an, auch wenn er das ganze schnell mit seinen Worten zu überspielen suchte: „Du hattest jedoch auch Recht.. wir beide haben jetzt tatsächlich ein Problem… Ein persönliches!“ Er nahm es hin. Alles. Die Beleidigungen, die Schläge, die Tritte, das Spucken. Aber kein einziges Wort kam über seine Lippen. Kein einziger Schrei. Nicht einmal ein Piepsen. Ich war die einzige die schrie. Er hatte mich zwar zuvor noch beleidigt, aber ich konnte nicht stumm zusehen, was sie taten. Es war, als würde ich für ihn schreien, auch wenn er mir jedes Mal, wenn er es schaffte, den Kopf zu heben einen bitterbösen Blick dafür zuwarf. Er wollte kein Mitleid. Also schloss ich die Augen und senkte den Blick. Ich versuchte mir die Ohren zuzuhalten. Sank langsam in die Knie. So bekam ich zumindest nichts mehr von allem mit. Plötzlich spürte ich, wie mir etwas Hartes auf den Schädel knallte. Nicht so, dass es wirklich weh tat, aber angenehm war es nun auch wieder nicht. Nur schon aus Reflex öffnete ich die Augen und sprang auf. Die Arme schützend vor mich gehalten. John stand vor mir. Mir entgegen hielt er… mein Tagebuch. Ich sah auf das Buch und dann hoch zu ihm. Er stand nicht mehr ganz aufrecht, die eine Hand benötigte er, um sich die rechte Seite zu halten. Sein Atem ging unregelmässig, rasselnd. Sowohl Kleidung als auch Gesicht waren mit Blut befleckt. Sein eines Auge konnte er gar nicht mehr wirklich öffnen, weshalb er es lieber gleich geschlossen liess. Als ich das Tagebuch nicht nahm, weil ich damit beschäftigt war ihn zu mustern und mich darüber zu wundern, wie er das überstanden hatte, ohne zu weinen oder anderes, drückte er es mir noch einmal entgegen. „Wenn man will, das ein Geheimnis geheim bleibt, sollte man es nicht aufschreiben.“ Er grinste leicht belustigend, auch wenn es mit dem ganzen Blut doch etwas gruselig wirkte. Ich sah ihn immer noch verdutzt an. Drehte das Tagebuch dabei fast schon nachdenklich in meinen Händen, bis ich es schliesslich an mich drückte wie einen Schatz. „Und du nennst mich dämlich..“ Gab ich ihm als Antworte. Das liess ihn auflachen und mich noch verwunderter dreinschauen. Doch er musste husten und drehte sich leicht um, um sicherzugehen, dass er mir kein Blut ins Gesicht hustete. Ich betrachtete das Tagebuch und fragte mich, ob er noch darin gelesen hatte, bevor er es mir überreicht hatte. Es standen nicht gerade schöne Dinge über ihn darin. Eigentlich hatte ich mich jedes Mal, wenn ich seinen Namen erwähnte darüber aufgeregt, dass er alles wusste und wie er sich benahm und dass er doch eine so unmögliche Person sei. Der Satz den er mir zuvor gesagt hatte, liess mich ihn irgendwie verdächtigen, das getan zu haben. Ausser natürlich er spielte auf das an, was Duncan zuvor aller Welt vorgelesen hatte. „Wie auch immer.“ John zuckte mit den Schultern und hatte sich bereits umgedreht. Ich sah auf. Er zog sein rechtes Bein leicht nach. Es sah schmerzhaft aus. Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, dass er darauf eingehen würde. Dass wir uns vielleicht streiten würden. Denn ich liess vielleicht alles über mich ergehen, trotzdem hatte ich tief in mir drin eine unglaubliche Wut auf Duncan. Er hatte meine intimsten Geheimnisse ausgeplaudert und mich damit bis auf die Haut gedemütigt. Irgendwie hätte es gut getan, diese Wut an jemandem auszulassen. Dabei bedachte ich gerade nicht, dass dieser jemand mich zuvor ‚gerettet‘ hatte. Aber die paar Male, die John und ich uns die letzte Woche über den Weg gelaufen warnen hatten wir uns auch schon vorzüglich gekabbelt. Ich sah ihm nach. Verdutzt. Verwirrt. Und irgendwie begann auch gerade das schlechte Gewissen sich einzustellen. Darüber, dass ich ihn gerade absolut unfreundlich behandelt hatte, obwohl er es doch für mich mit diesen Möchtegern-Gangstern aufgenommen hatte… Ein Glück, das es nicht Winter war. Denn ich fröstelte auch so schon. Das war wahrscheinlich wegen dem permanenten Schmerz, der von meinem einen Bein ausging. Ich klammerte mich an John, als ob er das letzte Holzstückchen eines gesunkenen Schiffs wäre, an dem man sich festhalten musste und darauf hoffen musste, dass bald einmal Hilfe kommen würde. Doch dieser letzte Strohhalm würde mich auch gleich wieder verlassen. John setzte mich auf einer Bank ab. Ich wollte ihn erst nicht loslassen, doch er schaffte es sanft aber bestimmt, mich dazu zu bringen. Da ich mich nun nicht mehr an seinen warmen Körper klammern konnte, fröstelte ich noch mehr. Unregelmässig sog ich Luft ein, während ich die Arme um meinen Körper schlang und eine Art Embryostellung einnahm. Das Holz der Bank roch gut. Sie musste wohl noch eher neu sein. Aber die Abstände zwischen den einzelnen Holzbrettern machten das Liegen nicht gerade angenehm. John entfernte sich von mir. Das konnte ich gerade noch erkennen. Er liess mich hier einfach liegen. Ich fühlte mich ähnlich wie bei der Erinnerung, die gerade wieder hochgekommen war. Anfangs war ich verdammt wütend auf ihn gewesen, hatte gewollt, dass er verschwand und hatte dann selbst die Flucht ergriffen. Doch jetzt war mein grösster Wunsch eigentlich, dass er sich umdrehte und bei mir blieb. Ich wollte nicht alleine sein. Ich hatte Angst, dass die Leute von S.H.I.E.L.D. wiederkommen würden. Ich würde lieber sterben, als in deren Hände zu fallen. Das wäre eine zu grosse Demütigung und ein zu grosser Sieg für die Gegenseite. Ich hatte mich nicht umsonst aufgerafft. Wenn ich jetzt einfach aufgab und mich gefangen nehmen liess, hätte ich das auch schon zu Hause tun können, ohne dafür zu morden. „B..bl..bleib da.. Bitte.. bleib bei mir. Bitte. Lass mich nicht alleine.“ Hörte ich mich mit zitternder Stimme sagen. Meine Lippen fühlten sich eiskalt an, als sie einander, während ich sprach, ab und zu streiften. Er blieb nicht stehen. Ich verzweifelte langsam immer mehr. „Bitte.. bitte.“ Ich biss mir auf die Lippen. „Bitte!“ Es war so ruhig um mich herum. John war verschwunden. Er liess mich einfach so alleine zurück. Vielleicht, weil ich ihn mit meinen Worten zuvor verletzt hatte. Aber er hatte mich noch viel mehr getroffen. Mit einigen Wenigen, aber sehr gut auf mich zugeschnittenen Worten. Er hatte damit rechnen müssen, dass ich wütend werden würde. Mir war schon wieder nach heulen zu Mute. Aber es interessierte niemanden. Es war weit nach Mitternacht. Ich lag in einem kleinen, kaum beleuchteten Park auf irgendeiner Bank in Manhattan. Die einzige Person, die wusste, dass ich hier lag, war verschwunden. Ich war alleine, aber ich konnte noch immer nicht weinen. Es ging einfach nicht. Chapter Four: Der weisse Ritter in schwarzer Rüstung - End Kapitel 4: Mr Brightside ------------------------ Mr Brightside Meine Eltern haben mich immer mit einem kleinen Lied getröstet, wenn ich früher beispielsweise einmal hingefallen war und mir das Knie dabei aufgeschürft hatte. An den Text kann ich mich noch genau erinnern: ‚Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Sonnenschein und schon ist wieder alles vorbei.‘ Es half damals immer, vor allem verbunden mit dem Lächeln auf den Lippen meines Vaters, das zugleich irgendwie doch besorgt um sein kleines Prinzesschen war. Je älter ich wurde, desto weniger sollte dieses Lied helfen, wobei meine Eltern es mir mit der Zeit auch nicht mehr vorsangen. Ich versuchte mit meinen Problemen selbst fertig zu werden, das meiste frass ich in mich hinein, einen kleinen Teil davon erzählte ich John, welcher irgendwie immer die richtigen Worte fand, um die Wunden zu schliessen. Und doch war am Ende er es, der die grösste Wunde in mein Herz riss und es damit endgültig zum Tode verurteilte. Er hatte für noch grössere Schmerzen gesorgt als Bobby, wobei ich mir das gar nie wirklich bewusst war. Und was ich momentan auch nicht wusste, war, dass er für noch viel grösseren Schmerz gesorgt hatte… Ich stellte den Koffer direkt vor ihm ab, sodass er weder mich, noch die vorhandenen Tatsachen ignorieren konnte. Er musterte den Koffer, brauchte einige Zeit. Dann sah er zu mir hoch. Ich hatte die Hände in die Seiten gestemmt und sah ihn ernst an. Die Sache war auch ernst. Er sollte aufhören, das ganze so herunterzuspielen. Für mich brauchte er nicht den Helden zu spielen. „Du willst nicht zum Krankenzimmer, also..“ John schob den Koffer von sich weg, bevor ich zu Ende hatte reden können und fuhr stattdessen fort damit, den Holztisch an zu kokeln. Nach Duncans Attacke hatte er sich wohl lieber schnellstmöglich irgendwo niedergelassen, aus Angst, sonst noch umzukippen. Vermutete ich. Hätte ich ihn gefragt, hätte er sicherlich etwas anderes behauptet. Aber es war doch eine ziemlich eindeutige Situation, er hatte noch nicht einmal versucht, das Blut irgendwie wegzuwischen. Ich hasste es Blut zu sehen, aber ich riss mich zusammen. Er sollte sich gefälligst auch zusammenreissen. „Was ist denn nur los mit dir?! Soll ich vielleicht erst noch ne Krankenschwester aus nem Porno organisieren oder was?“ Nicht, dass ich damit sonderlich bewandert war. Nein, sicherlich nicht.. aber wenn man mit Julian Keller alias Helion befreundet war, dann bekam man so einiges zu sehen, was eigentlich nicht unbedingt für die Augen einer 14 Jährigen gedacht war. Und wie viele der pubertierenden Jungs stand auch Julian total auf Pornos, mal ganz abgesehen von seinen anderen, auch nicht unbedingt vorbildlichen Interessen… John sah mich an, zog eine Augenbraue hoch. Er traute wohl seinen Ohren nicht. Dann begann er lauthals zu lachen. Damit hatte ich eigentlich bei so einer Aussage eigentlich auch gerechnet. Er verstummte langsam und drehte seinen Kopf dann langsam nach oben, um mir in die Augen sehen zu können. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war recht anzüglich, das einzige was störte war da vielleicht das Blut, das hie und da auf seiner Haut klebte. „Den Job darfst in dem Fall auch du übernehmen. Is zwar nich, was ich gewohnt bin, geht aber als Übergangslösung auch.“ Schulternzucken. Ich war eine Übergangslösung?! Hörte ich da gerade richtig…? Übergangslösung?!! Frechheit! Ich konnte nicht verhindern, empört auf zu schnauben, bewegte mich aber weder von ihm weg, noch zu ihm hin. John grinste breit und fügte erwartungsvoll hinzu: „Also?“ Ich verzog den Mund missmutig und schürzte die Lippen. Ich suchte geradezu fieberhaft nach einer schlagfertigen und noch dazu passenden Antwort. Und je länger ich brauchte um überhaupt etwas zu antworten, desto offensichtlicher musste das für ihn werden, weshalb ich eiligst meinte: „Wenn du nicht gleich den Mund hältst, dann kannst dus dir selbst machen!“ Sein Grinsen wurde wieder breiter und er lachte leise auf. Drehte den Kopf leicht weg. Ich sollte wohl nicht unbedingt sehen, dass er sich gerade wieder über etwas lustig machte. Was war an meinen Worten so witzig gewesen? Ich dachte nach. John war jedoch so freundlich, mir das rätseln abzunehmen: „Ich lasses mir aber viel lieber machen.“ Er zog beide Augenbrauen mehrere Male hintereinander schnell nach oben und beugte sich währenddessen zu mir vor. Ich sah ihn genervt an. Man konnte aber auch alles zweideutig betrachten. So hatte ich das nun wirklich überhaupt nicht gemeint. Ich hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie John meinen Körper gerade von oben bis unten musterte. Der Typ hatte sie eindeutig nicht mehr alle. John strich sich über seine rechte Wange. Das Blut war schon weniger leicht zu verschmieren als zuvor, es hatte begonnen einzutrocknen und Krusten zu bilden. Er zog die Luft durch seine etwas angeschlagene Nase und sah dann wieder hoch zu mir. Ich rollte mit den Augen. „Hahahaa… witzig! Wahrscheinlich hats dir genau deshalb noch niemals eine gemacht.“ Ich wollte das ganze eigentlich damit abschliessen, mit diesem letzten Kommentar. Hätte ich John damals schon besser gekannt, hätte ich gewusst, dass er so einen provozierenden Kommentar nicht einfach auf sich sitzen lassen würde, er war nun einmal eben nicht wie Bobby. Deswegen rechnete ich jetzt nicht mit einer Antwort, sondern vielmehr damit, dass John dazu schweigen würde und mir so zeigen würde, dass diese Unterhaltung irgendwie peinlich für ihn war. Aber John war nun einmal John, wie ich bald merken sollte. Er schwieg nur im Moment, während ich damit begonnen hatte, den Medikamentenkoffer zu öffnen. Ich wühlte darin und fand schliesslich Desinfektionsmittel, mit dem ich langsam begann, seine Wunden im Gesicht abzutupfen. Dabei nahm ich keinerlei Rücksicht darauf, dass ich das vielleicht Schmerzen bereiten könnte. Seine braunen Augen lagen auf mir. Ich hatte vergessen, dass er zuvor höchst wahrscheinlich hatte mithören können, was Duncan aus meinem Tagebuch vorgelesen hatte. Blitzschnell packte er mein Handgelenk, als den Wattebauch mit dem Desinfektionsmittel erneut an seinen Wunden anlegte. Ich zuckte erschrocken über diese späte Reaktion zusammen und sah ihn an. Entschlossen zog er mich so näher zu sich heran. Das Grinsen lag immer noch auf seinem Gesicht. Nun war es aber eher ein schwarzer Schatten im Vergleich zum vorherigen Grinsen. „Schliesst du etwa grade von dir und deinem eisigen Freund auf andere?“ Meine Augen weiteten sich. Ich biss mir auf die Lippen. Er sollte bloss den Mund halten, denn jetzt wurde das ganze – zumindest für mich – recht persönlich. „Nicht alle sind so schwer dazu zu kriegen, wie du..“ John zwinkerte und liess mich endlich wieder los. Na schön, ich muss zugeben, in diesem Moment sah ich ihn zum ersten Mal wirklich an. Mit den Augen von jemandem, der sich vielleicht für ihn interessieren könnte und ganz ehrlich, er war nicht hässlich, er sah gar nicht mal so schlecht aus um nicht zu sagen gut. Und er schien ganz genau zu wissen, was er tat und vor allem auch, wie er andere um den Finger wickeln konnte. Vielleicht hatte das bei mir gerade nur keine Wirkung, weil mich bereits ein anderer um den Finger gewickelt hatte. Oder vielleicht lag es auch nur daran dass ich seine Art und seinen Charakter einfach nur als verachtenswert empfand. Auch wenn er mir irgendwie eine ganz andere Seite von sich gezeigt hatte. Zuvor, als er sich zwischen Duncan und mich gestellt hatte. Aber nur schon der letzte Satz, den er eben gesagt hatte, erneuerte das Bild eines eher unangenehmen Zeitgenossen, das ich mir von ihm gemacht hatte. Diesmal kam meine Reaktion jedoch prompt. Mit aller Kraft drückte ich den Wattebausch auf eine seiner Wunden, damit es auch möglichst fest brannte. Dazu zischte ich: „Und nicht alle haben kein Gewissen, so wie du!“ Er verzog keine Miene, wie schon zuvor, als Duncan ihn geschlagen hatte. Jetzt lachte er nicht einmal mehr. Er zog mir den Wattebausch aus der Hand und warf ihn achtlos zu Boden. Dann erhob er sich und nun konnte ich deutlich sehen, dass ihm das ganze schwer fiel. Er beugte sich zu mir vor und lächelte mich an. Dieses Mal war es ein richtiges Lächeln, wenn es gerade auch merkwürdigerweise traurig angehaucht war. „War nicht immer so.. glaub mir.“ In diesem kurzen Moment, in dem ich ihn ansah und er mich und diese Worte in mein Ohr drangen. Genau in diesem Moment hatte ich das Gefühl, eine ganz andere Person vor mir stehen zu haben. Irgendwo habe ich einmal den Spruch: Augen sind das Tor zur Seele gehört. Unglaublich kitschig, aber gerade war eben dieser Spruch irgendwie passend. Doch im nächsten Moment war es auch schon wieder vorbei. Er hatte das traurige Lächeln durch ein hämisches Grinsen ersetzt, als er meinte: „Bis ich gemerkt habe, dass ein Gewissen haben für mich einfach viel zu teuer kommt.“ Er drehte sich von mir weg und begann wieder zu humpeln, als ob er mir auf keinen Fall noch einmal in die Augen sehen wollte. Jetzt wusste ich ganz klar, dass auch er gemerkt haben musste, dass er gerade mehr von sich preis gegeben hatte, als er eigentlich gewollt hatte. Doch eines hatte John dabei vergessen… „Und was war dann das vorhin?“ Ich traf den Nagel auf den Kopf. Ein Mensch ohne gewissen hätte sich niemals zwischen mich und Duncan gestellt, im Gegenteil, so ein Mensch wäre einfach weitergegangen und hätte so getan, als hätte er nichts von alledem mitbekommen. John war stehen geblieben. Zwar drehte er sich nicht zu mir um, aber er war stehen geblieben. Ich verengte die Augen. Erwischt! Es kam mir so vor, als ob ich in der Zwischenzeit bereits eine halbe Ewigkeit wartete. Er würde nicht mehr wieder kommen, so viel war sicher. Aber ich war müde. Mein Bein pochte vor Schmerz und obwohl es Sommer war und die Nacht eigentlich recht angenehm, hatte ich inzwischen bereits zu frösteln begonnen. Ich war viel zu müde und geschwächt, um mich jetzt aufzurappeln und an einen sicheren Ort zu schleppen. Alles was ich wollte, war schlafen. Schlafen, für immer vielleicht.. hörte sich gerade wirklich angenehm an. Sehr viel angenehmer als das hier. In meiner Benommenheit vergass ich, weshalb ich mir das hier eigentlich antat. Inzwischen war sämtliche Farbe aus meinem Gesicht gewichen, mir war schlecht und schwarz vor Augen. Deswegen hatte ich meine Augen auch geschlossen, in der Hoffnung, dass es dann vorbei war. Dass dann womöglich alles vorbei war. Dass die letzten zwei Wochen einfach nur ein Albtraum gewesen waren. Ach was, dass die letzten zwei Jahre einfach ein Albtraum gewesen waren.. oder wenn ich schon dabei waren, dass mein ganzes Leben, ab dem Punkt, ab dem ich ins Institut kam einfach nur ein Albtraum gewesen war. Zu Beginn habe ich gesagt, dass die Zeit im Institut die schönste meines ganzen Lebens gewesen war. Das stimmt in gewisser Weise auch, aber nicht ganz. Es hatte alles seine Schattenseiten. Jede Medaille hatte zwei Seiten. Viele Dinge konnte ich zur guten Seite zählen, aber auch einen recht grossen Teil zur schlechten Seite. Bobby war der einzige, bei dem ich mich nicht traute, ihn einer Seite zuzuordnen und John war der einzige, den ich beiden Seiten zuordnen konnte. Ich hörte, wie etwas direkt vor meiner Nase abgestellt wurde. Verdutzt blinzelte ich. Und ich blinzelte gleich noch einmal, als ich erkannte, was da gerade vor mir abgestellt worden war. Eine weisse Tüte, in der ich jedoch eindeutig Verbandszeug erkennen konnte. Er war zurückgekommen. Ich hob den Kopf leicht an und blickte ihn an. Irgendwie traute ich meinen Augen noch immer nicht ganz, aber da vor mir stand eindeutig John. „Mach dich mal nich so breit, Pryde.“ Meinte er und hob meine Beine – ja, ganz ohne Rücksicht auf den Streifschuss – an. Dann liess er sich auf der Bank nieder, meine Beine auf seinen Knien liegend. Ich lachte leise auf, aber Hauptgrund dafür war eigentlich, dass ich einen Schmerzensschrei verdecken wollte. Er schrie schliesslich auch niemals vor Schmerz. John machte sich gerade daran, den Reissverschluss meiner Hose zu öffnen. Ich quickte erschrocken auf und packte seine Hände. Er wollte die Situation gerade doch nicht etwa ausnutzen. John sah von seiner ‚Arbeit‘ auf zu mir und grinste. „Ach komm schon, da gibt’s doch eh nichts, was ich nicht schonmal gesehen hätte. Ausserdem kann ich dich sonst nicht verbinden, verdammt!“ Er rollte mit den Augen. „Wieso denkst du eigentlich immer gleich, dass ich dir an die Wäsche will? So nötig hab ichs nun wirklich nicht.“ Er schmunzelte. Mein Widerstand war gebrochen. Ich hatte sowieso nur auf Nummer sicher gehen wollen. „Hahaha.. wahnsinnig witzig. War auch schonmal anders.“ Brummte ich und liess mich auf die Bank zurückfallen. Hatte ich vorhin von schlechten Dingen gesprochen, die mir in meiner Jugend zugestossen waren…? Das Thema sollten wir nun wirklich lassen. Das hatte hier einfach nichts mehr zu suchen. Er streifte mir die Hose ab. Ich fröstelte nun noch mehr, na vielen Dank auch. Dann begann John damit, das Blut abzutupfen und die Wunde zu desinfizieren. Eines musste man ihm lassen, er schien das definitiv nicht zum ersten Mal zu machen. Ich biss mir auf die Lippen, denn es brannte doch ganz schön. Wenigstens steckte keine Kugel in der Wunde, das hätte das verarzten doch um einiges erschwert. „Sagtest du nicht mal, du hättest kein Gewissen..?“ Ich wusste nicht, warum ich meine Erinnerung von vorhin jetzt gerade mit ihm teilen wollte. Ich hoffte einfach, dass er jetzt nicht fragen würde, wie ich denn auf so etwas kommen würde. „Hab ich auch nich.. aber was hat das jetzt mit dem hier zu tun?“ Er erinnerte sich nicht daran. Ich atmete auf und lächelte nur leicht. Ich lächelte darüber, dass er vielleicht in so vielen Dingen gut sein mochte, aber darin, über seine Gefühle, seine Empfindungen und den ganzen Rest zu reden, darin war er einfach nur grottenschlecht. Aber noch schlechter war er darin, diese Dinge vor mir zu verbergen. Ich sah einen Jungen vor mir, der genau gleich wie John aussah, nur dass sein Gesicht noch etwas Jungenhaftes an sich hatte. Auch wenn man ihn schon damals nicht als Jungen hatte bezeichnen können, denn all die Unschuld war auch schon damals weggewaschen gewesen, genauso wie alles Glück. Ich sah diesen Jungen vor mir, dessen Haut weicher war, als meine eigene. Dessen Körper genauso schlank und sportlich war, wie der des jungen Mannes, der mich gerade bis auf die Unterhosen ausgezogen hatte. Es war eindeutig derselbe Junge. Auch in der Art, nicht nur im Aussehen. “Was soll das was vorhin gewesen sein?“ Ich wusste, dass er wiederum wusste, wovon ich redete. Er drehte sich jedoch nicht einmal zu mir um. Ich musste lächeln. Was für ein kleiner Dickkopf. Er konnte wirklich rein gar nichts eingestehen. Selbst wenn praktisch alles, was ihn menschlich gemacht hätte, durch seine Vergangenheit – was auch immer ihm zugestossen sein musste – weggewaschen worden war, so war da doch genügend übrig geblieben, um einem Mädchen, dass er nicht einmal leiden konnte – wie ich zumindest glaubte – zu helfen. „Du weisst, was ich meine.“ Gab ich zurück und liess den Koffer erst einmal Koffer sein. Viel lieber ging ich ihm stattdessen langsam hinterher, sodass ich schlussendlich fast schon hinter ihm stand. Irgendwie hätte ich nun eben einfach ganz gerne sein Gesicht gesehen. Doch hinterhergehen wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen, denn in diesem Moment drehte John sich zu mir um. Sein Gesicht war eiskalt, kälter als Bobbys Haut manchmal war – und das war kräftebedingt. „Tu ich das?“ Sein Tonfall klang herausfordernd, aber zugleich auch lauernd, als würde er gerade lediglich die richtige Gelegenheit abpassen. Wie ein Tiger, der sich auf seinen samtigen Pfoten langsam an sein Opfer anschlich. Ich kam nicht umhin zu frösteln, bei dem Anblick. Eigentlich hatte ich etwas anderes erwartet. Einen ganz anderen Gesichtsausdruck. Einen sanfteren, vielleicht überraschten, vielleicht aber auch irgendwie erfreuten darüber, dass jemand doch bemerkte, dass er nicht das war, was alle von ihm glaubten. Aber in diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass das nicht ohne Grund von allen geglaubt wurde. John wollte, dass man ihn für das hielt, was er war. Er wollte nicht gut sein. Er wollte kein Retter in der Not sein. Er wollte genau das sein, was er gerade in den Augen aller war. Der ewig böse. „Tust du!“ Ich musste mich zusammenreissen, dass ich stehen blieb und nicht zurückwich. Aber was wollte er schon tun? Er war gerade ja auch nicht in sonderlich guter Verfassung. „Jemand, der kein Gewissen hat, geht nicht hin und lässt sich für wen anderes verprügeln.“ Erklärte ich dem Feuerteufel das Ganze, damit er nicht mehr so tun konnte, als hätte er nicht verstanden. John sah mich mit unbeweglicher Mine an. Er sah richtig an mir herab und blieb schliesslich an meinen Augen hängen. Ich konnte das ganz deutlich sehen, weil ich seinen Blick schlussendlich erwiderte. Das versuchte ich so ernst und geradlinig wie möglich zu machen. Vor ihm hatte ich keine Angst, würde ich niemals haben. Er musste sich inzwischen bewusst geworden sein, dass er mir zuvor eine Seite von sich gezeigt hatte, die er eigentlich lieber verborgen hielt. Darum sträubte er sich nun auch so dagegen, darüber zu reden. „Falsch.“ Meinte er schliesslich bestimmt. Ich runzelte die Stirn und legte meinen Kopf unbewusst schräg. Die Erklärung folgte soeben: „Ich würde mich niemals für jemanden verprügeln lassen. Dazu bin ich viel zu egoistisch veranlagt. Das hatte nicht gross was mit dir zu tun, war eigentlich reiner Zufall, dass du auch da warst.“ Er zuckte mit den Schultern und fügte trocken hinzu: „Ich mag Schlägereien und nächstes Mal.. denn ists Mann gegen Mann! Dann sehen wir mal, wie der blondhaarige Idiot sich alleine schlägt.“ Irgendwie fand ich, dass ganze klang so, als hätte er sich in aller Eile eine Erklärung für sein Verhalten ausgedacht. Und eine ziemlich billige noch dazu. Ich lachte leise auf und meinte: „Sicher.“ Er musste einfach merken, dass ich ihm das ganze einfach nicht abkaufte. „Aber bitte.“ Ich zuckte ebenfalls mit den Schultern. „Spiel ruhig den harten Typen… ich werde n’Teufel tun, wem von der Sache zu erzählen.“ Nur schon, weil dann vielleicht rauskam, was Duncan aus meinem Tagebuch vorgelesen hatte. Etwas, worauf ich ganz gut verzichten konnte. „Aber ich weiss, dass du auch anders kannst… denk dran.“ Ich zwinkerte ihm zu. Eigentlich war es nett gemeint. Ja gar freundschaftlich. Aber ich hatte wie immer nicht damit gerechnet, dass John ganz anders reagieren würde als beispielsweise Bobby. John sah mich an. Diesmal war nicht einmal mehr der Hauch eines Lächelns zu sehen. Rein gar nichts freundliches war in seinem Gesicht zu lesen. Da war mir klar: John und ich würden keine Freunde werden. Ging nicht… Dass wir aber in recht kurzer Zeit sogar beste Freunde sein würden, das ahnte ich natürlich nicht und John hätte darüber sicherlich gelacht. „Und ich weiss..“ Er äffte meinen Tonfall nach. Wenn ich nachgedacht hätte, hätte ich sicherlich schon vorhersehen können, was er jetzt erwidern würde. „Dass du dich bald von ihm ficken lassen wirst. Nur eine Frage der Zeit.“ Ich war gerade mal 14 Jahre alt. In diesem Alter errötete man normalerweise, wenn es um Beziehungen oder gar Sex geht. John war auch erst knappe 16 Jahre, aber diese Wörter hatten sich bereits fest in seinen Wortschatz eingeprägt. Er und Bobby waren gleichalt. Nur Bobby hatte im Winter vor John Geburtstag, welcher erst im darauffolgenden Sommer hatte. Mir blieb kurze Zeit wirklich die Spucke weg und ich sah ihn einfach nur an. Demonstrierte er mir gerade etwa, dass er mich in gewisser Weise in der Hand hatte? „Er wird schnell rauskriegen, wie er dich knacken kann.“ Fügte der Feuerteufel hinzu. „So wie ich ihn einschätze und so wie ich dich einschätze bist du eh Wachs in seinen Händen.“ Der Typ wusste mittlerweile wirklich viel zu viel über mein Liebesleben. Kaum zu glauben, dass ich ihn erst seit etwas mehr als einer Woche kannte. Was mich sowieso wunderte war, dass er es noch niemandem erzählt hatte. Das war seltsam. „Das.. geht dich nichts an!“ Fauchte ich wütend. Das musste ich mir von ihm nun wirklich nicht bieten lassen. Ich bebte leicht, denn der Zorn stieg langsam in mir hoch. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich auf dem Absatz um. Ich biss mir auf die Lippen und wollte so schnell wie möglich davoneilen – aber natürlich so, dass es nicht rennen war. Ich knallte den Medikamentenkoffer zu. Dass John mich dabei immer noch beobachtete, fiel mir gar nicht auf, hatte ich ihm doch den Rücken zugekehrt. Plötzlich hörte ich seine Stimme. Diesmal eine ganz andere Tonlage. Eigentlich ganz anders. „Wenn du mit einem Typen schläfst, gehört er dir für eine Nacht.“ Ich stockte und blieb stehen. „Aber wenn du einen Typen richtig kennen lernst, sodass du ihn besser kennst, als er sich selbst.. erst dann gehört er dir wirklich ganz und für immer.“ Ich war erstaunt darüber, dass plötzlich so scheinbar intelligente Worte über seine Lippen kamen. Fast schon leicht dichterische. Und trotzdem machte er mich damit nur noch wütender. Es ging ihn nichts an! Gar nichts! Ihr fuhr herum und funkelte ihn wütend an: „Ich denke du kannst von allen am wenigsten beurteilen, wie gut ich und Bobby uns kennen. Halte einfach deinen Mund und ich halte meinen und wir leben perfekt aneinander vorbei!“ Was für ein riesengrosser Idiot. Ich konnte es nicht lassen, noch etwas nachzulegen: „Du stehst auf der Liste der erstgenannten Typen nämlich wie ich mir denken kann selbst ganz oben!“ Ich ging in raschen Schritten davon, nicht, dass er es schaffte, dass ich mich noch mehr aufregte. Bobby war anders. John konnte ihn noch gar nicht einschätzen. Er kannte ihn genauso wenig lange wie mich und auch wenn sie sich ein Zimmer teilten, so war der Feuerteufel trotzdem nicht ein sonderlich anhänglicher Mensch, weshalb es mich nicht gewundert hätte, wenn John und Bobby in der Zeit, in der sie sich beide im Zimmer aufhielten kein Wort gewechselt hatten. Bobby hatte es sicherlich versucht und John hatte abgeblockt, wie ich vermutete. Doch schon wieder lag ich ganz falsch. Die beiden hatten sehr wohl einige Worte gewechselt. Und – das würde mir wohl gänzlich missfallen – sie verstanden sich prächtig. Woran das wohl liegen mochte…? In diesem Moment war ich in so einer Rage, dass mir gar nicht auffiel, dass ich etwas vergessen hatte… Mein Tagebuch.. Und es sollte mir auch noch nicht gleich auffallen. Auch wenn es Tagebuch hiess, so bildete ich mir trotzdem nicht ein, dass mein Leben so spannend war, dass ich jeden Tag etwas hinein schreiben musste. Eigentlich war mein Leben langweilig. Deswegen gab es alle drei Tage einen Eintrag. Und inzwischen Zeichnete sich etwas ab: Ich ärgerte mich alle drei Tage über Bobby, die nächsten drei Tage war ich Feuer und Flamme für ihn, dann wieder genervt von Rogues Anwesenheit. Es wiederholte sich, seit sie hier war. Immer wieder dazwischen gestreut waren natürlich auch normale Erlebnisse, die nichts mit meinem Liebesleben zu tun hatten, und Fluchwörter. Seit einer Woche meist in Verbindung mit einer einzigen Person – John. Dass selbiger mir noch nachrief, dass ich etwas vergessen hatte, hörte ich nicht mehr. Später sollte ich bedenken, dass es für ihn – doch recht angeschlagen – auch ziemlich schwer geworden wäre, mir nachzueilen. „Könnte jetzt gleich n’bisschen weh tun.“ Bemerkte John und ein gar fieses Grinsen huschte über sein müde wirkendes Gesicht. Ich verengte Prüfend die Augen. Ich hatte vorhin davon gesprochen, ob er ein Gewissen hatte oder nicht und nun machte er einen auf Sadisten. Die Szene, die sich eben auch in meinem Kopf abgespielt hatte. Sie war ähnlich gegangen. Es schien fast so, als würde er sich daran erinnern. Ich hatte ihn damals mit Wattebäuschen behandelt und das nicht gerade sanft. Rache ist wohl doch süss, auch Jahre später und auch für so etwas kleines. Ohje.. ich versuchte mein Bein noch rechtzeitig wegzuziehen, doch dazu fehlte mir die Kraft und ausserdem hielt es John bereits fest. Mal ganz abgesehen von dem lähmenden Schmerz, der nun von der Wunde ausging. Für jemanden wie mich, der Schmerzen eigentlich nicht gewohnt war, war das schier unerträglich. Ohne auch nur irgendwie Vorsicht walten zu lassen, presste er einen mit Desinfektionsmittel getränkten Lappen auf die Wunde. Ich biss mir die Lippen blutig um nicht aufzuschreien. Und doch verliess meine Lippen ein leiser, erstickter Schrei, man könnte es auch Wimmern nennen. „Du kannst von Glück sagen, dass da keine Kugel drin steckt. Ohja, das wäre so richtig schmerzhaft.“ Er wer ein verdammter Sadist. Ich hätte ihm am liebsten in sein dreckig grinsendes Gesicht gespuckt. Dieser Mistkerl. Aber ich liess es, denn ich wollte auf keinen Fall, dass er den Druck auf mein Bein noch verstärkte. Stattdessen liess ich mich gebrochen von den äusserst schmerzhaften und schwächenden Einflüssen auf meinen Körper auf die Bank zurückfallen. Die Folge war ein nicht sonderlich weicher Aufprall. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen und meine Nägel kratzten über das Holz. „Machst du etwa schon schlapp?“ John schmunzelte, als er endlich von meinem Bein abliess, sich vornüber beugte und Verbandszeug aus der Plastiktüte zog. Erst legte er einige Basen über die Wunde, ehe er mein Bein etwas anwinkelte, um es leichter verbinden zu können. Ich hatte die Augen geschlossen und meinen Handrücken auf meiner Stirn platziert. Mein Atem ging rasselnd, als hätte ich gerade einen Sprint hinter mir. Wenn ich doch bloss nicht so müde wäre. John zurrte den Druckverband fest. Auch der Verband war nicht gerade schmerzlindernd, wie schon sein Name sagte. Ich öffnete mühsam die Augen einen Spalt breit und sah zu ihm hoch: „Weisst du.. was.. du..“ Ich konnte nur in kleinen Stücken hintereinander reden: „Du.. kannst mich..“ Ich brach ab. Lieber nicht. Oh. Nein. Das sprach ich lieber nicht gänzlich aus. Genau den Gedanken, den ich soeben hegte, genau dieser brachte mich dazu, mich ruckartig aufzusetzen. Ich sah ihn vor mir. Vor zwei Jahren. Ich musste hier weg. Sonst würde gleich alles über mich hereinbrechen. Nicht so in kleinen Schritten, wie bisher. Dann würde alles hochkommen. Ich würde in einer regelrechten Flut von Bildern ertrinken. Ich sah ihn vor mir. Sah sein Lächeln. Sah wie er mich zum Lachen brachte. Nein! Ich blinzelte. Ich wollte es nicht sehen. Ich hatte es verdrängt. Ich sah eine aufgeschnittene Zitrone, Salz, zwei leere Gläser.. und etwas davon entfernt eine praktisch schon leere Flasche. Ich musste hier weg. Sofort! Ich hörte mein Gekicher und spürte seine Fingerkuppen über die weiche Haut meiner Wangen streichen. Schluss damit! Ich stiess John fast schon aus einem Reflex heraus von mir weg und erhob mich. Viel zu schnell, wie mir sogleich klar werden sollte. Aber ich musste weg von John. So schnell wie möglich. Bobby finden. Weg von John. John vergessen. „Was soll das werden?“ Fragte John belustigend, aber auch leicht verdutzt. Ich hatte wohl auch einiges gemurmelt, während ich beinahe in Gedanken versunken wäre. Kein Wunder war er verdutzt, hatte ich eben doch noch ziemlich geschwächelt. Als ob ich gerade ihm Rechenschaft schuldig gewesen wäre. Ich spürte, wie meine Beine zitterten, vor allem das verletzte, dass mich nun, da ich es belastete, nur noch mehr schmerzte. Der Schmerz wirkte einschläfernd auf meinen gesamten Körper, liess es mir wieder schwarz vor Augen werden. Ich zitterte. „Wonach siehts denn deiner Meinung nach aus?!“ Blaffte ich ihn scharf an, ehe ich mich umdrehte. „Ich gehe!“ Ich machte einen ersten unsicheren Schritt. Dabei knickte ich fast ein. Das konnte John natürlich auf keinen Fall entgangen sein, aber dazu machte er keine Bemerkung. Sollte ich ihm dafür vielleicht sogar ein wenig dankbar sein? Stattdessen meinte er nur selenruhig: „Auf widersehen, Kitten.“ Ich drehte den Kopf um und blickte direkt in sein lächelndes Gesicht. Ich funkelte ihn ein letztes Mal so wütend wie möglich an. Ich hatte ihn dieses Mal schon nicht widersehen wollen und ein nächstes Mal würde es – wenn es nach mir ginge – überhaupt nicht mehr geben. Widersehen zu sagen war also mehr als ironisch von ihm. „Setz ein ‚Nimmer‘ davor und ich bin zufrieden.“ Meinte ich kühl und fügte hinzu: „Sind wir mal realistisch. Du und ich, wir werden in nächster Zeit sterben. Du bei einer eurer Aktionen und ich.. tja.. ich muss lediglich die verantwortlichen für den Tod meiner Eltern zur Strecke bringen. Danach können sie mir wenns ihnen Freude macht, eine Kugel durch den Kopf jagen.“ Ich zuckte mit den Schultern und meinte mit absolut gleichgültiger Stimme: „mir eigentlich egal. Solange zuvor alle anderen gebüsst haben und ihre gerechte Strafe erhalten haben.“ Ich war zu einer kaltblütigen Rächerin geworden und inzwischen war es mir wirklich egal geworden. „Früher warst du eine absolute Optimistin.“ Warf John ein. Irgendwie klang er dabei sogar richtiggehend nachdenklich, wenn nicht sogar etwas melancholisch. Untypisch für ihn – zumindest für jene, die ihn nicht so gut kannten. Ich hatte diese Stimmung bei ihm schon einige Male gesehen. Es kam selten vor und auch wirklich nur dann, wenn ihn etwas sehr berührte. Er suchte es zwar immer es vor mir zu verbergen, wie er es vor allen anderen verbergen konnte, aber das gelang ihm nicht. Ich konnte sehr gut unterscheiden, wann sein Getue aufgesetzt war und wann nicht. „Früher war ich aber auch in Naivität kaum zu überbieten.“ Gab ich schlagartig und mit Belustigung über mich selbst zurück. John nickte langsam und kaum merklich. Er schmunzelte. Es war verdammt ansteckend und ich ertappte mich dabei, ebenfalls leicht zu schmunzeln. Genauso hatte er auch damals geschmunzelt. Als ich beschwingt von ‚etwas‘ Tequilla... Nein, das Kapitel war abgeschlossen. Ich hatte mit allem abgeschlossen. Bald würde alles sowieso vorbei sein. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde. Und drehte mich so schnell wie möglich um, damit er vielleicht nicht bemerkte, dass meine sowieso schon bleiche Haut nun wohl wirken mochte, die wie eines Geistes – wobei in gewisser Weise konnte man mich doch eigentlich auch als Geist bezeichnen? Er öffnete mein Haarband. Ich erhob mich – sehr wackelig – nur um in der gleichen Bewegung meinen Kopf samt Haar zurückzuwerfen und dann ihm, der immer noch am Boden hockte, einen fast schon verführerischen Blick zuwerfend. Ähnlich wie damals schüttelte ich auch jetzt den Kopf, aber als wolle ich die aufkommenden Bilder herausschütteln. Das war gemeinsam damit, dass ich nun zu gehen begonnen hatte einfach zu viel für meinen Körper. Mir wurde endgültig schwarz vor Augen, mein Bein gab nach. Ich knickte ein und stellte mich gedanklich bereits auf eine äusserst schmerzhafte Landung am Boden ein. Zwar würde ich in meinem benebelten Zustand davon wohl nicht mehr sonderlich viel mitbekommen.. Doch dann spürte ich, wie jemand mich packte – und das äusserst sanft – und hochhob. Fest im Arm hielt, als wäre ich so leicht wie eine Feder. Ich hörte mich mit leicht lallender Stimme singen: „I'm coming out of my cage And I’ve been doing just fine Gotta gotta be down Because I want it all It started out with a kiss How did it end up like this It was only a kiss, it was only a kiss Now I’m falling asleep And she’s calling a cab While he’s having a smoke And she’s taking a drag Now they’re going to bed And my stomach is sick And it’s all in my head But she’s touching his—chest Now, he takes off her dress Now, let me go“ Und in meinem immer noch benommenen Zustand hörte ich mich den Text mit meinem Ich in meiner Erinnerung mit summen: “But she’s touching his—chest Now, he takes off her dress Now, let me go“ Gar nicht bemerkend, wer mir dabei zuhören konnte. Ich schloss die Augen und verlor endgültig das Bewusstsein. Hilflos in den Armen von John liegend und mich an seine Brust krallend. Ein Game Over, ohne überhaupt einen Schluck Alkohol getrunken zu haben. Was ich nicht mitbekam war, dass John bei meinen Worten irritiert inne gehalten und gelauscht hatte. Denn es war sein Lieblingslied. Er kannte es auswendig, ich deswegen auch. Und ich hatte seine Lieblingsstelle aufgesagt. Ich hatte früher nie verstanden, weshalb es sein Lieblingslied war. So besonders war es nun auch nicht. Und was den Text betraf, so war mir nichts eingefallen, auf dass es sich bei John hätte beziehen können. Rein gar nichts. Aber ich hatte ihn auch nie danach gefragt. Besser gesagt hatte ich mich mit der Erklärung zufriedengegeben, dass man nicht für alles einen Grund brauchte. Aber eigentlich hätte Mr. Brightside doch viel mehr auf mich gepasst.. von uns beiden war ich ja wohl früher die absolute Optimistin gewesen – oder hatte John mir vielleicht doch nicht ganz alles über sich erzählt? Konnte es sein, dass ich seinen Optimismus gänzlich übersehen hatte? Was ich auch nicht mitbekam war, dass er mir behutsam einen Kuss auf mein seidiges – aber derzeit doch recht unordentliches – Haar gab und leise hauchte: “Cause I just can’t look its killing me And taking control Jealousy, turning saints into the sea Swimming through sick lullabies Choking on your alibi But it’s just the price I pay Destiny is calling me Open up my eager eyes ‘Cause I’m Mr Brightside I never... I never... I never... …Gott.. wieso musst du ausgerechnet jetzt wieder zurückkehren..?!“ Hätte ich ihn gehört, hätte ich gewusst, es ihm mindestens genauso schwer fiel, mit der ganzen Situation klar zu kommen… Chapter Five: Mr Brightside - End und jaaaaa das lied passt sooo perfekt auf die situation.. auch vom text her :D http://www.youtube.com/watch?v=MF4-yfkT55Q http://www.youtube.com/watch?v=hGW1zcw5sKM Kapitel 5: Das grösste aller Arschlöcher ---------------------------------------- Das grösste aller Arschlöcher Meine Eltern haben mir früher immer gesagt, ich solle nicht einfach jeden küssen. Vor allem meine Mutter hat das in Zusammenhang mit der ‚Aufklärung‘ immer wieder betont. Sie war stets dafür, erst zu sehen, ob es der richtige war und ihn dann zu küssen. Das habe ich gemacht. Ich habe abgewartet, bis ich mir sicher war, dass er der richtige war für meinen ersten Kuss, ich habe abgewartet, bis ich mir sicher war, dass er der richtige war, für mein erstes Mal. Und doch, wird mir jetzt, nach all den Jahren immer mehr klar, dass er nicht der richtige war. Oder – was ich mir sehr viel lieber einrede – dass es lediglich der falsche Zeitpunkt war. Dass es, wenn es passiert wäre, wenn wir älter gewesen wären, ganz anders gelaufen wäre. Aber langsam bin ich immer mehr der Meinung, dass es vielleicht zu spät gewesen ist. Und das Fazit davon: Alles, was ich in meiner Jugend getan hat, stellte sich mit der Zeit als Fehler heraus. Meinen Eltern habe ich davon nie erzählt. Auch nicht vor ihrem Tod. Sie hätten sich bloss für mich geschämt. Ich sah sie vor mir, in ihrem eigenen Blut liegen. Ich hörte ihre Schreie. Es war wie immer. Mein Blick wanderte zu meinen eigenen Händen, die mir plötzlich so fremd vorkamen, mit ihrem Blut befleckt. Ich schrie. Schrie mir die Seele aus dem Laib. Ich hatte sie umgebracht! Ich hatte meine eigenen Eltern getötet. Ich hörte das hämische Lachen des Braunhaarigen – er hatte sie doch eigentlich umgebracht. Nicht ich. „Du hast deine Eltern getötet, ob dus nun wahr haben willst, oder nicht. Aber sei ehrlich zu dir selbst.. Wir beide wissen ganz genau, dass sie wohl noch leben würden, wenn du nicht da gewesen wärst.“ Hörte ich Johns Worte in meinem Kopf wiederhallen. Tränen tropften auf meine rot gefärbten Hände und ich schrie erneut. Schrie aus purer Verzweiflung in der Hoffnung, so alles ungeschehen machen zu können. Und es funktionierte. Blitzschnell hatte ich mich aufgesetzt. Die Augen weit aufgerissen. Und ich realisierte, dass das nur wieder ein Traum gewesen war. Weil irgendjemand scheinbar nicht wollte, dass ich gut schlief. Mein Atem ging schwer. Mein ganzer Körper zitterte noch von den dahin schwelenden Erinnerungen und Bilder, die ich zuvor eben noch gesehen hatte. Ich sah auf meine Verschwitzten Hände. Meine Augen waren tränenverschmiert. Erschöpft und ausgelaugt liess ich mich niedersinken. Es war weich. Es war angenehm. Ich war sogar zugedeckt worden… Moment! Ich sah mich in liegender Position um – aufsitzen war schmerzhaft, wie ich jetzt feststellte, denn mein Bein tat immer noch weh. Wo war ich? Ich befand mich auf einer ledernen Couch. Echtes Leder, wie mir der Geruch verriet und sicherlich nicht sonderlich billig. Das passte jedoch so gar nicht zu den Erinnerungen, die ich hatte, die mir eindeutig sagten, dass ich zusammengebrochen war und wohl am Boden gelegen hatte. Hatte John mich mitgenommen? Wenn ja.. dann: Scheisse! Aber es erschien mir irgendwie eher unheimlich, denn ich befand mich allem Anschein nach in einem Luxusappartement. Reich geschmückt mit Bildern und sonstigem Schnickschnack, der, wenn es darauf ankam eigentlich total unwichtig wurde. Ein Kamin – oder zumindest eine Attrappe davon – gab es ebenfalls und davor platziert war ein Bärenfell. Daneben war ein ziemlich grosser TV Bildschirm. Und auch die restlichen Möbel in meinem Blickfeld sagten mir deutlich, dass John mich liegen gelassen hatte und irgendeine gute Seele mich wohl aufgelesen hatte – und glücklicherweise scheinbar noch nicht erkannt hatte… Seltsam war es jedoch trotzdem. Jedoch musste ich erst wieder kurz Kräfte sammeln, bevor ich erneut versuchte, mich aufzusetzen. Ich hörte ein Rauschen, das mich an Regen erinnerte. Ob es draussen regnete? Der Blick auf ein Fenster blieb mir in dieser Position verwehrt aber es erschien mir auch seltsam, dass es heute regnen sollte. Wir hatten Sommer, äusserst schönen Sommer. Mit Regen war heute eigentlich nicht zu rechnen, wobei man bedenken musste, dass ich nicht sonderlich gut informiert war. Wann hatte man auf der Flucht schon einmal Zeit, sich mit Wetterberichten zu befassen? Gut, vielleicht war ich auch über einen Tag bewusstlos schlafend auf dieser Couch gelegen.. das könnte natürlich auch gut sein. Ich beschloss, dass ich mir die offenen Fragen lieber einmal selbst beantworten sollte und packte mit der einen Hand die Lehne der Couch. So konnte ich mich in eine halbwegs aufrechte Position bringen und meinen ersten Blick über die Lehne werfen. Mir wurde offenbart, dass hier scheinbar Wohnzimmer, Küche und Esszimmer im selben riesigen Raum waren. Das Wohnzimmer – in dem ich mich befand – war mit Hilfe von Treppen etwas im Boden versenkt. Das Esszimmer war vor riesigen Panoramafenstern und Die Küche besass sogar eine kleine Bar. Alles ganz hübsch eingerichtet. Aber in der Küche blieb mein Blick an etwas hängen. Oder in diesem Fall an jemandem. Ein weisshaariger Mann war gerade dabei, den Inhalt des Kühlschranks unter die Lupe zu nehmen. Ich zog die Stirn kraus. Er hatte eindeutig weisses Haar, hatte aber vom Körperbau her überhaupt nicht die Züge eines Greisen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sprach kein Wort. Irgendwie hatte ich Angst davor, dass er sich umdrehte und ich womöglich meinem zweiten Retter in die Augen blickte. Aber irgendwie war ich fast schon froh, dass es nicht schon wieder John war, der mich vor meiner eigenen Dummheit gerettet hatte. Denn sonst begann ich allmählich mehr in seiner Schuld zu stehen, als ich es eigentlich wollte. Der Weisshaarige schien sich für etwas entschieden zu haben, denn er schloss die Kühlschranktür. Mit einer Dose Coke in der Hand drehte er sich zu mir um. Erst sah er überhaupt nicht in meine Richtung sondern stellte die Dose auf die Bar ab und öffnete sie mit einem Zischen. Dann hob er wohl mehr zufällig den Kopf und sah in meine Richtung. Währenddessen hob er das Getränk an seine Lippen und wollte eben einen Schluck nehmen, als ihm auffiel, dass ich aufgewacht war. Er stockte in der Bewegung und musterte mich erst einmal. Ich hielt mich weiter an der Lehne fest und wusste nicht, ob ich ihm zulächeln sollte oder zurückhaltend agieren sollte. Ich blieb dabei, ihn lediglich misstrauisch anzusehen. Der Weisshaarige liess die Dose langsam sinken, bis sie den Stein des Tresens erreicht hatte. Dann liess er sie langsam los. Er verzog die Mundwinkel zu einem leichten Lächeln, während er langsam auf mich zu kam. Selbst wenn ich es gewollt hätte, momentan hätte wegrennen sich als äusserst schwer herausgestellt. „Na, gut geschlafen?“ Irgendwie machte ihn sein Lächeln gleich viel sympathischer und ich verlor einen grossen Teil meines Misstrauens. Wenn er mir etwas hätte antun wollen, dann hätte er dies schon lange tun können. Immerhin trug ich eigentlich nur Unterhosen – wo zur Hölle war bloss meine Hose geblieben?! Glücklicherweise schien er mich genau aus diesem Grund zugedeckt zu haben – auch wenn ich die Decke im Schlaf und wohl als Folge meines Albtraums halbwegs zu Boden gestrampelt hatte. Immer noch weniger unheimlich, als mit fremden Klamotten am Leib aufzuwachen und zu wissen, dass ein wildfremder ziemlich weit in die Intimsphäre eingedrungen war und wiederum ohne zu wissen, wie weit genau er nun eingedrungen war. Ich beschloss aber trotzdem erst einmal keine Antwort zu geben. Das Lächeln wurde nicht erwidert. „Du brauchst keine Angst zu haben. Hier bist du in Sicherheit.. vor wem auch immer.“ Er stand nun schon fast bei mir. Ausweichen war ja sowieso unmöglich und ob ich gerade fähig war, mich zu phasen – dessen war ich mir nun auch wieder nicht ganz sicher, denn ich war wirklich ziemlich geschwächt. Der Weisshaarige sah aus der Nähe überhaupt nicht alt aus, ganz im Gegenteil. Er war vielleicht etwas älter als John und auch als Bobby. Aber wirklich alt nun auch wieder nicht. Das passte nun aber so gar nicht zu den weissen Haaren. Ein Grund weshalb mein Blick immer wieder zu seiner Haarpracht wanderte. Er liess sich neben mir nieder und zwar so, dass ich meine Beine kaum wegziehen brauchte. „Wie ist dein Name?“ Er lächelte noch etwas mehr und wirkte wirklich vertrauenswürdig. „Wer will das wissen?“ Meinte ich knapp. Da nicht mein gesamter Körper von der Decke überzogen war, blitzte auch ein Teil meines Verbandes hervor, was mir jedoch gar nicht auffiel. Ihm wohl schon, auch wenn er deswegen noch nichts sagte. Stattdessen lachte der Weisshaarige auf, wohl mehr über meine Worte als über etwas anderes. Ich legte den Kopf leicht schräg und musterte ihn abwartend. „Ok..ok immer misstrauisch, hab ich nichts gegen.“ Er zwinkerte mir zu und hielt mir dann seine Hand hin. Ich betrachtete die Hand kurz, ehe ich ihm wieder in die Augen sah. Ich machte noch keine Anstalten, sie zu nehmen und zu schütteln. „Dann möchte ich jedoch auch wissen, mit wem ich es zu tun habe..“ Er lächelte erneut und fügte dann hinzu: „Ich bin Pietro.“ Die Hand wurde immer noch hingehalten, bereit dafür, von mir geschüttelt zu werden. Er hielt sie jetzt sogar noch etwas näher zu mir. Eigentlich wirkte er ja auch ganz freundlich auf mich. Wohl irgendein netter Mensch, der nicht vermutete, dass er sich gerade eine Mutantin ins Haus geholt hatte. Eine Mörderin noch dazu. Pietro hiess er also. Aus der Nähe war noch deutlicher zu sehen, dass er ebenfalls noch recht jung war. Ich sah auf seine Hand. Er hatte mir seinen Namen genannt, jetzt war es wohl nur fair, wenn ich meinen auch nannte. Jedoch wollte ich mich auf keinen Fall weder als Shadowcat, noch als Kathrine oder gar als Kitty vorstellen. Bloss keinen Verdacht erwecken, solange er nicht wusste, wer ich war. Also entschied ich mich, wieder auf den Namen auszuweichen, den ich auch schon zuvor auf meiner Flucht verwendet hatte. Vorsichtig griff ich nach seiner Hand und drückte sie so kurz wie möglich: „Sherryl.“ Die Hand liess ich so schnell wie möglich los, als hätte ich etwas heisses berührt. „Sherryl also.. süsser Name.“ Bemerkte er immer noch freundlich. Ich warf kaum merklich einen Blick aus dem fenster. In der Morgendämmerung – so lange konnte ich also nicht geschlafen haben – war deutlich zu erkennen, dass es draussen nicht regnete und doch war deutlich immer noch dieses Rauschen zu hören. Das machte mich stutzig. „Ich will ja nicht fies sein oder so.. aber ich denke du hast es verdient, vorgewarnt zu werden.“ Ich runzelte die Stirn und legte den Kopf leicht schräg. Das Rauschen war vergessen, denn nun war meine Neugierde darauf gelenkt, was ich denn so unbedingt wissen sollte. Wie meinte er das jetzt? Vor was warnen? Davor, dass S.H.I.E.L.D. gleich hier auftauchen würde und mich in Ketten abführen würde..? Wohl eher weniger. Er nahm mir das Überlegen ab, als er fortfuhr: „Er macht das alle paar Tage..“ Der Weisshaarige lächelte leicht. Diesmal hatte sein Lächeln jedoch etwas Mitleidiges in sich. Ich zog fragend eine Augenbraue hoch. „Ja.. wie soll ich das erklären..“ Er lachte schon fast hilflos und etwas unbefangen auf. „Er nennt dich süss, niedlich, gutaussehend.. das ganze Programm. Schmiert dir Honig um den Mund, lullt dich ein..“ Pietro zuckte mit den Schulter und druckste etwas herum. Ich fragte mich schon lange, wer ‚Er‘ denn nun eigentlich war. Zweifelsohne derjenige, der mich hierher gebracht hatte und langsam schien auch durch, dass es wohl ein ziemlicher Frauenheld sein musste. „Nimmt sie mit sich nach Hause.“ Innerlich musste ich schmunzeln über diese Aussage. Er glaubte wohl, ich sei eines dieser Mädchen. Nett von ihm war es schon, mich vorzuwarnen. Bevor ich dazu kam, etwas zu antworten fügte er an: „Und ich finde.. du bist einfach zu hübsch, dass er das auch mit dir abzieht..“ Er kratzte sich dabei etwas verlegen am Hinterkopf. Damit brachte er mich dazu, etwas aus meiner steifen Haltung zu kommen und sogar den misstrauischen Blick abzulegen. Stattdessen musste ich sogar leicht lächeln. „Aber das hörst du sicherlich ziemlich oft..“ Meinte Pietro und wandte etwas beschämt über sein Geständnis den Blick von mir ab. „Hat er dir sicherlich auch schon tausendmal gesagt..“ Meinte er – nun klang es eher kleinlaut. Das liess mich wiederum leicht schmunzeln, obwohl ich nicht einmal wusste, er dieser ominöse ‚Er‘ eigentlich war. Verwunderlich war aber auch, dass der Weisshaarige überhaupt nichts grosskotziges oder arrogantes an sich hatte – ich erinnerte mich an John, den ich noch vor wenigen Stunden getroffen hatte. Dieser war das genaue Gegenteil von Pietro, auch wenn dieser es durchaus auch hätte sein können, denn um ehrlich zu sein, schlecht sah er nun wirklich nicht aus. Ganz im Gegenteil. „Ich seh fürchterlich aus.. grade.“ Meinte ich und strich mir unbewusst meine Haare zurecht. Dabei schien ich wohl auch irgendwie die Hoffnung zu haben, dass sie nicht allzu fettig oder durcheinander waren. Dass mich gerade interessierte, wie ich aussah oder wie ich rüberkam, fand ich jedoch etwas beunruhigend… Und irgendwie musste ich herausbekommen, wer ‚Er‘ war – am besten ohne dass der Weisshaarige herausfand, dass ich nicht einmal wusste, wer ‚Er‘ war. Ich traute mich jedoch nicht, eine direkte Frage dahingehend zu stellen, „Finde ich überhaupt nicht…“ Meinte der Weisshaarige und war mir plötzlich unnatürlich nahe. Ich wich jedoch nicht zurück. Stattdessen musterte ich seine wässrig blauen Augen. Irgendwie hatte ich genau diese Augen schon einmal gesehen, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, wo. „Darf ich dich was fragen..?“ Meinte Pietro etwas zögerlich. Ich bemerkte, wie er mein gesamtes Gesicht musterte. Meine Lippen bewegten sich kurz auf und ab, aber ich sagte nichts. Stattdessen nickte ich nur. Ich spürte es wohl in dem Moment genau, wie der Weisshaarige selbst. Diese Spannung zwischen uns, die plötzlich irgendwie da war. Er war abwartend und ich auch. „Darf ich dich küssen…?“ Irgendwie hätte mich diese Frage nun wohl schockieren können, denn immerhin kannten wir uns gerade mal seit höchstens zehn Minuten und ausserdem sass ich immer noch nur mit Unterhosen bekleidet auf seiner Couch. Aber vielleicht war es eine Sehnsucht nach Nähe, nach Trost, nach einer Schulter, an der ich mich anlehnen konnte, die mich die Frage nicht mit einem: Nein, beantworten liess. Stattdessen – so quasi als Antwort – näherte ich mich seinem Gesicht noch etwas und schloss dabei langsam die Augen. So konnte er noch die letzten, wenigen Zentimeter die geblieben waren überwinden. Und das tat er auch. Erst genau so vorsichtig, wie er auch schon gefragt hatte. Pietro drückte seine warmen Lippen auf meine und ich erwiderte, öffnete den Mund um auch seine Zunge eindringen zu lassen. Während wir das taten schlang ich meine Arme um ihn. Ich weiss nicht, was mit mir los ist.. ehrlich.. ich habe keine Ahnung, wieso mein Körper mich diese verrückten und absolut hirnverbrannten Dinge tun lässt, die ich in den letzten zwei Wochen getan habe. Aber in diesem Moment wollte mein Körper seine Nähe. Auch wenn ich ihn nicht kannte, es gab mir Sicherheit. Er hatte doch so einen freundlichen Eindruck hinterlassen... Pietro schloss mich in seine Arme und lehnte sich dann leicht vor, um uns in eine bequemere Position zu bringen. Das hiess in dem Falle, mich erst einmal auf die Couch zurückdrücken. Dabei achtete er aber gar nicht auf meine Verletzung. Vielleicht hatte er diese ja auch noch gar nicht gesehen. Aber so wie er sich jetzt positionierte lag er teilweise auf meinem verletzten Bein. Anfänglich versuchte ich den aufkommenden Schmerz herunterzuschlucken. Doch je länger die Situation andauerte, desto schwieriger wurde es für mich und als er sich noch weiter vorbeugte und dabei mein Bein zwischen seinem Körper und der Couchlehne einklemmte, konnte ich einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Meine Hände fuhren zu meinem Bein und ich versuchte seinen Körper davon wegzubekommen, auch wenn ich mich gerne weiterhin von ihm hätte küssen lassen wollen. „Lass sie sofort los!“ Hörte ich jemanden zischen. ‚Er‘…Ich drehte den Kopf zur Seite und erblickte John. Jetzt wusste ich auch, woher das Rauschen gekommen war. Der Feuerteufel hatte soeben geduscht. Seine Haare waren noch ganz nass davon. Ausserdem trug er keine Kleidung und hatte sich nur ein Handtuch umgebunden. Wohl hatte er meinen Schmerzensschrei gehört. Für ihn musste es wohl ganz so aussehen, als würde Pietro die Situation ausnutzen. Dass ich ihn nicht freiwillig geküsst hatte.. Der Feuerteufel packte denn Weisshaarigen und riss ihn mit ganzer Kraft von mir herunter. Ich schnaufte erst einmal tief durch, da mein Bein wieder entlastet war. „Verdammter Mistkerl, hast du denn vor gar nichts und niemandem Respekt?“ Fauchte John Pietro an. Ich rief dazwischen, weil ich eigentlich bereits kommen sah, was wohl gleich geschehen würde: „John.. nein!!!“ Zu spät. Der Feuermutant hatte bereits ausgeholt und verpasste Pietro eine kräftige Linke – Ja, John ist Linkshändler – die es in sich hatte und den anderen taumeln liess. Ausserdem sah ich bereits Blut an Johns frisch gewaschenen Händen kleben. Ich hielt mir die Hände vor den Mund und schrie erneut auf, diesmal vor Entsetzen. Johns Blick wanderte zu mir, in seinem Blick war die pure Verachtung. Und als ob dies nicht schon genug wäre, rollte er auch noch genervt mit den Augen. Dann packte er mich wortlos am Arm und zog mich auf die Füsse. Mein eines Bein knickste schon wieder halb ein. Doch erbarmungslos schob er mich vor sich her und drängte mich schliesslich in ein Zimmer. Dort liess er mich los und ich liess mich auf das grosse Bett fallen, vor Schmerzen wimmernd. Den Blick, den Pietro John zugeworfen hatte, diesen äusserst fiesen und hinterhältigen – diesen Blick hatte ich nicht mehr gesehen. „Sag mal hast du sie noch alle?! Das tut weh!!“ Keifte ich John in meiner Wut darüber, gerade wie immer wie eine Sache behandelt worden zu sein, die man beliebig hin und her schubsen konnte, an. Er hatte nichts anderes verdient. Mein Bein tat höllisch weh. Die Stelle am Arm, an der er mich gehalten hatte ebenfalls. Ich war sogar so wütend, dass ich mir erst einmal keine Gedanken um seinen Körper machte, der dort, wo er sonst Shirts oder Jacken trug übersäht war mit Brandnarben. Der ganze Brustkorb – was auf dem Rücken war, konnte ich nicht beurteilen, das hatte ich auch während er mich aus dem Wohnzimmer gezogen hatte, nicht sehen können. Wenn ich wütend wurde, war das unmittelbar auch immer mit einem Gefühlsausbruch begleitet. Ich konnte nicht lange wütend sein, ohne früher oder später anzufangen zu heulen. Es war verdammt ärgerlich, vor allem, weil ich dann wieder als Heulsuse dastand, obwohl ich eigentlich nur ziemlich wütend war. So stiegen mir auch jetzt die Tränen bereits langsam in die Augen. „Du kannst wohl immer noch nicht selbst auf dich aufpassen, was?!“ John ballte die Hand zur Faust und schlug diese gegen den Türrahmen, neben dem er stand. „Wenn es einen Gott gibt – was ich nicht denke – dann wollte dieser, dass du phasen kannst. Und er hat dir diese Fähigkeit gegeben, damit du sie auch einsetzt! Und nicht in den dümmsten Momenten jedes Mal vergisst, dass du dich eigentlich einfach wegphasen könntest!!!“ Diese Worte waren nur noch gebrüllt, sodass ich ihn kurze Zeit verdutzt ansah. Verdutzt über diesen sonst für John so untypischen Gefühlsausbruch. Zwar war das, was er mir zeigte eigentlich nur blanke Wut, aber immerhin war es nicht wie sonst immer Gleichgültigkeit. Vielleicht sollte ich mich ja jetzt geehrt fühlen? „Wie bitte?!“ Ich hatte mich von der ersten Überraschung – man konnte es auch gut den ersten Schock nennen – erholt und brüllte nun in mindestens so lautem Ton zurück. Was fiel ihm eigentlich ein, mich so anzufahren? Was ich tat war doch ganz alleine meine Sache. Er hatte da überhaupt nichts mitzubestimmen. Es ging ihn überhaupt nichts an. Er brauchte nicht immer meinen Beschützer zu spielen. Ich konnte ganz gut auf mich selbst aufpassen. „Vielleicht wollte ich mich gar nicht wegphasen!! Schonmal daran gedacht?!“ Irgendwie war mir schon klar, dass ich selbst doch auch überhaupt keine Ahnung hatte, was ich eigentlich wollte. Aber das war noch lange kein Grund für ihn, sich anzumassen, meine Entscheidungen treffen zu müssen. Ich hörte Pietros Worte von vorhin in meinen Ohren wiederhallen: „Er macht das alle paar Tage..“, und die Möglichkeit, dass ich wirklich nur eine von vielen war und John leidglich auf ein heisse Bettgeschichte hoffte, war eigentlich doch naheliegender, als ich zuerst gedacht hatte. Meine Gedanken schweiften leicht ab, bis mir Johns Blick auffiel. „So ist das also..“ Meinte John tonlos. Er sah mich an. In diesem Moment sah ich in seinem Gesicht ganz klar Enttäuschung. Worüber war mir nicht klar – er war schon lange kein offenes Buch mehr für mich, aber da war diese unglaubliche Enttäuschung. Er verzog den Mund und wandte dann den Blick kurzzeitig ab. Er schwieg. Dann lachte er fast schon gekünstelt und absolut gezwungen auf und drehte mir den Kopf erneut zu. Ein bestätigendes Kopfschütteln folgte. Er sah mich längere Zeit an. Dann meinte leise und fast tonlos: „Du hast dich also doch kein Stück verändert…“ Ich sah ihn fragend an. „Es ist wie es immer war. Genau wie früher, was?“ Die Türe öffnete sich wieder. Ich sah fast schon hoffnungsvoll auf. Fast schon damit rechnend, dass nur einer den Raum betreten würde und zwar derjenige, der ihn zuvor in aller Eile verlassen hatte. Hastig versuchte ich, die Tränen von meinen Wangen zu waschen und meine Augen so weniger verquollen aussehen zu lassen. Allerdings war ich noch so schlau, die Decke über meinen ansonsten vollkommen nackten Körper zu ziehen und somit alle interessanten Stellen abzudecken. Ausserdem wandte ich den Kopf ab – jedoch so, dass ich die Tür doch noch mit dem Augenwinkel im Blick hatte. Ich legte mir bereits gedanklich die Worte zurecht, die ich sagen wollte. ‚Bobby, du bist wieder da..‘ oder ‚Bobby, anscheinend hast du endlich erkannt, was du eigentlich an mir hast.‘ Ich wollte bereits zu diesen Worten ansetzte, als ich erkannte, dass nicht Bobby in der Türe stand, sondern John, der mich erst einmal fragend musterte. Meine Augen weiteten sich. Verdammt!! Bobby hatte seit neuestem ja einen Zimmergenossen – einziger Trost war, dass Betreffender ja sowieso schon von Bobbys und meinem kleinen Geheimnis wusste. Aber trotzdem. Ich sass hier gerade nackt in Bobbys Bett. Das wirklich peinliche war jedoch, dass alle meine Kleider im gesamten Raum verteilt waren. Aber ich hätte jetzt auch einfach nur losheulen können. Aus der Verzweiflung heraus, dass Bobby nicht zurückgekommen war. Doch Johns Anwesenheit hielt mich weiterhin zurück, einfach dort weiter zu machen, wo ich als die Türe sich geöffnet hatte, aufgehört hatte. Beim Weinen. Und ich hatte schon damals in seinem Blick dieselbe Enttäuschung gesehen, die ich nun, zwei Jahre später. Und bis heute wurde ich nicht schlau daraus. Ich hatte keine Ahnung, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Ich war nie dazu gekommen, ihn zu fragen und wenn ich Zeit dazu gehabt hätte, hatte ich es jeweils einfach vergessen. Egal was er in diesem Augenblick dachte, er sprach es nicht aus und im Nachhinein hätte ich es gerne gewusst, damals schon, stattdessen meinte er lediglich, ohne auf die Tatsache zu reagieren, dass ich nackt war: „Lust auf.. ne heisse Schokolade?“ Ich hatte jetzt mindestens einen spöttischen Kommentar erwartet – ganz nach dem Motto: Na, was habe ich dir gesagt? Und er hatte ja auch Recht gehabt, erstaunlicherweise. Also hätte ich ihm die Freude sogar gelassen. Tiefer als jetzt konnte ich doch sowieso nicht mehr sinken – das dachte ich zumindest damals noch. Deswegen liess er mir wohl auch diese kurzen Minuten der Verwirrtheit, ehe ich mit dem Kopf nickte. Sprechen fiel mir gerade noch ziemlich schwer, denn meine Stimme war brüchig. Er sah mich noch einmal kurz an, ehe er das Zimmer verliess und die Türe hinter sich schloss. Erst jetzt bemerkte ich, dass er die heisse Schokolade eigentlich nur holen ging, damit ich die Gelegenheit hatte, mich wieder anzuziehen. Langsam erhob ich mich und torkelte durch den Raum, meine Klamotten zusammen suchen und sie mir dann der Reihe nach über zu streifen. Irgendwie fühlte ich mich schmutzig. Als ich mich angezogen hatte, liess ich mich wieder auf dem Bett wieder. Dass es sich diesmal um Johns Bett handelte, war mir gar nicht klar, zu sehr war ich in meinen eigenen Gedanken versunken. Aber geweint hatte ich während ich mich angezogen hatte auch nicht – schon seltsam, hatte ich doch zuvor noch das Gefühl verspürt, gleich losheulen zu müssen. Ich fragte mich, was Bobby jetzt wohl machte. Wahrscheinlich sass er gerade neben ihr und… oh man, dieses Wort sollte ich nicht nehmen.. aber.. ja gut.. und fickte sie in Gedanken, weil er es in Echt nämlich niemals können würde. Ich schloss die Augen, obwohl das nur zur Folge hatte, dass ich mir noch mehr ausmalte, was die beiden wohl gerade taten und dass Rogue wohl keine Ahnung hatte, was Bobby gerade eben noch getan hatte – mit mir. Die Tür öffnete sich wieder und ich zuckte zusammen. Doch es war erneut John. Er kam mit zwei Tassen in der Hand, schloss die Tür hinter sich – was mit vollen Händen gar nicht einmal so leicht war – und liess sich dann langsam neben mir nieder. War ja schliesslich auch sein Bett – was mir jetzt auch auffiel. John schwieg, er sah nicht einmal in meine Richtung. Stattdessen hielt er mir nur die Tasse vor die Nase. Ich nahm sie zögerlich und langsam und drehte ihm den Kopf zu. Ich war wütend und enttäuscht und irgendwie war John eben gerade der einzige, an dem ich das auslassen konnte, weshalb ich in eher unfreundlichem Tonfall meinte: „Ja, sags doch! Sag doch, was du sowieso sagen willst! Ich bin naiv, gutgläubig… du hasts mir von Anfang an gesagt. Blabla..!“ Ich schüttelte den Kopf und kämpfte mit den aufkommenden Tränen. Bobby hatte mich einfach alleine gelassen. Mit einer Ausrede, dass er noch mit jemandem verabredet sei. Und der Erklärung, dass er mit derjenigen Person noch etwas für die Schule tun müsse. Von wegen. Ich konnte mir selbst denken, bei wem er gerade war. Und es tat weh. Und wie es weh tat. Ich fühlte mich gerade so benutzt wie noch nie. Aber ich rechnete gar nicht damit, dass John sensibel genug sein konnte, um mich zu verstehen. Er hatte mir bis jetzt eigentlich bis auf dieses eine Mal, bei dem er mich vor Duncan beschützt hatte, nur die Seite von sich gezeigt, die man eigentlich nur verabscheuen konnte. Und den ganz kleinen Teil, der einem stutzig werden liess und der einem eventuell sogar nachfragen liess, wer er nun wirklich war, den hatte er geschickt und auf der Stelle mit Arroganz und absolut dreckigen Sprüchen überdeckt. „Klar hab ich das gesagt.“ Meinte er mit einem Schultern zucken und ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass er mir seinen Kopf zudrehte. „Aber ich wusste auch schon, als ich es sagte, dass du sowieso nicht auf mich hören würdest..“ Er schmunzelte leicht, es lag etwas Mitleidiges in diesem Schmunzeln. „Wieso solltest du auch auf jemanden wie mich hören? Was verstehe ich denn schon von Liebe.. richtig?“ Ich sah ihn an. Direkt in seine tiefen, braunen Augen. „Thaha.. was denkst du, wie viele Fehler ich schon gemacht habe?“ Er lachte leise auf und schüttelte dann leicht den Kopf: „Mum und Dad würden wohl sogar sagen, dass mein gesamtes Leben ein Fehler ist.. aber scheiss doch drauf.“ Er winkte ab und nippte stattdessen etwas an seiner Tasse. Ich tat es ihm gleich. Leicht verwundert über das, was er soeben gesagt hatte. Wollte er mich aufheitern und nicht, wie ich es erwartet hatte, niedermachen und noch mehr demütigen? „Bist.. bist du auch schonmal.. einfach gegangen?“ Ich ging jetzt wirklich einfach einmal davon aus, dass er sein erstes Mal schon vor längerer Zeit hinter sich gebracht hatte. Von dem ausgehend, was wir bereits geredet hatten, von seinem Alter, seinem Charakter, seiner Art die Mädchen zu umgarnen. Ich wusste aber nicht, warum ich ausgerechnet ihn das fragte. Vielleicht weil er der einzige war, der gerade im Raum war. Der einzige, der mir gerade zuhörte – und das auf eine normalere Weise als Jubilation es getan hätte. Meine beste Freundin wäre sicherlich mit der erst besten Mistgabel auf Bobby los gegangen, um diesem klar zu machen, wie sehr er mich damit verletze. John brauchte etwas Zeit. Vielleicht überlegte er sich, ob er nun ja oder nein sagen sollte oder vielleicht feilte er auch nur noch an den Worten, die er sagen würde. Er lehnte sich zurück, sodass er mit dem Rücken gegen die Wand lehnen konnte und sah dann zu mir. „Ja.“ Gab er eine ziemlich kurze Antwort und schien das auch sogleich zu merken. „Schon mehrere Male.. aber nicht immer.“ Fügte er deswegen an. Ich spürte wie mir noch mehr Tränen hoch kamen, konnte mich jedoch noch zurückhalten. „Wieso bist du einfach gegangen?“ Fragte ich tonlos. Wahrscheinlich genau die Frage, der er hatte ausweichen wollen, denn er brauchte noch länger Zeit als zuvor. „Weil es mir nichts bedeutet hat.“ Irgendwie hatte ich so etwas in der Art schon erwartet. Und gerade traf mich diese Aussage wirklich hart, dahingehend war es ziemlich taktlos von John, aber wenn ich so nachfragte konnte er ja kaum etwas anderes sagen und eine schlaue Ausrede auf die Schnelle zu erfinden, das ging nun auch nicht sonderlich gut. Diese Worte trafen mich, ähnlich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich musste schlucken und versuchte die Tränen, die nun hochkamen einfach herunterzuschlucken. Ohne Erfolg. Einzelne Tropfen begannen über meine Wangen zu laufen. John merkte natürlich sogleich, dass ich wohl bald einen Heulkrampf erleiden würde, weshalb er mir geschickt die Tasse aus den Händen zog, sodass ich schonmal keinen Kakao verschütten konnte. Er stellt die beiden Tassen auf seinen Nachttisch. „Aber manchmal bist du geblieben..“ Meinte ich nachdenklich und musterte den Feuerteufel, der es sich nun wieder an die Wand gelehnt bequem machte. Mittlerweile sah ich ihn nur noch verschwommen, da die Tränen schon zu sehr Überhand über meine Sehkraft gewonnen hatten. „Bist du schweigend neben ihr gelegen.. hast du sie in den Arm genommen..? Hast ihre Hand gehalten?“ John nickte bei allen Punkten die ich aufzählte und es erstaunte mich wirklich – wie gesagt, ich hielt ihn für absolut unsensibel und noch dazu gefühlslos. „Das war das schönste an allem.“ Meinte er kaum hörbar. Jetzt sah ich ihn nicht mehr nur an, ich starrte ihn regelrecht an, weil ich es kaum glauben konnte, solche Worte aus seinem Mund zu hören. Dass mir mein Mund dabei nicht vor Verwunderung aufklappte, das war doch mehr als verwunderlich. Als er meinen Blick bemerkte, musste er verlegen schmunzeln. Und genau dieses verlegene schmunzeln gepaart mit diesem Satz sorgte dafür, dass ich meinen Gefühlen endlich wieder freien Lauf liess. Ich weinte und mir war dabei praktisch auch egal, dass er zusehen konnte. Im Gegenteil ich vergrub den Kopf in seiner Brust und weinte und ich spürte, wie er fast schon schützend den Arm um meine Schultern legte. Als wolle er mir damit zeigen, dass er mich beschützen würde. Vor allem, das noch kommen würde. Oder aber, dass er zumindest versuchen würde, mich zu beschützen. Von diesem Tag an war für mich klar, dass John auch anders sein konnte, als er sich immer gab. Dass man nur etwas in die Tiefe gehen musste, um diese Seite von ihm zu finden. In den Momenten, in denen er so intelligente und einfach nur richtige Sätze von sich gab wie eben vorhin oder auch nach der Duncan Sache, fiel mir das besonders auf. Und von diesem Tag an waren wir Freunde. Wir kabbelten uns zwar immer gerne, aber jetzt kabbelten wir uns auf freundschaftlicher Basis. Aus Freunden wurden gute Freunde und schliesslich beste Freunde. Das einzig seltsame an unserer Freundschaft war, dass er immer und jederzeit für mich da war, wenn ich Trost brauchte, weil ich wieder Stress mit Bobby hatte – ja, ich habe mit der Bobby Sache nicht gleich abgeschlossen.. um ehrlich zu sein hat das meine gesamte Institutszeit belastet und mein erstes mal mit ihm sollte nicht das letzte Mal mit ihm bleiben… Aber zurück zu John! Er war immer für mich da, nur ich bekam fast nie die Gelegenheit für ihn da zu sein, da er seine Probleme lieber selbst löste und mir – wenn ich Glück hatte – danach noch davon erzählte. Aber das war immer das Problem in unserer Freundschaft. Ich glaubte zwar immer wieder, dass ich recht viel hinter seine Fassade blicken konnte, aber wenn ich so darüber nachdenke, dann hat John mir wohl auch ziemlich viel nicht gezeigt oder manche Teile einfach verschwiegen. Ich wäre ganz gerne Telepathin gewesen, dann hätte ich zumindest erkennen können, was John eigentlich dachte. ~ Johns Sicht: Ich versuchte sie so sorgfältig wie möglich zu transportieren. Eine leichte Aufgabe, war sie doch genauso leicht wie eine Feder. Naja.. vielleicht etwas zu sehr untertrieben aber trotzdem: Erschreckend leicht, früher war sie schwerer gewesen – oder war ich stärker geworden? Nein.. wenn ich ihr Gesicht so betrachte, dann hat sie eindeutig abgenommen. Nur schon in den zwei Wochen ihrer Flucht. Aber davor wahrscheinlich auch noch. Schade um das schöne Gesicht, auch wenn es selbst ausgemergelt noch wunderschön war. Ich zwang mich, den Blick abzuwenden und schaffte sie stattdessen in Sicherheit, auch wenn es mir schwerer fiel, nachdem sie das Lied von früher angestummt hatte. Sie wusste wohl auch noch, dass es mein Lieblingslied war. Aber vielleicht sagte sie das auch nur in einer Art Delirium. Aber es erinnerte mich an die Alten Zeiten, die ich verdrängt hatte, und das genügte, um meinen Körper und meinen Geist in Aufruhr zu versetzen. Aber eigentlich war das auch schon vor ihrem Singsang geschehen gewesen, schon ab dem Moment, ab dem ich sie wieder gesehen hatte. Ich legte sie erst einmal auf die Couch und deckte sie zu – ein Fehler, wie sich später noch herausstellen würde. Dann begab ich mich ins Badezimmer. Ich musste erst einmal duschen. Etwas Zeit für mich haben, zum nachdenken. Umso besser also, dass mein Kätzchen jetzt tief und fest schlief wie ein Engelchen. Ich schloss die Tür hinter mir ab und streifte meine teilweise blutbefleckten Kleider ab. Das Blut machte mir nichts aus, war auch schon öfters vorgekommen. Ich betrachtete mich im Spiegel und dachte nach. Es war alles ewig her und erschien deswegen wie in einem Traum und doch schaffte sie es noch immer, meinen Verstand von einem Moment auf den anderen in eine so ungewohnte Verwirrung zu bringen. Life sucks.. und shitt happens eben. Ich fuhr nachdenklich über eine der Brandnarben, die gefährlich quer über meine Brust verlief… Ich fühlte mich so verdammt schmutzig. Ich war Dreck, schon immer gewesen. Wie hatte mein Dad immer gesagt: Sogar die Kakerlaken in unserer Küche haben es mehr verdient zu leben, als du. Ich fuhr mit meinen Händen über meine Augen. Ich liess das Wasser über meinen Körper rinnen, heiss, wie immer. Heute besonders heiss. Hitze löste irgendwie einen Rausch aus. Ähnlich wie früher Zigaretten – ganz früher, als ich noch klein war. Mit der Zeit kommt man in eine solche Abhängigkeit, dass man es kaum mehr spürt. Man braucht es zwar, spürt es aber nicht mehr. Wenn ich mir meine Kippen nicht klauen würde – oder sie von gestohlenem Geld kaufen würde – könnte man es Geldverschwendung nennen. Langsam begann ich, das schon etwas eingetrocknete Blut von meinem Körper zu waschen. Es tat gut, aber weniger schmutzig kam ich mir deswegen nicht vor. Sie hatte schon recht mit ihrer Meinung über mich. Der Wasserdampf vernebelte die Sicht und hatte den Spiegel beschlagen. Ich wischte etwas über die glänzende Oberfläche, um mein Abbild zu betrachten. Die nassen Haare hingen mir noch leicht ins Gesicht. Meine Hand blieb auf der Spiegeloberfläche. Wieder dache ich nach. Über sie, über mich, über das was geschehen war, was wir hatten und was wir wohl niemals haben würden. Die Hand die auf dem Spiegel ruhte verkrampfte sich langsam zu einer Faust. Ich lehnte mich vor, bis meine Stirn auf der kühlen Spiegeloberfläche aufkam. Ich schloss die Augen. „Wieso.. wieso verdammt tue ich das..?“ Es war nur ein leises Flüstern, als hätte ich Angst, dass sie mich belauschen könnte. Dumm von mir. Ich war eben doch ein Idiot. Sie schlief sicherlich noch immer zuckersüss. Sie hatte es verdient. Ich verdiente ganz anderes… ~Back to Kittys Sicht: -„So ist das also.. „Du hast dich also doch kein Stück verändert. Es ist wie es immer war. Genau wie früher, was?“- „Ja, so ist das also“ Meinte ich nach einigen Minuten des Zögerns, während John sich seitwärts gegen den Türpfosten lehnte. Er war ganz klar kräftiger geworden als früher. Sein Körper war zwar immer noch schlank und sportlich, hatte aber ganz klar mehr Muskeln. So halbnackt wurden auch die zahlreichen Brandnarben entblösst, die seinen Köper zierten und mich abermals stutzig werden liessen. Doch bevor ich etwas darüber bemerken konnte, meinte John in verachtendem und spöttischem Tonfall – ganz das Gegenteil seines vorigen Verhaltens: „Thahaha… Du bist und bleibst also doch das naive, dumme kleine Mädchen von früher, dass man ausnutzen kann, wie man will.“ Er lachte dreckig auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Bei dem hämischen Grinsen, das auf seinem Gesicht lag, war mir sogleich klar, dass das noch nicht das Ende gewesen war. Dass er nur gerade ausholte, um mich mit Worten zu vernichten. Meine Erwartungen wurden natürlich nicht enttäuscht: „Ich meine, Bobby brauchte doch auch bloss zu schnipsen und du hast dich von ihm ficken lassen. Immer..“ Die letzten Worte liess er sich auf der Zunge zergehen: „Und immer.. wieder.“ Dabei besass er auch noch die Frechheit, Stöhnlaute von sich zu geben und Bobbys Namen zu hauchen. Bobby.. Bobby.. Oh Bobby, gibs mir.. fick mich. Ich ballte die Hände zu Fäusten und mein gesamter Körper verkrampfte sich „Und bei Pietro is das doch genauso. Du hättest dich doch von ihm ficken lassen, wenn ihr etwas mehr Zeit gehabt hättet.. wart ja sowieso schon halb dabei… Im Grunde bist du ziemlich leicht zu haben.“ Fügte John noch hinzu. Ich funkelte ihn wütend an. Hätte ich nicht!! Wie konnte er es wagen so etwas zu sagen. Oder hätte ich doch…? Ich konnte es nicht sagen. Manche Dinge passieren einfach. Und das viel zu schnell. Ich musste mich regelrecht zu einem Grinsen zwingen. Aber langsam reichte es wirklich! „Vielleicht bin ich leicht zu haben, aber nur, wenn der Typ nett ist.“ Ich verteidigte Pietro gerade. Auf die Anspielung, dass ich mich wie eine Schlampe aufführte, ging ich gar nicht ein. Er musste mir nicht schlampiges Benehmen vorwerfen. Er war der letzte, der das konnte – genau wie er viel von mir wusste, wusste auch ich von praktisch jeder Bettgeschichte, die er während der Zeit am Institut gehabt hatte. Ausserdem konnten wir uns diese Diskussion sparen, denn er und ich wussten, dass das nicht stimmte. John hatte mich damit sowieso nur provozieren wollen. Der Feuerteufel sah mich kurz mit einem – sogar für mich – undefinierbaren Blick an. Dann lachte er bitter auf und schüttelte langsam den Kopf. Seine braunen Augen fixierten mich ernst, als er meinte: „Pietro ist ein Arschloch!“ Er kannte den Weisshaarigen – woher auch immer – sicherlich besser als ich. Aber trotzdem glaubte ich ihm nicht. Vielleicht erzählte er auch einfach etwas, um den Weisshaarigen schlecht zu machen – aus welchem Grunde auch immer. „Aber du hasts ja am liebsten, wenns dir Arschlöcher besorgen.“ Fügte John hinzu und beleidigte im selben Zug auch noch Bobby. Aber diesmal hatte ich eine schlagfertige Antwort bereit: „Dann wunderts mich aber, dass wir nur einmal gevögelt haben.“ John zog eine Augenbraue hoch. Denn das war das erste Mal, dass ich das sogenannte Tabuthema ansprach. Das Thema, das wohl nicht wenig damit zu tun hatte, dass er einfach gegangen war und ich ebenfalls so schnell, wie ich hatte gehen können. Aber ich sprach das Thema ja auch nicht an, um darüber zu reden, sondern nur, weil ich es benutzen wollte, um mich endlich gegen seine Worte zu wehren. Langsam erhob ich mich, den beissenden Schmerz in meinem Bein ignorierend. Währenddessen fuhr ich fort: „Ja, ich wundere mich wirklich, dass wirs nicht jeden Tag getrieben haben, wo du doch das grösste aller Arschlöcher bist! Er war so verdammt mies. Immer. Obwohl nicht immer gewesen. Früher nicht ganz, nur manchmal. Er wusste einfach viel zu viel über mich, doch im Unterschied zu früher, sprach er es jetzt auch aus und nutzte es, so oft er nur wollte, als Waffe. Er führte mir immer mal wieder die Fehler meiner Vergangenheit vor Augen. Die Fehler, die ich doch mit so viel Mühe und Aufwand verdrängt hatte. John sagte nichts, überhaupt nichts – und das hätte mir irgendwie sagen können, dass das, was ich eben gesagt hatte ihn verletzte, aber so wirklich. Aber stattdessen fuhr ich fort, denn ich war ebenfalls verletzt: „Und jetzt, da das naive Dummchen dir nicht weiter auf die Nerven gehen möchte, wird es verschwinden.“ Ich setzte mich langsam in Bewegung. Die ersten Schritte waren noch ziemlich wackelig, aber ich konnte es recht gut verdecken. Ich phaste mich direkt durch ihn hindurch. Ich wusste, wie sehr er das hasste. Früher hatte ich es nie getan, ohne seine Erlaubnis, aber früher war vorbei. Früher würde niemals wiederkommen – leider. Und früher hatte er auch niemals über Dinge gesprochen, die er mir nun ganz offen und Schritt für Schritt präsentierte. War doch nur fair, wenn ich dasselbe tat. „Auf Nimmerwiedersehen.“ Meinte ich trocken und hörte ihn daraufhin nur dreckig auflachen. Ein Beweis dafür, dass es ihm egal war. Wie immer. Ich kam durch die Tür, ging den Gang entlang und war wieder im Wohnzimmer. Pietro hatte sich inzwischen wieder seiner Coke gewidmet und hatte noch den Fernseher dazu angemacht. Als er mich hörte, drehte er den Kopf zu mir und schenkte mir erstmal ein Lächeln. Er hatte sich einen Teil eines Papiertaschentuchs in die Nase gesteckt um die Blutung zu stoppen – Wenn John zuschlug, dann wohl ziemlich hart. Mir war nicht nach lächeln aber trotzdem zuckten meine Mundwinkel leicht. Ich ging wortlos in Richtung Ausgang – wo ich ihn zumindest vermutete. Du gehst schon..? Hoffentlich nicht meinetwegen.“ Meinte der Weisshaarige. Es war ein entschuldigender Unterton zu hören. „Ich meine.. Ist er sauer, wegen dem Kuss…?“ Ich warf einen Blick in die Richtung aus der ich gekommen war und rollte mit den Augen. Dann meinte ich: „Nein.. nein nicht deinetwegen und nein John kanns egal sein, wen ich küsse.“ Ich war nachdenklich als ich meinte: „Es ist ihm sowieso egal, wen ich küsse.“ Ich war ihm genauso egal und er war mir egal. „Aber ich würde jetzt lieber gehen..“ Ich drehte mich wieder um und machte einige Schritte weiter – natürlich wieder mit Startschwierigkeiten. „Schade..“ Meinte der Weisshaarige etwas leiser und fügte dann hinzu: „In Unterhosen?“ Er grinste. Ich sah an mir herab. Ohja.. in meiner Wut hatte ich das ja ganz vergessen. „Ja, lieber als noch länger hier zu bleiben!“ Meinte ich bestimmt. Jetzt fiel mir auch erst auf, dass Pietro wahrscheinlich zumindest einen Teil von meiner und Johns ‚Unterhaltung‘ mitbekommen haben musste. Ich hoffte jedoch, dass er nicht wusste, warum ich ging. Denn die letzten Worte, die wir gewechselt hatten – diejenigen, mit dem meisten Inhalt – waren wieder in normaler Tonlage gewesen. Wahrscheinlich hatte er deshalb auch das Ende nicht gehört. Zum Glück. Das waren Dinge, die niemand hören musste, der es nicht bereits sowieso schon wusste. „Wiedersehen.“ Meinte Pietro und zog seine Augenbrauen nach oben. Ich rollte erneut mit den Augen. Diesmal aber nur spasseshalber, was mein darauffolgendes Grinsen ihm wohl auch verriet, denn er grinste ebenfalls wieder. „Mal sehen.. Glaube eher nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Liegt aber nicht an dir.“ Fügte ich hinzu, denn ich wollte immer noch, dass er nicht dachte, dafür verantwortlich zu sein. Dann drehte ich mich noch einmal um und ging. Den Ausgang zu finden war einfach, ich hatte richtig gelegen. Dass ich mich in einem edlen Hochhaus befand, wurde mir erneut bestätigt, als ich den hübschen Gang sah, der zum Lift führte. Auf einem Stockwerk befand sich nur eine Wohnung. Ich drückte den Knopf und während ich darauf wartete, dass die Lifttüren aufsprangen starrte ich nachdenklich Löcher in die Luft. Es brauchte nur zwei Wochen, um mein gesamtes Leben gänzlich auf den Kopf zu stellen. Das war doch nicht zu fassen. Ich musste nur einmal auf John treffen und alle alten Erinnerungen begannen hochzukommen und ich konnte noch so tun, als ob es mir nichts ausmachte. Das änderte auch nichts daran, dass plötzlich alles wieder so real und so nah erschien. Und meine Eltern waren tot.. immer noch… und sie würden es auch immer bleiben. Ich betrat den Lift und drückte einige weitere Knöpfe. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und die Anzeige über der Tür zeigte mir die Stockwerke an, die zurückgelegt wurden. Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen die stählerne Wand. Es war der blanke Wahnsinn jetzt einfach zu gehen und das – wie von Pietro richtig bemerkt – lediglich mit Unterhosen bekleidet. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte es zwei Wochen alleine geschafft, ich würde es auch noch weiter alleine schaffen. Ich brauchte keine Hilfe und Johns Hilfe schon gar nicht. Die Türen sprangen auf. Wenn man vom Teufel sprach… John stand vor dem Aufzug. Ich sah ihn überrascht an. Es hatte nur einen einzigen Aufzug in dem Hochhaus. Er musste also die Treppe genommen haben – sprich: gerannt sein. Das sah ich seinem schnellen Atem auch an, obwohl er es so gut wie möglich zu verbergen versuchte, genau wie ich zu verbergen versuchte, dass mein Bein immer noch schmerzte. Er hatte auch lediglich das Handtuch gegen eine Boxershorts eingetauscht und lief so immer noch mit blankem Oberkörper herum. Wieder wurde mein Blick von seinen Brandnarben abgelenkt, als er noch recht atemlos meinte: „Du bleibst.“ Es war kein Befehl. Keine Aufforderung, mehr eine Bitte. Auch wenn er niemals wirklich das Wort ‚Bitte‘ hinzugefügt hätte. Und auch wenn er niemals zugegeben hätte, dass er mich gerade darum bat. Es war so gesehen eine Feststellung. Da ich nichts sagte, schien er zu glauben, dass er dies wohl noch bekräftigen musste, weshalb er wiederholte – diesmal sogar bereits so erholt, dass er in normalem Tonfall reden konnte: „Du bleibst!“ ~ Es war wirklich schwer auszumachen, wie gross der Raum war. Das lag daran, dass keine Lampen brannten und nur ein wenig Licht von einem Fenster an der Decke des Raumes hineinschien. Das liess vielleicht einen Teil der Wand unklar erscheinen, aber der Rest war trotzdem noch von Dunkelheit verhüllt. Der Raum musste also auch eher hoch sein, denn das Fenster war ganz klar so gemacht worden, dass man es von unten niemals schaffen würde, nach oben zu klettern. Denn das, was das Licht von der Wand preis gab war, dass sie absolut kahl war. Kühl und aus Beton gebaut. Doch die Dunkelheit wäre gar nicht einmal so schlimm gewesen, wenn nicht auch so eine unheimliche Stille geherrscht hätte. Als ob man andeuten wollte, dass da draussen nichts mehr war, dass, wer sich in dem Raum befand, ganz alleine war. Es war wie in einem schwarzen Loch zu verschwinden und nie wieder aufzutauchen. Die Tür zum Raum wurde aufgerissen. Jetzt drang Licht herein und entfernt waren die Schreie einer Frau zu hören. Schmerzensschreie, die einem das Blut in den Adern gefrieren liessen und die einem dazu brachte, sich zu fragen, was sie wohl gerade durch machte. Und dann fragte man sich, ob man das selbige ebenfalls durchmachen müssen würde und als nächstes hegte man den egoistischen Gedanken, froh darüber zu sein, dass man nicht an der Stelle der Frau war. Ihre Schreie waren zu einem abgebrochenen Schluchzen geworden, das immer wieder unterbrochen wurde. Vermutlich während den Sekunden, während denen man einen Schlag auf sie nieder sausen liess. Der Fantasie waren da keine Grenzen gesetzt. Das Licht, dass nun in den Raum drang entblösste einen jungen Mann, der fest an einen eisernen Stuhl, der am Boden festgeschraubt war, befestigt war. Er hatte den Kopf gesenkt, denn das Licht blendete ihn, so sehr hatten sich seine Augen bereits an die Dunkelheit gewohnt. Jetzt ging das Licht ganz an. Er kniff die Augen zusammen, doch das half auch nicht lange, denn das Licht war so stark, dass es – zwar nur in gedämpfter Form – trotzdem zu seinen Augen durchdrang. Die Türe war wieder geschlossen worden. Lächerlich.. als ob er auch nur die geringste Chance hatte, abzuhauen. Die Handschellen waren fest. Sein gesamter Körper schmerzte noch von den Strapazen der Nacht, die sich langsam dem Ende zu neigte. Jemand klatschte ihm Wasser über das Gesicht, ungeachtet dessen, dass so der restliche Teil seines Körpers ebenfalls pitschnass wurde. Der junge Braunhaarige blinzelte und musste nun gezwungenermassen sowohl den Kopf öffnen, als auch die Augen, wenn er wollte, dass das Wasser abtropfte. Er schüttelte den Kopf leicht, um den Hauptteil des Wassers zumindest aus seinem Haar zu bekommen. Dann sah er mit zusammengekniffenen Augen hoch zu seinem Besucher. Oder besser gesagt seinen zwei Besuchern. Der eine war ein glatzköpfiger Junge, der nahe bei der Tür stand und selbst ziemlich verschüchtert wirkte. Der andere war ein Mann, wohl etwas älter als er selbst aber auch noch nicht sonderlich alt. Er hatte braunes Haar und wohl eigentlich braune Augen. Jedoch war von diesen Augen das eine weiss-bläulich – er war wohl blind auf jenem Auge – und die betroffene Gesichtshälfte war gezeichnet von einer Brandnarbe. Der Braunhaarige konnte nicht anders als aufzulachen. „Ach.. Avalanche.. sag bloss, ihr Idioten habt sie noch nicht?!“ Er schüttelte leicht den Kopf, seine eisig blauen Augen blitzten scharf zwischen den Liedern hin durch. Sie mochten vielleicht ziemlich viel Müdigkeit ausstrahlen, aber auch einen Willen, der nicht so leicht zu brechen war. „Oder woran liegts sonst, dass ich noch am Leben bin?“ Er lehnte den Kopf zurück und hatte nun beste Aussicht auf die Decke und das einzelne Fenster. Er hatte genug lange Zeit gehabt, um sich auszumalen, wo er war, und was man nun mit ihm vorhatte. Aber die erste Frage hatte er nicht beantworten können, da er kaum Anhaltspunkte dafür hatte und die zweite Frage.. tja, war ihm ebenfalls immer noch ein Rätsel. Seinen gesamten Wert für sie hatte er doch eigentlich schon verloren. Der Braunhaarige verzog missbilligend den Mund und verpasste dem Gefangenen einen Kräftigen Faustschlag gegen dessen Kinn. Nur mal so aus reiner Vorsorge und weil etwas Gewalt zur Einschüchterung ja sowieso niemals schadete. Er unterdrückte ein weiteres Lachen und sammelte stattdessen das Blut, welches langsam in seinem Mund zusammenlief und sich mit Spucke vermischte. Das war auch der Grund, weshalb er gezwungenermassen den Mund hielt, niemals hätte er es auf Befehl des Braunhaarigen getan. „Und niemand hat davon gesprochen, dass wir sie gefangen nehmen wollen.. nicht jetzt.“ Er grinste vor sich hin und beugte sich dann leicht vor, um leiser zu sprechen können: „Weisst du, mit wo und mit wem sie zuletzt gesehen wurde?“ Bobby wich etwas zurück, so weit er eben in seiner Lage zurückweichen konnte. Sein Blick wanderte kurz zu den kleinen Jungen, der so unscheinbar wirkte und von dem doch eine unglaubliche und lähmende Macht auszugehen schien. Er hielt immer noch den Mund. Wenn er jetzt etwas sagte würde er sein Blut in Regenform auf seinen eigenen Hosen verteilen. „In Pyros Armen.“ Avalanche grinste noch breiter, als er Bobby diese Neuigkeit auf dem Serviertablett überbrachte. „Ganz recht.. dich lässt sie im Stich und ihn..“ Weiter kam der Braunhaarige nicht. Bobby hatte ihm den gesamten Inhalt seines Mundes ins Gesicht gespuckt: „Du verdammter Bastard!!“ Brüllte der Eismutant und sein Widerstand gegen die Fesseln wurde grösser. Er versuchte, seine Kräfte einzusetzen um die Fesseln zu gefrieren, in der Hoffnung, sie würden danach brüchiger werden. Doch nicht einmal mehr seine Kräfte funktionierten. Bobbys Augen weiteten sich und er warf einen raschen Blick zu dem kleinen Jungen. Dann versuchte er mit roher Gewalt vom Stuhl loszukommen. Schutzlos war er so einem zweiten, diesmal wirklich sehr harten Schlag des Braunhaarigen ausgeliefert. Er bemühte sich, so zu tun, als wäre das alles leicht hinzunehmen. Avalanche lachte dreckig auf, während er sich mit einem Taschentuch das Gesicht abtupfte und umdrehte. Lässig schlenderte er aus dem Raum. Gleich würde es wieder dunkel werden und gleich würde ihn wieder niemand hören. Dessen war Robert Drake sich vollends bewusst, weshalb er einige letzte Worte brüllte, die Avalanche sich noch anhören musste: „Wie kannst du das nur tun?!! Du bist ein Mutant verdammt. Du scheiss Verräter!!!“ Die Tür schloss sich mit einem Ächzen. Urplötzlich war es wieder gespenstig still. Es blieb auch einige Minuten so still, bis kaum hörbar zu hören war, wie jemand weinte – und sich dagegen sträubte. Wie Avalanche das tun konnte.. das war Bobby ganz klar. Chip eben. Aber seine Worte waren auch nicht gänzlich nur auf eben jenen Mutanten, der gerade den Raum verlassen hatte, bezogen. Chapter Five: Das grösste aller Arschlöcher - end Kapitel 6: Der Dauer-Feriengast ------------------------------- Man merkt, ich bin mit Maturaarbeit fertig und hab wieder Zeit für Hirngespinste ;P Der Dauer-Feriengast Meine Eltern wollten immer den Jungen kennen lernen, der mein Herz erobert hatte. Kennen gelernt haben sie John. Nach diesem einen Tag waren wir Freunde, wurden gute Freunde und schliesslich beste Freunde. Und da John über die Ferien nirgends hin konnte, lud ich ihn zu uns ein. Angst hatte ich vor allem davor, was meine Eltern zu diesem trotzigen, unhöflichen und – wenn man nicht seine beste Freundin war – verschlossenen Jungen sagen würden. Doch ich war überrascht, wie anders John war, wenn er über die Ferien mit zu mir kam. Er war stets freundlich und zuvorkommend gegenüber meinen Eltern, er half sogar im Abwasch. In diesen Tagen war er für mich wie den Bruder, den ich niemals hatte. Wir teilten uns sogar mein Zimmer, so gut kannten wir uns. Meine Mutter fragte uns einmal, ob da eigentlich auch mehr sei, weil er sich immer so liebevoll um mich kümmere. Ich verneinte sofort, in Gedanken an Bobby. John schwieg. Auf seinem Gesicht ein Lächeln, als wüsste er etwas, dass ich nicht wusste. Meine Mutter tauschte Blicke mit ihm. Auch sie lächelte. Umso mehr erstaunte mich, wie kaltherzig er die Nachricht von ihrem Tode aufgenommen hatte, wo sie doch schon fast zu seinen Adoptiveltern geworden waren… Ich sah John an. Mein Mund war trocken. Genauso sah ich ihn schon mindestens geschlagene zwei Minuten an – es kam mir aber bei weitem länger vor. Er lehnte so in den Aufzug hinein, dass die Türen sich nicht schliessen konnten – auch wenn sie das nun gerade zum dritten Mal versuchten. Irgendwie schien er auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn erwartet hatte ich so etwas ganz sicher nicht. Er war gerannt – auch wenn er es nie zugegeben hätte. Wieso rannte er mir hinterher? Er rannte doch eigentlich niemandem hinterher – eine ‚Tugend‘ auf die er stets so stolz gewesen war. Ich schluckte den Kloss in meinem Hals hinunter auch wenn dadurch fast schon ein Würgereiz ausgelöst wurde. Dann meinte ich trocken: „Ich muss Bobby finden.“ John sah mich an. Dann verwarf er seinen Kopf und ich konnte deutlich sehen, wie er mit den Augen rollte. John hatte Bobby wohl eigentlich niemals wirklich leiden können und nur früher hatte er sich die Mühe gemacht, diese Antipathie unter einer dicken Schicht Freundschaft zu überdecken. „Natürlich musst du das.“ Er lachte leise auf und fixierte mich dann mit seinen tief braunen Augen. Aus seiner Stimme war herauszuhören, dass er eigentlich schon damit gerechnet hatte, dass ich so etwas sagen würde. Jetzt hielt ihn auch nichts mehr davon ab, den Aufzug zu betreten und auf einen Knopf zu drücken, damit wir wieder in den Stock befördert werden würden, von dem wir gekommen waren. Dann legte der Feuerteufel seinen Klopf leicht schief und es war wieder etwas Bittendes in seiner Stimme, als er meinte: „Aber nicht heute. Es ist spät, du stehst in Unterhosen vor mir, mit einem Steifschuss.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Sind das genug Argumente?“ John verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. “Bobby hätte mein Gepäck getragen.“ Stellte ich leicht eingeschnappt fest, während ich meine schwere Tasche schulterte und den Rollkoffer hinter mehr her zog. John wusste aber, dass ich ihn damit nur necken wollte. Ausserdem neigte er dazu, wenn ich Bobby erwähnte, das gleiche ebenfalls zu tun, nur, damit er mir beweisen konnte, dass er es besser konnte. Ich lugte aus den Augenwinkeln zu dem Jungen rüber, der neben mir ging. Er hatte sehr viel weniger Gepäck als ich. Eigentlich nur eine Tasche. Er begnügte sich eben mit wenig Dingen. „Bobby würde auch ne Pagen-Uniform nicht schlecht stehen.“ Gab John Allerdyce zurück. Dann drehte er mir den Kopf zu. Ich fühlte mich regelrecht ertappt und sah wieder gerade aus. Ich wusste auch so, dass seine Lippen ein breites Grinsen zierte. Er wusste genau, wie er mich wirklich ärgern konnte. Zum Beispiel, indem er Bobby schlecht machte. Ja, zu dieser Zeit war mir nicht klar, dass er ihn wirklich nicht leiden konnte. Ich dachte, es wäre so etwas, wie wir es hatten, ein gegenseitiges scherzhaftes Fertigmachen. Nur zum Spass. Ich verpasste John dafür einen leichten Schlag in die Seite, ohne ihn anzusehen. Ich hörte ihn amüsiert auflachen. Dann erblickte ich meine Mutter und ich drehte ihm ruckartig den Kopf zu, sodass er selbst über mich erstaunt war. Ich machte Handzeichen, John verstand, dass ich ihm etwas zuflüstern wollte und näherte sich meinem Gesicht. „Hör mal.. ich wär dir dankbar..“ Ich stockte um dem ganzen den nötigen Nachdruck zu verleihen und fuhr dann fort: „Ich wär froh, wenn du.. keine Ahnung, gegenüber meinen Eltern.. ein bisschen weniger..“ Ich druckste herum. „Du sein könntest?“ Ich lächelte entschuldigend. John sah mich ernst an, dann wurde sein Gesicht böse. Ich kniff die Augen zu und verfluchte mich, dass überhaupt gesagt zu haben. John lachte auf und wuselte mir durch die Haare: „Keine Sorge, Kitten. Deine Alten werden einen bleibenden Eindruck von mir haben.“ Ich verzog den Mund. ‚Bleibender‘ Eindruck war nicht gerade das, was ich wollte. Aber er wusste das und deswegen hatte er es auch mit voller Absicht so formuliert. Ich rollte mit den Augen und schlug ihn erneut leicht, was ihn nur noch mehr zum lachen brachte. „Na schön. Ich werde mich ab sofort ganz genau wie Bobby verhalten.“ Und kaum hatte er das gesagt, da zog er mir auch schon die Tasche aus den Händen und warf sie sich betont lässig über die Schultern. John wusste nicht, dass meine Mutter gerade auf uns zu kam. Ich lächelte ihr schon von weitem zu, er meinte wohl, dass das Lächeln auf ihn bezogen sei, worauf er betont angewidert meinte: „Natürlich bis auf den Teil mit dem vögeln, den lassen wir besser weg.“ Diesmal hatte er meine Zeichen nicht richtig gedeutet. Ich hatte nämlich mit den Händen gestikuliert, um ihm klar zu machen, dass er den Mund halten sollte, denn… meine Mutter stand nur direkt hinter uns und hatte genau den letzten Teil mitbekommen. Und sie sah uns nun gezwungenermassen erstaunt und vielleicht auch etwas schockiert an. Ich lächelte sie zuckersüss an, als ob ich versuchen würde, Johns Worte wegzulächeln. Der Feuerteufel übernahm dieses Lächeln, während er sich langsam zu ihr umdrehte. Meine Mutter lächelte eher gezwungen und sah zwischen uns hin und her. Eine unangenehme Stille herrschte, die wohl auch nicht einmal John wagte zu unterbrechen. Ich wollte etwas sagen, ihm irgendwie widersprechen. Nur, dass ich ihm widersprochen hatte. Doch bei diesen Argumenten fiel mir kein plausibler Grund ein, warum ich mich jetzt wirklich auf die Strasse trauen sollte. Ich rollte mit den Augen und verfluchte mich dann dafür, denn er wusste seit jeher, dass das ein Zeichen war, dass mir nichts einfiel, was ich hätte erwidern können. John grinste zufrieden. Ich sagte nichts, er sagte auch nichts. Ich wich seinem Blick aus er tat es mir gleich, aber wir beide schienen doch irgendwie das Bedürfnis zu haben, dem anderen ab und an einen Blick zuzuwerfen. Denn manchmal erwischte ich ihn dabei, wie seine braunen Augen auf mir lagen. Aber wir schwiegen beide, bis ein leises Klingeln andeutete, dass die Türen sich gleich wieder öffnen würden. Ich wartete, bis John ausstieg. Doch das tat er nicht, er wartete, bis ich den Aufzug verlassen hatte und wohl auch keine zehn Pferde hätten ihn dazu bekommen, den Aufzug vor mir zu verlassen. Etwas, dass mich erstaunte. Ich humpelte vor ihm her zur Wohnung. Während ich so ging, merkte ich, wie mir langsam schwarz vor Augen wurde. Natürlich war wenig Essen – weil mir bei jedem Bissen alles sowieso fast wieder hoch kam – ein Streifschuss, der immer noch empfindlich ziepte, und Schlaflosigkeit, aus Angst vor meinen Träumen nicht unbedingt das, was einem Körper gut tat. Ich taumelte, biss mir jedoch auf die Lippen und zwang mich zu jedem weiteren Schritt. Da war auch schon die Wohnungstür. Sie stand immer noch offen. Ich blinzelte, um klarer zu sehen. Doch auch das half nichts. Ich stolperte. Oder besser fast, denn ich konnte mich gerade noch mit beiden Händen am Türrahmen festklammern. Ich spürte, wie John meine Taille packte, mich dann schon wieder hochhob und gänzlich in die Wohnung trug. Meine Sicht wurde wieder klarer. Ich schlang die Arme um seine Hände, damit er mich auch ja nicht fallen liess. Und da war es in dem Moment eigentlich auch ziemlich egal, dass es John war und dass wir uns vor wenigen Minuten noch gezofft hatten. Das war früher auch schon so gewesen. Wir hatten uns gefoppt und dann wieder versöhnt. Nur diesmal war der Streit einfach härter geworden. Ohne Rücksicht auf Gefühle. Pietro sass inzwischen hinter der Küchentheke, von der aus er fast Ausblick wie in einem Kino hatte. Der Weisshaarige schien gerade zu warten, bis die Mikrowelle sein Abendessen – ein Fertigprodukt aufgewärmt hatte. Pietro wollte etwas sagen, doch John zischte ihm drohend zu: „Du! Halt bloss den Mund!“ Ich ging auf den Streit der beiden nicht mehr ein, auch wenn ich irgendwie doch der Auslöser dafür gewesen war… John setzte mich auf seinem Bett ab und ich lehnte mich gegen die Wand hinter mir. Die Augen wiederum geschlossen, um gänzlich ruhig zu werden. Darum bekam ich auch nicht mit, wie John sich ein T-Shirt überzog. Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich John, wie er sich an dem mit Papier vollgestellten Schreibtisch niederliess und sich eine Kippe ansteckte. Er blickte kein einziges Mal in meine Richtung „Kannst in meinem Bett pennen.“ Meinte er. „Ich nehm erst mal die Couch.“ Er fuhr sich durch die Haare, während er den Rauch ausbliess. Ich sah ihn an und zog dabei eine Augenbraue hoch. Auf dem Bett sitzen tat ich ja bereits. Er schien das vollkommen ernst zu meinen, denn er kramte aus dem hintersten Winkel des Schrankes gerade eine dünne Decke hervor, ohne in meine Richtung zu sehen. Deshalb konnte er auch schlecht sehen, wie ich leicht schmunzelnd den Kopf schüttelte. „Ich glaube Berührungsängste mir gegenüber hattest du noch nie..“ John drehte sich zu mir um. Gerunzelte Stirn. Fragender Blick. Ich krabbelte unter die Decke und warf ihm noch einen letzten Blick zu. „Also lass die Höflichkeiten und machs dir bequem..“ Passend dazu rutschte ich etwas zur Seite. Ich wusste, dass er jetzt etwas sagen musste, weshalb ich hinzufügte: „Und halt bloss den Mund, ich bin müde. Nach all der Zeit wirst du hoffentlich keine Berührungsängste entwickelt haben?“ Ich musste über meine eigenen Worte grinsen und er lachte leise auf. Entschieden drehte ich ihm den Rücken zu. Es war alles gesagt. Er brauchte kurze Zeit, das war aber nur, weil er die Kippe ausdrücken musste – ich kannte ihn. Dann wurde die Decke leicht angehoben und er legte sich neben mich. Ich gähnte, als ich meinte: „Soll aber in keinster Weise heissen, dass ich dich auch nur irgendwie leiden kann oder dir gar verzeihe.“ Irgendwie konnte ich das Schmunzeln von ihm auf diese Worte hin praktisch hören, auch wenn es in dem Zimmer ruhig war. Ich fand den Schlaf erstaunlich schnell. Und das, obwohl die Verletzung immer noch vor sich hin schmerzte. Ich nahm an, es lag daran, dass ich lange nicht mehr in einem richtigen Bett gelegen hatte. Da war es in diesem Fall sogar egal, dass ich es mit John teilte. Nur die Albträume würden nicht lange auf sich warten lassen… Was ich nicht sah, war, dass John mich eine ganze Weile beim Schlafen beobachtete, bis er schliesslich selbst einnickte. John war gerade dabei, das Klappbett neben meinem Bett aufzustellen und ich hatte ihn kurze Zeit in meinem Zimmer alleine gelassen, um Bettwäsche zu holen. Meine Mutter hatte nichts zu dem gesagt, was sie zufälligerweise gehört hatte, aber mir war es über alle Massen peinlich und ich fragte mich wirklich, ob sie auch das von Bobby gehört hatte oder nur den Rest. Den hatte ich schnell damit zu überdecken versucht, dass ich behauptet hatte, John und ich hätten über besondere Vögel geredet, die nur in dieser Gegend vorkamen. Nur dumm, dass unser Vogelwissen nicht einmal den Namen eines solchen seltenen Vogels beinhaltetet hatte. Leise seufzend kramte ich im Schrank und hörte meine Mutter gar nicht kommen, bis sie meinte: „Kitty.. ich dachte, du bringst einen guten Freund mit, aber nicht deinen.. festen Freund?“ Sie klang gar nicht so sauer, wie ich befürchtete, vielmehr neugierig und vielleicht auch empört darüber, dass ich es ihr verschwiegen hatte. Ich fuhr herum und ich war mir bewusst, dass mein Kopf wohl gerade hochrot wurde. Meine Mutter musste schmunzeln. „Ganz sicher nicht. Das ist einfach nur mein bester Freund!“ Kam meine Reaktion ziemlich heftig, indem ich meine Mutter empört anblaffte und mich dabei an das Bettzeug klammerte, was mir der einzige Schutz für den Fragen meiner Mutter erschien. Ich hätte ihn gar nicht mitnehmen sollen. Das wäre das beste gewesen. Meine Mutter zuckte weiter lächelnd mit den Schultern: „Ich meine ja nur.. Ihr würdet irgendwie ein nettes Paar abgeben.“ Ernsthaft, ich fühlte mich gerade so, als würde ich Jubilation Lee gegenüber stehen. Eine Tatsache, die mehr als schauderlich war, wenn man betrachtete, dass ich hier gerade meine Mutter vor mir hatte. Ich lachte gekünstelt auf: „Ja sicher.“ Als ich an diesem Abend in meinem Bett lag, konnte ich nicht anders, als John zu beobachten. Wenn er schlief, dann sah er so friedlich aus, wie sonst nie. Die Worte meiner Mutter hallten mir durch den Kopf. Ich belächelte sie dafür. John und ich hatte nichts gemein. Absolut nichts. Aber wieso waren dann ausgerechnet wir beste Freunde? Achja.. weil ich wusste, dass er anders sein konnte?... Dass er auch so friedlich sein konnte, wie wenn er schlief, wenn er wach war, wenn er es wollte. Das war zwar selten, aber je besser ich ihn kennen lernte, desto mehr hatte ich es bis jetzt erleben können und mal abgesehen davon, gegenüber meinen Eltern war er regelrecht zahm. Ich wachte schweissgebadet auf. Vor meinen Augen war noch das Blut, wie es spritze, ich betrachtete meine blutverschmierten Hände sowohl im Traum, als auch in der Wirklichkeit und schrie so laut, wie meine Stimme es kaum mehr schaffte. Dann sah ich mich verzweifelt um. Ich war alleine. Ich war schon wieder aufgewacht und John war nicht da. Panik ergriff mich. Ich begann zu zittern. Ich schlang die Arme um meinen schlanken Körper und machte mich so klein wie möglich. Die Augen jedoch niemals geschlossen. Ich hatte Angst davor, was ich sehen würde. John hatte mich einfach so alleine gelassen. Er war einfach gegangen. Wie damals auch schon… Ich hasste ihn dafür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)