22+1 Tage von angeljaehyo (Und wenn schon.) ================================================================================ Kapitel 4: Bedauern ------------------- "Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?", fragte L monoton. Das einfallende Sonnenlicht hatte sie geweckt, L etwas früher als Raito. Der Detektiv war einige Minuten dagelegen und hatte den Haarschopf seines Freundes, der durch das Licht aussah wie mit einem Heiligenschein umgeben, eingehend betrachtet. Dadurch war ihm diese Idee gekommen. Wortlos waren sie danach aufgestanden und nun saßen sie am Frühstückstisch, bei einem (von Raito zubereiteten) Omelett bzw. Muffin. Raito stutzte ein wenig bei der Frage, wohl wissend, warum der Schwarzhaarige sie ihm stellte. Er schlucke bedächtig seinen Bissen, den er gerade im Mund hatte, (tun wir doch einfach so, als ob nichts wäre und Essen, als ob wir es noch müssten) herunter. Schatten krochen in den sonst schon so beschwerten Blick. "Warum willst du das wissen?" L legte seinen Muffin ab, leckte sich Blaubeerreste aus den Mundwinkeln. "Das weißt du", sagte er mit fast schon schneidender Stimme. Wieder L-untypisch. Doch noch L-untypischer wäre es gewesen, es zu erklären. Sich nun auch verbal den Grund seines Scheiterns einzugestehen. ("Glaub nicht, dass jemand, der das Death Note benutzt, noch in den Himmel oder in die Hölle gehen kann.") Raito lächelte plötzlich leicht. "Ich weiß. Ja, ich glaube fest daran, Ryuuzaki." Ein Kichern. "Wir kommen wohl beide in die Hölle." Die Schatten verließen die rotbraunen Augen nicht. Genauso wenig wie die Schatten unter Ls schwarzen Augen jemals verblassen würden. Der Detektiv aß weiter. "Wenigstens sind wir dann nicht alleine", sagte er. Raito meinte, eine gewisse Ironie herauszuhören. "Du würdest mich doch sowieso keine Sekunde mehr aus den Augen lassen", kommentierte er trocken. L stellte den halben Muffin auf den Teller und stand auf. "Werde ich nie." Er verließ den Raum und ließ Raito alleine. Aus den Augen. _________ "Lügner." Raito setzte sich einige Minuten (und einige Brechreizgefühle) später zu L, der sich in der Ecke der kuscheligen Sofaecke im geräumigen Freizeitzimmer eingerollt hatte. "Du doch auch." Wortlos, ohne jeglichen Blick zu Raito nahm er sich die Fernbedienung und zappte wahllos durch das Programm. "Ich wollte dich schützen... es dir angenehmer machen." "Wie altruistisch." Der Schwarzhaarige schnaubte. "Aber ich kenne Raito-kun ja nicht anders." Er wollte einen Streit ausbrechen lassen, von ihm aus auch eine Prügelei... Wollte Raito provozieren, diese fürchterliche Lethargie vertreiben... wollte leben, wie er es nur mit Yagami Raito machen konnte. Dieser sah auch kurzzeitig so aus, als würde er zuschlagen, doch dann... ...zog er den dürren blassen Menschen (nur bei mir ein Mensch) in seine Arme. "Du darfst mich aber nicht alleine lassen", sagte der junge Mann. Skeptisch verengte L seine Augen und erwiderte die Umarmung nicht. "Auge um Auge. Du hast mich angelogen. Wir haben kein Leben nach dem Tod." Raito seufzte. "Du weißt nicht, dass du verletzend bist, oder? Manchmal benimmst du dich wie ein Kind." L, der schon angesetzt hatte zu sprechen, blieb stumm. Stattdessen hob er seine Arme und erwiderte die Umarmung des Jüngeren. "Entschuldigung angenommen", meine dieser trocken dazu. Sie verharrten eine Weile so - keiner von beiden hätte danach sagen können, wie lang - bis L schließlich die Frage stellte. "Was wollen wir jetzt eigentlich machen? Wir haben - mit diesem Tag noch - 21 Tage." Raito machte sich etwas frei aus der Umarmung des anderen, um ihm aus zwei Zentimetern Entfernung in die Augen sehen zu können. Seine Nasenspitze berührte die bleiche, eingefallene Wange. "Erzähl mir etwas über dich, L Lawliet." _________ Ein kalter Wind warf Falten in das weiße Shirt, das lose an dem dünnen Körper des Meisterdetektiven hing. Dieser kreuzte seine Arme vor seiner schmächtigen Brust und zitterte, während er Raito zuschaute, wie er auf dem Dach vor der atemberaubenden Kulisse des nächtlichen, beleuchteten Tokio die Arme ausstreckte. "Siehst du das, Ryuuzaki?!" Der Jugendlich schrie gegen den lauten Wind auf dem Dach des Wolkenkratzers an, auf dem Landehilfen für Hubschrauber blinkten. "Siehst du das? Das hätte MEINE Welt sein sollen, meine Schöne Neue Welt. Und ich" - ein hysterisches Lachen, ein Blick über die Schulter - "entscheide mich für ein Skelett. Wahrhaft göttlich, findest du nicht auch, oh großer L?" Ein manisches Grinsen verunstaltete sein hübsches Gesicht. Besagter L rollte mit den Augen. "War's das? Mir ist kalt." Gleichgültig ließ er den Blick über die Häuser, die so voller Menschen (schutzbedürftigen Menschen, gerechtigkeitsbedürftigen Menschen) waren. Beinahe gleichgültig. Plötzlich ließ Raito seine Arme sinken, stand neben dem Älteren und nahm dessen schwarzhaarigen Kopf in beide Hände. "Spürst du sie nicht?", wisperte er. "Diese Zweifel? Diese Verachtung gegenüber dich selbst, weil du dein großes Ziel aufgegeben hast, bloß weil du dich... verstanden fühlst? Und deshalb nicht mehr weitermachen kannst? Spürst du nicht", er ließ seine warme Hand unter das weiße Shirt auf die darunter liegende, weiße, eiskalte Haut fahren, "diese Verzweiflung, nicht mehr das sein zu können, was du gewesen bist? Diesen Umsturz? Bloß weil du ein Mensch bist? Ein... gottverdammter... Mensch?" L erzitterte. Und diesmal nicht vor Kälte. Nie hatte er diesen Wahn unversteckt in den rotbraunen Augen seines Gegenübers gesehen, diese rotglühende Leidenschaft, all das, worum er Yagami Raito schon immer so sehr beneidet hatte... ...und trotzdem dieselben Ziele, dieselben Ambitionen, dieselben Zweifel, Ängste und Wünsche, als nun der Jüngere den Älteren hungrig nach einer Antwort ansah. "Natürlich tue ich das", sagte Lawliet leise und näherte sich unbewusst dem Gesicht des anderen. "Allerdings hatten wir doch keine andere Wahl. Was nützt es da, zu bereuen? Gibt es etwas zu bereuen?" Raito lächelte und schloss die Augen. "Nein. Nichts." Er legte seine Lippen auf Ls. _________ Die Welt braucht mich, damit ich sie vor solchen Irren wie Raito schütze. Mir wurde immer gesagt, ich wäre arrogant, ich wäre egoistisch. Ich war es nie. Ich habe das getan, was meiner Vorstellung von Gerechtigkeit entspricht. Doch dann kam er, er, der meine Welt, meine Vorstellungen, meine Werte und Prinzipien auf den Kopf stellte. Er war er, der mich verdorben hat, der mir den Apfel der Erkenntnis gereicht hat, mir gezeigt hat, was Gefühle sind. Nur ein gefühlvoller Mensch kann egoistisch handeln. So wie ich jetzt. _________ Lawliet vergrub seine Hände in braunes Haar und legte L völlig ab. Raito warf noch einen letzten Blick auf das nächtliche Tokio, einen kurzen, bedauernden Blick... ...bis er seine Hände in schwarzes Haar vergrub und Kira völlig ablegte. Hosted by Animexx e.V. 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