Shinta von HubertOswell (10 Kurzgeschichten) ================================================================================ Give 'em Hell Kid ----------------- Shinta konnte es nicht verstehen. Shinta wollte es nicht verstehen. Wieso hatte Keith ihm das angetan? Wie hatte er es ihm dann auch noch direkt ins Gesicht gesagt? Shinta konnte das einfach nicht nachvollziehen. Er mochte Keith doch. Er hatte ihn immer gemocht. Wieso nur hatte Keith dann beschossen, ihm das Leben zur Hölle zu machen? Weil er glücklich gewesen war? Weil Keith ihn hasste? Keith hatte ihm innerhalb weniger Wochen die beiden wichtigsten Menschen seines Lebens genommen. Eigentlich müsste er ihn dafür hassen. Doch er konnte es einfach nicht. Ihm war nur zum Heulen zumute. Das war auch das einzige, was Keiths Geständnis hatte ändern können. Er konnte jetzt weinen und lag nicht mehr nur wie tot im Bett. So konnte es nicht weiter gehen! Shinta raffte sich wieder hoch. Endlich. Es hatte lange genug gedauert. Doch Shinta hatte endlich seine Entscheidung getroffen. Er musste mit Keith reden. Egal, was er getan hatte, einen zweiten Verlust verkraftete Shinta nicht. Er wollte mit allen Mitteln verhindern, dass er auch noch den anderen Menschen verlor, der ihm wichtiger war als sein eigenes Leben. Ohne Leith, ohne Lilith, würde sein “Leben“ wieder werden, wie es früher gewesen war. Und diesen Zustand wollte Shinta nie wieder ertragen müssen. Nur wo sollte er mit der Suche anfangen? Er kannte Keith gut genug, um zu wissen, dass er es ihm nicht leicht machen würde. Aber ganz ohne Anhaltspunkt war Keith bestimmt auch nicht verschwunden. Shinta durchsuchte die ganze Wohnung. Irgendetwas, nur irgendetwas, das ihn verraten konnte, wohin Keith gegangen war. Shinta wurde während der Suche immer verzweifelter. Selbst, wenn er Keith finden würde, was, wenn Keith nicht reden wollen würde? Wenn er einfach gleich schoss? Shinta könnte nie zurück schießen. Irgendwann fiel sein Blick auf eine Zugfahrkarte, die ganz oben auf einem Stapel Papier auf dem Schreibtisch lag. Sie war auf den Tag von Keiths Abreise datiert. Das war der Hinweis, redete Shinta sich ein. Das musste er sein. Er ging sofort zum Bahnhof. Ein Zug würde heute noch auf dieser Strecke fahren. Erleichtert kaufte Shinta eine Karte und wartete. Gern hätte er irgendetwas getan, egal was, Hauptsache, er musste nicht darüber nachdenken, wie er Keith gegenüber treten würde. Als der Zug endlich die Stadt verließ, klopfte Shintas Herz wie wild. Er war aufgeregt, er zitterte fast Nur für den schlimmsten Fall und aus Gewohnheit begann er seine Pistole zu reinigen. Es beruhigte ihn einfach. Er war fast allein in dem Waggon, es war eine wenig befahrene Strecken. Shinta betrachtete seine Pistole. Sie hatte schon viele Kratzer und es war ihr anzusehen, dass sie oft benutzt worden war. Wie vielen Menschen hatte sie schon den Tod gebracht? Shinta konnte sich diese Frage nicht beantworten. Alles verschwamm und wurde zu Einem, wenn er versuchte, sich an Genaueres zu erinnern. Er hatte nie etwas bereut. Sein Leben hätte damals auch mit einem Mord enden können, statt damit zu beginnen. Nicht einmal an die Gesichter seiner Eltern konnte er sich mehr erinnern. Shinta zitterte. Ihm graute vor dem, zu dem er geworden war. Bei Keith, bei Lilith, hatte er nie Angst gehabt, egal, was auch passiert war. Er vermisste Keith so sehr. Er würde Keith nie davon abhalten sein eigenes Leben zu leben, doch er wollte bei ihm sein. Tränen liefen über sein Gesicht und fielen auf den kalten Stahl der Pistole. Keith war so weit entfernt, dass es ihn beinahe unerreichbar schien. Shinta wollte Keith unbedingt finden. Mehr, als man je mit Worten sagen könnte. Der Zug erreichte endlich sein Ziel. Doch für Shinta war seine Reise noch nicht vorüber. Wo sollte er Keith nur suchen? Er streifte ziellos durch die Stadt. Viele verstohlene Blicke wurden ihm zugeworfen. Shinta wusste, dass er aussah wie ein menschliches Wrack. Er hatte seit Wochen kaum geschlafen. Seine Kleidung, auch wenn es die besten Sachen waren, die er noch besaß, waren verschlissen und voller Löcher. Shinta blickte sich überall suchend um. Er musste wie ein Irrer gewirkt haben. Er suchte verzweifelt nach irgendetwas, das einen Hinweis auf Keiths Aufenthaltsort gab. Nur irgendetwas… Er suchte den ganzen Tag, ohne irgendetwas gefunden zu haben. Immer, wenn er geglaubt hatte, einen Hinweis gefunden zu haben, war es doch keiner gewesen. Er konnte nicht mehr. Ein kleines Lokal in einer unbeleuchteten Seitenstraße fiel ihm auf, so eines, wie das, in dem Lilith gesungen hatte. Es zog ihn an. Wärm und Essen hatte er sowieso nötig. Also betrat er des „Black Angel“. Es war recht leer. Nur wenige Menschen, meist um die zwanzig, saßen an den Tischen. Aus den Boxen in allen Ecken kam leise, düstere Musik. Die gesamte Einrichtung war in schwarz und Rottönen gehalten. Silberne Kreuze und Kandelaber waren der einzige Schmuck. Nur einige Kerzen spendeten schummriges Licht. Shinta setzte sich an einen Tisch. Er bestellte sich etwas zu essen und einen Tee. Er seufzte schwer. Seine Suche heute war völlig sinnlos gewesen, womöglich war Keith nicht einmal in dieser Stadt. Er hätte schon wieder heulen können. Plötzlich legte ihm jemand eine Hand über den Mund und drückte ihm eine Pistole zwischen die Rippen. "Du bist nachlässig geworden. Du hättest nicht hierher kommen sollen", zischte Keith ihm ins Ohr. Shintas Herz schlug wie wild. Keith hatte ihn gefunden. Er konnte mit Keith reden! Zumindest, wenn der seine Hand da wegnehmen würde. Shinta versuchte gegen Keiths Hand anzureden. "Was hast du gesagt?", fragte Keith überrascht und nahm seine Hand von Shintas Mund. "Ich habe gesagt: Nimm deine Hand da weg, ich muss mit dir reden", wiederholte Shinta. "Und setzt dich bitte, ich will dein Gesicht sehen." "Du willst. . . reden?", keuchte Keith überrascht. "Wieso? Hasst du mich für das, was ich getan habe?" "Keine Ahnung", antwortete Shinta. "Ich weiß gar nichts mehr. . . Ich will dich nicht verlieren, Keith." Keith seufzte resigniert. Shinta spürte wie der Druck des Pistolenlaufes nachließ. Keith setzte sich ihm gegenüber. Er stützte seine Arme auf den Tisch und verschränkte die Hände ineinander. Ernst starrte er Shinta über seine Hände hinweg an. Shinta fühlte, wie sein Herz unter diesem eiskalten Blick schneller schlug. Keith seufzte wieder. "Warum, Shin?", sagte er. Nicht mehr. Dann schwieg er einfach nur. Shinta wusste nicht, was er darauf antworten sollte. "Du warst der Erste, dem ich vertraut habe", sagte Shinta endlich. "Ohne dich hätte ich mich Lilith niemals geöffnet. Ohne dich wäre ich nie so glücklich gewesen." Shinta senkte seinen Blick, bevor er weiter sprach. "So glücklich, dass ich mein Leben verwünschte. Dass ich mich nach einem normalen Leben mit Lilith sehnte." Er sah wieder auf und lächelte Keith zögerlich an. "Davor wolltest du mich beschützen, oder? Davor, dass ich diesen Wunsch in die Tat umsetze. Dass ich mich zu einem Verräter mache und von allen gejagt werde. Das stimmt doch, oder?" Shinta hoffte, dass es so war. Wenn es anders wäre, was sollte er dann noch glauben? Was, wenn Keith auf Befehl gehandelt hatte? Er traute sich nicht, Keith in die Augen zu sehen. Stattdessen betrachtete er das dunkelrote Muster auf der schwarzen Tischdecke. Keith lachte traurig auf. Er legte seine Hand unter Shintas Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. "Ich wünschte, es wäre so, wie du gesagt hast", sagte Keith ernst. Shinta konnte in seinen Augen sehen, dass das ehrlich gemeint war. "Doch leider waren meine Absichten viel unedeler." Keith seufzte. "Ich war nur eifersüchtig. Eifersüchtig, dass es Lilith war, die dich so glücklich machte. Dass nicht ich es war, der dich in den Arm nehmen durfte. Nur blanke Eifersucht, mehr nicht, Shinta. Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich bin nicht einmal halb so gut." Kraftlos lies Keith seine Hand sinken und wollte sie schon zurückziehen. Doch Shinta legte seine Hand auf Keiths. Er fühlte ihre Wärme, Keiths leichtes Zittern. "Es ist ok", sagte Shinta. Er wusste nicht, warum er das sagte, er wusste nur, dass es in diesem Moment das richtige war. "Ich habe dich doch nicht für perfekt gehalten. Ich. . . ertrage es nur nicht, dich so verunsichert zu sehen." Er lächelte Keith an um ihm zu zeigen, dass es ihm ernst war. Keith zog seine Hand unter Shintas weg. "Ich habe Liliths Tod noch nicht gemeldet.", flüsterte er. "Ich will es wieder gut machen. Zieh dich zurück, versteck dich und führ das ruhige Leben, das du mit Lilith nicht haben konntest. Ich werde euch beide als tot melden, wenn du willst. Du musst dir nur bewusst sein, dass wenn es jemals auffliegen sollte, es richtig hart wird. Und ich werde dir dann kaum helfen können." Shinta bemerkte erst, dass er weinte, als ihm die Tränen von den Wangen tropften. Er konnte nur stumm nicken. Keith hatte recht gehabt. Er war nicht so gut, wie Shinta geglaubt hatte. Keith war besser. Zum zweiten Mal, zum letzten Mal, hatte Keith ihn vom Rand des kalten Nichts zurückgerissen. 付芳芳 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)