Shinta von HubertOswell (10 Kurzgeschichten) ================================================================================ Hang 'em high ------------- Shinta starrte gelangweilt aus dem Fenster. Nicht, dass es dort etwas zu sehen gab. Da war nur Wüste, ab und an mal ein Kaktus oder ein verkrüppelter Baum. Es gefiel ihm hier, mitten in der Einsamkeit. Er war mit Keith zusammen auf dem Weg zu einem Job. Sie sollten ein Mädchen befreien. Ihrem Boss schien das aus irgendeinem Grund wichtig zu sein. Shinta stellte keine Fragen, er tat einfach, war von ihm verlangt wurde. Und außerdem arbeitete er gerne mit Keith zusammen. Shinta drehte sich um. Keith fummelte genervt am Radio herum, dessen gleichmäßiges Rauschen sich dabei jedoch nicht änderte. Wütend schlug er gegen den Knopf am Armaturenbrett. Shinta lächelte. Er hatte in den letzten Monaten herausgefunden, dass es nichts gab, das Keith mehr hasste als lange, eintönige Autofahrten. Shinta öffnete das Handschuhfach. Darin stapelten sich etliche Kassetten. Er nahm wahllos eine heraus und schob sie in den Kassettenschlitz. Der Gesang eines Mädchens kam aus den Lautsprechern. Er war nur belanglose Popmusik. Doch Keiths Laune lies sich durch die Musik nicht wirklich ändern. "Wie weit ist es überhaupt noch?", brummte er. "Wir fahren jetzt schon seit Stunden durch diese verdammte Wüste. Ich kann sie langsam nicht mehr sehen!" Shinta nahm den GPS-Empfänger, in den er das Ziel eingegeben hatte. Der Richtungspfeil zeigte fast im 90° Winkel nach rechts. "Wir müssen irgendwie nach rechts abbiegen. Es sind von hier aus noch knapp 20 Meilen, aber wir entfernen uns schon wieder vom Ziel", gab Shinta Auskunft. Keith riss das Steuer hart herum und drückte das Gaspedal herunter. Der Wagen fuhr von der Straße und raste querfeldein in die Richtung, die Shinta genannt hatte. Keith grinste. Hier, fern ab der Straße, musste er Felsen und Pflanzen ausweichen und nicht nur stur geradeaus fahren. Shinta wäre es jedoch lieber gewesen, sie wären weiter der Straße gefolgt. Er klammerte sich an einem Griff fest. Auto fahren mochte er schon nicht gerne, aber wenn es dann auch noch so holpern musste... Kurz bevor die Sonne ganz hinter ihnen verschwunden war parkte Keith das Auto hinter einem großen Felsbrocken. Shinta stieg aus und streckte sich erst einmal. "Warte, bis es dunkel ist", ermahnte ihn Keith. Shinta nickte. Er nahm das Scharfschützengewehr aus dem Kofferraum und prüfte es. Das hatte Shinta sich angewöhnt, seit er mit Keith zusammen arbeitete. Schlecht gewartete Waffen konnten lebensbedrohlich werden. Als es endlich dunkel war, kletterten sie auf den Felsen. Keith trug das Scharfschützengewehr auf dem Rücken. Oben nahm Shinta das Gewehr und legte sich auf den heißen Felsen. Ihr Ziel war eine alte, verlassene Tankstelle. Drinnen brannte Licht. Shinta zielte auf eine Person, die gegen das Licht deutlich zu sehen war. Die Scheibe zersplitterte. Die Person brach zusammen. Shinta lud das Gewehr erneut. Ein anderer Schatten brach zusammen. Einige Gestalten rannten aus dem Gebäude. Shinta atmete durch. Einige schnelle Schüsse, dann regte sich vor der Tankstelle nichts mehr. Shinta wartete einige Momente. Doch niemand war mehr zu sehen. Er winkte Keith heran, der in einiger Entfernung gewartet hatte. "Sollen wir runter gehen?", flüsterte Shinta ohne den Blick von der Tankstelle zu nehmen. "Nein", antwortete Keith. "Ich gehe allein. Du bleibst hier und deckst mich." Shinta nickte. Fast ohne zu blinzeln und ohne sich zu bewegen beobachtete er, wie Keith sich zu dem Gebäude schlich. Er sah, dass Keith seine Pistole aus dem Halfter am Rücken zog. Dann betrat Keith die Tankstelle und einige Minuten war alles still. Einige Schüsse fielen. Shinta konnte kein Ziel entdecken. Er musste warten und auf Keith vertrauen. Dann rannte Keith aus der Tankstelle. Er zog eine kleinere Gestalt mit sich. , Das Madchen, das wir holen sollten!', dachte Shinta. Keith und das Mädchen wurden verfolgt. Wie eine Maschine schaltete Shinta die Verfolger mit tödlicher Präzision aus. "Wo bleibst du, Shinta? Verdammt, wir müssen hier weg!", brüllte Keith. Shinta warf noch einen letzten Blick nach unten. Niemand rührte sich mehr. Dann packte er das Gewehr und lief zum anderen Ende des Felsens. Er befestigte das Gewehr auf seinem Rücken. Schnell kletterte er nach unten, die letzten Meter lies er sich einfach fallen. Bevor er einstieg verstaute Shinta das Gewehr. Keith fuhr sofort los, als Shinta sich in den Beifahrersitz hatte fallen lassen. "Warum hast du so lange gebraucht?", fragte Keith, während er mit Vollgas möglichst gerade durch die Wüste raste. Shinta grinste. "Ich hab mich noch ein bisschen um deine Freunde gekümmert." "He he", machte Keith. "Es war eine verdammt gute Idee, dir zu zeigen, wie man mit dem Gewehr schießt. Du zitterst nicht, du zögerst nicht, du drückst einfach ab. Nicht einmal James trifft immer mit so einer mechanischen Präzision wie du und er ist unser bester Schütze." Shinta winkte nur müde ab. Für ihn war es wirklich nichts Besonderes. Ihn interessierte es einfach nicht, ob er auf Menschen schoss oder nur auf Zielscheiben. Die meisten dieser verlogenen Menschen hatten es doch ohnehin verdient. Würde er auf Keith oder James schießen müssen würde er mit Sicherheit auch zittern. Shinta drehte sich nach hinten. Das Mädchen, das Ziel ihres Auftrages, saß mit halbgeschlossenen Augen da, die Hände im Schoß gefaltet. Ihre schwarzen Locken fielen ihr über die Schultern bis zu ihren Hüften. Sie trug ein schwarzes Kleid, das mit schwarzer Spitze verziert war und dessen Rock aus mehreren gerafften Schichten bestand. Jeder andere als Shinta hätte sie wohl als hübsch bezeichnet. Doch Shinta sah etwas mehr an ihr. Er spürte es vielmehr. Sie war ihm etwas ähnlich. Auch ihr Inneres war tot. Aber sie hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Sie hatte noch nicht gelernt, wie es war, einem anderen zu vertrauen. Sie war nicht zu einem Dämon geworden um ihre innere Leere zu füllen. Sie öffnete ihre klaren Augen ganz und schaute Shinta an. Schnell drehte er sich wieder nach vorn. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug. "Wer ist sie?", keuchte er. "Diese Typen haben sie Schwarze Maria genannt", meinte Keith. "Keine Ahnung, was der Boss mit ihr vor hat. Sie ist etwas unheimlich, nicht?" Shinta nickte. Er hatte sich etwas beruhigt. "Schlaf, Kleiner", sagte Keith. "Du siehst blass aus. Bis zur nächsten Stadt schaff ich es auch ohne dich." Shinta drehte sich weg und legte seinen Kopf an das kühle Fenster, als ob er schlafen würde. Die Sterne glitzerten über der eisigen Wüste. Der Motor des Autos dröhnte gleichmäßig. Shinta fühlte sich irgendwie entspannt dadurch. Er kämpfte dagegen an, doch einzuschlafen. Kurz vor der nächsten Stadt riss eine Erschütterung Shinta aus seinem Dämmerzustand. Keith fluchte. Das Auto schlingerte wild hin und her. Es schien außer Kontrolle zu sein. "Raus hier!", brüllte Keith. Shinta öffnete seine Tür und ließ sich fallen. Er rollte sich durch den Sand und über kleine Steine, bis ein vertrockneter Baum ihn stoppte. Sofort rappelte Shinta sich wieder hoch. Außer einigen Kratzern war er unverletzt. Er schaute sich um. Das Auto war noch einige hundert Meter weiter gefahren und in einer Staubwolke verborgen. Ein Stück von ihm entfernt sah Shinta eine Gestalt im Sand liegen. Er lief zu ihr hinüber. Erleichtert atmete Shinta auf, als er erkannte, dass es Keith war, der da im Sand lag. Keith hielt die Schwarze Maria umklammert und rührte sich nicht. Erschrocken ging Shinta neben ihm in die Knie und legte ihm zwei Finger an den Hals. Er konnte noch einen schwachen Puls wahrnehmen. "Alles in Ordnung?", flüsterte Shinta. Das Mädchen drehte ihr Gesicht zu ihm. Sie nickte, ihre leeren Blick direkt auf Shintas Augen gerichtet. Shinta erschauderte. "Tut dir etwas weh?", zwang sich Shinta zu fragen. Sie schüttelte den Kopf. "Verdammt, kannst du mir nicht antworten?!" Keith hustete. Shinta half ihm sich langsam aufzusetzen. "Sie kann dir nicht antworten", keuchte er. "Sie sagten, die Engel hätten ihr die Zunge herausgeschnitten, damit sie ..." Ein heftiger Hustenanfall unterbrach Keith. Shinta legte ihm einen Finger auf die Lippen. "Es ist... Was ist das?" Ein Geräusch ließ Shinta aufschrecken. Ein Dröhnen, das langsam anschwoll. Am Horizont zeigte sich eine Rauchwolke. "Weg hier...", murmelte Shinta. Er legte sich einen von Keiths Armen über die Schultern. "Kannst du laufen?" "Ich werd's wohl müssen", keuchte Keith. Mit Shintas Hilfe schaffte er es bis zu einer kleinen Höhle in einem großen Felsen. "Bleibt hier!", flüsterte Shinta. "Ich werde mal nachsehen, was sie wollen. Keith, hol Hilfe. Du müsstest hier Empfang haben..." Sein Blick fiel auf das Mädchen. Sie schien ganz ruhig zu sein. 'Sie ist nicht richtig im Kopf', dachte Shinta. 'Genau wie ich...' Shinta wollte gehen, doch Keith hielt ihn zurück. "N-nicht", keuchte Keith. Shinta befreite sich mit sanfter Gewalt. "Keine Sorge, Keith. Ich schaff das schon. Warum sollte ich dich jetzt anlügen? Selbst, wenn ich es nicht schaffen sollte, was macht das schon? Ich würde gern für dich sterben. Du hast mich gerettet. Oder mich zu einem noch schlimmeren Monster gemacht. Aber dank dir habe ich wenigstens wieder etwas GEFÜHLT" Einem plötzlichen Impuls folgend drückte Shinta Keith einen Kuss auf die Wange. Entschlossen ging er aus der Höhle. Er entsicherte den Revolver, den er Keith eben abgenommen hatte, als er ihn geküsst hatte. Shinta konnte nicht fassen, zu welchen Gefühlsbezeugungen er fähig war. Und, dass es ehrlich gemeint gewesen war. Shintas Gedanken rasten während er auf das Auto wartete. Es kam schnell auf ihn zu. Doch als es ich Schussreichweite kam wurde es plötzlich langsamer. Jemand streckte seinen Oberkörper aus dem Fenster auf der Beifahrerseite. "Wo ist sie?", schrie er Shinta entgegen. Er war mit einem Clownsgesicht maskiert. Shinta grinste nur. Er hob seinen Revolver und schoss. Der Clown brach zusammen. Leblos hing er an der Seite des Wagens herunter. Das Auto beschleunigte wieder und raste geradewegs auf Shinta zu. Shinta blieb ganz ruhig. Einige Sekunden später hatte auch der Fahrer eine Kugel im Kopf. Trotzdem konnte Shinta dem Wagen nur knapp ausweichen. Shinta sah sich um. Nur zwei Verfolger konnten doch nicht alles gewesen sein. Shinta zuckte zusammen, als eine Kugel seine rechte Schulter durchschlug. Er riss sich zusammen. Er musste in Deckung gehen. Er musste einfach. Er hatte es doch Keith versprochen, er hatte versprochen, dass er es schaffen würde. Shinta lief. Er duckte sich in den Schatten eines anderen Felsens. Er würde sie auf keinen Fall zu Keith führen. Er dachte nach, was er tun würde, wenn er in der Lage der Verfolger wäre. Sein Problem war nur, dass er nicht wusste, wie viele sie waren. Aber er wusste zumindest, dass mindestens einer in erhöhter Position auf ihn wartete. Shinta bewegte sich unter einen Vorsprung, so, dass er zwar beide Ecken im Blick hatte ohne zuerst ins Blickfeld zu geraten und ohne von oben gesehen werden zu können. Sein Blick trübte sich kurz. Er atmete schwer. Die Wunde in der Schulter blutete stark. Sein Blut tropfte auf den Sand. Shinta lehnte sich keuchend gegen den Felsen. Er musste sich zusammenreißen. Shinta rieb sich die Augen. Fast zeitgleich kamen um beide Ecken zwei Männer mit Clownsmasken. Shinta unterdrückte einen Fluch. Er nahm den Revolver in die linke Hand. Er zielte, drückte ab und... verfehlte den einen Clown. Shinta schoss noch einmal. Wieder kein Treffer. Er duckte sich um sich hinter einem Vorsprung vor dem Gegenfeuer des Clowns zu verstecken. Shinta feuerte blind zurück. Ein kurzer Aufschrei, aber das Feuer brach nicht ab. Shinta hatte nur noch eine Kugel. Er wusste, dass es aus war. Doch er bereute nichts, es war, wie er Keith gesagt hatte. Shinta sprang aus der Deckung des Vorsprungs heraus. Er feuerte, wie er es sonst auch immer getan hatte. Der Clown brach zusammen. Im selben Moment hörte er hinter sich ein Röcheln. Shinta drehte sich um. Da stand James. Shinta hätte gelächelt, wäre er nicht Ohnmächtig geworden. 付芳芳 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)