Rajah von Foresight (A Midgard Saga Chronicles Sidestory) ================================================================================ Kapitel 3: Prophezeiung ----------------------- Leise raschelte der Stoff ihres Kleides bei jedem ihrer Schritte. Immer wieder sah sie sich nervös nach allen Seiten um, als sie den kleinen Dorfplatz überquerte in dessen Mitte sich bereits der Frühjahrsbittbaum über die Dächer erhob. Im Schutz dieses Baumes, mit dem alljährlich im Frühling die Götter um fruchtbare Erde und eine reiche Ernte im Herbst gebeten wurden, hielt sie inne und warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Niemand folgte ihr. Sie war und blieb die Einzige, die zu dieser späten Stunde noch unterwegs und vermutlich auch wach war. Nur vereinzelt konnte sie einen schwachen Lichtschein ausmachen, der sich durch kleine Löcher in den schweren Fenstervorhängen der Häuser fraß. Für wenige Sekunden verweilte die junge Frau auf der Stelle, schöpfte neuen Mut, ehe sie weiter in noch dunklere Schatten auswich. Es war immer besser, unentdeckt zu bleiben, zumal sie in diesem Dorf schon oft genug misstrauische Seitenblicke erntete. Vermutlich vertraten die Dörfler die engstirnige Auffassung, sie würde ihre Blicke nicht bemerken, von dem heimlichen Gerede nichts wissen. Sie waren Narren. Ausnahmslos. Doch so lange Tamuka einen sicheren Unterschlupf bot, würde sie diesen Ort nicht verlassen. Als sie den Rand des Dorfes erreichte, warf sie erneut einen verstohlenen Blick über die Schulter, während sie auf eine einzelne Hütte zusteuerte. Noch immer war sie der einzige Mensch auf der Straße und dennoch hielt sie an der untersten Treppenstufe einen Moment inne, um in die Dunkelheit zu lauschen und sich davon zu überzeugen, dass ihr niemand gefolgt war. Die Blätter raschelten leise im Wind, in der Ferne war das Rufen eines Waldkauzes zu hören, darüber hinaus nur die Stille der Nacht. Sie war definitiv alleine. Erleichtert wandte sie sich wieder der Hütte vor ihr zu und atmete tief durch. Schon hier draußen konnte sie den erdrückenden, süßlichen Geruch verschiedener Kräutermixturen wahrnehmen, der eindeutig aus dem Inneren Hütte strömte. Entschlossen überwand sie die drei Stufen zur Tür und füllte ihre Lungen ein letztes Mal mit frischer Nachtluft. In dieser Nacht würde sie ihre Antworten bekommen. Hoffentlich. Noch ehe sie anklopfen konnte, öffnete sich die Tür wie von Geisterhand geführt mit einem leisen Knarren. Der fremdartige Geruch wurde schlagartig stärker und schien sich wie eine unsichtbare Wand zwischen Shirai und dem zwielichtigen Inneren der Behausung zu schieben. Nur schemenhaft konnte sie eine kleine, unförmige Gestalt ausmachen, die sich in der Hütte befand. Doch sie war sich nicht sicher, ob es sich tatsächlich im einen Menschen handelte oder ob ihr ihre von dem seltsamen Geruch getrübten Sinne einen Streich spielen wollten. „Für einen Moment dachte ich, du würdest deine Entscheidung noch einmal überdenken und umkehren, ... aber deine Angst um deine kleine Tochter und dein eigenes Wohlergehen hat dich schließlich doch in meine Arme getrieben, nicht wahr?“ Ein belustigtes Glucksen hallte aus dem Inneren. „Tritt ein, Shirai...“ Rau und kratzig klang die Stimme, wie eine Schreibfeder, die über ein altes, unebenes Stück Pergament fuhr. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Kalte Schauer überliefen die junge Frau, doch sie tat wie ihr geheißen und trat, wenn auch zögerlich, ein. Als die Tür hinter ihr geräuschlos ins Schloss fiel, umhüllte sie der Duft der wirren Kräuter ganz und begann ihre Sinne zu vernebeln. Ihre Gedanken wurden schlagartig träge und das heftige Pochen ihres Herzens beruhigte sich allmählich. „Ihr wusstet, dass ich kommen würde?“ Nur langsam gewöhnten sich Shirais Augen an das vorherrschende Zwielicht. Trotzdem wagte sie es, nun endgültig in die Mitte des kleinen Raumes zu schreiten. Die Hütte hatte schon von außen klein und schäbig ausgesehen und tatsächlich schien es nur ein einziges Zimmer zu geben und zwar das, in dem sie gerade stand. Auf dem Boden unter ihr erstreckte sich ein bunter Teppich, der einmal viel wert gewesen sein musste. Doch die Zeit hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Er war abgewetzt und starrte nur so vor Dreck, sodass das eins kunstvoll gewebte Muster fast vollständig unkenntlich geworden war. Dennoch glaubte sie das Schicksalsmuster darauf zu erkennen, in dessen Mitte, umgeben von unzähligen Kerzen, eine kleine alte Frau saß, der man nur zu deutlich ansah, dass auch sie von den Jahren stark gebeutelt worden war. Das bodenlange, verfilzte Haar hatte die Farbe von schmutzigen Schnee und jeglichen Glanz verloren. Ihre Haut war faltig und blass, fast schon durchsichtig. An ihrem Hals und an den Händen schimmerten deutlich die dünnen blauen Äderchen im Kerzenschein hindurch. Bekleidet war die Alte mit einem einfachen braunen Kleid aus Sackleinen und einem abgelaufenen Paar Schuhe, deren Sohlen mehr Löcher wie Lauffläche aufwiesen. Doch am meisten erschütterten Shirai ihre Augen. Dass die Dorfweise blind war, hatte sie bereits gewusst, doch ihre Augen wirkten auf sonderbare Weise unnatürlich, geradezu verstörend unheimlich. Sie waren tiefschwarz und in diesem Moment fest auf Shirai gerichtet. „Natürlich. Ich weiß und sehe alles, mein Kind.“ Als sie zu sprechen begann, entblößte sie zwei zahnlose Reihen. „Nimm Platz und erzähle mir, warum du einer alten Frau so spät noch einen Besuch abstattest.“ Shirai war davon überzeugt, dass die Alte längst wusste, weshalb sie hier war – zumindest wenn es stimmte, was man der Weisen nachsagte – doch sie verkniff sich eine entsprechende Bemerkung. Dafür war ihr Anliegen viel zu wichtig. Zögerlich ging sie in ausreichendem Abstand vor der zahnlosen Frau auf die Knie und verbeugte sich ehrfurchtsvoll, sodass ihre Stirn den abgewetzten Schicksalsteppich berührte. Diese Frau mochte blind sein, aber Shirai war sich sicher, dass sie trotz allem sehen konnte, was sie tat. Tatsächlich huschte ein zufriedenes Lächeln über die Züge der alten Frau, als Shirai sich wieder aufrichtete. Ein kalter Schauer überlief sie und in ihrem Magen machte sich ein unangenehmes Ziehen breit. Ihr Unbehagen hinunterschluckend, rief sie sich wieder zu Ruhe und atmete tief aus, ehe sie ihre Bitte vorzutragen begann. „Weise Salima, verzeiht, dass ich Euch in Eurer Nachtruhe störe, aber ich wusste mir keinen anderen Rat mehr. Ich... mache mir Sorgen um das Wohlergehen und die Zukunft meiner Tochter. Was wenn sie nach ihrem V-“ Erschrocken brach Shirai ab und konnte nur mühevoll den Reflex unterdrücken, sich die Hände vor den Mund zu schlagen. Fast hätte sie zu viel gesagt, dabei hatte sie sich geschworen, nie wieder über Rajahs Vater zu sprechen. Aus Angst vor dem Schmerz, der Zukunft, der Trauer. Aus Angst um ihre Tochter. Doch zu ihrem tiefsten Entsetzen schien die Alte sehr wohl verstanden zu haben, denn ein wissendes, unheimliches Lächeln zierte die runzeligen Lippen. „Was wäre wenn? Ja, was wenn das süße Töchterchen seine Unschuld verliert? Wenn sie nach dem Vater kommt? Dem Gradwanderer, dem Elf...“ Mit einer beängstigenden Zielgenauigkeit griff die blinde Frau nach einer alten, vom Ruß schwarz gefärbten Schüssel, die sie scheinbar aus dem Nirgendwo hervorholte und nun zwischen sich und Shirai platzierte. Noch während sie sprach, gab sie mehrere verschiedene Kräuter in das Gefäß, von denen die junge Frau noch nicht einmal die Hälfte benennen konnte, und übergoss das Gemisch mit einer öligen Flüssigkeit. „Hüte deine Zunge, schweigen sollst du nun. Die Vergangenheit lassen wir heute ruh'n, die Gegenwart an uns vorüberzieh'n, in die Zukunft wollen wir entflieh'n.“ Salima war in eine Art Sprechgesang verfallen, während sie nach einem getrockneten Kräuterblatt und einer der umstehenden Kerzen griff. Beides hielt sie in geringem Abstand über der Schüssel, sodass bereits einzelne Wachströpfchen zischelnd in die Mixtur eintauchten. „Hör zu...hör gut zu, wenn sich die Zukunft offenbart. Aber sei auf der Hut, denn zu wissen, was einmal sein wird, kann eine viel zu große Last werden.“ Mit diesen Worten entzündete die Alte das Blatt, das kurz darauf den Inhalt der Schüssel in leuchtenden Flammen aufgehen ließ. Binnen weniger Sekunden breitete sich ein berauschender, süßlicher Duft im Raum aus, der nun vollständig von weißem. die Sicht raubendem Rauch erfüllt war. Hektisch sah sie sich um, doch ihre Augen nahmen nichts wahr außer den weißen Rauch, der sich zu einem dichten Nebel gefestigt hatte. Selbst Salima blieb vor ihren Augen verborgen. Ein eisiger Schauer überlief sie. Sie musste hier raus. Sofort! Panik nahm von ihr Besitz, als ihr Verstand endlich begriff, dass sie nicht länger Herrin über ihren Körper war, selbst das entsetzte Keuchen verließ nur stumm ihre Lippen. Doch noch bevor sie sich endgültig in ihrer Angst verlor, lichtete sich der Nebel vor ihr. Genau dort, wo sich soeben noch die rußige Schüssel befunden hatte, loderte und zischelte ein helles und viel zu buntes Feuer. Anstelle der Gelb- und Rottöne, flackerten die Flammen auffallend blau mit einem fliederfarbenen Schimmer. Unnatürlich. Unwirklich. Der Anblick war beängstigend und faszinierend zugleich, dass sich Shirais Panik wie von selbst legte und nun, da ihr Verstand wieder frei war, konnte sie auch das blasse Gesicht der alten Frau ihr gegenüber im Nebel ausmachen. Salima saß mit ausgebreiteten Armen vor ihr, fast so, als schien sie das Feuer umarmen zu wollen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte seltsam entrückt, mit den weit geöffneten, in die Ferne gerichteten Augen. Kein Muskel regte sich, um der starren Mimik die Unmenschlichkeit zu nehmen. Sie sah in die Zukunft. Ihre Augen mochten blind für das Weltliche sein, nicht aber für das was war und das was sein würde. Wieder verspürte Shirai das dumpfe Gefühl der Angst, das sich in ihrem Magen ausweitete und mit eisiger Hand nach ihrem Herzen griff, doch dieses Mal ließ sie es nicht zu. Sie war gekommen, um Salimas Worten zu lauschen und das würde sie auch tun. Doch die Alte hüllte sich in eisernes Schweigen. Noch immer kam kein Wort über ihre Lippen, während sich die Anspannung deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnete. Minuten vergingen, dehnten sich ins Endlose und zerrten an Shirais Nerven. Für Salima dagegen schien die Zeit in ihrer Trance keinerlei Bedeutung mehr zu haben, denn ihr Geist hatte den gebrechlichen Körper auf ihrer Suche verlassen, streckte seine Fühler aus um Fragen beantworten zu können, deren Antworten womöglich besser im Verborgenen bleiben sollten. „Die Zukunft ist ein ungewisser Ort“, brach die Alte unvermittelt ihr Schweigen. Die plötzlich so klare Stimme mit der Salima nun sprach, schien nicht länger ihre eigene zu sein. Noch immer klang sie alt, aber alt an Wissen und Weisheit und passte nicht im Geringsten zum Bild der gebrechlichen Frau. „Dunkle Schatten strecken ihre dürren, nach Macht gierenden Finger nach dem Land der Mitte aus. Mit ihnen halten Angst, Leid und Verderben Einzug in unsere Mitte. Mehr denn je werden die qualvollen Schreie der seelenlosen Armee das Land erschüttern. Alles brennt im Schein des schwarzen Feuers...“ Shirai schluckte schwer ob der Gleichgültigkeit mit der Salima die Worte über die rissigen Lippen kamen. Die Flammen züngelten um das Gesicht der Greisin ohne sie auch nur zu berühren oder gar zu verbrennen, fast so als sei ihr Körper nicht existent – oder als fehle dem Feuer jegliche Hitze. Eine schwache Erinnerung blitze irgendwo in ihrem Kopf auf. Das Schicksalsfeuer mit der temperaturlosen blau-violetten Flamme. Die junge Frau war sich sicher, dass diesen speziellen Flammen jegliche Wärme fehlen musste, dennoch wagte sie nicht ihre Finger nach ihnen auszustrecken. Es war verboten, ein ungeschriebenes Gesetz für alle Ungeweihten, wie sie es war. „Wie ein Schleier trübt der Nebel des Schicksals meine Sicht. Noch ist diese Zukunft nicht besiegelt. Nicht solange die Lichtgeborene auf Erden weilt. Schlafend – noch – im menschlichen Körper, beschützt vom verborgenen Wächter, Hand in Hand mit dem Friedensbringer. Nur sie können den Schatten entgegentreten, im Kreis der erwachenden Krieger.“ Shirai runzelte irritiert die Stirn. Sie wusste weder, wovon die Alte sprach, noch in welcher Verbindung ihre Tochter zu alldem stehen sollte. Doch sie unterbrach Salimas Monolog nicht, wollte die Seherin nicht aus dem Zustand ihrer Trance reißen. Die nächsten Worte der alten Frau jagten ihr jedoch eiskalte Schauer über den Rücken. „Das Elfenkind ist für den Krieg bestimmt. Sobald die dunklen Schatten über Midgard ziehen, kann sie ihrem Erbe nicht mehr entfliehen. Des Vaters Pakt es einst besiegelt, seine Seele sich im Kinde spiegelt. Sie ist sein Fleisch, sein Blut, sein Erbe. Noch bevor die Eltern sich gekannt, ward sie vom Schicksal bereits zum Träger ernannt.“ ---------------------------------- Nach schier endlos langer Zeit gibt es also mal wieder ein neues Kapitel - das war auch längst überfällig. Ich entschuldige mich für die lange Wartezeit. Dieses Kapitel hat mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet und schlummerte daher sehr lange auf meinem PC, bis ich es jetzt endlich beendet habe. Mit Salimas Prophezeiung habe ich mich wirklich schwer getan, da sie zum einen auf die spätere Personenkonstellation passen musste und zum anderen nicht zu viel preisgeben und zugleich Rätsel aufgeben sollte. Mit neuen Kapiteln wird es hier vermutlich insgesamt etwas länger dauern, da ich auch das zukünftige Geschehen (im RPG) berücksichtigen muss, dennoch werde ich mich bemühen, die einzelnen Zeitspannen nicht zu groß werden zu lassen. Zudem habe ich ein neues, festes Konzept für diese OF entwickelt (Das erste war nicht ganz ausgefeilt). Ich werde hieraus also keine Biografie werden lassen, sondern mich auf bestimmte Altersabschnitte beschränken, denen immer eine gewisse Anzahl an Kapiteln gewidmet ist. Die Anzahl ist von den Ereignissen im jeweiligen Lebensabschnitt abhängig, daher kann und werde ich mich auf keine Zahlen festlegen. Bis zum nächsten Kapitel :) Chimizu Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)