Der ewige Göttername von Flordelis ================================================================================ Kapitel 22: Enttarnte Spionin ----------------------------- Ungläubig sah Nozomu sich auf dem Dachboden um. Jemand hatte eine Pinwand aufgestellt, auf der unzählige Bilder von ihm selbst, zusammen mit Zeitungsartikeln und Notizen zu seinem Tagesablauf, seinen Vorlieben und Abneigungen zu sehen waren. Sogar Rehme war auf einem der Bilder zu sehen und eine der Fotografien stammte aus seiner Zeit im Krankenhaus. Wer hatte das alles gemacht? Und warum? Bei dem Gedanken, dass er von irgendjemandem all die Jahre beobachtet worden war, ohne dass er je etwas gemerkt hatte, wurde ihm ganz anders. Das flaue Gefühl in seinem Magen kehrte zurück, Schweiß bildete sich auf seinen Handflächen. Ob er in diesem Moment auch von jemandem beobachtet wurde? „Nozomu, das ist eine Falle!“ Er fuhr herum und duckte sich noch in derselben Bewegung. Die blaue Klinge fegte über seinen Körper hinweg und bohrte sich durch die Pinwand wie durch Butter. Mit zitternden Beinen trat er einen Schritt zur Seite, bevor er das Wesen vor sich betrachtete. Sie sah so aus wie Nozomu sich eine Meerjungfrau vorstellte: Blaue Haut, Flossen an den Ohren, violettes Haar, das wie Wasser über ihre Schultern fiel. Lediglich ihre Beine mündeten nicht in eine Schwanzflosse, sondern in einen bodenlangen lilafarbenen Rock. Und auch der Blick aus ihren roten Augen war nicht sonderlich freundlich, sondern eher bedrohlich. Das Wasser, welches das Hotel überschwemmte, schien direkt aus ihrem Körper zu kommen. In ihrer rechten Hand hielt sie immer noch das Schwert, in ihrer linken wiederum- „Rehme!“ Sein Shinjuu saß eingeschlossen in einer Lampe, die in der linken Hand des Wasserwesens baumelte. Rehme presste ihre Hände gegen das Glas und sah ihn flehend an. „Ich hole dich da raus!“, rief er zuversichtlich. Die Meerjungfrau lachte darauf nur. „Bist du dir da so sicher?“ Nozomu wandte sich ihr zu. „Wer bist du!? Was willst du?“ Mit einem Ruck zog sie das Schwert wieder aus der Pinwand. Fotos und Zettel flatterten dabei zu Boden und schlossen sich dem Strom in die unteren Etagen an. Dabei breitete sich in ihm das Gefühl einer düsteren Vorahnung aus. Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verjagen und wandte sich wieder seiner Feindin zu, die sich auch sogleich vorstellte: „Ich bin die Undine Nerida.“ „Un... dine?“ „Das sind Wassergeister. Sie ist ein Shinjuu!“ Kaum hatte Rehme ihm das in seinen Gedanken mitgeteilt, ließ er sein Shinken erscheinen. „Was immer du vorhast, ich werde dich damit nicht durchkommen lassen.“ Lachend legte Nerida den Kopf in den Nacken. Nozomu beschloss, die Fairness außen vor zu lassen. Noch während sie so dastand, spurtete er mit ausgestrecktem Schwertarm auf sie zu. Doch kaum hatte er einen Schritt getan, spürte er, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Mit einem erschrockenen Schrei hing er plötzlich kopfüber in der Luft. Ein Wasserstrahl hielt sein rechtes Fußgelenk umklammert und hatte ihn so in die Höhe gehoben. „Nozomu!“ „Lass mich runter!“ Nerida lachte wieder. „Mit Vergnügen.“ Mit viel Wucht schleuderte sie Nozomu gegen einen Balken. Benommen blieb er für einen Moment liegen, bevor er sich wieder aufrichtete. Alles um ihn herum drehte sich, aber er musste Rehme helfen – und er konnte dieses Shinjuu nicht in Yumikos Haus lassen. Doch er ging wieder in die Knie. Ich... ich kann nicht... Er konnte hören, wie jemand durch das Wasser lief, im nächsten Moment erklang eine Stimme: „Nozomu-chan!?“ Nozomi? Nerida lächelte. „Ah, wenn das nicht deine kleine Freundin ist. Wie sie wohl aussehen wird, während sie am Ertrinken ist?“ „Nein! Lass sie in Ruhe!“ Nozomi betrat den Dachboden und erstarrte, als sie die Undine sah. Ihr ungläubiger Blick war auf das Wesen gerichtet. Es war offensichtlich, dass sie vor Schreck erstarrt war. Nerida lachte wieder und hob ihr Schwert. „Wehrlose Opfer sind die Schönsten!“ Das Mädchen rührte sich immer noch nicht, ihre Augen waren angsterfüllt geweitet, wie bei einem Reh, das in das Scheinwerferlicht eines näherkommenden Wagens starrte. „Nozomi, lauf weg!“ Seine Stimme holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Doch statt wegzulaufen, nahm ihr Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. „Du hast Nozomu-chan verletzt!“ Die Undine lächelte nur spöttisch. „Und was willst du dagegen tun?“ Nozomi verließ die Treppe und kam endlich richtig auf dem Dachboden an. Ihr Shinken erschien vor ihr und mit ihm die dazugehörige Kleidung. Ihr entschlossener Gesichtsausdruck blieb. „Niemand verletzt Nozomu-chan!“ Nerida hob eine Augenbraue. „Was für eine Furie...“ Das ist eben Nozomi... „Aber wenn du denkst, dass du damit gewinnen kannst“, fuhr Nerida fort, „dann hast du dich erheblich getäuscht, meine Liebe.“ Sie griff Nozomi an, scheiterte jedoch an einem grünen Schild vor dem Mädchen. Sie bewegte sich kein Stück, zeigte lediglich mit der Spitze ihres Shinken auf die Undine. Ein grüner Strahl schoss plötzlich daraus hervor. Diesmal war es das Shinjuu, das den Angriff abwehrte. „Dass heutzutage auch jeder ein Shinken haben muss...“ Nozomu richtete sich wieder auf, als die Umgebung sich endlich nicht mehr drehte. Nerida wandte ihm den Kopf zu. Unschlüssig, auf wen sie achten sollte, sah sie zwischen den beiden hin und her. Der Braunhaarige nutzte die Gelegenheit für einen Angriff. Die Undine schrie auf und ließ die Lampe fallen, in der sich Rehme befand. Das Glas zersprang klirrend. Rehme stieg wieder in die Luft, sie schüttelte sich. „Aaaah! Viel besser!“ Doch Nerida ließ sich davon nicht entmutigen. Stattdessen schwang sie ihr Schwert und griff Nozomi an. Das Mädchen wich zurück und hielt ihr Shinken vor sich. Metall traf klirrend auf Metall, unter der Attacke ging Nozomi in die Knie. W-wie kann sie so stark sein? Um seiner Freundin zu helfen, griff Nozomu ebenfalls an. Diesmal wich er dem Wasserarm aus, der nach seinem Knöchel griff. Sein Shinken durchbohrte das Shinjuu – das sich gleich darauf selbst in Wasser auflöste. Doch die bedrohliche Atmosphäre blieb. Nozomu sah sich aufmerksam um, das folgende Kichern bestätigte ihm, dass sein Instinkt richtig lag. Sie war immer noch hier. Nozomi sah sich ebenfalls um. „I-ist das oft so?“ Er hob die Schultern. „Ich kämpfe nicht oft gegen Shinjuu...“ Besonders nicht so intelligente. „Da drüben!“ Rehmes Ruf lenkte seinen Blick genau in die von ihr gewünschte Richtung. Reflexartig riss er sein Schwert hoch und fing damit die Klinge von Nerida ab. Mit einem Ruck warf er sie wieder zurück. Seine Arme begannen zu schmerzen. Sie ist wirklich stark... „Gib nicht auf, Nozomu! Irgendwie kannst du sie besiegen!“ Ja... nur wie? Nerida griff ihn noch einmal an, wohl wissend, dass ihm aufgrund seiner Unerfahrenheit langsam die Kondition ausging. Lachend sprang sie wieder zurück, nachdem ihre Schwerter sich berührt hatten. „Ihr habt keine Chance gegen mich!“ Nozomu fluchte innerlich. Wie sollte er dieses Shinjuu nur besiegen? Die Undine lachte noch einmal – und hatte plötzlich einen Pfeil in der Schulter stecken. Verwirrt und ungläubig sahen die Anwesenden auf das Projektil und suchten schließlich nach dem Ursprung. Den fanden sie auch schnell in Yumiko, die immer noch mit erhobenem Bogen dastand. Ihre schwarz-gelbe Kleidung und die Waffe in ihrer Hand ließen nur einen Schluss zu: „Sie ist ein Shinken-Träger!“ Der Gruppenraum war bis auf den Computerbildschirm und den Bereich davor in Dunkelheit getaucht. Die Jalousien waren wie üblich, wenn er am Arbeiten war, heruntergelassen. Das vom Bildschirm ausgehende grelle, grüne Licht hatte etwas Unheimliches an sich, dennoch starrte Salles unverwandt hinein. Schon seit Ende des Abendessens saß er so da und wartete. Wenn es sein musste, würde er auch noch Stunden warten, doch er hoffte, dass das nicht nötig sein würde. Für eine Weile hatte er die Gesellschaft von Jatzieta genossen, aber ihr war schnell langweilig geworden und sie war wieder gegangen, um sich um ihre eigenen Dinge zu kümmern. Gelangweilt trommelte er mit seinen Fingern auf dem Tisch. „Komm schon, komm schon“, murmelte er leise vor sich hin als ob das irgend etwas an der Sachlage ändern würde. Als er selbst bemerkte, was er da tat, hielt er schmunzelnd inne. Seit wann war er nur so ungeduldig? Das Leben in dieser Welt tat ihm offensichtlich nicht gut. Oder war Ungeduld womöglich ein Zug, den er sich zunutze machen konnte? Bei Gelegenheit musste er darüber nachdenken – aber zuvor wartete er immer noch auf die Nachricht seiner Kontaktsperson, die sich an diesem Tag außerordentlich viel Zeit ließ. Ein leises Klingeln kündigte den Erhalt einer neuen Nachricht an. Erleichtert atmete er auf. In der Hoffnung, dass seine Erwartung enttäuscht werden würde, öffnete er die Nachricht. Doch wie so oft enttäuschte ihn der Kosmos: Die Nachricht beschrieb genau das, was er befürchtet hatte. Mit einem entnervten Stöhnen vergrub er sein Gesicht in seiner Hand. Auch das noch... Hoffentlich sind Nozomu und Nozomi vorsichtig. Rehmes Stimme durchbrach die eingetretene Stille. Yumiko lächelte. „Ai, das ist richtig!“ Mit strengem Gesicht wandte sie sich an Nerida. „Und du solltest hier verschwinden! Das hier ist mein Haus!“ Die Undine schmunzelte. „Owww, wie süß! Noch ein Mädchen, das meint, mich besiegen zu können!“ Nozomu zweifelte ebenfalls, aber Yumikos Selbstsicherheit, die ihr deutlich ins Gesicht geschrieben stand, imponierte ihm. Sie kann das bestimmt schaffen. „Ach und du nicht?“ Nicht so gut wie sie. Woher auch immer er diese Zuversicht nahm, sie war tief verankert. Im Gegensatz zu ihm und Nozomi schien Yumiko einiges mehr an Erfahrung mit ihrem Shinken zu haben. Also war es doch nur richtig, ihr das Feld zu überlassen, oder? Sie trat vor und legte erneut einen Pfeil an. „Geh jetzt oder du wirst es bereuen!“ Nerida ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit einem Schrei stürzte sie vor – und taumelte im nächsten Moment schon wieder zurück. Ein hell leuchtender Pfeil hatte sie durchbohrt. Nozomu hatte nicht einmal gesehen, dass Yumiko einen Zauber gewirkt hatte. Die Undine gab ein betäubendes Kreischen von sich und verschwand. Auch das Wasser hörte ruckartig auf zu fließen, die bedrohliche Atmosphäre verschwand. Nozomi atmete erleichtert auf. „Vielen Dank, Yumiko.“ Das Mädchen lächelte. „Nichts zu danken, Nozomi-chan!“ Rehme schnaubte. „Natürlich nicht, du gehörst doch zu denen!“ „Was redest du denn da, Rehme-chan?“, fragte Yumiko erschrocken. „Leugnen nützt nichts! Ich habe deine Unterhaltung mit dem Kerl in der Küche gehört, ich gehe jede Wette ein, dass er der Meister dieses Shinjuu ist!“ „Das ist nicht wahr!“, wehrte Yumiko noch einmal ab. Nozomu verschränkte die Arme vor der Brust. Was sollte er nur glauben? War Yumiko also wirklich eine Feindin? Aber was sollte dann dieses Theater? Nozomi, die zwischen Glauben und Unglauben schwankte, betrachtete interessiert die zerstörte Pinwand. Abscheu zeigte sich schon bald auf ihrem Gesicht, verbunden mit Unverständnis. Sie wandte sich wieder an Yumiko: „Was sollen all diese Bilder von Nozomu-chan?“ Sie setzte erneut zu einem Widerspruch an, aber offensichtlich sah sie selbst ein, dass sie in die Ecke gedrängt worden war. Seufzend gab sie nach. „Okay... ich gehöre zum Zerstörungskomitee – aber ich mache das nicht freiwillig!“ Nozomu und Nozomi glaubten ihr nur zu gerne, Rehme dagegen blieb misstrauisch. „So? Und weswegen machst du das dann?“ Tränen traten in Yumikos Augen, schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen. „Sie haben meine Eltern getötet und wollten mich auch töten! Ich wollte aber nicht sterben!“ Nozomi trat auf sie zu und nahm sie tröstend in den Arm. „Ganz ruhig, Yumiko. Du musst das jetzt nicht mehr machen... Wir werden auf dich aufpassen.“ Rehme seufzte innerlich. „Oh Mann, was soll denn der Schwachsinn jetzt? Genau das ist es doch, was sie wollte, unser Vertrauen erschleichen.“ Ich bin trotzdem dafür, dass wir sie mit uns nehmen – besser als wenn sie bei unseren Feinden bleibt. „Aber Nozomu... über kurz oder lang wird sie uns verraten!“ Das glaube ich nicht. Nenn es Intuition, aber ich bin sicher, dass sie uns nicht verraten wird. Besonders nicht, nachdem Salles mit ihr gesprochen hat. Rehme schenkte ihm einen skeptischen Blick, sagte aber nichts mehr. „Yumiko, warum beobachtet mich das Zerstörungskomitee so genau?“ Sie löste sich wieder von Nozomi. In ihm verstärkte sich der Verdacht, dass sie nicht wirklich geweint hatte, aber er überging das. Ihre Antwort bestand aus einem Schulterzucken. „Ich weiß es nicht. Mir wurde nur gesagt, dass ich dein Vertrauen gewinnen soll.“ Nachdenklich legte er wieder seine Stirn in Falten. Ob es etwas mit diesem Namen zu tun hat, den Salles mir genannt hat? Jiruol... wer ist das nur? Das Klingeln seines Handys riss ihn wieder aus seiner Überlegungen. Hastig zog er das Telefon aus seiner Tasche und nahm ab. Jatzietas überdrehte Stimme begrüßte ihn, was er weniger enthusiastisch erwiderte. „Was gibt es?“ „Endlich erreiche ich dich, ich wollte dir sagen, dass Salles einverstanden ist und Yumiko ein Zimmer haben kann. Also bring sie ruhig mit~“ „Okay, danke...“ Sie verabschiedeten sich voneinander, Nozomu legte wieder auf. „Was gab es?“, fragte Yumiko aufgeregt. „Du kannst bei uns einziehen.“ Während sie sich sichtlich freute und ihm um den Hals fiel, zeigte Nozomi ein bittersüßes Lächeln. „Das ist schön, Yumiko-chan.“ Nozomu wusste nicht, was er denken sollte, aber sein Gefühl sagte ihm, dass er genau richtig gehandelt hatte. Jatzieta legte wieder auf und lehnte sich zurück. Sie machte es sich ausgiebig in Salles' Ledersessel bequem und drehte ihn auch ein paar Mal. Lachend blieb sie wieder stehen, als sie sah, dass der eigentliche Besitzer vor dem Schreibtisch stand. „Hast du Nozomu erreicht?“ „Jap, das habe ich. Er klang aber nicht sehr begeistert.“ Schmunzelnd ließ Salles sich auf den Stuhl vor dem Tisch sinken. „Vielleicht hat er sie selbst schon durchschaut.“ Mit großen Augen, die Salles äußerst apart fand, sah Jatzieta ihn an. „Was gibt es da zu durchschauen?“ Er runzelte seine Stirn und beugte sich vor. „Ich verrate es dir, ich hab es immerhin aus einer absolut verlässlichen Quelle.“ „Oh? Sag bloß, du hast einen Spion beim Zerstörungskomitee?“ „So könnte man es nennen, ja.“ Gespannt und erwartungsvoll, beugte sie sich ebenfalls vor, so dass ihre Gesichter nicht mehr weit voneinander entfernt waren. „Dann erzähl mir alles, was du weißt“, bat sie mit einem verführerischem Augenaufschlag. Er schmunzelte und begann ihr von dem zu erzählen, was in der Nachricht gestanden hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)