Der ewige Göttername von Flordelis ================================================================================ Kapitel 13: Kendō ----------------- Nozomu hasste Donnerstage, besonders seit Isolde die neue Englischlehrerin war. An Donnerstagen hatte er nämlich kein Englisch, obwohl das sein liebstes Fach war. Dafür hatte er an diesen Tagen Mathematik – und er hasste dieses Fach abgrundtief. Ganz egal wie sehr alle behaupteten, Jungen (oder Japaner allgemein) wären darin besser, sie irrten sich, was Nozomu anging. Mathematik war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, schon immer gewesen, auch in der Klinik. Nozomi dagegen glänzte regelrecht darin – aber sie glänzte in allen Fächern, was Nozomu schwer beeindruckte, andererseits aber auch deprimierte. Sie hatte ihm erklärt, dass sie viel Zeit zum Lernen gehabt hatte, nachdem er weg gewesen war, denn ohne ihn als besten Freund war niemand mehr zum Spielen da gewesen. Sie trug es ihm allerdings nicht nach, freute sich stattdessen lieber über seine Rückkehr. Etwas, was er normalerweise auch gern tat, aber im Moment erfreute es ihn nicht sonderlich. In der Klinik war es wenigstens egal gewesen, wenn er in Mathe schlecht war, hier war es aber nicht mehr egal. Dementsprechend war Nozomu extrem erleichtert, als die Schule endlich vorbei war. „Nozomu-chan, ich muss heute wieder zur Bandprobe. Du musst also ohne mich-“ Sie kam nicht zum Ausreden. „Yo, Nozomu!“ Zetsu betrat das Klassenzimmer, sofort stießen einige Mädchen ein sehnsuchtsvolles Seufzen aus. Der Silberhaarige ignorierte es und ging direkt zu Nozomu. „Was gibt’s?“ „Hast du Lust mit mir zum Kendō-Club zu gehen? Die suchen neue Mitglieder.“ Kendō? „Ja~“, sagte Rehme in seinen Gedanken. „Du weißt schon, Schwertkampf.“ Ich weiß, was das heißt, danke. Ich frage mich nur, ob das eine gute Idee ist. „Na klar, warum denn nicht? Schaden kann es dir auf jeden Fall nicht.“ Stimmt auch wieder. Nozomi lächelte bereits begeistert. „Das ist ja eine tolle Idee, Akatsuki-kun. Danke, dass du dabei an Nozomu gedacht hast.“ Zetsu winkte ab. „Nichts zu danken, Nagamine. Also Nozomu, kommst du?“ Er nickte und stand auf. Gemeinsam begaben die beiden sich in den Sportkomplex hinüber, wo sich neben der Turnhalle auch ein Schwimmbecken und der Außenbereich für Leichtathletik und Kyūdō befanden. Dienstags und Donnerstags trainierte das Kendō-Team in der Turnhalle, wie Nozomu einem Poster neben dem Eingang entnahm. In der Halle stand nicht nur das versammelte Team, das bereits mit dem Training begonnen hatte, sondern auch der Trainer (in einem lässigen Jogginganzug), der Teamführer (ebenfalls im Jogginganzug) und Leana. Deswegen hatte Zetsu also das Training begutachten wollen. Leana sah beide wütend an. „Was wollt ihr denn?“ „Wir überlegen, ob wir uns dem Kendō-Team anschließen sollen“, antwortete Zetsu lächelnd. „Es ist nur ein Zufall, dass wir dich treffen.“ „Wers glaubt“, erwiderte sie schnaubend. Nozomu glaubte ebenfalls nicht an einen Zufall, stattdessen war er wohl nur Mittel zum Zweck für Zetsu. Aber es störte ihn nicht, solange er ein wenig Zeit mit Zetsu verbringen konnte – und außerdem war er sich ziemlich sicher, dass das Kendō ihm auch Spaß machen würde. Der Teamführer kam zu ihnen herüber. „Ihr seid also die drei, die sich hier bewerben, ja? Ich bin Kato. Ihr seid...?“ „Setoki.“ „Akatsuki.“ Leana sah beide forschend an, bevor sie selbst antwortete: „Vartanian.“ Kato lächelte. „Ah, genau, ich habe schon von euch gehört. Freut mich, dass ihr euch für das Kendō-Team interessiert. Wie ihr vielleicht gesehen habt, trainieren wir dienstags und donnerstags nach der Schule und auch in den Sommerferien, weil es Ende August ein wichtiges Turnier gibt. Wenn ihr also nicht so viel Zeit dafür opfern wollt, geht ihr lieber gleich und spart uns damit einiges an Zeit.“ Keiner der drei rührte sich, was Kato zum Grinsen verleitete. „Sehr gut. Nun, wir haben Platz genug für euch drei, also könnt ihr alle ins Team.“ Leana zeigte sich im Gegensatz zu Zetsu gar nicht begeistert, wollte aber auch nicht nachgeben. Nozomu lächelte nur leicht. „So, wer von euch hat denn bereits mit einem Schwert gekämpft?“ Alle drei hoben die Hand, was Kato durchaus überraschte. „Mit einem echten oder einem Bambusschwert?“ „Mit einem echten“, stimmten Nozomu und Zetsu einstimmig zu. „Holz“, murmelte Leana leise. Kato wandte sich den beiden Jungen zu. „Das wundert mich wirklich. Aber sogesehen sollten unsere Bambusschwerter kein Problem sein.“ Da war sich Nozomu nicht so sicher. Wann immer er das Shinken in der Hand hielt, fühlte es sich nicht so an wie ein echtes Schwert oder überhaupt etwas, das Gewicht besaß. Es war wie Salles gesagt hatte: Das Shinken verlieh ihm Kraft. Doch so schwer konnte ein Bambusschwert auch nicht sein. „Heute werdet ihr nicht so viel tun“, sagte Kato. „Ich werde euch eure Kleidung geben und eine Übersicht über die wichtigsten Dinge beim Kendō. In Ordnung?“ Die drei nickten. „Wunderbar, dann kommt mit.“ „Kendō, huh?“ Salles und Jatzieta waren beide gleichermaßen über die Nachricht überrascht, die Suzume ihnen überbrachte. Das Mädchen nickte. „Akatsuki hat gesagt, ich soll euch das ausrichten. Kann sein, dass Nozomu deswegen später kommt.“ „Das ist eine gute Idee von Zetsu“, bemerkte Jatzieta. „Immerhin können wir uns nicht immer auf Shinken verlassen und außerdem kann unser Nozomu so auch neue Freundschaften schließen – und er langweilt sich weniger.“ „Tut er das denn?“, fragte Salles beiläufig. Jatzieta kicherte. „Manchmal. Ich meine, er ist jung, da langweilt man sich schnell. Du kannst das natürlich nicht wissen, du warst nie jung.“ Er lachte leise und amüsiert. Dann wandte er sich wieder an Suzume. „Danke, dass du uns das gesagt hast. Kannst du bitte trotzdem schon das Essen vorbereiten?“ „Natürlich, Salles-sama.“ Sie neigte den Kopf und verließ sein Büro wieder. Jatzieta verschränkte die Arme vor ihrem Körper, ihr Gesicht verdüsterte sich. „Ich hoffe, dass dieses Kendō nicht etwas in seinem Inneren anspricht.“ „Ich glaube nicht. Kendō ist mehr Sport und weniger Gewalt. Er wird bestimmt kein Interesse daran habe, sich daran zu laben.“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte sie seufzend. „Tja, ich bin dann mal wieder weg. Man sieht sich beim Abendessen.“ Sie huschte aus dem Zimmer hinaus und ließ Salles allein zurück. Lächelnd schüttelte er seinen Kopf und machte sich wieder an die Arbeit. Die Sonne ging bereits unter, als die drei Kendō-Neulinge die Sporthalle verließen. Das Kyūdō-Team war bereits ebenfalls mit Aufräumen beschäftigt. Ohne sie zu beachten gingen die drei an ihnen vorbei. Zetsu seufzte. „Ich glaube, das kriege ich nie auf die Reihe. Warum hat mir niemand gesagt, dass die Regeln beim Kendō so streng sind?“ „Du hast ja nicht gefragt“, erwiderte Leana. Nozomu musste schmunzeln. Auch wenn sie immer so tat, als ob sie Zetsu nicht leiden könnte, sie ging immer gern auf ihn ein, also mochte sie ihn doch irgendwie. Zetsu warf den Kopf in den Nacken. „Du hättest es mir ja ohnehin nicht gesagt.“ „Von mir aus kannst du auch wieder abhauen. Ich werde garantiert in diesem Club bleiben.“ Zetsu legte einen Arm um Nozomus Schulter. „Wir auch. Stimmts, Noz?“ Überrascht sah der Jüngere ihn an. „Huh?“ „Oder etwa nicht?“, fragte der Silberhaarige. „Doch... natürlich.“ Hatte er ihn gerade wirklich Noz genannt? Seit wann vergab er so gerne Spitznamen? Leana verdrehte genervt die Augen. „Gute Güte, macht doch, was ihr wollt.“ Sie murmelte noch etwas in einer anderen Sprache, die Nozomu nicht verstand, er kümmerte sich aber auch nicht weiter darum. Sein Blick fiel stattdessen auf ein weißhaariges Mädchen, das am Eingang des Schulgeländes stand und konzentriert auf die Kyūdō-Mannschaft starrte. Leana sah sie ebenfalls und murmelte noch etwas, ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass es etwas Abfälliges gewesen war. Diesmal war es Nozomu, der mit den Augen rollte. Er verabschiedete sich von Zetsu und Leana und ging zu Baila hinüber. Etwas Leben kehrte in ihre roten Augen zurück. „Setoki, hallo.“ „Du kannst mich doch Nozomu nennen“, bestand er zum wiederholten Male. Sie nickte. „In welchem Club warst du?“ „Kendō. Warum beobachtest du die Kyūdō-Mannschaft?“ Anstatt zu antworten sah sie wieder hinüber. Ein braunhaariger Junge mit einem roten Stirnband fiel Nozomu dabei ins Auge. Es war als ob eine besondere Aura um ihn herum existieren würde. „Pollux wollte mit seinem Freund spielen“, sagte sie leise. Suchend blickte er nach dem Shinjuu, konnte es aber nicht entdecken. „Soll das heißen, dieser Junge ist ein Shinken-Träger?“ Baila antwortete nicht darauf, wandte sich stattdessen von dem Anblick ab. „Lass uns gehen, ich habe Hunger.“ Nozomu nickte und ging gemeinsam mit ihr los. Er sah nicht mehr, dass der von ihnen Beobachtete sich plötzlich umdrehte und ihnen deprimiert hinterhersah. Schweigend brachten Zetsu und Leana den Heimweg hinter sich. Sie presste die Lippen aufeinander, ihr Gesicht versteinert, damit er auch ja nicht auf die Idee kam, sie anzusprechen. Er dagegen lächelte leicht und wartete darauf, dass sie etwas sagte – und seine Strategie ging auf. Sie seufzte. „Wie hast du mitbekommen, dass ich zum Kendō-Team gehe?“ „Ich habe doch gesagt, das war nur ein Zufall.“ „Das glaube ich dir nicht!“, fauchte sie. „Bei dir gibt es keinen Zufall! Also sag mir endlich, was du mit dieser ganzen Masche bezweckst, warum willst du dir meine Freundschaft erschleichen?“ Ein Funken Überraschung zeigte sich in seinen Augen. „Du hast mich ziemlich schnell durchschaut. Respekt, Leana.“ Mit einem Hauch Zufriedenheit lächelte sie. „Ich bin nicht Setoki. Mir kannst du nichts vormachen. Also, was soll das? Was willst du?“ Lächelnd sah er sie an. „Gar nichts.“ Verdutzt erwiderte sie seinen Blick, was ihn wiederum zum Lachen brachte. „Ich wollte etwas von Setoki, bei dir hab ich aber keinen Vorteil, wenn wir befreundet sind.“ „Was könntest du von ihm gewollt haben?“ Es war das erste Mal, dass sein Lächeln bei ihr erlosch. „Das geht dich gar nichts an.“ Seine Stimme nahm einen düsteren, kühlen Klang an, doch das beeindruckte sie nicht. Sie erwiderte mit einem unterkühlten Blick. „Ach und warum nicht?“ „Das ist eine Sache zwischen mir und Nozomu.“ „Der aber denkt, dass du einfach so sein Freund bist.“ In ihren Augen konnte er eine Herausforderung sehen. Er lachte nur. „Glaubst du wirklich, er wird dir glauben? Was immer du ihm erzählst, ich werde es widerlegen.“ „Du nervst“, sagte sie nur noch und ging unvermittelt in eine andere Richtung davon. Was für eine schlechte Verlierin. „Meister, Ihr hättet sie nicht so behandeln dürfen.“ Nanashi erschien in einer transparent erscheinenen Form auf seiner Schulter, so dass niemand außer ihm sie sehen konnte. Er lächelte auf ihren Vorwurf allerdings nur. „Schon gut, sie wird sich schon wieder einkriegen. Ah, heute hab ich Schicht, nicht wahr? Dann sollten wir mal weiter.“ Das Shinjuu nickte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg nach Hause fort. Baila zeigte sich auf dem Nachhauseweg auch nicht gesprächiger als bei den nächtlichen Missionen. Langsam interessierte Nozomu sich wirklich für die Geschichte hinter ihr. Sie redete nie und wenn, dann war er hinterher meist noch mehr verwirrt. Außerdem schien sie die Kyūdō-Mannschaft öfter zu beobachten. Warum tat sie das? Warum erzählte sie Salles und Jatzieta nicht, dass dieser Junge ein Shinken hatte? Oder wussten sie es bereits? Aber warum taten sie dann nichts? Und warum beantwortete Baila keine seiner Fragen? Am besten sprach er einen der beiden selbst darauf an. Fragte sich nur wen von den beiden. Doch die Entscheidung fiel Nozomu gar nicht schwer. Nicht nur, dass Salles bereits gegessen und sich inzwischen in seinem Büro verbarrikadiert hatte, nein, der strenge Mann flößte Nozomu oftmals übermäßigen Respekt ein, weswegen er nicht gern mit ihm sprach. Jatzieta dagegen war bereits im Krankenzimmer, wo er sie auch direkt aufsuchte. Es war das erste Mal, dass er diesen Raum betrat. Es war weniger steril als das in der Schule, aber durch die komplett weiße Ausstattung immer noch gut als medizinische Einrichtung zu erkennen. Jatzieta lächelte ihm verschmitzt entgegen. „Na, mein Lieber, was führt dich zu mir? Hast du dich beim Training verletzt? Ich wills nicht hoffen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge. Es geht um etwas anderes.“ „Ich bin ganz Ohr.“ Sie musterte ihn aufmerksam. Er erzählte ihr von dem Kyūdō-Mitglied und Bailas Verhalten, als er diese vor seiner Schule getroffen hatte. „Wisst ihr davon?“ Ernst wie selten nickte sie. „Und ob wir das tun. Der Junge ist tatsächlich ein Shinken-Träger – aber er ist noch nicht erwacht. Solange sein Orichalcum-Name schläft, können wir auch nichts tun. Möglicherweise hat er Glück und er wird für immer schlafen.“ Sie seufzte leise, bevor sie fortfuhr. „Der, dessen Name erwacht ist, wird nie wieder sein normales Leben führen können, bis der Göttername errungen ist. Einige haben es bereits versucht, es aber auch nicht geschafft.“ Nachdenklich senkte Nozomu den Blick. Er dachte wieder an seinen ersten Schultag und die Rede des Direktors und Satsuki zurück. Shou Epirma war bestimmt einer von ihnen, immerhin schloss er sich auch keiner Seite an. „Das Zerstörungskomitee“, fuhr Jatzieta fort, „arbeitet dagegen ganz anders. Sie entführen potenzielle Shinken-Träger bereits vor ihrem Erwachen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Aber das Erwachen des Namens zu erzwingen führt zu schlimmen Nebenwirkungen.“ Nozomu wollte gar nicht wissen, welche genau das waren. Schon allein beim Gedanken an so etwas lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. „Was ist denn der natürliche Weg, ihn zu erwecken?“ Jatzieta lächelte wieder warm. „Ein emotionaler Schub, zum Beispiel, wenn ein Freund in Gefahr ist.“ „War das bei dir so?“ Sie lächelte vielsagend, schwieg dafür aber. Von ihr würde er eindeutig keine Antwort darauf bekommen. Aber das war auch gar nicht nötig. Irgendwann würde er bestimmt etwas erfahren, früher oder später. Er schüttelte den Kopf. Es war doch absolut nicht nötig, dass er das wusste. „Gibt es sonst noch etwas, mein Lieber?“ Nozomu wollte es verneinen, aber dann fiel ihm tatsächlich noch etwas ein: „Ich habe morgen einen Termin im Krankenhaus zur Nachuntersuchung. Die Schule weiß bereits Bescheid, aber ich wollte es euch auch noch sagen.“ „Alles klar, mein Bester. Dann wünsche ich dir morgen einen schönen Tag.“ Sie lächelte kokett. Nozomu schmunzelte. „Danke.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)