Der ewige Göttername von Flordelis ================================================================================ Kapitel 11: Aus dem Westen -------------------------- Müde und schlecht gelaunt verließ Zetsu am nächsten Morgen sein Apartment. Die Aussicht, an diesem Tag bis drei Uhr in den Unterricht zu gehen, war nicht gerade berauschend. Umso verlockender war die Vorstellung, einfach wieder die Tür aufzuschließen und sich ins Bett zu legen. Aber das würde Nanashi nicht zulassen. Sie nannte ihn zwar immer Meister, aber wenn es darum ging, dass er nicht in die Schule gehen wollte, verhielt sie sich wie eine Mutter. Er brauchte schon einen handfesten Grund und am besten noch ein wenig Fieber, um einfach mal Blau zu machen – und das war ihm dann doch zuviel Arbeit, nur um für einen Tag daheim zu bleiben und dann den ganzen Unterrichtsstoff auch noch nachholen zu müssen. Also entschied er sich schweren Herzens, doch in die Schule zu gehen – und dann dort zu schlafen. Sein Herz wurde ein wenig leichter, als er sah, dass Leana aus der Nachbarwohnung kam. Aber nicht nur das. Sie trug tatsächlich eine Uniform der Monobe-Akademie (zusammen mit einer Strumpfhose). Aber in welcher Klasse war sie? Dafür musste er unbedingt die Schleife sehen – und dafür musste sie sich umdrehen. „He, Leana.“ Verärgert (was hatte sie am frühen Morgen nur schon so sehr aufgeregt?) fuhr sie herum. „Was!?“, fauchte sie. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „He, du bist in meiner Klasse!“ Ratlos sah sie ihn an. Offensichtlich überlegte sie, wovon er gerade redete. Er beschloss, ihr auf die Sprünge zu helfen. Mit seiner freien Hand deutete er auf seiner Brust auf die Stelle, an der bei ihr die Schleife saß. „Die Schleife sagt es mir. Sie ist gelb, also bist du in meiner Klasse.“ Diesmal starrte sie ihn an als ob er eine völlig fremde Sprache sprechen würde. Vielleicht verstand sie ja gar nicht so viel japanisch (wenngleich sich dann die Frage auftat, wie sie es auf die Monobe-Akademie geschafft hatte), deswegen versuchte er es nochmal in englisch, was ihr aber auch nicht zu gefallen schien. „Halt mich nicht für blöd!“, fauchte sie wütend. „Ich kann japanisch! Ich kann nur nicht fassen, dass ich mit einem Idioten wie dir in dieselbe Klasse gehen muss.“ Gespielt verletzt griff er sich an die Brust. „Oh, das hat gesessen. Du kennst mich doch gar nicht, warum nennst du mich dann so?“ Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Eilig fuhr sie herum und ging weiter. Zetsu folgte ihr hastig. Da er längere Beine hatte, machte er größere Schritte und konnte so ohne Probleme gleichauf mit ihr laufen. Ohne ihn anzusehen lief sie schneller, was er wieder ohne großen Aufwand ausglich. „Wenn es dich beruhigt“, sagte er schließlich, „Wir sind nur in der selben Stufe, vielleicht bist du auch in einer anderen Klasse.“ Ruckartig wandte sie ihm den Kopf zu. „Meinst du?“ „Es kann schon sein.“ Sie sah wieder nach vorne. „Ich wills hoffen.“ Schweigend legten sie den Weg zur Schule zurück. Die Mädchen auf dem Weg starrten Leana fassungslos an, einige spießten sie regelrecht mit Blicken auf. Zetsu konnte Getuschel hören, in dem es um die Frage ging, wer das Mädchen wohl war, einige tippten sogar darauf, dass sie seine Schwester war – eine Vorstellung, die er absolut lächerlich fand und ihn zum Schmunzeln brachte. Leana dagegen sah immer verdrießlicher drein. Sie fand die Vorstellung wohl nicht lächerlich oder zumindest amüsant, sondern nur nervig. Als sie die Monobe-Akademie erreichten, wurden sie weiter von fragenden Blicken heimgesucht, während Zetsu neben Leana zum Schwarzen Brett schlenderte, um nachzusehen, in welcher Klasse sie sein würde. Er grinste bereits, als er ihren Namen in seiner Klasse entdeckte, sie dagegen stand mit gerunzelter Stirn vor der Liste. Zetsu wartete drei Minuten, bevor er wieder etwas zu ihr sagte: „Äh, hat es dir die Sprache verschlagen oder warum bist du so still?“ Mit zusammengekniffenen Lippen sah sie ihn an. Es kostete sie einiges an Überwindung, bis sie schließlich seufzte. „Ich kann diese Zeichen nicht lesen.“ Überrascht hob er eine Braue. „Du wohnst doch hier, oder? Wenn du aus Europa kommst, musst du doch einen Test bestanden haben vorher und zu dem gehörten auch Hiragana-, Katakana- und Kanji-Wissen, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Na ja... meine Schwester hat den Test gemacht und... das ist schwer zu erklären, okay? Kannst du mir nicht helfen?“ „Ich kann dir Nachhilfeunterricht geben“, sagte er zwinkernd. Wieder verfinsterte sich ihr Gesicht. „Nein, danke. Ich wollte nur wissen, in welcher Klasse ich bin.“ Er deutete auf ihren Namen. „Das hier bist du“ - sein Finger ging weiter nach oben - „und das hier ist mein Name. Wir sind tatsächlich in der selben Klasse.“ Noch einmal seufzte sie genervt. „Auch das noch.“ Zetsu überging das lächelnd. „Halte dich einfach an mich. Ich box dich schon überall durch – nur nicht durch die Examen.“ „Nein, danke“, wiederholte sie. Sie stemmte den freien Arm in die Hüfte und sah ihn an. Zetsu fragte sich, worauf sie wartete. Das Gespräch war eigentlich beendet, er wusste im Moment auch nicht, was noch zu sagen war. Doch trotzdem blieb sie vor ihm stehen, obwohl sie (nach ihrer Aussage) genervt von ihm war. Als er sich umsah, konnte er das sogar nachvollziehen. Um sie herum hatten sich Grüppchen gebildet, die miteinander flüsterten und immer wieder zu ihnen hinüber nickten. Noch dazu schien sie das erste Mal an dieser Schule zu sein und sie konnte keinen der Wegweiser lesen, alles war fremd für sie. Sogesehen konnte er sie also verstehen, da würde er ebenfalls lieber beim einzigen vertrauten Punkt stehenbleiben, selbst wenn das bedeutete, genervt sein zu müssen. Zetsu wollte gerade vorschlagen, das Lehrerzimmer aufzusuchen, da neue Schüler stets vom Lehrer vorgestellt wurden, als er plötzlich vertraute Stimmen hörte. „Motou, hör endlich auf damit!“, bat Nozomi inständig. Neugierig fuhr Zetsu herum. Nozomi, Suzume und Nozomu standen neben den Fächern. Nozomis Gesicht war rot, Suzume trug ein amüsiertes Lächeln, Nozomu dagegen war neutral wie eh und je. „Guten Morgen ihr drei“, begrüßte Zetsu sie. Die Gruppe wandte sich ihm zu. „Guten Morgen, Akatsuki“, grüßten die Mädchen zurück. „Guten Morgen, Zetsu.“ Die drei kamen näher. Suzume begann zu grinsen, ein Anblick, den Zetsu noch nie erlebt hatte. „Akatsuki, wusstest du schon, was für ein Schwerenöter Setoki ist?“ Bevor Zetsu nachhaken konnte, fuhr Nozomu dazwischen: „Können wir das Thema endlich mal lassen? Es reicht, wenn Jatzieta da schon immer Witze drüber macht.“ Suzume kicherte. Zetsu hätte gern noch mehr gefragt, aber da fiel ihm wieder ein, dass Leana noch neben ihm stand. „Ah, Motou, gut, dass du gerade da bist. Das hier ist Leana Vartanian, sie ist neu in unserer Klasse.“ Neugierig musterte Suzume die Neue. „Freut mich, ich bin Suzume Motou.“ Leana nickte nur. Ihr Blick blieb an Nozomu hängen. Der Braunhaarige kümmerte sich nicht darum. Stattdessen brannte er darauf, Zetsu von der letzten Nacht und dem, was Satsuki gesagt hatte, zu erzählen, aber in der Schule war nicht unbedingt der beste Ort dafür. „Ah, ich wollte Leana gerade ins Lehrerzimmer bringen, um-“ „Das musst du nicht“, unterbrach ihn eine Stimme. Satsuki war neben ihnen aufgetaucht und hatte nach Leanas Arm gegriffen. „Ich werde sie hinbringen. Ich muss sowieso ins Lehrerzimmer, weil es danach eine Ansprache gibt.“ „Schon wieder eine langweilige Rede?“, fragte Zetsu. „Eher eine neue Lehrerin.“ Es war Nozomu noch nie so sehr aufgefallen wie an diesem Tag, aber die Augen der beiden blieben kalt und abweisend, selbst wenn sie sich gegenseitig reizten. Sie waren also wirklich Feinde. Würde Satsuki ab sofort auch mit ihm und Nozomi so reden? Ihm würde das nicht unbedingt viel ausmachen, aber so wie er seine Kindheitsfreundin kannte, würde es sie kaputtmachen. „Ich kümmere mich auch den Rest des Tages um sie und bringe sie dann auch nach Hause“, sagte die Rothaarige. „Du musst dich nicht weiter mit ihr befassen, Akatsuki.“ Ohne die anderen weiter zu beachten, rauschte Satsuki mit Leana davon. Nozomu machte sich keine Gedanken mehr darum und wandte sich an Zetsu: „Seit wann kümmerst du dich um neue Schülerinnen?“ „Sie ist meine Nachbarin“, antwortete er schmunzelnd. „Und sie mag mich nicht – deswegen bemühe ich mich besonders um sie.“ „Sag bloß du stehst also auf Kratzbürsten, Akatsuki?“, fragte Suzume amüsiert. Zetsu lächelte sie an. „Irgendwie gefällst du mir viel besser, seit du dich nicht mehr so seltsam verhältst. Wenigstens redest du jetzt auch mal.“ Sie bedankte sich lachend. Zu viert gingen sie in Richtung der Aula, wo wieder unzählige Stühle aufgebaut worden waren. Nozomu hatte inzwischen mitbekommen, dass die Stühle nur kurz vor Ansprachen oder Veranstaltungen aufgestellt wurden. Ansonsten gab es in der Aula nur die Bühne, die immer da war. Im Winter verbrachten viele Schüler ihre Mittagspause in der Aula, wenn es draußen zu kalt war, sie war also immer für Schüler offen, wurde aber eher selten genutzt. Im Moment fragte er sich wieder, wer die Stühle aufstellte und später wieder abbaute, wenn alles vorbei war. Das war sicherlich kein angenehmer Job, so viele Stühle wie es waren. Machte das Satsuki oder...? Sein Blick fiel auf ein Mädchen und einen Jungen, die noch die letzten Stühle aufstellten. Er erkannte die beiden von seinem ersten Tag wieder. Er hatte sich noch gefragt, warum sie so locker herumlaufen durften. Das Mädchen trug immer noch kein Jäckchen oder Schleife und der Junge hatte noch immer eine sehr ungewöhnliche Frisur. Die anderen bemerkten seinen Blick. „Ah, bestimmt wunderst du dich über die beiden“, meinte Zetsu. „Das sind keine Schüler, sie tragen nur die Schuluniformen. Sie wohnen in der Schule und sind sowas wie... die Hausmeister.“ „Aber sie sehen so jung aus...“, bemerkte Nozomu nachdenklich. Suzume nickte zustimmend. „Aber niemand weiß, wie alt sie sind oder wo sie herkommen.“ „Vielleicht sind sie Aliens“, spöttelte Zetsu. Nozomu rollte mit den Augen. Sie setzten sich hin. Obwohl sie die freie Platzwahl hatten, suchten sie sich Stühle in der Mitte der Aula. Vorne genug, um alles mitzubekommen, was auf der Bühne geschah und hinten genug, damit man auf der Bühne nichts mitbekam, was sie taten. Zetsu lehnte sich entspannt zurück. „Ich bin gespannt, was das für eine neue Lehrerin ist.“ „Sonst kümmert dich das doch auch nie“, erwiderte Suzume. „Kann es sein, dass Setoki dir irgendwie gut tut?“ „Kann es sein, dass du ein wenig neugierig bist?“, stellte er die Gegenfrage. „Touche.“ Sie lehnte sich ebenfalls zurück. Auch Nozomu war die Veränderung an beiden aufgefallen. Hatte das wirklich etwas mit ihm zu tun? Nein, bestimmt nicht. Er schob das alles nur auf einen dummen Zufall. Nozomi saß währenddessen deprimiert daneben. Mit Sicherheit war sie immer noch über die Nachricht von Satsuki bestürzt und überlegte, was sie dagegen tun könnte. Nozomu hatte seine Kindheitsfreundin als sehr aktionsfreudige Person in Erinnerung. Bestimmt würde sie irgendetwas tun, um Satsuki wieder Freundin nennen zu können. Und Nozomu war sich sicher, dass sie es auch bestimmt schaffen würde. Die Aula füllte sich langsam mit Schülern. Wie auch beim letzten Mal tröpfelten sie nur nach und nach herein, als ob sie hoffen würden, dass man damit den Unterricht hinauszögern könnte. Erst ganz zum Schluss kamen der Direktor, Satsuki, Leana und eine unbekannte Frau in die Aula und stiegen auf die Bühne. „Was macht Leana da?“, fragte Zetsu flüsternd. Nozomu zuckte mit den Schultern. Kaum hatte das Mädchen die Bühne betreten, breitete sich ein Raunen in der Aula aus, das wie das Summen wütender Bienen klang. Diejenigen, die Leana vorhin mit Zetsu gesehen hatte, deuteten auf das Mädchen und erzählten denen, die nicht dabei gewesen waren, flüsternd die Geschichte. Ungläubige Blicke waren das Ergebnis, teilweise sogar giftige, die gegen das Mädchen gingen. Leana sah genervt ins Publikum, bevor sie sich auf einen der Stühle setzte. Sie saß direkt neben der Unbekannten, die anscheinend die neue Lehrerin war. Nozomu musterte die Frau interessiert. Ihre Gesichtsfarbe wirkte ein wenig ungesund, andere hätten es als vornehme Blässe bezeichnet. Ihr glänzend schwarzes Haar fiel fließend bis zu ihrem Ellbogen. Von der Form ihrer Augen hätte man sie für eine Asiatin halten können, aber ihre Haut ließ mehr auf europäischen Ursprung schließen. Was und wen sie wohl unterrichten würde? Der Direktor trat ans Rednerpult und hielt wieder eine Rede, die zur Motivation der Schüler dienen sollte, außerdem sprach er erneut von den nächtlichen Vorfällen und erinnerte die Schüler an die nächtliche Ausgangssperre. Nozomu hörte nicht wirklich zu, hoffte nur, dass er bald fertig war mit reden. Seine Stimme hatte etwas Einschläferndes, was ihm beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war. Kein Wunder, dass Zetsu damals eingeschlafen war. Auch an diesem Tag fielen ihm immer wieder die Augen zu. Erst als der Direktor schließlich das Zeichen für die neue Lehrerin gab, wurde er wieder aufmerksam. Die Frau stand auf und schlenderte zum Pult hinüber. Der Direktor stellte sie als Isolde Vartanian vor – derselbe Nachname wie der von Leana. „Zufall?“, fragte Suzume. „Glaube ich kaum“, erwiderte Zetsu. Allerdings hatte er die Frau bislang auch noch nicht gesehen gehabt. Isolde schob den Direktor ein wenig zur Seite, um ins Mikrofon sprechen zu können: „Ich freue mich schon darauf, euch unterrichten zu dürfen.“ Wieder ging ein Raunen durch die Aula, aber diesmal war es eines voller Respekt. Noch nie hatte jemand den Direktor so behandelt. Waren das europäische Lehrmethoden? Wenn ja, war es vielleicht keine schlechte Idee, mehr europäische Lehrer zu haben. Bestimmt aber höflich, schob der Direktor Isolde wieder vom Mikrofon weg und verwies sie auf ihren Platz. „Außerdem möchte ich euch gleichzeitig eine neue Schülerin vorstellen. Sie kommt aus Europa und verdient deswegen unsere besondere Aufmerksamkeit.“ Leana rollte mit den Augen, Zetsu schmunzelte darüber nur. Auf eine Europäerin hatte sie bislang bestimmt noch niemand reduziert. Obwohl... in Japan war alles möglich. Er stellte Leana ebenfalls vor, doch sie stand nicht auf. Ein erneutes Raunen folgte darauf, lediglich Zetsu konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ja, das war in gewisser Weise sicherlich typisch für sie, soviel konnte er bereits sagen. Schließlich gab der Direktor auf, sie zum Aufstehen bewegen zu wollen und verabschiedete sich von den Schülern. Satsuki hatte diesmal anscheinend nichts zu sagen. Während die ersten Schüler wieder zum Ausgang strebten, blieb die Gruppe um Nozomu noch sitzen. Zetsu seufzte verträumt. „Ist Leana nicht großartig?“ „Akatsuki, bist du verliebt in sie?“, fragte Suzume. „Nein. Ich finde nur, dass sie... interessanter ist als die anderen.“ „Weil sie dich nicht mag?“, fragte Suzume erstaunt. Lächelnd neigte er den Kopf. „So könnte man es sagen.“ Suzume warf Nozomu einen Blick zu, um zu sehen, ob er genauso erstaunt darüber war – und tatsächlich war er das sogar. Zetsu hatte so viele Verehrerinnen, er könnte quasi jedes Mädchen an dieser Schule haben und dennoch interessierte er sich anscheinend für eine, die ihn nicht mochte. Etwas, was nicht einmal nachvollziehbar war. Satsuki mochte Zetsu auch nicht und dennoch interessierte Zetsu sich nicht für sie. Aber warum traf es dann gerade Leana? „Überleg lieber nicht zuviel“, riet Zetsu ihm. Nozomu erschrak. Konnte er wirklich seine Gedanken lesen? Nein, das war doch lächerlich. Trotz allem fand er Zetsus Gedankengänge um einiges interessanter als die anderer Menschen. Bei dem Silberhaarigen erlebte man immer wieder eine Überraschung. „Wollen wir dann auch langsam gehen?“, fragte Nozomu. „Früher oder später müssen wir wohl – also los.“ Die Vier standen auf und schlossen sich dem allgemeinen Verlassen der Aula an. Die beiden von vorhin begannen bereits wieder damit, die Stühle wegzuräumen. Nozomus Neugier war wirklich geweckt, irgendwann musste er mit den beiden reden, wenn er einmal Zeit dafür hatte. Bei dem Gedanken daran hielt er inne. Sein Arzt wäre mit Sicherheit positiv überrascht über die Fortschritte, die er inzwischen gemacht hatte. Nozomu war selbst überrascht. Gemeinsam mit den anderen Schülern arbeiteten sie sich hinaus, um sich dann zu ihren Klassenzimmern zu begeben. „Hat eigentlich einer mitbekommen, welches Fach Vartanian-sensei übernehmen soll?“, fragte Zetsu. „Wenn er das irgendwo in seinen Vortrag eingebaut hatte, nein“, gab Nozomu zu. „Nozomi, weißt du etwas?“ Sie reagierte nicht, zu sehr schien sie noch in ihre Gedanken vertieft zu sein. „Ich weiß es auch nicht“, meinte Suzume. „Nagamine. Nagamine, erzähl doch.“ Sie schaffte es, das Mädchen tatsächlich aus ihren Gedanken zu reißen. „Oh, Vartanian-sensei... ich glaube, sie wird Englisch unterrichten.“ „Das würde doch passen“, meinte Zetsu. „Englisch ist immer besser von einem Muttersprachler. Aber wird sie jede Klasse unterrichten oder nur bestimmte?“ „Das hat er nicht gesagt“, sagte Nozomi. Wie hatte sie all das mitbekommen können? Die ganze Zeit über hatte sie total abwesend gewirkt. An diesem Tag kam Nozomu gar nicht aus dem Staunen heraus. „Ich hab gleich Englisch“, sagte Zetsu. „Ich werde also gleich wissen, ob wir dazu gehören oder nicht.“ „Viel Vergnügen“, erwiderte Nozomu. „Erzähl mir in der Mittagspause, wie es war.“ Der Silberhaarige nickte und nach einer kurzen Verabschiedung trennten sich seine und Suzumes Wege von denen von Nozomu und Nozomi. Ihr Klassenlehrer stand bereits im Raum, gemeinsam mit Leana, die immer noch aussah als hätte sie gerade schlechte Laune, aber vermutlich sah sie immer so aus. Es dauerte seine Zeit, bis alle Schüler im Klassenzimmer angekommen waren, aber schließlich war es soweit. „Ich hoffe, ihr wart gerade alle bei der Ansprache“, sagte der Lehrer. „Dann wisst ihr ja, dass dieses Mädchen von nun an Teil unserer Klasse ist.“ Pff, ich wette, er war selbst nicht dort, dachte Zetsu. Der Lehrer wandte sich an Leana. „Stell dich bitte vor.“ Sie nickte widerwillig. „Mein Name ist Leana Vartanian. Ich komme aus Großbritannien und wohne nun mit meiner Schwester Isolde hier in Japan. Ich... freue mich, mit euch in diese Schule gehen zu können.“ Für den letzten Satz musste sie einiges an Überwindung aufbringen. Überhaupt klang der ganze Text wie einstudiert, warum auch immer man so etwas einstudieren sollte, eigentlich konnte sie doch ganz gut japanisch. Zufrieden damit nickte der Lehrer und bat Leana, sich einen Platz zu suchen. Zetsu warf einen Blick umher, sein Blick fiel auf den Platz neben ihm. Seit wann war der frei? Sonst saß doch immer jemand neben ihm. Der Lehrer deutete genau auf den Platz. „Maki ist heute nicht da, setz dich neben Akatsuki.“ Wieder rollte sie mit den Augen und setzte sich auf den angegebenen Platz. Sie warf einen genervten Blick zu ihm hinüber, den er schmunzelnd erwiderte. Bevor der Unterricht beginnen konnte, klingelte bereits die Glocke. Als nächstes hätten sie Englisch. Ob sie Isolde Vartanian haben würden? Andererseits, sie schien mit Leana verwandt zu sein, bestimmt würden sie diese Frau also nicht als Lehrerin haben. In welchem Verhältnis standen die beiden wohl zueinander? Ihr Lehrer verließ die Klasse. Sofort bildete sich eine Schülertraube um Leana. Jeder war daran interessiert, wo sie herkam und was sie in Japan machte. Zetsu fand es nachvollziehbar, immerhin kam nicht jeden Tag eine neue Schülerin aus Europa. Am nächsten Tag hätte sich das alles bestimmt wieder gelegt. Bei Leanas abweisendem Verhalten sogar noch am selben Tag. Erst als die Tür wieder aufging und Isolde hereinkam, setzten sich die Schüler sofort wieder. Just my luck, dachte Zetsu grinsend. He, auf englisch eingestimmt bin ich jetzt schon. Lächelnd stellte Isolde sich vor die Klasse. „Guten Morgen alle zusammen. Ich bin Isolde Vartanian. Nennt mich einfach Isolde-sensei.“ Wieder ein begeistertes Raunen. Auch Zetsu musste sich eingestehen, dass ihn das beeindruckte. Japanische Lehrer waren sonst immer ein wenig steif und unnahbar, Isolde dagegen wirkte erfrischend und neu. „Gibt es Fragen?“, fragte Isolde. Fast sämtliche Hände schossen nach oben. Sie lachte vergnügt. „Lasst mich raten, es geht um meine Verwandtschaft mit Leana.“ Die Schüler nickten interessiert, worauf Isolde fortfuhr: „Sie ist meine kleine Schwester.“ „Sie sehen nicht verwandt aus“, warf ein Schüler ein. Isolde lachte noch einmal. „Ertappt, ich bin nämlich adoptiert.“ Ein wissendes „Aaaaah“ ging durch die Klasse. Selten war die Klassengemeinschaft so stark wie im Moment. Dennoch meldete sich immer noch ein Schüler. „Isolde-sensei! Sind Sie verheiratet?“ Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Nein und solo bin ich auch noch. Also strengt euch mal an.“ Sie zwinkerte dem Schüler, der die Frage gestellt hatte, zu. Er wurde rot und notierte sich das. Verzweifelt schlug Leana ihren Kopf auf den Tisch, was Zetsu zum Lachen brachte. „Gut, nachdem ihr mich jetzt kennt, fangen wir mal mit dem Unterricht an.“ Die Mittagspause verbrachte Leana mit Isolde, weswegen Zetsu (der inzwischen darauf brannte, mehr über Nozomus erste Nacht im Wohnheim zu erfahren) sich mit Nozomu, Nozomi und Suzume auf dem Dach treffen konnte. Der Himmel zeigte sein strahlendes Blau, unterbrochen nur von einigen weißen Wolken, die Zetsu wieder schläfrig machten, wenn er sie zu lange beobachtete. Also konzentrierte er sich lieber wieder auf die anderen. Nozomi wirkte immer noch deprimiert, aber auch nachdenklich. Ob sie bald eine Idee hätte, um sich Satsuki wieder anzunähern? Zetsu hatte das damals nach einem Monat aufgegeben und sich lieber in die Feindesrolle gefügt. War immer noch besser als sich deswegen immer in Tränen zu baden. Kaum hatte Suzume ihm erzählt, dass Nozomu und Nozomi die Nacht im selben Bett verbracht hatten (diesmal hatte keiner der beiden sie aufgehalten), hatte er ebenfalls zu lachen begonnen. „Noz, du Schwerenöter!“ Er stieß dem Jungen in die Seite. Dieser rollte mit den Augen. „Hör endlich auf damit. Da war nichts. Als Kinder haben wir oft zusammen geschlafen.“ Zetsu schmunzelte. „Ach...“ „Wie war denn Englisch?“, fragte Nozomu, um das Thema zu wechseln. Der Silberhaarige merkte sich das für einen späteren Zeitpunkt. „Wir haben tatsächlich Isolde-sensei im Unterricht. Sie ist ziemlich locker drauf und ihr Englisch ist echt fabelhaft, genau wie ihr Japanisch.“ „Und sie ist Leanas Adoptivschwester“, ergänzte Suzume. „Es wundert mich, dass die beiden einen solch sprachlichen Unterschied haben. Andererseits ist Leana auch um einiges jünger... warum sie wohl nach Japan gekommen sind?“ „Gute Frage“, stimmte Zetsu zu. „Vielleicht finde ich das noch heraus.“ Nozomu klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm Mut zu. Gleichwohl er das nur tat, weil er sich dazu verpflichtet fühlte, eigentlich war ihm das egal – und Zetsu wusste das. Dennoch fand er diese Geste nicht schlecht. „Wie war die Nacht sonst?“ „Ich war mit Baila auf Streife. Sie ist irgendwie seltsam...“ Zetsu nickte zustimmend. „Sie war mal anders, viel kommunikativer und emotionaler – und ihr Essen hat besser geschmeckt.“ „Was ist geschehen?“, fragte Nozomu. Der Silberhaarige runzelte seine Stirn, sein Blick ging gedankenverloren zur Seite. „Bei einer Streife geriet sie in einen Hinterhalt bei dem sie ihr Gedächtnis verlor. Seitdem ist sie total verändert.“ Suzume legte eine Hand auf ihr Herz. „Arme Baila.“ „Was ist genau geschehen?“, fragte Nozomu mit unverhohlener Neugier in der Stimme. Zetsu schüttelte seinen Kopf. „Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Wir wissen, wer dafür verantwortlich ist, aber die können wir auch nicht fragen, weil sie unsere Feinde sind – und wir keine Ahnung haben, wo sich ihr Aufenthaltsort befindet.“ Für einen Moment herrschte Schweigen auf dem Dach. Keiner wusste, was er dazu sagen sollte, ohne dass es abgedroschen oder nichtssagend klang. „Na ja“, durchbrach Nozomu das Schweigen schließlich wieder, „auch wenn wir nie herausfinden sollte, was mit ihr geschehen ist, was solls? Konzentrieren wir uns lieber auf ihre und unsere Zukunft.“ Die anderen, sogar Nozomi, sahen ihn erstaunt an, bis er verwirrt fragte, was denn los sei. „Du wirkst plötzlich so erwachsen“, antwortete Nozomi. „Aber in einer besseren Art und Weise wie früher.“ „So was passiert dem Helden doch sonst erst am Ende einer Geschichte“, spöttelte Zetsu. „Sag mir nicht, unsere ist bald vorbei.“ „Ich bin doch nicht der Held“, wehrte Nozomu entschieden ab. „Red nicht so einen Blödsinn.“ Die anderen drei lachten einstimmig, dann begannen sie wieder zu viert über die Schule und ihre Hausaufgaben zu reden. Das Quartett war so in ihre Unterhaltung vertieft gewesen, dass keiner von ihnen bemerkt hatte, dass die Tür zum Dach einen Spalt offenstand und jemand das Gesprochene interessiert belauscht hatte. „Und was sagst du dazu?“ Die schwarzhaarige Lehrerin wandte sich der Schülerin zu. Das Mädchen lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand. „Sie wissen also nicht wo das Hauptquartier des Zerstörungskomitees ist, hm?“ „Das meinte ich eigentlich nicht“, wurde ihr kichernd erwidert. „Zetsu will mehr über dich herausfinden, Leana.“ Die Schülerin stöhnte genervt. „Isolde, bleib ernsthaft. Solange sie nicht wissen, wo das Zerstörungskomitee sitzt, wissen sie auch nicht, wer dort alles Mitglied ist. Ich denke, das sollten wir ausnutzen, solange wir können.“ Isolde nickte. „Wie du willst. Wenngleich ich davon nicht begeistert bin, du kennst meine Meinung.“ Leana schwieg, so dass ihre Gesprächspartnerin fortfuhr: „Aber ich stehe hinter dir, egal was du tust.“ Das Mädchen nickte. Sie sagte nichts, aber Isolde verstand auch so was das Schweigen ausdrücken sollte. Seufzend wandte Leana sich ab. „Gehen wir wieder, bevor die uns doch noch entdecken.“ Isolde nickte. Vorsichtig schloss sie die Tür und folgte anschließend Leana die Treppe hinunter. Vielleicht konnten sie jetzt endlich etwas essen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)