Der ewige Göttername von Flordelis ================================================================================ Kapitel 2: Der erste Schultag ----------------------------- Nozomu zerrte zum wiederholten Male an seinem Kragen, der ihm das Gefühl gab, dass er kurz vor dem Ersticken war. „Nozomu-chan“, schalt Nozomi ihn, „lass das endlich! Du machst deine Uniform noch kaputt.“ „Aber sie ist so eng“, beklagte er sich. Seine Schuluniform war blau. Die Hose war blau, die Jacke war blau – lediglich das Hemd unter der Jacke war weiß, aber die Schulleitung verlangte von den Schülern, dass sie die Jacken geschlossen hielten. Also fügte er sich der Entscheidung, auch wenn es ihm nicht gefiel. Nozomi trug eine Schuluniform mit einem weißen Oberteil, einem kurzen blauen Rock und einem weißen Jäckchen mit einem blauen Kragen. Eine blaue Schleife am Jäckchen zeigte ihre Klassenstufe an. „Bist du bereit?“, fragte sie. Ganz und gar nicht. Ich will wieder ins Bett. Er griff nach seiner Schultasche und nickte. „Ja, gehen wir.“ Nach einem lauten Abschiedsgruß an die Nagamines, verließen sie das Haus. Andere Schüler waren bereits ebenfalls auf dem Weg, sie liefen in Gruppen umher, unterhielten sich und lachten dabei vergnügt. Bei dem Gedanken, dass Nozomi sich einer solchen Gruppe anschließen könnte, drehte sich ihm wieder der Magen um. Doch sie schien das gar nicht vorzuhaben, sondern zog nur ihn mit sich. Nozomu betrachtete die Schüler derweil genauer. Sie trugen alle die selbe Uniform wie er und Nozomi, also gingen sie auch in die gleiche Schule. Wie hieß sie nochmal? Ach ja, Monobe-Akademie. Seltsamer Name... Eine Schülerin mit braunem Haar und zwei Zöpfen fiel ihm ins Auge. Die Spange, die sie in ihrem Haar trug, machte auf Nozomu einen futuristischen Eindruck. Ihre Schleife war rot, wenn er die Erklärung richtig im Kopf hatte, war sie damit in der Abschlussklasse und hatte das letzte Schuljahr vor sich. Wie sie so mit verschränkten Armen dastand, musste Nozomu plötzlich an das Mädchen denken, das er am Tag zuvor am Bahnhof getroffen hatte, seine Wahnvorstellung. Sie hatte ebenfalls eine solche Schuluniform angehabt, mit einer gelben Schleife. „Wo bleibt der Idiot nur?“, murmelte sie leise, als sie an ihr vorbeiliefen. Ihr Fuß tippte immer wieder ungeduldig auf den Boden. Nozomu war schon lange an ihr vorbei, als er plötzlich eine Stimme höre: „Yo, gehen wir!“ „Wo warst du, Idiot!? Du wolltest doch nur schnell was zu trinken kaufen!“ „Ja, aber ich habe noch etwas zu essen mitgenommen.“ „Verfressener Idiot!“, fauchte sie. Nozomu sah nach hinten und sah noch, wie sie einem braun gebrannten Schüler an seinem roten Pony zog. Der Rest seines Haars war schwarz. „Au, au! Lass das! Nicht mein rotes Haar! Ich mach das auch nie wieder!“ Nozomi seufzte leise. „Jeden Morgen das gleiche.“ Nozomu sah wieder nach vorne und schwieg. Würden sie etwa jeden Tag an denen vorbeigehen? Wenigstens sind die nicht in meiner Klasse... Er wusste noch nicht, in welcher Klasse er war, aber da sie vermutlich beide zur Abschlussklasse gehörten und er davon noch zwei Jahre entfernt war, brauchte er sich darum keine Gedanken zu machen. Zwei Kreuzungen weiter bog ein weiterer Schüler auf den Schulweg ein. Er lief direkt vor ihnen, sein silbernes Haar schien bis zu seinen Knien zu reichen und war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug die Schultasche über die Schulter, die Haltung schmerzte Nozomu schon vom Hinsehen. Wenn er es richtig sah, trug er seine Schuljacke offen. Dafür beneidete Nozomu ihn, wer immer er auch war. Nozomi zupfte an seinem Ärmel. „Weißt du wer das ist? Okay, dumme Frage. Das ist Zetsu Akatsuki, er ist in der Klasse über uns. Die Mädchen sind alle verrückt nach ihm.“ „So? Armer Kerl.“ Nozomi sah ihn fragend an. Sie konnte es wohl nicht verstehen, dass man im Leben einfach seine Ruhe haben wollte, ohne von irgendwelchen Menschen umringt zu sein, die einem im besten Fall egal waren und einem im schlimmsten Fall furchtbar auf die Nerven gingen. Zetsu wandte den Kopf und sah hinter sich. Nozomi zuckte zusammen und schien die Luft anzuhalten – während Nozomu die Hand hob und ihm zuwinkte. „Nozomu-chan!“, hauchte Nozomi erschrocken. „Was machst du da!?“ „Nur höflich sein.“ Zetsu sagte nichts, erwiderte das Winken nicht einmal, sondern schmunzelte nur und sah wieder nach vorne. Nozomi hustete. „Nozomu-chan, du kannst doch nicht einfach Akatsuki zuwinken.“ „Warum nicht?“ Sie suchte nach einer vernünftigen Antwort, fand aber keine, weswegen sie zu schmollen anfing. „Das ist einfach so.“ Er zuckte nur mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf seinen Schulweg. Im Eingangsbereich der Schule herrschte einiges an Aufregung. Schüler unterhielten sich, allerdings nicht lachend, sondern ernst. Anscheinend hatte es letzte Nacht in einem Bezirk in der Stadt einen Vorfall gegeben. Die Art, wie sie darüber redeten, ließ darauf schließen, dass so etwas öfter passierte, aber Nozomu hatte noch nie etwas davon gehört – und er interessierte sich auch nicht dafür. Ganz anders als Nozomi, die immer wieder ihre Ohren spitzte und interessiert zu lauschen schien. Seufzend ließ er sie stehen und ging allein ans schwarze Brett, um herauszufinden, in welchem Klassenzimmer er Unterricht haben würde. Ein Mädchen mit langem schwarzen Haar, das durch ein rotes Haarband gezähmt wurde, schien gerade die neuen Pläne aufzuhängen. Sie trug zwar die Schuluniform, aber ohne das Jäckchen, so dass er nicht sagen konnte, in welcher Klasse sie wohl war. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt und dank des fehlenden obersten Knopfes bot ihre Bluse einen interessanten Blick auf ihr Dekolletee. Kaum war sie mit dem Aufhängen der Pläne fertig, kam ein Schüler mit hellbraunem Haar vorbei, an beiden Seiten seines Kopfes hing je ein einfacher Pferdeschwanz herunter. Langsam fragte Nozomu sich wirklich, wo die Strenge, was solche Dinge anging, hin war, vor der man ihn immer gewarnt hatte. Die beiden nickten sich zu und gingen schließlich davon. Er sah ihnen gar nicht lange hinterher, sondern wandte sich den Klassenlisten zu. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Namen darauf entdeckte. Und auch ein anderer Name fiel ihm ins Auge: Nagamine Nozomi. Wenigstens sind wir in derselben Klasse und ich bin nicht ganz allein. Die anderen Namen sagen mir alle nichts... „Nozomu-chan!“ Nozomi stellte sich neben ihn. „Vor dem Unterricht hält unsere Schülersprecherin eine Ansprache, die müssen wir uns ansehen.“ „Macht sie das jeden Morgen?“ Sie lachte leise. „Aber nein. Nur heute. Es geht wahrscheinlich um die Ereignisse von letzter Nacht. In letzter Zeit häufen sich die Vorfälle wieder und letzte Nacht soll es besonders schlimm gewesen sein.“ „Verstehe“, seufzte Nozomu. „In Ordnung.“ Sie führte ihn in die Aula, wo vor einer Bühne jede Menge Stühle standen. Einige Schüler hatten sich bereits hingesetzt, unter ihnen entdeckte Nozomu auch Zetsu. Der Silberhaarige schien zu schlafen und nichts von dem mitzubekommen, was die Mädchen um ihn herum kicherten. Auf der Bühne standen mehrere Erwachsene – einen davon erkannte Nozomu als den Direktor wieder – und eine Schülerin mit hüftlangem rotem Haar und einer gelben Schleife an ihrer Schuluniform. Sie war genau wie Zetsu in der Klassenstufe über ihm. Nozomi dirigierte ihn auf einen Platz und setzte sich neben ihn. Die Aula füllte sich nur langsam, entweder waren die Informationswege an dieser Schule zu lang oder man hoffte, damit den Unterricht hinauszögern zu können. Als schließlich alle anwesend zu sein schienen, trat der Direktor an das Mikrofon. „Liebe Schüler...“ Ein leises Raunen ging durch die Halle, da in diesem Moment ein Tisch hereingetragen wurde, auf dem, umrahmt von Blumen, die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Schülers zu sein schien. Sogar Zetsu schien aufzuwachen und gespannt zur Bühne zu blicken. „Wie viele von euch bestimmt bereits gehört haben, forderten die nächtlichen Vorfälle in der letzten Nacht zum ersten Mal ein Todesopfer an unserer Schule.“ Nozomu hatte das Gefühl, dass ihm die Luft wegblieb. Ihm wurde schwindelig. Panisch schob er es auf die zu enge Uniform und begann wieder an seinem Kragen zu zerren. Diesmal hielt Nozomi ihn nicht davon ab. „Viele von euch kannten Shou Epirma als einen sehr intelligenten und redegewandten jungen Mann mit einer aussichtsreichen Zukunft. Er war nicht nur im Schülerkomittee und Vizeschülersprecher, sondern er engagierte sich auch sehr für Kunstclub, an dem er regelmäßig teilnahm. Wir alle fragen uns in dieser schweren Stunde, wie das Schicksal einem so guten jungen Menschen so übel mitspielen kann. Aber in unseren Herzen werden wir ihn bestimmt nie vergessen.“ Ein Schüler vor Nozomu schnaubte leise. „Pah! Ein eingebildeter arroganter reicher Schnösel war er. Hielt sich für was Besseres und kam auch nur zur Schule, wann es ihm passte.“ Das Mädchen neben ihm stieß ihm in die Rippen. „Sei leise!“, zischte sie. „Über Tote soll man nicht schlecht sprechen!“ Der Direktor räusperte sich. „Angesichts dieses erschütternden Verlustes, wird unsere Schülersprecherin Satsuki Ikaruga noch einige Worte an euch richten.“ Verhaltener Applaus ertönte, als der Direktor das Pult für die rothaarige Schülerin freigab. Sie lächelte sanft, Traurigkeit war dahinter zu spüren, aber auch Zuversicht und Hoffnung. „Ich nehme dieses traurige Ereignis noch einmal zum Anlass euch daran zu erinnern, dass Schüler der Monobe-Akademie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Freien zu befinden haben. Shou Epirma hat diese Regel missachtet und wir haben nun aus erster Hand gesehen, was dann passiert. Vorbei sind die Tage an denen wir solche Verlustmeldungen nur im Zusammenhang mit anderen Schulen gehört haben, diesmal sind wir selbst betroffen. Denkt also daran, es ist nicht cool sich dem Verbot zu widersetzen, es ist gefährlich und kann sogar tödlich enden. Zuwiderhandlungen werden von nun an auch von Seiten der Lehrerschaft härter bestraft werden als zuvor. Überlegt es euch also lieber genau, ob ihr das Risiko wirklich auf euch nehmen wollt. Nutzt die Zeit nach dem Sonnenuntergang lieber, um zu lernen, um eurem Traumjob näher zu kommen. Denn für die Schüler der Monobe-Akademie ist nichts unmöglich.“ Tosender Beifall erhob sich, einige Schüler standen sogar auf, während Satsuki sich verbeugte und vom Pult zurücktrat. Nozomi beugte sich zu Nozomu. „Satsuki-senpai ist sehr beliebt bei den Schülern.“ Der Direktor trat wieder an das Mikrofon, um den Schülern einen schönen Schultag zu wünschen und ging anschließend als erster davon. So langsam sich die Aula am Anfang gefüllt hatte, so schleppend leerte sie sich auch wieder. Nozomu wünschte sich spontan irgendwohin wo nicht so viele Leute waren. Aber wie so oft wurde sein Wunsch nicht erfüllt. Durch die Reihen der Schüler sah er plötzlich einen roten Haarschopf auf ihn und Nozomi zukommen. „Nozomi-chan!“, flötete Satsuki. Die Schülersprecherin kennt Nozomi? Die Angesprochene wandte sich der Rothaarigen zu. „Was gibt es, Senpai?“ „Wie läuft es mit den Vorbereitungen für das Schulfest? Ist die Band bereit?“ Nozomi nickte. „Ja. Nur noch ein paar Übungsstunden, dann sitzt alles.“ „Sehr gut.“ Satsuki musterte Nozomu forschend. „Und wer ist das? Dein neuer Freund?“ Seine Kindheitsfreundin wurde schlagartig rot. „N-nein! Senpai, wie kommst du denn darauf? Das ist Nozomu. Nozomu Setoki, er hat früher in meiner Nachbarschaft gewohnt, bis-“ „Ah ja, ich erinnere mich“, unterbrach Satsuki sie. „Du bist also der neue Schüler. Willkommen an der Monobe-Akademie. Wenn du irgend etwas brauchst oder Probleme hast, lass es mich einfach wissen, ja? Und wenn du dich mal einsam fühlst, habe ich auch immer eine Schulter zum Ausweinen für dich.“ Sie zwinkerte ihm zu. Die Geste, so freundschaftlich sie gemeint gewesen war, verstärkte Nozomus Unwohlsein um ein Vielfaches. „D-danke, ich werde daran denken.“ „Sehr gut. Also dann, entschuldigt mich, aber es wird keinen guten Eindruck machen, wenn die Schülersprecherin zu spät zum Unterricht erscheint – es sei denn, ich bringe jemand anderen, der zu spät kommt mit.“ Damit lief sie direkt auf Zetsu zu, der wieder eingeschlafen zu sein schien. Warum ist er so müde? Nozomi zupfte wieder an seinem Ärmel. „Nozomu-chan, lass uns gehen, wir sind ohnehin auch schon spät dran. Und das an deinem ersten Tag.“ Sie seufzte und zog ihn mit sich in Richtung ihres Klassenzimmers. Ja und das an meinem ersten Tag... Der Tag war ohne weitere nennenswerte Ereignisse verlaufen. Nozomu hatte sich der Klasse vorgestellt und einen Sitzplatz neben Nozomi bekommen. Glücklicherweise hatte niemand versucht ihn auszufragen oder überhaupt mit ihm ins Gespräch zu kommen. Auch den Unterricht, den er schrecklich langweilig fand, die Mittagspause, den Heimweg und das Abendessen hatte er gut hinter sich gebracht. Das Hauptgesprächsthema überall war aber der Vorfall im nördlichen Bezirk gewesen. Nozomu hatte nicht viel über die Vorfälle mitbekommen. Man vermutete rivalisierende Jugendgangs dahinter oder terroristische Aktivitäten, jedenfalls kam es immer wieder zu Unfällen und Toten, Augenzeugen berichteten sogar von Jugendlichen, die sich mit Schwertern bekämpft hatten. Das war für Nozomu der Punkt gewesen, an dem er am liebsten seinen Koffer wieder geschlossen hätte und abgereist wäre. Wie hatte sein Arzt zulassen können, dass er in solch eine Gegend kam? Schließlich hatte er sich durchgerungen zu bleiben und den Koffer endlich ausgepackt. Wenn er sich mit diesen Vorfällen nicht beschäftigte, würde er auch nicht mit hineingezogen werden, so hoffte er. Er musste nur lernen, sie zu ignorieren – und ignorieren konnte er gut. Allerdings funktionierte es nicht, wenn er an die dunkle Decke starrte, während er darauf wartete, dass seine Tabletten endlich ihre Wirkung zeigten. Ich habe ganz vergessen, Nozomi zu fragen, woher sie Satsuki so gut kennt. Aber interessiert mich das eigentlich? Hmmm, ja, ich glaube schon. Und dann dieser Zetsu... ob er nachts wohl auch nicht schlafen kann? Er hasste es, nachts noch nachzudenken, denn er bekam ohnehin nie eine Antwort auf die Fragen, die er sich dann stellte. Aber als seine Lider schwerer zu werden begann, wusste er, dass es nicht mehr weit bis zur Erholung war. Müde drehte er sich auf die Seite und schlief schließlich ein – in der Hoffnung, dass der morgige Tag wirklich ohne Ereignisse vor sich gehen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)