Früher war eh alles besser von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 7: ✗✗✗ -------------- Die nächsten Tagen verliefen alle ähnlich: Die Zwillinge brachten mich in die Schule und falls es ihr Stundenplan auch erlaubte wieder nach Hause, mein Vater kam nicht vor sieben zurück und der Unterricht langweilte mich zu Tode, aber ich zwang mich dazu, so zu tun, als arbeitete ich fleißig mit, um nicht negativ aufzufallen. Ich wusste ja nicht, ob meine Mitarbeit hier noch in irgendeiner Weise in mein Zeugnis einfloss, in Mainz herrschte nämlich ebenfalls Ferienstimmung, da diese fast schon vor der Tür standen. Naja, ich würde es merken, wie die Leute das mit meinen Noten regelten, Hauptsache ich musste nicht ein Jahr wiederholen oder so etwas ähnliches. Dann wäre ich echt wütend auf die, die sich das ausgedacht hatten. Nils, der inzwischen eingesehen hatte, dass seine dummen Kommentare über Charly und Vivi in meiner Gegenwart völlig unangebracht waren und er sich damit höchstens bei mir unbeliebt machte, versuchte mir den Unterricht und auch die Pausen so erträglich wie möglich zu machen, denn meine restlichen Mitschüler fanden anscheinend immer noch, ich wäre ein Außerirdischer oder etwas ähnliches; auf jeden Fall kümmerten sie sich so selten wie möglich um das was ich tat oder nicht tat, das blieb automatisch an Nils hängen, der mir allerdings versicherte, dass es ihn nicht störte. Bis auf die Tatsache, dass ich mit den Zwillingen abhing, fand er mich ziemlich in Ordnung, meinte er. Ob das so bleiben würde, wenn er von meiner Interesse an anderen Jungs erfuhr, konnte er nur selbst beantworten, weshalb ich mir vornahm, ihn das bei Gelegenheit zu fragen. Aus reiner Neugier natürlich nur, war ja klar. Der richtige Zeitpunkt schien für mich erreicht, als wir am Freitagnachmittag bei Nils zuhause saßen, weil er mir angeboten hatte zu kontrollieren, ob ich das, was sie alles in der Zehnten gelernt hatte auch konnte. Nicht, dass ich in der Elften nur dasaß und mich wunderte, wieso ich kein Wort verstand von dem, was die Lehrer redeten. Irgendwo aus dem Keller hatte Nils extra seine ganzen eingestaubten Hefte geholt und ging sie systematisch durch, ob ich auch Ahnung davon hatte. Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung am Anfang des Wochenendes, aber ich fand es nett, dass er seine freie Zeit für so etwas opferte. Nein, ich fing jetzt nicht an, ihn mit Gabriel zu vergleichen. Der hockte wahrscheinlich im Moment mit seiner neuen Freundin, von der mir Christina berichtet hatte, zuhause und verschwendete keinen Gedanken an mich. Hatte der überhaupt mal gemerkt, dass ich nicht mehr in Mainz wohnte? „Also das wichtigste scheinst du zu wissen“, meinte Nils irgendwann und hakte zwei weitere Themen auf der Liste für Mathematik ab. „Musik kannst du abwählen, das brauchen wir nicht.“ Er legte das Heft auf den Stapel für den Papiermüll. „Bio...hm, auch nicht so wichtig oder willst du das unbedingt als LK?“ „Nein, lieber nicht.“ Nicht mal für 10€. „Naja, das wars dann eigentlich schon. Falls du noch Fragen zu irgendwas hast, ich hab vielleicht Ahnung davon.“ Er grinste und ließ den Stapel unter seinem Bett verschwinden, wo er am wenigsten störte. „Außer in Physik, das liegt mir gar nicht.“ „Okay.“ Die Standardantwort, wenn man eigentlich nichts mehr dazu zu sagen hatte und den anderen zu aufforderte, sich ein neues Gesprächsthema zu überlegen, aber daraus wurde nichts, Nils hielt nämlich demonstrativ den Mund. Also sah ich das als Chance, ihn endlich auf seine Aussage am ersten Schultag anzusprechen. „Hast du eigentlich was gegen Schwule?“ Ich versuchte meine Nervosität zu ignorieren. „Hä?“ Wegen dieses plötzlichen Themawechsels schaute mich Nils etwas verwirrt an. „Naja, du hast dich ja nicht besonders nett über Charly geäußert.“ Wehe, er hatte vergessen, was ich meinte. „Das liegt einfach daran, dass ich Charly nicht mag, sonst nicht. Wieso interessiert dich das? Gibt es da etwas, was ich wissen sollte?“ Ob er jetzt locker ließ? Eher nicht. Sollte ich ihn anlügen? Schwierige Frage; entweder glaubte er, ich wollte was von ihm oder er fand die Wahrheit heraus und wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Toll gemacht, Dennis Rehberg, herzlichen Glückwunsch. Nach längerem Schweigen nahm er an, dass keine Antwort doch eine Antwort war und musterte mich schief von der Seite. Am besten hielt ich jetzt einfach den Mund, bevor meine Versuche, mich herauszureden damit endeten, dass er es tatsächlich glaubt. „Also du stehst du auf Jungs.“ „Nicht nur.“ Wenn er es schon wusste, dann auch ganz. Mann, warum passierte ausgerechnet mir so was? Diese Neuigkeit würde meine Beliebtheit bei den anderen aus der Klasse wohl kaum steigern, außer Nils verriet ihnen nichts. Dumm nur, dass sich viele Menschen bei solchen Sachen gerne mal verplapperten. Zwar meistens Frauen, aber wieso nicht auch der liebe Nils? „Ja ja, sagen sie alle.“ Aus irgendeinem Grund fand Nils das Ganze zumindest teilweise lustig, denn das Grinsen war immer noch nicht ganz aus seinem Gesicht verschwunden. Eigentlich hatte ich eher damit gerechnet, dass er wenigstens ein kleines Theater aufführte, wie es alle normalen Jungs, die ich kannte, getan hätten. Schwul sein wurde einfach immer noch nicht richtig akzeptiert, egal was sie alle von Toleranz und Gleichheit und weiß der Geier schwätzten. Vor allem die Jungs hatten Probleme damit, obwohl ich mir gut vorstellen konnte, dass das Gleiche bei den Mädchen ablief, wenn sich eins von ihnen als lesbisch outete. „Bei mir stimmts aber.“ „Jetzt seid doch nicht gleich beleidigt.“ Er rückte ein Stückchen auf mich zu und legte mir scheinbar zur Beruhigung den Arm um die Schulter. Wollte er mich verarschen oder wie? Etwas grober als nötig entfernte ich seinen Arm und brachte Abstand zwischen uns. Genau das hatte mir noch gefehlt: Er machte sich eindeutig lustig über mich, das sah ich doch an seinem Gesichtsausdruck. Jungs konnten manchmal echt scheiße sein. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, seufzte Nils, dem also nicht klar war, was er mir gerade vermittelt hatte. Wenn ich mich nun umsonst aufregte, wäre das doppelt peinlich. Ach Mann, ich wollte einfach nur weg. „Nichts“, behauptete ich schnell, „ich muss jetzt nach Hause.“ Zählte das als Lüge? Und wenn schon, im Moment fühlte ich mich einfach nur durcheinander durch das erzwungene Geständnis und Nils an sich, da durfte man das. Dummerweise durchschaute mich mein Klassenkamerad sofort, hielt mich am Handgelenk fest und zog mich zu sich. „Schade, dass du schon abhaust.“ Sein Gesicht kam meinem gefährlich nahe; was wollte der Junge denn eigentlich? Verwirrt hatte er mich schon, was kam als nächstes? Bevor ich es richtig realisierte, drückte er mir einen Kuss auf die Wange und flüsterte mir ein „bis bald“ zu. Endlich ließ er mich auch gehen und ich verließ so schnell wie möglich ohne zu rennen das Haus, fast lief ich auf dem Bürgersteig gegen die nächste Laterne. Der machte sich doch lustig über mich! Einen anderen Grund für seine plötzliche Interesse an mir gab es gar nicht. Und ich dachte, wenigstens einer, der sich zivilisiert benimmt. Tja, falsch gedacht. Frustriert von dieser Erkenntnis setzte ich mich auf den Bürgersteig – sicher hielten mich die Leute, die hier vorbei kämen für irgendeinen dieser gammelnden Teenager ohne Zuhause – holte meinen MP3-Player heraus und probierte mich somit abzuregen. Etwas anderes blieb mir nicht übrig. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wo ich im Moment war, diesen Teil der Stadt kannte ich irgendwie nicht. Schöne Voraussetzungen für ein gelungenes Wochenende, Freude Freude. Es war zum Heulen, aber das tat ich ganz bestimmt nicht, nicht wegen so etwas. Nach einiger Zeit beschloss ich, jemanden zu suchen, der mir vielleicht den Weg nach Hause erklärte, und fand tatsächlich ein Mädchen etwa in meinem Alter, das zufällig in die gleiche Richtung musste und mich deshalb mitnahm. Ziemlich fertig warf ich mich in meinem Zimmer auf das Bett und hoffte, dass ich vielleicht dieses ganze Chaos nur geträumt hatte. So gemein durfte das Leben einfach nicht sein, dass eine der wenigen Menschen, die ich hier mochte und die auch etwas mit mir zu tun haben wollten, mir so etwas antaten. Natürlich wunderte sich mein Vater, als er wieder spät zurück kam, weil ich in meinem Bett lag und nur die Wand anstarrte. Er sagte jedoch nichts – er merkte wohl, dass ich nicht in der Stimmung zum Reden war – und verlangte sogar nicht von mir, mit ihm zu Abend zu essen. An einem anderen Tag hätte ich mich gefreut, aber heute kümmerte es mich gar nicht. Meine Gedanken befanden sich an einem ganz anderen Ort, wo sie sich nicht mit solchen unwichtigen Dingen wie dem Abendessen oder das Durchsetzen gegenüber den Eltern beschäftigte. Ohne dass ich es mitbekommen hatte, war ich eingeschlafen und träumte wie üblich wirres Zeug, wodurch mein Unterbewusstsein wohl die vielen neuen Eindrücke dieser Woche verarbeitete. Sollte es ruhig, solange daraus keiner dieser schrecklich realen Alpträume wurde. Aber wie erwartet kam es, wie es kommen musste: Ich träumte von meinem lieben Klassenkameraden Nils. Allein die Tatsache wär nicht ganz so schlimm gewesen, wenn sich nicht ständig ein und dieselbe Szene wiederholte. Der Kuss auf die Wange, der entweder alles oder nichts bedeuten konnte. Reichte es nicht, dass die Realität mir auf den Wecker ging? Wieso machte ihr das meine ansonsten eher nette Traumwelt nach? Fanden sie es witzig, mich damit in den Wahnsinn zu treiben? Ich persönlich fand es jedenfalls alles andere als witzig, weshalb ich gegen drei Uhr aufwachte, mich in die Küche schlich und den Kühlschrank plünderte. Vielleicht stoppte das meine sinnloses Nachdenken. Am einfachsten wäre es nämlich, es einfach zu vergessen. Genau, ich tat so, als wäre nie etwas passiert, Nils hatte mich nie geküsst, ich hatte mich nie geoutet. Theoretisch kam nun der Teil 'wir hatten uns nie kennen gelernt', aber das funktionierte nicht. Aber es musste reichen, mehr konnte ich nicht tun heute Nacht. 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