Früher war eh alles besser von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 4: ✗✗✗ -------------- Das Frühstück verlief so schweigsam und langweilig wie immer, da mein Vater morgens meistens kein bisschen gesprächig war und mir auch kein Thema einfiel, über das wir zumindest etwas reden konnten ohne allzu viel zu sagen. Spannend, ich weiß, aber so ging es bei uns zu, wen das nicht interessierte, der sollte sich ruhig beschweren. Nachdem ich den Tisch abgeräumt und ein übrig gebliebenes Brötchen in den Mülleimer verbannt hatte – ja, ich weiß, Essensverschwendung, na und? – brach wieder die altbekannte Langweile herein, obwohl mich eigentlich alles in diesem Haus, dieser Straße und dieser Stadt mit seiner Unbekanntheit zum Erkunden einladen sollte. Tat es leider nicht. Das Haus war gammelig, die Straße öde und die 'Stadt' ein Kaff, da gab es einfach nichts Tolles. Wahrscheinlich war das Altenheim hier die Hauptattraktion, gleich gefolgt von... genau, gar nichts. Vielleicht dem Bäcker. Oder dem Nachbarörtchen. „Dennis, was soll das denn?“, wollte mein Vater genervt wissen, als ich anfing, kreuz und quer durch das Haus zu latschen und mir einredete, alles ganz wunderschön und großartig zu finden. Klappte natürlich nicht. „Ich wandere“, grummelte ich vor mich hin, während ich zum vierten Mal die Treppe hinaufging und dabei die Stufen zählte. „Sieht man doch.“ „Ich glaube, dir geht es etwas zu gut. Ist ja schön, dass du das Frühstück vorbereitet hast, aber deshalb brauchst du dich jetzt nicht wie im Kindergarten zu benehmen, du bist immerhin schon fast erwachsen.“ „Das ist kein Kindergarten, sondern eine Sightseeing-Tour“, behauptete ich sofort; irgendwie stimmte es auch, außerdem klang es nicht, als wäre ich bescheuert. Höchstens ein bisschen. „Noch besser, dann kannst du sie draußen fortsetzen, das wäre wichtiger für dich.“ Wie schafften Eltern es eigentlich, ihren Kindern – egal wie alt diese waren – ständig ihren Willen aufzudrücken? Kam das mit der Zeit oder konnte man das an der Volkshochschule lernen? Auf jeden Fall stand ich nun in unserem verarscht kleinen Vorgarten und ärgerte mich, dass ich mit siebzehn immer noch auf meinen Vater hörte. Allein konnte ich nicht durch die gesamte Ortschaft laufen, da ging ich sonst verloren. Vielleicht sollte ich bei Vivi und Charly vorbeischauen und ganz lieb fragen, ob sie für heute Stadtführer für mich spielten. Um elf Uhr musste man eigentlich schon aufgestanden sein und wenn nicht, war es nicht meine Schuld, dass sie bis zum Abendessen pennten. Ich überquerte die Straße, stellte mich vor die Haustür mit dem sehr bunten Blumenkranz und ließ meine Hand unschlüssig vor der Klingel schweben. Klingeln ja oder nein? Vielleicht? Kommt drauf an? Bevor ich mich entscheiden konnte, hüstelte jemand hinter mir; ich drehte mich um und stieß fast mit Vivi zusammen, die einfach hinter mir aufgetaucht war. Sie schlief auf jeden Fall nicht mehr, immerhin eine Erkenntnis am frühen Morgen oder eher Vormittag. „Hallo Dennis, was machst du denn hier?“ Mit mir hatte sie also nicht gerechnet. War das jetzt positiv oder negativ für mich? „Naja...“ Weil ich zu doof bin, um mir einen Stadtplan zu kaufen, müsste ihr heute dran glauben. „Ich wollte fragen, ob du und dein Bruder mir etwas die Stadt zeigen könnt. Ich weiß ja nicht mal, wo die Schule ist und ob es hier noch andere Sachen außer Bäcker und Kindergärten gibt.“ „Klar, können wir machen, aber ich muss erst gucken, dass mein Lieblingsbruder wach ist, sonst dürfen wir ihn wecken und das kann Stunden dauern.“ Mit einem entschuldigenden Blick verschwand sie im Haus und kehrte kurze Zeit später zurück – wundersamerweise mit einem grinsenden Charly an ihrer Seite. Anscheinend hatte er durch seine tollen hellseherischen Fähigkeiten gewusst, dass ich käme und war deshalb früher aufgestanden. Zugegeben, dieses Idee klang total beknackt, aber genau deshalb fand ich sie auch so gut. In den folgenden Stunden führten mich die Zwillinge durch mindestens jede Straße und Gasse, zeigten mir die nicht vorhandenen Sehenswürdigkeiten und amüsierten sich riesig über meine unzufriedene Miene, die von Minute zu Minute deutlicher zu sehen war. Kein Wunder, es gab außer den pädagogischen Einrichtungen ein bis auf weiteres geschlossenes Hallenbad, eindeutig zu viele Bäcker, einen relativ kleinen Buchladen, dafür Kruschelläden in allen Variationen – natürlich nur mit Dingen, die keiner brauchte – und drei Eisdielen, von denen laut Charly nur eine 'voll cool' war, und genau in dieser saßen wir an einem Tisch, löffelten unsere Eisbecher und hörten dem Gequake vom Nebentisch zu, an dem vier Mädchen über Supernatural, Twilight, Lee Pace und Slasheis diskutierten. Der Kellner, der ständig im Eiltempo durch den Laden wuselte, warf ihnen öfter schiefe Blicke zu und Vivi spitzte die Ohren, als die Chaostruppe einstimmig beschloss, dass mindestens die Hälfte ihrer Klassenkameraden schwul sein musste. Hatten die nichts anderes zu tun als über das Sexualleben ihrer Mitmenschen zu spekulieren? Außerdem war es mehr als unwahrscheinlich, dass mehr als fünf Jungs in einer einzigen Klasse homosexuell waren. Mädchen und ihre seltsamen Vorstellungen. Als der Klatschtantenverein endlich bezahlte und abzog, atmeten nicht nur der Kellner und ich erleichtert auf; nun konnten die anwesenden Personen wieder normal miteinander kommunizieren. Ich erzählte den Zwillingen ein wenig aus meinem Leben in Mainz, während sie im Gegenzug von totspannenden Alltag im – wie ich ab heute fand – größten Kaff der Welt plauderten; über dreiste Senioren, besserwisserische Erwachsene, unfreundliche Jugendliche und nervige Klein- und Grundschulkinder. In Gernsheim musste das Leben echt geil sein, wenn man sonst keine Probleme hatte. „Wollten wir dir nicht eigentlich die Schule zeigen?“, fiel es Charly plötzlich ein. „Wir können ihn auch morgen zur Schule bringen, vielleicht merkt er sich den Weg“, schlug Vivi vor und weil ich eindeutig keinen Bock hatte, noch zu irgendwelchen Schulen zu gehen, nahm ich das Angebot an. „Hast du ein Fahrrad?“ „Nein.“ Wieso sollte ich? Mein Vater besaß nicht umsonst ein funktionierendes Auto. „Okay, dann holen wir dich morgen um halb acht bei dir zuhause ab.“ Nach einer weiteren halben Stunde Eisgemampfe und Dummgeschwätz verabschiedete ich mich von den zwei und suchte mir meinen Weg nach Hause. Ziemlich erfolgreich, denn nur ein paar Meter entfernt war die Bäckerei von heute morgen und den Rest des Wegs hatte ich mir einigermaßen gemerkt. Zum wievielten Mal schwafelte ich eigentlich schon von der Bäckerei? War ja unheimlich. „Wo warst du?“, fragte mich mein Vater überrascht, als ich gegen fünf Uhr müde vor der Haustür stand. Natürlich ohne Schlüssel, weil ich ja so außergewöhnlich bin und durch Wände gehen kann. Manchmal bin ich halt dumm. „Auf dem Kinderspielplatz, nicht gewusst?“ Wer hatte mich denn sozusagen gezwungen, draußen die pure Langweile zu betrachten? „Und was hat daran so lange gedauert?“ Er glaubte das doch nicht wirklich! Ich hatte zwar manchmal seltsame Anfälle, aber sechs Stunden allein auf dem Spielplatz abzuhängen gehörte sicher nicht dazu. „Das war ein Witz, Mann!“ Dass Erwachsene alles immer so ernst nahmen, schrecklich. Hoffentlich wurde ich später nicht auch so komisch. „Vivi und Charly haben mir die Stadt gezeigt, dann waren wir noch Eis essen. Und nicht auf dem Spielplatz.“ Wenn er das nicht checkte, konnte ich ihm auch nicht mehr helfen. Doch mein Vater schien inzwischen ganz andere Probleme zu haben. „Wer sind Vivi und Charly?“ Stimmt, von denen hatte ich ihm gar nichts erzählt. Naja, Eltern brauchten auch nicht alles zu wissen. Fand ich zumindest, aber mein Vater sah das natürlich ganz anders. „Die wohnen gegenüber, sind gestern vorbeigekommen, als du gerade tanken warst.“ Das genügte für den Anfang, viel mehr wusste ich eigentlich auch nicht von ihnen. „Wie alt?“ „Ungefähr so alt wie ich.“ Schätzte ich einfach mal. „Zwei Mädchen?“ „Mädchen und Junge.“ Sofort merkte ich, dass ich das Interesse meines Vaters endgültig geweckt hatte, allerdings wolle ich mich im Moment nicht mit ihm unterhalten und ließ ihn einfach im Flur stehen. Ich bereute es schon lange, meinen Eltern gesagt zu haben, dass ich nicht nur auf Mädchen, sondern auch auf Jungs stand. Meine Mutter kam damit überhaupt nicht zurecht – wahrscheinlich hatte sie Angst, später keine Enkelkinder zu haben – und mein Vater glaubte, jeder Junge, von dem ich auch nur einmal erzählte, könnte mein neuer fester Freund sein. Totaler Blödsinn. Erstens konnte es nur eine vorrübergehende Phase sein, zweitens stand ich nicht auf alles, was männlich war und drittens wollte ich sowieso keine Kinder. Außerdem war ich – wie mein Vater heute schon festgestellt hatte – fast erwachsen, theoretisch konnte ich machen, was ich wollte und mit jedem dahergelaufenen Typen ins Bett steigen. Worauf ich aber keine Lust hatte, das sollten ruhig andere Deppen machen. Den restlichen Abend verschönerte ich meinen Block, tauschte mich noch mit Christina per E-Mail aus und ging gegen 23 Uhr ziemlich kaputt ins Bett. Hoffentlich war die neue Klasse halbwegs normal, also keine Streber, aber auch keine 'Wir sind cooler als die Kühlregale beim Aldi' Fraktion, sonst würde ich wirklich wieder nach Mainz gehen. 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