Happy ohne Ende? von Schumeriagirl ================================================================================ Kapitel 12: Wenn die Vergangenheit dich einholt ----------------------------------------------- Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit. Betreten sah er zu Boden. Er war nur kurz auf die Toilette gegangen und als er wieder gekommen war, hatte er im Flur zufällig Lenas Stimme gehört, die gar nicht gut geklungen hatte. Ohne weiter nach zu denken, war er im Dunkeln stehen geblieben und hatte gewartet. Gewartet, dass sie wieder gehen würde, damit er unauffällig wieder zu den anderen zurückkehren konnte. Es war nicht seine Absicht gewesen, ihrem Gespräch zu lauschen, aber je länger er da stand und ihre traurige, verzweifelte Stimme gehört hatte, desto weniger konnte er sich bewegen. Er fühlte sich wie fest gewachsen und konnte absolut nichts dagegen tun. Ihre Worte hypnotisierten ihn. Ihr Flehen traf ihn ins Herz und ihr Lachen ließ ihn aufatmen. Er fragte sich, wie dieser Mann es zulassen konnte, dass Lena so litt, denn es war ihr klar anzumerken. Als sie dann seinen Spitznamen erwähnte, war es ihm, als ginge ihm eine Flutlichtanlage auf. Lena sprach mit jemandem aus Barcelona, einem Leo, dieser Name kam häufiger vor, doch als sie ihn fast zärtlich „mi torbellino“ genannt hatte, war für ihn alles klar gewesen. Das Puzzle setzte sich langsam zusammen und ihm war gerade ein bedeutendes Puzzelteil direkt in den Schoß gefallen. Ein Torbellino, ein Wirbelwind, der mit Kurznamen noch Leo hieß und aus Barcelona kam, davon gab es vermutlich nicht so viele, denn ihm fiel spontan nur einer ein: Lionel Messi. „Nun sag schon, wie lange stehst du schon da im Dunkeln und beobachtest mich?“ Lena hatte ihre Augen immer noch nicht geöffnet und ihre Stimme klang nicht wütend, sondern einfach nur erschöpft. Ausgezerrt. Wie zu wenig Butter auf zu viel Brot verstrichen. Ihre Tränen versuchte sie mühsam unter Kontrolle zu bringen, auch wenn es ihr mehr schlecht als recht gelang. „Ich-“ „Was hast du gehört?“ Er musste schwer schlucken. Diese ganze Situation erschien ihm so verdammt unwirklich. So etwas passierte nicht in der Realität, so etwas gab es nur in schlechten, zu dramatischen Soaps. Und doch stand er jetzt an den Türrahmen gelehnt und sah Lena an. Wie sie so da saß, im Dunkeln, mit Tränenspuren auf den Wangen an die weiße Wand gelehnt. Der Fußboden musste kalt sein, aber das schien sie nicht im Geringsten zu stören. Er konnte durch das Licht, das durch einen Türspalt fiel, ihre Hände ausmachen, die sich ineinander krallten, als suchten sie nach Halt, den es nirgendwo anders zu finden gab. Sie wirkte so klein und zerbrechlich, dass er sie am liebsten in den Arm genommen hättet, aber so wie er sie bisher kennen gelernt hatte, würde sie es wohl nie im Leben zulassen. „Ich frage dich noch mal: Was hast du gehört?“ „Alles.“ „Alles?“ „Ja.“ Panik kroch in Lena hoch und sie spürte, wie sie ihr langsam die Kehle zuschnürte. Für einen Moment glaubte sie keine Luft mehr bekommen zu können. Das hier war ein Alptraum, gerade erst hatte sie Leo dazu bringen können ihr zu verzeihen und ihr etwas Zeit bei ihrem Bruder zu geben und jetzt würde dieser Mann gleich zu ihrem Bruder rennen und ihm alles erzählen. Und was dann? Lena wusste, wie wichtig Torsten Vertrauen war und sie hatte sich in dieser Disziplin nicht unbedingt einen Orden verdient. Kraftlos ließ Lena ihren Kopf gegen die Wand sinken. An welchem Punkt war ihr Leben so dermaßen aus den Fugen geraten? Und warum hatte sie es nicht früher bemerkt und irgendetwas dagegen getan? Er konnte nicht länger einfach nur dastehen und zusehen, wie es Torstens kleiner Schwester augenscheinlich schlecht ging. Wie sie litt. Sie sah so klein und zerbrechlich aus, wie sie da mit Tränenspuren auf den Wangen und geschlossenen Augen an die weiße Wand gelehnt saß. Nicht mehr stark, selbstbewusst, schlagfertig und auch ein kleines bisschen vorlaut, sondern irgendwie nur noch verloren. Unbemerkt von Lena ließ er sich neben sie sinken und legt einen Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich heran. Ihr Körper war schon etwas abgekühlt und er versuchte so gut es ging sie zu wärmen. Er wollte nicht, dass sie sich auch noch erkältete. Widerstandslos legte Lena ihren Kopf in seine Halsbeuge und ein paar Minuten saßen sie nur schweigend da, bis Lena sich wieder einigermaßen gefangen hatte und ihre Tränen versiegten. „Wirst du Torsten erzählen was du gehört hast?“ Er überlegte einen Augenblick. Anscheinend wusste der Lutscher nichts von der bewegten Vergangenheit seiner kleinen Schwester und sie hatte vermutlich aus unerfindlichen Gründen Angst davor, dass er es ihm erzählen könnte. Warum aber fürchtete sie sich so vor seiner Reaktion? Sie hatte doch nichts wirklich Schlimmes getan, soweit er das beurteilen konnte. Aber er war ja nun auch schon länger nicht mehr in Spanien, vielleicht hatte sich da so einiges verändert. „Willst du, dass ich es ihm sage?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs schaffte es Lena ihm ehrlich ins Gesicht zu sehen. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie versuchte ein zaghaftes Lächeln. Ihre Erklärung würde ihn wahrscheinlich nicht überzeugen, aber ein Versuch war es definitiv Wert. „Weil Barcelona vergangen ist. Vorbei. Jetzt bin ich hier in Bremen und versuche mir über einige Dinge klar zu werden, Entscheidungen zu treffen und mein Leben neu zu ordnen, doch wenn das wirklich funktionieren soll, brauche ich Abstand.“ „Es geschieht manchmal, ob man will oder nicht, da holt einen die Vergangenheit ein.“ „Ich weiß. Aber was soll ich Torsten denn bitte erzählen? Hallo, Brüderchen, ich habe es dir nicht gesagt, aber im Grunde genommen bin ich ein riesiger Fußballfan und arbeite auch mit diversen Fußballern zusammen und bin sozusagen ihr Kummerkasten?“ „Ja, das wäre zum Beispiel ein Anfang. Und wenn du schon mal dabei bist, kannst du mir auch gleich erklären, was du da eigentlich genau machst, denn ich habe dich zwar oft genug in diversen Klatschzeitungen gesehen, aber immer nur als Messis Vielleicht-Freundin.“ „Ich bin nicht mit Leo zusammen, wir sind nur gute Freunde. Die Presse spekuliert zu viel und interpretiert in harmlose Gesten viel zu viel hinein, das solltest du als Fußballer doch eigentlich auch zu genau wissen. Zwischen uns läuft auf jeden Fall nichts. Und was meine Arbeit angeht: Ich betreue die Kinder- und Jugendabteilung des FC Barcelonas, mit den Profis habe ich nichts weiter zu tun.“ „Aha, daher bezeichnen dich die Spieler auch immer als ihr Maskottchen, ihren Glücksbringer und diejenige, die den ganzen Laden mit ihrer bloßen Anwesenheit zusammenhält und zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da ist. Messi widmet dir ständig seine Tore und du bist bei allen wichtigen Ereignissen an der Seite der Spieler. Das ist für dich also nichts weiter.“ „Das ist was anderes.“ „Ach ja?“ „Ja. Wir sind ziemlich gut befreundet und sie sind zufällig zur selben Zeit auch noch meine Patienten, aber das ist eher privat.“ „Also führst du eine eigene Praxis in Barcelona?“ „Ja.“ Einen Moment hielt er inne und überlegte. Sie hatte doch einen grundsoliden Job und hatte etwas aus ihrem Leben gemacht. Klar, sie stand regelmäßig mit wahrscheinlich freu erfundenen neuen Skandalgeschichten in der Presse, aber das war nichts, was Torsten nicht verstehen würde. Bei ihm oder zumindest bei ein paar seiner Kollegen war es doch nicht anders, das Risiko ging man ein, wenn man sich für das Leben eines Fußballers entschied. Und dasselbe galt natürlich auch für die Freunde. Besonders für den weiblichen Teil. Da wurden schnell mal Dinge geschrieben, die nicht der Realität entsprachen, aber über so was stand Torsten seiner Erfahrung nach drüber. Er liebte Lena, das war nicht zu übersehen. Und auch die kleine Notlüge was den Fußball anging, würde er ihr verzeihen. Da musste also noch mehr sein. Viel mehr. „Warum belügst du ihn dann? Warum sagst du ihm nicht einfach die Wahrheit? Er würde dich verstehen, da bin ich mir sicher. Er ist dein Bruder, er liebt dich.“ Überrascht sah Lena ihm in die Augen. Sie diskutierte nicht gern ihr Familienleben mit Fremden, schon gar nicht mit einem umschwärmten Fußballstar, der gleichzeitig noch ein Freund ihre Bruders war. Das war ihr mehr als unangenehm, vor ihm hatte sie sich eine Schwäche erlaubt, die schon lange nicht mehr zu Tage getreten war. Lena wollte ihm nicht noch mehr Einblicke in ihr kompliziertes Seelenleben geben, deswegen antwortete sie ihm eher kryptisch im psychologendeutsch: "Die Wahrheit sagen ist nicht immer gut, aber lügen ist auch nicht immer schlecht. Wenn man jemanden durch die Wahrheit verletzen würde, kann eine Lüge besser sein. Gutes kann vom Lügen kommen und Schlechtes kann kommen wenn man zu ehrlich ist. Obwohl manchmal die halbe Wahrheit auch schon eine Lüge ist." Wie erwartet starrte er sie nur verständnislos an. Einen Moment ließ er sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Irgendwie hatte sie ja schon Recht. Aber das konnte er ihr ja jetzt schlecht erzählen, denn er wollte sie ja dazu bringen Torsten reinen Wein einzuschenken. Plötzlich hielt er mitten in seinen Gedanken inne: Warum mischte er sich in diese Familiensache überhaupt ein? Was gingen ihn Lenas verschleierte Vergangenheit und ihre Beziehung zu Torsten an? Was kümmerte es ihn? Wenn er ganz ehrlich war, konnte er sich all diese Fragen beantworten: Unbemerkt war Lena ihm unter die Haut gegangen. Ganz langsam und unauffällig und als sie da eben so hilflos geschluchzt hatte, war in ihm der alte „Drachentöterkomplex“ aktiviert worden. Nun wollte er die Dämonen vertreiben und die schöne Prinzessin in der Not retten. Und die schlimmsten Dämonen schlummerten augenscheinlich in ihr selbst. Und das erinnerte ihn irgendwie an sich selbst, den unsicheren Jungen, dem man solche Unsicherheiten nicht zugestand. Schon gar nicht auf dem Platz, da, wo es zählte. Er hatte sie lächelnd in der fringsschen Küche stehen sehen und in diesem Augenblick waren anscheinend ein paar Sicherungen in seinem Oberstübchen durchgebrannt. Seit dem hatte er den ganzen Abend damit verbracht sie zu beobachten und sich zu erinnern, woher er sie nun kannte. Jede ihrer Gesten, jedes Wort, dass sie an einen seiner Kollegen gerichtet hatte. Ihre lockere, entspannte Art, bis sich ihre Blicke getroffen hatten und wie sie danach unheimlich schnell wieder weggesehen hatte. Als hätte sie Angst gehabt, er könnte etwas sehen, was die anderen nicht sehen konnten. Und tatsächlich, jetzt wusste er, wovor sie sich die ganze Zeit gefürchtete hatte: Sie hatte verhindern wollen, dass er sie irgendwie erkannte und mittlerweile wusste er sogar, woher sie ihm so bekannt vorkam: Oft hatte sie ihm an Lionel Messis Arm aus diversen Zeitungen entgegen gelächelt und dann hatte er sie entspannt auf der Trainerbank des FC Barcelona sitzen sehen, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Als würde sie genau da hingehören. Sie war es gewesen, mit der die Barca-Spieler in den Katakomben noch fröhlich gescherzt hatten, als alle Valencia-Spieler schon längst angespannt hin- und her trippelten. Sie hatte ihnen in der Halbzeitpause in den Hintern getreten und für und vor allen Dingen auch durch sie hatten sie das Spiel am Ende dann doch noch gedreht. Alle Valencia-Fans hätten ihr an diesem Tag wohl am liebsten den Hals umgedreht, wohingegen Barcelona ihren kleinen Star von der Trainerbank feierte. Wieso wusste Torsten nichts von ihrem Engagement? Er verfolgte die ausländischen Ligen aufmerksam und Lena konnte man einfach nicht übersehen, schon gar nicht als ihr großer Bruder. Schlief dieser Kerl, wenn Barca-Spiele kamen? Oder ging sie immer so gut in Deckung, dass er gar keine Chance hatte? Fragen über Fragen, auf die er spontan keine antwort hatte. Trotzdem musste er Lena noch etwas auf ihre kluge Feststellung erwidern, also kramte er ganz tief in seinem Gedächtnis und fand sogar noch eine annähernd genauso philosophische Formulierung: „Man kann das Falsche aus den richtigen Gründen tun, doch deswegen bleibt die Handlung trotzdem falsch.“ Jetzt löste sich Lena endgültig von seiner Halsbeuge und sah ihn mit großen Augen an. Mit so einer Antwort hatte sie nun nicht gerechnet. Deswegen fing sie leise an zu lachen, was so ansteckend war, dass sie bald zusammen auf der Erde saßen und sich nicht mehr halten konnten. „Hey, was macht ihr beiden denn da auf der Erde?“ Erschrocken fuhren sie auseinander und sahen Torsten, der im Türrahmen stand, erstaunt an. Sie hatten gar nicht mitbekommen, dass da noch jemand war, obwohl sie wahrscheinlich damit hätten rechnen müssen, dass irgendwer sie suchen würde, schließlich saßen sie nun schon ziemlich lange auf dem kalten Fußboden. Lena sah kurz zur Seite und in seinen Augen konnte sie Zweifel erkennen. Flehend hob sie leicht die Augenbrauen und er konnte einfach nicht anders, als kaum merklich zu nicken. „Wir kommen schon, Torsten.“ Ihre Stimme klang für ihn ungewohnt fest und sicher, fast fröhlich, als wäre überhaupt nichts passiert. Ja, sie war definitiv eine Meisterin der Verstellung, denn in diesem Moment fragte er sich ehrlich, ob das Gespräch eben tatsächlich statt gefunden hatte. Langsam rappelte Lena sich hoch und bot ihm die Hand an um ihn hoch zu ziehen. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihr, dass Torsten bereits wieder ins Wohnzimmer gegangen war. Deswegen hielt sie seine Hand noch einen kurzen Augenblick länger, drückte sie leicht und murmelte nur leise: „Dank Timo.“ To be continued? Nun wisst ihr also, wer der Lauscher war. Enttäuscht? Hoffentlich nicht. Nun ist die Sache mit dem Beruf hoffentlich verständlich geklärt… Und ein bisschen Vergangenheit gab es ja nun auch, wenn auch nicht wirklich viel… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)