Happy ohne Ende? von Schumeriagirl ================================================================================ Kapitel 73: Erinnerst du dich? ------------------------------ Versonnen schaute Lena in den Spiegel und lächelte. Ihr rechtes Auge war bereits vollkommen geschminkt, während sie bei dem Linken gerade mal ein bisschen Lidschatten aufgetragen hatte – dann war Lena gekommen und hatte ihre volle Aufmerksamkeit gefordert. Sie war noch nicht fertig mit Schminken und eigentlich drängte die Zeit, doch von der Hektik, die sie vorhin noch verspürt hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Das Gespräch mit ihrer Nichte hatte sie von ihrer bevorstehenden Verabredung mit Per abgelenkt und sie wieder ruhiger werden lassen. Und so schminkte sich Lena in aller Ruhe zu ende, auch wenn nicht mehr so viel zu tun war. Nur noch die Wimpern tuschen, ein wenig Make up und Puder auftragen und schon war sie fertig. Auf Lipgloss verzichtete sie lieber, genauso wie Lippenstift, das alles hinterließ so hässliche Abdrücke an den Gläsern und außerdem hatte sie das Gefühl, dass sie Per in natura sowieso viel besser gefiel. Mit kritischem Blick betrachtete sich Lena im Spiegel von oben bis unten. Ihre langen blonden Haare hatte sie gelockt und nur leicht zurückgenommen, damit sie sie beim Essen nicht stören würden, sonst fielen sie ihr locker bis über die Schultern. Das wirkte nicht so streng und außerdem umrahmten die Locken ihr Gesicht, so dass ihre blauen Augen besser zur Geltung kam – was natürlich auch an ihrer Schminktechnik lag, die sie von Adriana gelernt hatte. Ihre nächsten Überlegungen galten dem Outfit, zu dem Petra ihr geraten hatte. Sicher, der schwarze Rock wirkte allein schon durch seine Schlichtheit sehr elegant, doch irgendwie befürchtete die Wahl-Spanierin, dass sie so viel zu langweilig aussah – zu bieder. Zwar war das weinrote Oberteil mit der Spitze ein bisschen raffinierter und definitiv gewagter als der Rock, aber ob dieses Ensemble wirklich zueinander passte und Per gefallen würde? Lena war sich nicht ganz sicher, beschloss jedoch, nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr, dass sie es jetzt eh nicht mehr ändern könnte und zog sich nicht noch einmal um, sondern zog ihre Sandalen an und ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo sie den Rest der Familie vermutete. Doch statt dem Rest der Familie fand sie nur Torsten vor, der auf dem Sofa saß und ziemlich lustlos in der Fernsehzeitung blätterte. Doch sie musste ihren Bruder nicht fragen, wo Christina, Lisa und Lena waren, die hörte sie draußen herumtoben – wahrscheinlich spielten sie Fangen oder sonst irgendetwas. Torsten blickte von der Zeitung auf, als er Lenas Schritte hörte und für einen Moment saß er einfach nur da und schaute seine kleine Schwester an. Die wurde unter dem eindringlichen Blick ihres Bruders unsicher und fuhr sich unwillkürlich durchs Haar, so wie sie es immer tat, wenn sie unsicher und nervös war. „Du siehst toll aus, Kleines. Und wenn Per dir nicht schon längst verfallen wäre, müsste er ein blinder Idiot sein, wenn er es nach diesem Abend nicht wäre.“ Torstens Stimme klang rau, als er die Stille durchbrach, doch seine Worte zauberten Lena ein Lächeln auf die Lippen. Diese Bestätigung hatte sie gebraucht, auch wenn sie sicht natürlich bewusst war, dass ihr Bruder keine unbeteiligte Meinung hatte. Das war in diesem Augenblick egal. Wichtig war nur, dass er sie schön fand und damit verhinderte, dass sie sich wieder wie das kleine, ungeliebte Mädchen fühlte, das sie in ihrer Kindheit gewesen war. Denn auch wenn sie vielleicht schon lange nicht mehr chancenlos war und auch die Küsse nicht mehr mit dem Kissen üben musste, so steckte noch viel von diesem unsicheren jungen Mädchen in ihr – mehr, als ihr manchmal lieb war und sie zugeben wollte. Sonst hatte immer Lionel vor irgendwelchen Galen oder großen Auftritten ihr Selbstbewusstsein gestärkt, ihr Mut gemacht und ihr gesagt, dass sie für ihn die schönste Frau der Welt sei. Und dabei hatte er sie so wunderbar ehrlich angelächelt und ihre Hand in seine genommen, dass sie seinen Worten einfach hatte glauben müssen. Seine Worte und Gesten hatten sie das hässliche Entlein vergessen lassen und sie wie ein schöner Schwan fühlen lassen. Und eine ähnliche Wirkung hatten auch Torstens Worte auf Lena. „Danke Torsten. Für alles“, murmelte Lena, ohne ihren Bruder dabei anzusehen. Irgendwie war es ihr doch ein bisschen peinlich, dass er großer Bruder ihr erst ein Kompliment machen musste, damit sie sich hübsch fand. Vielleicht war ihr Selbstbild durch die Ereignisse und Erlebnisse doch gestörter, als sie erwartet hatte. „Dafür sind Brüder doch da, Lena“, antwortete Torsten und stand vom Sofa aus. Zuerst schien es so, als wollte er zu Lena hingehen, doch dann drehte er sich um und schaute aus der Terrassentür nach draußen. Dort war gerade Christian mit fangen dran und der scheuchte Lisa und Lena ganz schön über den Rasen, wobei man sofort bemerkte, dass sich der kleine Italiener zurückhielt, damit der Spaß nicht gleich wieder vorbei war. So jagte er vor allem der größeren und etwas schnelleren Lisa hinterher, sobald er bemerkte, dass die kleine Lena einen Moment brauchte, um auszuruhen. Von Torsten unbemerkt war Lena zu ihm ans Fenster getreten und beobachtete die drei ebenfalls. Es freute sie, dass Christian sich trotz der Sprachprobleme so gut mit ihren Nichten verstand und aus sich herauskam. Sie hatte sein lebhaftes Wesen vermisst und hoffte inständig, dass ihm die Tage in Bremen gefallen würden. Trotzdem spukte auch noch etwas anderes in Lenas Gedanken herum, was sie seit dem Gespräch mit ihrer Patentochter einfach nicht loslassen wollte. „Erinnerst du dich noch, Torsten, als Schutz noch bedeutete, einen Helm beim Fahrradfahren zu tragen? Als die schlimmsten Sachen, die ein Mädchen von einem Jungen bekommen konnte, lästige Läuse waren. Und die schlimmsten Feinde unsere Geschwister waren und Krieg nur ein Kartenspiel, das man jederzeit einfach so beenden konnte? Damals war man noch keine Schlampe, nur weil man einen kurzen Rock trug. Und Abschiedsgrüße galten nur bis morgen. Erinnerst du dich noch?! Und wir konnten es alle nicht erwarten, Erwachsen zu werden.“* Ungläubig schüttelte Lena den Kopf, so als könne sie es selbst nicht glauben, dass man sich freiwillig wünschte, nicht mehr Kind zu sein. Dass sie sich tatsächlich irgendwann mehr oder weniger freiwillig dafür entschieden hatte, dieser Sorglosigkeit Ade zu sagen. „Wie kommst du so plötzlich darauf, Lena?“, wollte der „Lutscher“ von seiner Schwester wissen, die ihn immer noch mit diesem verlorenen Lächeln ansah, das er so schlecht einordnen konnte. „Ich komme drauf, weil deine Tochter mich heute gefragt hat, ab wann man erwachsen ist. Weil sie ganz schnell erwachsen werden will“, antwortete Lena und machte einen Schritt auf ihren Bruder zu, bevor sie ihre Arme um ihn schlang und sich an seine breite Brust lehnte. „Und was hast du ihr gesagt?“ Wie von selbst waren auch Torstens Arme um seine Schwester herum gewandert und streichelten ihr jetzt sanft den Rücken. Unwillkürlich schloss Lena die Augen und schmiegte sich noch ein bisschen enger an die Brust ihres großen Bruders, so dass sie seinen Herzschlag fühlen konnte. Und auch wenn Torsten es vielleicht nicht gerne laut zugab, so bedeuteten ihm diese Augenblicke der Nähe zwischen seiner kleinen Schwester und ihm wirklich viel. Da fühlte er sich wieder zurückversetzt in seine Kindheit, als er sie noch hatte beschützen können und sie ihn als ihren größten Helden angesehen hatte – weil er die Monster unter ihrem Bett verscheucht hatte und sich nicht wie ihre Eltern über ihre kindliche Fantasie lustig gemacht hatte. „Das ich es nicht weiß. Und dass sie sich mit dem Erwachsenwerden lieber noch ein bisschen Zeit lassen soll.“ Torsten konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Da ging seine kleine Lena mit so einer wichtigen Frage übers Erwachsenwerden ausgerechnet zu ihrer Tante, die es, als sie in dem Alter seiner Jüngsten gewesen war, ebenfalls nicht hatte erwarten können, erwachsen zu werden. Und die ihnen auch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit demonstriert hatte, dass sie so erwachsen war, dass sie sogar allein in einem fremden Land zu Recht kam. Und ausgerechnet diese Tante, die all diese Erfahrungen so früh gemacht hatte, riet seiner Jüngsten davon ab, zu schnell Erwachsenwerden zu wollen. Wenn das keine Ironie war. „Es ist gut, dass du ihr das gesagt hast. Aber es wäre noch besser, wenn du dir auch noch ein bisschen Zeit lassen würdest, erwachsen zu werden. Dann hätte ich noch etwas länger was von dir“, meinte Torsten und lockerte seine Umarmung, damit Lena ihn ansehen konnte. „Wie kommst du denn plötzlich darauf, Torsten?“, fragte die überrascht, weil sie nicht wusste, warum ihr Bruder plötzlich der Meinung war, dass sie noch nicht erwachsen war. Immerhin lebte sie jetzt schon seit acht Jahren allein, hatte einen guten Job, mit dem sie sich sehr gut selbst versorgen konnte, übernahm Verantwortung und hatte auch schon, wenn auch gescheiterte, Beziehungen hinter sich – damit erfüllte sie doch wohl alle Kriterien, um als erwachsen angesehen zu werden. „Weil Per eben gerade die Auffahrt rauf gekommen ist und er dich gleich abholen wird. Und dann muss ich meine kleine Schwester das erste Mal zu einem Date gehen lassen“, antwortete Torsten schlicht und Lena ahnte, dass ihm diese Ehrlichkeit schwer fiel. Er sprach halt einfach nicht so gern über Gefühle und schon gar nicht über solche, die ihm nahe gingen. Deshalb wunderte es sie auch, dass ihr großer Bruder noch mehr zu der Angelegenheit zu sagen hatte. „Ich weiß, dass du schon Verabredungen hattest. Aber von denen wusste ich nichts und ich habe dich nie gehen sehen. Habe nie gesehen, wie du aufgeregt auf die Ankunft deines Schwarms gewartet und dann hübsch zu Recht gemacht das Haus verlassen hast. Heute schon und irgendwie – weiß ich auch nicht.“ Lena musste kräftig schlucken, als sie Torstens hilflosen Gesichtsausdruck sah. Es trieb ihr fast die Tränen in die Augen, ihren Bruder so vor sich stehen zu sehen. Sie merkte ihm an, dass er mit sich kämpft und sie am liebsten zurückgehalten hätte – doch er tat es nicht, machte ihr mit keinem Wort ein schlechtes Gewissen und das rechnete sie ihm hoch an. „Hast du Angst, dass ich nicht wieder kommen werde?“ „Nein, eigentlich nicht. Ich weiß ja, dass Per dich diesmal sicher wieder nach Hause bringen wird“, entgegnete der „Lutscher“ und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande, das Lena ihm jedoch nicht abnahm. Sie fühlte, dass sie dem Kern seiner Sorgen und Befürchtungen schon sehr nahe gekommen war und deswegen wagte sie einen weiteren Schuss ins Blaue: „Aber du hast Angst vor dem Tag, an dem ich nicht mehr nach Hause kommen werde, sondern einen anderen Ort mein Zuhause nenne?“ „Ja“, gestand Torsten und zog Lena wieder in eine feste Umarmung, so als wollte er diesen schmerzhaften Gedanken durch ihre Nähe vertreiben – oder ihm zumindest so die Schärfe nehmen. „Ach Torsten. Du wirst immer mein großer Bruder bleiben und da, wo du bist, werde ich immer ein Zuhause haben“, erwiderte Lena und drückte sich ebenfalls ganz fest gegen Torstens Brust, während ihre Hände sich im Stoff seines Pullovers festkrallten. To be continued Wie fandet ihr dies Kapitel? Es war nicht ganz so, wie ich es eigentlich geplant und erwartet hatte, aber im Nachhinein gefällt es mir, dass sich Torsten und Lena vor der Verabredung mit Per noch mal aussprechen, denn so kann sich Lena sicher sein, dass sie den Segen ihres Bruders hat, der ihr ja irgendwie schon sehr wichtig ist. Und Torsten ist mir in diesem Kapitel sowieso ans Herz gewachsen, weil er es nicht nur schafft, Lenas Selbstbewusstsein aufzubauen (das ist ja sonst immer Lionels Part, aber der ist ja nicht da und dem würde es sicherlich auch das Herz zerreißen, Lena für eine Verabredung mit einem anderen Mann Mut zu zusprechen), sondern auch endlich mal wieder seine weiche Seite zeigt. Und irgendwie sind mit diese Geschwisterszenen in der letzten Zeit zu kurz gekommen, deshalb gab es hier die geballte Ladung – aber im nächsten Kapitel ist Per dann auch endlich da, er ist ja nun schon die Auffahrt hoch gefahren…;) Wie gesagt, es würde mich wie immer sehr interessieren, was ihr von diesem Kapitel haltet und welche Gedanken euch so beim Lesen durch den Kopf gegangen sind, Tut euch also keinen Zwang an und haut in die Tasten! * Diesen Text habe ich irgendwo mal gelesen und als ich dieses Kapitel geschrieben habe, ist er mir wieder in den Sinn gekommen, so dass ich meine grauen Zellen angestrengt habe, ihn noch einigermaßen zusammen zu bekommen. Es kann durchaus sein, dass etwas fehlt oder dass ich etwas dazu gedichtet habe, was eigentlich gar nicht darin vorkommt, aber das passiert halt, wenn man sich solche Sprüche nicht sofort aufschreibt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)