Who's afraid of Bogeyman? von abgemeldet (Wer hat Angst vorm schwarzen Mann) ================================================================================ Kapitel 6: Sorge und Sorglosigkeit ---------------------------------- „Was ist jetzt?“ „Er ist immer noch da drin und hat abgeschlossen!“ Langsam machte ich die Augen auf. Im ersten Moment war ich verwirrt und wusste nicht mehr, wo ich war und was passiert war, doch dann erinnerte ich mich wieder und setzte mich auf. Kurz nachdem Bogey mich wieder in der Herberge abgeliefert und sich gleich darauf einen wirklich heftigen Streit mit Cherry geliefert hatte, war ich hier her gekommen und hatte mich eingeschlossen. Diesmal war für den Ort meines Rückzugs eine Toilette erwählt worden. Die Türen waren fester und nicht so einfach aufzubrechen. Und hier saß ich nun. Irgendwie war mein Verstand benebelt. Ich fühlte mich schlecht. Besonders seit der Sms meines Vaters, die ich noch nicht einmal gelesen hatte, war es noch schlimmer. Irgendwer werkelte an der Tür herum. Gleich wäre sie offen und da wären wieder alle. Konnten sie mich nicht einmal alleine lassen? Natürlich machten sie sich Sorgen um mich und so weiter, aber ich wollte sie nicht sehen und erst recht nicht mit ihnen sprechen. Am liebsten wäre ich gestorben. Der Himmel musste ein wundervoller Ort sein, wenn man da keine Sorgen hatte. Schon ging die Tür auf, Cherry stürzte herein und fiel mir um den Hals. „Ich mache mir solche Sorgen um dich, immer!“, heulte sie drauflos, „Was tust du nur immer, Shady!“ Dann versuchte sie wieder sich zu fassen, ließ mich wieder los und musterte mich ganz genau. Selten unterzog sie mich einer so genauen Kontrolle. „Hast du es wieder getan? Sag schon?“, fragte sie mich und ihre Stimme zitterte. Natürlich. Sie hatte schon wieder Angst um mich. „Ich hab nichts gemacht, Cherry!“, knurrte ich und sah sie trotzig an, „Ich will nur meine Ruhe haben!“ Aber natürlich glaubte sie mir das nicht einfach so. Langsam schob die Schwarzblonde meinen Ärmel hoch und inspizierte den zernarbten Arm. Und wie es bei meinem sagenhaften Glück auch sein musste, betrat genau in diesem Moment Bogey den Raum. Nichts wollte ich weniger, als dass er einen Blick auf meine Vergangenheit warf! Aber genau das tat er. Seine Augen richteten sich auf meinen Unterarm und er lehnte sich an den Türrahmen. Ich konnte diesen Blick nicht deuten, der in seinen Augen lag. Aber seine Hände zitterten. Dann lenkte Cherry meine Aufmerksamkeit von Bogey auf sie. Sie zog den Ärmel wieder runter und seufzte befreit. „Keine neuen Schnitte!“, sagte sie und lächelte erleichtert, dann sah sie mich wieder an, „Das ist gut, wie geht es Monster?“ Ich sah sie an und hätte am liebsten losgeheult. Natürlich wusste sie das, Cherry kannte mich einfach zu gut. „Er lebt und ist wach“, murmelte ich leise, „Sie wissen nicht, wer es war, aber er muss wohl schon zu Hause zusammengeschlagen worden sein!“ Cherry nickte verstehend und Bogey sah nur verständnislos von ihr zu mir und wieder zurück, während er sich hinhockte. Natürlich, er hatte keine Ahnung. Beinahe so viel, wie Cherry. Sie konnten es gar nicht verstehen, ich hatte es ihnen nie erzählt, auch Cherry nicht. Immerhin wusste sie, dass bei mir zu Hause nichts so war, wie es sein sollte. „Was ist denn jetzt, wo kommt das her?“, knurrte Bogey aggressiv und deutete wütend auf meinen Arm. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er seine Unsicherheit in Wut umwandelte. Eigentlich verrückt, ich hatte keine Ahnung wieso er so etwas tun sollte, aber es schien definitiv das einzige, was mir zu seiner Reaktion einfiel. Cherry nahm mir die Unannehmlichkeit einer Antwort ab und beugte sich zu Bogey herüber, um ihm schnell und leise zuzuflüstern: „Ich weiß auch nichts genaues, aber soweit ich das verstanden habe, hat sein Vater, als seine Mutter gestorben ist, angefangen zu trinken und sein kleiner Bruder ist abgehauen, deswegen wollte er sich… na, du weißt schon!“ Sie sah mich nervös an, als würde ich sofort aufspringen und mich aus dem Fenster stürzen oder so. Bogey richtete seinen Blick auf mich, doch ich sah nicht in seine Augen. Ich wusste, dass sowohl seine Wut als auch seine Gleichgültigkeit mir gegenüber nicht ganz unberührt bleiben konnten. Immerhin hatte er immer, wenn wir uns gesehen hatten, mich mit seinem Bedauern begrüßt, dass ich mich noch nicht umgebracht hatte. Das war genau gesehen auch der Grund, warum ich es ihm nie gesagt hatte. Dass ich ihm nie gesagt hatte, wie nahe er mit seinem Bedauern an der Wirklichkeit gelegen hatte. Irgendwie hatte es mir immer gut getan zu wissen, dass ich seinem Wunsch immer widerstehen konnte und nicht nach seiner Pfeife tanzte. Auf einmal sprang der Schwarzhaarige auf und verließ den Raum. Ich sah ihm einen Moment lang erstaunt nach, dann senkte ich beschämt den Blick auf den Boden. Ja, ich schämte mich dafür, dass ich ihm das zumutete. Bogey war böse, er war aggressiv und zeigte keinerlei Gefühle. Das war sein Ruf, ein hart erarbeiteter Ruf, muss ich gestehen. Es wäre ungerecht von mir, ihn einfach so kaputt zu machen. Auf Dauer würde es dieser Ruf sein, der ihn zerstörte, doch das war seine Entscheidung und eine langfristigere Sache. Diese ganze Sache regte mich tierisch auf. Dabei hatten wir gerade begonnen uns irgendwie zu verstehen. Und ich hatte gerade begonnen zu begreifen, was er mir bedeutete. „Shady?“ Ich sah wieder auf und nahm Cherry wieder vollkommen wahr, wie sie so neben mir saß und mich ansah. „Es ist schon gut, Cherry!“, murmelte ich, „Lass mich bitte einfach einen Moment alleine, ich muss nachdenken!“ Sie nickte und stand auf, dann ließ sie mich mit einem letzten besorgten Blick alleine. Doch bevor sie dazu kam, die Tür zu schließen, zwängte sich Tinkerbell mit klingenden Glöckchen in den Raum. „Ich bin sofort wieder weg!“, versprach er Cherry mit einem kecken Kuss auf den Mund und wandte sich dann an mich. Doch er begann erst zu sprechen, als seine Freundin die Tür ganz zu gemacht hatte. Dann setzte er sich gelassen neben mich und sein Grinsen wich einem ernsten Blick. „Weißt du, Shady…“, murmelte er und griff nach meinem Arm, „Wir kennen uns noch nicht sehr lange, aber ich denke, dass es lange genug ist. Vielleicht kannst du sie mit deinem Schweigen beruhigen und ihre Angst nehmen… aber lass mich dich verarzten, ja?“ Er grinste mich keck an und schob den Ärmel meiner Schreibhand hoch. Dann warf er einen Blick darauf und seufzte leise. Regungslos betrachtete ich die frischen Wunden auf meinem Arm und grübelte darüber nach, wie er das bemerkt haben konnte. An diesem Tag hatte ich nicht ernsthaft über einen Selbstmord nachgedacht, aber irgendwie hatte ich es nicht lassen können, mich daran zu erinnern. Es tat so gut, Schmerz zu spüren. Einen Schmerz, der nicht seelisch war und real wehtat. „Ich glaube, du musst deine Jacke waschen!“, meinte Tinkerbell ungerührt und wusch das Blut beiseite, dass sich auch in den Ärmel meiner Jacke gesogen hatte. Ohne zu antworten, sah ich zu, wie er meinen Arm desinfizierte und verband. Seine Bewegungen waren geübt und schnell, beinahe so, als wäre das alles für ihn Routine, als mache er das nicht zum ersten Mal, sondern immer wieder. Aber das Zittern seiner Finger sagte etwas anderes. Etwas ganz anderes. Wenn man etwas regelmäßig macht, gewöhnt man sich mit der Zeit daran, egal, was es ist. Doch Tinkerbell war es nicht gewohnt. Dennoch wurde er schnell fertig. Gerade, als er den Verband irgendwie festmachte, hörte ich vor der Tür Schritte und dann Frau Wendigers Stimme. „Geht es Joel gut? Was ist denn passiert?“ „Sie wissen doch, die Sache mit seinem kleinen Bruder!“, antwortete Cherry ihr, „Und dann taucht auch noch dieser Typ auf… das muss ihn ziemlich fertig machen!“ Ich war ihr dankbar, dass sie nicht erwähnte, dass ‚dieser Typ’ mein Vater war. „Er macht sich bestimmt große Sorgen um seinen Bruder, nach diesem schrecklichen Unfall!“, meinte Frau Wendiger mitfühlend und Tinkerbell zog seufzend den Ärmel meiner Jacke über den verbundenen Arm. Dann sah er mir in die Augen und fragte leise: „War es denn ein Unfall oder hast du einen Grund so überzureagieren?“ Ich sah ihn einen Moment lang einfach nur an. „Unfall?“, nuschelte ich dann, „Interpretierungsfrage!“ Warum wusste er das, wie kam er darauf? Die Welt hatte wohl beschlossen, mich nicht mehr in ihre Rätsel einzuweihen. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Frau Wendiger schob vorsichtig den Kopf herein. Sie sah sehr besorgt aus. Kein Wunder, ich hatte die ganze schöne Klassenfahrt mal wieder gründlich verdorben. „Joel?“, fragte sie und in ihrer Stimme lag etwas mütterliches, was ich nicht mehr so gut kannte. Dazu war meine Mutter viel zu früh gestorben. „Alles in Ordnung!“, meinte Tinkerbell und grinste sie an, „Ich rufe jetzt im Krankenhaus an und Shady geht schlafen!“ Mit diesen Worten zerrte er mich aus der Toilette und in unser gemeinsames Zimmer, wo Bogey bereits war. Bogey. Mein bester Freund und zugleich größter Feind lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Schon knallte die Tür hinter Tinkerbell und wir waren allein. Langsam ging ich auf ihn zu. Er schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Er starrte nur immer weiter an die uninteressante Decke und war mit den Gedanken ganz woanders. Vorsichtig berührte ich ihn. Sofort lag sein Blick auf mir. „Geht es dir gut, Bogey?“, fragte ich leise und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ein wenig zitterte. Ich hatte keine Ahnung, wie er nun auf mich reagieren würde. Doch seine Reaktion war vollkommen anders, als ich erwartet hatte. Bogey sprang vom Bett, packte meine Schultern und brüllte mich an: „Du fragst mich, ob es mir gut geht? Verdammt, Shady! Du bist so unglaublich dumm, warum hast du das nie gesagt!“ Seine Stimme wurde immer leiser, doch das wütende Glitzern in seinen Augen blieb. „Warum hast du mir nie davon erzählt?“, fuhr er nun ganz leise fort und nickte zu meinem Arm hinüber, „Wieso hast du zugelassen, dass ich mich darüber lustig mache?“ „Ich…“ Ich brach ab. Noch nie hatte er mir solche Angst eingejagt, wie in diesem Moment. Ja, ich hatte Angst vor Bogey. Bisher hatten wir immer irgendwie freundschaftlich gestritten, auch wenn keiner von uns das zugegeben hätte. Aber nun war Bogey sauer auf mich und nun hatte er auch einen Grund dazu. Allerdings brauchte er eine Antwort, das war sogar mir klar. Schließlich hatte er gefragt. Mein Blick sank wieder gen Boden. „Du hattest immer so einen Spaß daran, dich mit mir zu streiten… Ich wollte ihn dir nicht verderben!“, nuschelte ich. Sein Griff um meine Schultern wurde etwas fester, während er mich näher zu sich heranzog. „Ich hätte auch einen anderen Grund gefunden dich fertig zu machen, Idiot!“, knurrte er. Ich nickte, er hatte ja recht. Wie immer hatte Bogey vollkommen recht… okay, er hatte nicht immer Recht, aber bei allem, was wichtig war, konnte niemand etwas gegen seine Logik sagen. Während ich da so auf den Boden starrend stand, ließ Bogey mich los und kletterte wieder auf sein Bett. Ich konnte kaum noch klar denken. Das einzige, was in meinem Kopf noch ganz klar zu hören war, war: Scheiße, jetzt ist Bogey wirklich sauer auf mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)