Who's afraid of Bogeyman? von abgemeldet (Wer hat Angst vorm schwarzen Mann) ================================================================================ Kapitel 5: Besuch von zu Hause ------------------------------ Als Bogey, der an der Haltestelle schon auf uns wartete, Cassis sah, konnte man meinen, dass er ein ganz normaler Junge wäre. Er lachte vollkommen erleichtert drauflos und umarmte sie so glücklich, dass ich meinem konnte, er hätte sie jahrelang nicht gesehen. Ich kam mir ein wenig überflüssig vor, bis Bogey mich auch plötzlich umarmte und mir dankte, dass ich sie gefunden hatte. Ich wollte mir beinahe selbst nicht eingestehen, wie sehr ich diese Umarmung genoss. Nie umarmte mich jemand. Natürlich, Cherry tat das ständig, aber… Cherry war eben Cherry! Und nicht Bogey. Ich schob den Gedanken beiseite, denn in diesem Moment ließ Bogey mich wieder los und zerrte mich und Cassis hinter sich her in den Bus. Ich vergaß, dass mein Fuß irgendwie kaputt war und knickte natürlich gleich wieder um. Doch diesmal hielt der Fuß mein Gewicht nicht und ich sank zusammen. Bogey drehte sich zu mir um, dann schlang er kurzerhand einen Arm um meine Taille und hob mich in den Bus. Nun wäre es mir lieber gewesen, er hätte es nicht getan. Ich hatte nicht erwartet, dass ich noch so sehr etwas fühlen konnte, was ich nicht kannte. Bogey platzierte mich auf einem Sitz und setzte sich neben mich Cassis setzte sich uns gegenüber. „Was hast du denn gemacht?“, fragte er dann. „Ach... nur die Wurzel vorhin. Du weißt schon, du hast mich doch danach durch den Wald gezerrt wie bescheuert!“ „Oh… das tut mir Leid!“ Ich winkte ab. „Du hast dich heute noch gar nicht mit mir gestritten!“, fiel mir dann auf und ich grinste ihn an, was ihn perplex zurückgrinsen ließ. Cassis begann zu lachen. Keine Ahnung worüber. Wahrscheinlich über Bogey und mich. Das lag nahe, da wir erstens die einzigen im Bus waren und uns zweitens gerade ziemlich komisch benahmen. Seit wann war Bogey so freundlich zu mir? „Bild dir darauf nichts ein!“, knurrte er und sah mich so böse an, dass ich wünschte, ihn nie darauf aufmerksam gemacht zu haben, „Ich streite mich nicht vor sieben Uhr!“ „Pech, Bo!“, rief Cassis grinsend, „Es ist gerade sieben geworden!“ Bogey sah mich an und ich schluckte. Sieben Uhr. Weckzeit in der Jugendherberge. „Verdammt, so kommen wir nicht weiter!“ Ich seufzte und nickte. Ich war einfach zu langsam, da ich, obwohl Bogey mich stützte, nur sehr vorsichtig bis gar nicht auftreten konnte und humpelte. „Tut mir Leid!“, murmelte ich. „Ach was!“, knurrte Bogey und nahm mich kurzerhand Huckepack. „Was wird das denn!“, schrie ich erschrocken, als er auf einmal lossprintete. „Siehst du doch!“, rief er zurück, „Ich trag dich! Du bist so leicht, das würdest du mir gar nicht glauben!“ Erschrocken krallte ich mich an seine breiten Schultern fest. Irgendwie hatte er ja recht, so waren wir schneller, aber… Ich konnte diese Nähe kaum mit den Gefühlen vereinbaren, die in mir keimten und sprossen. Wo sollte das nur enden? Hatte ich mich tatsächlich in Bogey verliebt? Ausgerechnet in Bogey! Ich schloss die Augen und ließ die Stirn an seine Schulter sinken, die sich im Takt seiner Schritte bewegte. Irgendwann hielt er an und drehte den Kopf in meine Richtung. „Und, war das schlimm?“ „Geht!“, presste ich zwischen den zusammengebissenen Zähnen heraus und ließ mich von ihm auf den Boden setzen. Frau Wendiger, die an der Eingangstür der Herberge vor uns stand, sah uns fassungslos an. „Wir waren joggen!“, erklärte Bogey, „Und Shady hat sich dabei lang gemacht… und da irgendwas mit seinem Fuß nicht stimmt, hab ich ihn getragen!“ Schlaue Ausrede. „Wir wollten ihnen Bescheid sagen, aber sie waren nicht wach!“, ergänzte ich geistesgegenwärtig, „Und unseren Zettel haben sie -wie ich aus ihrem Gesichtsausdruck interpretiere- nicht gefunden!“ „Äh… nein! Wir wollen jetzt frühstücken! Kommt ihr nach?“, brachte die perplexe Lehrerin hervor. Wir nickten. Dann stützte Bogey mich und schleppte mich die Treppe hinauf. In unserem Zimmer ließ er mich auf mein Bett fallen und setzte sich neben mich. Dann sahen wir uns an. Schließlich lächelte ich. „Danke!“, sagte ich, „Irgendwie waren gestern und heute wirklich gute Tage! Das ist deine Schuld!“ Bogey grinste fies. „Glaub nicht, dass das ab jetzt immer so ist!“, drohte er und ich glaube ihm jedes Wort. Anscheinend war mein Blick sehr verschreckt gewesen, denn seine Gesichtszüge wurden wieder sanfter und er wandte seinen Blick von mir ab. „Ich fand es auch cool!“, gestand er dann, während er das Fenster musterte, als wäre es etwas ganz besonderes, „Hatte selten so viel Spaß, wir sollten so was öfter machen!“ Ich sah ihn erstaunt an, dann nickte ich. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ich zuckte so sehr zusammen, dass ich mir wieder den Kopf an den Latten über mir stieß. „Holla, die Waldfee!“, knurrte ich, rieb meine Stirn und bedachte Cherry und Tinkerbell, die hereingekommen waren, mit einem wütenden Blick. „Tut uns Leid!“, meinte Cherry lachend und ließ sich von Tinkerbell in seine Arme ziehen. „Dein Handy macht Stress!“, meinte der und warf mir mein Handy zu. Anscheinend hatte ich es irgendwo liegengelassen. Ich warf einen Blick auf das Display. Eine Sms von Monster. Während Bogey die beiden Störenfriede zur Sau machte, las ich die Sms. Im ersten Moment dachte ich, ich träumte. Ich las sie noch einmal. Cherry hatte sich gerade an mich gewand, ich ignorierte sie. „Shady, was ist denn, du wirst ganz blass!“ Ich setzte mich langsam auf, der Blick immer noch wie gebannt auf die Sms gerichtet. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Dabei war heute doch so ein guter Tag gewesen, es war der erste Tag seit langem gewesen, den ich nicht als schlecht bezeichnete. Verzeihung, bezeichnet hatte. Denn genau das war er wohl doch. Ich stand auf, immer noch den Blick starr auf die Buchstaben der Sms gerichtet. „Shady?“ Cherry legte eine Hand auf meine Schulter, doch ich schob sie geistesabwesend zur Seite. „Was ist passiert?“, fragte sie und linste über meine Schulter. „Monster…“, murmelte ich und klappte das Handy zu. Nun sahen sie mich alle besorgt an. „Ich… muss zu ihm!“, sagte ich leise. Als ich einen Schritt auf die Tür zumachte, knickte ich wieder um. Der Fluch, den ich ausstieß, als Tinkerbell mich auffing, sei an dieser Stelle nicht erwähnt. „Nein, du kannst nicht gehen!“ Wütend starrte ich Frau Wendiger an, die Cherry geholt hatte, weil sie nichts anderes wusste, um mich aufzuhalten. „Aber ich muss!“, widersprach ich wieder. Ich sah in die Gesichter der um mir stehenden. Tinkerbell hielt Cherry im Arm, Bogey lehnte an der Wand. Einige schaulustige andere Schüler hatten sich um Frau Wendiger geschart. Jetzt viel mir auf, dass ich nicht einmal ihre Namen kannte. Doch das war egal. „Hör doch zu, Joel, wir müssen…“ Mir reichte es. „Hören sie mir zu!“, zischte ich wütend und richtete mich auf, „Mein kleiner Bruder liegt im Krankenhaus und sie wissen nicht, was er hat. Glauben sie allen Ernstes, dass mich diese beschissene Klassenfahrt noch interessiert?“ Denn genau das war passiert. Sie hatten Monster in einem Straßengraben nicht weit von unserem Haus gefunden. Er war einfach nicht mehr zu sich gekommen, doch es sah ganz danach aus, als hätte irgendjemand ihn beinahe erschlagen. Und mir fiel auf die Schnelle nur eine Person ein, die so etwas tun würde. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Das durfte einfach nicht sein! „Ich… ich…“, stotterte ich. Wirklich keine Ahnung, was ich hätte sagen sollen! Langsam ging ich an ihnen allen vorbei und aus dem Zimmer. „Shady!“ Ich spürte, wie Cherry meine Hand ergriff und mich festhielt. „Hier, lies!“ Cherry nahm mein Handy und las die Narchicht. „O mein Gott!“, flüsterte sie, „Wieso sagst du das erst jetzt?“ „Ich sag doch die ganze Zeit, dass keiner weiß, was er hat!“ „Aber hier steht, dass er in Lebensgefahr schwebt!“ Ich riss mich von ihr los und ging weiter. „Lasst mich einfach allein!“, knurrte ich und schloss mich in der Gemeinschaftsdusche ein. Das ist, wenn man nicht weiter denken kann immer der sicherste Ort. Schließlich hatte er ein Schloss! Und denken ging im Moment einfach nicht. Langsam ließ ich mich gegen die kalten Kacheln einer Dusche sinken und starrte auf meine Füße. Doch schon nach wenigen Sekunden sprang ich wieder auf und streifte ruhelos durch den kleinen Vorraum. Dabei humpelte ich immer noch. Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich diese Wurzel hasste? Es klopfte an der Tür. Erst hörte ich Cherrys Stimme, dann die von Tinkerbell. Auch Bogey und einige Mädchen der Klasse, die immer auf die schleimerische Art kamen, versuchten mich zum Aufschließen zu Bewegen. Doch ich nahm ihre Stimmen nur am Rande wahr. In mir rollte eine Welle der Angst nach der anderen gegen meine Festung aus Gelassenheit und brachte ihre Mauern zum Wanken. Und mit dieser Unsicherheit kam meine Verzweiflung auf. So lange hatte ich Monster vor ihm beschützt und jede Nacht im Halbschlaf verbracht, um bei jedem noch so kleinen Geräusch aufzuschrecken. Doch was hatte es genutzt? Nichts. „Shady, jetzt komm da raus!“, rief Cherry von draußen. Seufzend stand ich auf und ging zum Fenster. Die Duschen waren im zweiten Stock und hatten ein ganz normales Fenster. Eigentlich störte mich so etwas tierisch, aber diesmal war es ganz nützlich, denn so konnte ich hinaussteigen und mich zu Boden fallen lassen. Der Aufprall war nicht ganz angenehm, aber immerhin war ich draußen. Ich sah mich um. Die ersten Walker hasteten den Waldweg vor dem See entlang und der Parkplatz war mit Autos zugestellt. Eine neue Klasse kam gerade an. Doch dann sah ich das Auto, dass ich von allen am wenigsten erwartet hätte. Ich konnte es im ersten Moment gar nicht glauben. Da parkte tatsächlich der silberne Passat meines Vaters gerade ein Stück weit von mir entfernt ein. „Shady?“ Ich sah nach oben. Cherry streckte den Kopf aus dem Fenster. Natürlich, sie hatten die Tür aufgebrochen. Irgendwie war das klar gewesen. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Auto meines Vaters zu, welcher gerade aus eben diesem ausstieg und sich umsah. Mein Herz setzte einen Moment lang aus. „Da ist er… Shady! Schau hier hoch!“ Ich sah nicht zu Cherry hinauf, mein Blick klebte noch immer an jenem Menschen, der sich mein Vater nannte. Plötzlich sah er zu mir hinüber und unsere Blicke trafen sich. Ich wich einen Schritt zurück und starrte ihn weiter wie hypnotisiert an. „Das kann nicht sein, das kann nicht sein!“, hämmerte es in meinem Kopf immer und immer wieder, ich konnte wirklich nicht glauben, dass er wirklich hier war. Er warf die Autotür zu und lief auf mich zu. „Joel!“ Seine Stimme brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich drehte mich um und flüchtete. Weg von meinem Vater, weg von Cherry, weg von all dem, was ich nicht verstehen konnte und wollte. Ich lief in den Wald und dann so schnell ich konnte zwischen den Stämmen und Ästen hindurch immer weiter weg. Hinter mir hörte ich die Stimme meines Vaters durch den Wald schreien, ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn ich sie hörte. Als ich eine Viertelstunde wie bescheuert durch den Wald gesprintet war, konnte ich einfach nicht mehr. Mein Fuß pochte schon wie wild und wegen meiner Angst konnte ich auch nicht mehr gleichmäßig genug atmen, um noch lange zu laufen. Schließlich ließ ich mich einfach fallen. Leider war gerade da ein Hang und ich rollte hinunter in die Kuhle und zwischen lauter Brombeerranken, die mir die Arme und das Gesicht zerkratzten. Na toll! Ich blieb einfach zwischen den Ranken liegen und versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Langsam schloss ich die Augen. Wie konnte eine einzige Klassenfahrt mein ganzes Leben nur so aus dem Ruder heben? Nun gut, ich hatte es auch vorher nicht unter Kontrolle gehabt, aber ich hatte wenigstens geglaubt, das alles irgendwie lenken zu können. Nun lag mein kleiner Bruder im Krankenhaus und mein Vater tauchte hier auf. Ich hatte es jahrelang geschafft, ihm einfach aus dem Weg zu gehen, sogar in der kleinen Dreizimmerwohnung, in der wir wohnten. Nach einiger Zeit hörte ich Schritte. Ich ließ die Augen geschlossen und hoffte irgendwie, dass man mich übersehen würde. Aber das war wohl ein Wunschtraum, denn schon raschelte das Laub am Hang und selbige Person schlitterte zu mir hinunter. Schon spürte ich Hände, die mich hochzogen. „Scheiße, Shady!“, knurrte eine Stimme, die ich sehr gut kannte, aber im Moment nicht wirklich zuordnen konnte, „Lebst du noch?“ Langsam machte ich die Augen wieder auf und sah direkt in das Gesicht von Bogey. „Bist du bescheuert, dass du einfach so verschwindest!“, knurrte er. Er zog mich hoch und rücksichtslos aus den Dornen. „Wer war dieser Typ, der da brüllend hinter dir her gerannt ist?“, fragte Bogey und sah mich an. „Mein Vater!“, murmelte ich und schob ihn mit einer mutlosen Bewegung beiseite. Einen Moment lang schwiegen wir. „Er ist weg!“, sagte Bogey dann zu meiner Überraschung, „Frau Wendiger hat sich zwischen dich und ihn geworfen wie eine mutige Löwin und ihm erst mal klar gemacht, dass du ihr Schüler bist und er deswegen hier nichts zu suchen hat… hat mich schon gewundert, dass sie ihn nicht erkannt hat, sie kennt doch die Eltern von allen!“ „Meine nicht, weil sie nie da waren!“, sagte ich leise und humpelte los in Richtung Bushaltestelle. „Die Herberge ist in der anderen Richtung!“, rief Bogey mir nach. „Ja, aber ich muss zu Monster!“, rief ich zurück und sah ihn an, „Er hat doch sonst niemanden, der ihn besuchen würde!“ Ich hörte den Schwarzhaarigen hinter mir seufzen. „Cassis hat ihn besucht, es geht ihm schon besser und er lässt dich grüßen!“ Ich sah ihn erstaunt an. „Und du lässt Cassis einfach so zu ihm?“, fragte ich fassungslos. Bogey zuckte mit den Schultern und sah zu Boden. „Wieso sagst du mir nicht, wie schwach und dumm ich doch bin?“, fragte ich leise und sah ihn an. Das fragte ich mich wirklich, schließlich war das ja Bogey und seit wann war Bogey so freundlich und vor allem ruhig? „Du hast jetzt echt anderes zu tun, als dich mit mir zu streiten, oder? Und jetzt komm!“ Er griff nach meinem handgelenk und zerrte mich hinter sich her zur Herberge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)